Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
1. Theoretische Grundlagen
1.1 Organisationstheorie allgemein
1.2 Crozier & Friedberg - strategische Organisationsanalyse
2. Praxisbeispiel zusammengefasst
2.1 Die Organisation im Überblick
2.2 Das Fallbeispiel zusammengefasst
3. Analyse
3.1 Akteurskonstellationen
3.2 Machtquellen
3.3 Spiele und Strategien
4. Fazit
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Vereinsstruktur vereinfacht dargestellt 10
Einleitung
Wer sich ehrenamtlich in Vereinen engagiert, dort sogar Aufgaben im geschäftsführenden Vorstand übernimmt oder den Vorstandssitzungen beisitzen soll, der hat mitunter einmal erfahren, wie in Vereinen Entscheidungen anhand von ausgehandelten Machtverhältnissen getroffen werden. Vereine übernehmen teils gesellschaftlich-soziale Aufgaben, die oft ein hohes Maß an interner Organisation und damit Entscheidungsfindung erfordern und sich auch in externe Organisationssysteme wie Brauchtümer, Sozialsysteme, Kirchensystem oder Ähnliche einfügen müssen. Daher sind Vereine als Organisationen aus mikropolitischer Perspektive genau so interessant wie Parteien, Unternehmen oder die öffentliche Verwaltung, weil sie oft ähnliche Strukturen und Konstellationen im Vergleich zu großen Organisationen aufweisen. Nach diesen können sie somit auch untersucht werden. Dies wird in dieser Arbeit anhand eines anonymisierten, real vorgekommenen Beispiels illustriert.
Der Autor dieser Arbeit ist Vizepräsident eines Vereins, welcher in der Brauchtumspflege zu verorten ist. Der Verein zählt in der Stadt, in der er im Vereinsregister vermerkt ist, zu einem der größten der lokalen Brauchtumspflege. Interessant aus mikropolitischer Sicht ist der Vorfall des Kassiererwechsels, welcher in dieser Arbeit unter Anwendung der Theorie der Zwänge kollektiven Handelns von Michel Crozier und Erhard Friedberg und den damit verbundenen drei Kernbegriffen Macht, Spiel und Strategie untersucht wird. Mittels der theoretischen Grundbegriffe Crozier und Friedbergs soll demonstriert werden, wie simpel erscheinende Alltagsphänomene mikropolitisch analysiert und erklärt werden können.
Kapitel eins leitet in die Thematik ein und stellt zunächst grundlegende Annahmen der Organisationstheorie und der strategischen Organisationsanalyse dar. Dies dient zur allgemeinen Einordnung des Forschungsgegenstandes in den wissenschaftlichen Diskurs. Im zweiten Kapitel wird das Praxisbeispiel anonymisiert nachgezeichnet, um den Leser auf die in Kapitel drei anschließende Analyse vorzubereiten. Kapitel drei analysiert das Praxisbeispiel mit Hilfe von Crozier und Friedbergs Begriffen Macht, Spiel, Strategie und Akteurskonstellationen. Abschließend werden die Analyseergebnisse in Kapitel vier zusammengefasst und die Arbeit mit einem persönlichen Fazit beendet.
1. Theoretische Grundlagen
1.1 Organisationstheorie allgemein
Konzepte und Modelle der Organisationstheorie intendieren grundsätzlich, implizit oder explizit zur Verbesserung der Organisationspraxis beizutragen, indem sie das Zustandekommen, Fortbestehen und die Funktionsweisen von Organisationen erklären und verstehen wollen (Marti/ Scherer, 2014, S.15). Ausgangspunkt ist, dass alle Menschen ein bereits intuitives Alltagswissen über die Funktions- und Organisationsweisen von Organisationen besitzen. Das Wissen der Organisationstheorie unterscheidet sich von diesem Alltagswissen einmal durch ein systematisches Vorgehen bei der Analyse von Organisationen und zum anderen durch intersubjektive Nachvollziehbarkeit (vgl. ebd. s.15).
Innerhalb der Organisationstheorien setzen ihre Vertreter verschiedene Schwerpunkte bei der Beschreibung und Erklärung von Organisationen. Der Fokus kann auf das Verhalten von Individuen in Organisationen (mikro), das Verhalten partikulā- rer Einheiten von Organisationen und ihren Strukturen (meso) oder auf die Beziehung zwischen Organisationen und der Umwelt (makro) gerichtet werden, weswegen Jerald Hage 1980 in seinem Werk ״Theories of Organizations: Form, Process and Transformation“ dreistufig zwischen Mikro-, Meso- und Makrotheorien der Organisation unterscheidet (vgl. ebd. S.16). Weiter ausdifferenziert wird diese Unterteilung dadurch, dass Vertreter Teilaspekte entweder explizit oder implizit aus Positionen unterschiedlicher Wissenschaftsverständnisse betrachten und daraus ihre eigenen organisationstheoretischen Prämissen ableiten (vgl. ebd. s.16). Prominente Strömungen sind unter anderem interpretative Ansätze, postmoderne Konzepte, funktionalistische und systemtheoretische Ansichten oder auch Rational-Choice- Konzepte. Deutlich wird, dass innerhalb der Organisationstheorien keine allgemeine, allumfassende Theorie der Organisation formulierbar ist, sondern die einzelnen Theorien mit ihrer jeweiligen Betrachtung zu einer Reflexion organisatorischer Alltagspraxis beitragen und implizite oder explizite Verbesserungsansätze aufzeigen.
Allgemein untersuchen Organisationstheorien Organisationen nach unterschied!¡- Chen Perspektiven und fragen mittels Reflexion nach der Organisationspraxis und wie diese verbessert werden kann.
1.2 Crozier & Friedbergstrategische Organisationsanalyse
Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand ״Organisation“ entwickelten Michel Crozier und Erhard Friedberg die strategische Organisationsanalyse unter dem Titel ״Die Zwänge kollektiven Handelns - über Macht und Organisation“ (Crozier/Friedberg, 1993). Den Autoren zufolge basiert die Theorie auf Erkenntnissen aus über zwanzig Jahren soziologischer Analyse von Verwaltungs- und Industrieorganisationen. Sie heben aber deutlich hervor, dass sie keineswegs eine in sich kohärente und geschlossene Theorie zur substantiellen Analyse von Organisationen aufstellen wollten. Vielmehr ist ihr Werk eine Sammlung einfacher Beschreibungen der Probleme von Organisationen sowie der Mittel der Organisationsmitglieder, diese Hindernisse zu überwinden, um gemeinsame Ziele zu erreichen und durch Zusammenarbeit für die Zukunft zu gewährleisten (vgl. ebd. S.1-2).
Crozier und Friedberg stellen in ihrem Denkansatz Organisationen nicht als primäre soziale Objekte in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung, sondern richten ihren Blick auf das organisatorische Handeln der Akteure innerhalb der Organisation (vgl. ebd. s. 2). Die zentrale Fragestellung lautet daher: ״Unter welchen Bedingungen und verbunden mit welchen Zwängen ist kollektives, d.h. organisiertes Handeln der Mensehen möglich“ (ebd. S.7)? Die Autoren nehmen an, dass kollektive Handlungen und Handlungsweisen keine natürlichen Gegebenheiten sind, die zufällig auftreten und selbstverständlich sind, sondern dass diese ein von den Akteuren im zeitlichen Verlauf ein selbst entwickeltes Ergebnis ihrer Interaktionen ist, das es ihnen möglich macht, sich zu organisieren (vgl. ebd. s.7).
Gestützt auf die ״natürlichen“ Ungewissheiten der zu lösenden Probleme, stellt sich jede Struktur kollektiven Handelns als Machtsystem dar. Sie ist ein Machtphänomen, das als solches zugleich Auswirkung und Ausübung von Macht beinhaltet. Als menschliches Konstrukt ordnet, regularisiert, ״zähmt“ und schafft sie Macht, um den Menschen ihre Zusammenarbeit in kollektiven Vorhaben zu ermöglichen. Jede ernstzunehmende Analyse kollektiven Handelns mu[ss] also Macht in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen, denn kollektives Handeln ist im Grunde nichts anderes als tagtäg- liehe Politik. Macht ist ihr ״Rohstoff“ (ebd. S.14, Hervorheb. im Orig.).
״Macht ist also eine Beziehung, und nicht ein Attribut der Akteure“ (ebd. S.39). Der Schluss, dass menschliche Zusammenarbeit und Organisation ein logisches und objektiv strukturiertes Phänomen ist, wird somit zurückgewiesen. Organisation ist den Autoren nach die Summe von Koalitionen politisch bzw. mikropolitisch agie- render Personen und Machtbeziehungen in Organisationen, die den zentralen Untersuchungsgegenstand darstellen. Damit verbunden sind für die strategische Organisationsanalyse drei prägnante Begriffe: Macht, Strategie und Spiel.
Auf der obersten Betrachtungsebene ist Macht die verfügbare Möglichkeit bestimmter Individuen oder Gruppen, auf wiederum andere Individuen oder Gruppen einzuwirken (vgl. ebd. S.39). Sie hat den Autoren nach mehrere Eigenschaften. Zum einen ist Macht eine instrumenteile Beziehung, worunter verstanden wird, dass eine Machtbeziehung kein Selbstzweck ist, sondern nur unter Ausrichtung auf ein Ziel, das die Akteure erreichen wollen, ihren Sinn bekommt (vgl. ebd. S.40). Zweitens ist Macht eine nicht-transitive Beziehung, was bedeutet dass Macht nicht einfach von Akteur oder Gruppe A auf wiederum solche B, und von B auf c übertragen werden kann (vgl. ebd. s.40). Sie kann vereinfacht gesagt also nicht beliebig flexibel weitergegeben werden. Drittens, Macht ist eine ״[...] gegenseitige, aber unausgewogene Beziehung [...]“ (ebd. s.40). Gegenseitig meint in diesem Zusammenhang, dass Akteure oder Gruppen bei sozialer Interaktion immer über gewisse Machtressourcen verfügen. Wenn ein Akteur dieser Beziehung über keine Macht mehr verfügt, dann ist Interaktion nicht mehr möglich, weil er den Status als selbstbestimmter Akteur verliert und von einem Akteur zu einer Art ״Gegenstand“ verdinglicht wird. Beide Akteure haben immer etwas in die Beziehung bzw. Interaktion einzubringen, wenn dies einer jedoch nicht mehr kann, ist er für den anderen unattraktiv und es würde zu keiner Interaktion oder Beziehung kommen. Zur Vereinfachung lässt sich die Metapher eines klassischen Tauschgeschäfts heranziehen. Unausgewogen bedeutet hierbei, dass Macht immer ein Kräfteverhältnis darstellt, das in der Regel nie ausgeglichen ist, aber auch niemals völlig einseitig verläuft.
Nach Crozier und Friedberg resultiert die Macht eines Organisationsmitgliedes aus der Kontrolle von ״Ungewissheitszonen“, d.h. aus Aspekten der Organisation, die für andere Organisationsmitglieder nicht kontrollierbar, aber für die Verwirklichung ihrer Interessen und Ziele maßgeblich von Bedeutung sind (Kaufmann, 2012, s. 43). Aus diesen Ungewissheitszonen leiten die Autoren vier Quellen von Macht ab: Expertentum (1), Kontrolle über Umweltschnittstellen (2), Kontrolle über Informationsund Kommunikationskanäle (3) und die Nutzung organisatorischer Regeln (4) (vgl. Crozier/ Friedberg, 1993, s.50-55).
Das Expertentum kennzeichnet einen Akteur, der entscheidende, wichtige, unersetzbare und funktional relevante Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen besitzt, die für die Organisation unerlässlich und von großer Bedeutung sind (vgl. ebd. s. 51). Diese Experten sind zwar selten anzutreffen, aber sie besitzen innerhalb einer Organisation faktisch ein Machtmonopol, da es einerseits schwierig und teuer ist, sie zu ersetzten, und sie zum anderen bei der Organisierung der Gruppeninteressen die Möglichkeit haben, ihre besonderen Kenntnisse, Erfahrungen, etc. für andere Akteure unzugänglich und unverständlich zu machen, um sich letztlich so selbst zu erhalten.
Umweltbeziehungen bzw. Kontrolle über Umweltschnittstellen bilden hierarchisch die zweite Machtquelle. Beziehungen zur Umwelt sind insofern für eine Organisât¡- on wichtig, als sie zum einen für ihre eigene Existenz die notwendige Ressourcen in Form von Material und Personal beziehen muss und um zum anderen das eigene materielle Produkt oder eine immaterielle Leistung vermarkten oder anbieten können muss (vgl. ebd. S.52).
Kontrolle über Informations- und Kommunikationskanäle wird als dritte Machtquelle vorgestellt, da eine Organisation durch die Art und Weise, wie sie Kommunikationsund Informationsflüsse zwischen ihren Akteuren und Einheiten ablaufen lässt, Macht generiert (vgl. ebd.). Eine Person, die beispielsweise Prozesse innerhalb einer Organisation überwachen soll, benötigt das jeweilige Teil- bzw. Expertenwissen der jeweiligen Prozessakteure und zudem die Kontrolle über den Kommunikationsfluss und die -kanäle. Kann diese Person aufgrund ihrer Stellung innerhalb der Organisation nicht umgangen werden, so kann diese praktisch Macht über einen oder mehrere Kommunikationskanäle ausüben oder ganze Netzwerke beeinflussen (vgl. ebd.). Die Weitergabe wichtiger Informationen kann somit als Machtmittel angesehen werden.
Die vierte Machtquelle stellt die Benutzung von organisatorischen Regeln dar und ist den Autoren nach ״[...] als Antwort der Organisationsleitung auf das durch die drei anderen Machtquellen gestellte Problem [...]“ (ebd. S.53) zu verstehen. Diese Machtquelle lässt sich so zusammenfassen, dass Organisationsregeln die Ungewissheitszonen reduzieren oder ausschalten sollen. Dies gelingt jedoch niemals vollständig und durch den Vorgang werden teils neue Ungewissheitszonen geschaffen, die wiederum Spielräume schaffen und ausgenutzt werden können (vgl. ebd.).
Als zentrales Instrument organisierten Handelns ist aus mikropolitischer Sicht bei Crozier und Friedberg der Begriff des Spiels bzw. der Spielbegriff entscheidend. Dieser bildet nach dem Machtbegriff die zweite Komponente der strategischen Organisationsanalyse. Ausgangspunkt bildet die Annahme der Autoren, dass die Grenze jeder dem Rollenbegriff folgenden Organisationsanalyse eine einseitige Problemstellung sei, nämlich das Problem der Anpassung (vgl. ebd. S.67). Untersucht man eine Organisation aus der Perspektive ihres Rollenverständnisses, so ist man auf formale und bzw. oder normative Aussagen limitiert. Daher berufen sich die Autoren auf den Spielbegriff.
Das Spiel ist für uns mehr als ein Bild, es ist ein konkreter Mechanismus, mit dessen Hilfe die Menschen ihre Machtbeziehungen strukturieren und regulieren und sich doch dabei Freiheit lassen. Das Spiel ist das Instrument, das die Menschen entwickelt haben, um ihre Zusammenarbeit zu regeln. Es ist das wesentliche Instrument organisierten Handelns. Es vereint Freiheit und Zwang (ebd. S.68).
Organisation als Spiel bedeutet somit, dass eine Organisation die Summe aller aneinander gegliederter Machtspiele ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Akteure oder vielmehr Spieler in ihrer Entscheidung frei bleiben. Um jedoch zu gewinnen, wie es der Terminus des Spiels formuliert, muss der Spieler bestimmte Regeln beachten, d.h. eine rationale Strategie verfolgen (vgl. ebd. s.68). Deutlich wird, dass der Spielbegriff somit Freiheit in Form von individueller Entscheidungsgewalt und Zwang, verstanden als strukturelle Regeln vereint. Diese muss der Akteur nur temporär beachten, um mit seiner Strategie gewinnen zu können.
Hier knüpft der dritte Begriff an: Strategie. Darunter sind interessengeleitete, aber flexible Handlungsmuster und -Orientierungen zu verstehen, die sich durch fünf Eigenschaften auszeichnen (vgl. ebd. 33-34). (1) Akteure haben nur selten genaue Zielvorstellungen und diese können auch widersprüchlich sein, (2) der Akteur ist stets aktiver Gestalter seines Verhaltens, da er selbst darüber entscheidet und nicht determiniert ist, (3) das Akteursverhalten ist stets ein sinnvolles Verhalten, auch wenn es nicht immer den rationalen Handlungsgelegenheiten entspricht, (4) Akteure können defensive Strategien zur Erhaltung und Ausdehnung von Machtspielräumen verfolgen oder offensive Strategien, denen es um die Erweiterung und Verbesserung von Spielräumen geht. Fünftens charakterisiert die regelmäßige Abfolge des Spiels letztendlich beobachtbare Verhaltensregelmäßigkeiten (vgl. ebd.).
[...]