Nicht-paternalistische oder pro-social Nudges. Politischen Begründung, Legitimation und Akzeptanz


Term Paper, 2018

17 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definitionen

3. Akzeptanz von Nudges

4. Beispiele
a) Stromverbrauch
b) Organspende
c) Altersvorsorge

5. Ergebnisse

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises des Jahres 2017 an Richard Thaler für seine Verdienste um die Verhaltensökonomik haben die von ihm miterfundenen Nudges einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht (vgl. Schubert 2017b, S. 36). In der Politik hingegen werden Nudges als möglicher Bestandteil des politischen Werkzeugkastens schon länger von immer mehr Regierungen weltweit mit großem Interesse betrachtet; 2014 wurde eine entsprechende Regierungsabteilung in den Vereinigten Staaten gegründet, 2015 folgten Australien und Deutschland diesem Beispiel (vgl. Reisch/Sunstein 2016, S.310).

Viele der im Bereich der Politik denkbaren und angedachten Nudges gehen in ihren Absichten und Zielen über die Überlegungen Thalers hinaus. Sie werden in der Literatur als nicht-paternalistische oder auch pro-social Nudges bezeichnet (vgl. z.B. Hagman u.a. 2015, S. 440; Schubert 2017a, S. 331) und stehen im Mittelpunkt dieser Hausarbeit. Es soll im Folgenden aufgezeigt werden, wo ihre Möglichkeiten liegen – aber auch, wo sie an Grenzen stoßen.

Dazu wird zunächst definiert, was ein nicht-paternalistischer Nudge in Abgrenzung zu den Vorstellungen von Thaler und Sunstein ist, bevor zwei Untersuchungen vorgestellt werden, die sich mit der Akzeptanz unterschiedlicher Nudges in unterschiedlichen Staaten von Seiten der Bevölkerung befassen. Daran anschließend werden drei verschiedene nicht-paternalistische Nudges vorgestellt und näher auf ihre Möglichkeiten und Grenzen hin untersucht. Schlussendlich werden die Ergebnisse zusammengefasst und kritisch gewürdigt. Dabei wird deutlich werden, dass sich bei der Nutzung von Nudges als politisches Instrument nicht nur die Frage danach stellt, ob sie funktionieren, sondern immer auch die Frage nach ihrer jeweiligen politischen Begründung, Legitimation und Akzeptanz.

Da das Feld möglicher Nudges sehr weit und die wissenschaftliche Literatur dazu mannigfaltig ist, kann im Rahmen dieser Hausarbeit keine umfassende Darstellung und Systematisierung aller denkbaren nicht-paternalistischer Nudges erfolgen. Vielmehr geht es darum, anhand der drei ausgewählten Beispiele einen möglichst breiten Überblick über die Arten und Anwendungsfelder von nicht-paternalistischen Nudges zu bieten und allgemeine Fragen und Probleme aufzuwerfen, die so auch für andere Nudges übertragbar erscheinen.

2. Definitionen

In ihrem Standardwerk definieren Thaler und Sunstein Nudges als „any aspect of the choice architecture that alters people’s behavior in a predictable way without forbidding any options or significantly changing their economic incentives” (Sunstein/Thaler 2008, S. 6). Die Adressaten eines Nudges sollen also zu einem bestimmten Verhalten bewogen werden, indem man sie sanft in dessen Richtung stupst. Diese Stupser sind niedrigschwelliger als Gesetze oder Steuern, die eine Verhaltensänderung durch Verbote oder monetäre Mittel erreichen sollen.

Beide Autoren schlagen dazu vor, die Entscheidungsarchitektur (englisch: Choice Architecture) – also die Art und Weise, wie Handlungsalternativen präsentiert werden – zu verändern, um es dem Adressaten des Nudges leichter zu machen, sich für die Handlungsoption zu entscheiden, die als besser für das Individuum erachtet und die von diesem aufgrund von irrationalem Verhalten nicht gewählt wird. Als klassisches Beispiel wird häufig eine Cafeteria genannt, in der gesundes Essen auf Augenhöhe präsentiert wird, während ungesunde Alternativen dem Kunden nicht mehr sofort ins Auge fallen. Dadurch kauft der Konsument eher gesundes Essen, was für ihn langfristig gesundheitlich besser ist als der regelmäßige Verzehr von ungesundem Essen – gleichzeitig aber kann er sich mit einem nur gering höheren Aufwand weiterhin ungesund ernähren; seine Wahlfreiheit wird nicht beschnitten (vgl. Thaler/Sunstein 2008, S. 1f.; Hagman u.a. 2015, S. 440f.).

Wirtschaftstheoretisch verorten Thaler und Sunstein den von ihnen beschriebenen Nudging-Ansatz in einem libertären Paternalismus – wohlwissend, dass es sich dabei eigentlich um ein Oxymoron handelt. Libertär ist an ihrem Ansatz ihnen zufolge die Überzeugung, dass Menschen nicht in ihrer Freiheit eingeschränkt werden sollen, Nudges sollen also die Wahlfreiheit des Individuums nicht einschränken. Vielmehr soll sie nominell gleichbleiben oder sogar größer werden (vgl. Thaler/Sunstein 2008, S. 5).

Paternalistisch ist für beide Autoren ihr Ansatz deswegen, weil es sich bei Nudges um „self-conscious efforts, by institutions in the private sector and also by the government, to steer people’s choices in directions that will improve their lives” (Thaler/Sunstein 2008, S. 5) handelt. Diese Paternalismusdefinition geht in einem elementaren Aspekt weiter als diejenige, die beispielweise vom Philosophen Gerald Dworkin vorgeschlagen wird: “Paternalism is the interference of a state or an individual with another person, against their will, and defended or motivated by a claim that the person interfered with will be better off or protected from harm” (Dworkin 2017). Thaler und Sunstein fokussieren sich auf das im Paternalismus angelegte Ziel, ein Individuum besser zu stellen oder vor Schaden zu schützen. Der für Dworkin elementare Zusatz, dass dies gegen den Willen der beeinflussten Person geschieht, entfällt bei ihnen hingegen. Klassische paternalistische Nudges zielen also darauf ab, ein Individuum sanft zu einem Handeln zu bewegen, dass für das Individuum selbst besser ist als andere Handlungsalternativen.

Paternalistische und nicht-paternalistische Nudges unterscheiden sich allein in ihren Zielen: Als nicht-paternalistische Nudges werden solche Nudges bezeichnet, bei denen nicht das Individuum bessergestellt werden soll, sondern die Gesellschaft. Daher werden sie in der Literatur im Gegensatz zu den klassischen pro-self Nudges auch pro-social Nudges genannt (vgl. bspw. Hagman u.a. 2015, S. 441). Aufgrund ihrer fundamental anderen Zielsetzung sind solche Nudges nicht mehr Teil des von Sunstein und Thaler beschriebenen libertären Paternalismus.

Wie sich auch im späteren Verlauf dieser Hausarbeit noch zeigen wird, lassen sich Nudges in ihren Auswirkungen nicht immer eindeutig als paternalistisch oder nicht-paternalistisch klassifizieren. Deswegen soll für diese Einteilung allein die dem jeweiligen Nudge zugrundeliegende Motivation relevant sein. So könnte gesundes Essen im oben genannten Cafeteria-Beispiel nicht nur deswegen gefördert werden, damit es dem einzelnen Individuum langfristig gesundheitlich bessergeht, sondern auch, um die Krankenkassen und damit die Allgemeinheit durch geringere Folgekosten finanziell zu entlasten.

Eine allgemein anerkannte Systematisierung von nicht-paternalistischen Nudges existiert nicht. Wie auch im Bereich der paternalistischen Nudges handelt es sich bei den in der wissenschaftlichen Literatur vorgestellten nicht-paternalistischen Nudges eher um ein Beispielsammelsurium von Nudges aus unterschiedlichen Politikgebieten, mit unterschiedlichen Methoden und Motivationen, als um ein stringent schematisiertes Konzept (vgl. Düber 2016, S. 452; Schubert 2017a, S. 331). Lediglich für die sogenannten Green Nudges – also solche Nudges, die umweltfreundliches Handeln fördern sollen – liegt eine von Schubert vorgeschlagene Systematisierung vor, die diese anhand ihrer konkreten methodischen Ausgestalten in drei Gruppen unterteilt (vgl. Schubert 2017a, S. 331).

3. Akzeptanz von Nudges

Wie bereits eingangs erwähnt wurde, werden Nudges von vielen Politikern und Ökonomen als probates Mittel angesehen, um politische Ziele zu erreichen, ohne auf Steuern oder Gesetze zurückgreifen zu müssen. Doch wie sieht die Akzeptanz von Nudges in der Bevölkerung aus? Gibt es hierbei Unterschiede zwischen einzelnen Staaten oder zwischen paternalistischen und nicht-paternalistischen Nudges? Möchten Bürger sich von ihren Regierungen stupsen lassen? Diese Fragen wurden in Bezug auf nicht-paternalistische Nudges in der Wissenschaft bisher kaum untersucht (vgl. Schubert 2017a, S. 336). Zwei Studien, die sich mit diesen Fragen befasst haben, liefern dazu erste Erkenntnisse und zeigen auf, wo weitere Untersuchungen notwendig sind.

In einer 2015 veröffentlichten Studien untersuchten Hagman u.a. die öffentliche Einstellung gegenüber Nudges in Schweden und in den USA (vgl. Hagman u.a. 2015). Dazu wurden insgesamt 952 Probanden dazu befragt, welche von acht vorgeschlagenen Nudges sie konkret unterstützen würden. Die Anzahl der Teilnehmer an der Umfrage war in Schweden mit 514 höher als in den USA (438); beide Untersuchungsgruppen waren für ihr jeweiliges Land repräsentativ. Von den acht zu bewertenden Nudges1 waren jeweils vier paternalistisch und nicht-paternalistisch. Sie umfassten verschiedene Politikfelder und sollten die Entscheidungsarchitektur unterschiedlich stark beeinflussen.

Aus ihren Untersuchungen schlossen die Autoren, dass Nudges in Schweden generell mehr Unterstützung erfahren als in den USA und dass in beiden Staaten nicht-paternalistische Nudges weniger Befürwortung erfahren als paternalistische. In den USA fanden dabei zwei Nudges – die standardmäßige Registrierung als Organspender mit der Möglichkeit zum Opt-out sowie die standardmäßige finanzielle Kompensation von Klimaschäden beim Kauf eines Flugtickets mit der Möglichkeit zum Opt-out – keine Mehrheit. In den USA wurden Nudges im Allgemeinen häufiger als einschneidend empfunden als in Schweden; in beiden Staaten wurden paternalistische Nudges generell als weniger einschneidend angesehen als nicht-paternalistische (vgl. Hagman u.a. 2015, S. 446ff.). Auf der Ebene des Individuums erfuhren Nudges generell eine geringere Unterstützung, wenn der Proband über ein stark individualistisches Weltbild verfügte (vgl. ebd., S. 448f.).

Die Autoren der Studie weisen allerdings darauf hin, dass ihre Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen sind, da sich die acht untersuchten Nudges nicht nur darin unterscheiden, ob sie paternalistisch oder nicht-paternalistisch sind, sondern auch in anderen Dimensionen voneinander abweichen, wie zum Beispiel in ihrem Design. Diese fanden bei der Untersuchung keine Berücksichtigung, sollten es aber bei künftigen Studien tun (vgl. ebd., S. 451).

Generell lässt sich aber dennoch als Ergebnis der Studie festhalten, dass Nudges in unterschiedlichen Staaten unterschiedlich rezipiert werden und dass die Sicht auf Nudges vom Weltbild der Adressaten abhängt: „the notion of ‚one-nudge-fits-all‘ is not tenable“ (ebd., S. 453).

In einer weiteren Studie untersuchten Reisch und Sunstein die Sichtweise auf 15 unterschiedliche Nudges in sechs verschiedenen europäischen Staaten2 (vgl. Reisch/Sunstein 2016). Diese Staaten unterscheiden sich in ihren kulturellen und geografischen Gegebenheiten sowie in ihren wirtschaftlichen und politischen Traditionen (vgl. ebd., S. 311). Die verschiedenen Nudges wurden entsprechend dem ansteigendem Grad ihrer Aufdringlichkeit in insgesamt fünf Kategorien3 eingeteilt (vgl. ebd., S. 314).

[...]


1 Die vorgestellten Nudges umfassen Defaults bei der Organspende, eine standardmäßige Ausgleichszahlung für die durch Flüge verursachten Klimaschäden, einen Nachbarschaftsvergleich beim Energieverbrauch, die Steigerung der Steuermoral (diese vier Nudges sind nicht-paternalistisch), finanzielle Anreize um mit dem Rauchen aufzuhören, Schockbilder auf Zigarettenschachteln, eine Veränderung der Essenspräsentation in Cafeterien sowie eine verpflichtende Lebensmittelampel (diese vier Nudges sind paternalistisch; vgl. Hagman u.a. 2015, S. 444f.).

2 Italien, Vereinigtes Königreich, Frankreich, Deutschland, Ungarn und Dänemark (vgl. Reisch/Sunstein, S. 311).

3 Die erste Kategorie umfasst Regierungskampagnen zur Aufklärung über Fettleibigkeit bei Kindern, Ablenkungen beim Autofahren, Rauchen und ungesundes Essen; die zweite Kategorie umfasst verpflichtende Nudges für Nahrungsmittelunternehmen, die Kunden über den Salz- oder Kaloriengehalt ihrer Produkte aufklären müssen; die dritte Kategorie umfasst Default-Regeln für Ökostrom, Ausgleichszahlungen für Klimaschäden, die durch Flüge verursacht werden, standardmäßige Spenden an das Rote Kreuz sowie eine verpflichtende Entscheidung für oder gegen Organspenden und eine verpflichtende Präsentation von gesundem Essen in Cafeterien; die vierte Kategorie beinhaltet unbewusste Werbung im Kino, um vom Rauchen abzuhalten; die fünfte Kategorie umfasst süßigkeitenfreie Kassen sowie fleischfreie Tage in Cafeterien. Der letzte Nudge geht dabei über das eigentliche Nudging hinaus (vgl. Reisch/Sunstein 2016, S. 314).

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Details

Title
Nicht-paternalistische oder pro-social Nudges. Politischen Begründung, Legitimation und Akzeptanz
College
University of Münster
Grade
1,3
Author
Year
2018
Pages
17
Catalog Number
V457827
ISBN (eBook)
9783668896406
ISBN (Book)
9783668896413
Language
German
Keywords
Nudges, Organspende, Stromverbrauch, Rente, Nudging, Nudge
Quote paper
Sven-Friedrich Pape (Author), 2018, Nicht-paternalistische oder pro-social Nudges. Politischen Begründung, Legitimation und Akzeptanz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/457827

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