Formen der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Christlich-Demokratischen Union (CDU)

Zwischen Verdrängung und Erinnerungspolitik


Seminar Paper, 2018

21 Pages, Grade: 1.0


Excerpt


Inhalt

1. Einleitung und Fragestellung

2. Entstehung der CDU

3. Der Nationalsozialismus als Gesprächsthema in der Politik
3.1 Der Nationalsozialismus in parteiinternen Auseinandersetzungen
3.2 Der Nationalsozialismus als Diskussionsthema im Bundestag
3.3 Stellungnahmen der Partei bezüglich des Nationalsozialismus

4. Unterstützte Gesetze

5. Einsatz für Gedenkstätten oder -tage und Einbringung zur Bewusstseinsfindung der Deutschen

6. Umgang mit ehemaligen NS-Funktionären und NSDAP-Mitgliedern
6.1 Mitgliedschaftsverbot, Vertuschung, Verdrängung?
6.2 Politikerbeispiele: Kurt Georg Kiesinger und Parteikollegen

7. Reaktion der Partei auf Aufarbeitungs- oder Auseinandersetzungsversuche
7.1. Der Warschauer Kniefall und der Warschauer Vertrag
7.2 Studentenbewegung 1968

8. Resümee

Endnoten

Literaturverzeichnis

1. Einleitung und Fragestellung

Dresden, 05. Januar 2015 : Mit Parolen wie „Sachsen bleibt deutsch” protestiert die fremdenfeindliche Organisation PEGIDA – kurz für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes” - lautstark gegen die flüchtlingsfreundliche Politik der Regierung. Der Rassegedanke, ausgeprägter Populismus und Fremdenhass – Grundsätze der rassistischen und antisemitischen Weltanschauung des Nationalsozialismus – kommen in Zeiten der Masseneinwanderung wieder verstärkt an die Oberfläche. Auch rechtspopulistische Parteien wie die AfD (Alternative für Deutschland) finden immer mehr Anhänger und bedrohen so die „weltoffene Einstellung […] der Mehrheitsbevölkerung” [1]. Während nun heute die etablierten Parteien klar Position beziehen zum Nationalsozialismus und daran angelehnte Ideen von Politik, z.B. in Form von Koalitionsverweigerung mit rechten Parteien, interessiere ich mich für die Entwicklung dieser Haltung seit den Nachkriegsjahren bis heute. In diesem Zusammenhang werde ich in meiner Seminararbeit das Verhalten der zweitältesten bestehenden Volkspartei, der Christlich-Demokratischen Union, untersuchen und verschiedene Aspekte ihres Umgangs mit der NS-Vergangenheit Deutschlands beleuchten. Die Fragestellung der Arbeit lautet:

Inwiefern hat sich die Haltung der CDU zum Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung seit den Nachkriegsjahren entwickelt?

Da die Politik und vor allem die meist gewählten Parteien die öffentliche Willensbildung beeinflussen, ist die Frage nach der Entstehung und Geschichte der heutigen Haltung der CDU äußerst relevant für ein ausgeprägtes Politik- und Geschichtsverständnis. Ziel meiner Arbeit ist es, falls möglich, eine klare Haltung der CDU zum Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung herauszufiltern, oder andernfalls, eine Spaltung der Meinung innerhalb der Partei identifizieren zu können. Außerdem wird zu untersuchen sein, ob bzw. wie eine Veränderung der Stellungnahme der Partei im Laufe der Zeit stattgefunden hat. Zentraler Bezug zur Gegenwart wird die Frage sein, wie weit sich die CDU bis heute immer mehr in die politische Mitte bewegt hat, die eigentlich ihren Charakter ausmachende, rechtskonservative Position an kleinere, ausländerfeindliche Parteien mit Hang zum Populismus (z.B. AfD oder NPD) abgegeben hat und was zu dieser Entwicklung führte.

2. Entstehung der CDU

„Ziel der CDU war es, alle christlich orientierten Kräfte in einer ,Union' zu sammeln.” [2]

Mit der Gründung der CDU 1946 entstand eine Partei, die vor allem die Ideen der katholisch orientierten Zentrumspartei ( Weimarer Republik ) wieder aufnahm. Nicht nur fast alle regionalen Gründungsinitiatoren stammten aus dem früheren Zentrum, auch die enge Verbindung zwischen Partei und katholischem Klerus, wie sie in Zeiten des Zentrums bestand, ließ sich v.a. in den Jahren nach der Parteigründung zwischen CDU und der katholischen Kirche beobachten. Schon zu Anfang der Parteiorganisation setzten sich die konservativen Vorstellungen des früheren Zentrum-Mitglieds Konrad Adenauer als allgemeine Auffassung durch. Ein erstes Parteiprogramm, entgegen Adenauers Einstellung „teilweise vom Geist des christlichen Sozialismus geprägt” [3], entstand 1946/47. Es folgten einige Überarbeitungen und Neufassungen, wobei es der CDU durchgehend schwer fiel, eine einheitliche Linie zu finden und die unterschiedlichen politischen Strömungen innerhalb der Partei zu vereinen. 1978 wurde das erste seinem Namen gerecht werdende Grundsatzprogramm verabschiedet , welches die Partei erstmals deutlich charakterisierte. Seitdem ist die CDU bekannt für die Kombination aus sozial-katholischen, konservativen und liberalen Ansichten und erfreut sich einer verhältnismäßig großen Wählerschaft.

3. Der Nationalsozialismus als Gesprächsthema in der Politik

3.1 Der Nationalsozialismus in parteiinternen Auseinandersetzungen die Hohmann-Affäre

Am Tag der deutschen Einheit im Jahr 2003 hielt der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann in Neuhof (Hessen) eine Rede, die das Aufsehen der Öffentlichkeit erregte. Nachdem er aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage vorschlug, ehemaligen Zwangsarbeitern und jüdischen Opfern des Nationalsozialismus geringere Entschädigungen zukommen zu lassen, führte er aus, inwiefern neben den Deutschen auch das jüdische Volk aufgrund vermeintlich begangener Verbrechen während der bolschewistischen Revolution 1917 als „Tätervolk” bezeichnet werden könnte: „Mit einer gewissen Berechtigung könnte man im Hinblick auf die Millionen Toten dieser ersten Revolutionsphase nach der „Täterschaft“ der Juden fragen. Juden waren in großer Anzahl sowohl in der Führungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos aktiv. Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als „Tätervolk“ bezeichnen.” [17] Während er nun sämtliche Verbrechen der Juden, die zuvor „ihre religiösen Bindungen gekappt hatten” [17], und der Nationalsozialisten auf die „Gottlosigkeit” zurückführte, behandelte er die jüdischen Kommunisten dennoch weiter als Juden, die Nationalsozialisten aber nicht als Christen, wodurch er quasi das gesamte als einheitlich christlich geltende deutsche Volk entschuldigte. Weiterhin bezog er sich auch auf Äußerungen des amerikanischen Autobauers Henry Ford - u.a. bekannt für die antisemitischen Artikel in seiner Zeitung - in dessen Buch „Der internationale Jude – Ein Weltproblem” von 1920. Auch wenn Hohmann im Anschluss betonte, dass weder das deutsche noch das jüdische Volk ein “Tätervolk” sei, blieb doch die Argumentation für eine Gleichstellung von jüdischen und nationalsozialistischen Verbrechen im Vordergrund stehen. Nach der Veröffentlichung der Rede auf der Internet-Seite der CDU Neudorf brach ein breite Debatte los, angestoßen durch einen Artikel einer jüdischen Amerikanerin auf ihrer Internetseite. Die Grünen und die SPD forderten sofort den Ausschluss aus der Bundestagsfraktion, die CDU mit Vorstand Angela Merkel beließ es zunächst bei einer Verwarnung und der Bezeichnung der Aussagen als „unerträglich” [18]. Nachdem sich Hohmann aber nicht von seinen Äußerungen distanzierte und der Zentralrat der Juden Anzeige gegen Hohmann wegen Volksverhetzung erstattete, kündigte Angela Merkel den Fraktions- und Parteiausschluss an.

3.2 Der Nationalsozialismus als Diskussionsthema im Bundestag

Eine der eindrucksvollsten Auseinandersetzungen im Deutschen Bundestag beschreibt die Verjährungsdebatte, welche aus vier Kontroversen, geführt zwischen 1960 bis 1979, bestand. Zu diskutieren war die Verjährbarkeit von Morddelikten , die während und von dem nationalsozialistischen Regime begangen wurden (bisher verjährte Mord generell nach 20 Jahren, folglich am 08.05.1965 [12] ). Nachdem im Mai 1960 (15 Jahre nach Kriegsende) relativ unbemerkt die Frist für die Verjährbarkeit von Totschlag abgelaufen war, reichte der CDU-Abgeordnete Ernst Benda (später u.a. Bundesinnenminister) einen Antrag auf Verlängerung der Verjährbarkeit ein, welcher von 49 Abgeordneten seiner Fraktion unterschrieben war. Es folgten zwei Gesetzesentwürfe der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und einer der CDU, nach denen die Verjährbarkeit von Morddelikten vollständig entfiele. Der Begriff der “Verjährungsdebatte” etablierte sich nach der sog. „Sternstunde des Parlaments”, der zweiten Behandlung der Frage im Bundestag, die am 10.03.1965 stattfand. Dabei wurden zwei grundsätzlich verschiedene Positionen vertreten: Die eine Seite (Regierungskoalition aus CDU und Freier Demokratischer Partei [FDP] unter Ludwig Erhard [CDU]) argumentierte für den Eintritt der Verjährung und stützte sich dabei hauptsächlich auf die notwendige Bewahrung der Rechtsstaatlichkeit, die ihrer Meinung nach - mit Verweis auf das Grundgesetz [14] - bei einer rückwirkenden Geltendmachung eines erloschenen Strafanspruchs nicht gewährleistet würde. Die Gegner der Verjährung führten als Hauptgrund an, dass das allgemeine Rechtsgefühl des Volkes grob verachtet würde, so Ernst Benda :

„Für die Antragsteller steht über allen Erwägungen juristischer Art, steht ganz einfach die Erwägung, dass das Rechtsgefühl eines Volkes in unerträglicher Weise korrumpiert werden würde, wenn Morde ungesühnt bleiben müssten, obwohl sie gesühnt werden könnten." [15] Weitere Argumentationsbausteine Bendas stellten das Recht des deutschen Volkes auf die Befreiung von Mördern und die sowieso schon erfolgende Unterbrechung der Verjährungsfrist bei Verfahrensaufnahme dar. Entgegen des Standpunktes seines Parteikollegen Benda plädierte der Fraktionsvorsitzende der CDU Rainer Barzel für die Beibehaltung der Verjährung oder möglicherweise eine geringe Aufschiebung der Frist. Außerdem befürchtete er eine „unbefriedigende[n] Rechtssprechung”[16] aufgrund mangelnder Beweislage. Aufsehen erregte er mit antikommunistischen Verweisen auf die DDR: “ Und weil das so ist, gehört in diese Debatte auch der Satz, daß Hitler tot ist und Ulbricht lebt” [16] Diese Debatte ist bezeichnend wie keine andere für die Heterogentität der CDU, welcher durch die von Fraktionszwängen freie Diskussion Ausdruck verliehen wurde. Ergebnis dieser zweiten Kontroverse im März 1965 war die Festlegung des Fristbeginns auf den 1.1.1950 (Ende der Besatzungszeit). 1969 stellte sich nun erneut das Problem der Verjährung. Die Bundesregierung unter Kurt Georg Kiesinger (s. 5.2) lehnte die Aufhebung der Verjährung von Morddelikten immer noch ab, vor allem um einem Verlust der konservativen Wählerschaft in der Bundestagswahl 1969 vorzubeugen. Dennoch reichte Kiesinger einen Gesetzesentwurf mit der Absicht der vollständigen Aufhebung der Verjährung ein, welcher auf Wunsch eines nicht kleinen Teils der CDU auf eine Verjährungsfrist von 30 Jahren beschränkt wurde. Zehn Jahre nach dessen Beschluss (Zwei-Drittel Mehrheit im Bundestag, 180 von 217 möglichen Stimmen der CDU) drohte erneut die Verjährung der Morddelikte. Nach einer erneuten Debatte im Bundestag, in der sich nun mehr Befürworter der Unverjährbarkeit von Seiten der CDU mit Redebeiträgen bemerkbar machten, wurde die Unverjährbarkeit von Mord und Völkermord mit 255 zu 222 Stimmen beschlossen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Ernst Benda als Redner während der Verjährungsdebatte - Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/verjaehrung-von-ns-morden-ein-kompromiss-als-meilenstein.724.de.html?dram:article_id=313704

.3.

3.3 Stellungnahmen der Partei bezüglich des Nationalsozialismus

Am 6.3.1946 hielt der erste Parteivorsitzende der CDU, Konrad Adenauer, im Nordwestdeutschen Rundfunk eine Rede zur Erklärung des ersten Parteiprogramms. Nur knapp ein Jahr nach dem Ende der NS-Herrschaft, wurde der Nationalsozialismus lediglich in zwei kleinen Passagen erwähnt, wo er als „Konsequenz [...] aus der materialistischen Weltanschauung” [23] und seine Verbrechen als “Untaten” [23] beschrieben wurden. Diesen Kurs verfolgte man in der CDU, aber auch überwiegend in den anderen Parteien, bis ans Ende des 20. Jahrhunderts , der Nationalsozialismus wurde verdrängt und tauchte in der Politik nur selten auf. Eine der wenigen Ausnahmen war die Debatte über die Verjährung von NS-Morden (s. 3.2) dar, wobei die Frage der Schuld der Deutschen aber nie thematisiert wurde. Dazu äußerte sich die Parteivorsitzende Angela Merkel 2018 allerdings deutlich: „Wir sind verantwortlich als Deutsche für die Dinge, die während des Holocaust, der Shoah, im Nationalsozialismus passiert sind“[27]. Vor allem in den Jahren seit der Jahrtausendwende kam es von Seiten der Partei verstärkt zu Aussagen, die den Nationalsozialismus verurteilen. So 2003 die damalige Parteivorsitzende Angela Merkel: “Zu den wichtigsten geistigen und politischen Wurzeln der christlich-demokratischen Union zählt gerade der christlich motivierte Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime.” [19] Im Grundsatzprogramm von 2007 erkennt die CDU die Singularität des Holocaust an. Auch das Wahlprogramm der CDU 2017 beschreibt die Erinnerung an die Folgen von Diktatur und Gewaltherrschaft als “immerwährende Aufgabe”[20]. Der Fraktionsvorsitzende der CDU Volker Kauder bezog sich in einem Interview auf gegenwärtig kursierendes bedenkliches Gedankengut: im Bezug auf die AfD meinte er, wer eine christliche Überzeugung vertrete, könne nicht damit leben, dass die „Grenze zum Nationalsozialistischen erreicht ist”[21].

4. Unterstützte Gesetze

1949 beschloss die Regierung unter Konrad Adenauer fast einstimmig das Gesetz zu Artikel 131 des Grundgesetzes. Dieses legte fest, dass alle Beamten, die am 8. Mai 1945 im Dienst standen, prinzipiell wieder in ein gleichwertiges Amt eingesetzt werden mussten. Die personelle Kontinuität des NS-Staats wurde durch ein ergänzendes Gesetz (im Ganzen: Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen) von 1951 unterstützt, welches besagte, dass alle von Artikel 131 Betroffenen einen Rechtsanspruch auf Wiedereinsetzung erheben konnten, vorausgesetzt, dass sie in den Entnazifizierungsverfahren nicht als „belastet” oder „hauptschuldig” eingestuft wurden. Damit war auch für NS-Beamte, Angehörige der Gestapo oder Waffen-SS, wovon infolge der Amnestiegesetze nur wenige bestraft wurden, der Weg sogar in Führungspositionen der Politik, Justiz und Verwaltung frei. Auch die Amnestien, vor allem die Straffreiheitsgesetze, beschlossen zwischen 1949 und 1954, wurden von der CDU befürwortet [33]. Diese amnestierten sämtliche vor dem 15.9.1949 begangenen Straftaten, die mit bis zu 5000 DM Geldstrafe, sechs Monaten Gefängnis oder einem Jahr auf Bewährung verfolgt werden konnten. Darunter fielen auch Totschlagsdelikte und Körperverletzung mit Todesfolge, welche in der NS-Zeit begangen wurden. Die CDU, aber auch überwiegend alle anderen Abgeordneten, ausgenommen die der SPD, tolerierten somit das Davonkommen der sogenannten „kleinen NS-Täter“.

5. Einsatz für Gedenkstätten oder -tage und Einbringung zur Bewusstseinsfindung der Deutschen

Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer setzte sich ab 1957 bemerkenswert für den Wiederaufbau der durch Krieg und die Reichspogromnacht 1938 zerstörten Kölner Synagoge ein und zeigte damit seinen Willen zur Integration der Juden in die neue Bundesrepublik. Auch im aktuellen Jahr zeigt die CDU Engagement um Antisemitismus zu bekämpfen: Eine Aktionswoche mit zahlreichen Veranstaltungen rund um das jüdische Leben soll ein Zeichen gegen „jede Form von Antisemitismus” [28] setzen. Die Initiative zu einem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ging 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog (CDU) aus. Er schlug als Datum den 27. Januar vor, den Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Auschwitz und Birkenau durch die Rote Armee. In seiner Verlautbarung formulierte er seinen Anspruch folgendermaßen: „Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“ [22] 2012 sprach sich die CDU-Bundestagsfraktion ausdrücklich für weitere Forschungsaufträge aus, welche Transparenz bezüglich personeller Kontinuitäten zwischen der Zeit des Nationalsozialismus und und der frühen Bundesrepublik bringen sollen[25].

6. Umgang mit ehemaligen NS-Funktionären und NSDAP-Mitgliedern

6.1 Mitgliedschaftsverbot, Vertuschung, Verdrängung?

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind vor allem Gesetze und Mitgliederzahlen zu betrachten, wenn es um die Behandlung von Anhängern des Nationalsozialismus geht, da - wie schon in 3.3 festgestellt - Stellungnahmen nicht sehr häufig waren. Einerseits zeugen das sog. 131Er-Gesetz und die Zustimmung zu den Amnestiegesetzen (s. 4.1) – beide 1949 beschlossen – von der Toleranz der CDU gegenüber dem rechten Gedankengut des “Dritten Reiches”. 60 ehemalige NSDAP-Mitglieder mit CDU-Parteizugehörigkeit versahen aufgrund der Ermöglichung durch die Gesetze in der BRD verschiedenste politische Ämter. [24] Verschiedene Sichtweisen auf ehemalige NS-Funktionäre waren aber auch in den letzten Jahren bemerkbar: Auf der Trauerfeier des einstigen Marinerichters der Nationalsozialisten Hans Filbinger (s. 6.2) im April 2007 sprach der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger von einem „Gegner des NS-Regimes" [26] und behauptete, Filbinger sei kein Nationalsozialist gewesen. [26] Angela Merkel nahm als Parteivorsitze Abstand von Oettingers Aussagen und äußerte den Wunsch, dass auch die „kritischen Fragen im Zusammenhang mit der Zeit des Nationalsozialismus” [29] hätten angesprochen werden müssen.

6.2 Politikerbeispiele: Kurt Georg Kiesinger und Parteikollegen

Kurt Georg Kiesinger, 1904 in Ebingen (heute Albstadt) geboren, trat 1933 als Jurastudent in die NSDAP ein und hielt sich von da an in der “rechten” Ecke der vom Nationalsozialismus beeinflussten Studentenverbindung „Askania” auf. Nach einigen Jahren der Verteidigertätigkeit wurde Kiesinger 1940 stellvertretender Leiter der Propagandaabteilung des Rundfunks, was er bis 1945 blieb. Nach 18-monatigem Aufenthalt im Internierungslager trat er 1947 in die CDU Württembergs ein. Innerhalb der Partei machte er Karriere, bis er 1966 zum Bundeskanzler ernannt wurde. Kiesingers Kandidatur und die anschließende Kanzlerschaft waren und sind bis heute umstritten. Vor allem für die Studentenbewegung von 1968 verkörperte Kiesinger die unvollständige Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Der Abneigung gegen den Bundeskanzler verlieh auch Beate Klarsfeld, Frau eines jüdischen Journalisten, 1968 Ausdruck, indem sie ihm auf dem CDU-Parteitag in Berlin eine Ohrfeige gab mit dem Ausruf: „Nazi, Nazi!” Sie begründete ihre Tat mit ihrer Absicht, „der öffentlichen Meinung in der ganzen Welt [zu] beweisen [...], daß ein Teil des deutschen Volkes, ganz besonders aber seine Jugend [sic.], sich dagegen auflehnt, dass ein Nazi an der Spitze der Bundesregierung steht, der stellvertretender Abteilungsleiter der Hitlerpropaganda für das Ausland war."[4] Der Vorfall erregte Aufsehen bei Presse und Öffentlickeit.

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Details

Title
Formen der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Christlich-Demokratischen Union (CDU)
Subtitle
Zwischen Verdrängung und Erinnerungspolitik
Grade
1.0
Author
Year
2018
Pages
21
Catalog Number
V456823
ISBN (eBook)
9783668916463
ISBN (Book)
9783668916470
Language
German
Keywords
Nationalsozialismus, Aufarbeitung, CDU, Nachkriegszeit
Quote paper
Yanelys Kober (Author), 2018, Formen der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Christlich-Demokratischen Union (CDU), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456823

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