Literarische Isolation in Marlen Haushofers "Die Wand" und Sylvia Plaths "The Bell Jar"


Seminar Paper, 2013

19 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhalt

1. Einleitung

2. „Die Wand“
2.1. Kontextualisierung und Entstehung des Werks
2.2. Analyse mit Schwerpunkt auf dem Symbol der Wand
2.3. Die Rolle der Frau in „Die Wand“

3. „The Bell Jar“
3.1. Kontextualisierung und Entstehung des Werks
3.2. Analyse mit Schwerpunkt auf dem Symbol der Glasglocke
3.3. Die Rolle der Frau in „The Bell Jar“

4. Gegenüberstellung beider Werke

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Isolation ist ein Thema, mit dem vor allem in der heutigen Gesellschaft Personen aus unterschiedlichen sozialen Schichten konfrontiert werden.

Arbeitslose, Kranke oder Strafgefangene sind nur einige Beispiele für Personen, die unter räumlicher und/oder sozialer Isolation leiden. Auch die immer weiter fortschreitende Verbreitung von multimedialen Kommunikationsmöglichkeiten trägt einen nicht unerheblichen Teil dazu bei, dass sich Menschen unbewusst in eine Isolationssituation befördern und sich von ihrer Umwelt abgrenzen.

Marlen Haushofer und Sylvia Plath machten Einsamkeit und Isolation bereits in den 1960er Jahren auf unterschiedliche Weise zum Hauptthema ihrer Werke „Die Wand“ und „The Bell Jar“. Beide Romane werden in den folgenden Ausführungen zunächst zeitgeschichtlich sowie literatursoziologisch eingeordnet. Ein kurzer Einblick in die wesentlichen biographischen Details der Autorinnen, die im Hinblick auf diese beiden Werke von großer Bedeutung sind, ist unerlässlich.

Hauptziel der Arbeit ist es, die zentralen Symbole, die Wand und die Glasglocke, „The Bell Jar“, zu analysieren und ihre Wirkung und Rolle im Roman näher zu betrachten: Wo tauchen die Symbole im Text auf? Wie wirkt sich die Existenz dieser auf die jeweilige Protagonistin aus? Ist eine Entwicklung des Symbols im Laufe der Handlungen festzustellen?

Sowohl die österreichische Schriftstellerin Marlen Haushofer als auch die gebürtige Amerikanerin Sylvia Plath lieferten mit ihren Romanen bedeutende Werke für die feministische Literatur. Insofern liegt eine Betrachtung der typischen Geschlechterrollen als interpretatorischer Ansatz nah: Wie wird die Frau im Roman dargestellt und mit welchen Problemen hat sie zu kämpfen? Wie entwickeln sich die beiden Protagonistinnen hinsichtlich ihrer Rolle als Frau in der Gesellschaft? Inwiefern kann man Rückschlüsse auf die Bedürfnisse, Wünsche und Idealvorstellungen der Frau in den 50er und 60er Jahren ziehen?

In der vergleichenden Gegenüberstellung soll anschließend ermittelt werden, inwiefern sich Parallelen hinsichtlich der verschiedenen Gesichtspunkte der Analyse und Interpretation zwischen den beiden Werken abzeichnen und in welchen Punkten sich die Werke stark unterscheiden. Hier werden neue Analyseergebnisse präsentiert, um schließlich im Fazit eine zusammenfassende Betrachtung der Arbeit und gleichzeitig einen Ausblick zu liefern.

2. „Die Wand“

2.1. Kontextualisierung und Entstehung des Werks

„Der Stoff zur Wand muss immer schon dagewesen sein“[1] berichtet Marlen Haushofer selbst über ihren 1963 erschienenen Roman „Die Wand“. Inspiriert wurde die Autorin durch die Science-Fiction-Geschichte „Die gläserne Kuppel“, in der eine Gruppe von Menschen innerhalb einer durchsichtigen Kuppel eine Eiszeit überlebt. Die Anlehnung an dieses utopische Werk kann man dem ursprünglichen Titel „Die gläserne Wand“ entnehmen. In dieser früheren Fassung handelte es sich zunächst um eine Frau mit dem Namen Isa, die in der späteren Ausgabe durch eine namenlose Frau ersetzt wurde.[2]

Bei der Entwicklung des Themas wurde die Schriftstellerin durch ihre Kindheit inspiriert. Sowohl bei der Jagdhütte als auch der Alm, auf die die Protagonistin im Sommer übersiedelt, handelt es sich um Orte nahe des Geburtshauses Haushofers in Effertsbach, die die Autorin oft gemeinsam mit ihrer Familie aufsuchte. Auch die Tiere im Roman beruhen auf realen Vorbildern aus ihrem Privatleben. Was die Recherche zu Details der Naturbeschreibungen und somit die wissenschaftliche Basis des Romans betrifft, erhielt Haushofer Hilfe von ihrem Bruder Rudolf, der ein forstwirtschaftliches Studium abgeschlossen hatte.[3]

Der Roman stellt einerseits eine Art Endzeit-Szenario dar, in dem die Wand als Vernichtungswaffe fungiert und die Menschen jenseits der durchsichtigen Grenze tötet. Es wird ein direkter Bezug zur damaligen politischen Situation im Ost-West-Konflikt hergestellt und der Ausblick auf eine weltweite atomare Gefahr entwickelt. Gleichzeitig erwägt Haushofer „den Neubeginn des Lebens auf der Erde ohne Menschen“[4], indem die Ich-Erzählerin in eine Art paradiesischen Urzustand versetzt wird, in dem Natur und Tiere „noch nicht durch die tödliche Gewalt einer entfesselten Vernunft geschieden waren.“[5] Man ist sich in der Forschung mehr oder weniger einig darüber, dass die Gefahr der Atomkatastrophe eher das oberflächliche Thema des Romans darstellt. Tatsächlich soll die „Einsamkeit einer bürgerlichen Ehefrau“ durch die Isolation der Protagonistin versinnbildlicht werden.[6] Der Roman handelt von einer Frau, die autonom wird und in der Einsamkeit ihre eigenen Fähigkeiten entdeckt. Dies löste vor allem bei den Leserinnen in den 1980er Jahren große Begeisterungsstürme aus.

2.2. Analyse mit Schwerpunkt auf dem Symbol der Wand

Die Protagonistin stößt zu Anfang der Geschichte auf die unsichtbare Grenze, tastet sich zunächst an der Wand entlang und beginnt sie mit Zweigen abzustecken. Dies ist der „Versuch, sie, da sie nun einmal da war, auf einen angemessenen Platz zu verweisen“[7]. Dieses Unterfangen wird durch das Auftauchen der Kuh Bella unterbrochen und anschließend durch die dauernde Beschäftigung nicht mehr fortgeführt.

Die Wand ist zwar während der ganzen Geschichte allgegenwärtig, da sich beinahe jede Handlung der Protagonistin in der Existenz der Wand begründet, jedoch kommt die Ich-Erzählerin kaum direkt mit dieser in Berührung, da nur an wenigen Textstellen direkt von der Wand berichtet wird.

Der Wand können im Roman verschiedene Bedeutungen zugewiesen werden. Zunächst sieht die Ich-Erzählerin die Wand als „ein Rätsel“[8] an, das gelöst werden muss. Diese Neugierde ist auch ein Grund für die strikte Ablehnung eines Selbstmordes. In diesem Zusammenhang spricht die Erzählerin zu Beginn des Romans von der Wand als einem „Experiment“[9]. Die Protagonistin definiert die Wand als eine neue Waffe der Großmächte, als eine Anspielung auf den kalten Krieg und den Ost-West- Konflikt, der in den 1960er Jahren seinen Höhepunkt fand.[10] Sie bezeichnet die Vorgänge als „die humanste Teufelei, die je ein Menschenhirn ersonnen hatte.“[11]

Laut der Literaturwissenschaftlerin Regula Venske erfülle die Wand den Zweck „eine[r] Metapher für die Isolation der weiblichen Hauptfigur. Sie fungiert als Schutz vor der Außenwelt und als Gefängnis zugleich, als Asyl und Exil.“[12] Beide Extreme, Asyl und Exil, finden sich in den Aufzeichnungen der Protagonistin wieder und zeigen die Doppeldeutigkeit der Wand auf.

Die Konsequenzen, die sich aus der Isolationssituation ergeben und die damit verbundenen Handlungen der Protagonistin entwickeln sich im Laufe des Romans. Unmittelbar nach der Entdeckung der Wand ist die Ich-Erzählerin geschockt und ungläubig. Dieser Zustand wandelt sich jedoch in verhältnismäßig kurzer Zeit, sodass die Protagonistin die Wand zunächst verdrängen will und letztere dann zeitweise durch ihre dauernde Beschäftigung sogar vergisst: „Über die Wand zerbrach ich mir nicht allzu sehr den Kopf.“[13]

Die namenlose Protagonistin scheint in der Abgeschiedenheit zu sich selbst zu finden, da ihr ursprüngliches Ich ihr in ihren Reflexionen selbst unsympathisch erscheint und sie beginnt, sich an ihr selbstbestimmtes Leben zu gewöhnen. Die Ich-Erzählerin kann durch die nicht zufällig aus Glas bestehende Trennwand schonungslos auf ihr früheres Leben zurückblicken. Die versteinerte Welt hinter der Wand entspricht den beinahe durchweg schlechten Erfahrungen, die sie in ihrem Leben bisher machen musste.

„Vielleicht war die Wand auch nur der letzte verzweifelte Versuch eines gequälten Menschen, der ausbrechen mußte, ausbrechen oder wahnsinnig werden.“[14] Hier wird sehr deutlich, dass die Protagonistin mit ihrem alten Leben als Hausfrau und Mutter unzufrieden war. Sie beschreibt die damalige Langeweile als ein ständig herrschendes Unbehagen und erklärt, dass die Wand diese Langeweile getötet habe.[15] Zum Ende der Handlung äußert die Ich- Erzählerin sogar, sie sei im Wald auf dem ihr „angemessenen Platz“.[16]

In diesen Ausführungen scheint die Wand und die damit verbundene Isolation beinahe ein Segen für sie zu sein. Sie hat endlich die Möglichkeit, sich aus den Zwängen und der Fremdbestimmung durch die Gesellschaft zu befreien und ein eigenes Leben führen.

Von einem Wohlfühlen in ihrer neuen Existenz zu sprechen wäre an dieser Stelle jedoch falsch, da es der Protagonistin nur vorübergehend gelingt, sich mit ihrer neuen Existenz zu arrangieren. An einigen Stellen äußern sich die negativen Aspekte der Einsamkeit sehr deutlich. Ihr fehlt die menschliche Gesellschaft, da sie ständig „das endlose Selbstgespräch in Gang halten“[17] muss. Auch beschreibt sie direkt zu Anfang, dass sie „nicht aus Freude am Schreiben“ von ihren Erlebnissen berichtet, sondern weil sie „nicht den Verstand verlieren will“.[18]

Die Wand wird mit der Zeit ein Teil der Protagonistin, sodass sie kaum noch an sie denkt und sie ihr auch nicht mehr unheimlich oder bedrohlich erscheint. Sie wird von der Wand zu einem neuen Leben gezwungen, versucht aber, „nichts mit ihr zu tun zu haben“[19], bis sie es gegebenenfalls muss.

Das Leben innerhalb der Wand in einer isolierten Welt scheint bei näherer Betrachtung das zu sein, was sich die Protagonistin in ihrem alten Leben immer bewusst oder unbewusst erträumt hat. Die Erfüllung des Traums durch die Wand wirkt zwar zunächst beängstigend auf die Ich-Erzählerin. Dies scheint jedoch hauptsächlich darin begründet zu sein, dass sie davon überzeugt ist, dass es „Etwas wie die Wand […] einfach nicht geben“[20] dürfe. Daniela Strigl fasst die Existenz der Wand folgendermaßen zusammen: „Die Wand entspringt einem heimlichen Wunschtraum und erscheint zugleich als eine Schreckensvision“[21].

2.3. Die Rolle der Frau in „Die Wand“

„Die Wand“ lässt sich interpretieren als „das Gleichnis von den Geschlechtern“[22]. Es lassen sich an vielen Textstellen im Roman Rückschlüsse auf seinen historischen Hintergrund ziehen, klischeehafte Geschlechterrollen werden verarbeitet und im Laufe der Geschichte verändert.

Nach der Entdeckung der Wand beginnt die Protagonistin, diese mit Zweigen abzustecken. Die Ich-Erzählerin verspürt bei dieser Beschäftigung einen regelrechten Zwang; sie ist „besessen von der Vorstellung“[23], sie müsse diese Arbeit erledigen, da sie einen „Hauch von Ordnung“[24] in die Unordnung bringen möchte, die durch die Existenz der Wand entstanden war. Dieser Ordnungszwang, der sich unter anderem auch im täglichen Aufziehen der Uhr sowie dem Abstreichen der Kalendertage äußert, ist bezeichnend für die typische Hausfrauenrolle der 50er und 60er Jahre.

Gegenläufig zu diesem Phänomen ist die Entwicklung, die die Protagonistin im Laufe der Geschichte macht. Die körperliche Arbeit führt immer mehr dazu, dass sich ihr Körper verändert und sie schließlich ihre Weiblichkeit beinahe komplett ablegt: „Ich konnte ruhig vergessen, dass ich eine Frau war.“[25]

[...]


[1] Daniela Strigl: Marlen Haushofer. Die Biographie. München 2000, S. 242.

[2] Vgl. Ebd. S. 246.

[3] Vgl. Ebd. S. 248-249.

[4] Michael Hofmann: Verweigerte Idylle. Weiblichkeitskonzepte im Widerstreit zwischen Robinsonade und Utopie: Marlen Haushofers Roman Die Wand. In: Anke Bosse/Clemens Ruther (Hrsg.): „Eine geheime Schrift auf diesem Splitterwerk enträtseln…“, Tübingen 2000, S. 205.

[5] Uwe Schweikert: Im toten Winkel. In: Oder war da manchmal noch etwas anderes? Texte zu Marlen Haushofer. Frankfurt 1986, S. 14.

[6] Vgl. Celia Torke: Die Robinsonin. Repräsentationen von Weiblichkeit in deutsch- und englischsprachigen Robinsonaden des 20. Jahrhunderts. Göttingen 2011, S.192.

[7] Marlen Haushofer: Die Wand. Berlin 2012, S.29.

[8] Ebd. S.40.

[9] Ebd. S 41.

[10] Ebd.

[11] Ebd.

[12] Regula Venske: „…das Alte verloren und das Neue nicht gewonnen…‘: Marlen

Haushofer“ In: Inge Stephan/ Regula Venske/ Sigrid Weigel (Hrsg.): Frauenliteratur ohne Tradition? Neun Autorinnenporträts. Frankfurt/Main 1987, S.112.

[13] Marlen Haushofer: Die Wand. Berlin 2012, S. 41.

[14] Ebd. S.110.

[15] Vgl. Ebd.

[16] Ebd. S. 222.

[17] Marlen Haushofer: Die Wand. Berlin 2012, S.212.

[18] Ebd. S. 7

[19] Ebd. S. 150.

[20] Ebd. S. 29.

[21] Daniela Strigl: Marlen Haushofer. Die Biographie. München, 2000, S. 260.

[22] Andreas Brandtner; Volker Kaukoreit: Marlen Haushofer. Die Wand. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 2012, S. 54.

[23] Marlen Haushofer: Die Wand. Berlin 2012, S.29.

[24] Ebd.

[25] Marlen Haushofer: Die Wand. Berlin 2012, S. 82.

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Details

Title
Literarische Isolation in Marlen Haushofers "Die Wand" und Sylvia Plaths "The Bell Jar"
College
University of Bonn  (Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Abteilung für Komparatistik)
Course
Der Tod und das Mädchen. Texte und Kontexte seit 1945
Grade
1,3
Author
Year
2013
Pages
19
Catalog Number
V451777
ISBN (eBook)
9783668859111
ISBN (Book)
9783668859128
Language
German
Keywords
Sylvia Plath, Marlen Haushofer, The Bell Jar, Die Wand
Quote paper
Simona Dunsche (Author), 2013, Literarische Isolation in Marlen Haushofers "Die Wand" und Sylvia Plaths "The Bell Jar", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/451777

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