Gefühlte Vernunft. Die spannungsvolle Geschichte von Sensualismus und Rationalismus

Auswirkungen auf die Forensik


Essay, 2018

12 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Zusammenfassung

2.Eine kurze Geschichte der Vernunft und eine langwierigere Affäre des Gefühls

3.Einfühlsame Vernunft folgt dem vernünftigen Gefühl

4.Blogbeitrag: „Cannabisverordnung und Strafbarkeit

1.Zusammenfassung

Plato sah in jedem lebenden Geschöpf eine Seele. Demzufolge besitzt jedes Geschöpf ein Gefühl der Bedrängnis und ein Gefühl der Erleichterung. Der Mensch verherrlicht seine Verdienste in märchenhaften Erzählungen. Aber einige Monstergeschichten behandeln den verschlagenen Fallensteller und Schänder. Schädliche Gefühle haben ihren Ursprung in der Hetzjagd und zeigen Überbleibsel in der Belästigung.

Der Sensualismus bot dem Menschen konträre Lebenskonzepte. Die Askese der Stoa und die epikureische Lebenslust legten Grundlagen für die christliche Glaubenslehre. Das epikureische Versprechen von Lust wird zur Verheißung des Wohlfahrtstaates im Utilitarismus. Der Rationalismus hat eine kürzere Geschichte, wurde aber durch den Sensualismus stimuliert. Auch heute wird bewußte Wahrnehmung der peripheren Rezeption fälschlich zugeordnet. Die breite Variation der Sitten in den Einzelpersonen ist eine Folge der menschlichen Domestizierung. Persönlichkeitsstörungen zeigen schwache moralische Barrieren. Der forensische Gutachter muß zum Kumpan des Insassen werden, um Mitwisserschaft zu erlangen. Mit richtigem Alter, Einsicht und Absicht kann der Richter den Angeklagten nach seiner Autofiktion und den Tatsachen beurteilen. In Deutschland zeigen politische Instanzen Gruppenvorbehalt bei der Informationsgewinnung.

Schlüsselwörter:Sensualismus, Utiltarismus, Rationalismus

Summary

Plato saw a soul in every living creature. Hence every creature has a feeling of oppression and a feeling of relief. Man glorified his merits in fabulous narratives. Yet some teratologies concern the wily trapper and defiler. Inimical emotions have their origin in pursuit and show their relicts in harassment.

Sensualism offered man contrarian concepts of living. Asceticism of Stoa and the Epikurean zest for life founded basis for Christian beliefs. The Epicurean sanction of lust becomes the promise of social welfare state in utilitarism. Rationalism shows a shorter history, yet was stimulated by sensualism. Also today cognition is wrongly misaligned in the reception. The broad variation of morals in the individuals is an result of man’s domestication. Personality disorders show weak moral barriers. The forensic consultant has to become a side cick of the inmate for gaining cognisance. The judge can appraise the defendan’s autofiction and matter of facts with right age, intelligence and intent. In Germany political instances show proviso group winning information.

Key words:sensualism, utilitarism, rationalism

„Während jener Epoche waren die ideologischen und rassischen Spannungen, das Erbe des zwanzigsten Jahrhunderts, durch eine Welle des allgemeinen Wohlstandes und der sinkenden Geburtenraten hinweggespült worden. Das war vor allem der fortschrittlichen Technisierung des Lebens zu verdanken gewesen. Die traditionellen Barrieren, die Argwohn und Hader errichtet hatten, verloren zunehmend an Wirkung, als Rassen, Sekten, Nationen und Parteien in der Welt umspannenden, homogenen Gesellschaft miteinander verschmolzen. … Infolge allgemeiner Billigung wurde die weltweite Abrüstung Wirklichkeit“[i](J.P. Hogan 1977)

2.Eine kurze Geschichte der Vernunft und eine langwierigere Affäre des Gefühls

Plato erkannte allen Lebewesen eine Seele zu. In den in der Antike unterschiedenen drei Reichen der Biologie gab es also die Vorstellung von einer vegetativen, einer animalischen und einer menschlichen Seele. Seele stand für Empfindungsfähigkeit, somit für Gefühl. Während dem Menschen die Welt durch seine Sinne mit einem innerpsychischen Urteil (nous) erschlossen wird, nehmen die anderen Lebewesen die Welt eingeschränkt wahr. Trotz schärferer einzelner Sinne vermögen die unvernünftigen Tiere keine Werkzeuge herzustellen. Die Kunst der Technik (techne) ist ein Beleg für vernünftiges, d.h. planvolles Handeln in Stellvertretung. Der Mensch entwirft. Er folgt also nicht auf seine Kräfte vertrauend dem unreflektierten Drang anzugreifen, nein er stellt eine listenreiche Falle und setzt Fernwaffen ein. Das Tier vermag mit seinen Sinnen Beute aufzuspüren und kann diese aufgrund seiner Anpassung als Raubtier erlegen. Die Pflanzenfresser zeigen die von Darwin an Finken ausführlich beschriebenen Anpassungen ihrer Mundwerkzeuge an die Nahrung ihrer ökologischen Nische. Der alles verzehrende Mensch erschließt sich mit der Schärfe des Feuersteins, was ihm Nägel und Zähne nicht frei geben. Mehr noch er setzt den Faustkeil als Werkzeug für die Fertigung wirksamerer Waffen ein. Die ortsgebundenen Pflanzen schließlich wenden ihre Blätter dem Licht zu. Ohne Wasser welken sie dahin. Der Mensch aber platziert voraussehend seinen Wasserbedarf in den Schalen von Straußeneiern in der Wüste. Dort erlegt er größeres Wild gänzlich ohne Waffen mit der zu zweit ausgeübten Hetzjagd. Mitleidslos und begierig auf Beute blicken die steinzeitlichen Jäger auf die durch Durst und Hetze geschwächte Beute. Der jüngere erlernt vom Erfahrenen die Jagdtechnik. Das Junge des gehetzten Alttieres kann aus dieser Erfahrung keinen Nutzen ziehen. Es bleibt im Gefühl des Verlassenseins, der Schutzlosigkeit gefangen. So lernt das Tier den Menschen als unerbittlichen Verfolger, als den der aus der Ferne tötet, als den der auch ohne Langwaffen gefährlich ist, zu fürchten. Damit wurden zwei Gefühle getrennt: Die zur Flucht führende Furcht des Tieres und die frohe verschlagene Schleue des Menschen. Furcht, Flucht und Tod erniedrigten das Tier und Nachstellen, Jagd und gemeinschaftlich ritueller Verzehr erhöhten den Menschen zum Herrn des Reviers.

In der Geschichte vom Pfauen, dem Löwen und der Gans[ii] erliegt auch der König der Tiere, der junge Sohn des Löwen dem listenreichen Adams Sohn. Dieser verbrennt den die anderen Tiere beschützen wollenden Leu in einer gezimmerten Kiste. „Der Sohn Adams war aber auch noch stolz auf diese tückische und grausame Tat und entfernte sich triumpfierend und da ich ausgestreckt in einer Mulde lag bemerkte er mich nicht, Allah sei Dank …“ kommentiert die Zeugin Gans die Greueltat.

In Wirklichkeit können sich die Tiere innerartlich nicht über die Art der Gefährlichkeit des Menschen verständigen. Sie fliehen einfach, wenn sein, den Todesboten ankündigender Gestank im Revier zu wittern ist.

Der Mensch durchlebt seine Gefühle nicht ungefiltert wie das Tier. Er wertet sie um. Das grausame Tun wird mit fröhlicher Stimmung durchlebt, denn Nahrung resultiert aus dem qualvollen Tod des gehetzten Wildes. Beim rituellen Verzehr werden vor einer höher entwickelten Wortsprache Abläufe der Jagd schauspielerisch in Szene gesetzt. Der Todeskampf der Beute wird vorgespielt und beifällig belacht. Dies sind die archaischen Quellen des menschlichen Gefühlsleben, das sein Gefühl von den animalischen Empfindungen scheidet. Das Tier ist im Affekt gefangen. Der Mensch hat seinen Instinkt verloren. Arm an eigenem Haarkleid greift er zur Haut des erlegten Wildes und prunkt gar im Fell mächtiger Raubtiere. Hinterläßt das Raubtier die Reste seiner Mahlzeit, so nimmt der Mensch Trophäen. Die abgetrennten Gliedmaßen, die Hörner, gar ganze Schädel begleiten ihn und geben ihm Totem. Die vom Stamme Rind und die vom Stamme Antilope kreuzen auf ihrer Jagd und bleiben friedlich, da sie an ihren Totems die Konkurrenz vermeidende Spezialisierung der Tribes erkennen.

Der Mensch konserviert Gefühle mit seinem Inventar. Er eignet sich das Getötete an und macht es zu Schmuck. Die Unterwerfung des Tieres wird zur Botschaft, wenn die Höhlenmalerei eine erfolgreiche Jagdpartie inszeniert. „So taten wir es, so soll es auch Euch gelingen.“, künden die 15.000 Jahre alten Malereien von Lascaux. „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, spricht Jesus Christus und gibt Vorbild für ein Opfermahl ohne Tötung des Gefährten Tieres. In der rasanten kulturellen Evolution löst die Selbstaufopferung die Opferung des Fremden ab. Neue Gefühle werden damit möglich: Mitgefühl, Bekümmerung. Schrie das mosaische Blutopfer nach Rache, so dämpft das christliche Leidensmotiv zusammen mit einer Ethik des Vergebens aggressive Impulse.

Wer hatte die Grundlagen für das Christentum bereitet? Im negativen Sinne ein Imperium, das die Völker unter den Zedern des Libanons nach einem Erlöser riefen lies. Im positiven und langfristigeren Sinne waren es die Kyniker, Skeptiker, Sophisten und Stoiker als die antiken Quellen des Sensualismus. Empfindungen und Wahrnehmungen waren für sie identisch. Mit Protagoras wurde der Mensch zum Maß aller Dinge. Und Wahrheit wurde für Gorgias zur Meinungssache. Wie man es eben so fühlt. - Als leidenschaftlich erlebte Überzeugung oder als laue Vereinbarkeit mit der flachrandigen Auffassungsgabe. Wissen war geglaubte Meinung, ein Resultat der Sinneseindrücke, flüchtig und veränderlich. „Scio, ut nescio.“ lautete das onomatopetische Credo von der Nichtigkeit des Wissens. Dahinter stand stolze Bescheidenheit, aber auch das Gefühl einer erkenntnistheoretischen Sackgasse. Skeptiker waren im Unterschied zum Gros der Sensualisten die sorgfältig Forschenden. Toleranz für das lokale Brauchtum und die Sanktionen vermeidende Anerkennung des Religiösen machten die Sensualisten zu Realpolitikern die pragmatisch dachten: Erfahrbarer Gemeinnutz rückt bei Ihnen an die Stelle eines abstrakt verbleibenden zu ergründenden Gutens. Auf der Agora lehrende Dorfideologen hatten nicht die Kraft ihre Lehren zu einer Botschaft zu bündeln. Jesus Christus, der zum Volk sprach und ihnen Wundersames vorführte, scharte mit seiner Tour Follower um sich. Sein Chefideologe Petrus blieb trotz krisenhafter Verleugnung treu auf dem Kurs des Messias. Der Medienmann Paulus organisierte in Kleinasien Arbeitsgruppen, die das Ausmaß eines flächendeckenden Ashrams einnahmen. Kamen die observierenden Römer in ein Dorf, wußte niemand etwas von den Christen, denn alle miteinander auch die in den Nachbardörfern waren sie Christen. Bis ins hohe Mittelalter ist der Erkenntnisgewinn in innerer Klausur die Disziplin für Geist und Seele. Die Vernunft hat nur Gott. Und Gott offenbart der in meditativer Kontemplation verharrenden Seele eine Wahrheit, welche dem Geist einleuchtet. Die Entdeckung einer Neuen Welt, der Blick ins Fernrohr und die Ergründung der Vernunft durch Immanuel Kant setzen dem Sensualismus ein Ende. Leibniz sichelt widerständige philosophische Ansichten vom Primat der Sinne nieder. Zusammen mit Spinoza und Descart drängt er Sinneswahrnehmungen in das Reich des Ungewissen zurück. Die Librationszone von Lust und Unlust bietet dem Utilitarismus Grundlage. Das epikureiische Lustversprechen für das Individuum wird im Utilitarismus zur Verheißung des Wohlfahrtstaates. Für alle Menschen gelten allgemeine Gesetze der Moral. Das Glücksstreben des Einzelnen soll durch kluge Staatsführung zu größtmöglichem Glück für eine größtmögliche Zahl gebündelt werden. Nutzen ist das, was Wohlergehen, Vorteil, Freude oder Glück schafft (John S. Mill 1789). Der Sturm auf die Bastille mit seiner europäischen Politwende macht sich die Glücksbotschaft zu eigen. Wieder ist im Negativen imperiale Unterdrückung und im Positiven ein neues Angebot der gesellschaftlichen Organisation die Grundbedingung für einen Wandel im Leben der Völker. Sensualismus und Utilitarismus haben dem Materialismus als Massenphilosophie die Tore geöffnet. Die schwer verständlichen Lehren von den Ideen, die beschwerliche Selbstzucht der Epikureer konnten keine Massenbewegung begründen. Der Rationalismus vermochte gut den Salon der Herrschenden zu unterhalten und die Naturwissenschaftler zur eigenständigen Erkenntnissuche anregen. Im Materialismus kann das Volk jedoch sein diesseitiges Dasein mit Glücksstreben und Gewaltauslebung ohne drohendes endzeitliches Gericht durchlaufen. Hemmnisse der Produktivität wie vernünftige Beschränkung wurden aus der Bahn geräumt. „Wachstum garantiert Wohlstand“, „Wir schaffen das“ sind die Mantras eines Wachstumsstaates. Die Vernunft meldet jedoch Zweifel an der Richtigkeit propagierter Botschaften an. Die Grenzen des Wachstums wurden vom Club of Rome 1973 aufgezeigt. Verfehlte klimapolitische Ziele, Umweltkatastrophen vor der Haustür machen einer zunehmenden Zahl von Menschen die Begrenztheit von Ressourcen bewußt. Bevölkerungsbewegungen verängstigter Flüchtlinge verängstigen wohlsituierte Bürger. Emotionen und Sensationen bestimmen den Alltag der Menschen und Rationierung und Rationalisierung prägt den Handlungsrahmen ihrer Entscheidungsträger. Gefühlt wird heutzutage ebenso wie in Antike und Vorzeit. Da ist noch ebensoviel Gier beim Grillfest wie beim Triumpfmahl der Troglodyten. Der Fremde wird frenetisch begrüßt und als Fremder doch irgendwo feindlich wahrgenommen. Die Geschichte der Vernunft ist kurz und eine lange Affäre von Gefühlen durchzieht die kulturelle Evolution.

3.Einfühlsame Vernunft folgt dem vernünftigen Gefühl

Vernunft und Emotion sind nicht aufeinander aufgepfropfte Entwicklungen. Emotion begleitet das Handeln. In der menschlichen Entwicklung gingen emotionales Erleben und vernünftiges Handeln Hand in Hand. Gelang die erfolgreiche Tat, beglückte der Erfolg den Handelnden. Mit dem Erfolg gingen auch strukturelle Veränderungen des Gehirns und soziale Neuordnungen einher. Die Stärke im Stammesverband wurde durch den außerhalb des Lagers erzielten Erfolges bei der Jagd zum Auswahlkriterium des Führers. Für die Frauen war ein gewitzter, charmant schwadronierender Jägersmann interessanter als ein mürrisch-despotischer Clanführer. Was der Alte so zu Hause brachte, das sah man ja. Dem Schwindeln und dem Erschleichen war damit das Fell vor der Höhle geöffnet. Täuschen wurde wertvoller als tatkräftiges Auftreten. Die Fallenstellerei verdrängte disruptiv die Nachstelljagd. Der Tausch zog ein und beide Handelsparteien rieben sich die Hände nach friedlichem Eigentumswechsel von Salz und Kupferbeilen.

Vernunft wird meinungsbildend auch als vom Gehirn und vom Individuum abgelöste Vernunft aufgefaßt: „Das sagt Dir doch die Vernunft“. Das Individuum kann hiernach eine von seinem Kalkül unabhängige Wahrheit erkennen, wenn er sein Kalkül ordentlich einsetzt. Vernunft wäre hiernach unabhängig von Gehirnen und könnte als Algorithmus verstanden werden. Evolutionär historisch würde der Mensch demzufolge die vernünftigen Lösungen nur finden, wie sie in der Natur der Dinge vorgegeben sind. Mit der Herstellung von Materie, wie sie in der Natur nicht vorkommt, wäre spätestens diese Ansicht widerlegt. Dennoch hat die

[...]


i Hogan, J.P.: Das Erbe der Sterne. Wilhelm Heyne Verlag München 2017: 29-30.

ii Erzählungen aus Tausend und eine Nacht. Dr. Oemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. München und Zürich 1953: 112-125.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Gefühlte Vernunft. Die spannungsvolle Geschichte von Sensualismus und Rationalismus
Untertitel
Auswirkungen auf die Forensik
Autor
Jahr
2018
Seiten
12
Katalognummer
V453247
ISBN (eBook)
9783668873032
ISBN (Buch)
9783668873049
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Sensualismus, Utiltarismus, Rationalismus
Arbeit zitieren
Martin Wedig (Autor:in), 2018, Gefühlte Vernunft. Die spannungsvolle Geschichte von Sensualismus und Rationalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/453247

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Gefühlte Vernunft. Die spannungsvolle Geschichte von Sensualismus und Rationalismus



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden