Intervention Mapping und die Gesundheitsförderung von Berufskraftfahrern

Planungsansatz für die Entwicklung einer theorie- und evidenzbasierten Maßnahme zur Rückengesundheit


Bachelorarbeit, 2015

81 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1 Einleitung

2 Interventionsmodelle der Gesundheitsförderung
2.1 PRECEDE-Modell
2.2 Intervention Mapping Ansatz
2.2.1 Bedarfsanalyse
2.2.2 Planungsmatrizen von Veränderungszielen
2.3 Theoretische Modelle zum Gesundheitsverhalten
2.3.1 Das Sozioökologische Modell
2.3.2 Modelle der Gesundheitspsychologie

3 Gesundheitsrisiken im Tätigkeitsprofil der Berufskraftfahrer
3.1 Beschäftigtenstruktur und berufliche Gesamtaufgabe
3.2 Die Problematik im Berufsbild der Kraftfahrer
3.3 Berufs- und tätigkeitsbezogene Belastungsfaktoren
3.3.1 Physische Belastungsfaktoren
3.3.2 Psychische Belastungsfaktoren
3.3.3 Soziale Belastungsfaktoren
3.3.4 Verkehrsbedingte Belastungsfaktoren
3.4 Belastungsfolgen: Gesundheitliche Beschwerden der Berufskraftfahrer
3.5 Erkrankungen in der Versicherungsstatistik
3.6 Zusammenfassung

4 Bedarfsanalyse: Rückenschmerzen
4.1 Auswirkungen von Rückenschmerzen auf die Lebensqualität
4.2 Risikofaktoren für die Entstehung von Rückenschmerzen
4.2.1 Verhaltensbedingte Risikofaktoren der Berufskraftfahrer
4.2.2 Umweltbedingte Risikofaktoren der Berufskraftfahrer
4.3 Determinanten des Verhaltens
4.3.1 Die sozial-kognitive Theorie
4.3.2 Die Theorie des geplanten Verhaltens
4.4 Grundsätze der Rückenschmerzprävention
4.4.1 Bewegungsprogramme
4.4.2 Informationsbasierte Programme
4.4.3 Hilfsmittel
4.4.4 Ergonomische Interventionen
4.4.5 Multidimensionale verhaltensbezogene Programme
4.5 Zusammenfassung

5 Matrizenerstellung von Veränderungszielen
5.1 Spezifizierung der Programmziele (Behavioral Outcomes)
5.2 Definition von Handlungszielen (Performance Objectives)
5.3 Personelle Determinanten
5.4 Matrizen von Veränderungszielen (Change Objectives)

6 Schluss
6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
6.2 Ausblick

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Das PRECEDE-Modell (nach Green/Kreuter 1999, S. 35)

Abbildung 2: Die sechs Schritte des Intervention Mapping Ansatz (nach Bartholomew u. a. 2011, S. 19)

Abbildung 3: Logic Model for Needs Assessment (nach Bartholomew u. a. 2011, S. 191)

Abbildung 4: Logic Model of Change (nach Bartholomew u. a. 2011, S. 242)

Abbildung 5: Die Kernprozesse im Intervention Mapping Verfahren (nach Bartholomew u. a. 2011, S. 25)

Abbildung 6: Das sozioökologische Modell (nach Bartholomew u. a. 2011, S. 11)

Abbildung 7: Theorien zum Gesundheitsverhalten (nach Brinkmann 2014, S. 120)

Abbildung 8: Mittlere Beurteilung von Umgebungsbelastungen (nach Nolle 2005, S. 118)

Abbildung 9: Stellenwert von Belastungsfaktoren (nach Ellinghaus/Steinbrecher 2002, S. 49)

Abbildung 10: Modellhafte Darstellung von Risikofaktoren und deren gesundheitlichen Folgen für Berufskraftfahrer (Michaelis 2008, S. 52)

Abbildung 11: Verteilung der Arbeitsunfähigkeitstage nach Krankheitsarten (nach Meyer u. a. 2013, S. 442)

Abbildung 12: Verteilung der Arbeitsunfähigkeitsfälle nach Krankheitsarten (nach Meyer u. a. 2013, S. 443)

Abbildung 13: Risikofaktoren für unspezifische Rückenschmerzen (nach Lühmann u. a. 2003, S. 42)

Abbildung 14: Die sozial-kognitive Theorie (nach Brinkmann 2014, S. 84)

Abbildung 15: Theorie des geplanten Verhaltens (nach Luszczynska/Sutton 2007, S. 78)

Abbildung 16: Ansätze zur Rückenschmerzprävention (nach Lühmann/Schmidt 2007, S. 8)

Abbildung 17: Studien zur Wirksamkeit von Bewegungsprogrammen (nach Lühmann u. a. 2003, S. 38)

Abbildung 18: Ergebnisse der Bedarfsanalyse

Abbildung 19: Wirksamkeit präventiver Interventionen (nach Lühmann u. a. 2003, S. 46)

Abbildung 20: Beispielmatrix von Veränderungszielen

1 Einleitung

Die deutsche Logistikbranche ist eine zentrale Säule der nationalen Wirtschaft und mittlerweile auch in Europa führend. Sie stellt nach der Automobilindustrie und dem Handel den drittgrößten Wirtschaftsbereich dar. Dem dynamischen und überproportional wachsenden Logistikmarkt steht jedoch ein Fachkräftemangel gegenüber, welcher zunehmend in den Fokus der medialen Berichterstattung rückt. Dabei ist vor allem der Berufsstand der Kraftfahrer (LKW- Fahrer) betroffen. Nicht nur die Effekte des demografischen Wandels, sondern auch der zunehmend hohe Krankenstand der Berufskraftfahrer verschärfen die prekäre Situation der Logistikdienstleister und stellen eine aktuelle Herausforderung dar. Die hohen psychischen und physischen Arbeitsbelastungen der LKW-Fahrer sind eine Folge des wettbewerbsintensiven Logistikmarkts und lassen sich nicht ausschließlich mit der „mobilen“ Tätigkeit der Fahrer begründen.

Ein vielversprechender Ansatz zur Beherrschung der vorliegenden Problematik ist die Implementierung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) in Logistikbetrieben. Während die Notwendigkeit des BGM in vielen Wirtschaftsbranchen bereits erkannt und hinreichend untersucht wurde, blieb eine diesbezügliche Thematisierung für den Bereich der Logistikdienstleister (LDL) bislang aus. Das Forschungsprojekt „LogHealth – Betriebliches Gesundheitsmanagement als Erfolgsfaktor für Logistikdienstleister“ des International Performance Research Institute (IPRI) widmet sich der aktuellen Problematik und setzt sich zum Ziel, ein branchenspezifisches Vorgehen zur Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements zu erarbeiten. Das Projektvorgehen umfasst dabei zunächst die Gestaltung einer Gesundheitsstrategie für LDL und die Ermittlung von geeigneten Gesundheitskennzahlen zur Messung der Zielerreichung.

Die vorliegende Arbeit knüpft an der bisher geleisteten Forschungsarbeit des Projekts an und konzentriert sich auf die Entwicklung einer gesundheitsfördernden Maßnahme zur Rückengesundheit für die Berufsgruppe der Kraftfahrer in Logistikunternehmen. Zur konkreten Maßnahmenentwicklung wird der theoriegeleitete Planungsansatz des Intervention Mapping (IM) Verfahren von Bartholomew, Parcel, Kok, Gottlieb und Fernández (2011) verwendet.

Zusätzlich besteht Einklang zwischen dem vom Autor gewählten Studienschwerpunkt „Gesundheitsförderung und Prävention“ und der Thematik der vorliegenden Arbeit. Dementsprechend sind das Eigeninteresse und die persönliche Motivation, einen Beitrag im Feld der Gesundheitswissenschaften zu leisten, in besonderem Maße gegeben.

Vom Titel der vorliegenden Arbeit „Betriebliche Gesundheitsforderung von Berufskraftfahrern: Intervention Mapping als Planungsansatz für die Entwicklung einer theorie- und evidenzbasierten Maßnahme zur Rückengesundheit“ leitet sich die damit verfolgte Zielfrage ab: Welche Programminhalte sollten bei der Entwicklung einer gesundheitsfordernden Maßnahme angestrebt werden, um die Rückengesundheit von Berufskraftfahrern zu fördern bzw. zu erhalten?

Diese Fragestellung wird zunächst unter Anwendung der ersten beiden Prozessschritte Bedarfsanalyse und Programmentwicklung des Intervention Mapping Verfahren betrachtet. Die darauf folgende Schritte Programmplanung, Implementationsplanung und Evaluationsplanung sind nicht Gegenstand dieser Arbeit.

In Kapitel zwei wird zunächst ein theoretischer Rahmen gesetzt, in welchem die relevanten Prozessschritte des Intervention Mapping Verfahren ausführlich dargestellt und zusätzlich theoretische Modelle zum Gesundheitsverhalten beschrieben werden. Im darauffolgenden Hauptteil steht in Kapitel drei die Zielgruppe der Berufskraftfahrer im Mittelpunkt. Nach der Skizzierung branchenspezifischer Problematiken soll eine vielschichtige Analyse von berufs- und tätigkeitsbezogenen Belastungsfaktoren die gesundheitlichen Beschwerden der Kraftfahrer darlegen. Als deren Kernproblem werden unspezifische Rückenschmerzen durch eine abschließende Betrachtung der Krankenversicherungsstatistiken identifiziert.

Das vierte Kapitel beinhaltet die wesentlichen Arbeitsschritte der Bedarfsanalyse als erster Schritt des IM Verfahren. Hierbei werden die allgemeinen Risikofaktoren für die Entstehung von Rückenschmerzen untersucht und anschließend für die Berufsgruppe der Kraftfahrer in verhaltens- bzw. umweltbedingte Risikofaktoren gegliedert. Ebenso werden personelle Determinanten mit Hilfe von ausgewählten Theorien des Gesundheitsverhaltens ermittelt. Zuletzt werden die aktuell vorherrschenden Interventionsmöglichkeiten zur Prävention von Rückenschmerzen auf deren Wirksamkeit untersucht. Kapitel fünf umfasst die Bearbeitung des zweiten Programmschritts des IM. Dabei erfolgt die Spezifikation von hierarchischen Zielkriterien, um letztlich die angestrebten Programminhalte als Endprodukt der theoriegeleiteten Planung in Form von Matrizen (speziell organisierte Tabellen) darzustellen. Das sechste Kapitel bildet den inhaltlichen Abschluss. Es beinhaltet eine Zusammenfassung der Ergebnisse und einen weiterführenden Ausblick.

2 Interventionsmodelle der Gesundheitsförderung>

Die Gesundheitsförderung und Prävention als sich ergänzende Ansätze setzen sich zum Ziel, die Gesundheit und das Wohlbefinden von ausgewählten Risikogruppen oder der gesamten Bevölkerung zu verbessern. Dabei wird die Gesundheit als dynamisches Phänomen von vielschichtigen reziproken verhaltens- und umweltbedingten Einflüssen determiniert. Insbesondere das individuelle Verhalten, also der Lebensstil einer Person, prägt die Gesundheit bzw. Lebensqualität der Menschen. Interventionen der Gesundheitsförderung versuchen daher die multiplen Ursachen des Verhaltens zu identifizieren, zu verstehen und letztlich zu modifizieren (vgl. DiClemente u. a. 2007, S. 206 ff.). Dabei sollten die geplanten Interventionen theoriegleitet, evidenzbasiert und auf Basis methodischer Prinzipien gestaltet werden (vgl. Crosby u. a. 2007, S. 6). Um diesen Anforderungen gerecht zu werden ist die sorgfältige Planung und Entwicklung einer ganzheitlichen gesundheitsfördernden Interventionsmaßnahme von besonderer Bedeutung. Doch wie müssen Interventionen gestaltet sein, um gesundheitsschädliche Verhaltensweisen zu minimieren und gesundheitsprotektive Verhaltensweisen zu etablieren? Gibt es ganzheitliche Planungsmodelle die auf theoretischer und empirischer Basis sowohl individuelle Faktoren als auch Umweltbedingungen berücksichtigen? Bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung können Planungsmodelle einen geeigneten theoretischen Rahmen für den umfassenden Prozess der Interventionsentwicklung bieten. McKenzie (2007, S. 44 ff.) nennt diesbezüglich ein verallgemeinertes Modell der Interventionsentwicklung. Der Autor erwähnt weitere geeignete Modelle (z. B. Green und Kreuter 1999; Bartholomew u. a. 2011) und verweist, obgleich ihrer individuellen Formen und Begrifflichkeiten, auf eine Reihe von allgemeingültigen Schritten, die diesen Ansätzen gemeinsam sind. Das verallgemeinerte Modell basiert auf sechs Entwicklungsstufen, wobei zunächst die Zielgruppe analysiert und deren Bedürfnisse bewertet werden. Anschließen erfolgt die Definition von konkreten Interventionszielen. In der Phase der Interventionsentwicklung werden geeignete Aktivitäten und Strategien zur Erreichung der formulierten Ziele ausgearbeitet. Es folgt die Implementierung der Intervention, bevor in der abschließenden Phase die Ergebnisse evaluiert werden. Für die theoretische Fundierung und Erklärung des Gesundheitsverhaltens sind für Vögele (2007, S. 296) insbesondere eklektische Modelle bedeutsam. Sie geben Aufschluss darüber, welche Faktoren des Verhaltens und der Umwelt beeinflusst werden müssen, um eine positive Änderung des Gesundheitszustandes zu bewirken.

2.1 PRECEDE-Modell

Das von Green und Kreuter (2005) entwickelte PRECEDE-Modell ist ein häufig verwendetes Analyseinstrument für die Planung von Interventionsprogrammen (vgl. Seibt 2010, S. 452). Das Initialwort PRECEDE steht dabei für „ p redisposing, r einforcing, and e nabling c onstructs in e ducational / e cological d iagnosis and e valuation“ (Green/Kreuter 2005, S. 9). Basierend auf den Grundsätzen der Epidemiologie, Gesundheitspsychologie sowie der Verhaltens-, Sozial- und Erziehungswissenschaften beschreibt das Modell die Wirkungszusammenhänge von Verhaltens- und Verhältnisfaktoren (vgl. Naidoo/Wills 2003, S. 358). Zudem sollen alle Ausgangbedingungen einer gesundheitsfördernden Intervention diagnostiziert werden und letztlich dabei „[…] helfen, die zur Lösung eines Gesundheitsproblems am besten geeignete Maßnahme herauszufinden“ (ebd., S. 358). Die Arbeitslogik des Kausalmodells sieht fünf aufeinander aufbauende diagnostische Phasen vor (Abbildung 1), wobei die Konzentration zunächst auf den gewünschten Ergebnissen liegt und in Richtung originäre Ursachen zurückgearbeitet wird (vgl. Green/Kreuter 1999, S. 38).

Abbildung 1: Das PRECEDE-Modell

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Green/Kreuter 1999, S. 35)

In der sozialen Diagnose (Phase 1) werden die Auswirkungen des Gesundheitsproblems in Bezug auf die Lebensqualität der Zielgruppe ermittelt. Die subjektiv beschriebenen sozialen Probleme (z. B. Diskriminierung, Entfremdung) der Betroffenen bilden dabei den Ausgangspunkt der Analyse. Die Identifizierung von spezifischen Gesundheitsproblemen die mit einer Beeinträchtigung der Lebensqualität in Verbindung stehen, erfolgt mit der epidemiologischen Diagnose (Phase 2). Dabei werden mit Hilfe statistischer und epidemiologischer Daten (z. B. Morbiditätsraten, Prävalenzen und Inzidenzen) sowie medizinischen Erkenntnissen kausale Zusammenhänge festgestellt. Die dritte Phase des Modells umfasst die Verhaltens- und Umweltdiagnose. Hierbei werden gesundheitsbezogene Verhaltens- und Umweltfaktoren identifiziert, die mit den erforschten Gesundheitsproblemen der vorangegangenen Phase in Verbindung stehen (vgl. ebd., S. 38 f.). Verhaltensfaktoren beziehen sich dabei auf individuelle Verhaltensmuster (z. B. Bewältigungsstrategien) und Lebensstile (z. B. Ernährung, Bewegung), die den Gesundheitszustand von Personen beeinflussen. Gesundheitliche Probleme werden jedoch nicht ausschließlich von bestimmten Verhaltensweisen determiniert. Auch verhaltensunabhängige Faktoren wie beispielsweise die sozio-kulturelle Umwelt, Organisationen oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen spielen eine wichtige Rolle und stehen in Wechselwirkung mit dem Verhalten (vgl. Green/Kreuter 2005, S. 14; Seibt 2010, S. 449). Die Erziehungs- und Organisationsdiagnose (Phase 4) ermittelt anschließend die Ursachen der verhaltensrelevanten Faktoren aus Phase 3. Das PRECEDE-Modell postuliert zu diesem Zweck die Analyse von prädisponierenden (predisposing), ermöglichenden (enabling) und verstärkenden (reinforcing) Faktoren. Die prädisponierenden Faktoren wie etwa das Wissen, die Einstellungen und Werte einer Person wirken sich positiv oder negativ auf die Motivation einer Verhaltensänderung aus. Ermöglichende Faktoren sind diejenigen Fähigkeiten und Ressourcen einer Person, die eine Änderung des Verhaltens unterstützen, so dass ein gewünschtes Verhalten letztlich auch umgesetzt werden kann. Positive Verstärkungen bzw. allgemeine Rückmeldungen von relevanten Bezugsgruppen (Familie, Arbeitgeber) werden als verstärkende Faktoren verstanden. Beispielsweise kann ein ermutigendes Feedback den Prozess der Verhaltensänderung positiv beeinflussen. Eine explizite Analyse der prädisponierenden, ermöglichenden und verstärkenden Faktoren begünstigt die Identifizierung des priorisierenden Faktors, auf welchem zugleich der Fokus einer Intervention liegen sollte. Die administrative und politische Diagnose (Phase 5) stellt den Abschluss des Modells dar und beurteilt die organisatorischen und administrativen Rahmenbedingungen zur späteren Implementation des Programms (vgl. Green/Kreuter 1999, S. 40 ff.; Naidoo/Wills 2003, S. 358).

2.2 Intervention Mapping Ansatz

Ein ganzheitlicher Planungsansatz für die Entwicklung von theorie- und evidenzbasierten Gesundheitsförderungsprogrammen ist das Intervention Mapping (IM) Verfahren. Dabei geht das Verfahren über die diagnostische Analyse des PRECEDE-Modells hinaus und bietet einen theoretischen Rahmen für die Schritte der Konzeption, Entwicklung, Implementation und Evaluation (vgl. Bartholomew u. a. 2011, S. 3 ff.). Das Intervention Mapping ist ein iterativer Prozess mit sechs Arbeitsschritten (Abbildung 2), die in ihrer Gesamtheit ein Interventionsdesign auf der Basis von theoretischen Konzepten und empirischen Informationen darstellen. Die jeweiligen Arbeitsschritte setzten sich wiederum aus einzelnen Arbeitsaufgaben zusammen (vgl. ebd., S. 18).

Abbildung 2: Die sechs Schritte des Intervention Mapping Ansatz

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bartholomew u. a. 2011, S. 19)

2.2.1 Bedarfsanalyse

Der erste Schritt des Intervention Mapping setzt vor der eigentlichen Interventionsplanung an und beinhaltet eine umfassende Bedarfsanalyse, welche auf Grundlage eines modifizierten PRECEDE-Modells von Green und Kreuter (2005) basiert. Die Analyse umfasst dabei zwei wesentliche Komponenten:

1. „An epidemiologic, behavioral, and social perspective of a community or population at risk for health-related problems
2. An effort to understand the character of the community, its members, and ist strenghts“ (Bartholomew u. a. 2011, S 171).

Die Bedarfsanalyse beurteilt zudem relevante Gesundheitsprobleme und hilft dabei physiologische Risikofaktoren, die mit dem Problem in Verbindung stehen, zu identifizieren. Letztlich beinhaltet die Analyse eine Bewertung von personellen Determinanten, die zu gesundheitlichen Problemen oder diesbezüglichen Risiken führen. Determinanten werden in diesem Zusammenhang als hypothetische Faktoren bezeichnet, die mit dem gesundheitsschädigendem Verhalten oder den Umweltbedingungen in einer Kausalbeziehung stehen (vgl. ebd., S. 172 f.).

Die erste Aufgabe im Rahmen der Bedarfsanalyse ist die Einbeziehung von Stakeholdern und der Gründung einer partizipatorischen Planungsgruppe. Die Zielgruppe der Intervention ist dabei von essentieller Bedeutung und sollte zwingend in der gemeinsamen Planung vertreten sein. Des Weiteren können Stakeholder einbezogen werden, die ein Interesse an dem vorliegenden Gesundheitsproblem, dem zu entwickelnden Programm oder den Ergebnissen der Intervention haben. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit gewährleistet ein umfangreiches Expertenwissen und führt zu einer bedarfs- sowie ergebnisorientierten Interventionsplanung (vgl. ebd., S. 174 ff.).

Die eigentliche Durchführung der Bedarfsanalyse ist die zweite Aufgabe im Prozess des Intervention Mapping. Die Analyse erfolgt dabei auf der Grundlage des bereits vorgestellten PRECEDE-Modells von Green und Kreuter (2005). Das Modell ist in zahlreichen Programmen der Gesundheitserziehung zum Einsatz gekommen und hat sich als Planungsansatz bewährt. Bartholomew und Kollegen (2001, S. 192 ff.) haben das Modell für den Prozess des Intervention Mapping modifiziert (Abbildung 3) und lassen verhaltensunabhängige Faktoren wie beispielweise die Genetik vollständig außer Acht.

Abbildung 3: Logic Model for Needs Assessment

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bartholomew u. a. 2011, S. 191)

Die Arbeitslogik des Modells erfolgt prinzipiell von rechts nach links, wobei nicht zwangsweise mit der Beurteilung der Lebensqualität begonnen werden muss. Je nach Fokus und Interesse kann der Startpunkt der Analyse auf andere Phasen übertragen werden. Liegt der Fokus der Intervention auf einem spezifischen und bereits im Vorfeld definierten Gesundheitsproblem, wird mit einer expliziten Beschreibung des Problems begonnen (Phase 2). Die Autoren postulieren jedoch die konsequente Bearbeitung aller Phasen.

Ein entscheidender und dem Modell vorangestellter Arbeitsschritt ist die Beschreibung der Risiko- bzw. Zielgruppe sowie der dazugehörigen Umweltbedingungen.

Eine umfängliche Beschreibung der Zielgruppe hilft dabei, den Umfang der Bedarfsanalyse einzugrenzen und gleichzeitig den Fokus auf das primäre Gesundheitsproblem zu richten. Dementsprechend gilt es in diesem Prozess folgende Kernfrage zu beantworten: Was ist das dominierende Gesundheitsproblem? Die beschriebene Ziel- bzw. Risikogruppe ist zugleich der primäre Empfänger des jeweiligen Interventionsprogramms. Daher sind die folgenden Arbeitsschritte der Bedarfsanalyse stets auf die gewählte Zielgruppe zu fokussieren. Auch Umweltbedingungen haben einen starken Einfluss auf die jeweilige Zielgruppe und können sich unmittelbar auf den Gesundheitsstatus auswirken (vgl. ebd., S. 195 ff.). Bartholomew und Kollegen (vgl. ebd., S. 197) empfehlen deshalb die Umweltbedingungen anhand von vier sozioökologischen Ebenen zu analysieren: Interpersonal, Organizational, Community, Societal.

Nachdem die Gesundheitsprobleme bzw. ein Hauptproblem der Zielgruppe identifiziert und die Schwere der Krankheitslast (z. B. Inzidenzen, Prävalenzen, Stellenwert in den Versicherungsstatistiken) ermittelt wurde, erfolgt die Erfassung der damit beeinträchtigten Lebensqualität (Phase 1) der Betroffenen. Green und Kreuter (1999, S. 54) definieren die Lebensqualität als „[…] the perception of individuals or groups that their needs are being satisfied and that they are not being denied opportunities to pursue happiness and fulfillment“. In welchem Ausmaß die Lebensqualität beeinträchtigt wird, basiert auf den subjektiv beschriebenen Problematiken der Zielgruppe. Um die verschiedenen Dimensionen der Lebensqualität (z. B. Arbeitsversäumnis, Arbeitsleistung, Aktivitäten des täglichen Lebens, etc.) zu erfassen, sind Befragungen oder direkte Beobachtungen der Zielgruppe zu bevorzugen (vgl. Bartholomew u. a. 2011, S. 200).

In Phase 3 der Bedarfsanalye werden mögliche Ursachen des inzwischen als dringlich angesehen gesundheitlichen Problems erforscht. Dabei wird zwischen Risikofaktoren des Verhaltens und der Umwelt unterschieden, wobei die ermittelten Faktoren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen sollten. Die Analyse der Verhaltensfaktoren beschäftigt sich mit der Frage: Was tun beziehungsweise unterlassen die Betroffenen, damit ihr individuelles Risiko in Bezug auf das Gesundheitsproblem steigt (vgl. ebd., S. 194)? Die Umweltanalyse fokussiert die soziale und physische Umwelt und deren Auswirkungen. Die umweltbedingten Risiken nehmen hierbei eine entscheidende Rolle ein und sollten einer ganzheitlichen, gemäß den sozioökologischen Ebenen, Betrachtung unterliegen (vgl. ebd., S. 204).

Die nächste Phase des Modells (Phase 4) versucht herauszufinden, welche personellen Determinanten das Verhalten der Zielgruppe bzw. die Umweltbedingungen beeinflussen (vgl. ebd., S. 208). Nach Bartholomew und Kollegen (2011, S. 208) muss der Interventionsplaner folgende Fragen beantworten: „[…] Why do members of the at-risk group behave in ways to increase their risk of a health problem? Why do agents in the environment create or maintain unhealthy environmental factors“?

Um die personellen Determinanten zu identifizieren, zu erklären und letztlich zu modifizieren eignen sich insbesondere Theorien bzw. Konzepte der Gesundheitspsychologie, die in einem nachfolgenden Kapitel (2.3) näher beschrieben werden.

Der finale Schritt der Bedarfsanalyse beinhaltet die Formulierung eines spezifischen und gewünschten Programmziels bzw. -zielen. Die definierten Ziele müssen operationalisierbar sein und die Faktoren der Bedarfsanalyse (Lebensqualität, Gesundheit, Verhalten und Umweltbedingungen) gesundheitsfördernd beeinflussen. Dabei sind Programmziele mit einer hohen Relevanz und Veränderbarkeit zu bevorzugen (vgl. ebd., S. 226 f.).

2.2.2 Planungsmatrizen von Veränderungszielen

Schritt zwei im Prozess des Intervention Mapping bildet das Kernelement der Interventionsentwicklung. Hierbei wird zunächst festgelegt, welche gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen und Umweltbedingungen verändert werden müssen, um das übergeordnete Programmziel der Bedarfsanalyse und somit eine Verbesserung der Gesundheit und Lebensqualität zu erreichen. Aus den angestrebten Veränderungen des Verhaltens und der Umwelt werden spezifische Handlungsziele abgeleitet. Um die Handlungsziele positiv zu beeinflussen, werden im Anschluss veränderbare Determinanten des Gesundheitsverhaltens auf empirischer Basis ausgewählt und den jeweiligen Handlungszielen zugeordnet. Zur konkreten Bestimmung von Veränderungszielen werden die Determinanten zuletzt mit den entsprechenden Handlungszielen in Planungsmatrizen verknüpft, welche für die jeweils ausgewählten sozioökologischen Ebenen erstellt werden (vgl. Bartholomew u. a. 2011, S. 305 f.).

Auch der zweite Schritt des IM wird durch ein Arbeitsmodell unterstützt. Das „Logic Model of Change“ (Abbildung 4) legt den Fokus jedoch nicht auf die Ursachen des Gesundheitsproblems, sondern fokussiert die Veränderung des Verhaltens und der Umwelt. Aus diesem Grund sprechen die Autoren von einem Veränderungsmodell, das letztlich definiert, was die Intervention verändern muss, um das Risiko für das Gesundheitsproblem zu minimieren bzw. die Gesundheit zu verbessern (vgl. ebd., S. 241 f.).

Abbildung 4: Logic Model of Change

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bartholomew u. a. 2011, S. 242)

Auch hier erfolgt die Arbeitslogik des Modells von rechts nach links, um nach abgeschlossener Bearbeitung der Teilkomponenten die Wirkungszusammenhänge ausgehend von den Veränderungszielen (Change Objectives) darzustellen.

Im ersten Arbeitsschritt des „Logic Model of Change“ werden spezifische Interventionsergebnisse bzw. Programmziele (Behavioral / Environmental Outcomes) des Verhaltens und der Umwelt festgelegt. In der Bedarfsanalyse wurden jene Risikofaktoren des Verhaltens identifiziert, die das Risiko für ein Gesundheitsproblem erhöhen und somit die potentielle Ursache darstellen. Für eine zielgerichtete Interventionsentwicklung muss daher der Blickwinkel geändert und der Fokus auf gesundheitsfördernde Verhaltensweisen gerichtet werden. Verschiedenste Ansätze können dabei helfen, dass Verhalten positiv zu beeinflussen und konkrete Ergebnisse zu formulieren. Beispielsweise kann das Ziel der Verhaltensänderung in einer Reduktion des Risikofaktors begründet sein. Diesem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass eine Intervention die Prävalenz einer Krankheit reduzieren kann, wenn die diesbezüglichen Risikofaktoren reduziert werden (z. B. Reduktion von fettreicher Nahrung bei kardiovaskulären Erkrankungen). Jedoch ist in einigen Fällen eine Reduktion nicht ausreichend bzw. zielführend und das Verhaltensziel muss die gänzliche Unterlassung des Verhaltens bestimmen (z. B. Rauchen). Neben der Eindämmung bzw. Unterlassung können die gewünschten Ergebnisse auch mit einem Anstieg (z. B. Steigerung des Obst- und Gemüseverzehrs) bzw. der Aufrechterhaltung (z. B. konsequente Nutzung von Kondomen) gesundheitsfördernder Verhaltensweisen, also dem Gegenteil von Risikoverhalten, einhergehen.

Ebenso werden in diesem Arbeitsschritt die gewünschten Umweltergebnisse identifiziert und formuliert. Die Vorgehensweise erfolgt analog zu den ermittelten Verhaltensergebnissen, jedoch müssen auch hier die sozioökologischen Ebenen einer individuellen Betrachtung unterliegen (vgl. Bartholomew u. a. 2011, S. 243 ff.).

Der zweite Arbeitsschritt besteht darin, die festgelegten Verhaltens- und Umweltergebnisse der Intervention in konkrete Handlungsziele (Performance Objectives) zu gliedern. Die gewählten Handlungsziele beschreiben konkrete Aktivitäten der Betroffenen und helfen dabei, den Prozess der Verhaltensänderung Schritt für Schritt darzustellen. Ist der Verzehr von fettarmer Nahrung ein formuliertes und gewünschtes Verhaltensergebnis, so könnten exemplarische Handlungsziele dafür lauten: (1) Nährwertangaben lesen, (2) fettarme Nahrung auswählen und (3) fettarme Nahrung zubereiten (vgl. ebd., S. 255 f.). Um die Handlungsziele zu bestimmen muss der Interventionsplaner folgende Frage beantworten: „What do the participants in this program or the environmental agents need to do to perform the behavior or to make the environmental change stated in the behavior or environmental outcomes“ (ebd., S. 255 f.)? Zur Beantwortung dieser Frage bzw. der allgemeinen Festlegung von Handlungszielen empfehlen die Autoren die Anwendung der sogenannten „Kernprozesse“ (vgl. ebd., S. 262 f.). Diese helfen dabei, komplexe Problematiken zu verstehen oder aufgeworfene Fragen theoriebasiert und mit empirischen Daten zu beantworten. Die Kernprozesse beinhalten sechs aufeinanderfolgende Arbeitsschritte (Abbildung 5) und können insbesondere in der Bedarfsanalyse sowie Matrizenerstellung genutzt werden (vgl. ebd., S. 25).

Abbildung 5: Die Kernprozesse im Intervention Mapping Verfahren

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bartholomew u. a. 2011, S. 25)

Die Auswahl von relevanten und veränderbaren Determinanten erfolgt im nächsten Arbeitsschritt des Veränderungsmodells. Mit Hilfe von Theorien des Gesundheitsverhaltens können geeignete und empirisch nachgewiesene Determinanten ausgewählt werden. Nach DiClemente und Kollegen (2007, S. 214) gelten jene Determinanten als geeignet, „[…] über die innerhalb des jeweiligen theoretischen Rahmens eine Hypothese aufgestellt worden ist, inwieweit sie ein spezifisches Gesundheitsverhalten beeinflussen, und die schließlich in der Veränderung dieses Gesundheitsverhaltens gipfeln“. Determinanten beinhalten überwiegend kognitive Faktoren wie beispielsweise Wissen, Einstellungen, Selbstwirksamkeit, Konsequenzerwartungen und sind wichtige Einflussfaktoren für die Verhaltensänderung der Zielgruppe bzw. jenen Personen, die positive Veränderungen in der Umwelt bewirken können (vgl. Bartholomew u. a. 2011, S. 269 ff.).

Für jede der ausgewählten sozioökologischen Ebenen erfolgt abschließend die Matrizenerstellung von Veränderungszielen. Die Matrizen werden in Tabellenform dargestellt, wobei die Veränderungsziele den Schnittpunkt zwischen den jeweiligen Handlungszielen und den dazugehörigen Determinanten bilden. Die Veränderungsziele legen die theoretischen Programminhalte fest und liefern Antworten auf die Frage, was die Interventions- bzw. Programmplaner tun müssen, damit die betroffene Zielgruppe die angestrebten Handlungsziele erreicht. Die verschiedenen Matrizen spezifizieren im Ergebnis die unmittelbaren Ziele eines Gesundheitsförderungsprogramms (vgl. ebd., 275 ff.). Nach der Matrizenerstellung werden im dritten Schritt des Intervention Mapping geeignete theoriebasierte Interventionsmethoden ausgewählt und in praktikable Strategien übertragen, um die Determinanten des Gesundheitsverhaltens zielführend zu beeinflussen (vgl. ebd., S. 21). Die verbleibenden Programmschritte Programmplanung, Implementationsplanung und Evaluationsplanung werden nicht näher beschrieben, da der Fokus dieser Arbeit auf den vorhergehenden Arbeitsschritten beruht.

2.3 Theoretische Modelle zum Gesundheitsverhalten

Die Anwendung von Theorien spielt im Prozess des Intervention Mapping eine besondere Rolle. Insbesondere bei evidenzbasierten Programmen ist eine theoriegeleitete Planung bedeutsam. Der IM Ansatz arbeitet aus einer problembezogenen Perspektive heraus und versucht die spezifischen Gesundheitsprobleme umfänglich zu erfassen. Theorien bilden dabei den erforderlichen Rahmen, um gesundheitsrelevante Verhaltensweisen sowie die multiplen Ursachen eines Problems zu erklären (vgl. ebd., S. 8 f.). Zahlreiche Theorien des Gesundheitsverhaltens stammen aus der Gesundheitspsychologie. Sie versuchen eine Antwort darauf zu geben, „[…] welche Einflüsse gesundheitsförderliche bzw. –schädigende Verhaltensweisen bewirken, wie Verhalten verändert werden kann und was Menschen dazu motiviert, dies zu tun“ (Brinkmann 2014, S. 54).

2.3.1 Das Sozioökologische Modell

Der Gesundheitszustand von Personen wird nicht nur vom individuellen Verhalten geprägt, sondern ist stets im Kontext des gesamten Lebensumfeldes zu betrachten. Für DiClemente und Kollegen (2007, S. 206) ist das Gesundheitsverhalten ein komplexes Phänomen und sollte einer holistischen Betrachtung unterliegen, „da zahlreiche Gesundheitsprobleme kausale Wurzeln haben, die sich über mehrere, sich teilweise überschneidende Ebenen erstrecken […]. Dies impliziert eine Verhaltensänderung nicht nur auf einer einzelnen Ebene, sondern die Berücksichtigung eines sozioökologischen Rahmens, der mehrere Ebenen miteinander kombiniert“. Diesem mehrdimensionalen Ansatz wird das sozioökologische Modell gerecht. Das Modell ist eine Weiterentwicklung der ökologischen Systemtheorie von Bronfenbrenner (1979) und betrachtet die verschiedenen soziökologischen Ebenen als ganzes System. Ihm liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Umwelt und Individuen wechselseitig beeinflussen (vgl. Bartholomew u. a. 2011, S. 10 f.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Das sozioökologische Modell

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bartholomew 2011, S. 11)

Obwohl der Fokus von Intervention stets auf der Ziel- bzw. Risikogruppe liegt, stellen die abgebildeten sozioökonomischen Ebenen relevante Einflussbereiche in Bezug auf das individuelle Gesundheitsverhalten dar und müssen daher zwingend in die analytische Betrachtung des Gesundheitsproblems einbezogen werden.

In Abhängigkeit der begünstigten Zielgruppe / Zielperson einer gesundheitsfördernden Intervention, ist die individuelle Ebene (Einzelperson) bzw. die interpersonale Ebene (Gruppe) als zentral anzusehen. Das Modell soll verdeutlichen, dass die individuellen Verhaltenseigenschaften in reziproker Interaktion mit den übrigen Ebenen stehen und einen synergetischen Einfluss auf den langfristigen Erfolg einer Interventionsmaßnahme haben (vgl. DiClemente u. a. 2007, S. 211 ff.).

2.3.2 Modelle der Gesundheitspsychologie

Theorien und Konzepte der Gesundheitspsychologie befassen sich insbesondere mit dem menschlichen Gesundheitsverhalten und dessen bestimmenden Faktoren. Dieses Verhalten zu erklären, vorherzusagen und gesundheitsfördernd zu verändern steht im Mittelpunkt von diversen Ansätzen der Gesundheitspsychologie. Für Brinkmann (2014, S. 40) lauten die zentralen Fragestellungen dieser Theorien:

- „Wodurch werden Menschen motiviert, sich gesundheitsförderlich oder für ihre Gesundheit riskant zu verhalten?“ und
- „Wie gelingt es Individuen, ihre Veränderungsabsichten auch wirksam und erfolgreich umzusetzen?“.

Die verschiedenen Modelle der Gesundheitspsychologie werden in der Praxis spezifiziert und gliedern sich in kontinuierliche Prädiktionsmodelle sowie „Stufen-“ bzw. „Stadienmodelle“. Obgleich ihrer individuellen Anwendungsmöglichkeiten und konzeptuellen Unterschiede, fokussieren die theoretischen Ansätze insbesondere kognitive Einflussfaktoren, die in gesichertem Zusammenhang mit dem individuellen Risiko- bzw. Gesundheitsverhalten stehen (vgl. Brinkman 2014, S. 54 f.).

„Den kontinuierlichen Modellen des Gesundheitsverhaltens liegen Hypothesen zugrunde, in welcher Weise einzelne Variablen das Gesundheitsverhalten verändern bzw. auf dem Kontinuum der Verhaltenswahrscheinlichkeit verschieben. Diese Variablen sind als Prädiktoren der Intensionsbildung und des Verhaltens konzeptualisiert; sie umfassen individuelle Gesundheitsdeterminanten wie z. B. Kontrollüberzeugungen, Selbstwirksamkeitserwartung oder soziale Unterstützung“ (Moser 2007, S. 227 f.). In Abgrenzung dazu, haben Stufen- bzw. Stadienmodelle qualitativ unterschiedliche Phasen im Blick, welche auf dem Weg zum gewünschten Endverhalten sukzessive durchlaufen werden und in diesem zeitlichen Kontinuum mit Stillstand und Rückschritt einhergehen können. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch das sozial-kognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns von Schwarzer (1992). Das Hybridmodell vereint die motivationalen und volitionalen Komponenten der kontinuierlichen Prädiktionsmodelle mit den dynamischen Stufen- bzw. Stadienmodellen (vgl. Brinkmann 2014, S. 55; Schwarzer 2004, S. 39).

Aufgrund des zu großen Umfangs der relevanten theoretischen Ansätze folgt eine heuristische Zusammenfassung genannter Modelle in tabellarischer Form.

Abbildung 7: Theorien zum Gesundheitsverhalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Brinkmann 2014, S. 120)

3 Gesundheitsrisiken im Tätigkeitsprofil der Berufskraftfahrer

3.1 Beschäftigtenstruktur und berufliche Gesamtaufgabe

Die Anzahl der in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigten Berufskraftfahrer im Güterverkehr beläuft sich im Dezember 2013 auf etwa 535.000. Dabei ist der Frauenanteil im Gewerbe der Kraftfahrer mit 1,7 % stark unterrepräsentiert und bestätigt die gesellschaftliche Meinung des traditionellen Männerberufs. Die geringe Frauenquote begründet sich u. a. in der mitunter physisch anspruchsvollen Arbeitsbelastung. Mit 9,1 % der Beschäftigten stellen ausländische Berufskraftfahrer einen stetig wachsenden Anteil dar. Die Zunahme ist dabei weniger auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union zurückzuführen. Vielmehr werden ausländische Arbeitskräfte zu den vertraglichen Rahmenbedingungen deutscher Berufskraftfahrer eingestellt.

Die Altersstruktur der im gewerblichen Güterverkehr tätigen Kraftfahrer weist Parallelen zu anderen Wirtschaftszweigen auf und ist durch Überalterung und dem Rückgang junger Arbeitskräfte gekennzeichnet. Der Anteil an Fahrern unter 25 Jahren ist mit 2,6 % äußerst gering und verdeutlicht das Nachwuchsproblem der Branche. Dagegen repräsentieren Fahrzeugführer ab 50 Jahren mit 42,9 % einen im Zeitverlauf steigenden Anteil. Rückläufig ist hingegen die Anzahl der 25 – 50-Jährigen mit einem derzeitigen Stand von 54,5 %.

Etwa 58 % der Berufskraftfahrer verfügen über einen anerkannten Berufsabschluss. Jedoch ist zu beachten, dass auch branchenfremde Berufsabschlüsse miteinberechnet werden und somit viele Quereinsteiger der beruflichen Tätigkeit des Kraftfahrers nachgehen (vgl. Bundesamt für Güterverkehr 2014, S. 7 f.). Die Dauer der staatlich anerkannten Berufsausbildung umfasst drei Jahre und unterscheidet seit dem Jahr 2001 nicht mehr zwischen den Fachrichtungen Güterverkehr bzw. Personenverkehr (vgl. Burgmann u. a. 2005, S. 379). Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich jedoch ausschließlich mit Berufskraftfahrern im Güterverkehr.

Die Hauptaufgabe von Berufskraftfahrern ist die Durchführung von Transporten für Güter aller Art im Fern-, Nah- und Werksverkehr. Neben der übergeordneten Kerntätigkeit haben Fahrer von Lastkraftwagen eine Vielzahl weiterer Aufgaben zu bewältigen. Ellinghaus und Steinbrecher (2002, S. 40) nennen diesbezüglich das Fahren und Rangieren, was letztlich genaue technische Kenntnisse der jeweiligen Fahrzeuge voraussetzt. Berufskraftfahrer beteiligen sich bei der Be- und Entladung der Lastkraftwagen, achten dabei auf eine effiziente Ausnutzung des Laderaums und sind für die Ladungssicherung verantwortlich. Sie wirken bei der Fahrzeugwartung bzw. -pflege mit und führen nach Möglichkeit anfallende Reparaturen selbst durch. Benötigte Dokumente wie Fracht- und Zollpapiere sowie sonstige mitzuführende Unterlagen müssen sachgerecht geführt werden. LKW-Fahrer sollen zudem vereinbarte Liefer- und Abholtermine beachten und entsprechende Fahrtrouten planen. Dabei gilt es insbesondere auf die gesetzlich vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten zu achten (vgl. Bundesamt für Güterverkehr 2013, S. 88 f.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Intervention Mapping und die Gesundheitsförderung von Berufskraftfahrern
Untertitel
Planungsansatz für die Entwicklung einer theorie- und evidenzbasierten Maßnahme zur Rückengesundheit
Hochschule
Hochschule für angewandte Wissenschaften Kempten
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
81
Katalognummer
V457442
ISBN (eBook)
9783668888005
ISBN (Buch)
9783668888012
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Betriebliches Gesundheitsmanagement, Gesundheitsförderung, Prävention, Rückenschmerzen, Logistik, Gesundheitswirtschaft, Rückengesundheit, Gesundheitsverhalten, Interventionsmodelle, Rückenschmerzprävention, Berufskraftfahrer, LKW-Fahrer, BGM, Intervention Mapping
Arbeit zitieren
Niklas Stadler (Autor:in), 2015, Intervention Mapping und die Gesundheitsförderung von Berufskraftfahrern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/457442

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