Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Begriffsherkunft und -definition von Mobbing
2.2 Pravalenz
2.3 Erscheinungsformen
2.4 Rollenverteilung: Mobbing als Gruppenphanomen
2.4.1 Merkmale einer Taterin oder eines Taters
2.4.2 Merkmale eines Opfers
2.4.2.1 Merkmale eines passiven Opfers
2.4.2.2 Merkmale eines aggressiven Opfers
2.5 Alters- und Geschlechtsspezifische Differenzen
2.5.1 Altersspezifische Unterschiede
2.5.2 Geschlechtsspezifische Unterschiede
2.6 Mobbing als Prozess
2.7 Die Ursachen von Mobbing
2.8 Die Folgen von Mobbing
3 Handlungskonzepte
3.1 Grundlagen der Gewaltpravention und -intervention
3.2 Drei verschiedene Handlungsebenen
3.2.1 Allgemeine MaBnahmen auf Schulebene
3.2.2 Allgemeine MaBnahmen auf Klassenebene
3.2.3 Allgemeine MaBnahmen auf Individualebene
3.3 Schulische Praventionskonzepte
3.3.1 Das Anti-Mobbing-Programm nach Olweus
3.3.2 Das „fairplayer“ Programm
3.4 Schulische Interventionskonzepte
3.4.1 Der „No blame Approach“
3.4.2 Das „Gegen-Gewalt-Konzept“
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Rollenverteilung (eigene Darstellung nach Salmivalli et al., 1996)
Abbildung 2: Schulerinnen und Schuler, die ein-bis mehrmals pro Woche gemobbt wurden
Abbildung 3: Schulerinnen und Schuler unterschiedlicher Klassen, die angeben, andere schikaniert zu haben
Abbildung 4: Phasenmodell des Mobbingverlaufs (eigene Darstellung nach Schafer & Korn, 2004)
1 Einleitung
RegelmaBig Geruchte zu verbreiten, jemanden auszugrenzen oder sogar Mitschulerinnen oder Mitschuler korperlich zu attackieren, ist schon langst keine Seltenheit mehr an deutschen Schulen. Gewalt an Schulen gerat zunehmend in den Fokus der Offentlichkeit. Jedoch wird dabei noch haufig ubersehen, dass nicht nur schwere physische Gewalt bis hin zu Amoklaufen das Problem ist, sondern Mobbing, als spezifische Gewaltform im Schulalltag ebenfalls eine groBe Rolle zugemessen werden muss.1 Die im Jahre 2015 durchgefuhrte PISA-Studie der OECD zum Wohlbefinden von Jugendlichen aus aller Welt kommt zu dem Ergebnis, dass In Deutschland jede/r sechste 15-Jahrige wiederholt Opfer von massivem Mobbing in der Schule ist.2 Da Mobbing schwere physische und psychische Folgen mit sich ziehen kann, steht die Institution Schule als Sozialisationsinstanz unter einem hohen gesellschaftlichen Druck, dagegen vorzugehen und Schulerinnen und Schuler zu schutzen. Allerdings scheinen viele Lehrkrafte dieses Thema, aus Angst falsch zu handeln oder sich zu sehr zu involvieren, zu vermeiden.3 Als angehende Lehramtsanwarterin erscheint mir die Wahl des Themas „Mobbing in der Schule. Theoretische Grundlagen und Handlungskonzepte“ sinnvoll, um mich auf Mobbingphanomene vorzubereiten, die mit groBer Wahrscheinlichkeit Teil meiner Berufspraxis sein werden. Ziel dieser Arbeit ist es, auf Basis theoretischer Erkenntnisse aus der Forschung, HandlungsmaBnahmen und Verhaltensrichtlinien fur Lehrerinnen und Lehrer, die mit Mobbingfallen konfrontiert sind, zu erarbeiten. Die vorliegende Arbeit ist in zwei Teile, einen Theoretischen und einen Praxisbezogenen, gegliedert. Im ersten Teil dieser Arbeit wird das Phanomen Mobbing theoretisch aufgearbeitet. Dazu wird zunachst einmal der Begriff Mobbing definiert, die Auftretenshaufigkeit dargelegt und die unterschiedlichen Erscheinungsformen beschrieben. AnschlieBend wird der kollektive Charakter von Mobbing aufgezeigt und die verschiedenen Rollen, die im Mobbingprozess typischerweise eingenommen werden differenziert. Nach der Darstellung alters- und geschlechtsspezifischer Unterschiede, werden die Ursachen von Mobbing unter Berucksichtigung theoretischer Erklarungsansatze analysiert und mogliche Auswirkungen von Mobbing auf Opfer und Tater aufgezeigt. Daraus abgeleitet wird dann im zweiten Teil der Arbeit zunachst beschrieben, warum an Schulen Mobbingpravention und -intervention betrieben werden soil und welche Aspekte bei gewaltpraventiver und -interventiver Arbeit zu berucksichtigen sind. Darauffolgend wird die Besonderheit von Mehrebenen- Konzepten veranschaulicht und infolgedessen verschiedene allgemeine, padagogisch sinnvolle MaBnahmen auf den jeweiligen Handlungsebenen aufgegriffen. AbschlieBend werden konkrete Praventions- und Interventionskonzepte vorgestellt, die sich an vielen Schulen erfolgreich etabliert haben.
2 Theoretische Grundlagen
2.1Begriffsherkunft und -definition von
Mobbing Als Reaktion auf mehrere Selbstmordfalle in Skandinavien in den 1970er Jahren, die auf Mobbingattacken zuruckgefuhrt wurden, begannen Dan Olweus, schwedisch- norwegischer Psychologe und Professor fur Personlichkeitspsychologie an der Universitat Bergen, und der schwedische Kinderarzt Peter-Paul Heinemann das Thema Mobbing intensiv zu erforschen. In den englischsprachigen Landern wurde der von Olweus verwendete Begriff „Mobb(n)ing“ mit „Bullying“ ubersetzt.4 Der Ausdruck „Mob“ bezeichnet ursprunglich eine groBe, anonyme Gruppe von Leuten, die an einer Unterdruckung beteiligt sind.5 „Bully“ hingegen bezeichnet eine Einzelperson und steht im Englischen fur „Unterdrucker“ oder „Schlager“.6 Wahrend Mobbing demnach kollektive Ubergriffe umfasst, beschreibt Bullying individuelle Gewalttatigkeiten. Innerhalb der deutschen Forschung grenzt der schwedische Arbeitspsychologe Heinz Leymann, der ebenfalls als Pionier der Mobbingforschung gilt, Bullying von Mobbing ab. Mit Mobbing bezeichnet er Schikanen und „negative soziale Handlungen“ am Arbeitsplatz, wahrend Bullying „negative soziale Handlungen“ unter Kindern und Jugendlichen darstellt7 Inzwischen hat die Unterscheidung der beiden Begriffe zunehmend an Bedeutung verloren und sie werden in der gegenwartigen Literatur weitestgehend synonym verwendet. Dies basiert auf der Tatsache, dass „die ursprungliche plurale Bedeutung von lat. MOB bereits im angloamerikanischen Sprachgebrauch dem singularen Gebrauch Platz gemacht hat, sodass wir auch im Deutschen die Gewalttatigkeit eines EINZELNEN mit MOBBEN bezeichnen konnen.“8 In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe Mobbing und Bullying synonym verwendet. Allerdings wird hauptsachlich auf die Verwendung des Ausdrucks Mobbing zuruckgegriffen, da dieser im Gegensatz zum Ausdruck Bullying den Vorteil bietet, dass er sich grammatikalisch beugen lasst.
Die erste Verwendung des Begriffs Mobbing geht ursprunglich auf den Ethologen Konrad Lorenz zuruck. Auf der Grundlage des Buches Nils Holgersson von Selma Lagerlof bezeichnete er 1958 die Angriffe, die eine Gruppe von Tieren auf ein einzelnes Tier ausfuhrt, um dieses zu verscheuchen, als Mobbing. Anfang der 1970er Jahre ubernahm Heinemann diesen Ausdruck, um das gewaltsame Gruppenverhalten von Schulerinnen und Schulern auf dem Schulhof gegen einen einzelnen Schuler zu beschreiben. Leymann entdeckte ahnliches, gewaltsames Verhalten in der Arbeitswelt der Erwachsenen und bezeichnete auch dieses als Mobbing.1 Olweus erganzt den Begriff um die Komponente, dass nicht nur die von Gruppen ausgehende Gewalt, sondern auch die Angriffe Einzelner gegen Einzelne beobachtet werden konnen. Dabei handelt es sich vor allem um ein Phanomen zwischen Gleichaltrigen.1 In der gegenwartigen Mobbingforschung existiert keine allgemeingultige Definition des Phanomens Mobbing. Allerdings hat die Definition nach Olweus gewisse Rezeption erfahren.1 Mobbing bezieht sich auf eine spezielle Erscheinungsform aggressiven bzw. gewalttatigen Verhaltens, die durch Olweus wie folgt definiert wird:
„Ein Schuler oder eine Schulerin ist Gewalt ausgesetzt oder wird gemobbt, wenn er oder sie wiederholt und uber eine langere Zeit den negativen Handlungen eines oder mehrerer anderer Schuler oder Schulerinnen ausgesetzt ist. [...]. Wenn der Begriff der Gewalt verwendet wird, muss ein Ungleichgewicht der Krafte vorliegen.“ 1
Das in der Olweus’schen Definition angesprochene Krafteungleichgewicht zwischen Tater und Opfer meint, dass sich der angegriffene Schuler bzw. die angegriffene Schulerin nicht selbststandig aus der Situation zu befreien weiB und Schwierigkeiten hat sich zu wehren.13 Das ungleiche Krafteverhaltnis kann sich auf die korperliche Kraft beziehen, das Opfer kann aber auch in der Position des Schwacheren sein, weil es im Gegensatz zu den Tatern die AuBenseiterrolle in der Gruppe einnimmt und somit keine soziale Unterstutzung erfahrt. Des Weiteren kann sich das Ungleichgewicht der Krafte auf verbale und soziale13
Fahigkeiten und Fertigkeiten beziehen.14 Die Opfer sind in der Regel einzelne Schulerinnen oder Schuler, die den negativen Handlungen von einem oder mehreren Tatern ausgesetzt sind.15 Negative Handlungen liegen vor, wenn Einzelne oder eine Gruppe einer anderen Person absichtlich Verletzungen oder Unannehmlichkeiten zufugen. Negative Handlungen konnen zum einen verbal (drohen, spotten, argern, beschimpfen) und zum anderen durch direkten Korperkontakt (schlagen, treten, kneifen, festhalten, stoBen) erfolgen. Hinzu kommen Handlungen ohne den Gebrauch von Worten und Korperkontakt, wie zum Beispiel unangebrachte Gesten, wie Grimassenschneiden oder das AusschlieBen aus einer Gruppe. Die negativen Handlungen mussen laut Definition wiederkehrender Natur sein und sich uber einen langeren Zeitraum erstrecken. Die Merkmale, die ein Verhalten als Mobbing identifizieren, konnen also wie folgt beschrieben werden:
1. Die negativen Handlungen erfolgen wiederholt
2. Sie erfolgen uber einen langeren Zeitraum
3. Es besteht eine Verletzungssabsicht
4. Ein Krafteungleichgewicht liegt vor16
Demzufolge handelt es sich bei gelegentlichen, nicht ernsthaften negativen Handlungen, die einmalig sind und nicht gezielt gegen die gleiche Schulerin oder den gleichen Schuler gerichtet sind, nicht um Mobbing.17 Somit kann auch das sogenannte rough-and-tumble- play, also das spaBhafte Schubsen und Toben unter seelisch oder korperlich Gleichstarken, das vor allem zwischen Jungen zu beobachten ist, nicht als Mobbing bezeichnet werden.18 Interaktionen dieser Art sind zwischen Gleichaltrigen normal und konnen sogar entwicklungsfordernd sein.19 So gilt: „Nicht jede Gewalt ist Mobbing, aber Mobbing ist immer Gewalt.“20
2.2 Pravalenz
Es gibt viele Studien zur empirischen Analyse der Haufigkeit von Mobbing-Fallen in Schulen. Betrachtet man die Ergebnisse dieser Studien zur Pravalenz, so fallen die hohen Schwankungen hinsichtlich der Haufigkeitsangaben auf. Diese Widerspruche werden mit den zugrunde gelegten Kriterien bzw. Operationalisierungen der Studien begrundet. Die Pravalenzraten reduzieren sich demnach, je strenger die in Kapitel 2.1 aufgefuhrten Kriterien des Mobbings beachtet bzw. umgesetzt wurden.21 Die Haufigkeitsraten zu Mobbing beziehen sich zum einen auf die Anzahl von Individuen, die von anderen gemobbt werden (Opfer) oder zum anderen auf die Anzahl derer, die andere aktiv mobben (Tater). Alsaker kommt nach der Durchsicht von 14 verschiedenen internationalen Studien zu Mobbing an Schulen zu dem Ergebnis, dass etwa 5% bis 15% der Befragten Opfer von Mobbing wurden. Es muss erwahnt werden, dass Alsaker nur Studien auswahlte, denen die Kriterien Systematik (wiederholt und uber langere Zeit), Schadigungsabsicht und des Krafteungleichgewichts zugrunde lagen.22 Auch die Psychologen Scheithauer, Hayer und Petermann geben auf Basis von verschiedenen Studien an, dass in Deutschland etwa 5% bis 11% der Schulerinnen und Schuler Opfer von Mobbing sind.23 In einer anderen Studie untersucht auch Beate Schuster, Professorin fur Padagogische Psychologie, unter Berucksichtigung aller Operationalisierungen die Haufigkeit von Mobbing an deutschen Schulen und halt zusammenfassend fest, „dass ca. 5 Prozent der Kinder in der Schule ernsthaft, d.h. wiederholt und lang andauernd in Schadigungsabsicht und durch Starkere, gegen die sie sich nicht wehren konnen, gemobbt werden.“24 Die Rolle der Tater nehmen in Deutschland regelmaBig (d.h. mindestens einmal die Woche) etwa 5% bis 9% der Schulerinnen und Schuler ein.25 Die Pravalenzraten weisen fur die Gruppe der Opfer eine stetige Abnahme mit fortschreitendem Alter auf. So sinkt diese Pravalenz von hohen Ratern in der Grundschule auf Niedriger in den weiterfuhrenden Schulen. Im Gegensatz dazu weisen die Pravalenzraten fur die Tater keinen Alterstrend auf.26 Eine genauere Analyse der Unterschiede hinsichtlich des Alters und des Geschlechts erfolgt in Kapitel 2.5. Im Folgenden werden die verschiedenen Erscheinungsformen von Mobbing dargestellt.
2.3 Erscheinungsformen
Die Erscheinungsformen von Mobbing sind sehr vielschichtig und unterschiedlich. Die in Kapitel 2.1 beschriebenen negativen Handlungen nach Olweus konnen dementsprechend verschiedene Formen annehmen.27 Zwar besteht in der Forschung Einigkeit daruber, dass es sinnvoll und notig ist, die einzelnen Verhaltensweisen zu kategorisieren, allerdings herrscht Unklarheit uber die Art der Einteilung. Generell kann man beim Mobbing drei Erscheinungsformen unterschieden: physisches Mobbing, verbales Mobbing und relationales Mobbing.28 Ebenso existiert eine grundsatzliche Unterscheidung zwischen den Strategien, mit der die Handlungen ausgefuhrt werden. Sie erfolgen entweder direkt oder indirekt. Diese Differenzierung spielt bei der Erkennung und dem Umgang mit Mobbing eine wichtige Rolle.29 Beim direkten Mobbing kommt es zu einer Konfrontation zwischen Taterinnen oder Tatern und Opfern, wohingegen bei den indirekten Formen sich Taterinnen oder Tater und Opfer nicht gegenuberstehen. Indirekte Formen bieten fur die Taterinnen oder Tater den Vorteil, dass ein sofortiger Gegenangriff des Opfers vermieden wird.30 Physische Handlungen fallen in den Bereich des direkten Mobbings. Zu diesen zahlen alle Handlungen, die zu Verletzungen oder Schmerzen des Korpers fuhren. Sie reichen von ungefahrlichen, aber schmerzhaften Attacken wie Kneifen, Ohrfeigen oder Treten bis hin zu verletzenden, sehr gefahrlichen Verhaltensweisen wie Wurgen, mit Steinen werfen, mit einem Gegenstand ins Auge stechen oder die Treppe hinunterstoBen. Zudem konnen alle Beruhrungen, die gegen den Willen des betroffenen Kindes bzw. Jugendlichen geschehen, den physischen Formen zugeordnet werden.31 Diese Form von Mobbing tritt am haufigsten an Grundschulen auf und wird vor allem von Taterinnen und Tatern mit unterdurchschnittlicher sozialer Intelligenz bevorzugt.32 Auch verbale Handlungen wie Beschimpfen, Auslachen oder Witze uber einen anderen machen, konnen dem direkten Mobbing zugeordnet werden. Solche Angriffe konnen das Opfer in hohem MaBe in seiner Wurde verletzen und psychische Erkrankungen verursachen.33 Nonverbale Ausdrucksformen, wie das Augenverdrehen oder Schulterzucken, werden haufig dem indirekten Mobbing zugeordnet. Jedoch konnen sie auch direkte Formen annehmen, wie zum Beispiel bei offensichtlichen amoralischen Gesten oder das sich vom Opfer Wegsetzen. Damit wird dem Opfer auf eine entwurdigende Art verdeutlicht, dass es nicht dazugehort.34 Die dritte Erscheinungsform des Mobbings ist das relationale Mobbing, welches dem indirekten Mobbing zugeordnet wird. Diese Handlungen geschehen hinter dem Rucken des Opfers und die Taterinnen oder Tater wollen meist unerkannt bleiben -der den Anschein erwecken, dass eine Schadigungsabsicht nicht bestand.35 „Relationales Mobbing sind all diejenigen Verhaltensweisen, die darauf abzielen, den sozialen Status einer Person innerhalb einer Gruppe zu untergraben, sein Image zu schadigen, seine Freundschaften zu zerstoren und ihn somit auf Dauer innerhalb dieser Gruppe zu isolieren.“36 Diese Verhaltensweisen erfolgen oft in Form von sozialer Manipulation, wie die Verbreitung von falschen Geruchten, das Auspannen von besten Freunden oder Freundinnen oder das AusschlieBen aus der Gruppe. Besteht die Moglichkeit, so werden Mitschulerinnen und Mitschuler als Mittel benutzt, um den Angriff auf das Opfer auszufuhren.37
Zusammenfassend lasst sich sagen, dass Mobbing verschiedene Formen annehmen kann. Taterinnen oder Tater, die physisches Mobbing betreiben, sind aktionsorientiert und zielen auf korperliche Verletzungen des Opfers. Diese Handlungen sind relativ gut von auBen zu beobachten. Verbales und relationales Mobbing hingegen werden oft verharmlost und sind nicht so leicht zu identifizieren, obwohl auch diese Formen des Mobbings schwere psychische Folgen fur die Opfer mit sich ziehen konnen.38 Auf die Frage, welche verschiedenen Rollen Mitschulerinnen und Mitschuler im Mobbingprozess einnehmen , wird im nachsten Kapitel eingegangen.
2.4 Rollenverteilung: Mobbing als Gruppenphanomen
Die bisherige Analyse beschrankte sich auf das Mobbing-Opfer und auf den Mobbing- Tater, jedoch spiegelt Mobbing sehr oft einen Gruppenprozess wieder.39 Mehrfach wurde bestatigt, dass im Falle von Mobbing nahezu die gesamte Klasse beteiligt ist und Reaktionen hinsichtlich des Mobbingfalles zeigt.40 So schildern Craig und Pepler auf Grundlage von Beobachtungen mittels einer Studie, dass sich bei einer Mobbingsituation 48% der Mitschulerinnen und Mitschuler aktiv beteiligten und 30% belustigt waren. AuBerdem waren 57% der Mitschulerinnen und Mitschuler zur Taterin oder zum Tater und 31% zum Opfer freundlich.41 Auf Grundlage dieser Erkenntnisse entwickelten Samivalli und Kolleginnen und Kollegen 1996 den Participant Role Questionnaiere (PQR) und zeigten in einer Studie, in welchen differenzierbaren Rollen die Schulerinnen und Schuler jenseits der Tater- und Opferrolle in den Mobbingprozess involviert sind. In ihrer Untersuchung sollten 573 Schulerinnen und Schuler der sechsten Jahrgangsstufe (Alter zwischen 12 und 13 Jahren) aus zwei Regionen Finnlands, mithilfe von 50 Fragen bzw. Items, die bestimmte Verhaltensweisen in Mobbingsituationen beschrieben, sowohl sich selbst als auch ihre Mitschulerinnen und Mitschuler einschatzen.42 Aus den 50 Items konnten funf Skalen gebildet werden: Tater-Skala (bully-scale), Assistenten-Skala (assistant-scale), Verstarker-Skala (reinforcer-scale), Verteidiger-Skala (defender-scale) und die AuBenstehenden-Skala (outsiderscale). Die Opfer wurden gesondert aufgefuhrt. Insgesamt konnten 87% der Schulerinnen und Schuler einer klaren Rolle zugeordnet werden. Die Tater-Skala umfasste aktives, initiierendes und fuhrungsorientiertes Mobbingverhalten, die Assistenten-Skala beinhaltete ebenfalls aktives Mobbingverhalten, das sich an der Taterin oder am Tater orientiert. Die Verstarker-Skala beschrieb Verhaltensweisen, die die Taterin oder den Tater anstachelten und anheizten (lachen, zuschauen, o.A.).43 Aufgrund ihrer unklaren Position, werden diese Kinder in vielen Untersuchungen nicht als direkt Beteiligte am Mobbing angesehen.44 Die Verteidiger- Skala beschrieb unterstutzendes, trostendes Verhalten in Bezug auf das Opfer und die AuBenstehenden-Skala umfasste Verhaltensweisen wie "sich raushalten".45 Als AuBenstehende konnten ca. 24% der Schulerinnen und Schuler identifiziert werden. Ca. 17% der befragten Personen konnten der Gruppe der Verteidigerinnen und Verteidiger und ca. 20% der Gruppe der Verstarkerinnen und Verstarker zugeordnet werden. Zu der Kategorie Assistenten der Taterin oder des Taters gehorten ca. 7% der untersuchten Kinder. Als Opfer wurden ca. 12% und als Tater ca. 8% identifiziert (siehe Abb. 1).46 Salmivalli et al. fanden ebenfalls heraus, dass einige Opfer gleichzeitig eine sekundare Rolle als Taterin oder Tater einnahmen. Diese Schulerinnen und Schuler werden in der Fachliteratur auch als Tater-Opfer betitelt.47
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Rollenverteilung (eigene Darstellung nach Salmivalli et al., 1996).
Drei Jahre Spater fuhrten Sutton und Smith eine ahnliche Studie durch und untersuchten 193 Kinder aus Londoner Grundschulen. Dabei nutzten sie eine verkurzte Form des PQR. Die Studie konnte im Wesentlichen die Ergebnisse der Studie von Salmivalli et al. replizieren.48 Schafer und Korn setzten ebenfalls eine verkurzte Version des PQR ein und untersuchten 104 Sechstklassler aus zwei deutschen Hauptschulen.49 Mit ihrer Studie konnten sie aufzeigen, dass auch die Mehrheit der deutschen Schulerinnen und Schulern klare Rollen wahrend in Mobbingsituationen einnehmen und, dass „die Daten sowohl die Faktorenstruktur wie die wesentlichen Befundmuster der Untersuchungen von Salmivalli et al. (1996) und Sutton und Smith (1999) [bestatigen] “50
Im Folgenden werden die typischen Merkmale der Taterinnen oder Tater, der Opfer und der Tater-Opfer genauer dargestellt.
2.4.1 Merkmale einer Taterin oder eines Taters
Taterinnen und Tater zeichnen sich durch aggressives Verhalten, was sich auch im auBerschulischen Kontext und gegenuber Erwachsenen zeigt.51 Die Meinungen bezuglich des Selbstwertgefuhls des Taters sind unterschiedlich. Lange Zeit waren Forscher uberzeugt davon, dass Taterinnen oder Tater durch Mobbing versuchen, mangelndes Selbstwertgefuhl zu kompensieren.52 Auch Mustafa Jannan gibt an, dass Taterinnen und Tater oft unter geringem Selbstwertgefuhl leiden und dieses durch Mobbing steigern wollen.53 Olweus hingegen fuhrte mehrere Untersuchungen durch und kam zu dem Ergebnis, dass Taterinnen und Tater sich wenig angstlich und unsicher zeigten. Es schien daher so, als wurden sie nicht unter einem geringen Selbstwertgefuhl leiden. Da er sich in seinen Untersuchungen jedoch auf Taterinnen und Tater in der Gruppe begrenzte, schlieBt er einzelne angstliche Taterinnen und Tater nicht aus.54 Zudem zeigen Taterinnen und Tater wenig Empathie und Einfuhlungsvermogen. Zwar ist ihnen bewusst, welche Konsequenzen ihr Verhalten fur das Opfer hat, allerdings konnen sie emotional nicht nachempfinden, was die Handlungen beim Opfer innerlich auslosen.55 Sie sind zudem sehr impulsiv und fuhlen sich schnell personlich angegriffen, da sie die Intentionen ihrer Mitmenschen oft als feindselig auffassen.56 Taterinnen und Tater werden als den Opfern korperlich uberlegen beschrieben. Sie haben meist eine positive Einstellung zum eigenen Korper und setzen ihn bewusst ein. Sie sind aktiv, sportlich und scheuen keine Beruhrungen vor anderen Kindern und Jugendlichen.57 Den Einsatz von Gewalt, um Probleme zu losen und ihre Ziele zu erreichen, bewerten sie als legitim. Hinzu kommt, dass sie ein ausgepragtes Bedurfnis nach Macht und Kontrolle uber andere besitzen.58 Durch Reaktionen der anderen Schuler (z.B. Furcht oder Bewunderung), wird der Tater oder die Taterin in seinem Selbstbild verstarkt und versucht die Machtposition weiter auszubauen.59 „Eine geschickte Auswahl ihrer Opfer zielt darauf ab, dass Attacken gegen ein Opfer nicht von Seiten der Mitschuler sanktioniert werden, sondern zur sozialen Aufwertung ihrer Position im Klassenkontext fuhren.“60 Ergebnisse von Studien hinsichtlich der Beliebtheit von Taterinnen und Tater zeigen, dass sie genau so beliebt sind wie die durchschnittliche Schulergruppe.61 Als wesentlich fur die Ursache von Mobbing erweist sich die Erkenntnis, dass Taterinnen und Tater uberdurchschnittlich haufig aus gewalttatigen Elternhausern stammen. Sie erhalten wenig Zuneigung und Aufmerksamkeit. Stattdessen wenden die Eltern autoritare Erziehungsmethoden und korperliche Gewalt an.62 „Dadurch wird die gelebte Aggression auch fur die Kinder ein billiges Mittel zur Durchsetzung eigener Ziele.“63 Auf diese und weitere Ursachen von Mobbing wird in Kapitel 2.7 naher eingegangen.
2.4.2 Merkmale eines Opfers
„Nicht Introvertiertheit oder physische Schwache pradisponieren fur die Opferrolle, sondern die relative Position im sozialen Gefuge der Klasse determiniert die Gefahrdung fur die Opferrolle“64. Ebenso wenig hangt die Rolle des Opfers von den Eigenschaften des Kindes ab.65 Dies impliziert, dass prinzipiell jedes Kind Opfer von Mobbingattacken werden kann. Es entsteht der Eindruck, als wurden die Tater ihr soziales Umfeld nach einem potentiellen Opfer absuchen, indem sie die Gleichaltrigen attackieren und deren Reaktion testen. Opfer werden also nicht zufallig zum Opfer. Die Wahl der Taterinnen und Tater fallt vielmehr auf ein Kind, welches in gewunschter Weise reagiert.66 Nichtsdestotrotz zeigen verschiedene Forschungsarbeiten, dass bestimmte Personlichkeitsmerkmale besonders haufig bei der Gruppe der Opfer vorzufinden sind.67
Wie schon in Kapitel 2.4 erwahnt, unterscheidet man passive und aggressive Opfer, deren Merkmale nachfolgend ausfuhrlich dargestellt werden.
2.4.2.1 Merkmale eines passiven Opfers
Passive Opfer erscheinen in ihrem sozialen Umfeld oft unsicher, angstlich, schuchtern und abweisend. Zudem sind sie oft vorsichtig und still.68 Sie haben eine negative Einstellung zur Gewalt und konnen sich weder verbal, noch korperlich kaum aggressiv verhalten.69 Folglich fallt es ihnen schwer sich bei Angriffen zu wehren und sie ziehen sich lieber zuruck und erwarten Hilfe von auBen.70 Passive Opfer weisen oft ein negatives Selbstwertgefuhl und eine negative Selbstwahrnehmung auf und geben sich meist selbst die Schuld an ihrer Situation.71 Alsaker belegte in seiner Studie, dass Opfer viel haufiger zu depressiver Verstimmung neigen, als Tater oder Nichtbeteiligte.72 Des Weiteren weisen sie zwar prosoziale Verhaltensweisen auf, tendieren aber dazu, sich zuruckzuziehen, wodurch sie wenig kontaktfreudig und introvertiert wirken.73
[...]
1 vgl. Jannan, Mustafa: Das Anti- Mobbing- Buch. Gewalt an der Schule - vorbeugen, erkennen, handeln, 2015, S.12f.
2 vgl. OECD: PISA Results: STUDENTS' WELL-BEING. (Volume III), 2017, S.136.
3 vgl. Bundeszentrale fur politische Bildung: Rolle des Lehrers beim Mobbing, 2010.
4 vgl. Korn, Stefan: Mobbing in Schulklassen- systematische Schikane,2016, S. 4.
5 vgl. Olweus, Dan: Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten- und tun konnen, 2006, S. 22.
6 vgl. Teuschel, Peter; Heuschen, Klaus W.: Bullying. Mobbing bei Kindern und Jugendlichen, 2013, S. 5.
7 vgl. ebd. S.4.
8 Olweus, 2006, S.11.
9 vgl. Leymann, Heinz: Der neue Mobbing-Bericht, 1995, S.14.
10 vgl. Olweus, 2006, S.23.
11 vgl. Teuschel; Heuschen, 2013, S. 11.
12 Olweus, 2006, S.22f.
13 vgl. ebd. S.23.
14 vgl. Scheithauer, Herbert; Hayer, Tobias; Petermann, Franz: Bullying unter Schulern. Erscheinungsformen, Risikobedingungen und Interventionskonzepte, 2003, S.19.
15 vgl. Jannan, 2015, S. 22.
16 vgl. Olweus, 2006, S.22f.
17 vgl. Kindler, Wolfgang: Gegen Mobbing und Gewalt! Ein Arbeitsbuch fur Lehrer und Schuler und Peergruppen, 2002, S. 20.
18 vgl. Jannan, 2015, S.16.
19 vgl. Wachs, Sebastian; Hess, Markus, Scheithauer, Herbert; Schubarth, Wilfried: Mobbing an Schulen. Erkennen- Handeln- Vorbeugen, 2016, S.30.
20 Jannan, 2015, S. 23.
21 vgl. Schuster, Beate: Bullying/Mobbing in der Schule: Ein Uberblick uber neuere Erkenntnisse zu Formen, Ursachen, Konsequenzen und Interventionen bei sozialer Aggression, 2007, S. 87.
22 vgl. Alsaker, Franqoise D.: Mutig gegen Mobbing in Kindergarten und Schule, 2012, S.68.
23 vgl. Scheithauer et al., 2003, S.39.
24 Schuster, 2007, S.88.
25 vgl. Scheithauer et al., 2003, S.40.
26 vgl. Schafer, Mechthild: Mobbing unter Schulern, 2007, S.4.
27 vgl. Alsaker, 2012, S. 25.
28 vgl. Wachs et al., 2016, S.27.
29 vgl. Alsaker, 2012, S.25.
30 vgl. Alsaker, Frangoise D.: Qualgeister und ihre Opfer. Mobbing unter Kindern- und wie man damit umgeht, 2003, S.22.
31 vgl. Alsaker, 2012, S.26.
32 vgl. Wasilewski, Katja: Mobbing an weiterfuhrenden Schulen. Ursachen, Prozesse und wie die Schulen reagieren konnen, 2012, S.17.
33 vgl. Alsaker, 2012, S.27
34 vgl. ebd. S.29f.
35 vgl. Alsaker, 2003, S.23.
36 Riebel, Julia: Mobbing an Schulen, 2011, S.187.
37 vgl. Alsaker, 2003, S.23.
38 vgl. Scheithauer et al., 2003, S.31.
39 vgl. ebd. S.34.
40 vgl. Craig & Pepler, 1995; Salmivalli, Lagerspetz, Bjorkqvist, Osterman & Kaukiainen, 1996; Schafer & Korn, 2004.
41 vgl. Craig, Wendy M.; Pepler, Debra J.: Peer Peer processes in bullying and victimization: An observational study, 1995, S.88.
42 vgl. Salmivalli, Christina; Lagerspetz, Kirsti; Bjorkqvist, Kaj; Ostermann, Karin; Kaukiainen, Ari: Bullying as a Group Process: Participant Roles and Their Relations to Social Status Within the Group,1996, S.4.
43 vgl. Salmivalli et al., 1996, S.4f.
44 vgl. Alsaker, 2003, S.31.
45 vgl. Salmivalli et al., 1996, S.4.
46 vgl. Salmivalli et al., 1996, S.6.
47 vgl. ebd., S.7.
48 vgl. Sutton, J.; Smith, P.K.: Bullying as a Group Process: An Adaption of the Participant Role Approach, 1999, S.99ff.
49 vgl. Schafer, Mechthild: Korn, Stefan: Bullying als Gruppenphanomen: Eine Adaption des “Participant - Role“- Ansatzes, 2004, S.8.
50 vgl. ebd. S.19.
51 vgl. Riebel, 2011, S.188.
52 vgl. Schafer, Mechthild; Herpell Gabriela: DU OPFER. Wenn Kinder Kinder fertigmachen, 2010, S.89.
53 vgl. Jannan, 2015, S.32f.
54 vgl. Olweus, 2009, S.288.
55 vgl. Jannan, 2015, S.32.
56 vgl. Losel, Friedrich; Bliesener, Thomas; Averbeck, Mechthild: Erlebens- und Verhaltensprobleme von Tatern und Opfern, 2009, S.139.
57 vgl. Teuschel; Heuschen, 2013, S.121f.
58 vgl. Olweus, 2006. S.44.
59 vgl. Teuschel; Heuschen, 2013, S.125.
60 Schafer; Korn, 2004, S.5.
61 vgl. Alsaker, 2003, S.137 / Losel et al., 2009, S.146f.
62 vgl. Jannan, 2010, S.34.
63 Teuschel; Heuschen, 2013, S.164.
64 Schafer, Mechthild: Mobbing im Klassenzimmer, 2008, S.520.
65 vgl. Korn, 2006, S.6.
66 vgl. Alsaker, 2012, S.75.
67 vgl. Olweus, 2009, S.286.
68 vgl. ebd. 286.
69 vgl. Olweus, 2006, S.43.
70 vgl. Losel et al., 2009, S.139.
71 vgl. Teuschel; Heuschen, 2013, S.96.
72 vgl. Alsaker, 2003, S.167.
73 vgl. ebd., S.126ff.