Europa und der deutsch-französische Krieg von 1870/1871


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2005

130 Páginas, Calificación: sehr gut


Extracto


Inhalt

1. Einleitung

2. Europa und die Ursachen des Krieges
2.1 Spanien und die Kandidatur der Hohenzollern für den spanischen Thron
2.2 Frankreichs Garantieforderung und die „Emser Depesche“
2.3 Englands Neutralität
2.4 Der casus foederis der süddeutschen Staaten
2.5 Russische Rückendeckung für Preußen
2.6 Die Sackgasse Österreich-Ungarns
2.7 Italiens Neutralität

3. Die „Kriegsschuldfrage“

4. Europa während des Krieges
4.1 Von der Kriegserklärung bis Sedan
4.2 Das Problem der Annexion von Elsass und Lothringen
4.3 Von Sedan bis zum Waffenstillstand
4.4 Die Londoner Konferenz zur Klärung der Pontusfrage
4.5 Die Gründung des Deutschen Reiches
4.6 Vom Waffenstillstand bis zum Frankfurter Frieden

5. Schluss – Europa nach dem Krieg

6. Anhang
6.1 Dokument 1: Die „Emser Depesche“
6.2 Dokument 2: Die französische Kriegserklärung an Preußen
6.3 Dokument 3: Der Kaiserbrief Ludwigs II. an Wilhelm I

7. Personenverzeichnis

8. Abbildungsverzeichnis

9. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Obwohl der Krieg von 1870/71 nur zwischen zwei Mächten ausgetragen wurde und seine Dauer verglichen mit anderen Kriegen recht kurz war, hatte er für ganz Europa Folgen, die auf kurze wie lange Sicht ungewöhnlich weit reichend waren. Von 1870 bis heute hat er die Historiker nicht nur in Europa, sondern weltweit immer wieder beschäftigt und dabei immer wieder Anlass zu neuen Interpretationen und Deutungen gegeben.

Durch den deutsch-französischen Krieg wurden die Dinge in Europa völlig neu geordnet: Deutschland löste Frankreich als führende Nation, zumindest auf dem Kontinent, ab. Die Gründung des Deutschen Reiches wurde ermöglicht. Zwischen Frankreich und Deutsch­land entstand ein tiefer Bruch, der erst über 90 Jahre später durch die Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags am 22. Januar 1963 aus der politischen Welt geschafft werden sollte und noch einige Jahre länger brauchte, um aus den Köpfen der bei­den Völker zu verschwinden. Das Kaisertum in Frankreich war am Ende und wurde durch die dritte Republik abgelöst. Die Grundlagen des komplizierten Bismarckschen Bündnis­systems, das noch für den Ersten Weltkrieg von großer Bedeutung sein sollte, wurden gelegt. Nachdem die französischen Truppen abziehen mussten, wurden Rom und das bis dahin zum Kirchenstaat gehörende Umland zu italienischem Gebiet und Rom zur Haupt­stadt Italiens. Die spätere Annäherung zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn, die 1879 zum Zweibund führen sollte, wurde ermöglicht, da für die Monarchie das besiegte Frankreich als Bündnispartner uninteressanter als das Deutsche Reich wurde.

Der Krieg warf Probleme wie die Gebietszugehörigkeit Elsass-Lothringens auf, die für lange Zeit Konflikte in Europa bleiben sollten und wie bei dem genannten Beispiel auch noch in den beiden Weltkriegen eine Rolle spielten. Überhaupt legte der Krieg von 1870 Grundsteine für Auslöser gerade des Ersten wie aber auch des Zweiten Weltkrieges, vor allem für das übersteigerte Machtgefühl, vielleicht könnte man auch sagen: für den Grö­ßenwahn Deutschlands, der die deutsche Regierung 1914 veranlasste, sich gleich drei europäische Großmächte auf einmal zu Feinden zu machen und diesen Fehler in seiner Konsequenz 1941 gleich noch einmal zu wiederholen. Beide Weltkriege, ihre Ursachen, Ausbrüche, Friedensverhandlungen und Friedensverträge wurden also immer auch durch die Folgen des deutsch-französischen Krieges, den deutsch-französischen Gegensatz und das übergroße Potenzial geprägt, das Deutschland durch den Krieg und die Reichsgrün­dung in Europa entfalten konnte. Soweit hatte sicherlich nicht einmal Bismarck denken können, obgleich er schon im Februar 1870 zu Moritz Busch sagte, dass aus einem Krieg mit Frankreich vier bis fünf werden könnten[1].

Die Forschung hat sich eingehend und ausgiebig mit dem deutsch-französischen Krieg beschäftigt, vor allem mit seiner Entstehungsgeschichte – dabei im Speziellen mit der Kandidatur der Sigmaringer Hohenzollern für den spanischen Thron, der so genannten „Emser Depesche“ und der „Kriegsschuldfrage“ –, dem Verlauf des Krieges sowie mit der deutschen Reichsgründung. Weitere Publikationen befassen sich mit der Annexion von Elsass und Lothringen oder den europäischen Beziehungen vor bzw. nach dem Krieg.

Als Defizit erscheint, dass der gesamteuropäische Kontext dabei nur selten in ausreichen­dem Maße berücksichtigt wird. Fast immer werden entweder die Zeit vor dem Krieg, der Krieg selbst, die Zeit nach dem Krieg oder einzelne Facetten der Jahre 1870 und 1871 behandelt. In Publikationen, die einen umfassenderen Überblick geben wollen, wird viel zu oft die deutsche Reichsgründung als Epochenschnitt begriffen, wodurch das Thema dieser Arbeit meistens nur in den letzten oder ersten Kapiteln behandelt wird und dabei nicht sel­ten zu kurz kommt. Ein ausreichendes Verständnis für die Ereignisse und Entscheidungen in Europa in den Jahren 1870 und 1871 kann somit eigentlich nur durch genaue Selektion der Publikationen, ihre intensive Lektüre und eine darauf aufbauende eigenständige Konstruktion erlangt werden.

Diese Arbeit durchleuchtet deshalb die entscheidenden Phasen und Ereignisse des deutsch-französischen Krieges sowie seine Ursachen und Folgen im europäischen Kontext. Sie behandelt auch Fragen von europäischer Bedeutung, die nur indirekt mit dem Krieg ver­knüpft sind, wie zum Beispiel die Londoner Konferenz zur Klärung der Pontusfrage, um ein umfassendes Bild der oft unterschätzten Bedeutung des deutsch-französischen Krieges für Gesamteuropa zu entwickeln.

In Kapitel 2 werden zunächst die Ursachen des Krieges herausgearbeitet: Das Aufkommen der Thronfrage in Spanien ab 1868, die Kandidatur der Hohenzollern für den spanischen Thron, deren Bedeutung für Preußen und Frankreich bis zur Julikrise 1870 und beim Kriegsausbruch, einschließlich Bismarcks „Emser Depesche“. Anschließend werden die Ursachen in den europäischen Kontext gestellt und die Entscheidungen und Positionen der für den Krieg wichtigsten europäischen Staaten untersucht, nämlich England, die süddeut­schen Staaten, Russland, Österreich-Ungarn und Italien.

Grundlegend für dieses Kapitel sind die Quellen, in denen die diplomatischen Vorgänge dokumentiert worden sind. Diese finden sich hauptsächlich in den Origines Diplomatiques[2] sowie bei Richard Fester[3], Hermann Oncken[4] und Robert Henry Lord[5]. Hinzu kommen die Gesammelten Werke Otto von Bismarcks[6]. Auch Georges Bonnin[7] hatte seinerzeit wesent­lichen Anteil an der Veröffentlichung der Quellen, hat sie aber leider allesamt ins Engli­sche übersetzt. Da diese Quellen inzwischen auch im Original greifbar sind, verliert Bonnins Buch heute an Wert. Einige zusätzliche Quellen hat auch Jochen Dittrich[8] veröffent­licht, dessen Buch gleichzeitig umfassend die Ereignisse rund um die Thronkan­didatur der Hohenzollern schildert. Darüber hinaus sind im Allgemeinen die Veröffent­lichungen von Eberhard Kolb[9] und Josef Becker[10] von großer Wichtigkeit für dieses Kapitel. Die neueste Publikation zum Ausbruch des Krieges stammt von David Wetzel[11], lag aber noch nicht in deutscher Sprache vor.

Auch für die Abschnitte über die einzelnen europäischen Staaten seien hier die Verfasser der wichtigsten dieser Arbeit zu Grunde liegenden Werke kurz angeführt: Für Spanien Hans-Otto Kleinmann[12], für England Richard Millman[13] und William Koelle[14], für Russland Dietrich Beyrau[15] und Kurt Rheindorf[16], für Österreich-Ungarn István Diószegi[17] und Heinrich Lutz[18] sowie für Italien Rudolf Lill[19]. Diese Werke sind in der Regel für die gesamte Arbeit von Bedeutung. Sie werden im Folgenden bei besonderer Wichtigkeit für einzelne Kapitel nochmals genannt, allerdings nicht mehr als Fußnote angeführt.

Kapitel 3 befasst sich mit der „Kriegsschuldfrage“, die für den Krieg von 1870/71 sehr unterschiedlich beantwortet wurde. Es wird zu untersuchen sein, wer wann und warum diese Frage wie beantwortet hat und welche Gründe und vor allem Beweise man dafür sah. Darüber hinaus wird zu klären sein, ob der Begriff „Kriegsschuld“ für den Krieg von 1870 überhaupt angewendet werden kann, und natürlich, ob es überhaupt einen bestimmten Schuldigen für den Krieg gab, und falls ja, wer dieser war. In diesem Kapitel wird ausschließlich die Schuldfrage im Juli 1870 untersucht. Die Variationen der Schuldzuwei­sungen in Europa im Verlauf des Krieges fließen in die folgenden Kapitel ein. Neben eige­nen Überlegungen waren hier vor allem das Buch von Dittrich sowie die Publikationen von Eberhard Kolb[20] und Beate Gödde-Baumanns[21] maßgeblich für die Darstellung.

Kapitel 4 behandelt einerseits in abgegrenzten Unterkapiteln den Kriegsverlauf von der Kriegserklärung bis zum Frankfurter Frieden vom 10. Mai 1871 sowie andererseits drei separate Themenkomplexe, nämlich das Problem der Annexion von Elsass und Lothringen, die Londoner Konferenz zur Klärung der Pontusfrage sowie die vorausgegangene Pontuskrise und die Gründung des Deutschen Reiches. Die Vorgänge und Ereignisse wäh­rend des deutsch-französischen Krieges werden dabei wiederum in den europäischen Kontext gestellt.

Im ersten der drei Unterkapitel über den Kriegsverlauf werden die deutschen Anfangs­erfolge, die Entscheidungsschlacht bei Sedan, Bismarcks Ziel der Lokalisierung des Krieges und die Bildung der „Neutralenliga“ sowie die europäischen Reaktionen auf die deutschen Siege bis zur Gefangennahme Napoleons III. nach der Kapitulation von Sedan betrachtet. Im zweiten Unterkapitel wird der Kriegsbeendigungsprozess dargestellt, der im Krieg von 1870/71 trotz der eindeutigen militärischen Lage sehr lange dauerte und beson­ders kompliziert war. Die Eckpunkte der Darstellung werden bilden: die Kapitulation von Metz, die Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Bismarck und der französischen Regierung in Ferrières und Versailles bis zum Abschluss der Waffenstillstandskonvention, die Versuche der Neutralen, auf die Verhandlungen Einfluss zu nehmen, Bismarcks Über­legungen zu einer Restauration des Kaiserreiches sowie die Einschließung von Paris. Das letzte Unterkapitel befasst sich mit den Verhandlungen über den Vorfrieden von Versailles und über den Definitivfrieden von Frankfurt am Main. Außerdem wird die besondere Bedeutung des Pariser Commune-Aufstandes für die Friedensverhandlungen und die öffentliche Meinung in Europa herausgearbeitet.

Die für die drei Kapitel über den Kriegsverlauf verwendete Literatur stammt hauptsächlich von Eberhard Kolb[22]. Sie wurde für die einzelnen europäischen Staaten durch die Veröffent­lichungen von Diószegi für Österreich-Ungarn und Russland sowie von Thomas Schaarschmidt[23] für England ergänzt. Die Dissertation Schaarschmidts war vor allem für die Beurteilung der öffentlichen Meinung in England von großem Wert.

Die Annexion von Elsass und Lothringen wurde zum zentralen Thema und Problem in den Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen. Sie prägte nachhaltig die europäische Stimmung und verursachte in den Jahren nach dem Krieg noch jede Menge Konflikte und Probleme. Das Kapitel wird die Problematik und die Bedeutung der Annexionen für Deutschland, Frankreich und den Rest Europas herausarbeiten. Sie sind so komplex und weit reichend, dass noch Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts eine handfeste Forschungsdiskussion zwischen Walter Lipgens[24] und Lothar Gall[25] entbrannte, zu der auch Josef Becker[26] und Eberhard Kolb[27] noch wertvolle Beiträge lieferten.

Die von Russland durch die einseitige Kündigung der Pontusklauseln des Pariser Vertrages von 1856 hervorgerufene Pontuskrise stand in engem Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Frankreich und Deutschland, den Waffenstillstandsverhandlungen und Bismarcks Bemühungen, eine Einmischung der neutralen Mächte in die Verhandlungen zu verhindern. Das Kapitel erklärt die Gründe für den Alleingang Russlands und beleuchtet die Bedeutung von Pontuskrise und Pontuskonferenz für den Kriegsverlauf und den Kriegsbeendigungsprozess sowie für die Beziehungen der europäischen Mächte zuein­ander. Behandelt wurden die Pontuskrise und die Londoner Konferenz unter anderem bei Beyrau, Schaarschmidt, Diószegi und Kolb.

Das aus deutscher Sicht wichtigste und bedeutendste „Nebenereignis“ im Krieg gegen Frankreich war die Gründung des Deutschen Reiches. Natürlich war die Reichsgründung auch durch den Krieg begünstigt worden und gleichermaßen ein erklärtes Kriegsziel Preu­ßens und vor allem Bismarcks gewesen. Gerade aber bei den nichtdeutschen Zeitzeugen fand sie Anfang 1871 nur erstaunlich wenig Beachtung. Das Kapitel zeichnet die Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten nach, befasst sich mit dem Kaiserbrief Ludwigs II. an Wilhelm I. und den verhaltenen europäischen Reaktionen auf die Reichs­gründung. Es versucht auch zu erklären, warum ihr in Europa – zumindest zunächst und zum Teil auch nur bei oberflächlicher Betrachtung – nur so wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde. Für die Beschreibung der Verhandlungen zwischen dem Norddeutschen Bund und den süddeutschen Staaten wurde vor allem der Aufsatz von Karl Bosl[28] herangezogen. Die Abhandlungen von Jean-Baptiste Duroselle[29], Klaus Hildebrand[30] und Helmut Rumpler[31] wurden für den europäischen Aspekt ausgewertet.

Im Schluss dieser Arbeit werden einerseits einige der in der Arbeit beschriebenen Ereig­nisse und Vorgänge nochmals bewertet, sofern sie eine Bedeutung für die Nachkriegszeit aufweisen; andererseits wird ein knapper Ausblick auf die durch den Krieg bedingten oder erst ermöglichten Entwicklungen in den Jahren nach dem Krieg gegeben, wie zum Beispiel die Entstehung des Dreikaiserabkommens zwischen Österreich-Ungarn, Russland und dem Deutschen Reich. Eine kurze Bewertung der Besonderheit des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 bildet dann den Abschluss der Arbeit.

Zum Ende der Einleitung noch einige Anmerkungen zum methodischen und formalen Vorgehen in dieser Arbeit:

Die Arbeit folgt soweit möglich der Chronologie der Ereignisse und gliedert sich in ihr thematisch auf. Höchstes Ziel der Arbeit ist die Darstellung des Verlaufs, der Entscheidun­gen und der Bedeutung des deutsch-französischen Krieges im gesamteuropäischen Kontext der Jahre 1870 und 1871.

Alle fremdsprachigen Zitate wurden entweder im Original in den Text übernommen oder vom Verfasser selbst übersetzt bzw. bei Übernahme einer Übersetzung aus der Literatur dementsprechend kenntlich gemacht. Alle Zitate wurden an die aktuelle Rechtschreibung angepasst. Es wurde versucht, die Argumentation der Arbeit so weit wie möglich auf Quellenzitate zu stützen und Zitate aus der Forschungsliteratur zu vermeiden.

Aufgrund der Fülle an historischen Personen, deren volle Namen, Funktionen und Positio­nen zu Gunsten der besseren Lesbarkeit im Text nur teilweise angeführt werden, wurde der Arbeit ein Personenverzeichnis angefügt, um etwaigen Unklarheiten oder sogar Verwech­selungen vorzubeugen.

Im Anhang der Arbeit finden einige der wichtigsten in der Arbeit behandelten Quellen, nämlich die „Emser Depesche“, die französische Kriegserklärung und der Kaiserbrief Ludwigs II.

Im Literaturverzeichnis wurden alle Aufsätze aus Aufsatzsammlungen gesondert angege­ben, die im Text zitiert wurden. Die aufgeführten Sammlungen enthalten allerdings noch einige Beiträge mehr, die, wenngleich nicht zitiert, nicht weniger wichtig und Teil der Lektüre für diese Arbeit waren.

2. Europa und die Ursachen des Krieges

Als Ursachen des Krieges von 1870 werden in der Literatur zumeist die Kandidatur der Sigmaringer Hohenzollern für den spanischen Thron und die so genannte „Emser Depesche“ angeführt. Sicherlich sind diese beiden Ereignisse die Auslöser des Krieges gewesen und auch diese Arbeit wird sich kritisch mit ihnen auseinander setzen, doch sie sind lediglich die formalen, vordergründigen Ursachen. Hinter ihnen verbergen sich kom­plexe, nicht immer eindeutige Interessen, persönliche und nationale, die durchleuchtet und als mehr oder weniger kriegsverursachend eingeordnet werden müssen. Eine kurze Be­trachtung der Lage, Ziele und Möglichkeiten der französischen wie auch der preu­ßi­schen Politik und Diplomatie von 1866 bis 1870 führt zu einem besseren Verständnis.

Frankreich hatte gehofft, dass ein langer zäher deutscher Krieg Preußen und Österreich so sehr schwächen würde, dass beide Nationen sich an Napoleon wenden müssten, er als überlegener arbiter mundi auftreten könnte, und die Dinge in Europa nach Frankreichs Vorstellungen geordnet würden. Doch durch den preu­ßischen Sieg wur­den diese Vorstellungen zunichte gemacht. Königgrätz/Sadowa war für Frankreich und Napoleon eine Niederlage und auch die öffentliche Mei­nung wertete den Sieg Preußens als Niederlage der Poli­tik Napoleons. Der Verlust seiner Rolle als Schiedsrichter in Europa war eine Demüti­gung für Frankreich. Der mitteleuropäische Nachbar gewann an Stärke und allein schon der Norddeutsche Bund mit Preußen an seiner Spitze gefährdete die Vor­machtstellung Frankreichs, von einem geeinten Deutschen Reich ganz zu schweigen. Die obersten außenpolitischen Ziele Frankreichs bis 1870 waren demnach die Verhinderung einer deutschen Reichseinigung sowie die Behauptung und Festigung seiner Vormacht­stellung in Europa.

Doch gerade die Gründung des Deutschen Reiches hatte nach 1866 für Preußen und Bismarck oberste Priorität. Die politischen Ziele Frankreichs und Preußens lagen deutlich aus­einander. In diesem Konflikt hatte Preußen einen großen Vorteil: Bismarck. Jeder Versuch Frank­reichs, in den Jahren von 1866 bis 1870 seine Ziele voranzutreiben, scheiterte letztlich am politischen Können Bismarcks. Dabei wur­den dessen Siege zum Teil erst durch diplomatische Unge­schicktheiten der Franzosen mög­lich, sei es bei der Gründung des Norddeutschen Bundes, der Luxemburgkrise, dem Abschluss der Schutz- und Trutzbündnisse mit den süddeutschen Staaten oder eben auch in der Frage der spanischen Thronkandida­tur. In den Jahren von 1866 bis 1870 fand ein ungleich anmutender Kampf statt: Auf der einen Seite Napoleon III., dessen Stellung durch die 1866 verpasste Gelegenheit, durch militärische Intervention der deutschen Einigung energisch entgegen zu treten, erschüttert und dessen Politik von Unentschlossenheit gekennzeichnet und von der öffentlichen Mei­nung abhängig war; auf der anderen Seite Bismarck, dessen Politik nach 1866 ziel­strebig auf die Gründung des Deutschen Reiches ausgerichtet war, und der mit dem franzö­sischen Kaiser, betrachtet man beispielsweise die Fragen um Belgien und Luxemburg, mehrfach Katz und Maus spielen konnte.

Napoleon brauchte einen diplomatischen oder militärischen Erfolg, um seine Stellung zu verbessern und um Frankreich wieder in die ihm, der eigenen Meinung nach, zustehende Vorreiterposition in Europa zu bringen. Bismarck wiederum konnte seinen Traum von ei­nem vereinten Deutschland nicht verwirklichen, solange Napoleon an der Macht war und mit Hilfe Österreichs die süddeutschen Staaten erfolgreich vom Norddeutschen Bund fern hielt. Er wusste aber auch, dass er auf den geeigneten Moment warten musste. Im Februar 1869 schrieb er an den Gesandten in München, Freiherr von Werthern:

„Dass die deutsche Einheit durch gewaltsame Ereignisse gefördert werden würde, halte auch ich für wahrscheinlich. Aber eine ganz andere Frage ist der Beruf, eine gewaltsame Katastrophe herbeizuführen und die Verantwortlichkeit für die Wahl des Zeitpunktes. Ein willkürliches, nur nach subjektiven Gründen bestimmtes Eingreifen in die Entwicklung der Geschichte hat immer nur das Abschlagen unreifer Früchte zur Folge gehabt; und dass die deutsche Einheit in diesem Augen­blicke keine reife Frucht ist, fällt meines Erachtens in die Augen. […] Wir können die Uhr vorstellen, die Zeit geht aber deshalb nicht rascher, und die Fähigkeit zu warten, während die Verhältnisse sich entwickeln [ursprünglich: bis der Augen­blick raschen Handelns eintritt], ist eine Vorbedingung praktischer Politik“[32].

In den Jahren von 1866 bis 1870 waren die politischen Verhältnisse also ungeklärt und mussten auf die eine oder andere Art zwingend geklärt werden. Außerdem war die Emp­findlichkeit bei Fragen des Prestige und der nationalen Ehre extrem hoch. Nur unter diesem Eindruck kann verstanden werden, warum die politischen Machtspiele bei der Frage um die spanische Thronkandidatur von so hoher Bedeutung waren, die Positionen der Gegner sich so sehr verhärteten, dass ein diplomatischer Sieg nicht ausreichte bzw. eine diplomatische Niederlage keinesfalls hingenommen werden konnte und ein Krieg so schließlich unausweichlich wurde, obwohl ihn zu diesem Zeitpunkt eigentlich niemand wirklich wollte.

2.1 Spanien und die Kandidatur der Hohenzollern für den spanischen Thron

Im September 1868 wurde Königin Isabella II. von Spanien durch einen Militärputsch gestürzt und musste aus Spanien fliehen. Bald darauf begann unter Führung des Präsiden­ten des Ministerrats, General Juan Prim, die Suche nach einem geeigneten Thron­nach­folger. Auch die Möglichkeit, Spanien könnte in eine Republik umgeformt werden, wurde in Europa erwogen, doch diese Lösung kam für Prim selbst nicht in Frage und wäre auch unter keinen Umständen von Napoleon III. gebilligt worden, von dessen Gunst Spanien zu dieser Zeit abhängig war. Doch wollte Spanien sich auch von eben dieser fran­zösischen Übermacht lösen, die nicht nur die Außenpolitik, sondern auch die Innen- und Wirtschafts­politik Spaniens bestimmte. Früher hatte Spanien sich auf England verlassen können, das gerne die Rolle des Beschützers vor Frankreich übernommen hatte, doch seit dem Krim­krieg verlegte sich England immer mehr auf seine Politik des Non-Interventionismus und überließ damit zugleich das kontinentaleuropäische Feld weit­gehend dem Ehrgeiz Napoleons[33]. Spanien musste sich also nicht nur im Inneren neu orientieren, es bestand auch kein geringes Interesse daran, sich in Europa neu zu definieren und aus dem Schatten des übermächtigen Frankreichs herauszutreten, aber möglichst ohne es vor den Kopf zu stoßen. Prim wollte sein Land in eine konstitutionelle Monarchie umwandeln und für diese bedurfte es nun eines Thronkandidaten, der allerdings hohen Ansprüchen genügen musste:

Er durfte die Septemberrevolution nicht ad absurdum führen, wie es Isabellas Sohn getan hätte, sondern sollte vielmehr deren krönender Abschluss sein; er sollte innenpolitisch einen Kompromiss zwischen den Parteien ermöglichen, die die Revolution trugen; er sollte einer europäischen Dynastie entstammen, die der stolzen Geschichte Spaniens würdig war; er musste national wie international eine starke Position haben, um zum einen die Mehrheit in den Cortes zu erreichen und zum anderen die Rückendeckung der großen internationalen Politik zu haben; er durfte Napoleon nicht provozieren, oder, falls dies doch der Fall gewe­sen wäre, eine national wie international um so gefestigtere Stellung besitzen müssen[34] ; er sollte einer europäischen Großmacht so sehr verbunden sein, dass Spanien durch seinen König auch deren Gunst erwerben würde.

Nur wenige genügten diesen hohen Anforderungen. Einer war der Herzog von Mont­pensier, Antoine Marie Philippe Louis de Orléans, der aber von Napoleon entschieden abgelehnt wurde, da er befürchten musste, dass das Haus Orléans durch den spanischen Thron derart an Macht gewinnen könnte, dass sein eigener Thron durch diese Familie gefährdet würde. Im Falle einer Wahl des Herzogs von Montpensier hatte Napoleon sogar mit Intervention gedroht. Spätestens nach einem Duell im März 1870, in dem Montpensier seinen Gegner tötete, war seine Kandidatur aber endgültig vom Tisch, wenngleich sie immer noch benutzt wurde, um Napoleon zur Annahme einer Alternative zu bewegen. Ein anderer war der Herzog von Genua, der aber erst 18 Jahre alt war und somit, was seine nationale wie internationale Stärke betraf, einigen Zweifeln unterlag.

Nur drei Kandidaten kamen letztlich so ernsthaft in Frage, dass mit ihnen Verhandlungen aufgenommen wurden: Der erste war der Herzog Amadeo von Aosta aus dem Hause Savoyen, Sohn des Königs von Italien, Viktor Emanuel II.; der zweite Ferdinand II., Stammvater des Hauses Sachsen-Coburg-Braganza und Ehemann der Königin von Portugal, Maria II. da Gloria; der dritte eben Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmarin­gen. Die aktuelle Forschung sieht allerdings Portugal und Hohen­zollern-Sigmaringen als „Doppelkandidatur“ an[35].

Vor allem die geplante Bindung einer europäischen Großmacht an Spanien und der Wille, die französische Übermacht dadurch abzuschütteln, werden bei diesen drei Kandidaten deutlich: Über Portugal hätte man England, die traditionelle Schutzmacht Portugals, wieder an sich gebunden und so war es auch sicherlich kein Zufall, dass während der Verhandlun­gen mit Ferdinand von spanischer Seite aus die Gibraltarfrage wieder aufgeworfen wurde, um Englands Aufmerksamkeit zu erregen. Des Weiteren hätte durch diese Lösung auch der Plan einer „Iberischen Union“ verwirklicht werden können, die im europäischen Konzert fraglos mehr Stärke erlangt hätte als Spanien allein. Mit dem Herzog von Aosta hätte man sich Italien ins Boot geholt, wodurch Frankreich seine Politik hätte überdenken müssen, da es ja Italien als Dreibundpartner gewinnen wollte und mit Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen hätte Preußen ein starker Verbündeter für Spanien werden können.

Das auf diese Sortierung der möglichen Kandidaten folgende Vorgehen war keineswegs konfus oder planlos. Zuerst kontaktierte man im Herbst 1868 die italienische Regierung, „was insofern nahe lag, als die Geburt der Thronfrage aus der Revolution und die Unge­wissheit ihres Ausgangs die Großmächte zu einer äußerst reservierten Haltung gegenüber Spanien veranlasst hatte, außer Italien, wo die Septemberrevolution in brüderlichem Geiste begrüßt worden war“[36]. Nachdem die Kandidatur des Herzogs von Aosta von italienischer Seite wegen seiner persönlichen Abneigung und der Kinderlosigkeit des italienischen Kronprinzen Umberto, die Amadeo zum Stammhalter Viktor Emanuels machte, abgelehnt worden war[37], ermunterten Frankreich, Österreich und England Spanien zu Verhandlungen mit Ferdinand von Portugal. Doch auch dieser lehnte ab und so blieb der Hohenzollern­prinz als letzter Kandidat übrig.

Doch man irrte, würde man denken, Leopold wäre eine Verlegenheitslösung gewesen. Er war nur fraglos die schwierigste der drei denkbaren Lösungen. Mit ihm als Thronkandidat war eine Konfrontation mit Napoleon sicher, trotz seiner Verwandtschaft mit Leopold, die sogar enger war als die zwischen Leopold und Wilhelm I. Nur zu deutlich musste Napoleon die Konsequenzen eines Hohenzollernprinzen auf dem spanischen Thron vor Augen haben, hatte er doch noch 1866, vor dem deutschen Krieg, maßgeblich geholfen, Leopolds Bruder Karl auf den rumänischen Fürstenthron zu bringen, wodurch Preußen im Krieg mit Österreich einen Verbündeten im Rücken der Habsburger Monarchie hatte. Die gleiche Situation drohte ihm nun durch einen spanischen König aus dem Hause Hohen­zollern für sein eigenes Land. Natürlich wusste auch Bismarck von dieser Möglichkeit, Frankreich unter Druck zu setzen. Er trieb deshalb die Kandidatur Leopolds voran, gleich­wohl gerade dieser gegen Frankreich gerichtete Aspekt der Thronkandidatur Leopolds für Spanien eine untergeordnete Rolle spielte, da man dort keineswegs einen Bruch mit Frank­reich wünschte, sondern lediglich aus dessen Schatten treten wollte. Sollte Bismarck also wirklich in Spanien einen Verbündeten gegen Frankreich gesehen haben, so wäre ihm „eine glatte Fehleinschätzung der spanischen Politik unterlaufen“[38], doch die Tatsache, dass er die Kandidatur im Geheimen und so schnell wie irgend möglich durch die Wahl Leopolds zum König zum Abschluss bringen wollte, um Frankreich vor ein fait accompli zu stellen, legt die Annahme nahe, dass er sich der tatsächlichen Lage durchaus bewusst war. Jedenfalls steht zweifellos fest, dass die Idee der Hohenzollernkandidatur allein von Spanien ausging und nicht, wie vor allem französische Historiker nach dem Krieg gerne behaupteten, von Bismarck, zumal der Hohenzollernprinz für die spanischen Interessen einen geradezu idealen Kandidaten darstellte.

Nachdem die beiden anderen Kandidaten also ausgeschieden waren, kontaktierte der spa­nische Gesandte Don Eusebio Salazar y Mazarredo am 17. September 1869 zum ersten Mal Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen und dessen Sohn Leopold. Noch zwei weitere Anfragen sollten folgen. Zwar hatte Spanien schon im Mai 1869 in Berlin seine Fühler in Richtung Leopold ausgestreckt und die Lage sondiert, doch war dies die erste direkte Aufforderung, die spanische Krone anzunehmen. Aus diesem Grund wird in der Literatur teils von drei, teils von vier Anfragen bei Leopold gesprochen. Jedenfalls erhielt Salazar bei seinem ersten Besuch auf der Weinburg eine abschlägige Antwort, die einem Brief Karl Antons an Bismarck vom 25. Februar 1870 zufolge gelautet hatte:

„Wenn Sie den Kaiser Napoleon dazu bringen, dass er an meinen König sich wendet und diesem auseinandersetzt, dass die Gründung einer Hohenzollern-spanischen Dynastie eine Gewährschaft des europäischen Friedens und der euro­päischen Ruhe ist, und wenn dann mein König für eine solche Lösung dieser Frage im günstigen Sinne sich ausgesprochen haben wird, dann erst wäre für uns der Moment gekommen, überhaupt zu erwägen, ob unsere Familieninteressen die Annahme gestatten oder ob sie die Ablehnung zur Pflicht machen“[39].

Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Antwort so lautete, dennoch scheint es, dass die Hohenzollern sich doch nicht ganz so ablehnend verhalten hatten. Denn sonst wäre nicht zu erklären, wie Salazar nach seinem Besuch an Werthern, der ihn auf der Weinburg eingeführt hatte, schreiben konnte, „je suis assez satisfait de mon voyage“[40]. Die Aussicht auf die spanische Krone hatte für die Hohenzollern durchaus ihren Reiz.

Am 25. Februar 1870 unternahm Salazar den zweiten Versuch, die Hohenzollern zur Annahme der Kandidatur zu bewegen, diesmal in offiziellem Auftrag und mit der Befug­nis, mit der preußischen Regierung zu verhandeln. So wurde die Thronkandidatur der Hohenzollern in diesem Moment auch zu einer politischen Angelegenheit. Bismarck begann nun, die Kandidatur auch im antifranzösischen Sinne voranzutreiben. Dafür musste es ihm gelingen, die Sorgen der Hohenzollern zu zerstreuen und ihnen verständlich zu machen, dass die Kandidatur von preußischem Interesse sei. Letzteres war auch die Hürde, die Bismarck bei König Wilhelm nehmen musste, denn auch dieser war gegen eine Hohen­zollernkandidatur in Spanien.

Am 15. März fand im Berliner Schloss ein Herrendiner und im Anschluss eine vertrauliche Beratung über die Frage der Kandidatur statt. Geladen waren neben dem König und Bismarck selbst der Kronprinz, die Hohenzollern Karl Anton und Leopold sowie die Minister Schleinitz, Roon, Moltke und Delbrück und der Unterstaatssekretär Thile. Salazar war zuvor abgereist, da man befürchtete, die Zeitungen – und somit Frankreich – könnten Verdacht schöpfen, was die von Spanien unbedingt gewünschte Geheimhaltung der Ver­handlungen gefährdet hätte. Am Ende der Beratung schlossen sich die Minister alle vorbe­haltlos Bismarcks Standpunkt an, die Kandidatur müsse unbedingt angenommen werden, bis auf Schleinitz, der sich aber wohl eher wegen seiner persönlichen Gegner­schaft zu Bismarck enthielt. Auch Wilhelm und Karl Anton enthielten sich einer Meinungsäußerung und nur der Kronprinz und Leopold selbst sprachen sich gegen die Kandidatur aus, womit auch dieser zweite Anlauf mit der Ablehnung der Kandidatur endete. Schließlich wollte der Kandidat nun selbst nicht mehr. Mitte April schrieb Karl Anton nochmals an Bismarck, dass eine Kandidatur nicht in Frage käme. Bismarck konnte zu dieser Zeit nicht in das Geschehen eingreifen, da ihn eine schwere Gelbsucht ans Bett fesselte und so wurde am 4. Mai abermals eine abschlägige Antwort nach Madrid gesandt. Doch bis Ende Mai änderten die Hohenzollern ihre Meinung und der wieder genesene Bismarck handelte sofort. Er wusste zu dieser Zeit, dass man in Frankreich Verdacht schöpfte und bei dessen Bestätigung zum Krieg bereit war. Er wusste weiter, dass in Spa­nien die Königswahl für den 9. Juni geplant war. Eile tat Not. Geschickt entlockte er seinem König, für den die Kandidatur längst erledigt war und den Bismarck ganz bewusst im Unklaren über die neue Lage ließ, die Zusage, sich bei einem erneuten Aufleben der Kandidatur nicht mehr gegen sie zu stellen. Anschließend wurde er in Spanien tätig, damit von dort nochmals eine Anfrage an Leopold gerichtet würde. Die Hohenzollern setzte er damit unter Druck, dass eine Alternative zu ihrem Haus ein Habsburger oder Wittelsbacher sein könnte, was für Karl Anton den Ausschlag gab.

Bis Ende Juni war dann alles klar: Wilhelms Ärger über Bismarcks Vorgehen hatte sich wieder gelegt, Madrid hatte erneut bei Leopold angefragt, die Hohenzollern waren unter der Bedingung, die Wahl dürfe erst im Herbst stattfinden, bereit und die Annahme der Kandidatur wurde nach Madrid gemeldet. Das erste Wegstück für einen Hohenzollern­könig in Spanien war geschafft.

Doch nur wenig später, nämlich am 3. Juli, erreichte die erste kurze Nachricht über die Kandi­datur Leopolds, die „weit fortgeschritten, wenn nicht schon entschieden“ sei, Paris und schlug dort ein wie eine Bombe[41]. Für die französische Regie­rung stand außer Frage, dass man diese Kandidatur nicht akzeptieren konnte. Zwar stellte sie keine echte Bedro­hung für Frankreich dar, aber sie bedeutete einen weiteren Einschnitt in dessen Vormacht­stellung in Europa, die zwar faktisch schon gar nicht mehr existierte, an die Frankreich aber immer noch glaubte. Außerdem konnten Napoleon und seine Regierung diesen Schlag auch aufgrund der „innenpolitischen Rückwirkungen“ nicht hinnehmen, durch die sie sich „sehr bald in einer unhaltbaren Lage befunden hätten“[42]. Frankreich reagierte sofort und setzte alles daran, die Kandidatur zu hintertreiben. Schnell wurde dabei klar, dass vor allem Frankreichs Außenminister, Gramont, sich nicht mit dem einfachen Scheitern zufrieden geben, sondern einen großen diploma­tischen Erfolg gegen Preußen erreichen wollte, der das Ansehen Frankreichs wieder stärken sollte. Für diesen Erfolg war Gramont auch bereit, mit Krieg zu drohen. Er ließ dies auch gleich in der ersten Anfrage an die preußische Regierung durch den französi­schen Geschäftsträger in Berlin, Le Sourd, andeuten:

„Wir aber können nur mit einigem Erstaunen sehen, dass ein preußischer Prinz versucht, sich auf den spanischen Thron zu setzen. Wir möchten glauben, dass das Berliner Kabinett an dieser Intrige unbeteiligt ist, im gegenteiligen Fall würde uns sein Verhalten Erwägungen aufdrängen, die zu delikat sind, als dass ich sie Ihnen in einem Telegramm andeuten kann“[43].

„Da Gramont mit Sicherheit wusste, dass Bismarck an der Kandidatur beteiligt war, lag in der Anfrage eine Herausforderung“[44]. Diese war so deutlich, dass Thile Le Sourd gleich zu Beginn seiner Ausführungen mit Heftigkeit unterbrach und ihn fragte, ob er eine amtliche Erklärung wünsche, da er dann zuerst die Antwort des Königs einholen müsse. Le Sourd verneinte dies und so ging noch am 4. Juli Thiles Antwort, die ganze Sache exis­tiere für die preußische Regierung nicht, nach Paris[45]. Am 6. Juli entzündete Gramont dann end­gültig die Machtfrage zwischen Frankreich und Preußen. Er verlas eine Kammererklärung, deren Ton so scharf war, dass sie eigentlich schon einer Kriegserklärung gleich kam. Sie endete mit den Worten:

„Wir glauben nicht, dass die Achtung vor den Rechten eines Nachbarvolkes uns dazu zwingt zu dulden, dass eine fremde Macht durch die Besetzung des Throns Karls V. mit einem ihrer Prinzen das bestehende Gleichgewicht Europas zu unse­rem Nachteil stört und Frankreichs Interessen und Ehre gefährdet. Dieser Fall wird, wir hoffen fest darauf, nicht eintreten. Um das zu verhindern, rechnen wir auf die Einsicht des deutschen und die Freundschaft des spanischen Volkes. Sollte es jedoch anders kommen, so würden wir, stark durch Ihre Unterstützung, meine Herren, und durch die der Nation […] unsere Pflicht ohne Zaudern und ohne Schwäche zu erfüllen wissen“[46].

Bismarck nannte diese Worte „eine amtlich internationale Bedrohung mit der Hand am Degengriff“[47]. Die Kandidatur war endgültig in den Hintergrund getreten. Jetzt ging es um nationale Ehre und um die Machtfrage zwischen Frankreich und Preußen. Für Gramont war klar, dass der diplomatische Sieg bei einem Zurückweichen Preußen umso größer sein würde, je schroffer das französische Auftreten war. Doch auch in Frankreich gab man sich keinen Illusionen hin. Man hatte Preußen vor die Wahl gestellt: Demütigung oder Krieg, und Napoleon hatte die Lage richtig erkannt, als er auf die beiläufig geäußerte Meinung des österreichischen Botschafters in Paris, Fürst Metternich, Preußen werde wahrscheinlich zurückweichen, am 6. Juli antwortete: „Croyez-Vous vraiment qu’en face de la mise en demeure très énergique que nous leur avons adressée et dont le Duc de Gramont à ce moment-méme donne l’interprétation très vigoureuse à la Chambre on puisse céder immé­diatement à Berlin?“[48].

In der Tat war Preußen nun in Zugzwang und für Bismarck war die Lage nicht einfach. Nie wollte er die Kandidatur aufgeben und bis zu diesem Zeitpunkt gab es auch keinen Grund dafür. Jetzt, angesichts der französischen Drohung, konnte er sie gar nicht mehr fallen lassen. Zu groß wäre die Schmach für Preußen gewesen und sein oberstes Ziel, die Eini­gung Deutschlands, wäre durch diese Anerkennung der französischen Vormacht­stellung in weite Ferne gerückt worden. Bismarck musste den Angriff Frankreichs auf jeden Fall abwehren, doch auch jetzt wollte er keinen Krieg mit Frankreich vom Zaun brechen. Er war sich absolut bewusst, dass im Falle einer preußischen Kriegserklärung zu diesem Zeit­punkt Preußen in Europa als Friedensstörer und Kriegstreiber betrachtet worden wäre. Jochen Dittrich unterscheidet hier völlig richtig zwischen Kriegswillen und Abwehrwillen bei Bismarck: „Hätte er den Krieg gewollt, so hätte er ausrufen können: ‚Ich habe meinen casus belli!’ Doch nicht auf den Bruch kam es ihm an, sondern auf die Abwehr der Niederlage“[49]. Bismarck hatte auch erkannt, dass Frankreich sich durch sein schroffes Vorge­hen jede Möglichkeit einzulenken, versperrt hatte, und so konnte er zunächst einmal noch in Ruhe die Fassade, Preußen habe nichts mit der Kandidatur zu tun, aufrechterhalten. Je länger ihm das gelingen würde, desto mehr würde Frankreich in der Öffentlichkeit als Kriegstreiber dastehen.

Doch nach der Kammererklärung vom 6. Juli 1870 gab es keinen Ausweg mehr. Frank­reich hatte sich selbst und auch Preußen jede Möglichkeit des Einlenkens abgeschnitten und „nur wenn einer der beiden Hauptakteure gestürzt worden wäre, hätte der Krieg vermieden werden können“[50].

Die Kandidatur Leopolds war fast völlig in den Hintergrund getreten. Sicherlich wollte Frankreich noch immer die Kandidatur aus der Welt schaffen, doch viel mehr wollte man die Demütigung Preußens und Preußen wollte diese verhindern. Es dürfte sogar fraglich sein, ob Frankreich jemals gehofft hatte, durch seine Interpellationen in Berlin die Kandi­datur zu stürzen und nicht von Anfang an diesen Weg nur aus dem zuvor genannten Grund wählte. Betrachtet man, auf welche Art die Kandidatur hinfällig wurde, wird die Richtig­keit dieser Annahme weiter bestärkt. Die französische Regierung hatte seit dem
3. Juli alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt, um die Kandidatur in Spanien zu Fall zu bringen und die Aussichten auf Erfolg waren gar nicht schlecht. „Sie bemühte sich, auf unterirdischen Kanälen die Mehrheit für den Hohenzollern zu sprengen; sie wirkte direkt auf die Regierung ein; und sie nützte den Zwiespalt zwischen Prim und Serrano[51] aus“[52]. Doch letzteres war gar nicht mehr nötig. Als am 9. Juli Serrano den französischen Botschafter empfing, war er bereits entschlossen, „in irgendeiner schicklichen Art und Weise wieder aus diesem Abenteuer herauszukommen“[53] und bereits einen Tag später hatte Prim Serranos Vorschlag zugestimmt. Noch am 10. Juli reiste ein spanischer Gesandter unter strengster Geheimhaltung nach Sigmaringen, um die Hohenzollern davon zu unterrichten, dass eine Aufgabe der Kandidatur unter den gegebenen Umständen wünschenswert sei.

Ebenfalls am 9. Juli wurde Benedetti nach Ems geschickt, um König Wilhelm davon zu überzeugen, seine Einwilligung in die Kandidatur zurück zu ziehen. Doch noch vor dem ersten Gespräch zwischen Benedetti und König Wilhelm wusste Gramont, dass die Kandi­datur inoffiziell bereits gescheitert war. Alle Bemühungen Benedettis dienten also nur noch Gramonts eigentlichen Zielen, der Demütigung Preußens und seinem großen diplomati­schen Triumph.

2.2 Frankreichs Garantieforderung und die „Emser Depesche“

Frankreich hatte richtigerweise im preußischen König die Schwachstelle in Preußens Posi­tion bei der Thronfrage erkannt. Bismarck war vor den französischen Drohungen nicht zurück gewichen, er konnte es wie gesagt auch gar nicht. Bismarck allerdings war, im Gegensatz zu seinem König, von der Kandidatur auch völlig überzeugt. Wollte Gramont also den von ihm so sehnlich gewünschten diplomatischen Erfolg über Preußen erringen, so musste er König Wilhelm dazu bringen, den Hohenzollern den Verzicht zu befehlen. Was Gramont nicht verstanden hatte, war, dass auch Wilhelm sich keinen Drohungen beu­gen würde, sondern im besten Fall, angesichts des drohenden Krieges, den er nach Kräften vermeiden wollte, den Franzosen einen Ausweg aus der Krise anbieten würde, die in seinen Augen durch Bismarck verursacht worden war. Am 8. Juli, also an dem Tag, an dem Benedetti in Ems eintraf, schilderte Wilhelm selbst gegenüber dem norddeutschen Militärattaché in Frankreich, Waldersee, seine Sicht der Lage:

„Dass wir nun so mit einem Schlage vor einer ernsten Verwicklung stehen, ist mir im hohen Grade unangenehm. Ich verdanke das jedenfalls Bismarck, der die Sache auf die leichte Achsel genommen hat, wie schon so manche andere. Zunächst kann ich mich gar nicht dareinmischen, ich halte meinen anfänglichen und allein korrekten Standpunkt fest. Ich leugne nicht, dass ich da zwei Rollen spiele, aber ich kann sie völlig auseinander halten. Niemals habe ich mit jeman­dem direkt oder offiziell verhandelt und mich auch zu nichts verpflichtet. Ich kann die französische Regierung nur an den Fürsten Hohenzollern weisen und werde auf diesen keinerlei Einfluss ausüben. Sollte aber Frankreich einen Vor­wand zum Krieg suchen – nun, dann soll es uns bereit finden! (Diese Worte wur­den mit großem Nachdruck gesagt.) Dass ich in meinem hohen Alter nicht den Wunsch habe, noch einen so großen Krieg zu führen und so ernste Verwicklungen nicht leichtfertig herbeigeführt habe, das wird die Welt mir wohl glauben. Wird mir aber ein Krieg aufgedrängt, so werde ich ihn führen im festen Vertrauen auf meine ausgezeichnete Armee“[54].

Es wird deutlich, dass Wilhelm offen für eine Lösung der um die Thronkandidatur Leopolds entstandenen Krise war, für mehr aber auch nicht. Benedettis Mission in Ems war aber ja schon eine ganz andere. Das geht deutlich aus den beiden Schreiben hervor, in denen Gramont Benedetti seine Anweisungen erteilte. Das eine Schreiben war eine Depe­sche, die wohl auch für die spätere Veröffentlichung gedacht gewesen war, das andere ein vertraulicher Brief. Schon in der Depesche forderte Gramont, „der König solle dem Prin­zen Leopold raten, von seiner Kandidatur zurückzutreten“[55] und schon das war mehr verlangt, als der König am 8. Juli bereit war, zu geben. In seinem Privatbrief fand Gramont noch viel deutlichere Worte und es wird sehr klar, dass seit dem 6. Juli die Besei­tigung der Kandidatur nebensächlich geworden war und hinter die Machtfrage zwischen Frankreich und Preußen zurücktrat, die Gramont mit allen Mitteln für sich entscheiden wollte.

„In fordernder Sprache verlangte er, der König solle die Zurücknahme der Kandi­datur herbeiführen. Der Krieg könne nur verhindert werden, wenn die Regierung des Königs nicht billige, dass ein Prinz der Hohenzollern die spanische Krone annehme; sie solle ihm deshalb den Befehl geben, von diesem Entschluss abzu­stehen, den er ohne des Königs Zustimmung gefasst habe. Benedetti wurde ange­wiesen, eine schnelle und bestimmte Antwort zu verlangen. Auf dilatorisches oder ausweichendes Verhalten sollte er sich nicht einlassen. […] ‚Wenn Sie von dem König erreichen, dass er die Annahme des Prinzen von Hohenzollern widerruft, so wird das ein großer Erfolg sein…, wenn nicht, der Krieg’. In einem Nachsatz betonte Gramont, Benedetti solle sich in Acht nehmen vor einer Antwort, die etwa besage, der König wolle den Prinzen seinem Schicksal überlassen und sich neutral verhalten“[56].

Diese Anweisung an Benedetti beweist einmal mehr kein großes diplomatisches Geschick und wurde auch in Frankreich, unter anderem als „kriegerischer Kommentar zur Regie­rungserklärung vom 6. Juli“[57], hart kritisiert. Seine Sehnsucht nach einem großen diplomati­schen Sieg machte Gramont blind für die Realität. Er verstand nicht, dass Preu­ßen, das er vor die Entscheidungsfrage „Demütigung oder Krieg?“ stellte, diese nur auf eine Art beantworten konnte. Er verkannte völlig die politische Lage und Stellung Frank­reichs in Europa, denn zu dieser Zeit hätte auch für ihn klar sein müssen, dass Frank­reich jede Unterstützung in Europa verlieren würde, wenn es seine beleidigenden Forderungen gegenüber Preußen nicht mäßigte, dass ein Krieg, verursacht durch diese Machtfrage, die nationale Ehre Deutschlands berühren würde, was bedeutete, dass sich die süddeutschen Staaten, deren Neutralität der wesentliche Faktor in Frankreichs Rechnung war, auf die Seite Preußens stellen würden. „Gramont führte die gleiche Politik fort, die er am 6. Juli begonnen hatte, und unterlag somit auch dem gleichen Irrtum. […] Er überschätzte seine Ausgangsposition und unterschätzte die Kraft des Feindes“[58].

Am Nachmittag des 9. Juli trafen König Wilhelm und Benedetti zu einem ersten Gespräch zusammen[59]. Benedetti wusste, dass er die aggressiven, drängenden und beleidigenden Forderungen Gramonts aus dem Privatbrief nicht vortragen konnte und hielt sich deshalb an die gemäßigten Anweisungen aus der Depesche. Er legte Wilhelm also nahe, Leopold den Rücktritt von der Kandidatur anzuraten, was dieser ablehnte. Wilhelm folgte zunächst dem von Bismarck vorgegebenen Weg: Die preußische Regierung habe mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun, die Sache sei spanischen Ursprungs und man solle sich an Spanien und die Hohenzollern wenden. Dann allerdings gab er zu, dass er von der Unter­nehmung gewusst habe, dass auch Bismarck unterrichtet worden sei und ließ durchblicken, dass er im Falle eines freiwilligen Verzichts der Hohenzollern diesem nicht im Wege stehen würde. Ferner sagte er, er warte auf eine Antwort der Hohenzollern, die er kontak­tiert habe, um zu erfahren, wie sie in diesem Moment zu der Sache stünden und bat Benedetti zu warten, bis er diese Antwort erhalten habe. „Der König hatte in der Sache nicht nachgegeben, war aber den Franzosen weiter entgegen gekommen, als es Bismarcks Politik dienlich war“[60]. Benedetti musste mit diesem ersten Gespräch nicht unzufrieden sein. Immerhin hatte Frankreich nun die Bestätigung, dass die preußische Regierung in die Angelegenheit verwickelt war, man wusste, dass Wilhelm einen freiwilligen Verzicht billigen würde und man konnte hoffen, dass es zu diesem auch kommen würde.

Am Morgen des 10. Juli trafen die Antwortschreiben Karl Antons in Ems ein, die erkennen ließen, dass der Fürst mit dem Ausmaß der Krise recht unglücklich war und es wohl durch­aus in seinem Interesse lag, die ganze Sache aufzugeben, was natürlich gegen den Willen Bismarcks gewesen wäre. Am Nachmittag desselben Tages entschied sich Wilhelm, den Hohenzollern den Verzicht nahe zu legen und handelte damit erstmals während der Krise gegen den Willen seines Kanzlers und ohne mit diesem Rücksprache zu halten. Damit war die Kandidatur endgültig vom Tisch. Es galt nun, die Verzichtserklärung so zu gestalten, dass jegliche Beteiligung Wilhelms geheim blieb. Benedetti durfte nicht vom König über den Verzicht informiert werden, vielmehr musste Frankreich über andere Wege davon erfahren: Am 12. Juli berichtete Karl Anton zum einen den Verzicht Leopolds[61] nach Spa­nien, über dessen Gesandte die Nachricht nach Paris dringen sollte, zum anderen wurde im Schwäbischen Merkur und in der Augsburger Allgemeinen Zeitung eine Notiz veröffent­licht, die das deutsche Volk über die Lage informierte und die Angelegenheit somit offi­ziell bekannt machte. „Das deutsche Volk sollte wissen, dass für Frankreich jeder Kriegs­vorwand entfallen sei und jede weitere Forderung einen direkten Angriff auf Deutschland darstellte“[62]. Bewusst wählte man diese nichtoffiziellen Blätter, um „den privaten Charakter des Schrittes zu betonen. Sie [die Notiz] ging von Sigmaringen nur in der einen Version ab und nur an die genannten Blätter. Die Form, in der die Kölnische Zeitung die Nachricht brachte, stammte, wie Karl Anton ausdrücklich bemerkte, nicht aus Sigma­ringen“[63]. Wilhelm war erleichtert über den Verzicht und erklärte Benedetti am Nach­mittag des 12. Juli, dass er am nächsten Tag Antwort aus Sigmaringen erwarte und den Botschafter zu sich bitten werde, sobald diese bei ihm eingetroffen sei, wohl wissend, dass bis dahin die ganze Sache offiziell schon vom Tisch sein würde. Man kann auch davon ausgehen, dass die Verzichtserklärung, wie sie die Kölnische Zeitung in einem Extrablatt druckte, aus Ems stammte, um ganz sicher zu gehen, dass Benedetti noch vor der Audienz beim König informiert sein würde.

Noch am 12. Juli erfuhr man in Paris von der Verzichtserklärung der Hohenzollern. Für Gramonts Politik war sie ein Desaster. Er wollte nicht sehen, dass der Verzicht bereits ein Erfolg für Frankreich war. Er wollte immer noch seinen großen diploma­tischen Sieg über Preußen, doch er wusste, dass er diesen nur dann feiern konnte, wenn der Verzicht offiziell mit dem direkten Einwirken des Königs zustande kam. Im Alleingang versuchte er mit allen Mitteln, doch noch zu seinem Triumph zu kommen. Zuerst versuchte er, den preußi­schen Botschafter in Paris, Freiherr von Werther, durch einen Trick dazu zu bringen, die Beteiligung des Königs an der Verzichtserklärung zu offenbaren. Beiläufig sagte er in einem Gespräch, dass der Verzicht Leopolds nicht ohne Anraten des Königs geschehen sei. Hätte Werther mit Ja geantwortet, hätte Gramont dies als offizielle Aussage eines Gesand­ten gegenüber dem Außenminister gewertet. Doch Werther war gewarnt und fiel nicht auf den Trick herein, woraufhin Gramont dann anregte, König Wilhelm solle eine Art Entschuldigungsbrief an Napoleon schreiben, in dem seine Beteiligung an der Kandidatur und dem Verzicht offenkundig würde und in dem er sein Bedauern über die dadurch ent­standene Krise äußern sollte. Dieses Ansinnen betrachtete König Wilhelm als eine „unver­schämte Zumutung“[64], nach der er schon den Entschluss gefasst haben dürfte, Benedetti nicht noch ein weiteres Mal zu empfangen.

Doch Gramont ging noch einen Schritt weiter: Gegen 19 Uhr am 12. Juli telegrafierte er an Benedetti, „er solle vom preußischen König ein bindendes Versprechen verlangen, dass er, der König, eine Wiederaufnahme der Kandidatur auch in Zukunft nicht zulassen werde“[65]. Dass auch Napoleon dieser Forderung zustimmte ist etwas verwunderlich. Noch am Nachmittag wollte er sich mit der einfachen Verzichtserklärung zufrieden geben, da für ihn, der den Krieg keinesfalls wollte, die Sache erledigt gewesen war.

„Stellen Sie sich vor“, sagte er zu General Bourbaki, „dass eines schönen Tages im Kanal eine Insel aus den Tiefen des Meeres emporsteigt: England und Frank­reich beanspruchen deren Besitz. Beide rüsten, um ihre Rechte zu unterstützen. Dann, eines Morgens, versinkt die Insel im Meer. Dann ist kein Krieg mehr mög­lich. Nun, die Kandidatur des Prinzen von Hohenzollern war diese Insel. Keine Insel mehr, kein Krieg, keine Kandidatur, kein Krieg“[66].

Doch wie immer in dieser Zeit schwankte der Kaiser unter dem Druck der Öffentlichkeit und dem Druck der zum Krieg hetzenden Rechten, die er irgendwie befriedigen musste, um seine eigene Stellung nicht noch weiter zu gefährden. Vielleicht war er auch der Ansicht, diese mündliche Garantieerklärung wäre noch eher von Wilhelm zu verlangen als ein Entschuldigungsbrief, auf jeden Fall stimmte er Gramonts Vorgehen zu.

Benedetti dagegen war mit der Forderung Gramonts nicht einverstanden. Dennoch wurde ihm die undankbare Aufgabe zuteil, von König Wilhelm die Garantieerklärung verlangen zu müssen. Schon vorher war er aus Paris zu stark unter Druck gesetzt und so hart getadelt worden, dass eine Weigerung für ihn undenkbar erschien. Hinzu kam, dass Benedetti die Antwort des Königs schnell benötigte, nicht nur, weil Gramont energisch darauf drängte, noch vor der Kammersitzung am Nachmittag des 13. Juli eine Antwort zu erhalten, son­dern auch, weil Bismarck gegen Mittag in Ems erwartet wurde, und Benedetti wusste, dass es dann wohl keine Möglichkeit mehr geben würde, die erstrebte Aussage vom König zu erhalten. Bis dahin war es gerade Benedettis Geschick zu verdanken gewesen, dass Frank­reich im ersten Teil der Emser Verhandlungen überhaupt einen Erfolg verbuchen konnte. Doch am 13. Juli beging er, von Gramont gehetzt, gleich zwei schwerwiegende Fehler. Zunächst versuchte er, so bald wie möglich eine Audienz bei Wilhelm zu erlangen, was diesen aber nur misstrauisch machte. Der König ließ Benedetti sagen – ohne eine genaue Zeit zu nennen –, dass er ihn nach seinem Spaziergang empfangen werde. Wilhelm wollte sich ohnehin nicht mehr auf irgendwelche Verhandlungen einlassen. Die Kandidatur war für ihn vom Tisch. Er ließ Benedetti das Extrablatt der Kölnischen Zeitung überreichen und wollte ihm bei der späteren Audienz lediglich noch eine abschließende Mitteilung machen. Schon um 10 Uhr 50 telegrafierte Abeken nach Berlin: „Seine Majestät beabsichtigt ihm [Benedetti] zu sagen, der Fürst teile ihm, dem Könige, mit, dass in Madrid und Paris Erklä­rungen abgegeben seien, dort sei man also von den Entschlüssen des Erbprinzen vor Seiner Majestät unterrichtet, und Graf Benedetti werde sie von Paris erfahren; Er selbst, der König, habe ihm nichts weiter zu sagen“[67]. Doch der Botschafter brauchte die Garantie­erklärung des Königs und er brauchte sie schnell. Er entschloss sich also – und das war sein zweiter Fehler –, den König beim Spaziergang auf der Promenade abzufangen, um ihm das französische Anliegen zu unterbreiten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Von Wilhelm selbst wissen wir, wie sich diese Szene abgespielt hat[68]: Benedetti trug die Garantieforderung vor, Wilhelm wies sie betroffen zurück. Benedetti wurde daraufhin immer aufdringlicher, bis der König sich mit nachdrücklichem Ernst jede weitere Zumutung verbat und das Gespräch abschnitt. Die geplante Audienz ließ Wilhelm absagen. Er schrieb Abeken eine Mitteilung, in der er das Zusammentreffen mit Benedetti schilderte, und fasste den Entschluss, dass die Öffentlichkeit von den unverschämten Forderungen Frank­reichs in Kenntnis gesetzt werden sollte. Die Art und Weise, wie dies geschehen sollte, überließ er Bismarck. Abeken schickte diese Mitteilung als Telegramm[69] nach Berlin, wo es zur Vorlage für Bismarcks „Emser Depesche“ werden sollte.

Schon allein durch die definitive Zurückweisung der Garantieforderung steckte Frank­reichs Politik in der Sackgasse. Man hatte nach dem Wegfall der Kandidatur keinen Grund mehr gehabt, gegen Preußen vorzugehen, und nun war auch der letzte mögliche Versuch gescheitert, doch noch einen diplomatischen Sieg zu erringen. Ein Rückzug wäre aus fran­zösischer Sicht nur noch möglich gewesen, wenn die Ablehnung der Garantieforderung nicht bekannt geworden wäre. Doch eben dafür sorgte Bismarck, mit Wilhelms ausdrück­licher Genehmigung, äußerst rasch. Er redigierte Abekens Telegramm, verkürzte es und verschärfte es dadurch. Der Vorwurf, Bismarck hätte das Telegramm so stark verändert, dass es einer Fälschung gleichkomme, ist haltlos, da die Fakten immer noch der vollen Wahrheit entsprachen. Dann ließ er seine „Emser Depesche“ in der Norddeutschen Allge­meinen Zeitung veröffentlichen und sandte sie per Telegramm an alle europäischen Haupt­städte, die großen wie die kleinen. Die „Emser Depesche“ war Bismarcks Antwort, sein Gegenangriff auf die französische Kammererklärung vom 6. Juli. Er hielt durch seine „Emser Depesche“ alle Trümpfe in der Hand, um sein oberstes Ziel, die Einigung Deutschlands, erreichen zu können: Der Sturz Napoleons würde ihm dabei helfen, ein sieg­reicher Krieg ebenso. Preußens Lage hätte nicht besser sein können. Der einzige Kriegs­grund Frankreichs war nicht mehr existent, Frankreich würde isoliert sein, da Europa eine jetzt erfolgende Kriegserklärung Frankreichs nicht billigen würde, und doch konnte Frank­reich die Veröffentlichung der „Emser Depesche“ nicht hinnehmen, da das den Sturz Napoleons und seiner Regierung bedeutet hätte. Der Druck der Öffentlichkeit auf Napoleon war immens, er hatte keine Wahl. Ob er wollte oder nicht, er konnte nicht mehr zurückweichen. Metternich telegrafierte am Nachmittag des 14. Juli an seinen Außen­minister, Beust: „Der Druck der öffentlichen Meinung nimmt eine derartige Form an, dass der Frieden von nun an unmöglich scheint“[70], Plichon sagte zu Napoleon: „Sire, […] entre le roi Guillaume et vous, la partie n’est pas égale. Le roi peut perdre plusieurs batailles. Pour Votre Majesté, la défaite, c’est la Révolution“[71] und der Kaiser selbst beschrieb die ausweglose Situation gegenüber seinem Ministerpräsidenten, Ollivier, mit den Worten: „Sehen Sie, in welcher Lage sich eine Regierung manchmal befinden kann: – wir haben keinen richtigen Kriegsgrund, trotzdem werden wir uns für ihn entscheiden müssen, um dem Willen des Landes zu gehorchen!“[72].

Am Abend des 14. Juli befahl der Kaiser die Mobilmachung. Am Morgen des 15. Juli wurde im letzten Ministerrat vor dem Krieg, der nun streng genommen wegen eines Ehrenstandpunktes ausbrach, der genaue Wortlaut der Kriegserklärung[73] festgelegt. Sie stellte den eigentlichen Sachverhalt sehr schief dar: Das Entgegenkommen Wilhelms wurde fast völlig verschwiegen, die Verbreitung der „Emser Depesche“, die Audienz­ver­weigerung und die preußischen Rüstungen wurden in den Vordergrund gestellt. Außen­politisch wäre es klüger gewesen, die Dinge so darzubringen, wie sie stattgefunden hatten, um die Isolierung Frankreichs in Europa in Grenzen zu halten. Aus innenpolitischen Überlegungen heraus war dies aber nicht möglich. Am 17. Juli wurde die Kriegserklärung nach Berlin geschickt, wo Le Sourd sie am 19. Juli an Bismarck übergab. Und da
Le Sourds erste Anfrage vom 4. Juli ja inoffiziell gewesen war, konnte Bismarck am nächsten Tag vor dem Norddeutschen Reichstag sogar mit Recht behaupten: „Wir haben nämlich von der kaiserlichen französischen Regierung in der ganzen Angelegenheit nur eine ein­zige amtliche Mitteilung erhalten: es ist dies die gestrige Kriegserklärung!“[74].

2.3 Englands Neutralität

In den 1860er Jahren hatte sich England in Europa mehr und mehr auf seine Politik der „honest non-intervention“ zurückgezogen, die auch in der Bevölkerung auf große Zustim­mung stieß. Die inneren Angelegenheiten, das Engagement in Asien und die Probleme in Amerika machten diese Politik für England nötig und bis zur deutschen Reichsgründung 1871 gab es keinen Grund, von ihr abzurücken, da das Gleichgewicht in Europa aus engli­scher Sicht nicht gefährdet war und die Kriege der 1860er Jahre die englischen Interessen nicht berührten. Durch diese Politik hatte das englische Wort in Europa etwas an Bedeu­tung verloren, hatte aber immer noch Gewicht, vor allem, weil diese Politik auch dafür sorgte, dass England sich keiner anderen Großmacht in Europa in irgendeiner Weise ver­pflichtete und somit den Ruf der neutralen und unparteiischen Macht Europas genoss.

Englands unbeteiligte, ja gleichgültige Haltung gegenüber der kontinentaleuropäischen Politik führte in den Tagen vor dem deutsch-französischen Krieg mehrfach dazu, dass die englischen Politiker von den Vorgängen selbst und der Geschwindigkeit, mit der diese sich entwickelten, überrascht wurden und ihre Reaktionen auf die Ereignisse im Juli 1870 meistens zu spät kamen. Noch am 3. Juli, zwei Tage, bevor die Thronkandidatur in London bekannt wurde, und nur zwei Wochen vor der französischen Kriegserklärung, bemerkte der Staatssekretär des Foreign Office gegenüber dem neuen Außenminister Lord Granville, dass er noch nie eine solche Flaute in den auswärtigen Angelegenheiten erlebt habe[75].

Bis zum 5. Juli bot die Lage in Europa für England keinen Grund zur Beunruhigung. Skeptisch betrachtete man nur eine mögliche deutsche Einigung, die aber, angesichts der Tatsache, dass die süddeutschen Staaten sich immer weiter von Preußen und dem Nord­deutschen Bund entfernten, wohl erst in einer fernen Zukunft stattfinden würde, und man war zuversichtlich, dass Bismarck keine Ambitionen hatte, die Einigung über Gebühr voranzutreiben. An einem starken Preußen in der Mitte Europas, zwischen Frankreich und Russland, war man dagegen durchaus interessiert. Preußen galt in England als Friedens­garant und wurde als „natural friend of all who want peace“ bezeichnet[76]. Ebenso war man zuversichtlich, dass Napoleon keinen Krieg mit Preußen, der eine deutsche Einigung mög­licherweise beschleunigt hätte, beginnen würde, wenn er befürchten musste, dass er sich damit auch England zum Feind machen würde[77]. Mit dem Bekanntwerden der Thronkandi­datur der Hohenzollern musste man aber auch in England erkennen, dass durch sie ein möglicher Kriegsgrund entstanden war. Die Frage war nun, wie man sich verhalten sollte. Dass der britische Außenminister, Lord Clarendon, am 29. Juni verstorben war, und sein Nachfolger, Lord Granville, gleich in seinen ersten Amts­tagen mit diesen sich überschlagenden Ereignissen im Juli 1870 konfrontiert und oftmals auch etwas überfordert wurde, war einer entschlossenen englischen Poli­tik im Rahmen des Non-Interventionismus natürlich nicht förderlich.

Die Kandidatur Leopolds an sich hatte für England verschiedene Aspekte: Man war froh darüber, dass durch die Hohenzollernkandidatur die Möglichkeit einer spani­schen Republik vom Tisch war, die den englischen Interessen nicht entsprochen hätte. Auch fand die Diskussion um Gibraltar ein Ende, die Spanien im Zusammenhang mit Ferdinand von Portugal neu entfacht hatte. Die englische Regierung verstand zunächst aber auch, dass ein preußischer Prinz auf dem spanischen Thron für Napoleon unangenehm war, und man versuchte, in Berlin und Madrid durch freundliches Zureden eine Aufgabe der Kandidatur zu erreichen. Eine Unterstützung der französischen Interessen, wie sie Gramont, in der Bereitschaft Englands zu vermitteln sehen wollte, war dies aber keines­falls. Die Stimmung in England war von Beginn an pro-preußisch, wenngleich deshalb nicht anti-französisch. Die Wahl Leopolds zum König Spaniens hätte die englischen Inte­ressen nicht berührt, eine moderate Veränderung der Kräfteverhältnisse auf dem Kontinent zu Gunsten Preußens wäre England sogar sehr willkommen gewesen und beinahe genauso erwünscht wie in Berlin. Lediglich die Kriegs­gefahr, die aus der französischen Gegenwehr resultierte, warf aus der Sicht Englands einen Schatten auf die ganze Angelegenheit. Die zaghaften Versuche der englischen Regierung, auf Preußen und Spanien einzuwirken, ent­sprachen dem Stil der englischen Politik: Auf keinen Fall wollte man die spanische Souve­ränität angreifen oder Preußen verärgern. Zwar glaubte auch in England niemand daran, dass die preußische Regierung an der Kandidatur nicht beteiligt war, aber man hielt sich an deren offizielle Aussagen, was eine energische Intervention in Berlin erst recht unmöglich machte.

Die Kammererklärung Gramonts, dessen Ernennung zum Außenminister in London schon genauso bedauert worden war wie in Berlin, ließ dann auch die letzten ehrlichen Sympa­thien für Frankreich verschwinden. Sowohl Granville als auch der englische Botschafter in Paris, Lord Lyons, äußerten unverhohlen und bar jeder Sympathie ihre Kritik an der fran­zösischen Regierung und ihr Unverständnis für deren aggressive Politik angesichts eines doch verhältnismäßig unbedeutenden Ereignisses. Lyons schrieb in einem Privatbrief an Granville:

„The explosion of chauvinism in France is very unfortunate and very alarming. The government undoubtedly desire and hope at the present moment to carry their point without actual war; but they have burnt their ships and left themselves no possible means of escape. […] They enormously exaggerate the injury to their interests […] but they have taken up the question as a point of honour“[78].

Und Granville antwortete offiziell:

„Her Majesty’s government are not able to perceive how the nomination of Prince Leopold of Hohenzollern to the throne of Spain is a matter of such importance to a great and powerful nation like France as to warrant carrying to extremes a national feeling of resentment. Her Majesty’s government feel confident that the Imperial government will act with moderation and forebearance in the further conduct of this affair“[79].

Lyons leitete Granvilles zur Ruhe und Besonnenheit mahnende Worte an Gramont weiter und bekam zur Antwort, dass die öffentliche Meinung in Frankreich das schroffe Vorgehen der Regierung nötig mache und die ganze Angelegenheit vom Tisch wäre, wenn Leopold seine Kandidatur zurückgezogen habe, Frankreich aber, falls dies nicht geschehen sollte, Preußen den Krieg erklären würde[80]. Doch schon jetzt glaubte Lyons Gramont nicht mehr. Es scheint, dass er dessen wahre Absichten schon erkannt hatte. Privat schrieb er an Granville: „If the excitement goes on, the French may choose to pick a quarrel on the form of the renunciation or some other pretext, even if the Prince retires“[81].

Auch nachdem König Wilhelm gegenüber Benedetti seine und Bismarcks Beteiligung an der Kandidatur zugegeben hatte, änderte England bis zum 12. Juli, an dem Karl Anton die Aufgabe der Kandidatur bekannt gab, nichts an seiner Haltung, obwohl man wusste, dass dieses Geständnis einer friedlichen Lösung der Krise nicht dienlich sein würde. Granville schrieb am 12. Juli an die Königin: „It would have been better if the King had been able to say that he was out of the matter, that he had not given his consent, or taken any part in the matter“[82]. Dennoch verhielt die englische Regierung sich offiziell weiterhin so, als habe die preußische Regierung mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun. Millman schreibt hierzu:

„The maintenance of this idiotic fiction by London, though motivated by the desire to avoid a Franco-Prussian war, must have only further irritated the French. All that the British Government managed to do during the crisis before the renun­ciation was to increase French anger against Prussia and confirm Bismarck in his official ignorance of the affair. French exasperation with this last in part accounted for the demand for future guarantees after 12 July“[83].

[...]


[1] Vgl.: Busch, Moritz: Tagebuchblätter, 3 Bde., Leipzig 1899, I, S. 7.

[2] Les Origines Diplomatiques de la Guerre de 1870/71. Recueil de Documents publié par le Ministère des Affaires Étrangères, 29 Bände, Paris 1910-1931.

[3] Fester, Richard: Briefe, Aktenstücke und Regesten zur Geschichte der Hohenzollernschen Thronkandidatur in Spanien, 2 Bände, Leipzig 1913.

[4] Oncken, Hermann (Hg.): Die Rheinpolitik Kaiser Napoleons III. 1863-1870 und der Ursprung des Krieges von 1870/71, 3 Bände, Stuttgart u. a. 1926.

[5] Lord, Robert Henry: The Origines of the War of 1870. New Documents from the German Archives, Cambridge (USA) 1924.

[6] Bismarck, Otto Fürst von: Die gesammelten Werke, 15 Bände, Berlin 1923-1935.

[7] Bonnin, Georges (Hg.): Bismarck and the Hohenzollern Candidature for the Spanish Throne. The Docu­ments in the German Diplomatic Archives, London 1957.

[8] Dittrich, Jochen: Bismarck, Frankreich und die spanische Thronkandidatur der Hohenzollern. Die „Kriegs­schuldfrage“ von 1870, München 1962.

[9] Kolb, Eberhard (Hg.): Europa vor dem Krieg von 1870. Mächtekonstellation – Konfliktfelder – Kriegsaus­bruch, München 1987.

[10] Becker, Josef: Zum Problem der Bismarckschen Politik in der spanischen Thronfrage 1870, in: Historische Zeitschrift 212 (1971), S. 529-607 und ders.: Bismarck, Prim, die Sigmaringer Hohenzollern und die spani­sche Thronfrage, in: Francia 9 (1981), S. 435-472.

[11] Wetzel, David: A Duel of Giants: Bismarck, Napoleon III. and the Origins of the Franco-Prussian War, Madison 2001. Deutsch: Duell der Giganten. Bismarck, Napoleon III. und der deutsch-französische Krieg 1870-1871, Paderborn u. a. 2005 (noch nicht erschienen).

[12] Kleinmann, Hans-Otto: Die spanische Thronfrage in der internationalen Politik vor Ausbruch des deutsch-französischen Krieges, in: Europa vor dem Krieg von 1870, hg. v. E. Kolb, S. 125-150

[13] Millman, Richard: British Foreign Policy and the Coming of the Franco-Prussian War, Oxford 1965.

[14] Koelle, William: Englische Stellungnahmen gegenüber Frankreich in der Zeit vom deutsch-französischen Kriege 1870/71 bis zur Besetzung Ägyptens durch England 1882. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Welt­kriegs, Berlin 1934.

[15] Beyrau, Dietrich: Russische Orientpolitik und die Entstehung des Deutschen Kaiserreiches 1866-1870/71, Wiesbaden 1974.

[16] Rheindorf, Kurt: Die Schwarze-Meer-(Pontus)-Frage vom Pariser Frieden von 1856 bis zum Abschluss der Londoner Konferenz von 1871. Ein Beitrag zu den orientalischen Fragen und zur Politik der Großmächte im Zeitalter Bismarcks, Berlin 1925.

[17] Diószegi, István: Österreich-Ungarn und der französisch-preußische Krieg 1870-1871, Budapest 1974.

[18] Lutz, Heinrich: Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches. Europäische Entscheidungen 1867-1871, Frankfurt/Main u. a. 1979 und ders.: Außenpolitische Tendenzen der Habsburger Monarchie von 1866 bis 1870: „Wiedereintritt in Deutschland“ und Konsolidierung als europäische Macht im Bündnis mit Frankreich, in: Europa vor dem Krieg von 1870, hg. v. E, Kolb, S. 1-16.

[19] Lill, Rudolf: Aus den italienisch-deutschen Beziehungen 1869-1876, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 46 (1966), S. 399-454 und ders.: Italiens Außenpolitik 1866-1871, in: Europa vor dem Krieg von 1870, hg. v. E. Kolb, S. 93-102.

[20] Kolb, Eberhard: Der Kriegsausbruch 1870. Politische Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten in der Julikrise 1870, Göttingen 1970.

[21] Gödde-Baumanns, Beate: Ansichten eines Krieges. Die „Kriegsschuldfrage“ von 1870 in zeitgenössischem Bewusstsein, Publizistik und wissenschaftlicher Diskussion 1870-1914, in: Europa vor dem Krieg von 1870, hg. v. E. Kolb, S. 175-201.

[22] Kolb, Eberhard: Der Weg aus dem Krieg. Bismarcks Politik im Krieg und die Friedensanbahnung 1870/71, München 1989; ders.: Der schwierige Weg zum Frieden. Das Problem der Kriegsbeendigung 1870/71, in: Historische Zeitschrift 241 (1985), S. 51-79 und ders.: Der Pariser Commune-Aufstand und die Beendigung des deutsch-französischen Krieges, in: Historische Zeitschrift 215 (1972), S. 265-298.

[23] Schaarschmidt, Thomas: Außenpolitik und öffentliche Meinung in Großbritannien während des deutsch-französischen Krieges von 1870/71, Frankfurt/Main u. a. 1993.

[24] Lipgens, Walter: Bismarck, die öffentliche Meinung und die Annexion von Elsass und Lothringen 1870, in: Historische Zeitschrift 199 (1964), S. 31-112 und ders.: Bismarck und die Frage der Annexion 1870. Eine Erwiderung, in: Historische Zeitschrift 206 (1968), S. 586-617.

[25] Gall, Lothar: Zur Frage der Annexion von Elsass und Lothringen 1870, in: Historische Zeitschrift 206 (1968), S. 265-326 und ders.: Das Problem Elsass-Lothringen, in: Reichsgründung 1870/71. Tatsachen – Kontroversen – Interpretationen, hg. v. Theodor Schieder und Ernst Deuerlein, Stuttgart 1970, S. 366-385.

[26] Becker, Josef: Baden, Bismarck und die Annexion von Elsass-Lothringen, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 115 (1967), S. 1-38.

[27] Kolb, Eberhard: Bismarck und das Aufkommen der Annexionsforderung 1870, in: Historische Zeitschrift 209 (1969), S. 318-356.

[28] Bosl, Karl: Die Verhandlungen über den Eintritt der süddeutschen Staaten in den Norddeutschen Bund und die Entstehung der Reichsverfassung, in: Reichsgründung 1870/71, hg. v. Th. Schieder, S. 148-163.

[29] Duroselle, Jean-Baptiste: Die europäischen Staaten und die Gründung des deutschen Reiches, in: Reichs­gründung 1870/71, hg. v. Th. Schieder, S. 386-421.

[30] Hildebrand, Klaus: Großbritannien und die deutsche Reichsgründung, in: Europa und die Reichsgründung, hg. v. E. Kolb, S. 9-62 und ders.: Die deutsche Reichsgründung im Urteil der britischen Politik, in Francia 5 (1977), S. 399-424.

[31] Rumpler, Helmut: Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches, in: Europa und die Reichs­gründung, hg. v. E. Kolb, München 1980, S. 139-167.

[32] Erlass Bismarck an Werthern, Berlin 26.2.69, Bismarck: Die Gesammelten Werke, VIb, S. 2.

[33] Vgl.: Kleinmann: Die spanische Thronfrage, S. 132.

[34] Vgl.: Ebd., S. 143.

[35] Vgl.: Ebd., S. 145.

[36] Ebd., S. 146.

[37] Nach dem Scheitern der Hohenzollernkandidatur wurde Herzog Amadeo von Aosta am 16.11.1870, also noch mitten im deutsch-französischen Krieg, von den spanischen Cortes doch noch zum König Amadeus I. gewählt, dankte aber bereits am 11.2.1873 zugunsten der Ersten Republik wieder ab.

[38] Kleinmann: Die spanische Thronfrage, S. 148.

[39] Karl Anton an Bismarck, Düsseldorf 25.2.70, Fester: Briefe, Nr. 104.

[40] Salazar an Werthern, Rheineck 20.9.69, Fester: Briefe, Nr. 82.

[41] Vgl.: Dittrich: Bismarck, S. 83.

[42] Ebd., S. 86.

[43] Telegramm Gramont an Le Sourd, Paris 3.7.70, Origines Diplomatiques, Nr. 8242, zitiert nach ebd., S. 88.

[44] Dittrich: Bismarck, S. 88.

[45] Telegramm Le Sourd an Gramont, Berlin 4.7.70, Origines Diplomatiques, Nr. 8246.

[46] Gramont auf der Sitzung des Corps législatif, Paris 6.7.70, Fester: Briefe, Nr. 289.

[47] Bismarck: Die gesammelten Werke, XV, S. 305.

[48] Bericht Metternich an Beust, Paris 8.7.70, Oncken: Rheinpolitik, Nr. 848.

[49] Vgl.: Dittrich: Bismarck, S. 129f.

[50] Ebd., S. 133.

[51] Prim und der spanische Ministerpräsident, Serrano, waren sich bei der Kandidatur Leopolds nicht einig gewesen. Serrano hatte einen zu großen Konflikt mit Frankreich vorhergesehen, sich aber dennoch auf Prims Plan einer Kandidatur eines Hohenzollernprinzen für den spanischen Thron eingelassen. Auch in anderen politischen Fragen waren Prim und Serrano sich zu dieser Zeit nicht sonderlich einig. Einen Keil zwischen beide zu treiben, um Serrano dazu zu bringen, Prim die Kandidatur Leopolds auszureden, wäre unter diesen Umständen durchaus möglich gewesen.

[52] Ebd., S. 138.

[53] Ebd., S. 142.

[54] Wilhelm zu Waldersee, 8.7.70, Waldersee, Alfred Graf von: Denkwürdigkeiten, hg. v. H. O. Meißner, Stuttgart 1923, I, S. 73f.

[55] Depesche Gramont an Benedetti, Paris 7.7.70, Origines Diplomatiques, Nr. 8297, zitiert nach Dittrich: Bismarck, S. 169.

[56] Privatbrief Gramont an Benedetti, Paris 7.7.70, Origines Diplomatiques, Nr. 8298, zitiert nach Dittrich: Bismarck, S. 169f.

[57] Dittrich: Bismarck, S. 170.

[58] Ebd., S. 170f.

[59] Die Quellen für dieses Gespräch vom 9.7.70: Benedettis Telegramm und sein ausführlicher Bericht, Origines Diplomatiques, Nr. 8355, 8357; Wilhelms Brief an die Königin, Fester: Briefe, Nr. 398; Abekens Bericht an Bismarck, Lord: Origines, Nr. 72.

[60] Dittrich: Bismarck, S. 201.

[61] Dass Karl Anton für seinen Sohn verzichtete, der in die Berge gereist und deshalb nicht zu erreichen war, sollte von der französischen Regierung noch dazu benutzt werden, die Gültigkeit der Verzichtserklärung in Frage zu stellen.

[62] Dittrich: Bismarck, S. 244.

[63] Ebd.

[64] Brief Wilhelm an Augusta, Ems 13.7.70, Fester: Briefe, Nr. 515.

[65] Dittrich: Bismarck, S. 270.

[66] Ebd., S. 271.

[67] Telegramm Abeken an Bismarck, Ems 13.7.70, Lord: Origines, Nr. 159.

[68] Memorandum König Wilhelms „Der 13. Juli in Ems“, Lord: Origines, Nr. 262; vgl.: Dittrich: Bismarck, S. 282.

[69] Der gesamte Wortlaut des Telegramms von Abeken an Bismarck vom 13.7.70 und Bismarcks „Emser Depesche“ sind dieser Arbeit im Anhang auf Seite 113ff. angefügt.

[70] Telegramm Metternich an Beust, Paris 14.7.70, Oncken: Rheinpolitik, Nr. 885.

[71] Dittrich: Bismarck, S. 317.

[72] Ebd., S. 323.

[73] Origines Diplomatiques, Nr. 8573; eine deutsche Übersetzung im Anhang dieser Arbeit auf Seite 116.

[74] Bismarck vor dem Norddeutschen Reichstag, 20.7.70, Bismarck: Die gesammelten Werke, XI, S. 136.

[75] Vgl.: Alter, Peter: Weltmacht auf Distanz. Britische Außenpolitik 1866-1871, in: Europa vor dem Krieg von 1870, hg. v. E. Kolb, S. 91.

[76] Millman: British Foreign Policy, S. 175.

[77] Vgl.: Ebd., S. 164f.

[78] Privatbrief Lyons an Granville, Paris 7.7.70, ebd., S. 184.

[79] Erlass Granville an Lyons, 9.7.70, Millman: British Foreign Policy, S. 186.

[80] Telegramm Lyons an Granville, Paris 10.7.70, Millman: British Foreign Policy, S. 186.

[81] Privatbrief Lyons an Granville, Paris 10.7.70, Millman: British Foreign Policy, S. 186.

[82] Note Granville an Victoria, 12.7.70, Millman: British Foreign Policy, S. 188.

[83] Millman: British Foreign Policy, S. 189.

Final del extracto de 130 páginas

Detalles

Título
Europa und der deutsch-französische Krieg von 1870/1871
Universidad
University of Würzburg  (Neueste Geschichte)
Calificación
sehr gut
Autor
Año
2005
Páginas
130
No. de catálogo
V45458
ISBN (Ebook)
9783638428590
ISBN (Libro)
9783638779098
Tamaño de fichero
1534 KB
Idioma
Alemán
Notas
Die Examensarbeit behandelt den deutsch-französischen Krieg in seinem europäischen Kontext. In gesonderten Kapiteln werden auch die Kriegsschuldfrage, die Pontuskrise und die deutsche Reichsgründung ausführlich behandelt. Die Arbeit bietet ein Personenverzeichnis sowie ein ausführliches und weiterführendes Quellen- und Literaturverzeichnis.
Palabras clave
Europa, Krieg
Citar trabajo
Jan Hendrik Schmidt (Autor), 2005, Europa und der deutsch-französische Krieg von 1870/1871, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45458

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