Die Europäische Union bekommt ein militärisches Standbein. Zu dieser Einschätzung kann man kommen, wenn man die Entwicklungen der vergangenen Jahre im Bereich der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) betrachtet. Als deren Geburtsstunde kann der bilaterale Gipfel von St. Malo zwischen Frankreich und Großbritannien gesehen werden. Hier wich die britische Regierung von ihre bisherige n Blockadehaltung gegenüber einer europäischen militärischen Zusammenarbeit ab und veröffentlichte zusammen mit der französischen eine Absichtserklärung zur Schaffung der „capacityfor autonomus action, backed up by credible forces, the means to decide to use them, […] in order to respond to international crisis“(Joint Declaration of St-Malo 1998).
Diese Erklärung wurde auf dem Treffen des europäischen Rates in Köln 1999 von allen Mitgliedsstaaten erne uert und damit die Gründung der ESVP offiziell beschlossen. Noch im gleichen Jahr folgte beim Ratstreffen von Helsinki eine Aufstellung konkreter Ziele für die ESVP, darunter auch ihre militärische Stärke und Zeiträume bis zur Einsetzbarkeit. Bei der Vertragsrevision von Nizza wurden schließlich die fehlenden notwendigen institutionellen Grundlagen für die Operabilität eingerichtet. Bereits im März 2003 wurde die „Rapid Reaction Force“ der ESVP zum ersten Mal mit einer militärischen Aufgabe in Mazedonien eingesetzt und löste damit gleichzeitig die North Atlantik Treaty Organisation (NATO) ab. Noch im gleichen Jahr fand die „Operation Artemis“ im Kongo statt - der erste gemeinsame europäische Militäreinsatz ohne Verwendung von NATO-Strukturen. Dies war sicherlich auch auf die relativ geringe Anzahl von 3500 eingesetzten Soldaten zurückzuführen, reiht sich aber trotzdem in die Indizienkette ein, die ein Entstehen und auch eine tatsächliche Anwendung von der gemeinsamen ESVP deutlich macht.
Diese Entwicklung nachzuvollziehen und erklären zu können ist der zentraler Aspekt dieser Arbeit. Was sind die Gründe für eine europäische Kooperation in dem Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, der im Allgemeinen dem so genannten DDS-Syndrom unterliegt? Welche Faktoren haben dazu geführt, dass sich die ESVP zu der heute bestehenden Form entwickelt hat? Dies sind die Fragen, die es zu klären gilt. Um sie beantworten zu können, soll zunächst ein geeigneter theoretischer Rahmen ausgewählt werden, mit Hilfe dessen ein Analyseschema erstellt wird.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Der theoretische Ansatz - die Fusionstheorie von Wolfgang Wessels
- 1. Hauptthese
- 2. Das Mehrebenendilemma
- 3. Das Entscheidungsdilemma
- III. Operationalisierung der Fragestellung
- 1. Überprüfung der unabhängigen Variablen
- a. Verteidigungsausgaben
- b. Internationaler Terrorismus
- 2. Analyse der bereits vorhandenen internationalen Organisationen
- a. NATO
- b. OSZE
- c. UNO
- 3. Analyse der institutionellen Entwicklung der ESVP
- 1. Überprüfung der unabhängigen Variablen
- IV. Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Entstehung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) von der Einheitlichen Europäischen Akte bis zum Vertrag von Nizza. Sie analysiert die Faktoren, die zur Entwicklung der ESVP geführt haben, und untersucht, inwiefern der theoretische Rahmen der Fusionstheorie von Wolfgang Wessels die Entstehung und Entwicklung der ESVP erklären kann.
- Das Mehrebenendilemma und das Entscheidungsdilemma als Schlüsselfaktoren für die Integration in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik
- Die Rolle des bilateralen Gipfels von St. Malo und die Bedeutung des gemeinsamen Engagements von Frankreich und Großbritannien für die Schaffung der ESVP
- Die institutionellen Entwicklungen und die Erweiterung der ESVP, insbesondere im Kontext der Vertragsrevisionen und der Ausgestaltung von Entscheidungsstrukturen
- Die Herausforderungen und Chancen der ESVP im Kontext der internationalen Sicherheitspolitik und die Rolle der ESVP in der Reaktion auf internationale Krisen
- Die Bedeutung von Verteidigungsausgaben und internationalem Terrorismus als unabhängige Variablen, die die Entwicklung der ESVP beeinflussen
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel bietet eine Einführung in das Thema der ESVP und stellt die Forschungsfrage vor, die in dieser Arbeit untersucht wird. Es wird die zentrale These der Fusionstheorie von Wolfgang Wessels vorgestellt und die Bedeutung des Mehrebenendilemmas und des Entscheidungsdilemmas für die Entwicklung der ESVP erläutert.
Das zweite Kapitel widmet sich der Operationalisierung der Forschungsfrage. Es werden die wichtigsten unabhängigen Variablen – Verteidigungsausgaben und internationaler Terrorismus – definiert und untersucht, wie sie die Entstehung und Entwicklung der ESVP beeinflusst haben.
Das dritte Kapitel analysiert die bereits vorhandenen internationalen Organisationen, wie NATO, OSZE und UNO, und untersucht deren Rolle im Kontext der ESVP.
Das vierte Kapitel befasst sich mit der institutionellen Entwicklung der ESVP und analysiert die verschiedenen Entwicklungsschritte im Kontext der Vertragsrevisionen und der Ausgestaltung von Entscheidungsstrukturen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), Fusionstheorie, Mehrebenendilemma, Entscheidungsdilemma, St. Malo-Deklaration, Vertragsrevisionen, institutionelle Entwicklung, Verteidigungsausgaben, internationaler Terrorismus, NATO, OSZE, UNO.
- Quote paper
- Nils Dressel (Author), 2004, Die Entstehung der ESVP - von der Einheitlichen Europäischen Akte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45071