Finanzkrise und Eurokrise. Systemfehler und Lösungsansätze


Dossier / Travail de Séminaire, 2018

39 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Finanzkrise und die Staatsschuldenkrise
2.1. Ausgangssituation in Europa – Konstruktion der Währungsunion
2.2. Ausgangssituation in den USA
2.3. Der Verlauf der Krise – vom Platzen der Immobilienblase über die Bankenkrise hin zur Staatsschuldenkrise in Europa

3. Die Dynamik der Staatsschulden- und Eurokrise
3.1. Wirkungsdynamik der Finanzkrise in Bezug auf die Situation in Europa
3.2. Staatliche Haushalte und Staatsanleihen
3.3. Target Salden

4. Fazit

Anhang

A. Tabellen
B. Abbildungen

Abkürzungsverzeichnis

Verzeichnis der Gesetzestexte

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Die Erpressung – Italien greift an. Europa droht die nächste Schuldenkrise“ so titelt der Spiegel am 27.10.2018.1 Die Gefahr einer erneuten Staatsschulden- und Eurokrise, fast genau zehn Jahre nach Ausbruch der internationalen Finanzkrise, ist enorm. Dies macht die Analyse der strukturellen Gründe und Systemfehler der Finanz- und Eurokrise, sowie der ergriffenen Lösungsansätze, zu einem zentralen Punkt der historisch makroökonomischen Forschung. Die Fülle der existierenden Literatur, welche zu einem großen Teil politisch geprägt ist, macht einen allgemeinen einleitenden Überblick in das Thema und eine breite Literaturauswahl unerlässlich. Vor allem bezüglich der Staatsschulden und Eurokrise ist eine differenzierte Literaturanalyse notwendig, da die Betrachtungsweisen der Krisen stark divergieren, je nach Meinung des Autors zur Gemeinschaftswährung. Nach momentanem Forschungsstand sind sich die Autoren, trotz großer Divergenzen, einig, dass die Ursachen für beide Krisen im letzten Jahrhundert liegen. Die zunehmende Deregulierung der internationalen Finanzmärkte nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods Systems bildet die Grundlage der Krisendynamik in der Finanzkrise und ihrer internationalen Übertragungseffekte. So beschreibt der Investor George Soros die Immobilienblase als Teil einer „Superblase“, die im Gegensatz zu vorherigen Krisen, der Bankenkrise von 1982, der Sparkassenkrise von 1986, der Emerging-Market Krise von 1998 und der Technologieblase von 2000, nicht nur Segmente träfe, sondern das gesamte Finanzsystem. Soros sieht die Entwicklungen als Folge der vorangehenden Laissez-faire Politik.2 Auch die Ursachen der Eurokrise werden von den meisten Autoren in der Zeit der Konzeption der Währungsunion gesucht. Ziel dieser Arbeit ist es daher, auf Basis der Ausgangssituationen in Europa und den USA, folgende Frage zu beantworten: Wie bedeutend ist die Rolle der Krise des globalisierten Finanzsektors und die der Target Schulden als Ursache der Staatsschulden- und Eurokrise?

Für eine differenzierte Betrachtung ist das Verständnis der Systemkonstruktion in den USA und Europa, sowie der faktisch belegbare Verlauf der Krise wichtig. Daher werden viele Daten aus Quellen, wie zum Beispiel Datenbanken und Pressemitteilungen entnommen. Auf dieser Basis lässt sich eine fundierte Analyse zur Beantwortung der Forschungsfrage durchführen. Im Laufe der Analyse werden auch verschiedene Positionen von sowohl eurokritischen als auch eurounterstützenden Autoren einbezogen. Um ein Grundverständnis der Mechanismen der, in den Krisen entscheidenden, Geldpolitik zu schaffen, werden einleitend zu Kapitel 2 die Aufgaben der Zentralbanken dargelegt. Kapital 2.1 beschreibt die Ausgangssituation in der Europäischen Union (EU). Auf Grundlage von Kritik, die bereits zur Gründung der EU und der Eurozone von einigen Wirtschaftswissenschaftlern geübt wurde, werden erste Einblicke in mögliche Systemfehler geboten. Die Gründungsvoraussetzungen der Währungsunion und ihr systemischer Aufbau bilden die Grundlage einer Analyse der späteren Krisendynamik. Gleiches gilt auch für die in Kapitel 2.2 aufgezeigte Ausgangssituation in den USA, deren zentrales Element die Immobilienblase, Auslöser der weltweiten Finanzkrise, ist. Die Krise und ihr Übergang in die Staatsschuldenkrise in Europa, werden in Kapitel 2.3 chronologisch beschrieben. Im gesamten zweiten Kapitel werden nur die wichtigsten Krisenursachen und Lösungsversuche dargestellt, da eine ausführliche Beschreibung aller Ereignisse den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde. Kapitel 3 beschäftigt sich mit der strukturellen Analyse der Ursachen der Staatsschulden- und Eurokrise. Hierzu wird in drei Unterkapiteln je die Rolle der Finanzkrise (3.1), die Rolle der Staatsschulden (3.2) und die der TARGET Salden (3.3) im Krisenverlauf analysiert. Abschließend werden die wichtigsten Punkte zusammengefasst und ein Fazit geboten.

2. Die Finanzkrise und die Staatsschuldenkrise

Eine zentrale Rolle in der Kontrolle und Steuerung der Finanzmärkte übernehmen die Zentralbanken, die den Referenzzinssatz festlegen, zu dem sich Banken Geld leihen können, und auf dessen Basis diese Kredite vergeben. Die wichtigsten Instrumente der Zentralbanken sind Offenmarktgeschäfte und Fazilitäten. Erstere bezeichnen den Handel der Notenbanken mit Wertpapieren ohne Rückkaufvereinbarung und werden oft zur Geldmengenregulierung eingesetzt.3 Zweitere kennzeichnet sich durch ihre kurzfristige Natur. Eine Spitzenrefinanzierungsfazilität ist ein von der Zentralbank gewährter Übernachtkredit, eine Einlagefazilität die kurzfristige Anlage überschüssiger Liquidität.4 Die Höhe des Referenzzinssatzes hat großen Einfluss auf das Handeln der Marktakteure, da niedrige Zinsen an den Märkten dazu führen, dass sich Unternehmen und Banken höher verschulden um die Rentabilität des Eigenkapitals zu erhöhen.5 Dieser Effekt wird auch Leverage (Hebel) Effekt genannt. Ferner führen niedrige Zinsen zu niedrigen Erträgen in sicheren Einlagen, weshalb Geschäftsmodelle, die sich durch Zinsgeschäfte finanzieren, auf riskantere Anlagen ausweichen müssen.6 Zu diesen Geschäftsmodellen gehören Versicherungen sowie Staats- und Pensionsfonds. Zusätzlich bergen Niedrigzinsen, die von den Zentralbanken genutzt werden um die Wirtschaft mit Hilfe von günstigen Krediten zu stimulieren, auch Risiken für die Zentralbanken selbst, da sie ihren Handlungsspielraum einschränken.7 Wenn der Referenzzinssatz auf null fällt gibt es keine weitere Möglichkeit für eine expansive Geldpolitik. Eine Erhöhung des Zinssatzes birgt in dieser Situation das Risiko einer erneuten Rezession. Japan ist seit 1995 in dieser sogenannten Zinsfalle gefangen.8

2.1. Ausgangssituation in Europa – Konstruktion der Währungsunion

Die Idee einer gemeinsamen Währung wird seit den 1960er Jahren und vor allem nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods Systems im Jahr 1973 immer wieder diskutiert. Ihre rechtlichen Grundlagen werden 1992 mit dem Vertrag von Maastricht geschaffen.9 Michael Baun stellt die vorangehende Situation wie folgt dar: Aufgrund der starken Wirtschafskraft der Bundesrepublik Deutschland (BRD) in den 1980er habe diese mittels der Bundesbank bereits großen Einfluss auf die Geldpolitik des Vorgängersystems der Währungsunion, das European Monetary System (EMS). Vor allem Frankreich setze sich das Ziel, diesen starken westdeutschen Einfluss in der Geldpolitik durch die Einführung supranationaler Institutionen einzudämmen. Mit dem Delors Plan von 1989 sollen in drei Schritten die Währungsbarrieren zwischen den Mitgliedern der heutigen EU, damals Europäische Gemeinschaft (EG), beseitigt werden. Der Fall der Berliner Mauer 1989 erhöhe die Angst vor einer Rückkehr Deutschlands zu nationalistischen Tendenzen, was die Bemühungen der Staaten um eine engere Union steigere. Auch von Seiten der Bundesrepublik werde die engere Integration vorangetrieben, zum einen um den wirtschaftlichen Wohlstand zu sichern und zum anderen um die Vorbehalte der Nachbarstaaten auszuräumen.10 Der Kritik der Bundesbank an den Plänen zur schnellen Umsetzung einer Währungsunion ohne eine einhergehende Angleichung der wirtschaftlichen Leistung zum Trotz, finden die Verhandlungen zum Vertrag von Maastricht in einer hoch politisierten Atmosphäre statt.11 Im Vordergrund stehen nicht die wirtschaftlichen Vorteile oder nötigen wirtschaftlichen Grundlagen, sondern der Gedanke der Einheit Europas und der Eindämmung der Macht der wirtschaftlich starken Bundesrepublik Deutschland. Vereinbart werden, neben der Unionsbürgerschaft, einer engen Zusammenarbeit u.a. in den Bereichen Justiz und Inneres und der Einführung einer gemeinsamen Grenz- und Sicherheitspolitik, die Grundlagen für eine Wirtschafts- und Währungsunion.12 Zu den einzuhaltenden Konvergenzkriterien gehören (1.) Die Preisstabilität: „[…][Der] Mitgliedstaat [muss] eine anhaltende Preisstabilität und eine während des letzten Jahres vor der Prüfung gemessene durchschnittliche Inflationsrate aufweisen, die um nicht mehr als 1 ½ Prozentpunkte über der Inflationsrate jener – höchstens drei – Mitgliedstaaten liegt, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben.“[13] (2.) Die Begrenzung des staatlichen Defizites auf maximal 3% und eine maximale Verschuldungsquote von 60%.14 (3.) Die Stabilität der Wechselkurse ohne Abwertung gegenüber dem Euro in den vorangegangenen zwei Jahren.15 Und (4.) die Stabilität der Zinsen, welche über den Zeitraum von einem Jahr nicht mehr als 2% über den Zinsen der drei Mitgliedsländer mit der höchsten Preisstabilität liegen dürfen.16 Des Weiteren legt der Vertrag die Aufgaben des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der Europäischen Zentralbank (EZB) fest. Die Hauptaufgabe dieser Institutionen ist es „die Preisstabilität [der Gemeinschaftswährung] zu gewährleisten“[17] und, soweit dieses Ziel nicht beeinträchtigt werde, auch die Unterstützung der Wirtschaftspolitik der Staatengemeinschaft.18 Der Vertrag wird, vor und nach dessen Unterzeichnung im Februar 1992, vor allem von Volkswirten kritisiert. Laut Feldmann seien die Voraussetzungen für einen optimalen Währungsraum nach Mundells Theorie von 1961 aufgrund fehlender Arbeitskräftemobilität nicht gegeben, da die sprachlichen und kulturellen Barrieren innerhalb der EG die notwendige Faktormobilität verhindern würden.19 Auch in Deutschland gibt es starke Kritik am Inhalt des Maastrichter Vertrages. In einem Manifest äußern sich 62 Wirtschaftswissenschaftler zu ihren Zweifeln an der Funktionalität der Währungsunion. Die Konvergenzkriterien seien zu schwach, Stichtagstests für deren Einhaltung nicht geeignet und die Forderung nach relativer Preisstabilität nicht zielführend. Weiter seien ökonomisch schwächere Staaten im Nachteil und die Handlungsfähigkeit der EZB in diesem Zusammenhang eingeschränkt. Außerdem warnen die Autoren vor einer politischen Verwässerung der ersten beiden Stabilitätsziele.20 Entgegen all dieser Kritik und Warnungen tritt der Vertrag von Maastricht 1993 in Kraft und die geplante europäische Währungsunion wird mit der Einführung des Euro, 1999 als digitale und 2002 als reale Währung, abgeschlossen. Im Jahr 2003 verstoßen sowohl Frankreich als auch Deutschland gegen die Stabilitätsziele, mit der Folge, dass die EU-Kommission gegen beide Länder ein Defizitverfahren eröffnet, das jedoch bereits im November wieder ausgesetzt wird.21 2005 werden die Kriterien abgeschwächt und eine Sanktionierung, infolge eines Defizitverfahrens gegen die Mitgliedsstaaten, sehr schwierig. Dies untergrabe die Sinnhaftigkeit eines Defizitverfahrens.22

2.2. Ausgangssituation in den USA

1971 wird das erste Mal eine Mortgage Backed Security (MBS) durch Freddy Mac ausgegeben, die in den späten 1970er Jahren zu einem wichtigen Teil des Handels mit Hypotheken avanciert.23 Vor allem in Zeiten niedriger Kapitalverzinsungen am Markt bieten die hypothekengesicherten Wertpapiere eine Möglichkeit risikoarmer Geldanlage. Dies wird vor allem in der Zeit nach dem Platzen der Technologieblase 2000, in deren Verlauf eine starke Überbewertung von Technologiewerten an den Börsen stattfindet und dem Terrorangriff am 11.09.2001, deutlich.24 Die Federal Reserve Bank (FED) senkt ihren Leitzins von 6,5% im Dezember 2000 auf 1,75% im Dezember 2001 und weiter, auf einen Tiefstand von 1,0%, im Jahr 2004, dargestellt in Abbildung 2 - Leitzinsen der EZB und der FED. Diese günstigen Zinskonditionen, die von den Banken an ihre Kunden weitergegeben werden, haben sowohl einen erneute Bull-Phase u.a. im Dow-Jones und im NASDAQ25 zufolge, als auch einen weiteren Anstieg des ohnehin erfolgreichen Häusermarktes in den USA (Abbildung 3 - S&P/Case-Shiller U.S. Home Prices). Mit der Senkung der Leitzinsen ab 2001 beginnt der Index stärker zu steigen als in den Jahren davor. Vor allem die Staaten Florida und Kalifornien verzeichnen im nationalen Vergleich überproportionale Anstiege in Relation zum Indexjahr 2000. Der Immobilienmarkt werde vor allem als sichere Anlage wahrgenommen, da man davon ausgehe, dass der Wert der Immobilien unabhängig von der Kreditwürdigkeit der Gläubiger sei. Die Grundannahme in den frühen 2000er Jahren sei, dass Immobilien im Wert stabil seien, beziehungsweise immer weiter steigen würden.26 Die Kombination aus einem günstigen Leitzins, der die Anlage von Kapital in Staatsanleihen wenig lukrativ macht und der Annahme von sicheren, steigenden Immobilienwerten, führt dazu, dass nicht nur Hypothekenbanken, sondern auch Investmentbanken in das Häusergeschäft einsteigen wollen. Die ursprüngliche Organisation des Marktes um die „Government Sponsored Enterprises (GSE)“ Fannie Mae und Freddy Mac, mit Anforderungen an die Kreditwürdigkeit der Schuldner, wird durch das Outsourcen von Risiken komplexer und risikoreicher.27 Ab dem Jahr 2000 erhöht sich die Zahl der Hypotheken, die den Standards von Fannie Mae und Freddy Mac nicht länger entsprechen, die sogenannten Subprime-Mortgages.28 Die Verbriefung dieser Hypotheken wird hauptsächlich durch Investmentbanken durchgeführt und ihr Marktanteil steigt bis 2006 auf 21%.29 Zusätzlich steigen die Kreditaufnahmen der Amerikaner auf das eigene Haus, die sogenannten „Mortgage Equity Withdrawals (MEW)“ auf fast eine Billion Dollar an.30 Je stärker der Markt wächst, umso größer ist das Interesse an verbrieften Hypotheken.31 Die natürlich begrenzte Anzahl an Personen, die sich einen Hauskauf oder eine Hypothek leisten können, wird mit den Subprime-Mortgages umgangen, da die Investmentbanken keine Haftung für die Kredite übernehmen und daher von den Brokern und Hypothekenbanken keine Kreditwürdigkeitsprüfungen mehr fordern. Teilweise werden sogenannte NINJA – No Income, No Jobs, No Assets – Kredite vergeben.32 Die Erträge, die mit diesen variabel verzinsbaren Subprime Krediten erwirtschaftet werden, liegen um ein vielfaches höher als die für fest verzinsbare Prime Mortgages, ein weiterer Grund für die steigenden Marktanteile.33 Das ursprüngliche Problem der fehlenden Haftbarkeit von Schuldner und Hypothekenbank, welches durch die Verbriefung der Hypotheken entstanden ist und durch Fannie Mae und Freddy Mac eingegrenzt wurde, tritt nun also umso deutlicher zu Tage. Um auch die Verbriefungen minderer Qualität mit schlechten Ratings loszuwerden, werden an den Finanzmärkten sogenannte „Collateralized Debt Obligations“ (CDO) entwickelt. Diese bestehen aus tausenden gebündelter Subprime Mortgage Backed Securities, die, aufgrund der hohen Diversifizierung des Portfolios, nun ein AA oder AAA Rating der Agenturen bekommen. Die Bewertungen der Ratingagenturen tragen einen großen Anteil des Erfolgs im Handel mit den risikoreichen Wertpapieren. Die Recherche des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln zeigt, dass festverzinste Wertpapiere seltener mit einer AAA Bewertung versehen werden als tranchierte34 CDOs. Diese zu 100% zweitklassigen Kredite werden durch die Aufteilung in Tranchen und die Bündelung der Kredite zu 88% erstklassigen Wertpapieren. Erhalte ein CDO nicht die angestrebte Bewertung, sei es möglich die Papiere so lange nachzubessern, bis die gewünschte Bewertung erreicht sei.35 Die CDOs, welche als risikoreiches Wertpapier gelten können, werden als Grundlage für Seitenwetten auf den Immobilienmarkt genutzt. Diese Seitenwetten, genannt synthetische CDOs haben nicht die ursprüngliche MBS zur Grundlage, sondern die CDOs selbst.36 Hinzu kommt der negative Effekt steigender Zinssätze, welche die variabel verzinsten Verträge betreffen. So lange der Leitzins niedrig ist, können die Schuldner am Markt refinanzieren, sprich die Kreditsumme, die auf Sicherheit eines Hauses aufgenommen werden kann, übersteigt den gezahlten Kaufpreis der Immobile.37 Steigen die Zinssätze jedoch, ist dies nicht mehr möglich. Als die FED den Leitzins ab Mai 2004 wieder schrittweise erhöht und Mitte 2006 bei 5,25% angelangt, steigt der Häusermarkt paradoxer Weise weiter exponentiell an (Abbildung 2 und Abbildung 3). Spätestens hier wird die Dynamik der Immobilienblase deutlich. Einige Investoren (und später auch die Investmentbanken selbst) beginnen nun ihre CDOs und andere synthetische Finanzprodukte über sogenannte Credit Default Swaps (CDS)38 zu versichern. Fallen die Zahlungen aus den CDOs aus, schreitet die Versicherung ein. Die CDS werden von Banken, Hedgefonds und einer der größten Versicherungsgesellschaften des Landes, der American International Group (AIG), ausgestellt. Der Grundgedanke der Ausstellung ist wieder die Annahme, dass der Immobilienmarkt stabil, und damit die Wahrscheinlichkeit die Versicherung auszahlen zu müssen, gering ist.39

2.3. Der Verlauf der Krise – vom Platzen der Immobilienblase über die Bankenkrise hin zur Staatsschuldenkrise in Europa

Mit dem Einsetzen der variablen Verzinsungen beginnt ab Anfang 2007 auch die Kreditausfallrate zu steigen.40 Wie in Abbildung 4 - Kreditausfallraten USA sichtbar, steigen zuerst die Ausfallraten für Immobilienkredite und kurze Zeit später auch die aller anderen Verbindlichkeiten. Ferner lässt sich feststellen, dass die Ausfallraten der Hypotheken deutlich über dem Durchschnitt der gesamten Kreditausfallrate liegen. Mit den steigenden Ausfallraten offenbaren sich erste Probleme am Subprime Markt. Im Februar 2007 verkündet Freddy Mac keine weiteren Subprime Mortgages mehr zu erwerben.41 Mit der Insolvenzanmeldung des Kreditgebers für Subprime Mortgages New Century Financial Corporation im April 2007 beginnen die Unruhen am Subprime Markt.42 Nachdem die Ratingagenturen Standard and Poor’s und Moody’s ihre Bewertung der MBS auf Subprime Basis im Juni, knapp drei Monate nach der Insolvenz, ändern, liquidiert Bear Stearns am 31. Juli 2007 zwei Hedgefonds, die in MBS investiert haben.43 Um sich vor den Verlusten anderer Banken im Subprime Bereich zu schützen, vergeben die Banken im Sommer 2007 untereinander kaum noch Kredite, der Interbankenhandel kommt aufgrund des Vertrauensverlustes fast vollständig zum Erliegen.44 Als Reaktion darauf und auf die Insolvenz der American Home Mortgage Investment Corporation im August, stellen die FED und die EZB unbegrenzte Fazilitäten bereit, woraufhin sich die Lage an den Märkten beruhigt.45 Zusätzlich beginnt die FED ihren Leitzins zu senken, ende Januar 2008 liegt er bei 3,0%.46 Im September 2007 kündigt die britische Regierung die Rettung der größten britischen Hypothekenbank Northern Rock an, eine Folge des Platzens der Immobilienblase in Großbritannien, die mit der Verstaatlichung im Februar 2008 endet.47 Im März 2008 wird die fünftgrößte amerikanische Investmentbank Bear Stearns von JP Morgan Chase mit staatlicher Hilfe übernommen. Hierfür wird eine Gesellschaft mit begrenzter Haftung für die sogenannten Giftpapiere geformt, in der die Federal Reserve Bank of New York für 29 Mrd. $ und JP Morgan Chase für 1 Mrd.$ haftet.48 Dieses Abkommen zeige die Bereitschaft der US-Amerikanischen Regierung, teilstaatliche Lösungen für die Probleme im kriselnden Bankensystem bereitzustellen. Während die Entscheidung eine kurzfristig stabilisierende Wirkung habe, führe sie auch das Dilemma des Moral Hazards der US Regierung vor Augen: Einerseits sehe sie die Notwendigkeit in das Geschehen einzugreifen und die Märkte zu stabilisieren, andererseits sende dies falsche Anreize an die anderen Banken, welche nun von staatlichen Rettungsoptionen ausgingen.49 In den folgenden Monaten wird die Lage an den Märkten immer angespannter und die hohen Kreditausfallraten treffen die GSE Fannie Mae und Freddy Mac immer stärker. Um eine Insolvenz zu verhindern, werden sie am 7. September 2008 verstaatlicht.50 Das Mistrauen der Investoren führt zu sinkenden Aktienkursen in allen Marktbereichen, insbesondere aber im Finanzbereich. Der Aktienkurs der Investmentbank Lehman Brothers fällt von 62,53$ Ende Januar 2008 auf nur noch 7,25$ Anfang September 2008.51 Am 15. September kündigt die Bank of America den Kauf der Investmentbank Merrill Lynch & Co., welche ebenfalls Liquiditätsprobleme hat, für 50 Mrd. $ an.52 Die amerikanische Regierung, die bei dem Versuch eine ähnliche privatwirtschaftliche Lösung für Lehman Brothers zu finden scheitert, entschließt sich ein Exempel zu statuieren und lässt die Bank am 15.09.2008 bankrott gehen.53 Die darauf folgenden Abstürze an den Aktienmärkten verstärken die Krise bei der American International Group (AIG). Der Versicherungsgigant hatte MBS und CDOs im Wert von 440 Mrd. $ versichert, deren Versicherungssummen nun zu einem großen Teil fällig werden.54 Da AIG als systemrelevant eingestuft wird und die Pleite von Lehman Brothers unerwartete Folgen für das ganze Finanzsystem hat, wird AIG am 16. September 2008 mit 85 Mrd. $ Bail-Out gerettet.55 Als weitere Folge der Lehman Pleite kommt der Interbankenhandel erneut zum Erliegen, weshalb die Banken weniger Kredite an die Realwirtschaft ausgeben, was wiederum diese beeinflusst.56 Am 17. September stoppt die Börsenaufsicht SEC Leerverkäufe von Finanzwerten um die Lage zu beruhigen und zu verhindern, dass noch mehr Schaden entsteht.57 Eine legislative Grundlage für die Bankenrettung tritt am 3. Oktober mit dem Emergency Economic Stabilisation Act, der das Troubled Asset Relief Program (TARP) mit einem Umfang von 700 Mrd. $ enthält, in Kraft.58 Die Regierung bekommt mit TARP die Möglichkeit, Vorzugsaktien an den Banken zu erwerben und zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu verkaufen. Der Kauf der Vorzugsaktien von neun US Banken mit einem Gesamtvolumen von 125 Mrd. $ am 28. Oktober und von 21 US Banken mit einem Gesamtvolumen von 33,5 Mrd. $ am 14. November erfolgt im Zuge des Capital Purchase Program.59 Weitere kleinere Investitionen aus dem Programm folgen im November und Dezember. Diese Kapitalzuführungen sollen, zusammen mit weiter sinkenden Leitzinsen, den Interbankenmarkt und die Kreditvergabe an Kunden wieder stabilisieren.60 Dass die Unternehmen Ford, General Motors und Chrysler am 18. November beim Kongress um Zugang zu Krediten aus TARP bitten61, indiziert jedoch, dass die Banken das Geld der Regierung nicht, bzw. nicht genug in die Vergabe von Krediten investieren. Die Zusage von Krediten der Regierung an GE und Chrysler am 19. Dezember festigt diese Analyse.62 Auch die Senkung des Leitzinskorridors auf 0% - 0,25% am 16. Dezember 200863 lässt sich so interpretieren, dass die ergriffenen Maßnahmen nicht in dem erhofften Umfang Wirkung zeigen. Unter Präsident Obama, der am 20. Januar 2009 vereidigt wird, laufen TARP und das Capital Purchase Program weiter. Im Februar werden mit dem Financial Stability Plan64 weitere Möglichkeiten der Regierung Vorzugsaktien von Banken zu erwerben legitimiert, und damit der Lösungsansatz, den Märkten und Banken möglichst viel Geld bereitzustellen, fortgeführt. Dennoch sind die Folgen für die Wirtschaft schwerwiegend. Das reale BIP der USA fällt im ersten Quartal 2009 um 6,4%, die Arbeitslosenquote steigt bis Ende des Jahres auf 10% und die weltweiten Exporte brechen ein.65

Die Finanzkrise der USA hat aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtungen der Systeme großen Einfluss auf Europa, weshalb der Niedergang von Lehman Brothers und das Erliegen des Interbankenhandels auch die europäischen Banken in Bedrängnis bringt.66 Europäische Investmentbanken, Versicherungen und Staatfonds beteiligen sich über Jahre an den spekulativen Geschäften am US-Amerikanischen Häusermarkt und die europäischen Tochtergesellschaften der US Investmentbanken sind eng mit der hiesigen Wirtschaft verbunden.67 Ein internationales Netz von Schattenbanken, die nicht unter die Aufsicht der Finanzbehörden fallen und langfristige Kreditvergabe mit kurzfristigem Kapital finanzieren, werden für den Handel von CDOs und anderen MBS Produkten genutzt. Zu den Schattenbanken gehören sogenannte Special Investment Vehicles (SIV), die von Banken gegründet werden um das Kreditrisiko aus ihren Büchern zu nehmen.68 Die von der USA ausgehende Bankenkrise macht auch die Rettung der Banken in Europa notwendig. Bereits im September gibt Irland eine Garantie von bis zu 400 Mrd. € auf Bankeinlagen bekannt.69 Es folgt die europaweite Ankündigung der Rettung aller systemrelevanten Banken am 12. Oktober 2008 und die Autorisierung von 3,5 Billionen € zur Rettung des Finanzsystems durch die Europäische Kommission.70 Real werden 1,6€ Bn. aufgebracht, was ungefähr 13% des EU-weiten BIP ist.71 Tabelle 3 - Staatsgarantien für die europäischen Banken zeigt die Kredite, die zur Bankenrettung in Europa aufgebracht werden. Die deutsche Regierung bringt 400

[...]


1 Bartz et al. 2018.

2 Vgl. Soros 2008, S. 93–103.

3 Vgl. Zimmermann 2000, S. 118.

4 Vgl. Europäische Zentralbank 2018.

5 Vgl. Choblet 2014, S. 77.

6 Vgl. Choblet 2014, S. 77.

7 Vgl. Choblet 2014, S. 77.

8 Vgl. Bank of Japan 2006.

9 Vgl. Baun 1995.

10 Vgl. Baun 1995.

11 Vgl. Baun 1995.

12 Art. 3 Vertrag über die Europäische Union vom 07.02.1992, S.13-14.

13 Art. 140 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV vom 01.12.2009 und Art.1 Protokoll Nr.13 AEUV vom 26.10.2012.

14 Art. 140 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV vom 01.12.2009 und Art.2 Protokoll Nr.13 AEUV vom 26.10.2012.

15 Art. 140 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV vom 01.12.2009 und Art.3 Protokoll Nr.13 AEUV vom 26.10.2012.

16 Art. 140 Abs. 1 UAbs. 4 AEUV vom 01.12.2009 und Art.4 Protokoll Nr.13 AEUV vom 26.10.2012.

17 Art. 105 Vertrag über die Europäische Union vom 07.02.1992, S. 29.

18 Art. 105 Vertrag über die Europäische Union vom 07.02.1992, S. 29-30.

19 Vgl. Feldstein 1997, S. 36.

20 Ohr und Schäfer 1992.

21 Vgl. Hubel 2016, S. 101.

22 Vgl. Hubel 2016, S. 102.

23 Vgl. Green 2014, S. 11.

24 Vgl. Soros 2008, S. 94.

25 Daten entnommen aus Finanzen.net.

26 Vgl. Soros 2008, S. 103–104.

27 Vgl. Gerding 2009, S. 130–134.

28 Vgl. Mills und Kiff 2007, S. 6.

29 Vgl. Mills und Kiff 2007, S. 6.

30 Vgl. Soros 2008, S. 109.

31 Vgl. Hartmann-Wendels et al. 2010, S. 27–28.

32 Vgl. Kregel 2008, S. 13–14.

33 Vgl. Mills und Kiff 2007, S. 7.

34 Das Tranchieren ist eine Technik des Financial Engineering, die Wertpapiere nach verschiedenem Risiko aufteilt, bündelt und in Tranchen (Teilen) verkauft. Sie wurde genutzt um bessere Ratings und Risikobewertungen zu bekommen.

35 Vgl. Demary und Schuster 2013, S. 15.

36 Vgl. Whittall und Bird 2017.

37 Vgl. Soros 2008, S. 95–103.

38 Ein CDS kommt in diesem Fall faktisch einer Wette gegen den Immobilienmarkt gleich, da der Halter des CDS von einem Ausfall der CDOs ausgeht.

39 Vgl. Davidson 2008.

40 Vgl. Hausman und Johnston 2014.

41 Vgl. Freddy Mac 2018 in Federal Reserve Bank of St. Louis 2018.

42 Vgl. SEC 02.04.2007 in Federal Reserve Bank of St. Louis 2018.

43 Vgl. Pezzuto 2016, S. 81 und Burton R. 2018 in Federal Reserve Bank of St. Louis 2018.

44 Vgl. Evans 2011, S. 34.

45 Vgl. Choblet 2014, S. 180–181.

46 Vgl. Abbildung 2.

47 Vgl. United Kingdom Treasury Department 14.09.2007 und United Kingdom Treasury Department 2018 in Federal Reserve Bank of St. Louis 2018.

48 Vgl. Federal Reserve Bank of New York 24.03.2008.

49 Vgl. Soros 2008, S. 104.

50 Vgl. Treasury Department 2018 in Federal Reserve Bank of St. Louis 2018.

51 Vgl. Demary und Schuster 2013, S. 18.

52 Vgl. Bank of America 15.09.2008 in Federal Reserve Bank of St. Louis 2018.

53 Eine ausführliche Dokumentation der Versuche zur Rettung von Lehman Brothers, belegt mit
Originalkorrespondenzen, findet sich in: Lehman Brothers 2018.

54 Vgl. Davidson 2008.

55 Vgl. Federal Reserve Bank 16.09.2008.

56 Vgl. Europäische Zentralbank, S. 134.

57 Vgl. US Securities and Exchange Comission 17.09.2008.

58 Vgl. Emergency Economic Stabilization Act of 2008 vom 03.10.2008.

59 Vgl. US Treasury Department 2018a. und US Treasury Department 2018b in Federal Reserve Bank of St. Louis 2018.

60 Vgl. Emergency Economic Stabilization Act of 2008 vom 03.10.2008.

61 Vgl. Senate of the United States Government 2018.

62 Vgl. U.S. Department of the Treasury 19.12.2008.

63 Vgl. Federal Reserve Bank 16.12.2008.

64 Vgl. U.S. Department of the Treasury 10.02.2009.

65 Vgl. US Government Printing Office 2010, S. 27–35.

66 Europäische Zentralbank, S. 134.

67 Vgl. Evans 2011, S. 30.

68 Vgl. Hartmann-Wendels et al. 2010, S. 42–43.

69 Vgl. n-tv.de 2008.

70 Vgl. Choblet 2014, S. 182.

71 Vgl. Choblet 2014, S. 182.

Fin de l'extrait de 39 pages

Résumé des informations

Titre
Finanzkrise und Eurokrise. Systemfehler und Lösungsansätze
Université
University of Bamberg
Note
1,0
Auteur
Année
2018
Pages
39
N° de catalogue
V456463
ISBN (ebook)
9783668871670
ISBN (Livre)
9783668871687
Langue
allemand
Mots clés
Finanzkrise, Euro, Eurokrise, Targetsalden, Staatsschuldenkrise, Staatshaushalt
Citation du texte
Marline Bartsch (Auteur), 2018, Finanzkrise und Eurokrise. Systemfehler und Lösungsansätze, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456463

Commentaires

  • Pas encore de commentaires.
Lire l'ebook
Titre: Finanzkrise und Eurokrise. Systemfehler und Lösungsansätze



Télécharger textes

Votre devoir / mémoire:

- Publication en tant qu'eBook et livre
- Honoraires élevés sur les ventes
- Pour vous complètement gratuit - avec ISBN
- Cela dure que 5 minutes
- Chaque œuvre trouve des lecteurs

Devenir un auteur