Chancen und Grenzen europäischer Planungssteuerung am Beispiel der Leipzig Charta


Trabajo Escrito, 2018

19 Páginas


Extracto


Gliederung

1. Leipzig Charta vor dem Hintergrund globaler Transformationsprozesse und supranationaler Problemstellungen

2. Überblick über EU-Steuerungsmittel in der Planung und Einordnung der Leipzig Charta

3. Analyse der Leipzig Charta
3.1. Vorgeschichte, Hintergrund und Absicht ihrer Entstehung
3.2. Aufbau, Inhalt und formelle Wirkung der Leipzig Charta
3.3. Planungstheoretische Einordnung der Leipzig Charta als Instrument des Leitbilds im Sinne der strategischen Planung

4. Untersuchung der Leipzig Charta auf ihre Chancen und Grenzen als Instrument der Planungssteuerung
4.1. Chance: Leipzig Charta als Orientierungshilfe in Zeiten urbaner Transformationsprozesse?
4.2. Grenze: schwacher rechtlicher Status der Leipzig Charta als Hindernis für die Implementierung ihrer
Inhalte?
4.3. Grenze: verschiedene Ausgangsvoraussetzungen der Länder als weiteres Hindernis ihrer
Implementierung?
4.4. Chance: Leipzig Charta als Katalysator eines Paradigmenwechsels in der supranationalen Stadtentwicklungspolitik?

5. Stadterneuerungspolitik durch Stadtpolitikerneuerung - eine abschließende Bewertung der Leipzig Charta und ein Blick in die Zukunft der europäischen Stadtentwicklungspolitik

1. Leipzig Charta vor dem Hintergrund globaler Transformationsprozesse und supranationaler Problemstellungen

Jüngst betitelte die Fachzeitschrift Raumforschung und Raumplanung das 21. Jahrhundert mit dem Namen „Zeitalter der Städte“ (vgl. Eltges, Weigel 2017: 25). Als Produzenten von Wissen und Innovation, Vorantreiber des wirtschaftlichen Wachstums (vgl. BBSR 2017: 15) und vor allem als Lebens- und Arbeitsort für über Dreiviertel der europäischen Bevölkerung (vgl. Eurostat 2016) bedingen Städte eine extensiv zunehmende Bautätigkeit im Bereich Wohnraum und Infrastruktur. Gleichzeitig stellen sie nationenübergreifend Kristallisationspunkte für neuartige Problemstellungen dar und fordern die nationale Stadtentwicklungspolitik der EU-Mitgliedstaaten somit zum innovativen Handeln heraus. Zu den vielen gesamteuropäischen Herausforderungen in Städten zählen hierbei insbesondere der Ausgleich sozialer Ungleichheiten, Schaffung von Wohnraum und Qualifizierung lokaler Ökonomien (vgl. Pakt von Amsterdam , vgl. Nickel 2009: 395). Dementsprechend scheint der zunehmende Wunsch supranationaler Institutionen naheliegend, Stadtentwicklung als gemeinsame Aufgabe zu betrachten und auf urbane Transformationsprozesse grenzüberschreitend Einfluss zu nehmen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welchen Beitrag supranationale Systeme, wie die Europäische Union, zur Steuerung von Handlungen im Bereich der Stadt- und Raumentwicklung tatsächlich leisten können. Unumstritten stellt das Dokument der Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt, welches 2007 im Rahmen des informellen Ministertreffens zur Stadtentwicklung und territorialem Zusammenhalt unterzeichnet worden ist, einen Meilenstein für länderübergreifenden Stadtpolitik auf Europäischer Ebene dar (vgl. BBSR: 2017: 84). Die folgende Arbeit nimmt es sich zur Aufgabe die Potenziale dieses Dokuments zu untersuchen und mögliche Grenzen seiner Wirkung zu identifizieren.

Hierfür wird in einem ersten Schritt ein kurzer Überblick über allgemeine Steuerungsmöglichkeiten in Stadt- und Raumentwicklung auf europäischer Ebene gegeben und die Leipzig Charta in der Logik politischen Handels der Europäischen Union verortet. Es erfolgen eine Betrachtung ihrer Entstehungsabsicht, eine inhaltliche Zusammenfassung und eine planungstheoretische Einordnung, welche bereits die elementaren Wirkweisen des Dokuments darstellen werden. In einem zweiten Teil dieser Arbeit werden Chancen und Grenzen europäischer Steuerung durch die Leipzig Charta diskutiert, wobei Erfahrungswerte aus Zeiten ihrer Umsetzung bis 2017 in Betracht gezogen werden. Das abschließende Kapitel zielt darauf ab, die Leipzig Charta als Instrument supranationaler Steuerung anhand vorausgegangener Information zusammenfassend zu bewerten.

2. Überblick über EU-Steuerungsmittel in der Planung und Einordnung der Leipzig Charta

Zunächst muss konkretisiert werden, dass diese Arbeit unter dem Begriff Planungssteuerung die Beeinflussung von Handlungen der Akteure in den Bereichen der Raum- und Stadtentwicklung versteht. Die Europäische Union stellt hierbei eine Instanz dar, welche sowohl auf eine systematische gesamteuropäische Raumentwicklung im Sinne der Förderung der europäischen Integration abzielt, als auch seit den 1980er um Entwicklungsförderung auf den Ebenen der Städte bemüht ist (vgl. Frank 2008: 108). Die Europäische Union verfügt über eine Reihe an Mitteln um Planungssteuerung in den Bereichen der Stadt – und Raumentwicklung zu betreiben. Dieses Kapitel gibt lediglich einen knappen Überblick über diese und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Prinzipiell muss festgehalten werden, dass im Vergleich zur Raumentwicklung mit dem Europäischen Raumentwicklungskonzept von 1999, im Bereich der Stadtentwicklung keine formale Stadtpolitik bis zum Pakt von Amsterdam von 2016 auf EU-Ebene existierte (vgl. Frank 2008: 108). Auch heute fehlt die rechtliche Legitimation, die EU-Ebene mit der kommunalen Ebene unmittelbar zu verbinden. Nichtdestotrotz kann lokale Stadtpolitik über die europäischen Kohäsions-, Energie-, Umwelt-, Verkehrs- und Wirtschaftspolitik nicht unbedeutend beeinflusst werden (vgl. ebd.). Zu den grundlegenden machtpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union zählen das Erlassen von Rechtsvorschriften durch das Parlament auf Vorschlag der EU-Kommission, die Festlegung und Ausführung von Finanzinstrumenten durch den EU-Rat, das Parlament und die EU-Kommission und das Aushandeln von Verträgen auf internationaler Ebene, ebenfalls durch die EU-Kommission (vgl. europa.eu). Die EU-Kommission, welche als von den nationalen Regierungen unabhängige Exekutive fungiert, unterteilt sich mit jedem Kommissar in fachliche Ressorts, wobei die Themen der Stadt- und Raumentwicklung über mehrere Ressorts, insbesondere dem Ressort “Regionalpolitik“, abgedeckt werden. Analog können sich die Abgeordneten verschiedener Ausschüsse des EU- Parlaments mit Themen der Stadt- und Raumentwicklung befassen. Im Rahmen der Gesetzgebung können entweder für die Mitgliedstaaten direkt bindende Verordnungen oder Richtlinien etabliert werden, welche in nationales Recht individuell umgesetzt werden müssen.

Ein wesentliches Instrument stellen finanzielle Unterstützungen von Projekten und Initiativen auf Basis der EU- Strukturfondsverordnungen dar (vgl. euraktiv.de), welche von der EU-Kommission verwaltet werden, abhängig von der aktuellen politischen Agenda bemessen und nach Fördersubjekten verteilt werden. Zwischen 2007 und 2013 wurden hierbei für die Stadtentwicklung rund 21,1 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt (vgl. ebd.). Hierbei können insbesondere die Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), Kohäsionsfonds, Europäische Sozialfonds und Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums Maßnahmen der Stadt- und Raumentwicklung finanziell fördern. Eine relevante Grundlage für die Förderung integrierter Stadtentwicklung stellt der Artikel 8 „Nachhaltige Stadtentwicklung“ aus der EFRE-Verordnung1 dar. „Demzufolge kann der EFRE bei Maßnahmen zur nach-haltigen Stadtentwicklung die Förderung der Entwicklung partizipativer, integrierter und nachhaltiger Strategien unterstützen, mit denen der starken Konzentration von wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Problemen in den städtischen Gebieten begegnet werden soll“ (Eltges/Hamann 2010:09).

Fonds sind wiederum in Gemeinschaftsinitativen, welche die Konkretisierungen der Förderziele darstellen, unterteilt (vgl. Frank: 110). Sie werden von der Kommission konzipiert, unter nationaler Kontrolle koordiniert und umgesetzt (vgl. ebd.). Unter den Gesichtspunkten dieser Arbeit sind insbesondere das Programm INTERREG 2, welches grenzübergreifende Kooperationsprojekte, auch im Rahmen der Stadt- und Raumentwicklungunterstützt und das einflussreiche Programm URBAN I/II, welches zwischen 1994 und 2006 Städte mit Entwicklungsdefiziten nachhaltig förderte (vgl. Nickel 2009: 397) und heute von der allgemeinen Kohäsionspolitik der EU verfolgt wird, (vgl. www.ec.europa.eu/regional_policy) zu nennen. Des Weiteren stellt die Initiative JESSICA (Joint European Support for Sustainable Investment in City Areas), entwickelt durch die Kommission, die Europäische Investitionsbank und die Entwicklungsbank des Europarates ein finanztechnisches Revolving-Instrument3 für nachhaltige Investitionen in städtischen Entwicklung und Sanierung dar. Für die Steuerung unterstützend wirken das von EFRE-Mitteln finanzierte Forschungsprogramm EPSON, welches Informationen über Raumentwicklung systematisch erfasst, URBAN -Audit als statistisches Instrument des Städtevergleichs und URBACT, ein Programm mit dem der Wissens- und Erfahrungsaustausch in dem Bereich der integrierten Stadtentwicklung vorangetrieben wird. So ist beispielsweise im Rahmen dieser Initiative in Verbindung mit der Leipzig Charta das Web-basierte Instrument "Referenzrahmen für nachhaltige Stadtentwicklung" zur Untersetzung und Planung integrierter Stadtentwicklungsvorhaben für kommunale Verwaltungen von der EU ins Leben gerufen worden. Des Weiteren existieren auf europäischer Ebene zahlreiche städtische Interessenverbände, informelle Netzwerke und Initiativen ohne formelle Bindung mit dem EU- Steuerungsapparat.

Die Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt wurde anlässlich eines informellen Ministertreffens veranlasst und unterzeichnet. Solche tragen im Rahmen der europäischen Kohäsionspolitik in sämtlichen Fachbereiche zum Ermöglichen einer wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenarbeit nach Lissabonner Vertrag eine wichtige Rolle. Seit der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 zählt die Kohäsionspolitik zu einem der Kompetenzbereiche der Europäischen Union, um strukturelle Entwicklungsunterschiede des EU-Raums auszugleichen (vgl. Nickel 2009:395). Das Grünbuch zum territorialen Zusammenhalt der Kommission unterstreicht die Bedeutung der europäischen Städte für die Entwicklung des europäischen Raums (vgl. ebd.). Sie versteht sich an als ein „strategischer Baustein“ zur Umsetzung der Europäischen Nachhaltigkeitsstrategie mit den Hauptzielen „wirtschaftlicher Wohlstand“, „soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt“ und „Umweltschutz“ (vgl. BBSR 10 Jahre zit. nach ER 2005a und 2006). Des Weiteren stellt die identitätsstiftende „Europäische Stadt“ ein kulturelles Motiv für ein städtisches Engagement der EU dar. Die europäische Stadt wird als gemeinsames historisches Erbe zum einem tragenden Element der „europäischen Identität“, welches es zu schützen gilt, erklärt (vgl. Frank 2008: 108). Als Leitlinie für die Politik der Mitgliedstaaten nimmt die Charta Einfluss auf die Agenda der europäischen Exekutive, folgend also auch Förderziele der EU-Strukturförderung in der Förderperiode 2007-2013. Neben der Leipzig Charta für die Stadtentwicklung ist auch die Territoriale Agenda der EU, ein wesentliches Zeugnis europäischer Bemühungen zur Steuerung räumlicher Entwicklung.

3. Analyse der Leipzig Charta

3.1. Vorgeschichte, Hintergrund und Absicht ihrer Entstehung

Zu den Auswirkungen urbaner Transformationsprozesse, ausgelöst unter anderem durch den Strukturwandel, die Marktliberalisierung und einen weitgehenden Rückzug des Staates aus der Wohnraumversorgung, zählten sozial- räumliche Fragmentierung, städtebaulicher Erneuerungsbedarf, Engpässe bei der Wohnraumversorgung, stagnierende Wirtschaftsentwicklung der Innenstädte und insbesondere das Entstehen sozial-benachteiligter Quartiere (vgl. BBSR 2012: 14). Mit dem Ende der 1990er Jahre wurde erkannt, dass die Städte Europas die „Hauptlast bei der Überwindung gesellschaftlicher Polarisierung und sozialräumlicher Spaltung“ tragen und dass sich diese durch eine Mischung, miteinander zusammenhängender komplexer Problemstellungen charakterisieren (vgl. BBSR 2012:15). In mehreren Veröffentlichungen seit 1999 betonte die EU-Kommission diese Zusammenhänge.

Das Thema der integrierten Stadtentwicklungspolitik erfuhr einen Einzug in die europäische Politikagenda spätestens mit der EU-Mitteilung Wege zur Stadtentwicklung der Europäischen Union, welche 1998 im Rahmen der vier Ziele wirtschaftlicher Wohlstand, Umwelt und Nachhaltigkeit, soziale Integration und Gleichheit, kommunale Selbstverwaltung und Governcance in einem Aktionsrahmen konkretisiert wurden (vgl. Eltges, Weigel 2017: 26). Es wurde somit eine Grundlage geschaffen, Kommunen in der Entwicklung integrierter Stadtentwicklungskonzepte durch die EU-Strukturfonds zu fördern. Begleitet wurden diese Vorhaben durch mitgliedschaftliche Beschlüsse, da Stadtentwicklungspolitik ein von den Mitgliedstaaten getragenes Politikfeld darstellt (vgl. ebd.). Die Mitgliedstaaten unterzeichneten hierfür im Jahre 2000 ein mehrjähriges Arbeitsprogramm in Lille, welches durch das Urban Acquis von Rotterdamm von 2004 und dem Bristol Accord von 2005 ergänzt wurde. Im Rahmen der im Zuge durchgeführten Stadtentwicklungsprojekte erfuhr insbesondere die Gemeinschaftsinitiative URBAN einen starken Einsatz (vgl. ebd.). Bis 2007 entwickelte sich innerhalb der Mitgliedstaaten und der EU-Institutionen ein Einvernehmen für bestimmte Grundsätze und Strategien für Stadtentwicklungspolitik. Es wurde der Mehrwert darin erkannt, zusammen zu arbeiten und sich das Ziel gesetzt, die EU-Bevölkerung die EU-Stadtpolitik in ihrem Lebensumfeld wahrnehmen zu lassen.

Als Höhepunkt der „goldenen Dekade“ der europäischen Stadtentwicklungspolitik kann die Leipzig Charta angesehen werden. Auf Initiative des Bundesministers Tiefensee wurde sie während der deutschen Ratspräsidentschaft anlässlich des informellen EU-Stadtentwicklungstreffens in Leipzig unterzeichnet. Sie galt zu diesem Zeitpunkt als detailreichste Ausarbeitung eines gemeinsames Verständnisses für die europäische Stadt der Zukunft (vgl. Nadler 2014: 6) und bekräftigt das Instrument des integrierten Stadt(teil)entwicklungskonzepts und die besondere Berücksichtigung benachteiligter Quartiere als Methoden einer nachhaltigen Entwicklung (vgl. BBSR 2012: 15). Ihre Verabschiedung fiel mit dem Beginn der neuen Strukturfondsperiode 2007–2013 zusammen und trug somit zur steigenden Bedeutung der städtischen Dimension im Förderkanon der Strukturfonds bei (vgl. Nickel 2009: 395). Am Entstehungsprozess der Leipzig Charta waren von Beginn an alle Mitgliedstaaten, die EU-Kommission und das EU-Parlament, der Ausschuss der Regionen, Nachbarstaaten, Beitrittskandidaten, die OECD4, EU-Investitionsbank und nationale und europäische Stakeholder beteiligt (vgl. Eltges/Weigel 2017: 27). Sie wurde im Rahmen eines partizipativen und diskursiven Prozesses mit diversen Veranstaltungen und Abstimmungen auf europäischer und nationaler Ebene entwickelt (vgl. Nickel 2009: 396). „Der partizipative Entwicklungsprozess der Leipzig Charta macht […] deutlich, dass die Reserviertheit der Mitgliedstaaten gegenüber einem europäischen Dialog zur Stadtentwicklung verflogen ist. Die neu entstandenen Kooperationsformen unterstreichen […]die politische Bedeutung der Charta“ (ebd.).

3.2. Aufbau, Inhalt und formelle Wirkung der Leipzig Charta

Die Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt ist ein etwa sieben Seiten langes Dokument. Sie beginnt mit einer Präambel, in welcher sie sich als mitgliedstaatliches Dokument zur Einigung auf gemeinsame Grundsätze und Strategien der Stadtentwicklungspolitik betitelt. Die beteiligten MinisterInnen verpflichten sich die nachfolgenden Inhalte in ihre nationale Politik umzusetzen, das Instrument der integrierten Stadtentwicklung voranzubringen und eine ausgeglichene räumliche Entwicklung auf Basis eines europäischen Städtesystems zu befördern. Es wird sich für die, seitens der deutschen Ratspräsidentschaft vorgelegten, Studien zu Themen der Stadtentwicklung bedankt, welche zur Unterstützung für die Umsetzung der Ziele aus der Leipzig Charta dienen sollen. In einem folgenden Teil geben die Minister eine Erklärung darüber ab, dass sie die europäischen Städte als wertvolles Gut betrachten, welche es zu schützen und in Sinne der Nachhaltigkeitsstrategie der europäischen Union weiterzuentwickeln gilt. Sie berufen sich hierbei auf eine Zusammenarbeit und ein Verantwortungsbewusstsein für die Stadtentwicklungspolitik auf allen möglichen Ebenen. Es folgt anschließend eine detaillierte Ausführung zweier zentraler Empfehlungen:

1. „Wir empfehlen die Ansätze einer integrierten Stadtentwicklungspolitik stärker zu nutzen.“

Integrierte Stadtentwicklungspolitik definieren die MinisterInnen als eine gleichzeitige und gerechte Berücksichtigung der für die Entwicklung von Städten relevanten Belange und Interessen und erklären sie zu einem Prozess, in dem zentrale Politikfelder in räumlicher, sachlicher und zeitlicher Hinsicht koordiniert werden müssen. Sie geben einen Katalog an Maßnahmen, welche für eine intergierte Stadtentwicklungsplanung zielführend sind und betonen die Wichtigkeit regionaler Vernetzung von Akteuren und die Förderung von Governance-Strukturen. Im Rahmen einer Stärkung städtischer Wettbewerbsfähigkeit heben sie folgende Aspekte heraus und formulieren hierzu konkrete Handlungsvorschläge und Zielvorstellungen: Herstellung und Sicherung qualitätvoller Räume, Modernisierung der Infrastrukturnetze und Steigerung der Energieeffizienz, und aktive Innovations- und Bildungspolitik.

2. „Wir empfehlen besondere Aufmerksamkeit den benachteiligten Stadtquartieren im gesamtstädtischen Kontext zu widmen.“

Die MinisterInnen erklären, dass eine Politik der sozialen Integration die Antwort auf aktuelle Problemstellungen der räumlichen Disparitäten und Destabilisierung der Städte darstellt. Sie betonen, dass darunter eine gut konzipierte soziale Wohnraumpolitik und eine vorausschauende Planung inklusive Präventionsmaßnahmen verstanden werden können. Sie führen folgende Handlungsstrategien für das Entgegenwirken benachteiligter Quartiere an: Städtebauliche Aufwertung, Stärkung der lokalen Wirtschaft und der lokalen Arbeitsmarktpolitik, aktive Bildungs- und Ausbildungspolitik für Kinder und Jugendliche und die Förderung eines leistungsstarken und preisgünstigen Stadtverkehrs. Im Anschluss betonen die MinisterInnen, dass Stadtentwicklungspolitik auf nationaler Ebene verankert werden muss. Sie weisen darauf hin, die EU-Strukturfonds für integrierte Stadtentwicklungsprogramme zu nutzen und erinnern an die Initiativen JESSICA und JEREMIE, welche revolvierende Finanzierungsinstrumenete darstellen und die finanzielle Wirksamkeit herkömmlicher Fördermittel verstärken können. Abschließend wird angemerkt, dass die Entwicklung einer Plattform für Erfahrungsaustausch hinsichtlich integrierter Stadtentwicklung noch aussteht und benötigt wird. Sie unterstreichen die Wichtigkeit starker und lebenswerter Städte für Europa.

Formal stellt die Leipzig Charta ein nicht bindendes Dokument dar (vgl. Nickel 2009: 395). In der Präambel verpflichten sich die MinisterInnen die Grundsätze der Leipzig Charta in nationale Politik umzusetzen, jedoch gibt es keine Konkretisierung in welchem Umfang und Zeitrahmen dies geschehen soll. Auch wird kein rechtliches Ultimatum gesetzt. Die wesentliche Stärke der Leipzig Charta besteht jedoch darin, dass sie unter umfassender, transparenter Beteiligung der europäischen Interessenvertreter als Einigung verstanden werden kann (vgl. ebd.) und somit davon ausgegangen werden kann, dass sie durch diese Legitimierung auf freiwilliger Basis von allen Mitgliedstaaten anerkannt und umgesetzt werden sollte. Aus diesem Grund stellt sie ein politisch „bedeutsames Referenzdokument“ und eine „Errungenschaft europäischer Dimension“ dar (Nickel 2009: 395). Während die Unterzeichnenden sich zwar für die eine „europaweite Verbreitung integrierter Stadtentwicklungspolitik und zur Schaffung der dafür erforderlichen Rahmenbedingungen“ (Frank 2008: 112) verpflichtet haben, gibt es jedoch noch einen weiten Spielraum der Gestaltung konkreter Stadtentwicklungskonzepte, da Festgelegtes in der Leipzig Charta unterschiedlich interpretiert werden kann (vgl. Nadler 2014: 6). Die tatsächliche Wirkung des Dokuments entfaltet sich im Rahmen der Fördermittel, welche an inhaltliche und verfahrensbezogene Bedingungen gebunden sind. Um europäische Fördergelder zu beantragen, müssen Mitgliedstaaten, Regionen und Städte operationelle Programme entwickeln und umsetzen, welche europäische Grundsätze und Leitlinien wie die Leipzig Charta berücksichtigen und den Vorstellungen der EU für Stadtentwicklung entsprechen (vgl. Frank 2008: 112). Somit gelingt es der EU, Einfluss auf sämtliche Bereiche nationaler Politik zu nehmen und EU-spezifisches politisches Denken und Handeln in die Städte zu transferieren und lokal interpretieren zu lassen (vgl. ebd.).

[...]


1 Verordnung (EG) Nr. 1080/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1783/1999 – kurz EFRE-Verordnung

2 Mit EFRE-Mitteln finanzierte Gemeinschaftsinitative zur europäischen territorialen Zusammenarbeit

3 Die EU-Mitglieder investieren Teile ihrer Strukturfondsmittel in Stadtentwicklungsfonds bzw. Holdingfonds, welche Anlageerträge wiederum in Stadtentwicklungsprojekte investieren und somit öffentliche Gelder wiederverwerten (www.ec.europa.eu/regional_policy/de/funding/special-support-instruments/jessica).

4 Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Final del extracto de 19 páginas

Detalles

Título
Chancen und Grenzen europäischer Planungssteuerung am Beispiel der Leipzig Charta
Universidad
University of Weimar
Autor
Año
2018
Páginas
19
No. de catálogo
V455617
ISBN (Ebook)
9783668884656
ISBN (Libro)
9783668884663
Idioma
Alemán
Palabras clave
chancen, grenzen, planungssteuerung, beispiel, leipzig, charta
Citar trabajo
Leena Volt (Autor), 2018, Chancen und Grenzen europäischer Planungssteuerung am Beispiel der Leipzig Charta, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/455617

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