Diskurs zur existenziellen Absicherung in der modernen Arbeitsgesellschaft


Escrito Polémico, 2019

34 Páginas


Extracto


Inhaltsverzeichnis:

1. Der Ausgangspunkt

2. Das industrielle Mantra der Arbeit

3. Politische und ökonomische Grundhaltungen zum gesetzlichen Mindestlohn

4. Der gesetzliche Mindestlohn im Licht der Ethik

5. Industrie 4.0 und die neuen Formen der Erwerbsarbeit

6. Die Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen in Zeiten der Digitalisierung

7. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Der Ausgangspunkt

Einer Erwerbsarbeit nachgehen zu dürfen, ist bereits als das so genannte Recht auf Arbeit im Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 des deutschen Grundgesetzes geregelt. Als Hauptcharakteristikum der Erwerbsarbeit gilt die Bezahlung, der finanzielle Ausgleich, für die geleistete Arbeit. Seit dem 01.01.2015 hat der bundesdeutsche Gesetzgeber mit der Einführung eines Mindestlohngesetzes, die Bezahlung einer Erwerbstätigkeit auf ein verbindliches Minimum festgesetzt. Jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin muss seitdem mindestens diesen gesetzlich festgeschriebenen Stundenbetrag für seine geleistete Arbeit erhalten. Der ursprünglich ab dem 01.01.2015 gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn betrug 8,50 € pro Stunde und hat sich mittlerweile auf 8,84 € erhöht. Das Mindestlohngesetz (kurz MiLoG) sieht grundsätzlich eine stetige Anpassung des Mindestlohns spätestens für einen Zweijahreszeitraum vor. Dieser Zweijahreszeitraum wird erstmals zum 01.01.2019 und dann mit einer weiteren Anhebung zum 01.01.2020 durchbrochen. Der gesetzliche Mindestlohn beläuft sich dann ab dem 01.01.2019 auf 9,19 € pro Stunde und erhöht sich zum 01.01.2020 auf dann 9,35 € pro Stunde. Gesetzliche Mindestlöhne existieren in vielen Ländern weltweit, wobei bereits in 22 europäischen Ländern ein Mindestlohn eingeführt wurde. Deutschland ist dagegen mit seiner Einführung im Jahr 2015 im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern ein regelrechter Spätzünder.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: https://de.statista.com/infografik/2080/mindestlohn-in-europa

Aus der Grafik der Hans-Böckler-Stiftung ist gut erkennbar, dass der Mindestlohn in Deutschland im Vergleich zu seinen westlichen Nachbarn teilweise deutlich niedriger ist. Lediglich die osteuropäischen Länder hinken dem deutschen Mindestlohn deutlich hinterher. Wobei die jeweiligen Lebenshaltungskosten in den Ländern auch deutlich differenzieren und in der Mindestlohnhöhe berücksichtigt werden müssen.

Der Mindestlohn gilt zudem nicht nur vollumfänglich für Arbeitnehmer in Deutschland, sondern auch für ausländische Arbeitnehmer, die nur vorübergehend oder dauerhaft in der Bundesrepublik für ihren ausländischen Arbeitgeber einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Dies regelt das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG), welches sogar im Sinne einer Rechtshierarchie dem Mindestlohngesetz (MiLoG) rechtlich vorgezogen wird.

2. Das industrielle Mantra der Arbeit

Arbeit wird im gegenwärtigen Sinne durch den gezielten Einsatz der physischen und psychischen Kräfte des Menschen zur Erzeugung von Werten oder zur Befriedigung von Bedürfnissen definiert. (vgl. Meyer/Regenbogen 2013, S. 61) Dabei hat der Arbeitsbegriff in seiner geschichtlichen Betrachtung einige Wandlungen in der inhaltlichen Bedeutung durchlaufen. Der heutige Arbeitsbegriff, der sich verengt auf eine Arbeitstätigkeit nur gegen ein gleichwertiges Äquivalent in Form eines monetären Lohns bezieht, auch besser bekannt als Erwerbsarbeit, hat sich in unserem Sprachgebrauch im 19. und 20. Jahrhundert während der Zeit der Industrialisierung entwickelt. (vgl. Komlosy 2014, S. 11) In der griechischen Antike (4. Jahrhundert v. Chr.) wurde dagegen die bloße Hand- und Lohnarbeit verachtet und lediglich von Bauern, Handwerkern, Händlern, Taglöhnern, Frauen und Sklaven verrichtet. Der freie, männliche Bürger der griechischen Polis widmete sich dagegen nicht diesen zur damaligen Zeit primitiven Tätigkeiten. Er war zu höherem berufen und beschäftigte sich mit der für ihn angemessenen Tätigkeit, die als praxis bezeichnet wurde. Seine Aufgabe bestand darin, sich zu bilden und sich aktiv am politischen Leben zu beteiligen. Ebenso verächtlich wurde in der griechischen Antike das auf Gewinn zielende Wirtschaftstreiben (Chrematistik) gesehen. Im Mittelalter erfuhr die schwere unbezahlte oder niedrig bezahlte Arbeit eine leichte Umkehr aufgrund ihres göttlichen Auftrags im Sinne von ora et labora (Bete und arbeite) durch die Kirche. Parallel hierzu knüpfte Thomas von Aquin (1225-1274), Dominikaner und Philosoph, als Vertreter der scholastischen Philosophie an Aristoteles an und hob die Beschaulichkeit sowie Kontemplation im Sinne einer vita contemplativa über die vita activa als das tätige Leben. Erst im 16./17. Jahrhundert dem Zeitalter der philosophischen Aufklärung und der damit einhergehenden wissenschaftlichen Revolution als Übergang zum Kapitalismus wurde aus der menschlichen Last der Arbeit eine Tugend mit den hierfür bedeutsamen Grundwerten wie Disziplin und Strebsamkeit auf dem Weg zur persönlichen Glückseligkeit. In der darauffolgenden philosophischen Epoche des Utilitarismus und seiner nationalökonomischen Umsetzung, dem so genannten Merkantilismus im 18. Jahrhundert, wurde die Arbeit im Zuge dessen nicht mehr als leid- und mühevoll, sondern als glückselig und frei machende Tätigkeit aufgefasst. Und Adam Smith (1723-1790), schottischer Moralphilosoph und Begründer der klassischen Nationalökonomie, sah in der Arbeit sogar die eigentliche Quelle des Reichtums, da sie aller Wertschöpfung zugrunde liegt, sei sie auch der wahre Maßstab des Tauschwerts aller Güter. Die im 18. Jahrhundert in England einsetzende Industrialisierung setzte von nun an auf die Arbeit als Quelle für das Wirtschaftswachstum. In Verbindung mit der klassischen Nationalökonomie entstand das National- oder Sozialprodukt, welches heute in Deutschland als Bruttoinlandsprodukt (BIP) bekannt ist. Je größer das damalige Nationalprodukt oder das heutige BIP ausfiel, desto besser ist dies für die Menschen einer Nation. Fortan zielten alle organisatorischen, rechtlichen und technologischen Maßnahmen auf die bestmögliche oder effizienteste Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft. (vgl. Komlosy 2014, S. 13-16) Andrew Ure (1778-1857), britischer Mediziner, betonte diesbezüglich, dass es keine Schwierigkeiten bereitet habe, Maschinen zu erfinden. Die Schwierigkeit bestand lediglich darin, die Menschen aus ihren altgewohnten, unmethodischen Arbeitsweisen herauszuholen und sie der unabänderlichen Regelmäßigkeit des Maschinentakts anzupassen und hierzu wirksame Gesetze der Fabrikdisziplin in Übereinstimmung mit den Bedingungen der Exaktheit in der Industrie zu erlassen. Die Aussicht in Armut zu leben, wurde zudem das wirkungsvollste Disziplinierungsmittel gegenüber den besitzlosen Menschenmassen. (vgl. Braun 1977, S. 41) Die Industrialisierung erreichte damit endgültig eine mehrheitliche positive Arbeitsauffassung und sorgte so für die enorme gesellschaftliche Bedeutung der Erwerbsarbeit und dass die Arbeitslosigkeit zu einem nicht akzeptablen Schicksal für die heutige Gesellschaft wurde. Leider konnte auch die Industrialisierung bislang Arbeiten, die nicht unmittelbar einen Erwerbscharakter wie beispielsweise die Familienarbeit oder Hausarbeit besitzen, aus ihrer weitgehend gesellschaftlichen Geringschätzung befreien.

3. Politische und ökonomische Grundhaltungen zum gesetzlichen Mindestlohn

Vor der offiziellen Einführung eines Mindestlohns für die Arbeitnehmer hielten viele Ökonomen dem Mindestlohn ein wesentliches Hauptargument entgegen. Mit der Festlegung eines Mindestlohns würden nämlich die freien marktwirtschaftlichen Prinzipien teilweise außer Kraft gesetzt. Denn Unternehmen bzw. Arbeitgeber sehen sich durch den Mindestlohn in eine unwirtschaftliche Ausgangssituation versetzt, wo die freien Kräfte des Marktes durch Angebot und Nachfrage nicht mehr marktgerecht abgebildet werden können. Die Befürchtung liegt hierbei in der Durchsetzbarkeit von erforderlichen Marktpreisen für angebotene Produkte und Dienstleistungen. Ein Arbeitgeber, welcher die notwendigen Preise für seine Produkte und/oder Dienstleistungen nicht am Markt durchsetzen kann, müsse nun mit der Berücksichtigung eines Mindestlohns mit einem deutlich höheren Beitrag zur Deckung aller betrieblichen Kosten rechnen. Der Anteil des erzielten Preises abzüglich des Deckungsbeitrags der gesamten Betriebskosten würde dann deutlich geringer ausfallen, welches auch mit der Abnahme einer kalkulierten Gewinnmarge einhergehe. Aber, ist es nicht ein wichtiges Kriterium innerhalb der freien Marktwirtschaft, dass Unternehmen, die nicht in der Lage sind, die für sie zwingend erforderlichen Umsätze zur Deckung aller betrieblichen Kosten sowie das Erzielen eines überlebensnotwendigen Gewinns anhand ihrer erlösbaren Marktpreise aus dem Markt ausscheiden sollen. Unternehmen, die ihre Marktfähigkeit durch das Erzielen von zu geringen Marktpreisen aufs „Spiel“ setzen, sind für das grundlegende freie Entscheidungskalkül der Marktteilnehmer innerhalb der freien Marktwirtschaft nicht akzeptabel und müssen sich auf Neudeutsch geschäftlich transformieren oder dem Marktgeschehen zukünftig fernbleiben. Das dieses Grundprinzip der freien Marktwirtschaft bereits vor nicht allzu langer Zeit durch die von der Finanzwelt herauf beschworene Finanz- und Wirtschaftskrise durch die Politik der betroffenen Länder dadurch konterkariert wurde, dass Banken als privat geführte Unternehmen nicht den üblichen Bedingungen wie andere Unternehmen ausgesetzt werden können, da sie für ein Land und seiner Volkswirtschaft systemrelevant seien. Denn jeder, mag er auch ein sparsamer Kleinanleger sein, würde bei einem wirtschaftlichen Kollaps der Finanzbranche um seine Habseligkeiten fürchten müssen. Dieses Szenario war den politischen Eliten dann doch zu heiß. Zumal die Banken eine ausgesprochen gute Lobbyarbeit für ihre gesellschaftliche und ökonomische Notwendigkeit lieferten.

Ein elementar wichtiges wirtschaftspolitisches Ziel besteht im Wirtschaftswachstum, welches im freien marktwirtschaftlichen Kern durch eine möglichst offene Wettbewerbsgestaltung sowohl auf der Angebots- wie auch Nachfrageseite mit einer möglichst geringen staatlichen Regulierung erreicht werden kann. Dieses Ziel gilt es für alle marktwirtschaftlich orientierten Nationen für eine zuvor fest definierte Zeitperiode, in der Regel ein Kalenderjahr, zu verbessern. Das so genannte Bruttoinlandsprodukt (BIP), früher als Bruttosozialprodukt (BSP) bekannt, ist hierbei die gesamtwirtschaftliche Ausgangslage einer Volkswirtschaft. Hierbei werden alle innerhalb eines bestimmten Zeitraums erzeugten Produkte und Dienstleistungen, die offiziell am Markt über einen Preis gehandelt werden, statistisch erfasst. Das dann ermittelte Bruttoinlandsprodukt gilt es dann fortwährend mit dem ökonomischen Ziel des Wirtschaftswachstums zu vergrößern, wobei ein weiteres ökonomisches Ziel der Vollbeschäftigung (gesamtwirtschaftliche Arbeitslosenquote ≤ 3%) zusätzlich bzw. komplementär erreicht werden soll. Dies legt nahe, dass es beim Wirtschaftswachstum aus politischer Sicht hauptsächlich um das Erreichen einer Vollbeschäftigung als Hauptziel geht. Die daraus erhoffte Konsequenz heißt dann: Ein wachsendes BIP schafft Arbeitsplätze. Das dies nicht immer der Fall ist, leuchtet bei diesem Schiefe-Ebene-Argument recht schnell ein, denn die Zunahme des BIP beinhaltet nicht zwangsläufig, dass neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Man kann auch, wie es bislang auch oftmals der Fall ist, mit derselben Arbeitnehmerausstattung den gleichen, wenn nicht noch ein höheres BIP erreichen. Die Großartigkeit des Verallgemeinerns ist auch politisches Kalkül. Gerne werden Kollateralschäden ertragen, um dem großen Ganzen ein mehr an Nützlichkeit zu spenden. Diese utilitaristische Denkweise prägt mittlerweile, weil sie auch auf dem ersten Blick so einfach zu begründen erscheint, das weltwirtschaftliche Geschehen.

Wirtschaftapologeten behaupten ja ganz gerne, dass die Bedürfnisse eines Menschen unbegrenzt sind. Aber, wie kann es dann sein, dass ich noch nicht einmal den Ansatz eines Bedürfnisses habe, einen Panzer zu besitzen? Es wird jedoch stets versucht, irgendwelche Bedürfnisse den Menschen einzureden, ohne sie wahrhaftig über den echten Gebrauchswert eines Produkts oder Dienstleistung aufzuklären. Diese grundlegende Aufklärungsbereitschaft geht vielen Unternehmern gegenüber ihren potenziellen Kunden ab. Stattdessen werden immer mehr Produkte und Dienstleistung mit den fragwürdigsten Gebrauchserscheinungen erzeugt, um so weitere Gewinne und Wachstumsziele zu erreichen. Produkte und Dienstleistungen, die zu einem äußerst geringen Arbeitslohn feilgeboten werden, können durch das Vorhandensein eines Mindestlohns vom Markt verschwinden oder sie müssten zu einem eventuell nicht mehr marktkonformen Preis angeboten werden. Mit der Folge, dass diese Produkte und Dienstleistungen keine Abnehmer mehr finden. Ein Mindestlohn bietet letztlich auch einen gewissen Verbraucherschutz an. Die so genannten Billigprodukte verlieren sich aus dem Blick und gleichwertige und zumeist qualitativ höherwertige Produkte erhalten dann vom Kunden den Zuspruch. Des Weiteren könnte auch im ökologischen Sinn die Menge an angebotenen Waren durch höhere Preise deutlich verringert werden. Dadurch könnte auch dem Überfluss an Warenangeboten entgegengesteuert werden, so dass nicht schon zur Mitte eines jeden Kalenderjahres die natürlichen Ressourcen komplett verbraucht sind und wir schlussendlich eine zweite Erde zur vollständigen Menschheitsversorgung benötigen. Dieser Erdverbrauchstermin als „International Earth Overshoot Day“ bekannt fällt leider immer früher auf einen Tag im Jahr. Fiel dieser Tag im Jahr 1987 noch auf den 19.12.1987, so fällt dieser heute bereits auf den 01.08.2018. (https://utopia.de/ratgeber/earth-overshoot-day/)

Ein wichtiges politisches Ziel auch von Seiten der Gewerkschaften war es bereits zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, die Zahl der Berufstätigen, die einen so geringen Stundenverdienst für ihre Arbeit erzielen konnten, so dass sie auf staatliche Hilfe als so genannte Aufstocker angewiesen waren, deutlich zu reduzieren. Hierbei handelt es sich um den Differenzbetrag ihres monatlichen Arbeitslosengeldes 2-Anspruchs zum monatlich erzielten Erwerbseinkommen. Die Zahl der Personen, die durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns nicht mehr von zusätzlichem staatlichen Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) abhängig sind, konnte jedoch nur geringfügig seit 2015 reduziert werden (https://www.derwesten.de/politik/ zahl-der-hartz-iv-aufstocker-trotz-mindestlohn-kaum-gesunken-id214690159.html), so dass sich die Arbeitgeber nicht auf ihre Lorbeeren ausruhen konnten und das erforderliche Existenzminimum auf den Staat abwälzten. Unter dem Motto: Was schert mich der Lebensstandard meiner Arbeitnehmer, wenn der Staat mit seinen auch von mir finanzierten Steuergeldern den überlebenswichtigen Rest beisteuert. Dieser unhaltbare Zustand für Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor konnte durch den gesetzlichen Mindestlohn in Teilen behoben werden. Zumal steuerfinanzierte Aufstockungs­zahlungen alle Steuerzahler betrifft, nicht nur für die Arbeitgeber, die sich eigentlich nicht auf den umkämpften Märkten halten könnten und vom Staat künstlich am Leben gehalten werden.

Das Erwerbsarbeit soziale Teilhabe den Menschen verspricht, ist ebenfalls ein sehr weit verbreitetes politisches Argument. Inwieweit die soziale bzw. gesellschaftliche Anerkennung eines Menschen vonstattengeht, hängt eher von seiner intellektuellen Persönlichkeit ab. Möchte dieser in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen oder Milieus verortet sein oder nicht. Seine berufliche Tätigkeit dürfte eigentlich vollkommen egal sein. In einer Gesellschaft, in der die persönliche Identifikation in der Hauptsache über seine Qualifikation oder berufliche Stellung erfolgt, muss zwangsläufig die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft bzw. seine soziale Teilhabe determinieren. Zur Inklusion und Exklusion in einer Gesellschaft lässt sich somit über die Verfügung eines Arbeitsplatzes oder über das Ausbleiben eines solchen (Arbeitslosigkeit) leicht argumentieren.

Günter Dux, Soziologe und Gesellschaftstheoretiker, macht sich Gedanken um die Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft und erwartet dies auch nicht aus den bestehenden Strukturen unseres ökonomischen Systems heraus. Denn nicht nur Arbeitslose, sondern auch Erwerbstätige im Niedriglohnbereich sollen am Wohlstand einer Gesellschaft partizipieren, um ein Leben führen zu können, und jetzt kommt eine paternalistische Auffassung von Dux, welches den Sinnvorgaben unserer Gesellschaft gerecht wird. (vgl. Dux 2008, S. 300)

Mit anderen Worten: Der Erwerbstätige im Niedriglohnbereich soll vom gesellschaftlichen Reichtum profitieren und soll gefälligst im Gegenzug die aufoktroyierten Gesellschaftsvorgaben erfüllen. Zudem liegt hier im Denken von Dux ein Widerspruch vor, einerseits kritisiert er die Fähigkeit der Marktwirtschaft aus eigener Kraft für gesellschaftliche Gerechtigkeit zu sorgen und andererseits sollen Erwerbstätige systemkonform den gesellschaftlichen Sinnvorgaben entsprechen. Er bedenkt auch zu wenig, dass die Marktwirtschaft auch nur ein Teil des gesamten gesellschaftlichen Systems darstellt und somit aus diesem entsprungen ist. Entgegen der Aufklärung Immanuel Kants sollen die Erwerbstätigen sich möglichst nicht aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien und somit nach dem Auffinden des eigenen Lebenssinns streben. Über den Begriff der Würde lässt er leider auch nichts verlautbaren, dass ein würdevolles Arbeitsleben neben der verfassungsrechtlichen Freiheit der Berufswahl auch gebotener weise dem Menschen ein höchstpersönliches Streben nach seinem Sinn in seinem Leben ermöglicht und dies wäre gerechtfertigter weise das Fundament eines selbstbestimmten Lebens, welches der eigenen Selbstverwirklichung wiederum dient.

Dies passt zur historisch konservativen Einstellung von Ludwig Erhard, dem ehemaligen deutschen Bundesminister von 1949 – 1963 und CDU-Politiker, als Vater des deutschen Wirtschaftswunders nach dem verloren gegangenen zweiten Weltkrieg. Er mahnt nicht zu viel soziale Sicherheit den Menschen als Staat zu gewähren. In seinem persönlichen Werk „Wohlstand für alle“ sieht er die soziale Sicherheit für das deutsche Volk als im hohen Maß sehr wünschenswert an. Jedoch muss sie von jedem einzelnen zuerst aus eigener Kraft, aus eigener Leistung und auch aus eigenem Streben entstehen. Denn ein zu großer staatlicher Eingriff in die Lebensumstände der Menschen würde die besten menschlichen Tugenden (wird von Ludwig Erhard nicht näher bestimmt!) in einem perfektionierten Kollektivismus (staatlich regulierter Zusammenschluss der Menschen zu einem gemeinsamen Leben und Arbeiten → Plan- bzw. Zentralverwaltungswirtschaft) ersticken. Stattdessen ist das Streben nach mehr Wohlstand sowie die Schaffung besserer Chancen zum Erwerb des persönlichen Eigentums stets dem Kollektivismus vorzuziehen. Ludwig Erhard zielt hierbei auf die Förderung des marktwirtschaftlichen Individualismus im Kontrast zum tugendhemmenden zentralwirtschaftlichen Kollektivismus. Der Kollektivismus konterkariert somit nach seiner Ansicht die persönliche Entwicklung der menschlichen Tugenden bei den Menschen. Eine schlüssige Begründung seines Vorbehalts gegenüber dem Kollektivismus lässt Ludwig Erhard politisch salopp aus. (vgl. Erhard 2009, S. 301)

Diese positive Grundhaltung Erhards zur liberalen Marktwirtschaft kommt auch in dem folgenden wörtlichen Zitat aus „Wohlstand für alle“ deutlich zum Ausdruck: „Kümmere du, Staat, dich nicht um meine Angelegenheiten, sondern gib mir so viel Freiheit und lass mir von dem Ertrag meiner Arbeit so viel, dass ich meine Existenz, mein Schicksal und dasjenige meiner Familie selbst zu gestalten in der Lage bin.“ Eine zunehmende Sozialisierung der Einkommensverwendung führt nach Ludwig Erhard zur Entmündigung und zur fortschreitenden Abhängigkeit des einzelnen vom Staat. Er bezeichnet den Bürger in dieser Form sogar als sozialen Untertan. (vgl. Erhard 2009, S. 290) Seiner persönlichen politischen Erfahrungen nach führt der Wohlfahrtsstaat zu alles andere als Wohlfahrt und führt eher zu einer gesellschaftlichen Armseligkeit. (vgl. Erhard 2009, S. 291) Es war und ist schon verwunderlich, wie ein so hochgelobter, eloquenter Politiker zu solchen weitgehend unbegründeten Argumenten für eine liberale Marktwirtschaft kommen konnte. Mit seinen Worten geht es Erhard im Kern gar nicht um die Lobpreisung einer sozialen Marktwirtschaft, sondern um die liberale Marktwirtschaft in Reinkultur. Lediglich durch den Erhalt der gesetzlichen Sozialversicherung wurde die soziale Marktwirtschaft von Ludwig Erhard beibehalten. Ansonsten vertrat er die liberalste Wirtschaftseinstellung, die denkbar ist, so dass die Freiheit des einzelnen stets vor jeglicher staatlicher Intervention zu stehen hat. Schnell wird jemand als damaliger Heilsbringer der sozialen Marktwirtschaft tituliert, ohne sich positiv zu sozialen Wohlfahrtsstrategien in der Politik zu äußern. Im Gegensatz zu den Vertretern eines bedingungslosen Grundeinkommens, die gerne dem Liberalismus zugeordnet werden, sind die marktwirtschaftlichen Einstellungen Ludwig Erhards durchweg liberal. Zum bedingungslosen Grundeinkommen und seinen Vertretern werde ich mich später in dieser Arbeit zuwenden und man wird durchaus feststellen dürfen, dass diese politische Idee zu einer finanziellen Grundsicherung aller Bürgerinnen und Bürger kollektivistischen Kriterien entspricht.

Da Ludwig Erhard kaum bis keine Begründungen für die Marktwirtschaft und gegen den von ihm bezeichneten Kollektivismus liefert, gilt es schließlich zu bedenken, dass niemand freiwillig ins Leben gestoßen wird. Er kann weder etwas für seine Geburt an sich, noch für die Wahl seiner Eltern und auch nichts für seinen Geburtsort und dem damit vorerst verbundenen Sozialisationsstandort. Befürworter der Ungleichheit scheinen darin zu erkennen, dass es Menschen trotz ungleicher Startbedingungen schaffen können, wenn man ihnen eine gewisse Chancengleichheit einräumt, kraft ihres Willens die gleichen Berufs- oder Statusziele zu erreichen. Empirische Statistiken belegen dagegen in Deutschland ein anderes Bild, dass von 100 Kindern aus Familien ohne akademischen Elternteil gerade einmal 21 an eine Hochschule gehen und davon 15 einen Bachelorabschluss erreichen und davon nochmals 8 ein Masterstudium erfolgreich absolvieren. Am Ende promoviert wenigstens noch ein Kind von den 100 Kindern aus Familien ohne akademischen Hintergrund. In Familien mit wenigstens einem akademischen Elternteil verkehrt sich die Situation dahingehend, dass durchschnittlich 74 Kinder eines Jahrgangs an die Hochschule gehen und hiervon 63 einen erfolgreichen Studienabschluss erreichen. (https://www.zeit.de/2017/42/ arbeiterkinder-chancengleichheit-universitaet-minderheit) Es gibt tatsächlich die rühmlichen Ausnahmen, die kraft ihres Willens eine Akademikerlaufbahn einschlagen. Den Biss, den sie während des Studiums mit einem deutlich geringeren finanziellen Background trotz BaFöG im Vergleich zu ihren Kommilitonen zeigen müssen und den verständlichen Mangel an intellektueller Unterstützung für ein Studium aus dem eigenen Elternhaus, schreckt viele letztendlich vor einer Aufnahme eines


Final del extracto de 34 páginas

Detalles

Título
Diskurs zur existenziellen Absicherung in der modernen Arbeitsgesellschaft
Autor
Año
2019
Páginas
34
No. de catálogo
V456429
ISBN (Ebook)
9783668870536
ISBN (Libro)
9783668870543
Idioma
Alemán
Palabras clave
diskurs, absicherung, arbeitsgesellschaft
Citar trabajo
Jörg Löschmann (Autor), 2019, Diskurs zur existenziellen Absicherung in der modernen Arbeitsgesellschaft, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456429

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