Die Ignorabimusrede in Rezeption durch Eduard von Hartmann und Ernst Mach


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

16 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

Seite:

1. Einleitung

2. Historischer Hintergrund

3. Emil Du Bois-Reymond „Die Grenzen des Naturerkennens“

4. Unmittelbare Reaktion - Eduard von Hartmann

5. Auswirkungen Ernst Mach

6. Schluss

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Ignorabimus !“1 - ein Ausruf des Physiologen Emil Heinrich Du Bois-Reymond gegen die Erklärungsversuche der Naturwissenschaften, der schon bald den wohl eher ungewollten Wendepunkt der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen im 19. Jahrhundert darstellen sollte.2

Genauer bedeutet die vollständige lateinische Phrase „ignoramus et ignorabimus“, so viel wie: „Wir wissen es nicht und wir werden es niemals wissen“, ein reiner Ausdruck der Skepsis. Der gleichnamige Ignorabimus-Streit wurde letztendlich durch die Rede von Du Bois-Reymond „Über die Grenzen des Naturerkennens“, die er am 14. August 1872, auf der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte hielt, entfacht.3

Historisch war das 19. Jahrhundert geprägt von wissenschaftlichen Errungenschaften, so wurde beispielsweise das Atommodell von Dalton und die Evolutionstheorie von Darwin, zu fundamentalen Voraussetzungen für weitere Forschungen, die unter anderem bis heute andauern. Die Problematik des Naturerkennens war überdies, keineswegs neu, jedoch war es Du Bois, der als angesehener Vertreter der Naturwissenschaften, aus den eigenen Reihen, den unaufhaltbaren Optimismus kritisierte.

Als Übergreifende und bis in das 20. Jahrhundert andauernde Diskussion, soll in der folgenden Ausarbeitung, der Ignorabimus-Streit nach der Fragestellung: „Wie wurde die Rede Du Bois in der Philosophie aufgefasst und beurteilt?“, bearbeitet werden. Nach einem historischen Rückblick auf vorherige Auseinandersetzungen mit den Grenzen des Naturerkennens folgt die kritische Analyse der Rede Du Bois-Reymonds, die anhand der Rezeption durch Eduard von Hartmann und Ernst Mach, durchgeführt werden soll.

2. Historischer Hintergrund

Wir sagen, dass wir unsere Welt wahrnehmen, erkennen. Doch im selben Moment stößt der Mensch immer wieder auf Probleme, Hindernisse, die er zu überwinden versucht. Die Naturwissenschaften beanspruchen, durch ihre empirischen Methoden, die Welt zu erklären und die Grenzen des Erkennens nur zeitweise anzuerkennen, um diese augenblicklich wieder zu verschieben, neu zu definieren. Über Newton bis hin zum Szientismus, werden folgend, die Auseinandersetzungen mit den Grenzen des Naturerkennens beispielhaft veranschaulicht.

Der grenzenlose Optimismus im 18., sowie 19. Jahrhundert, ist die Folge zahlreicher Entdeckungen und Forschungen, der sich neu entwickelnden Wissenschaften. Dennoch waren die Grenzen des Erkennens bereits vor der Kulmination durch Du Bois-Reymonds Rede, debattiert worden. Newton als Begründer der ersten geschlossenen physikalischen Theorie sah, dass seine Mechanik nicht die komplette Natur erklären würde. Durch den fehlenden Abgleich mit anderen Theorien war Newton dazu gezwungen weitere Annahmen zu treffen oder Gottes Macht anzunehmen, um ernsthafte Problematiken zu überwinden.4 Im Briefwechsel mit Richard Bentley wurde klar, dass das Universum im Rahmen der Gravitationstheorie kein physikalisch sinnvolles Modell darstellte. Das Gravitationsparadoxon löste Newton durch Gott, der korrigierend eingreift. Durch Weiterentwicklungen der Physik konnten Probleme gelöst, jedoch erst durch philosophische Verarbeitung der Erkenntnisse begriffen oder aufgehoben werden.5 Somit bewies die newtonsche Mechanik, „daß eine sich in ihrem epistemologischen Status von der Philosophie unterscheidende Einzelwissenschaft niemals Welterklärung sein kann, daß sie ihrer Natur nach, als Einzelwissenschaft, begrenzt ist.“6 Newton definierte die Naturelemente nicht phänomenologisch und musste eine idealisierte Natur annehmen, um Naturgesetze zu formulieren. Ohne diese Annahmen sind Berechnungen und Messungen nicht möglich, bilden eine Einschränkung der Naturerkenntnis, die zwingend notwendig sind.7

Im Zusammenhang mit der Aufklärung wurden die Grenzen der Naturerkenntnis weiter diskutiert. Die Reichweite der Mathematik und Philosophie als

Erfahrungswissenschaften standen dabei im Mittelpunkt. D’ Alembert formulierte die Mechanik neu, im Bestreben, vorherige Erkenntnisse Newtons, zu entmystifizieren.8

Dort wo Messung und Rechnung möglich ist, gebe es auch Naturerkenntnis. Allerdings reicht Mathematik im Bereich der Naturerkenntnis nicht aus. Des Weiteren, hat für D’Alembert die Philosophie keine Bedeutung, da sie Metaphysik sei und nur Unklarheiten in die Wissenschaften bringen würde - Unsere Welt als Ganzes zu erkennen ist nicht möglich. Die darauf folgende Lösung D’ Alemberts ist keineswegs rein empiristisch: Prinzipien sollen klar einsichtig und aus Erfahrung begründet sein. Nach ihm sind wissenschaftliche Systeme, vollkommener je weniger vorausgesetzte Prinzipien angenommen werden müssen.9

Gleichwohl denunziert D’ Alembert die Philosophie, ungeachtet der erkenntnistheoretische Prinzipien, die sie hervorbrachte, um die klassische Mechanik überhaupt begründen zu können: „Komplizierte theoretische und experimentelle Konstruktionen, das Ergebnis einer jahrhundertelangen Vorgeschichte der Physik, werden damit so behandelt, als seien sie etwas sinnlich Wahrnehmbares.“10

Entgegen dem Vorrang der Einzelwissenschaften sah Denis Diderot, ebenfalls Philosoph der Aufklärung, Enzyklopädist und zusammen mit D’ Alembert Herausgeber der Encyclopédie, den Gegenstand der Naturerkenntnis in der Welt im Ganzen, der Philosophie. Er erkannte, wie D’ Alembert die Begrenztheit der Mathematik aber keinen Weg die Philosophie als Notwendigkeit zu realisieren.11

Erkenntnisse Newtons im 17. Jahrhundert und Weiterentwicklungen durch D’ Alembert, Diderot im 18. Jahrhundert, zeigen, dass die Frage nach dem Naturerkennen bewusst wahrgenommen wurde. Ende des 18. Jahrhunderts blühte diese Frage in neuer Form auf: Was kann ich wissen?

Immanuel Kant zeigte, in seiner „Kritik der reinen Vernunft“, dass es Mittel braucht, um zu erkennen. Das Wissen ist abhängig von bestimmten aprioristischen Mitteln, die die Erkenntnis gleichzeitig begrenzen.12 Die Dinge an sich können wir nicht erkennen, sondern lediglich dessen Erscheinungen, was für uns ist. Demnach offenbart sich das Ganze nie. Eine Beurteilung findet stets nach eigener, persönlicher Erkenntnisfähigkeit statt.13 Darüber hinaus unterscheidet Kant zwischen den Messkünsten der Wissenschaften und der Philosophie. Die Verfahren können im Zusammenspiel zwar in den Naturwissenschaften bestehen, dennoch begrenzen sie sich gegenseitig, in dem sie nicht ineinander übergehen.14

Kants Feststellungen sollten zunächst, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, im Hintergrund des Idealismus verharren. Erst zum Neukantianismus, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, erleben die Schriften Kants einen Wiederaufstieg.

Betrachten wir, ausgehend der vorherigen Überlegungen, die Auseinandersetzungen, unmittelbar vor Du Bois-Reymonds Rede, so lassen sich diese unter dem Begriff „Szientismus“ zusammenfassen. Die Naturwissenschaften beanspruchten durch ihre Erkenntnismethoden, einen privilegierten Zugang zur Welt, wodurch naturwissenschaftliche Ergebnisse die Grundlage eines modernen Weltbildes darlegen sollten. Alte spekulative, metaphysische, theistische Sichtweisen wurden kritisiert und durch wissenschaftliche Weltanschauungen ersetzt. Zwei der wichtigsten Varianten des Szientismus im 19. Jahrhundert sind erstens der Materialismus nach beispielsweise, Vogt, Büchner oder Moleschott und zweitens die Bestrebungen des Darwinismus, im Besonderen, in der Form des Monismus.15

Vogt, Büchner und Moleschott vertraten den sogenannten naturwissenschaftlichen Materialismus, der Mitte des 19. Jahrhunderts, besonders im deutschen Raum, aufkam. Als Gegenentwurf zum philosophischen Idealismus und dem christlichen Weltbild stützen sich Argumente auf die rasanten wissenschaftlichen, technischen Entwicklungen, sowie die Erkenntnisse der Evolutionstheorie von Charles Darwin. Ernst Haeckel, großer Gegner Du Bois-Reymonds, wurde in seinem Monismus, unter anderem beeinflusst durch Überlegungen der naturwissenschaftlichen Materialisten. Die Monistenbewegung unter Ernst Haeckel war ebenfalls bestrebt, „das[s] nüchtern objektivierende und vereinzelnde Naturverständnis der empirischen Wissenschaften im Namen der darwinschen Abstammungslehre zu bündeln und dem Wissen ums Einzelne ein wissen ums Ganze zur Seite zu stellen.“16

Schlussendlich verdeutlichen die aufgezeigten Strömungen und Überlegungen, einen groben Überblick, der mitnichten, vollständigen Diskussionen, die vor Emil Du Bois-Reymonds Rede gehalten wurden. Trotz dessen sind die historischen Hintergründe, entscheidend, um den Einfluss und die Intention einer Rede „Über die Grenzen des Naturerkennens“, zu erschließen. Folgend soll Emil Du Bois-Reymond als Physiologe und wichtigster Vertreter der Naturwissenschaften seiner Zeit, anhand der entscheidenden Ignorabimusrede, analysiert werden.

3. Emil Du Bois-Reymond „Die Grenzen des Naturerkennens“

Zu Beginn der am 14. August 1872, gehaltenen Rede, ist klar, dass Du Bois-Reymond, Begründer der Elektrophysiologie, Dekan der medizinischen Fakultät und Rektor der Universität Berlin17, die herausragende Autorität der Naturwissenschaften als „[...] die Weltbesiegerin unserer Tage [...]“18, darstellt. Entgegen dem Anspruch der vorherrschenden naturwissenschaftlichen Materialisten hält Du Bois-Reymond den unaufhaltbaren Fortschritt zurück und behauptet zwei Irrtümer: erstens was Materie und Kraft sei, zweitens das Problem der Entstehung von Bewusstsein aus seiner eigentlichen, materiellen Natur.19

Nichtsdestotrotz beginnt die Rede mit einer Erklärung, was naturwissenschaftliches Naturerkennen überhaupt charakterisiert. Du Bois-Reymond spricht von dem Willen der Wissenschaften eine Weltformel auszuformulieren, indem Veränderungen der Körperwelt in Atombewegungen, bewirkt durch konstante Zentralkräfte oder Naturvorgänge in die Mechanik der Atome, aufgelöst werden. Die potenzielle mathematische Formel könnte Ort, Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit jedes Atoms, jederzeit bestimmen. Im genaueren hatte bereits Laplace den sogenannten „Geist“ theoretisch gedacht. Der Laplace’sche Geist stellt somit, ein allwissendes Konstrukt dar, welches einer der höchsten denkbaren Stufe der Naturerkenntnis entspricht.20 Andererseits könnte selbst der Laplace’sche Geist unsere zwei Irrtümer nicht verstehen.

Du Bois-Reymond argumentiert zunächst für das Unverständnis von Materie und Kraft. Unsere Vorstellung von beständigen kleinen Teilen, die von Zentralkräften in Bewegung gehalten werden „[...] ist gleichsam nur Surrogat einer Erklärung [...]“.21 Das physikalische Atom ist zwar in Teilen der Chemie eine nützliche Erscheinung aber geht man zurück auf die eigentliche Idee eines „philosophischen Atoms“ und betrachtet eine scheinbar nicht weiter teilbare Masse mit wirkungslosem, trägem Substrat, das im leeren Raum existiert, so entfaltet sich ein Widerspruch.22 Für das Bestehen eines solchen Atoms muss es einen zumindest kleinen Raum erfüllen und zugleich über abstoßende Kräfte verfügen, die gegen das Eindringen anderer Körper in denselben Raum, schützt. Dagegen kann man mithilfe der Dynamisten, Substrat als einen geometrischen Mittelpunkt der Zentralkräfte definieren, der „[...] den Raum nicht mehr [erfüllt], denn der Punkt ist die im Raume vorgestellte Negation des Raumes [...]“23. Es wäre keine Voraussetzung für Zentralkräfte gegeben und dementsprechend keine Materie mehr vorhanden.

[...]


1 Du Bois-Reymond, E., 1898: S. 51.

2 Vgl. Bayertz, K., Gerhard, M., Jaeschke, W., 2007: S. 8f.

3 Vgl. Ebd. S. 7.

4 Vgl. Wahsner, R., 2007: S. 39.

5 Vgl. Ebd. S. 40ff.

6 Ebd. S. 42.

7 Vgl. Ebd. S. 46f.

8 Vgl. Ebd. S. 47.

9 Vgl. Ebd. S. 48f.

10 Ebd. S. 49.

11 Vgl. Ebd. S. 53.

12 Vgl. Ebd. S. 53f.

13 Vgl. Kant, I., 2015: AA III, 11-14, 50.

14 Vgl. Wahsner, R., 2007: S. 58.

15 Vgl. Bayertz, K., 2007: S. 184f.

16 Kleeberg, B., 2003: S. 155.

17 Vgl. Beneke, K., 1999: S. 97, 103.

18 Du Bois-Reymond, E., 1898: S. 15.

19 Vgl. Reichenberger, A., 2007: S. 63.

20 Vgl. Du Bois-Reymond, E., 1898: S. 16-23.

21 Ebd. S. 24.

22 Vgl. Ebd. S. 25.

23 Ebd. S. 26.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Ignorabimusrede in Rezeption durch Eduard von Hartmann und Ernst Mach
Hochschule
Universität Leipzig  (Philosophie)
Veranstaltung
Die Ethik im 19. Jahrhundert
Note
1,5
Autor
Jahr
2017
Seiten
16
Katalognummer
V457733
ISBN (eBook)
9783668916487
ISBN (Buch)
9783668916494
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ethik, im, 19. jahrhundert, ignorabimusrede, eduard von hartmann, ernst mach, hausarbeit, erkenntnis, naturwissenschaft, aufbaumodul philosophie, sozialwissenschaften
Arbeit zitieren
Max Hillebrand (Autor:in), 2017, Die Ignorabimusrede in Rezeption durch Eduard von Hartmann und Ernst Mach, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/457733

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