Persistente Ungleichheiten. Die Bedeutung sozialer Herkunft für den Erwerb von Bildungszertifikaten in Westdeutschland

Eine empirische Analyse auf Basis des ALLBUS von 1980 bis 2014


Dossier / Travail, 2018

30 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1 Einleitung und Fragestellung

2 Theorien herkunftsspezifischer Differenzen in der Bildungsbeteiligung

3 Forschungsstand

4 Hypothesen

5 Operationalisierung und Methodologie

6 Ergebnisse

7 Schlussbemerkung

QUELLEN-/LITERATURVERZEICHNIS

EIGENSTÄNDIGKEITSERKLÄRUNG

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abb. 1: Variablenübersicht

Abb. 2: Der höchste Schulabschluss nach Geburtskohorte und Geschlecht

Abb. 3: (Fach)Hochschulabsolventen nach Geburtskohorte und Geschlecht

Abb. 4: Der höchste Schulabschluss nach Geschlecht und Bildungsniveau der Eltern

Abb. 5: Logistische Regression: Der Einfluss des elterlichen Bildungsniveaus auf den Erwerb der (Fach)Hochschulreife von Männern nach Geburtskohorte (Odds Ratios)

Abb. 6: Logistische Regression: Der Einfluss des elterlichen Bildungsniveaus auf den Erwerb der (Fach)Hochschulreife von Frauen nach Geburts- kohorte (Odds Ratios)

Abb. 7: Der prozentuale Anteil von Hochschulabsolventen nach Geschlecht und Bildungsniveau der Eltern

Abb. 8: Logistische Regression: Der Einfluss des elterlichen Bildungsniveaus auf den Erwerb eines (Fach)Hochschulabschlusses von Männern nach Geburtskohorte (Odds Ratios)

Abb. 9: Logistische Regression: Der Einfluss des elterlichen Bildungsniveaus auf den Erwerb eines (Fach)Hochschulabschlusses von Frauen nach Geburtskohorte (Odds Ratios)

Abb. 10: Logistische Regression: Der Einfluss des elterlichen Bildungsniveaus auf die Bildungsbeteiligung im Lebensverlauf (Odds Ratios)

QUELLEN-/LITERATURVERZEICHNIS

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Abstract

In dieser Arbeit soll empirisch untersucht werden, inwieweit sich der Einfluss des elterlichen Bildungsniveaus auf den Erwerb höherer Bildungszertifikate im Zeitverlauf verändert hat. Im Zuge der Bildungsexpansion hat die Bedeutung hoher Schulbildung bis hin zur tertiären Bildung stark zugenommen. Obwohl sich Zugangsbarrieren zur gymnasialen Oberstufe und zum (Fach)Hochschulstudium in den letzten Jahrzehnten gelockert haben, zeigen sich nach wie vor Selektivitäten und Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung. Insbesondere das Bildungsniveau der Eltern wird als ein wichtiger Faktor für herkunftsspezifische Ungleichheiten diskutiert. Im Fokus dieser Analyse steht daher die Frage, ob der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Bildungsbeteiligung eher ab- oder sogar zugenommen haben und welche Rolle dabei das Geschlecht der Eltern spielt. Analyseschwerpunkt sind dabei Westdeutsche ohne eigene Migrationserfahrungen, die zwischen 1920 und 1989 geboren wurden. Als Datengrundlage dient der kumulierte ALLBUS-Datensatz von 1980-2014. Im Ergebnis hat sich gezeigt, dass die Bildungsbeteiligung insgesamt stark zugenommen hat, vor allem bei Frauen. Auch herkunftsspezifische Ungleichheiten haben sich im Zeitverlauf reduziert. Gleichwohl bestehen nach wie vor ungleiche Chancenverhältnisse zwischen bildungsnahen und bildungsfernen Familien, wobei Frauen davon stärker betroffen sind als Männer. Die Analyse hat zudem gezeigt, dass der Einfluss des elterlichen Bildungsniveaus auf den Erwerb höherer Bildungszertifikate im Bildungsverlauf abnimmt. So ist die Einflussnahme der sozialen Herkunft beim Erwerb eines (Fach)Hochschulabschlusses nicht mehr so stark ausgeprägt wie beim Erwerb der (Fach)Hochschulreife.

EIGENSTÄNDIGKEITSERKLÄRUNG

Hiermit versichere ich, die vorliegende Hausarbeit eigenständig verfasst und keine anderen als die von mir angegebenen Hilfsmittel verwendet zu haben. Alle Passagen, die ich wörtlich aus der Literatur oder aus anderen Quellen wie z. B. Internetseiten übernommen habe, wurden deutlich als Zitat mit Angabe der Quelle kenntlich gemacht.

Leipzig, 09. März 2018

1 Einleitung und Fragestellung

Eine hohe Bildung galt über Jahrhunderte hinweg als ein besonderes Privileg für gehobene Schichten. Insbesondere der Eintritt in ein Hochschulstudium, geschweige denn die Erlangung der allgemeinen Hochschulreife, war für Kinder aus unteren Schichten lange Zeit kaum eine Perspektive. Doch vor allem seit Beginn der einsetzenden Bildungsexpansion ab dem 20. Jahrhundert weichen sich die Zugangsbarrieren für höhere Bildung allmählich auf und eröffnen auch für Kinder unterer Schichten bessere Bildungsmöglichkeiten. Heute stehen in Deutschland die Erlangung des Abiturs oder die Aufnahme eines Hochschulstudiums für alle offen, sofern die Zugangsvoraussetzungen sowie die nötigen Leistungsanforderungen erfüllt sind. Die Differenzierung unterschiedlicher Bildungswege, wie Berufskollegs oder Fach(hoch)schulen, ermöglicht zudem auch alternative Möglichkeiten, um eine bessere Bildung zu erzielen (vgl. Lörz/Schindler 2011: 459). Doch gerade dabei zeigen sich nach wie vor Mechanismen sozialer Selektionen. Denn neben den verschiedenen Leistungsniveaus der Schüler werden unter anderem auch die durch die verschiedenen Bildungswege erforderten Entscheidungen als wichtige Aspekte diskutiert, bei denen sich Differenzen bezüglich der sozialen Herkunft offenbaren.

Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit sich im Zuge der Bildungsexpansion die herkunftsspezifischen Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung im Zeitverlauf verändert haben. Dabei hat sich vor allem der Bildungshintergrund des Elternhauses als entscheidende Einflussgröße herausgestellt (vgl. Lörz/Schindler 2011: 467). In dieser Arbeit soll daher empirisch untersucht werden, welche Rolle das elterliche Bildungsniveau für den Bildungsabschluss der Kinder im Zeitverlauf einnimmt und inwieweit sich geschlechtsspezifische Differenzen sowohl bei den Befragten als auch bei den Eltern ergeben. Neben dem allgemeinen Schulabschluss, insbesondere das Erreichen des (Fach)Abiturs, soll auch der Übergang von der sekundären zur tertiären Bildung, genauer gesagt zum (Fach)Hochschulabschluss, im Fokus stehen. Der Schwerpunkt der Analyse wird dabei bei Westdeutschen ohne eigene Migrationserfahrung liegen, die zwischen 1920 und 1989 geboren wurden. Als Datengrundlage fungiert der kumulierte ALLBUS-Datensatz, bei dem zwischen Januar 1980 und September 2014 mithilfe einer mehrstufig geschichteter Zufallsstichprobe insgesamt 61.194 Personen befragt wurden (Allerbeck et al. 2016).

2 Theorien herkunftsspezifischer Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung

Zunächst soll auf einige theoretische Ansätze aufmerksam gemacht werden, die einen Erklärungsversuch herkunftsspezifischer Differenzen in der Bildungsbeteiligung begründen. Im Fokus stehen dabei Mechanismen der sozialen Selektion und die Frage, inwiefern die Bildungsexpansion Einfluss darauf nimmt. Zudem sollen Ansätze vorgestellt werden, die sich konkret auf herkunftsspezifische Ungleichheiten beim Übergang vom sekundären ((Fach)Abitur) zum tertiären Bildungsweg ((Fach)Hochschulstudium) beziehen.

Ein erster Erklärungsansatz zum Einfluss der Bildungsexpansion auf herkunftsspezifische Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung stellt die Modernisierungstheorie nach Treiman dar (Traiman 1970/Traiman und Yip 1989). Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist der Wandel der Arbeits- und Berufsbedingungen moderner Gesellschaften beim Übergang von einer Industrie- zu einer zunehmenden Dienstleistungsgesellschaft, der vor allem von einer gesteigerten Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften und damit auch einer besseren Bildung gekennzeichnet ist (vgl. Müller/Haun 1994: 3f.). Im Zuge einer weitgehenden Öffnung des Bildungssystems für alle Sozialschichten, die auch eine kostenlose und allgemeine Bildung gewährleisten soll, schwindet der Modernisierungstheorie nach der Einfluss der sozialen Herkunft auf den Bildungserfolg der Kinder, während gleichzeitig die Bildungsbeteiligung ansteigt. Doch welche Mechanismen für einen überproportionalen Anstieg der Bildungsbeteiligung unterer Schichten ausschlaggebend sind, wird in der Modernisierungstheorie nicht beantwortet (vgl. Schimpl-Neimanns 2000: 3f.).

Dem gegenüber stehen zum Beispiel macht- und konflikttheoretische Ansätze, die davon ausgehen, dass herkunftsspezifische Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung im Zuge der Bildungsexpansion nicht abgenommen haben, sondern nach wie vor bestehen. Bourdieu (2014; Bourdieu/Passeron 1971) erklärt dieses Phänomen beispielsweise damit, dass in höheren Sozialschichten die elterliche Weitergabe von kulturellem Kapital an die Kinder ausschlaggebend für die Reproduktion von Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung ist. Kulturelles Kapital besteht nach Bourdieu nicht nur in den Bildungstiteln selbst, sondern auch in speziellen kulturellen Gegenständen wie Bücher, Bilder oder Musikinstrumente, aber auch in kognitiven Kompetenzen und Fertigkeiten, die zum Beispiel zur Rezeption von Literatur oder Gemälden befähigen (vgl. Rössel/Beckert-Zieglschmid 2002: 498; Bourdieu 2014: 36, 80). Kinder aus Elternhäusern mit hohem kulturellen Kapital haben demnach bessere Ausgangsbedingungen für eine erfolgreiche Erlangung hoher Bildungszertifikate. Gleichwohl spiele dabei auch der Habitus eine zentrale Rolle. So schätzen Eltern und Kinder aus unteren Sozialschichten die individuelle Leistungsfähigkeit und die Erfolgsaussicht höherer Bildung wesentlich niedriger ein als Familien in höheren Schichten, was sich schließlich auch in der späteren Wahl der Schulform widerspiegelt. So wird davon ausgegangen, dass sich Familien aus unteren Schichten selbst bei gleichem Leistungsniveau der Schüler häufiger für den Besuch einer Realschule anstatt eines Gymnasiums entscheiden als dies bei höheren Schichten der Fall ist (vgl. Bourdieu/Passeron 1971: 178; Bourdieu 1973: 106; Schimpl-Neimanns 2000: 4).

Differenzen in der Entscheidung für bestimmte Schulformen und Bildungszertifikate werden daher insbesondere auch in mikrosoziologischen Ansätzen diskutiert. So kritisiert Boudon (1974) den Ansatz Bourdieus, dass in unteren Schichten eine „Selbstlimination“ ausschlaggebend für die Wahl der Schulausbildung sei und betont, dass die Entscheidung vielmehr im Kontext einer Bildungsinvestition betrachtet werde müsse, bei der der spätere Nutzen eines bestimmten Bildungszertifikats mit den Kosten abgewogen wird. In unteren Schichten würden die Kosten (z.B. Kosten der Ausbildung, Schul- bzw. Studiengebühren, entgangenes Einkommen) häufiger den Nutzen überwiegen. Zudem seien untere Schichten risikoscheuer (vgl. Schimpl-Neimanns 2000: 5f.). Diese Risikoaversion spiegele sich auch beim Übergang vom sekundären zum tertiären Bildungssektor wider. Schulabgänger mit (Fach)Hochschulreife aus unteren Sozialschichten würden demzufolge häufiger von einer Doppelqualifizierung Gebrauch machen, indem zunächst eine nicht-akademische Ausbildung absolviert wird und erst im Anschluss ein mögliches (Fach)Hochschulstudium in Erwägung gezogen wird. Diese Strategie stelle eine Art „Versicherung“ dar, falls das Studium scheitern sollte (vgl. Büchel/Helberger 1995; Jacob et al. 2013: 3). Müller und Pollak (2007) gehen hingegen von einer „Umlenkungsthese“ aus, nach der eine Vielzahl attraktiver nicht-akademischer Alternativen dazu führt, dass Schulabsolventen von der Aufnahme eines (Fach)Hochschulstudiums abgelenkt werden. Eine Studie von Becker und Hecken (2009) hat gleich zwei Selektionsmechanismen bei den Übergängen dieser „Doppelqualifizierung“ aufgedeckt: Zum einen entscheiden sich Schulabsolventen aus unteren Schichten zunächst häufiger für eine Berufsausbildung und nach dem Abschluss dieser Berufsausbildung nehmen vor allem Absolventen aus höheren Schichten ein anschließendes (Fach)Hochschulstudium auf (vgl. Jacob et al. 2013: 3f.).

3 Forschungsstand

Eine erste Studie von Schimpl-Neimanns (2000), die sich u.a. auf den Mikrozensus bezieht, hat gezeigt, dass die Bildungsbeteiligung in Deutschland zwischen 1950 und 1989 insgesamt gestiegen ist. Bis zu Beginn der 1980er Jahre konnte ein starker Anstieg sowohl von Schülern in Realschulen als auch an Gymnasien beobachtet werden. Gegen Ende der 1980er Jahre hingegen stieg der prozentuale Anteil an Realschülern und Gymnasiasten nur noch geringfügig. Insgesamt hat sich zwischen 1950 und 1989 der Anteil an Realschülern etwa vervierfacht, der Anteil an Gymnasiasten ist sogar um das Fünffache gestiegen. Die Studie hat auch geschlechtsspezifische Differenzen festgestellt. Während bis 1970 noch mehr Jungen als Mädchen ein Gymnasium besuchten, sind seit den 1980er Jahren etwas mehr Mädchen als Jungen an Gymnasien vertreten. An Realschulen sind Mädchen hingegen unverändert überrepräsentiert (vgl. ebd.: 23ff.). Damit liegt der Schluss nahe, dass Mädchen im Zuge der Bildungsexpansion etwas stärker profitieren als Jungen. Bezüglich des Bildungsniveaus des Elternhauses hat sich gezeigt, dass es nach wie vor Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung gibt. Im Jahr 1950 besuchten lediglich ein Prozent der 14-18jährigen Jugendlichen ein Gymnasium, deren elterliches Bildungsniveau höchstens ein Volksschulabschluss ist, während der Anteil bei Kindern aus Elternhäusern mit (Fach)Hochschulniveau bei 51 Prozent lag, was einem Quotenverhältnis von etwa 1:103 entspricht. 1989 lag der Anteil der Gymnasiasten aus Elternhäusern mit Volksschulniveau bei zehn Prozent, der bei Kindern aus Familien mit (Fach)Hochschulniveau bei 74 Prozent, was einem Quotenverhältnis von etwa 1:25 entspricht (ebd.: 27). Das heißt, obwohl der Einfluss des elterlichen Bildungsniveaus auf die Chance, ein Gymnasium zu besuchen, im Zeitverlauf deutlich abgenommen hat, zeigt die Studie nach wie vor starke Selektivitäten in der herkunftsspezifischen Bildungsbeteiligung auf.

Eine zweite Studie von Lörz und Schindler (2011), die sich auf den Mikrozensus sowie die HIS-Studienberechtigtenbefragungen jeweils von 1976 bis 2006 bezieht, hat ebenso starke herkunftsspezifische Ungleichheiten beim Erwerb der (Fach)Hochschulreife sowie eines (Fach)Hochschulabschlusses festgestellt, wobei der Einfluss der sozialen Herkunft bei dem Übergang von der sekundären zur tertiären Bildungsstufe ((Fach)Hochschulstudium) wesentlich geringer ausfällt als beim Erreichen eines (Fach)Abiturs. Vor allem das elterliche Bildungsniveau hat sich als einen wichtigen Determinanten dieser Ungleichheiten herausgestellt (vgl. ebd.: 466ff.). Auch die geschlechtsspezifischen Differenzen, die bereits bei Schimpl-Neimanns festgestellt wurden, konnte die Studie bestätigen. Hierbei hat sich jedoch gezeigt, dass der Erwerb der Hochschulreife bei Frauen in sämtlichen Herkunftskategorien tendenziell gestiegen ist, bei Männern hingegen lediglich bei den zwei unteren Kategorien (Arbeiter mit Hauptschulabschluss sowie Selbständige mit Hauptschulabschluss oder Mittlerer Reife). Dennoch hat sich bestätigt, dass der Erwerb der Hochschulreife unabhängig vom Geschlecht bei Schülern aus bildungsnahen Familien am wahrscheinlichsten ist, die Chancen für Schüler aus bildungsfernen Familien am geringsten (vgl. ebd. 467). Beim Übergang ins Studium hat sich sowohl bei Frauen als auch bei Männern ein leicht u-förmiger Zusammenhang abgebildet. Zwischen 1976 und dem Beginn der 1980er Jahre sank die Studierquote zunächst, stieg dann jedoch wieder an. Der anfängliche Rückgang der Studierquote ist dabei bei Schülern aus bildungsfernen Familien stärker ausgeprägt. Insgesamt zeigt sich auch hier, dass Schüler aus bildungsnahen Familien deutlich häufiger ein Studium aufnehmen als Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern. Auffällig ist dabei, dass die Differenzen der sozialen Herkunft bei Frauen etwas stärker ausgeprägt sind als bei Männern und dass die Studierquote bei Frauen etwas geringer ausgeprägt ist als bei Männern. Für den geringeren Einfluss der sozialen Herkunft auf den zweiten Übergang (Aufnahme eines Studiums, im Vergleich zum Übergang auf ein Gymnasium), werden insbesondere zwei Erklärungen diskutiert: Zum einen die „Selektionsthese“ (vgl. Mare 1980/1981), die von einer homogeneren Gruppe der Studienberechtigten bezüglich ihrer Leistung und Motivation ausgeht und zum anderen die „Lebenslaufhypothese“ (vgl. Müller/Karle 1993), nach der die Entscheidung für ein Hochschulstudium unabhängiger vom Elternhaus ist als dies noch beim Übergang auf ein Gymnasium der Fall ist. Gleichwohl stellt die Studie im Zeitverlauf eine tendenzielle Steigerung der herkunftsspezifischen Ungleichheit beim Übergang in ein Studium fest, insbesondere in den 1980er Jahren. Bei Frauen ist der Anstieg stärker ausgeprägt als bei Männern, was die Autoren damit erklären, dass Frauen stärker auf Veränderungen im Arbeitsmarkt und den Rahmenbedingungen im Studium reagieren (vgl. Lörz/Schindler 2011: 469f.).

Auch eine Untersuchung von Beicht und Walden (2015) kommt zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, das (Fach)Abitur zu erwerben, umso größer wird, je höher das elterlicher Bildungsniveau ist. Diese Analyse basiert auf der BIBB-Übergangsstudie 2011, bei der retrospektiv die Bildungs- und Berufsbiographie von über 5.000 deutschen Jugendlichen erfasst wurde, die zwischen 1987 und 1992 geboren wurden (vgl. ebd.: 160). So wurde festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit, die Hochschulreife zu erwerben, bei Frauen aus Akademikerfamilien um 38,7 Prozentpunkte größer ist als bei Frauen aus Elternhäusern, die maximal die Mittlere Reife erworben haben und keinen Berufsabschluss aufweisen. Auch bei Männern zeigen sich diese Effekte, jedoch in geringerem Ausmaß. Männer aus Elternhäusern mit einem Hochschulabschluss weisen eine 25,6 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit auf, die Hochschulreife zu erlangen als Männer aus Elternhäusern, die keinen Berufsabschluss erworben haben (vgl. ebd.: 161).

4 Hypothesen

Unter Berücksichtigung des eben vorgestellten Forschungsstandes sowie den theoretischen Überlegungen zum Zusammenhang zwischen der Bildungsbeteiligung und der sozialen Herkunft, sollen in dieser Arbeit folgende Hypothesen empirische geprüft werden:

H1a Der Anteil der SchulabgängerInnen, die die Mittlere Reife, die (Fach)Hochschulreife oder einen (Fach)Hochschulabschluss erworben haben, ist im Zeitverlauf gestiegen.

H1b Bei Frauen ist der Anteil von AbsolventInnen der Mittleren Reife, der (Fach)Hochschulreife und eines (Fach)Hochschulstudiums im Zeitverlauf stärker gestiegen als bei Männern.

Die ersten beiden Hypothesen (H1a und H1b) beziehen sich auf die zeitliche Entwicklung der Bildungsbeteiligung. Es wird davon ausgegangen, dass im Zuge der Bildungsexpansion der Erwerb höherer Bildungszertifikate gestiegen ist. Aufgrund der zunehmenden Emanzipation der Frau und dem Wandel von Geschlechtsnormen wird zudem die Bedeutung hoher Bildung für eine erfolgreiche Karriere und die Integration in den Beruf für Frauen immer wichtiger. Daher wird angenommen, dass der Anstieg der Bildungsbeteiligung bei Frauen im Zeitverlauf stärker ausgeprägt ist als bei Männern. Im Falle des (Fach)Hochschulstudiums soll darüber hinaus geprüft werden, ob der von Lörz und Schindler (2011) festgestellte u-förmige Zusammenhang in der Studierquote in dieser Analyse bestätigt werden kann. Dabei wird sich jedoch ausschließlich auf den erfolgreichen (Fach)Hochschulabschluss bezogen und nicht auf die Aufnahme eines Studiums.

[...]

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Résumé des informations

Titre
Persistente Ungleichheiten. Die Bedeutung sozialer Herkunft für den Erwerb von Bildungszertifikaten in Westdeutschland
Sous-titre
Eine empirische Analyse auf Basis des ALLBUS von 1980 bis 2014
Université
University of Leipzig  (Institut für Soziologie)
Note
1,7
Auteur
Année
2018
Pages
30
N° de catalogue
V452637
ISBN (ebook)
9783668868038
ISBN (Livre)
9783668868045
Langue
allemand
Mots clés
Bildung, Bildungsungleichheiten, soziale Herkunft, soziale Ungleichheiten, Bildungsniveau, Bildungsexpansion
Citation du texte
Elias Kühnel (Auteur), 2018, Persistente Ungleichheiten. Die Bedeutung sozialer Herkunft für den Erwerb von Bildungszertifikaten in Westdeutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/452637

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