Michael Walzer und John Rawls als Vertreter des Kommunitarismus bzw. des Politischen Liberalismus


Dossier / Travail de Séminaire, 2004

16 Pages, Note: 1,3


Extrait


Gliederung

1. Moral und Markt – zwei unüberbrückbare Gegensätze

2. Kommunitarismus und Politischer Liberalismus
2.1 Definition und Grundlagen des Kommunitarismus
2.2 Michael Walzers „Wiederholender Universalismus“
2.3 Der politische Liberalismus
2.4 John Rawls und die Versöhnung Freiheit und Gleichheit

3. Die praktischen Aufgaben der vorgestellten philosophischen Strömungen

1. Markt und Moral – zwei unüberbrückbare Gegensätze?

Mittlerweile sind es die Bundesbürger gewöhnt, mit Schlagzeilen wie „Sozialausgaben klettern auf Rekordhöhe“[1] umzugehen. Auf lieb gewonnene Sicherheiten ist kein Verlaß mehr und die von vielen Teilen der Bevölkerung kritisierten Hartz-Vorstöße werden zur Senkung der Sozialausgaben eingeführt. Doch was ist passiert, dass das wohlfahrtsstaatliche Prinzip, das Hand in Hand mit der europäischen Moderne ging, allmählich nicht mehr funktioniert?

Als durch die Industrialisierung und der liberal-kapitalistischen Markwirtschaft eine immer stärker werdende Form von Existenzunsicherheit expandierte, wurden auf diese Entwicklungen mit dem System des modernen Wohlfahrtsstaats geantwortet, der wichtige Teile der Arbeits- und Lebensbedingungen breiter Bevölkerungskreise regulierte. Die sozialpolitischen Maßnahmen waren der „Versuch, die soziale Existenz der von diesem umfassenden Wandel betroffenen Menschen zu sichern und so gleichzeitig die bestehende Ordnung von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat gegen revolutionäre Umbrüche zu schützen“[2]. Daraus ergibt sich die institutionelle Übernahme einer legalen und damit einer formalen Verantwortung einer Gesellschaft für das Wohlergehen ihrer Mitglieder in grundlegenden Belangen.[3] So viel positive Effekte diese Definitionen auch versprechen wollen, so werden dennoch an dieser Stelle die Probleme der heutigen Zeit deutlich: Denn was besagt der Ausdruck der „grundlegenden Belange“ und wer hat diese Verantwortung zu übernehmen. Anscheinend bedarf es eines immer höher dotierten Transferbetrags pro Einwohner, um die Marktergebnisse zu korrigieren und damit dem Wirtschaftswachstum einen sozialen Ausgleich gegenüber zu stellen. Durch einen solchen Eingriff untergräbt man aber auch das ökonomische System, da so die Lohnnebenkosten steigen. Die ökonomische Effizienz wird geschwächt und damit unmittelbar verbunden reduziert sich auch der Spielraum, sozialen Frieden zu stiften. Zunächst aber noch zur Frage, wer diese Verantwortung übernehmen soll. (Neo-)Liberale fordern zunehmend vehement eine verstärkte Eigenverantwortung. Aus rein ökonomischen Gedankengut heraus, stellt diese Variante eine plausible Lösung dar, den maroden Wohlfahrtsstaat wieder ins Lot zu bringen: Wenn der Markt mit seinen gewinnmaximierenden Individuen die beste Lösung ökonomischer Probleme ist, so könnte dieses Schema auch für den sozialpolitischen Bereich gelten.

An diesen beiden Fragestellungen wird schon sichtbar, dass das Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialpolitik ein spannungsgeladenes darstellt. Welche Ansätze liefert die Philosophie, um die Kluft zwischen Markt und Moral abzuschwächen bzw. dass sich beide Elemente sogar gegenseitig etwas bringen können. Als nächstes möchte ich in meiner Arbeit, die Grundlagen des Kommunitarismus aufzeigen, diese mit der Philosophie von Walzer noch präzisieren. Demgegenüber stelle ich den politischen Liberalismus vor, der mitunter von John Rawls geprägt wurde und somit sollen auch dessen Gedanken in dieser Arbeit vorgestellt werden.

1.1 Definition und Grundlagen des Kommunitarismus

Die Zwiebel gilt in der politischen Theorie oft als Methaper für das Subsidiaritätsprinzip. Der Staat als äußerste Schale hält Strukturen wie Nachbarschaft, Vereine, Schulen und Betriebe zusammen. Die Schale um das einzelne Individuum ist jedoch viel enger konzipiert, da der Staat als Schale für so kleine Strukturen überfordert wäre. Dieses Prinzip, dass übergeordnete Gemeinschaftsformen nur für Aufgaben eintreten sollen, die kleinere gesellschaftliche Einheiten nicht erfüllen können, wurde auch in der päpstlichen Enzyklika von 1931 vorgetragen als Berufung auf die Lehre von Thomas von Aquin. Es fordert den Staat auf, sich nicht alleinverantwortlich für soziale Probleme zu fühlen, sondern lediglich notfalls und hilfsweise einzutreten, damit die gesellschaftlichen Eigenkräfte nicht erschlaffen. Auf ein sehr ähnlichen Grundsatz baut der Kommunitarismus auf, wobei seine Ansätze sehr viel facettenreicher und weitgehender sind als die Subsidiarität.

Gleich am Anfang jeder Darstellung von Kommunitarismus muss darauf hingewiesen werden, dass es sich hier um eine sehr heterogene Theorieströmung handelt. Allen Vertretern ist jedoch ein Sachverhalt gleich: Sie distanzieren sich alle, jedoch auf verschiedene Weise, vom Liberalismus und vor allem von John Rawls. So stehen auf der einen Seite die Repräsentanten mit einer fundierten philosophischen Betrachtung (z.B. Charles Taylor, Michael Walzer), auf der anderen Seite bezeichnen sich aber auch Pragmatiker wie Robert Bellah oder Amitai Etzioni als Vertreter dieser Strömung. Dennoch lassen sich vier Aspekte benennen, welche gemeinsame Grundlinien dieser Richtung ausmachen.

Die Kommunitarier legen großen Wert auf die Reflexion der eigenen Gesellschaft. Dabei sind sie der Überzeugung, dass eine Gesellschaft, „die sich konsequent auf atomisierte, voneinander isolierte und ihrem Eigeninteresse folgende Individuen stützt, [...] ihre eigenen Grundlagen“[4] untergräbt. Dabei spielen die Vertreter vor allem auf die Schrift „Eine Theorie der Gerechtigkeit“[5] von John Rawls an und wenden sich gegen die Zerstörung der solidarischen Strukturen einer Gesellschaft. Walzer bezeichnet diese liberale Sicht, in der der Mensch aus der Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft herausgenommen wird, als eine „selbstzerstörerische Lehre“[6]. Damit die Grundlagen des Staates geschützt werden können, bedarf es einer Aktivierung des Gemeinschaftssinns, einer Herausarbeitung gemeinsamer Wertgrundlagen und der Stärkung des Bürgerengagements.

Das sogenannte „Ich-Wir-Paradigma“, das seine Ableitung durch den markanten Leitspruch Etzionis „Die Ichs brauchen ein Wir, um zu sein“[7], bringt den Wunsch der Kommunitarier nach mehr Moral zum Ausdruck. Diese Moral versteht sich nicht darin, dass der Mensch aus einer Aneinanderreihung verschiedener Wünsche und Ziele besteht, sondern er muss auch in der Lage sein, moralische Fragen zu stellen und damit eine moralische Verortung auf den Weg bringen.[8] Doch die Überwindung des methodologischen Individualismus der neoklassischen ökonomischen Theorie durch die Anwendung von Moral gelingt nur durch das gesellschaftliche Zusammenleben von Moral. Denn im allgemeinen werden Individuen nur in einer Gemeinschaft moralfähig.[9] Aus diesem kollektiven Wir-Gefühl läßt sich auch die Priorität der Familie bei den Kommunitariern erklären und daraus ergibt sich auch ein hoher Stellenwert für die familiäre Erziehung.

Im Gegensatz zur liberalen Gesellschaftstheorie, die einzig die gegenseitige Vorteilhaftigkeit gesellschaftlicher Institutionen herausstreicht, betonen die kommunitaristischen Denker immer wieder ihre intensive Bindung an das politische Gemeinwesen. Diese Hinwendung zum Gemeinwesen kann aber nur durch eine „Art patriotischer Identifikation“[10] funktionieren. Durch diese Identifikation erreicht man einen Patriotismus, der weniger der Nation gilt, als den Institutionen und den Verfahren der Selbstregierung.[11]

Als besonderes Ziel beansprucht diese kommunitaristische Denkweise für sich, dass die Allzuständigkeit der Politik bzw. des Staates zugunsten einer neuen Arbeitsteilung zwischen Politik, Gesellschaft und dem Individuum weichen muss. Dieser „Versuch einer Wiederbelebung von Gemeinschaftsdenken unter den Bedingungen postmoderner Dienstleistungsgesellschaften“[12] beinhaltet die Forderung, dass sich aus den gebildeten Traditionsgemeinschaften Gemeinschaften des freien Willens profilieren müssen. Für diese sind das Bedürfnis nach enger sozialer Kommunikation, nach Selbstverwaltung und Mitgestaltungsmöglichkeit charakteristisch. Im Mittelpunkt steht die Wiederherstellung einer guten Gesellschaft, in der Individualismus und Kollektivismus die Balance halten. Als Basis für ein Gelingen braucht diese Gesellschaft eine Mentalität zur Selbstorganisation. Anlehnend an Hannah Arendt, spricht man in diesem Zusammenhang von einem „bürgerhumanistischen Engagement“. Gerade bei diesem Punkt sind die lokalen Initiativen gefragt, die nicht nur lokale Solidarität ausmachen, sondern man fordert auch den Staat auf, kleinere und mittlere Unternehmen zu unterstützen.

Des weiteren soll ein gemeinnütziger Sektor gefördert werden, ein Beispiel dafür stellt das sogenannte „Gemeinwohlunternehmen“ dar, dass das Konzept für die gegenseitige Inanspruchnahme gemeinnütziger Arbeit vertritt. Der Staat zieht nicht nur finanzielle Vorteile aus der Selbsthilfe in Form einer Reduzierung von Bürokratisierungskosten, sondern diese Aktivität gilt auch als Mittel für den Gemeinsinn und dem Funktionieren einer Gesellschaft. Grundsätzlich schwört der Kommunitarismus die übermächtige Staatsmacht ab.

Diese Aspekte machen deutlich, welche entscheidende Position die Gemeinschaft, vor der Politik, einnehmen soll. Damit die Gemeinschaft auch einen Großteil der Bevölkerung in sich einbinden kann, wird der Bürgerpartizipation eine sehr hohe Priorität zuteil. Diese Initiativen von unten und die Stärkung sozialer Gruppen erinnert an das oben erwähnte Subsidaritätsprinzip, das sich aber hier in einem konkreten bürgerlichen Engagement realisieren lässt.

[...]


[1] Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 07.06.2004. S. 15.

[2] Ritter, Gerhard A.: Der deutsche Sozialstaat. Anfänge, historische Weichenstellungen und Entwicklungstendenzen. In: Rauscher, Anton (Hrsg.): Grundlagen des Sozialstaates. Köln 1998. S. 11.

[3] Vgl. Girvetz, Harry: Welfare State. In: Girvetz: Welfare State. in: International Encyclopedia of the Social Sciences. 1968, Vol.16./ S.512. Zitiert und übersetzt in Kaufmann, Franz-Xaver: Herausforderungen des Sozialstaates. Frankfurt 1997. S. 21.

[4] Kallscheuer, Otto: Wer hat schon Angst vor dem Kommunitarismus? In: Süddeutsche Zeitung vom 18. Dezember 1996. S. 13.

[5] Dieses Werk und die daraus resultierende Kritik wird im Kap.2.4 (S. 10-13) vorgestellt und erläutert.

[6] Walzer, Michael: Die kommunitaristische Kritik am Liberalismus. In: Honneth, Axel: Kommunitarismus. Eine Debatte über moralische Grundlagen moderner Gesellschaften. Frankfurt am Main/New York 1995. S. 170.

[7] Etzioni, Amitai: Die faire Gesellschaft. Jenseits von Sozialismus und Kapitalismus. Frankfurt am Main 1996. S. 35.

[8] Vgl. Teepe, Ralf: Kommunitarismus und Ökonomische Theorie der Politik. Bedeutung und Ausgestaltung des Menschenbildes aus Sicht der Grundlagen und Bedingungen einer positiven Theorie politischer Institutionen. Lohmar/Köln 1998. S. 57.

[9] Vgl. MacIntyre, Alasdair: Ist Patriotismus eine Tugend? In: Honneth, Axel: Kommunitarismus. Eine Debatte über moralische Grundlagen moderner Gesellschaften. Frankfurt am Main/New York 1995. S. 92.

[10] Taylor, Charles: Der Begriff der bürgerlichen Gesellschaft im politischen Denken des Westens. In: Blumlik, Michael/ Brunkhorst, Hauke (Hrsg.): Gemeinschaft und Gerechtigkeit. Frankfurt am Main 1993. S. 116.

[11] Vgl. Reese-Schäfer, Walter: Grenzgötter der Moral. Frankfurt 1997. S. 283.

[12] Reese-Schäfer, Walter: Die politische Rezeption des kommunitarischen Denkens in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 36 (1996). S. 3.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Michael Walzer und John Rawls als Vertreter des Kommunitarismus bzw. des Politischen Liberalismus
Université
University of Regensburg  (Theologische Anthropologie und Wertevermittlung)
Cours
Hauptseminar
Note
1,3
Auteur
Année
2004
Pages
16
N° de catalogue
V45055
ISBN (ebook)
9783638425285
ISBN (Livre)
9783640203550
Taille d'un fichier
453 KB
Langue
allemand
Mots clés
Michael, Walzer, John, Rawls, Vertreter, Kommunitarismus, Politischen, Liberalismus, Hauptseminar
Citation du texte
Monika Faerber (Auteur), 2004, Michael Walzer und John Rawls als Vertreter des Kommunitarismus bzw. des Politischen Liberalismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45055

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