Vermittlung Neuer Musik. Ein Vergleich didaktischer Überlegungen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

28 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

2 NEUE MUSIK

3 WISSENSVERMITTLUNG IM MUSIKUNTERRICHT
3.1 ENTWICKLUNG DES MUSIKUNTERRICHTS
3.2 OBJEKTZENTRIERTE MUSIKDIDAKTIK
3.3 SUBJEKTZENTRIERTE MUSIKDIDAKTIK

4 KONZEPTE ZUR VERMITTLUNG NEUER MUSIK IM UNTERRICHT
4.1 PERSPEKTIVEN NEUER MUSIK - MATERIAL UND DIDAKTISCHE INFORMATION VON
DIETER ZIMMERSCHIED
4.2 NEUES HÖREN UND SEHEN UND VERMITTELN. PÄDAGOGISCHE MODELLE UND
REFLEXIONEN ZUR NEUEN MUSIK
4.3 ZIEHT EUCH WARM AN! EIN UNTERRICHTSPROJEKT ZUM THEMA KÄLTE IN ANLEHNUNG AN HELMUT LACHENMANNS FRIER-ARIE VON JESSICA DÖRR

5 FAZIT

6 LITERATURVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

„In der musikpädagogischen Diskussion […] ist die Frage der Eignung zeitgenössischer Musik als Unterrichtsgegenstand ein immer noch ungelöstes Problem: emphatische Ablehnung auf der einen, euphorische Befürwortung auf der anderen Seite […] Ergebnisse einer Studie von P. BRÖMSE (1977, 108) über „ E i n s t e ll u n g e n von Lehrern zum Musikunterricht" zeigen, daß bei nur 15 % der befragten Musiklehrer Neue Musik als Unterrichtsgegenstand „erwünscht" ist und nur von 5 % im Unterricht „realisiert" wurde.“ 1

Neue Musik stellt Musiklehrer vor vermeintliche Herausforderungen: Aufgrund ihrer Unkonventionalität und Vielfältigkeit sehen sich nicht wenige Lehrpersonen vor eine Herausforderung gestellt, wenn der Lehrplan die Vermittlung Neuer Musik im Unterricht vorsieht. In den vergangenen Jahrzenten sind vielfältige Publikationen zur didaktischen und methodischen Umsetzung Neuer Musik im Fach Musik erschienen. Die vorliegende Hausarbeit beinhaltet deshalb die Vorstellung zweier zunächst gegensätzlich erscheinender Vermittlungsstrategien für den Musikunterricht und setzt deren Kernaussagen mit den Aspekten dreier ausgewählter Publikationen in einen Zusammenhang. Anhand der Kommentation von drei Ansätzen zur Vermittlung Neuer Musik im Unterricht soll diskutiert werden, welche Vermittlungsstrategie sich bei der Umsetzung Neuer Musik im Unterricht am besten eignet.

Die vorliegende Arbeit beginnt mit einem Kapitel über die Begriffsbestimmung zur Neuen Musik. Sie stellt in einem weiteren Kapitel zwei Vermittlungsstrategien für den Musikunterricht dar, die sich geschichtlich aufgrund verschiedener Reformen ergeben haben. In Kapitel 4 werden drei Publikationen vorgestellt und jeweils im Anschluss daran vom Verfasser dieser Arbeit hinsichtlich ihrer Vermittlungsstrategien und damit verbundenen Unterrichtsmethoden und -inhalten kommentiert. Eine abschließende Diskussion enthält Überlegungen zu einer optimalen Vermittlung neuer Musik im Musikunterricht der heutigen Zeit.

2 NEUE MUSIK

Der musikwissenschaftliche Terminus der Neuen Musik versteht sich als klassifizierender Begriff für eine Kategorie derjenigen Werke des 20. Jahrhunderts, die sich nicht dem Pop- und oder Rockgenre zuordnen lassen. Die Entwicklung eines solchen Begriffs, der auch definitorische Kraft besitzt, wurde aufgrund des epochalen Einschnitts, den die Entstehung Neuer Musik in der Gesellschaft nach sich zog, notwendig. „Neue Musik“ als Begriff wurde vom Musikkritiker Paul Bekker erstmals 1919 verwendet 2 und markiert den Beginn einer neuen Epoche in allen Kunstsparten, die sich stark von der zuvor vorherrschenden Romantik abgrenzt.3

Auch wenn musikwissenschaftlich wenig reflektiert ist, worin der Definition von Neuer Musik liegt, besteht doch Konsens über folgende Charakteristika, die sie ausmachen: Die Entfernung von dur-moll-tonaler Harmonik ermöglicht eine Betonung des Melodischen und Polyphonen, so Bekker. Auch die Rhythmik bindet sich nicht länger an die formgebende Harmonik und kann sich in Zusammenhang mit der Melodie frei entfalten. 4

Für die atonale Musik finden sich in Werken von Arnold Schönberg5, Igor Strawinsky und später auch Paul Hindemith neue, individuelle Gesetze zur Bildung der musikalischen Form.6 Nachdem Bekker durch seine journalistischen Tätigkeiten den Begriff der Neuen Musik in Wien verbreitet hatte, gründete sich bereits 1922 in Salzburg die Internationale Gesellschaft für neue Musik – den Terminus der „Neuen Musik“ beschreibt Von Blumröder durch diese Tatsache in den frühen 20er Jahren als etabliert und schreibt ihm eine endgültige Verfestigung als klassifizierender Begriff im Jahre 1924 zu. 7

Heute lässt sich der Begriff Neue Musik als Kategorie verstehen, die verschiedenste Innovationen in der Musik hervorgebracht hat.8 Aus der Wiener Schule ging zunächst die Zwölftonmusik als Kompositionstechnik hervor, die im Nationalsozialismus verboten wurde. Ab den 1950er Jahren entstanden eine Reihe verschiedener Ausprägungen und Entwicklungen Neuer Musik. Beispielhaft sind die Polystilistik, minimal music, die Konzeptmusik oder Elektroakustische Musik zu nennen. Einige Komponisten verbanden ihre Werke mit – meist links orientierten – politischen Aussagen. Spätestens ab den 1970er Jahren tritt ein Stilpluralismus in der Entwicklung der Neuen Musik ein.

Neue Musik als Kategorie beschreibt laut Barthelmes keine klar umrissene Epoche und kann ebenfalls keine allgemeingültigen Stilmittel benennen. Hauptrichtungen und Seitenstränge sowie wegweisende Entwicklungen als auch Sackgassen ließen sich in der Neuen Musik heute nicht (mehr) differenzieren. In einer pluralistischen Auffassung des Begriffs dient die Kategorie heute als Bezugsrahmen für verschiedenste musikalische Innovationen, die Schnittmengen zu moderner und zeitgenössischer Musik sowie der musikalischen Avantgarde bilden.9

Für den Hörer ergaben sich nach der Epoche der Romantik mit der Neuen Musik völlig neue akustische Eindrücke: War er es bisher gewohnt, dass sich musikalische Dissonanzen stets aufgelöst und Spannungsbögen in ein Finale führten, erlebte er nun das Fehlen eines „harmonischen Bezugspunktes, der ihm Orientierung für sein Hören [bot]…Mit dem Ende des traditionellen harmonischen Systems gingen auch die Form bildenden Kräfte verloren, die zuvor die zielgerichtete Dramaturgie der Sinfonie oder Sonate bestimmt hatten. Stattdessen wurden neue Möglichkeiten der Formgestaltung erprobt: sich auflösende, kurze, aphoristische Formen, Klangcollagen und -montagen, bewegte Klänge im Raum, unterstützt von der sich rasant entwickelnden Technik der Klangproduktion und -reproduktion, akustische Readymades und vieles andere mehr“10, so Barthelmes. Ferner forderten Künstler die Hörenden auf, aktiv am Musikerleben und -produzieren teilzuhaben und -nehmen.

Barthelmes sieht den Grund für das Dilemma, dem sich auch Lehrpersonen in der Vermittlung Neuer Musik im Unterricht gegenübersehen könnten, in der Beendigung allgemein verbindlicher Hörkonventionen. Durch sie war der Hörer zuvor in der Lage, die angebotene Musik zu verstehen. Mit Neuer Musik produziert ein Künstler in jedem Einzelwerk ein „eigenes Sinngefüge, das nun der besonderen Vermittlung [bedarf].“11

3 WISSENSVERMITTLUNG IM MUSIKUNTERRICHT

Bevor auf zwei musikdidaktische Modelle eingegangen werden soll, die im weiteren Verlauf der Arbeit einen zentralen Stellenwert in der Betrachtung der ausgewählten Publikationen einnehmen, findet an dieser Stelle eine kurze Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung des Musikunterrichts in Deutschland statt.

3.1 E NTWICKLUNG DES M U SIKUNTERRICHTS

Nach dem Ersten Weltkrieg formulierte Kestenberg um 1925 die Notwendigkeit einer umfassenden Förderung von Musik auf möglichst vielen Ebenen und mit dem Ziel einer „Erziehung durch Musik“12 und reformierte den Musikunterricht damit erstmalig. Vor allem im Kontrast zu den naturwissenschaftlichen Fächern, die den kognitiven Zugang von Lernenden zu ihren Inhalten förderte, sollte Musik als musisches Fach geistigen und emotionalen Ausgleich schaffen und junge Menschen in der Entfaltung ihrer schöpferischen und künstlerischen Kräfte unterstützen. Er sollte die Kreativität von Lernenden fördern und ihr Interesse für Musik als Kunst wecken. Kestenbergs Prinzipien der Selbsttätigkeit, Lebensnähe und fächerübergreifender Arbeit ermöglichte die Strukturierung von Lehrinhalten und veränderte das Ideal von Lehrpersonen: Diese sollten ihre Autorität nicht länger durch ihre Machtposition erlangen sondern durch Führungsposition mit einer guten musikalischen Kompetenz. Kestenbergs Reform wurde aus Mangel an Fachkräften nicht vollständig umgesetzt, von den Nationalsozialisten ideologisch genutzt und erreichte erst nach 1945 ihren stärksten Wirkungsgrad: in der Rekonstruktion seiner Ideen im Sinne des Neomusischen waren das Singen, die Werkebetrachtung und die elementare Musiklehre bestimmende Inhalte des Musikunterrichtes bis zur zweiten Reform des Musikunterrichts in den 1970er Jahren.

Nach der Kritik von Adorno an der Ideologie der musischen Erziehung und unter Einfluss der Jugendkulturbewegung in den späten 1960er Jahren verdrängte eine zweite Reform das auch bei Kestenberg noch immer vorherrschende Singen weiter: vor allem das Hören von Musik rückte für viele Jahre in das Zentrum musikalischen Unterrichts.

Zu Beginn der 1980er Jahre und einhergehend mit ersten wissenschaftlichen Bestrebungen zur theoretischen Begründung und praktischen Untersuchung musikalischen Unterrichts ließen sich laut Schaub und Schaub13 zwei Grundannahmen für den Musikunterricht entnehmen. Erstens konstatierten die Autoren, dass Musik Menschen auf drei Ebenen anspräche und sich damit sowohl auf den physischen als auch psychischen Organismus‘ auswirke:

1. Auf der kognitiven Ebene würden musikalische Phänomene wahrgenommen, als Eindruck strukturiert, eingeordnet und klassifiziert.
2. Auf der affektiven Ebene würde Musik Stimmungen und Gefühle ermöglichen, die zu einer Bewertung derselben führen können.
3. Auf der psychomotorischen Ebene könne die Wahrnehmung von Musik (z.B. durch rhythmische Bewegungen) verstärkt und damit auch begleitend entstehende Emotionen und oder der bewusste Erkenntnisgewinn beeinflusst werden.

Zweitens bedeutete dies für den Musikunterricht, dass „sinnvoller Musikunterricht […] sich nicht auf nur eine Ebene beschränken [kann und darf]. Sowohl ausschließlich kognitive als auch ausschließlich affektiv- psychomotorische Lernziele werden dem zu vermittelnden Gegenstand, der Musik, in keinster Weise gerecht.“14

Die von den Autoren so formulierten Grundsätze lassen sich im Rahmen der von ihnen ebenfalls publizierten Kritik am Musikunterricht zu der damaligen Zeit promt nachvollziehen. Schaub und Schaub schreiben demnach: „In der musikpädagogischen Praxis lassen sich gegenwärtig zwei Richtungen beobachten. Zur einen gehören diejenigen Fachvertreter, welche den Musikunterricht primär unter dem Aspekt der Vermittlung von Wissen über Musik, des Einübens in musiktheoretische, musikgeschichtliche, neuerdings zunehmend auch in musiksoziologische und musikpsychologische Argumentationszusammenhänge begreifen. Auf der anderen Seite sind jene Pädagogen zu finden, welche die Schüler mit der Musik eher direkt konfrontieren, sei es durch Musikhören oder durch eigenes Musizieren. Dient dem „Theoretiker" das konkrete Beispiel mehr als Ergänzung seiner Unterrichtsinhalte, so sieht der „Praktiker" (von der Gegenseite gerne als „Musikant" oder auch als „Macher" bezeichnet) dieselbe Hilfsfunktion in der Theorie.“15

[...]


1 Bastian, H.G. (1980). Die sozialpsychologische Bedingtheit des musikalischen Urteils Interpretation von Teilergebnissen einer musikpsychologischen Untersuchung bei 11jährigen. In: K.-E. Behne (Hrsg), Musikpädagogische Forschung. Band 1: Einzelun- tersuchungen (S.61-83). Laaber: Laaber-Verlag, S. 76.

2 Blumröder, C. von (1981). Der Begriff „neue Musik“ im 20. Jahrhundert. München, Salzburg: Musikverlag Katzbichler, S. 36ff.

3 Ebenda.

4 Bekker, P. (1923). Neue Musik. Dritter Band der Gesammelten Schriften, S. 85-118. Stuttgart und Berlin: Deutsche Verlagsanstalt, S. 38.

5 Ebenda, S. 75: Bekker formuliert Schönbergs Kammersynfonie op.9 von 1906 als bei- spielhaft für Neue Musik.

6 Blumröder (1981), S.43.

7 Blumröder (1981), S.4.

8 Ebenda, S.143.

9 Barthelmes, B. (2008). Was ist eigentlich neue Musik? Das Magazin der Kulturstif - tung des Bundes. Frühjahr 2008. Abgerufen am 26.04.2018 über http://www.kulturstif - tung-des-bundes.de/cms/de/mediathek/magazin/magazin11/wasistneuemusik/in- dex.html.

10 Ebenda.

11 Ebenda.

12 Jank, W. (Hrsg.) (2017a). Rückblicke in die Geschichte. In: W. Jank, Musik Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I+II (S. 28-41), 6. Auflage. Berlin: Cornelsen, S. 30f: Durch Kestenbergs Forderungen hieß der bis dahin stattfindende Gesangunter - richt fortan Musikunterricht und behandelte diese im Gesamten. Vor dem Ersten Welt - krieg richteten sich die Ziele des Musikunterrichts nach den Vorgaben von Kirche, Staat und Militär. Schulkinder lernten Kirchen- und Volkslieder. Didaktische Grund- lagen für die Umsetzung des Unterrichts bestanden in der Adaption der Elementarme- thode (nach Pestalozzi) durch Pfeiffer und Nägeli (1810) für den Musikunterricht und können als „Erziehung zur Musik“ verstanden werden.

13 Schaub, B. & Schaub, S. (1980). Kleine empirische Untersuchung zur Wirksamkeit handlungsorientierten Musikunterrichts auf den affektiven Lernzielbereich. In: K.-E. Behne (Hrsg), Musikpädagogische Forschung. Band 1: Einzeluntersuchungen (S.84- 95). Laaber: Laaber-Verlag, S. 85f.

14 Ebenda, S. 85f.

15 Ebenda, S. 84.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Vermittlung Neuer Musik. Ein Vergleich didaktischer Überlegungen
Hochschule
Hochschule für Musik und Theater Rostock  (Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik)
Note
2,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
28
Katalognummer
V457559
ISBN (eBook)
9783668896222
ISBN (Buch)
9783668896239
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neue Musik, Vemrittlung Neuer Musk, Didaktische Konzeptionen
Arbeit zitieren
Fabian Feichtinger (Autor:in), 2018, Vermittlung Neuer Musik. Ein Vergleich didaktischer Überlegungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/457559

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