Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Grundlagen einer Alltagsintegrierten Sprachbildung
1.1 Sprachaneignung von Kindern
1.2 Sprachaneignung einer Zweitsprache
1.3 Gemeinsames Nachdenken und Reflektieren mit Kindern
2. Naturwissenschaftliche Bildung im Elementarbereich „
2.1 Neurobiologische Grundlagen des kindlichen Lernens
2.2 Didaktik naturwissenschaftlicher Angebot und alltagsintegrierte Sprachförderung mono- sowie bilingualer Kinder
3. Fazit
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Einleitung
Das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) hat auf der Grundlage des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) ein Konzept der Alltagsintegrierten Sprachbildung und Beobachtung im Elementarbereich veröffentlicht, dass den Bereich der Sprachentwicklung in der Kindertagesbetreuung konkret ausformuliert.
„Sprache durchdringt alle Lebensbereiche und ist der Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe und Bildung. Die Relevanz einer gut ausgeprägten Sprachkompetenz als Schlüsselkompetenz von Bildungsprozessen ist in der (Fach-) Öffentlichkeit unumstritten“ (vgl. Lengyel, 2012, S. 9).
Dem Bildungsbereich der Sprachentwicklung kommt im KiBiz schon eine gesonderte Aufmerksamkeit zugute, welche auch nochmal in der Bildungsvereinbarung betont wird. Diese Grundlage beschäftigt sich mit den Anforderungen einer Alltagsintegrierten Sprachbildung und Beobachtung sowie die dafür notwendige Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte. Ziel ist eine an Qualitätskriterien orientierte Sprachbildung, der Einsatz von geeigneten Beobachtungsverfahren sowie gute Qualifizierungsangebote für Fachkräfte und Teams der Einrichtungen soll somit die Praxis unterstützen. Dies soll in NRW zu einem flächendeckenden Standard einer Sprachbildung führen, die Sprachentwicklung entwicklungs- und prozessbegleitend Beobachtet, nicht mehr nur durch punktuelle Sprachstandserhebungen.
Diese Arbeit beschäftigt sich damit, in wie weit naturwissenschaftliche Bildungsangebot im Elementarbereich den Anforderungen einer alltagsintegrierten Sprachbildung gerecht werden. Dies wird im Kontext des Erst- und Zweitspracherwerbs von Kindern und einer entwicklungs- und prozessbegleitenden Sprachförderung gesehen. Das erste Kapitel befasst sich damit, wie sich das Bildungsverständnis einer alltagsintegrierten Sprachbildung darstellt, welche wesentlichen Grundlagen der monolingualen, aber auch der bilingualen kindlichen Sprachaneignung vor diesem Hintergrund von Bedeutung sind und welche Rolle dabei der pädagogischen Fachkraft zugetragen wird. Im darauffolgendem zweiten Teil wird das, in dieser Arbeit zugrundeliegende naturwissenschaftliche Bildungsverständnis dargestellt. Die Frage nach Erkenntnissen über das kindliche Lernen, die im Zusammenhang von naturwissenschaftlicher und sprachlicher Bildung von Kindern relevant sind wird bearbeitet und welche didaktischen Überlegungen für naturwissenschaftliche Angebote im Kontext einer alltagsintegrierten Sprachbildung von Bedeutung sind.
1. Grundlagen einer Alltagsintegrierten Sprachbildung
Das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (BFKJKS) hat gemeinsam mit den Trägern von Kindertageseinrichtungen, den Landesjugendämtern und der Wirtschaft ein gemeinsames Konzept einer Alltagsintegrierten Sprachbildung und Beobachtung für den Elementarbereich erarbeitet, dass die Grundlage zu der Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Sprachbildung in Kindertageseinrichtungen stellt. Diesem Konzept liegt ein im KiBiz verankertes frühkindliches Bildungsverständnis zugrunde, dass Bildung als die aktive Auseinandersetzung des Kindes mit seiner Umgebung auf der Grundlage seiner bisherigen Lebenserfahrung versteht. Es meint einen konstruktiven Prozess, bei dem Selbstbildung durch unmittelbare Wahrnehmung und aktives, experimentierendes Handeln einerseits und Einfluss der Umgebung andererseits im wechselseitigen Verhältnis zueinander stehen (vgl. KiBiz, § 13, Abs. 1). Die Sprachentwicklung von Kindern wird in ihrer Komplexität und wichtigen Schlüsselkompetenz für die aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und den Bildungserfolg von Kindern erfasst. Das Konzept der alltagsintegrierten Sprachbildung sieht eine Sprachbildung vor, die sich sowohl an der Lebenserfahrung als auch den individuellen Lebenslagen der Kinder orientiert und integriert in den pädagogischen Alltag stattfindet. Sie orientiert sich an den individuellen Sprachentwicklungsverläufen, die Fachkräfte erkennen und nutzen Sprachanlässe im Alltag und stellen eine sprachanregende Umgebung bereit. Bei der Auswahl von Themen und Angeboten orientieren sie sich an den Lebenswelten und den individuellen Interessen der Kinder. Sie sind sich ihrer Rolle als wichtigstes Sprachvorbild bewusst und unterstützen jedes Kind ausgehend von seinen individuellen Sprachkompetenzen in seiner weiteren sprachlichen Entwicklung. Sie sind sensibel für die Sprachanlässe, die sich in unterschiedlichen Situationen ergeben, beispielsweise bei musikalischen oder naturwissenschaftlichen Angeboten. Zusätzlicher Sprachförderbedarf wird nicht mehr in additiven Settings, sondern im Rahmen Alltagsintegrierter Sprachbildung erfolgen. Eine bilinguale Didaktik und ein wertschätzender Umgang mit anderen Erstsprachen durch die Einrichtung, ist für alle Kinder eindrucksvoll und anregend. Insbesondere Kinder mit nichtdeutscher Erstsprache erleben sich dabei kompetent und selbstwirksam. Alltagsintegrierte Sprachbildung ist immer auch eine inklusive Sprachbildung, sie prägt den pädagogischen Alltag in vielen Bereichen und ist nicht losgelöst von diesem zu betrachten, weshalb alle Bildungsbereiche zum Tragen kommen (vgl. BFKJKS, 2014, S. 3ff). Nachfolgend werden wesentliche Grundlagen der Sprachaneignung von ein- und mehrsprachigen Kindern sowie grundlegende Zusammenhänge zwischen der sprachlichen, kognitiven und sozialen Entwicklung erläutert, die für didaktische Planungen von naturwissenschaftlichen Angeboten im Kontext einer Alltagsintegrierten Sprachbildung von Relevanz sind.
1.1 Sprachaneignung von Kindern
Sprache ist das wichtigste Mittel zur zwischenmenschlichen Kommunikation. Die Fähigkeit zur Sprache ist angeboren und Kinder sind von Geburt an, an Sprache interessiert. Jedoch sind Sprache und sprechen nicht gleichzusetzen, da sprechen mehr bedeutet als Gegenstände beim richtigen Namen zu nennen. Sprechen od. sprachliches Handeln umfasst mehr als Phonologie, Grammatik (Syntax und Morphologie) und Wortschatz (Semantik und Lexik). Es umfass den Einsatz und die Wahrnehmung von Sprache als Werkzeug zum Erreichen von Handlungszielen, die Entwicklung der „theory of mind“ als Voraussetzung für die Unterscheidung der eigenen Perspektive und der des Gegenübers sowie Wahrnehmen und Produktion einfacher und komplexer sprachlichen Handlungsmuster wie Erzählen, Begründen, Beschreiben, Erklären und damit einhergehend komplexerer sprachlicher Mittel. Es geht ebenfalls um Aneignung grundlegender Strukturen der sprachlichen Kooperation als Grundbedingung gelingender Kommunikation. Sprachaneignung vollzieht sich in den einzelnen Teilbereichen nicht synchron, die Bereiche stehen in einer Wechselseitigen Beziehung zueinander (vgl. Lengyel, 2012, S. 14f).
„Das heißt, dass die Sprachaneignung in verschiedenen Teilbereichen unterschiedlich verläuft und ein Entwicklungssprung in einem Bereich einen Zuwachs in einem anderen bewirken kann“ (ebd., S.15).
Sprache hat demnach viele Funktionen und steht in wechselseitigen Beziehungen mit kognitiver und sozialer Entwicklung der Kinder. Gudula List betont ebenfalls „den Blickwinkel weit zu öffnen, um die wechselseitigen Einflüsse (...) wahrzunehmen und auf sie einzuwirken“ (List, 2014, S.6). Die sprachliche Entwicklung steht in enger Verbindung mit der Persönlichkeitsentwicklung und somit mit den einzelnen Gedächtnistätigkeiten, dies belegen zahlreiche entwicklungspsychologische Forschungsergebnisse.
„Die einzelnen Gedächtnistätigkeiten bilden sich, über Jahre gestreckt, miteinander und nacheinander heraus; dabei sind die meisten dieser Entwicklungsvorgänge mit dem Erwerb der Sprechfähigkeit und der Sprache aufs Engste verknüpft“ (ebd., S. 7).
Die Kenntnis über die enorme Bedeutung der kognitiven und sozialen Prozesse, die für die sprachliche Entwicklung mit verantwortlich sind und wie diese verschiedenen Bereiche miteinander verflochten sind, sei hier besonders hervorgehoben. Die Sprachfähigkeit erlaubt es Kindern erstmalig, Prozesse der Begriffsbildung anzuwenden. Sie beginnen mit Hilfe der Sprache ihr Weltwissen als mentale Repräsentation in ihren deklarativen Gedächtnissen geistig zu ordnen. Als deklarative Gedächtnisse, oder Langzeitgedächtnis werden das episodische Gedächtnis (Erinnerung an Erlebnisse) und das semantische Gedächtnis (Verfügung über mediales Wissen) bezeichnet, ihr Inhalt ist bewusst aufrufbar und kann wiedergegeben werden. Kinder beginnen nun ihr Wissensnetz anzulegen, in dem sie Ereignisse, Lebewesen und Gegenstände in Klassen nach ihrer Ähnlichkeit in der äußeren Erscheinung oder in ihren Eigenschaften und schließlich nach ihrer Übereinstimmung darin, wie sie dem Handeln dienen zu sortieren und im episodischen Gedächtnis zu speichern. Es erlaubt ihnen erfolgreich erlebtes Handeln wiedereinzusetzen. Die „begrifflichen Repräsentationen über das, was man mit Dingen (...) tun kann, entstehen beim miteinander Handeln und werden für künftiges Handeln gebraucht“ (ebd. S. 9). Wörter werden als Konzept, nach ihrer Bedeutung, in das Gedächtnis überführt und verfügen im mentalen Lexikon nun über eine Symbolkraft und werden so zu geistigen Instrumenten.
„Die Sprache der Kinder in gemeinsamen Handlungssituationen herauszufordern, wird von nun an nicht nur das Sprechen und Verstehen fördern, sondern zugleich auf das Erinnern, auf das Vorstellungsvermögen und auf die sich anbahnende Handlungsfähigkeit einwirken“ (ebd.).
Mit der Eroberung des linguistischen Regelsystems, beginnend mit den Zwei-Wort-Sätzen, brechen Kinder den Sprachfluss auf und setzen ihn selbst neu zusammen. Gespräche, in denen Wörter und Aussagen anschaulich in Erklärungen, Begründungen und Erzählungen eingebunden sind, werden Kinder dabei unterstützen, ihre Erfahrungen als zeitlich und räumlich organisiertes Weltwissen dem Gedächtnis zuzuführen. Dieses allgemeine Weltwissen, von früh erlebten Routinen bis zu den stets anwachsenden, medial vermittelten Erfahrungen, verhilft nun dazu, dass die selbst erlebten Ereignisse platziert, bewertet und interpretiert werden können (vgl. ebd.). Das „handelnd erfahrene Wissen steckt über Regelmäßigkeiten der Alltagsorganisation den Rahmen ab, in dem erst allmählich Besonderheiten des eigenen Erlebens als solche wahrgenommen werden“ (ebd., S. 10). Hier beginnt nun die Fähigkeit auch nicht selbst erlebte Erfahrungen aus anderen Quellen, das semantische Wissen, z.B. aus dem Fernseher aber vor allem aus Gesprächen aufzunehmen. In Gesprächen, die Erwachsene mit Kindern über das führen, was sie selbst beeindruckt hat, was andere berichten, was man sich zusammen ausdenken kann, liegt ein enormes Förderpotenzial für die gesamte Entwicklung. Sprachtraining sollte nach Gudula List „insgesamt immer auf die Erweiterung bewusster Möglichkeiten des Denkens und Handelns“ (ebd.) zielen. Auch die Entstehung der eigenen Autobiografie, das Vermögen über das eigene Ich zu erzählen, entsteht erst im Gespräch und entwickelt sich lebenslang. Sie ist erst möglich, wenn Kinder sich bewusst von einem Erlebnis lösen und darüber reden, dass sie es waren, die etwas Besonderes an einem konkreten Ort zu einer bestimmten Zeit erlebt haben. Ab dem Zeitpunkt der Ausbildung des Langzeitgedächtnisses entwickelt das Kind ein Selbstkonzept. Sie nehmen sich als getrennt von der Umwelt wahr und entwickeln daraus die „theory of mind“, die Fähigkeit sich selbst und anderen mentale Zustände zuzuschreiben. Kinder beginnen die Handlungen anderer zu interpretieren und das eigene Handeln darauf einzustellen, sie entwickeln Sozialkompetenz (ebd., S. 11ff). Sprache erlaubt es also, ein mentales Lexikon im Sinne von Weltwissen anzulegen, durch das es ermöglicht wird, Handlungsmuster und Dinge zu analysieren, interpretieren und wieder zu geben. In Gesprächen werden erlebte Erfahrungen und die Fähigkeit, Wissen zu speichern immer weiter ausgebaut. Demnach nutzen Sprachaneignung und Wissensaneignung die gleichen kognitiven Muster. In das deklarative Langzeitgedächtnis wird über mentale Repräsentation übertragen, was als besonderes Ereignis in das episodische Gedächtnis impliziert sowie mediales Wissen, das durch den Dialog zu einem Ereignis wird und so in das semantische Gedächtnis impliziert wird. Dies bezieht Sinnzusammenhänge ebenso wie Handlungsmuster und Bewältigungsstrategien mit ein. Wissen muss demnach anwendbar sein, um im Langzeitgedächtnis verankert zu werden.
1.2 Sprachaneignung einer Zweitsprache
Die Fähigkeit, des implizierten Lernens der Lautgestaltung und grundlegenden Bauprinzipien der sie umgehenden Sprache endet um den dritten Geburtstag herum, wenn Kinder in der Lage sind sich absichtsvoll zu äußern und Sprache so weit zu verstehen, wie ihre Lebenswelt reicht. Dieses Wissen ist in Bezug auf den Erwerb einer zweiten Sprache von Bedeutung, da es etwas über die Art des Erlernens einer zweiten Sprache aussagt. Kinder die von Geburt an gleichzeitig oder innerhalb des Alters von bis zu zwei Jahren mehr als eine Sprache erwerben, folgen einem simultan bilingualen Erwerb oder auch doppelten Erstspracherwerb. Sie verfügen lebenslang über bilingual implizierte Sprechfähigkeiten. Kinder die zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr mit dem Erwerb einer zweiten Sprache beginnen, folgen dem Muster eines sukzessiv bilingualen Erwerbes der sehr dem Erstspracherwerb gleicht. Beginnt der Erwerb einer zweiten Sprache in einem Alter von vier bis zehn Jahren, spricht man von einem kindlichen Zweitspracherwerb. Das Alter, in dem der Erwerb einer zweiten Sprache beginnt, ist ein relevanter Faktor für den Erfolg des Erwerbs. Ein simultan bilingualer Erwerb unterscheidet sich kaum vom monolingualen Erwerb. Die Erwerbsschritte und erreichbaren sprachlichen Fähigkeiten entsprechen denen einsprachiger Kinder. Die Auseinandersetzung mit zwei Sprachen kann in dieser Konstellation zu einer schnelleren Entwicklung von meta-sprachlichen Fähigkeiten führen. Kinder die später mit dem Erwerb einer Zweitsprache beginnen, verfügen bereits über Wissen einer Erstsprache das den Erwerb der zweiten Sprache beeinflusst. Sie wissen wozu man Sprache braucht und kennen viele Verwendungsregeln und vieles mehr. Eine Übernahme einfacher Strukturen aus der Erstsprache in die Zweitsprache im kindlichen Zweitspracherwerb ist nicht eindeutig belegt. Diese Kinder sind jedoch kognitiv weiterentwickelt als ein Kind im Erstspracherwerbsprozess (vgl. Rothweiler & Ruberg, 2011, S. 8ff). Auch für den Erwerb einer Zweitsprache gilt, um ein Wort in das mentale Lexikon überführen zu können, müssen die Voraussetzungen des monolingualen Spracherwerbs erfüllt sein. Das bedeutet, das Kind muss lernen wie ein Wort ausgesprochen wird, es grammatisch eingesetzt und morphologisch verändert werden kann und muss sowie welches Konzept es repräsentiert und wie es verwendet werden kann und darf. Wobei die Aspekte von lexikalischer Information, das Bedeutungs-Konzept-Wissen und das pragmatische Wissen erfahrungs- und somit kulturabhängig sind. Zu beachten ist, dass die Wortschätze mehrsprachiger Kinder nicht deckungsgleich sind, die Kinder kennen und nutzen viele Wörter für bestimmte Konzepte nur in einer Sprache, aber nicht in der anderen Sprache. Ein weiterer wesentlicher Faktor für das Erlernen einer Zweitsprache ist die Qualität und die Dauer des Kontakts, die ein Kind mit dieser Sprache hat (vgl. ebd., S. 10f). Zu betonen ist auch hier, dass Kompetenzorientierung einen tiefer gehenden Einblick in das Können des Kindes in seinen Sprachen ermöglicht. Auf diese Weise ist es möglich, das Kind individuell in der Förderung tatsächlich dort abzuholen, wo es in seiner Entwicklung steht (vgl. Lengyel, S. 33).
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