Das Unionsrecht ist in der heutigen Zeit aus einer sinnvollen Betrachtung mitgliedstaatlicher Arbeitsrechtsordnungen längst nicht mehr wegzudenken. Bereits auf der Ebene des unionsrechtlichen Primärrechts geben etwa die Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 45 AEUV sowie das Diskriminierungsverbot des Art. 157 AEUV bedeutsame Impulse. Darüber hinaus dienen zahlreiche arbeitsrechtliche Gesetze und Einzelvorschriften der Umsetzung von Richtlinien der EU. Sofern diese Richtlinien nicht ausdrücklich auf die Begrifflichkeiten der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen verweisen, sind die umsetzenden Vorschriften unionsautonom auszulegen. Maßgebend sind dann nicht mehr die einzelstaatlichen Rechtsbegriffe, sondern ihre unionsrechtlichen Pendants.
Der Einfluss der richtlinienkonformen Auslegung erschöpft sich jedoch keineswegs darin, Begriffe auszutauschen. Vielmehr kann auch geboten sein, grundlegende mitgliedstaatliche Systemverständnisse aufzugeben, um dem Schutzzweck einer Richtlinie im Einzelfall gerecht zu werden. In diesen Bereich fällt die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-242/09 (Albron-Catering) zur Auslegung der RL 2001/23/EG (im Folgenden Betriebsübergangsrichtlinie). Der Fall behandelte eine konzerninterne Arbeitnehmerüberlassungskonstellation eines niederländischen Brauereikonzerns. Der Gerichtshof entschied, dass ein Vertragsverhältnis zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer für das Vorliegen eines Betriebsübergangs im Sinne des Art. 1 RL 2001/23/EG – jedenfalls in der Konstellation der vorgelegten Frage – entbehrlich sei.
Die Entscheidung ist insoweit besonders praxisrelevant, als sie thematisch das Feld der Matrixstrukturen streift, die einen wachsenden Trend darstellen und Rechtsprechung sowie Rechtswissenschaft daher aktuell und künftig verstärkt beschäftigen (werden).
Hinzu kommt die jüngste Neuregelung des AÜG, die zum 01.04.2017 in Kraft getreten ist und dem deutschen Recht der Arbeitnehmerüberlassung neue Konturen gibt. Auch ihre Folgen sind noch nicht in Gänze absehbar. Literatur und Rechtsprechung befinden sich auch insoweit noch in der Findungsphase.
Die vorliegende Arbeit widmet sich zunächst der Analyse des Urteils in der Rechtssache Albron Catering und versucht sodann unter Rekurs auf das Europarecht, die Folgen für das deutsche Arbeitsrecht abzustecken. Sie legt dabei die aktuelle Rechtslage unter Einbeziehung der jüngsten AÜG-Reform zugrunde und nimmt und allenfalls zum besseren Verständnis auf frühere Stadien Bezug.
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitung
- B. Die Entscheidung im Einzelnen
- I. Sachverhalt des Verfahrens der Vorlagefragen
- II. Das Urteil
- C. Interpretation
- D. Kritik
- I. Falsche Rechtsfolge
- II. Schutzzweck-Zirkelschluss?
- III. Spannungsverhältnis zur Betriebsübergangsrichtlinie
- E. Die Rechtsfigur des nicht-vertraglichen Arbeitnehmers
- F. Reichweite der Entscheidung
- I. Generelle Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitnehmern
- II. Keine Auswirkung auf vorübergehende Leiharbeit
- III. Beschränkung auf Konzernsachverhalte
- IV. Kumulation von II. und III.
- V. Missbrauchskontrolle
- VI. Eigene Bewertung
- G. Rechtslage in Deutschland
- I. Bisheriges Verständnis von Leiharbeit und Betriebsübergang im Entleiherbetrieb
- II. Gleichartiges Verfahren in Deutschland?
- 1. Dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung
- a) § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG a.F.
- b) Verhältnis zwischen „vorübergehend“ und der Höchstüberlassungsdauer
- aa) Selbstständige Tatbestandsmerkmale
- bb) Konkretisierung vorübergehender Arbeitnehmerüberlassung durch die Höchstüberlassungsdauer
- I. Zwischenergebnis
- 2. Rechtsfolgen dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung
- 3. Ausnahmetatbestände
- a) Das Konzernprivileg, § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG
- aa) Dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung
- bb) Konzerninterne Personalverwaltungsgesellschaften
- cc) Zwischenergebnis
- b) Gelegentliche Arbeitnehmerüberlassung, § 1 Abs. 3 Nr. 2a AÜG
- c) Personalgestellung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG
- aa) Dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung
- bb) Tatbestand
- cc) Europarechtswidrigkeit
- dd) Zwischenergebnis
- d) Arbeitsplatzsichernde Arbeitnehmerüberlassung, § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG
- e) Arbeitnehmerüberlassung bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts, § 1 Abs. 3 Nr. 2c AÜG
- f) Arbeitnehmerüberlassung in Gemeinschaftsunternehmen, § 1 Abs. 3 Nr. 3 AÜG
- aa) Dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung
- bb) Konzerninterne Personalverwaltungsgesellschaft
- cc) Einstellung zum Zwecke der Überlassung
- dd) Zwischenergebnis
- 4. Zwischenergebnis
- III. Ergebnis
- H. Anwendung der Grundsätze der Albron-Catering-Entscheidung auf Gemeinschaftsbetrieb
- I. Fazit und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Rechtssache Albron-Catering und ihre Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht, insbesondere im Kontext von Arbeitnehmerüberlassung und Betriebsübergang. Ziel ist es, die Entscheidung des EuGH zu analysieren, ihre Interpretation zu diskutieren und ihre Relevanz für die deutsche Rechtslage zu bewerten.
- Auswirkungen der Albron-Catering-Entscheidung auf das deutsche Arbeitsrecht
- Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitnehmern
- Konflikt zwischen nationalem und europäischem Recht bei Arbeitnehmerüberlassung
- Relevanz des Schutzzwecks bei der Auslegung von Richtlinien
- Dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung und ihre rechtlichen Folgen
Zusammenfassung der Kapitel
A. Einleitung: Die Einleitung beleuchtet die Bedeutung des Unionsrechts für die Auslegung nationaler Arbeitsrechtsordnungen und führt anhand von Beispielen wie der Danosa-Entscheidung die Notwendigkeit richtlinienkonformer Interpretation aus. Sie betont, dass dies nicht nur den Austausch von Begriffen, sondern auch das Hinterfragen grundlegender nationaler Systemverständnisse umfasst, um dem Schutzzweck der jeweiligen Richtlinie gerecht zu werden. Die Albron-Catering-Entscheidung wird als ein bedeutendes Beispiel für diesen Prozess eingeführt.
B. Die Entscheidung im Einzelnen: Dieses Kapitel beschreibt den Sachverhalt des Albron-Catering-Falls und das Urteil des EuGH im Detail. Es bildet die Grundlage für die nachfolgende Analyse und Kritik.
C. Interpretation: Hier wird die Rechtsprechung des EuGH in der Albron-Catering-Entscheidung interpretiert und erläutert, wobei die verschiedenen Aspekte des Urteils detailliert dargestellt werden.
D. Kritik: Dieses Kapitel widmet sich einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Urteil des EuGH, indem es mögliche Schwachstellen, Unstimmigkeiten oder Spannungsverhältnisse zu anderen Rechtsvorschriften aufzeigt, beispielsweise im Hinblick auf den Schutzzweck und das Verhältnis zur Betriebsübergangsrichtlinie. Die Argumentation umfasst verschiedene juristische Perspektiven.
E. Die Rechtsfigur des nicht-vertraglichen Arbeitnehmers: Dieser Abschnitt untersucht die Rechtsfigur des nicht-vertraglichen Arbeitnehmers im Kontext der Albron-Catering-Entscheidung und deren Implikationen für das deutsche Recht.
F. Reichweite der Entscheidung: Das Kapitel analysiert die Reichweite der Albron-Catering-Entscheidung, indem es ihre Auswirkungen auf verschiedene Aspekte der Arbeitnehmerüberlassung untersucht. Es differenziert zwischen genereller Gleichbehandlung, vorübergehender Leiharbeit, Konzernsachverhalten und Missbrauchskontrolle und bietet eine eigene Bewertung.
G. Rechtslage in Deutschland: Dieser Teil beschreibt die bisherige Rechtslage in Deutschland hinsichtlich Leiharbeit und Betriebsübergang im Entleiherbetrieb und vergleicht sie mit dem Urteil des EuGH. Er untersucht verschiedene Ausnahmetatbestände im deutschen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) und deren Vereinbarkeit mit europäischem Recht.
H. Anwendung der Grundsätze der Albron-Catering-Entscheidung auf Gemeinschaftsbetrieb: Das Kapitel untersucht die Anwendung der in der Albron-Catering-Entscheidung formulierten Grundsätze auf den Fall von Gemeinschaftsbetrieben.
Schlüsselwörter
Arbeitnehmerüberlassung, Betriebsübergang, Albron-Catering, EuGH, Unionsrecht, nationales Recht, Leiharbeitnehmer, Stammarbeitnehmer, richtlinienkonforme Auslegung, Schutzzweck, Konzernprivileg, dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung, AÜG, Betriebsübergangsrichtlinie.
Häufig gestellte Fragen zur Rechtssache Albron-Catering
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die Rechtssache Albron-Catering des EuGH und deren Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht, insbesondere im Kontext von Arbeitnehmerüberlassung und Betriebsübergang. Sie untersucht die Entscheidung des EuGH, diskutiert deren Interpretation und bewertet die Relevanz für die deutsche Rechtslage.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt unter anderem die Auswirkungen der Albron-Catering-Entscheidung auf das deutsche Arbeitsrecht, die Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitnehmern, den Konflikt zwischen nationalem und europäischem Recht bei Arbeitnehmerüberlassung, die Relevanz des Schutzzwecks bei der Auslegung von Richtlinien und die rechtlichen Folgen dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung.
Was beinhaltet die Zusammenfassung der Kapitel?
Die Zusammenfassung beschreibt detailliert den Inhalt jedes Kapitels: Die Einleitung beleuchtet die Bedeutung des Unionsrechts; Kapitel B beschreibt den Sachverhalt und das Urteil des Albron-Catering-Falls; Kapitel C interpretiert die Entscheidung des EuGH; Kapitel D bietet eine kritische Auseinandersetzung mit dem Urteil; Kapitel E untersucht die Rechtsfigur des nicht-vertraglichen Arbeitnehmers; Kapitel F analysiert die Reichweite der Entscheidung; Kapitel G beschreibt die deutsche Rechtslage zu Leiharbeit und Betriebsübergang und vergleicht sie mit dem EuGH-Urteil; Kapitel H untersucht die Anwendung der Grundsätze auf Gemeinschaftsbetriebe.
Welche Schlüsselwörter sind relevant?
Die wichtigsten Schlüsselwörter sind: Arbeitnehmerüberlassung, Betriebsübergang, Albron-Catering, EuGH, Unionsrecht, nationales Recht, Leiharbeitnehmer, Stammarbeitnehmer, richtlinienkonforme Auslegung, Schutzzweck, Konzernprivileg, dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung, AÜG, Betriebsübergangsrichtlinie.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit ist in einzelne Kapitel gegliedert, beginnend mit einer Einleitung und einem Inhaltsverzeichnis. Es folgen Kapitel, die den Sachverhalt, das Urteil, die Interpretation, Kritikpunkte, die Rechtsfigur des nicht-vertraglichen Arbeitnehmers, die Reichweite der Entscheidung, die deutsche Rechtslage, die Anwendung auf Gemeinschaftsbetriebe und ein Fazit behandeln. Jedes Kapitel ist detailliert und strukturiert, teilweise mit Unterkapiteln und Unter-Unterkapiteln.
Welche konkreten Fragen zur Albron-Catering-Entscheidung werden behandelt?
Die Arbeit befasst sich mit Fragen der richtlinienkonformen Auslegung nationaler Gesetze, der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitnehmern im Kontext von dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung, der Auslegung des Schutzzwecks von EU-Richtlinien und der Vereinbarkeit des deutschen Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) mit dem Unionsrecht. Sie analysiert auch die Auswirkungen der Entscheidung auf Konzernsachverhalte und den Umgang mit Ausnahmetatbeständen im AÜG.
Welche Rechtsvorschriften werden im Detail analysiert?
Die Arbeit analysiert im Detail das Urteil des EuGH in der Rechtssache Albron-Catering und das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), insbesondere dessen Ausnahmetatbestände (§ 1 Abs. 3 Nr. 2, 2a, 2b, 1, 2c, 3 AÜG). Sie untersucht das Spannungsverhältnis zwischen dem EuGH-Urteil und der Betriebsübergangsrichtlinie.
Für wen ist diese Arbeit relevant?
Diese Arbeit ist relevant für Jurist*innen, Wissenschaftler*innen, Studierende des Arbeitsrechts und alle, die sich mit den rechtlichen Aspekten von Arbeitnehmerüberlassung und Betriebsübergang beschäftigen. Sie bietet eine umfassende Analyse der Albron-Catering-Entscheidung und ihrer Auswirkungen auf die Praxis.
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- André Fischels (Author), 2017, Arbeitnehmerüberlassung und Betriebsübergang im Entleiherbetrieb, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/458163