"Gibt es vielleicht mehr als einen Matthäus?“ Der indefinite Artikel vor Eigennamen in der Fußballberichterstattung


Hausarbeit, 2014

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1 Inhaltsverzeichnis

2 Einleitung

3 Primärgegebrauch des indefiniten Artikels

4 Artikelbrauch in der Onomastik
4.1 Eigennamenbegriff
4.2 Generischer Artikelbrauch
4.2.1 Exemplarischer Artikelgebrauch vor Eigennamen
4.2.2 Metaphorischer Artikelgebrauch vor Eigennamen
4.2.3 Modalisierender und benennender Artikelgebrauch vor Eigennamen
4.2.4 Reflexiver Gebrauch innerhalb der Berichterstattung

5 Forschungsstand Sportberichterstattung

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis

8 Anhang

2. Einleitung

Dass die Rhetorik innerhalb der Welt des Sports eine ganz eigene ist, beweisen die teilweise schon lange in der Standardsprache gebrauchten und auch kaum mehr als markiert wahrgenommenen Sprachbilder. Seien es die dem Kriegswesen entnommenen Begriffe, wie Stürmer oder Abwehrbollwerk oder martialisch anmutende Sprachbilder, wie etwa Flügelzange oder Abräumer: Die Sportberichterstattung nutzt zahlreiche Wortfiguren, um die Vorgänge eines Spiels treffend zu beschreiben.

Auf Satzebene werden Hauptsätze mit einfacher Syntax bevorzugt SCHÆFER (1989:95). Dem scheinbar zuwider läuft ein Phänomen, das insbesondere in der gesprochenen Berichter­stattung enorme Präsenz hat. Sobald ein Journalist, bzw. ein sog. TV-Experte, der zuvor oft selbst aktiver Sportler war, über einen Sportler spricht, so ist zu beobachten, dass ein unbe­stimmter Artikel mit direktem Bezug auf die referierte Person vor deren Eigennamen einge­setzt wird. Die nähere Bestimmung der referierten Person wirkt aufgrund der Verwendung des Eigennamens zunächst widersprüchlich, jedoch ist davon auszugehen, dass der Sprecher mit dieser Erweiterung der Syntax nicht mehr lediglich auf die respektive Person, sondern auch ihre sportlichen Fähigkeiten bzw. besondere Rolle im Sportkontext referiert. Dies wird deut­lieh, da insbesondere prominente Sportler den indefiniten Artikel anzuziehen scheinen.

(1) Auch ein Matthäus muß sich an die Regeln im Verein und des Kollektivs halten[...]. (#42)

Da diesen Phänomen im Gegensatz zur allgemeinen Tendenz der Reduktion SCHÆFER (1989:118-119) eine Erweiterung darstellt, erscheint eine wissenschaftliche Betrachtung ange­bracht. Im Folgenden werde ich untersuchen, in welchen Variationen und Kontexten der unbe­stimmte Artikel vor Eigennamen innerhalb der Sport- bzw. Fußballberichterstattung auftreten kann.

Zunächst erfolgt eine Untersuchung hinsichtlich des Primärgebrauchs des indefiniten Ar­tikels. Weiterhin werde ich den Gebrauch des indefiniten Artikels vor EN innerhalb der Fuß­ballberichterstattung in den Forschungsstand der Onomastik einordnen. Innerhalb dieser Dis­ziplin sehe ich den besten Zugang zum Phänomen. Anhand der dort vorgeschlagenen Model­le, werde ich darlegen, weshalb es sich bei dem Gebrauch des indefiniten Artikels vor EN um eine der Sportberichterstattung eigene Variation handelt, in der herausragende Eigenschaften oder auch Leistungen eines (Mannschschafts)-Sportlers durch Journalisten, Funktionäre und auch durch Sportler sprachlich realisiert werden. Danach soll das Phänomen mit dem For­schungsstand zur Sportberichterstattung abgeglichen werden, um festzustellen, welchen Trends es in welchem Maße folgt.

Reelle Sprachdaten aus der Sportberichterstattung dienen als Beispiele. Diese werden hinsichtlich der syntaktischen, rhetorischen und onomastischen Überlegungen untersucht. Die Daten werden aus journalistischen Texten mithilfe einer Recherche im Zeitungskorpus des DWDS entnommen. Den Daten entnehme ich Beispiele, die möglichst unterschiedliche Spre­cherrollen (Journalist, Sportler, etc.) und Äußerungskontexte (Interview, Kommentar, etc.) aufweisen.

Die durchgeführte Suchanfrage lautet: "ein X* $P=NE". Die Variable steht für einen pro­minenten Fußballer. Aufgrund der Annahme, dass das Phänomen insbesondere bei prominen­ten Fußballern vorkommt, habe ich mich in der Recherche auf eine kleine Auswahl bekannter Spieler beschränkt: Michael Ballack, Franz Beckenbauer, Thomas Effenberg, Oliver Kahn, Fothar Matthäus, Matthias Sammer, Mehmet Scholl, Zinedine Zidane. Diese Spieler bieten sich an, da sie nach ihrer aktiven Karriere in den unterschiedlichsten Funktionen dem Fußball erhalten blieben. Ich beschränke meine Recherche auf den Herrenfußball, da ich dort über ein umfangreicheres Wissen verfüge und die Treffer somit besser in ihren Kontext setzen kann. Dies ist nicht als Wertung gegenüber dem Frauenfußball zu sehen. Die Auswahl der relevan­ten Daten erfolgt manuell, d.h. jeder Treffer wird hinsichtlich seiner Relevanz untersucht. Nach Bereinigung der Datensätze um doppelte Treffer, Genitivkonstruktionen oder andere nicht relevante Treffer, erhielt ich eine Datenbank bestehend aus 171 Belegen für das Phäno­men 'ein ENSportler'.

3. Primärgebrauch des indefiniten Artikels

Zunächst ist festzustellen, dass es sich rein syntaktisch bei dem Phänomen immer um N0- minalphrasen handelt. Die grundlegende Struktur stellt sich wie folgt dar: 'Art + N = NP'. Klassischerweise stellt das Substantiv den Kopf der Phrase dar, beispielsweise eine Katze, der Briefträger. In beiden Fällen dient der Artikel als Attribut zum Substantiv. Der Kopf wird durch das Attribut spezifiziert. Dieses Attribut kann je nach Satzgefüge einer Vielzahl von Zwecken dienen. Der definite Artikel ist in seinen Verwendungsmöglichkeiten vielfältig: In­formation, Identifizierung, die Darstellung von Einmaligkeit und Generalisierung sind die Hauptgebrauchsfelder (vgl. Duden-Grammatik § 386-391). Die Gebrauchsweisen des indefiniten ein sind sogar noch vielfältiger. Es kommt als Pronomen, als Indefinitpronomen, als Kardinalzahl (zählend 0. attributiv) oder als indefiniter Artikel vor. Es ist durchaus mit anderen Artikelwörtern oder Partikeln kombinierbar(Duden-Grammatik § 446). Im zugrunde liegenden Phänomen wird ein als indefiniter Artikel gebraucht.

In der Duden-Grammatik wird lediglich der sekundäre Artikelgebrauch erwähnt (§ 399). Dieser liegt vor, sofern eine ״Verschiebung zur Gattungsbezeichnung“ zugrunde liegt. Eine weitere Verwendung vor Eigennamen wird für den indefiniten Artikel nicht beschrieben, was darauf schließen lässt, dass es sich um eine relativ neuartige oder in einem sehr engen Kontext verwendete Wortfigur handelt. Die Wortfigur 'ein ENSportler' ist bereits in den frühen 70er Jahren nachweisbar.

(2) Michael Peter [...] ein Franz Beckenbauer des Hockeys. (#153)

Zwar stammt dieser Beleg nicht aus der Fußballberichterstattung, aber die Referenz ist eindeutig. Es ist davon auszugehen, dass diese Wortfigur bevor sie in der schriftlich fixierten Berichterstattung aufkam, mündlich verwendet wurde. Das seltene Auftreten in journalistischen Texten ist auf die Notwendigkeit eines bestimmten Kontextes, bzw. auf eine bestimmte Sprecherabsicht zurückzuführen.

In der Gebrauchsweise 'ein NESportler'“ ist die Funktion von ein primär die bereits be­schriebene attributive Funktion innerhalb einer NR Wie diese Attributiemng des Kopfes nun geartet ist, muss von Fall zu Fall unterschieden werden. Die Verwendung von ein in der Flek­tion sei hier nur erwähnt. Sie spielt für die Erörterung des Phänomens keine Rolle. Ein gängi­ges Muster für die attributive Verwendungsweise ist beispielsweise die als reines Zahlattribut: Auf der Wiese steht ein Baum. Ebenfalls tritt der indefinite Artikel ein als verallgemeinerndes Attribut an den Kopf einer NP. Der Eigenname des Sportlers stellt den syntaktischen Kopf der Phrase da. Ob nun ein Eigenname oder Substantiv den Kopf bildet hat zunächst keine Auswir­kungen auf das Satzgefüge, lediglich das Attribut unterliegt Beschränkungen. So wird sobald ein in dieser Funktion vor ein Substantiv tritt, über die gesamte Gattung, bzw. sämtliche Ver­treter des Substantives der NP referiert. Letztlich lässt sich festhalten, dass der unbestimmte Artikel zumeist auf ein bis dato, sei es innerhalb eines Textes oder Gespräches, auf etwas bis­her noch nicht Genanntes oder Unbekanntes angewandt wird (vgl. Schülerduden § 260).

Konstrukte wie:

(3) Ist nicht auch ein Oliver Kahn gescheitert mit seinem Anspruch, zu einer Führungsperson aufzusteigen? (# 74)“

Stellen eine generische Gebrauchsart des indefiniten Artikels dar. Der Artikel dient nicht dazu, die Person in irgendeiner Art und Weise anzuzweifeln. Die Wirkung ist eine gänzlich andere. Der indefinite Artikel tritt als verstärkendes Attribut an den Kopf der NP Der Primärgebrauch des Artikels steht folglich im Widerspruch zum Phänomen, da er dem ״klassischen“ Prinzip des Eigennamens, der Benennung und Eingrenzung eines Gegenstandes, bzw. in diesem Falle einer Person zu wider läuft. Der unbestimmte Artikel vor Eigennamen ist syntaktisch möglich, wirkt aber redundant, insbesondere da der Artikelgebrauch an sich starken Begrenzungen un­terliegt. Diese sind beim indefiniten Artikel sogar noch stringenter (vgl. Thurmaier 2002:85). Folglich kann diese Abweichung von der primären Funktion des indefiniten Artikels im Be­zug auf die Eigennamen als Stilmittel, als bewusstes Abweichen von der Norm, gesehen wer­den, dem eine bestimmte Sprecherabsicht zugrunde liegt. Ebenso lässt die strukturelle Wider­sprüchlichkeit des Phänomens darauf schließen, dass es sich um ein zielgerichtetes, ökonomi­sches Sprachbild handelt. Solche Widersprüchlichkeiten werden in der Kommunikation letzt­lieh nur geduldet und verwendet, sofern sie einen Mehrwert oder eine Erleichterung darstel- len.

Lenk (2007:29) zählt die Möglichkeit ״ein Artikelwort beim Namen zu verwenden“ als ein Stilmittel für ״Namensverwendungsformen als Stilmittel auf‘ und als solches werde ich diese Wortfigur auch betrachten. Jedoch ist sie zunächst von einem anderen Vorkommen des indefiniten Artikels bei EN abzugrenzen. Man stelle sich vor, dass ein Angestellter einen sei­ner Kollegen mit den Worten Ein Wolfgang Schulze hat angerufen über einen in Abwesenheit erfolgten Telefonanruf in Kenntnis setzen möchte. Hier dient der indefinite Artikel seinem wörtlichen Zweck und verdeutlicht, dass Herr Schulze mindestens dem hörerabnehmenden Kollegen unbekannt, also unbestimmt ist. Der Artikel wird zum ״Hinweis auf die Unbekannt­heit der Person, die sich mit ihrem Namen vorgestellt hat“ (Lenk 2007:308). Diese Verwen­dungsform wird als sekundärer Artikelgebrauch bezeichnet. Der Effekt, den der Gebrauch des indefiniten Artikels vor Eigennamen innerhalb der Sportberichterstattung erzielt, ist ein ganz­lieh anderer. Zum einen kann davon ausgegangen werden, dass allen Beteiligten die Person bekannt ist, was eine Verwendung als ״Hinweis auf die Unbekanntheit“ (Lenk 2007:308) höchst unwahrscheinlich werden lässt. Thurmaier (2002:87) geht davon aus, dass ״ (...) durch die Verwendung eines Eigennamens auch eine Verbindung zu den Eigenschaften des Namensträgers, also des identifizierten Individuums hergestellt wird, d.h. dass mit Eigennamen ein Wissen um Charakteristika oder Eigenschaften des Namenträgers verbunden ist...".

Diese Annahme lässt das Phänomen erneut widersprüchlich wirken. Jedoch gehe ich davon aus, dass der indefinite Artikel die von Thurmaier (2002:87) erklärte Funktion des Eigennamen nicht schwächt oder in Frage stellt, sondern sie im Gegenteil sogar verstärkt. Die handbreite der dabei beschreibbaren Charakteristika einer Person, bzw. eines Sportlers ist groß.

4. Der Artikelgebrauch in der Onomastik

4.1 Eigennamenbegriff

Neben dem bereits verwendeten Begriff des Eigennamens, also einem Wort, das der Be­nennung oder Erkennung einer Person dient, gibt es in der Namensforschung den Begriff des Appellativs. Hierbei werden Eigennamen außerhalb dieser ursprünglichen Struktur verwen­det, etwa um auf bestimmte ״'Merkmale/Eigenschaften' Bezug [zu] nehmen, die typischerwei­se mit dem Referenten des Eigennamens verbunden sind“ (Thurmaier 2002:88). Thurmaier (2002:89) zählt die metaphorische Verwendung und Eigennamen in der Wortbildung zu den ״appellativen Strukturen“. Es liegt nahe, dass es sich bei dem Phänomen 'ein ENSportler' um eine Struktur mit appellativen Zügen handeln könnte, jedoch stimme ich dem nicht in allen Fällen zu. Der übliche metaphorische Gebrauch der Eigennamen der EN verfolgt stets eine Art Vergleich, etwa: ״Der junge General ist ein Napoleon“ (Thurmaier 2002:89). Hier werden die Eigenschaften des metaphorisch gebrauchten EN Napoleon auch dem Referent der junge General zugeschrieben. In dieser Struktur verliert der EN Napoleon seine ״wörtliche“ Bedeu­tung, die Benennung eines korsischen Feldherrn, und wird rein metaphorisch gebraucht. Diese Art der Metaphorik ist auch bei 'ein ENSportler' denkbar, allerdings konnte ich im Rahmen meiner Korpusrecherche keinen Beleg für diese Form finden.

Dagegen kommen Genitivkonstruktionen vergleichsweise häufig vor. Ein Spieler mit dem Potential eines Oliver Kahn erscheint für die Sportberichterstattung ״natürlicher“ als Der Torwart ist ein Oliver Kahn. Belege für derartige Genitivkonstruktionen fielen jedoch der Nachbearbeitung der Belege zum Opfer, da sie bei der Verwendung des unbestimmten Artikels vor EN keine tragende Rolle spielen. Thurmaier (2002:90) bezeichnet den indefiniten Artikel vor Eigennamen als ״Indiz für metaphorische Verwendung“ von Eigennamen bzw. appellativen Strukturen. Da die Abgrenzung zwischen Appellativ und EN nicht immer ohne Weiteres gelingt, verwende ich für meine Untersuchung einen weiten Eigennamenbegriff, wie ihn auch Kolde (1995:401) verwendet; also neben der Verwendung als Identifikator auch ״untypische EN-Verwendungen“, wozu 'ein ENSportler' in jedem Falle zu zählen ist.

4.2 Generischer Artikelgebrauch

Wie beschrieben handelt es sich bei dem Phänomen 'ein ENSportler' um einen Artikelge­brauch, der außerhalb der üblichen Muster vorkommt. Folglich ist der Gebrauch des indéfini- ten Artikels vor EN als generisch zu bezeichnen. Innerhalb der Duden-Grammatik gibt es kein Beispiel für diese Form. Sie wird nicht erwähnt. Auch deshalb verlagerte sich während meiner Untersuchung der Schweipunkt immer weiter weg von einer reinen syntaktischen Analyse hin zur Onomastik. Innerhalb dieser Disziplin gibt es, wie bereits angeklungen ist, Überlegungen bezüglich der Verwendung von Artikeln vor Eigennamen. Kolde (1995:405) benennt vier Ar­ten auf die ein Artikel vor EN verwendet werden kann. Im Folgenden werde ich diese Ver­wendungsweisen nachvollziehen und versuchen, das Phänomen 'ein ENSportler' einzuordnen.

Zunächst gibt Kolde (1995:405) an, dass der Indefinitartikel ein entsprechend gängiger Forschungsmeinung ״sicherers Indiz“ dafür sei, ״dass der EN nicht als EN, sondern als (abgeleitetes) Appellativ“ gebraucht wird. Dem folgt wie oben gesehen auch Thurmair (2002:90). Die offenkundige Widersprüchlichkeit, die bei der Artikelverwendung vor EN auftaucht, insbesondere beim indefiniten Artikel, bezeichnet er als ״'logisch paradox'“. Wie bereits von mir gezeigt, gibt Kolde (1995:405) zu bedenken, dass der indefinite Artikel der ״oft postulierten 'Einmaligkeit' des EN-Trägers nur im Grenzfall der Multireferentiallität zu vereinen ist“. Jedoch gibt Kolde (1995:405) an, dass diese Widersprüchlichkeit ״Ausdruck einer falschen Definition der EN als Etiketten, die einem und nur einem Objekt ein-eindeutig zugeordnet werden“ ist. Er betont, dass die ״identifizierende Funktion“ auch dann noch gegeben sei. Letzteres bejahe ich uneingeschränkt. Selbst wenn ein EN metaphorisch gebraucht wird (siehe Napoleon) muss zunächst eine Identifikation stattfinden. Der EN muss als solcher erkannt und ihm müssen Eigenschaften des Trägers zugeordnet werden, bevor er metasprachlich verwendet werden kann. Zu Beginn steht folglich immer eine Identifikation. Es ist ein Trugschluss, wenn man davon ausgeht, dass in Ein Herr Schulze hat angerufen kein EN vorkommt, da keine Identifikation, sondern eine Neugruppierung stattfindet. Herr Schulze wird unverzüglich als EN erkannt, lediglich die Eigenschaften des Referenten sind unbekannt. Dadurch erhält der Träger die Eigenschaft ״unbekannt“, aber es steht außer Frage, dass es eine Person namens Herr Schulze gibt und der indefinite Artikel der näheren Bestimmung der dieser Person zugesprochenen Eigenschaften dient. Diese Art von Verwendung ist auch in der Duden-Grammatik aufgeführt (§ 399). Jedoch gehe ich, Kolde (1995:401-408) folgend, davon aus, dass die Eigenschaften des Namensträgers auch verstärkt/offenbar wird, sobald der indefinite Artikel vor EN gebraucht wird.

4.2.1 Exemplarischer Artikelgebrauch vor Eigennamen

Die erste der vier Gebrauchsarten wird von Kolde (1995:405) als “exemplarischer Ge­brauch“ bezeichnet. Hierbei dienen die einem EN-Träger zugesprochenen Merkmale und Ei­genschaften innerhalb einer ״kontrafaktischen Prädikation“ als Beispiel für eine andere Per­son. Die Person, deren Merkmale und Eigenschaften als Vergleichsfläche dienen, muss aus dem Kontext bekannt sein, damit ein derartiger Gebrauch erfolgreich sein kann. Ein Beispiel für diese Gebrauchsform innerhalb der Sportberichterstattung ist:

(4) Ein einziger Thorben Marx rechtfertige schon die 2,5 Millionen Euro, die der Verein für die Nachwuchsausbildung ausgibt (#158).

Hier wird der Spieler Thorben Marx als Beispiel für die erfolgreiche Jugendarbeit eines Fußballvereines herangezogen und soll als Rechtfertigung für die ausgegebenen Gelder dienen. Offenkundig ist hier der Aspekt, dass zunächst auf der Hörerseite eine Identifiktation der Person stattfinden muss. Man kann hier davon ausgehen, dass der Namensträger dem Hörer bekannt ist und dem Athleten einige Merkmale und Eigenschaften zugeordnet werden können, die ihn als taugliches Exempel erscheinen lassen. Die exemplarische Gebrauchsweise kommt also durchaus vor. Ich nehme an, dass insbesondere die Führungsstärke eines Spielers als Eigenschaft exemplarisch verwendet wird. Belege hierfür sind zahlreich.

(5) Führungsqualitäten. Und deshalb werden sich die Leute in 15, 20 Jahren eher an einen Effenberg erinnern als an einen Scholl. (#49)

Hier erfolgt sogar ein Vergleich von zwei verschiedenen Vertretern ihrer jeweiligen Gat­tung. Sowohl für Effenberg, als auch für Scholl wird der Eigenname durch Gebrauch des in­definiten Artikels exemplarisch verwendet. Gerade im Falle von Stefan Effenberg, der inner­halb der Sportberichterstattung immer wieder als Beispiel für Fühmngsstärke bemüht wird, kommt 'ein ENSportler' häufig vor. Mehmet Scholl hingegen gilt weithin nicht als Führungs­spieler, erhält aber dennoch den indefiniten Artikel. Das trifft bei ihm zu, da er als Einzelkön­ner aus der Mannschaft heraussticht, ohne jedoch die Eigenschaft ״Dominanz“ zu besitzen. Diese wird aber durch die Eigenschaft ״Exzellenz“ substituiert.

Wobei der Begriff Dominanz allein noch zu schwach ist und nicht alles erfasst, was es be­darf, damit ein Athlet von seinesgleichen oder von der Presse den indefiniten Artikel ״verlie- hen“ bekommt. Sobald sich die Sehnsucht nach Helden in einem Spieler realisiert hat, erfolgt viel eher die Adelung durch den indefiniten Artikel. Dies wird bei folgendem Beleg deutlich:

(6) ״Ein Beckenbauer, ein Müller, ein Seder - ja, das waren doch Helden.“ (#99)

Dieser Treffer stammt aus dem Jahr 1999. Die erwähnten Athleten hatten zu diesem Zeit­punkt ihre aktiven Karrieren lange hinter sich. Ihre Verdienste, ein Hang zur überdramatisie­rung und auch zur Nostalgie in der Sportberichterstattung verleiten den Sprecher jedoch dazu, den Heldenbegriff direkt und unverblümt auf die Athleten anzuwenden. Durch den vorgestell­ten indefiniten Artikel werden Beckenbauer, Seeler und Müller exemplarisch mit der Eigen­schaft ״Held“ versehen. Zugleich bleibt ihnen Eigenständigkeit bewahrt, da der indefinite Ar­tikel vor dem jeweiligen Eigennamen auch der Betonung der individuellen Merkmale, die dem Hörer im Kontext der Sportberichterstattung sicherlich bekannt sind, betont werden. Eine bloße Akkumulation der Namen ließe die individuellen Eigenschaften ineinander verschwim­men. Die individuelle Ausgestaltung der Eigenschaft ״Held“ bliebe so unerwähnt.

Oftmals findet auch eine Art von Autoexemplarität statt. Der Spieler wird zum Beispiel für sich selbst. Hierbei geht es häufig um die Verfassung oder auch Form:

(8) Weltklasse ist für mich nur ein Ballack in Fonn. (#170)

(9) Ein Ballack in Bestfonn hätte Bayer gut getan (#166)

(10) Ein Ballack in Bestform wird gegen Russland dringend gebraucht. (#169)

Hierbei dienen vormalige Leistungen eines Spielers als exemplarisch für seine Leistungsfä­higkeit und werden bemüht, sobald der Athlet oder seine Mannschaft aufgrund seines Fehlens oder seiner Formschwäche nicht die gewünschten Resultate erzielt.

Ein Kriterium für die Möglichkeit einer Bildung von 'ein ENSportler' ist also die Exzel­lenz des Einzelsportlers aus dem Mannschaftsgefüge, sei es durch Eigenschaften, wie Füh- mngsqualitäten (Effenberg) oder Heldentum (Beckenbauer) oder durch besondere Fähigkeiten (Scholl). Wobei ersteres der gängigere Fall zu sein scheint.

(11) Die prominentesten Köpfe besitzen die geringste Attraktivität, in jeder Tüte steckt ein Kahn, ein Bierhoff oder ein Matthäus. Selten sind dagegen die Bodes und Nowotnys,[...]. (#36)

In diesem Beispiel wird deutlich, dass das Merkmal der Prominenz, unabhängig ob diese Hel-

[...]

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
"Gibt es vielleicht mehr als einen Matthäus?“ Der indefinite Artikel vor Eigennamen in der Fußballberichterstattung
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Veranstaltung
Rhetorik aus linguistischer Perpektive
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
27
Katalognummer
V450757
ISBN (eBook)
9783668855427
ISBN (Buch)
9783668855434
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fußball, Eigenname, Sport, Sportjournalismus, Fußballberichterstattung, Artikel, Indefinitartikel, Metapher, Korpuslinguistik, Onomastik, Rhetorik
Arbeit zitieren
Kevin Fischer-Blumenthal (Autor:in), 2014, "Gibt es vielleicht mehr als einen Matthäus?“ Der indefinite Artikel vor Eigennamen in der Fußballberichterstattung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/450757

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