Übergänge während des Studiums. Das Nestflüchterphänomen


Hausarbeit, 2018

18 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1.Einleitung

2. Essay: Übergang ins Erwachsenenalter: „Emerging Adulthood“

3. Fallbeschreibung: Nestflüchter- Wohnwechsel aufgrund des Studiums

4. Reflexion

5.Schluss

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Anteil der 18-24 Jährigen im Jahr 2015 die im Elternhaus wohnen [in %]

Abbildung 2: Wie wohnen Studenten in Deutschland?

1.Einleitung

„In jeder Gesellschaft besteht das Leben eines Individuums darin, nacheinander von einer Altersstufe zur nächsten und von einer Tätigkeit zur anderen überzuwechseln. Wo immer zwischen Alters- und Tätigkeitsgruppen unterschieden wird, ist der Übergang von einer Gruppe zur anderen von speziellen Handlungen begleitet […] Es ist das Leben selbst, das die Übergänge von einer Gruppe zur anderen und von einer sozialen Situation zur anderen notwendig macht.“ (van Gennep 1986, S.15)

Jeder Mensch bewältigt in seinem Leben unterschiedliche und verschiedenartige Übergänge, ob das zum Beispiel der Übergang vom Kindergarten in die Schule oder auch von der Ausbildung/ vom Studium zum Beruf ist. Ein Übergang bringt immer Veränderungen mit sich: das Verlassen alter Gewohnheiten und auch eine Anpassung an neue Gegebenheiten. Die Veränderungsprozesse vollziehen sich meist über einen längeren Zeitraum und beeinflussen nicht nur die betroffenen Personen, sondern auch ihr soziales Umfeld. Viele Menschen stoßen bei der Bewältigung von Übergängen an ihre Grenzen, weshalb es sich die Sozialpädagogik zur Aufgabe gemacht hat, die Betroffenen dabei zu unterstützen und ihnen zu helfen. Der erste Teil des Portfolios beschäftigt sich zunächst mit einem aus der Vorlesung behandelten Übergang ins Erwachsenenalter. Ein sehr interessanter und auch häufig genannter Übergang ist „Emerging Adulthood“. Doch was wird unter dem Begriff genau verstanden? Anschließend folgt eine Beschreibung eines Übergangprozesses aus eigener Erfahrung. Hier widme ich meine Aufmerksamkeit dem Nestflüchterphänomen. Die meisten beschäftigen sich immer wieder mit dem Nesthockerphänomen, wohingegen das Nestflüchterphänomen kaum beachtet wird. Ich persönlich bezeichne mich selbst als Nestflüchter, weshalb ich es sehr interessant finde, mir dieses wenig erforschte Phänomen mal genauer anzuschauen. Mein Schwerpunkt liegt vor allem auf der Untersuchung, inwiefern der Beginn eines Studiums und der Auszug aus dem Elternhaus in Verbindung zueinanderstehen. Zählen Studenten eher zu den Nestflüchtern, wie andere junge Erwachsene? Außerdem ist ein Wohnortwechsel ein entscheidender Übergang ins Erwachsenenalter und beinhaltet vielfältige Übergangsprozesse, die ich ebenfalls genauer untersuchen will. Zum Schluss des Portfolios folgt die Reflexion. In dieser wird nochmal entlang der TZI reflektiert, inwiefern Übergänge von Bedeutung sind. Was wusste ich bereits vor dem Modul über Übergänge? Was habe ich über Übergänge gelernt? Was hat mich überrascht? Was habe ich über meine eigenen Übergänge gelernt? Und was nehme ich für meine zukünftige sozialpädagogische Arbeit mit den Übergängen von Adressaten und Adressatinnen mit? All diese Fragen werden in diesem Portfolio beantwortet.

2. Essay: Übergang ins Erwachsenenalter: „Emerging Adulthood“

„Emerging Adulthood“ gehört zu den Lebensphasen des Erwachsenwerdens und umfasst die Jahre 18 bis 25. Bestimmt wurde dieser Begriff von dem Psychologen Jeffrey Arnett. Fünf Merkmale zeichnen „Emerging Adulthood“ aus: „Exploration der Identität, Instabilität, Gefühle des „Dazwischen“ (zwischen Jugend und Erwachsensein), Selbstbezogenheit, Optionen“ (Schröer et al. 2013, S.271). Heutzutage ist die Dauer des Übergangs „Emerging Adulthood“ wesentlich länger, als noch vor ein paar Jahrzehnten. Grund hierfür ist beispielsweise die längere Schul- und Ausbildungszeit (vgl. Schäfers 1998, S.115). Durch den längeren Aufenthalt in der Schule, verschieben sich dementsprechend andere Übergänge, wie der Auszug aus dem Elternhaus oder der Übergang in die Elternschaft. Mittlerweile überwiegt die Diversität und die immer wieder auftretenden Wechsel während der Beschreitung des Berufsweges (vgl. Köngeter, S.5) Doch sind für den Übergang „Emerging Adulthood“ nicht nur die demographischen Gegebenheiten von Bedeutung., sondern auch die subjektive Wahrnehmung. Hierzu zählen persönliche Eigenschaften, die Übernahme von Verantwortung und das unabhängige Treffen von Entscheidungen (vgl. ebd., S.6). Des Weiteren ist die Identitätsfindung sehr entscheidend für den Prozess des Erwachsenwerdens. Diese Zeit wird auch „Zeit des Sich-Entscheidens“ genannt. In dieser Phase treten häufig Veränderungen betreffend Liebe und Partnerschaft auf. Liebesbeziehungen gewinnen immer mehr an Bedeutung, sind von längerer Dauer und die Suche nach dem Partner fürs Leben steht immer mehr im Vordergrund. Zuzüglich werden Themen wie „Arbeit“ und „Berufswahl“ essentiell, da nun Entscheidungen in diesen Bereichen getroffen werden, die entscheidend für den weiteren Verlauf des bevorstehenden Lebens sind. Aus diesem Grund werden Jugendliche in dieser Phase mit Fragen wie welche Ausbildung kommt für mich in Frage oder welchen Studiengang könnte ich studieren, konfrontiert. Außerdem beginnen viele der Jugendlichen ihre eigenen Ansichten nochmal zu hinterfragen, weshalb es häufig zu Änderungen der eigenen Sichtweise bzw. Meinung kommen kann. In manchen Fällen kann es durch das erneute Hinterfragen jedoch zu einer Festigung der Weltanschauung kommen (vgl. ebd., S.7). Durch den Übergang „Emerging Adulthood“ ist keine eindeutige Grenze mehr zwischen Jugend und Erwachsensein vorhanden. Der Lebenslauf wird in diesem entstandardisiert und mit dem Namen des „jungen Erwachsenenalters“ versehen. Auffällig in dieser Phase ist, dass viele Studien zeigen, dass es sich bei dieser Altersgruppe auch gleichzeitig um eine Hochrisikogruppe handelt. Viele junge Erwachsene sind von Einsamkeit geplagt und leiden durch den Gebrauch von verschiedenen Suchtmitteln unter gesundheitlichen Problemen (vgl. Streeck-Fischer 2014, S.53). Allein aus diesem Grund ist es sehr wichtig, dass diese Lebensphase immer mehr an Bedeutung dazu gewinnt. Allerdings ist das nicht die einzige Studie über diese Lebensphase. Die Forschungsgruppe European Group for Integrated Social Research (EGRIS) untersucht unterschiedliche Übergänge zwischen Jugend und dem Erwachsenenalter. Sie beschäftigen sich mit Übergängen in die Berufswelt, von Familie und Wohnen, Identität und Geschlecht, Sexualität und Körperlichkeit, Beziehungen und Partnerschaft, wie auch der Jugendkultur und dem individuellen Lebensstil (vgl. EGRIS c/o IRIS e.V., online). Diese Übergänge werden von einer Reihe von Umständen beeinflusst. Ein Faktor ist beispielsweise die Reversibilität, denn sie macht eine Rückkehr in alte Lebensformen durchgehend möglich. Außerdem spielt auch Gleichzeitigkeit eine bedeutende Rolle, denn nur so ist eine jugendliche und erwachsene Lebensart parallel realisierbar. Vielseitigkeit (Diversifikation) und Individualisierung prägen die Übergänge ebenfalls, da durch viele Entscheidungen unterschiedliche Lebensläufe entstehen (vgl. Köngeter, S.11). Allerdings ist das Konzept „Emerging Adulthood“ keinesfalls fehlerfrei. Es erhält häufig Kritik, weil „es trotz Flexibilisierung und Pluralisierung von Lebensläufen Altersstufen fixiert, und zum anderen, weil es Ausgrenzungs- und Marginalisierungsrisiken junger Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen nicht angemessen berücksichtigt (Schröer et al. 2013, S.271). Eine besondere Gruppe die „Emerging Adulthood“ zugeordnet wird, ist die Gruppe der Nesthocker. Unter diesem Begriff wird eine Gruppe verstanden, welche aus jungen Erwachsenen besteht, die keinerlei Ambitionen zeigen Schritte der Adoleszenz zu vollziehen, sondern das Bedürfnis hegen zuhause zu bleiben und sich dort versorgen zu lassen (vgl. Streeck-Fischer 2014, S. 53). In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um Jugendliche, die mit sozialen Ängsten zu kämpfen haben. Durch den fehlenden Kontakt zur Außenwelt werden die Ängste nur größer, weshalb ein Teufelskreis entsteht. Doch es gibt nicht nur die Gruppe der Nesthocker, es gibt genauso auch die Gruppe der Nestflüchter. In der heutigen Zeit kommt es vermehrt vor, dass viele junge Erwachsene beispielsweise aufgrund des Studiums von Zuhause ausziehen und gezielt einen etwas entfernteren Ort für ihr Studium auswählen. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, mir dieses Nestflüchterphänomen mal genauer anzuschauen.

3. Fallbeschreibung: Nestflüchter- Wohnwechsel aufgrund des Studiums

„Auch eine gesunde Abnabelung von den Eltern z.B. durch einen frühen Einzug in eine eigene Wohnung gilt als Erfolgsfaktor (TN 10). Die Jugendlichen sollten mit Vertrauen und angemessenem Druck (TN 31) der Eltern zur Selbstständigkeit begleitet werden, so dass die Entwicklung eigener Perspektiven möglich ist.“ (Schönig/Knabe 2010, S. 92)

Wer heutzutage studieren will, bewirbt sich an ganz unterschiedlichen Hochschulen und Universitäten. Der Standort der Hochschule/ der Universität wird dabei nicht außen vorgelassen. Hier gibt es meist drei unterschiedliche Typen von Studenten. Es gibt die, die unbedingt „Zuhause“ studieren wollen, die die den Standort bei ihrer Entscheidung außen vorlassen und die, denen es hauptsächlich darum geht, mal von zuhause wegzukommen. Ich persönlich gehörte der dritten Gruppe von Studenten an. Als ich mich damals an der Universität Trier beworben hatte, war mein Grundgedanke: Ich will mir jetzt mal ein anderes Bundesland anschauen. Als ich in Trier für Soziologie und Erziehungswissenschaften angenommen wurde, freute ich mich sehr und begann bereits zu planen. Ich beschloss, das erste Semester zunächst abzuwarten, um zu schauen wie ich mit den Studiengängen zurechtkomme. Als ich merkte, dass die Universität Trier die richtige Wahl für mich war, begab ich mich auf Wohnungssuche. Zunächst wollte ich mit zwei Freundinnen, die ebenfalls in Trier studierten zusammenziehen. Es stellte sich jedoch sehr schnell heraus, dass wir unterschiedliche Auffassungen davon hatten, was Miet- und Unterhaltskosten angeht. Daher beschlossen wir, dass sich jede von uns eine eigene kleine Studentenwohnung zulegt. Ich hielt daher nach sämtlichen Studentenwohnungen in der Nähe des Campus Ausschau und bewarb mich für einige dieser. Nach relativ kurzer Zeit erhielt ich eine Zusage für eine teilmöbilierte Wohnung, direkt in der Wohnanlage Tarforst auf dem Campus I. Sobald ich den Mietvertrag unterschrieben und mich über die Wohnung informiert hatte, begann ich, die restlich benötigten Möbel sowie auch Inventar zusammenzustellen. Ich erhielt von dem Hausmeister den Schlüssel der Wohnung und den Schlüssel für meinen Briefkasten und von diesem Tag an besaß ich meine eigene Wohnung. Mithilfe von Freunden und Verwandten transportierten wir am Tag des Einzuges alle Möbel und auch das ganze Inventar in die Wohnung und begannen alles einzuräumen. Ich war sehr glücklich darüber, weil ich es vor allem genoss, eigenständig und unabhängig zu sein. Jedoch merkte ich sehr schnell, dass mit dem Besitz einer eigenen Wohnung auch ein hoher Grad an Verantwortung miteinhergeht. Mein Kühlschrank füllte sich nicht von selbst, meine Wohnung wurde nicht von allein sauber und kostenlos war sie auch nicht. Ich musste somit jede Woche einkaufen gehen, putzen und musste jeden Monat von meinem Geld die Miete bezahlen. Ein Auto konnte ich mir aufgrund meiner finanziellen Lage nicht leisten, weshalb ich versuchte, alle meine Anliegen mit Hilfe des Studententickets zu erledigen. Hinzu kamen die Anforderungen, die mir seitens des Studiums begegnet sind und die trotzdem immer noch vorhandenen Verpflichtungen von meinem früheren Zuhause. Ich verbrachte daher die Tage an denen ich Vorlesungen oder Seminare hatte, in der Wohnung in Trier und fuhr jedes Wochenende mit dem Zug nach Hause. Ich beschloss daher, meine Wohnung in Trier als „Lernwohnung“ zu nutzen. Ich ging, sobald ich in der Wohnung eintraf, einkaufen, machte sie sauber und begann danach die restliche Zeit mit dem Lernen für das Studium zu nutzen. Wenn ich am Wochenende zu Hause ankam, musste ich auch hier mein Zimmer putzen, jedoch erledigte dort meine Mutter weitestgehend den Einkauf, sodass ich am Wochenende auch mal Zeit für meine Familie und Freunde hatte. Um alle Kosten im Blick zu behalten, führte ich jeden Monat ein Buch über meine Ein- und Ausgaben. Nach einer gewissen Zeit wurde mir jedoch klar, dass ich wegen meines sinkenden Kontostandes einen Nebenjob brauchte. Hier hatte ich das Glück, einen Nebenjob in einer Kneipe von einer Bekannten im Saarland zu erhalten. Dort jobbte ich dann jedes Wochenende, um mir etwas Geld dazu zu verdienen. Anfangs war dies auch ganz akzeptabel, jedoch merkte ich, dass ich mit meinen Kräften bald am Ende war. Mein soziales Leben litt unter all den Aufgaben, die ich wöchentlich zu meistern versuchte. Aus diesem Grund beschloss ich nach etwa einem dreiviertel Jahr den Nebenjob aufzugeben und mich während der Vorlesungszeit voll auf das Studium und das Führen meines eigenen Haushaltes zu konzentrieren und mir immer in der vorlesungsfreien Zeit einen Nebenjob zu suchen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich dann auch endgültig an die von mir verlangten Anforderungen des Studiums gewöhnt und hatte während der Woche auch wieder etwas mehr Zeit. So hatte ich inzwischen Freunde im Wohnheim gefunden, mit welchen ich ab und zu etwas unternahm und schaute mir Trier nun etwas genauer an. Erst dann hatte ich das Gefühl, in Trier richtig angekommen zu sein. Ich ging mit Freunden durch die Stadt, ging auf Studentenpartys, nahm Sportkurse der Uni in Anspruch und grillte mit Kommilitonen auf dem Campus. Ich fühlte mich zum ersten Mal wie eine richtige Studentin. Als dann die Semesterferien kamen, bewarb ich mich Zuhause im Saarland bei der Dillinger Hütte als Ferienarbeiterin. Ich bekam eine Stelle im Walzwerk und arbeitete die ganzen Semesterferien über in einem Vierer- Schichtsystem. Durch diesen Nebenjob verdiente ich genug Geld, um die nächsten Monate über die „Runden“ zu kommen. Vor allem bekam ich einen guten Einblick darüber, was es heißt, sein Leben lang in der Industrie zu arbeiten und welche Schlafrhythmusschwierigkeiten mit solch einem Schichtsystem einhergehen. Da ich viele Veranstaltungen, aufgrund des Studiengangwechsels, aus dem Studiengang vorgezogen hatte, hatte ich das Glück nach den Semesterferien nicht mehr so viele Veranstaltungen belegen zu müssen. Hinzu kam, dass ich meinen Stundenplan so gestalten konnte, dass ich nur noch von Montag bis Mittwoch Veranstaltungen hatte. Aus diesem Grund beschloss ich, wieder etwas mehr im sozialen Bereich tätig zu sein, um noch mehr Praxiserfahrungen zu sammeln. Ich nahm wieder Kontakt mit der Stadt Dillingen auf, dort hatte ich bereits ein dreimonatiges Praktikum absolviert und fragte, ob sie irgendwo Hilfe benötigten. So kam es, dass ich donnerstags mit einer Mädchengruppe in einem Jugendtreff arbeitete und freitags beim Führen des Sozialcafés half. So konnte ich weitere Praxiserfahrungen im Bereich Kinder und Jugend und auch im Umgang mit sozial schwachen Erwachsenen sammeln. Ab diesem Zeitpunkt war mein Wochenablauf streng getaktet, allerdings erreicht, dass ich alles, was ich mir vorgenommen hatte, umsetzten konnte. Ich schaffte es in den drei Tagen meine Erledigungen für die Universität zu meistern, mich dennoch mit den Freunden vom Wohnheim zu verabreden und mir Trier anzuschauen, meine häuslichen Pflichten sowohl in Trier als auch in Dillingen zu meistern, Praxiserfahrungen in der Sozialen Arbeit zu sammeln und mich auch zuhause mit meinem sozialen Umfeld zu treffen. Mittlerweile habe ich die Wohnung in Trier wieder aufgegeben, da ich kaum noch Veranstaltungen an der Universität belege und es sich aus diesem Grund finanziell nicht mehr rentiert. Dies ist jedoch kein seltenes Phänomen unter jungen Erwachsenen. Dort passiert es immer wieder, dass es zu einem Wiedereinzug bei den Eltern kommt. Ein linearer Übergang zum selbstständigen Wohnen ist hier eher selten (vgl. Schröer et al. 2013, S.295). Letztlich muss ich jedoch sagen, dass ich sehr dankbar für diese Zeit bin, da ich meiner Meinung nach wesentlich schneller erwachsen geworden bin. Der Übergang, eine eigene Wohnung zu besitzen, beinhaltet viele unterschiedliche Übergangsprozesse, die sich auch in der Literatur wiederfinden lassen. Wohnen gilt als Grundbedürfnis eines jeden Menschen, jedoch wurde es als Übergangprozess im jungen Erwachsenenalter bisher wenig untersucht (vgl. ebd., S.291). Dabei kann ein Wohnortwechsel jedoch schnell zu einem kritischen Lebensereignis werden, da bisherige Routinen durchbrochen werden und er zu einer aktiven Auseinandersetzung zwischen dem Subjekt und der veränderten Umwelt führt (Fillip/Aymanns 2010, S.16ff.). Aus diesem Grund wird ein Wohnortwechsel auch als ein Risiko betrachtet. „Jugendliche nutzen Risikoverhaltensweisen als greifbare und öffentlich zugängliche Requisiten der Identitätsbildung“ (Raithel 2011, S. 66). Der Auszug aus dem Elternhaus in „die eigenen vier Wände“ dient somit also der Identitätsbildung. Er gilt jedoch nicht als eine einzige Entwicklungsaufgabe, sondern als Prozess der mehrere Entwicklungsaufgaben beinhaltet (Papastefanou 1997, S.130f.). Hurrelmann unterteilt den Abkopplungsprozess der Kinder von den Eltern in fünf Ebenen. Er differenziert die emotionale, finanzielle, kulturelle, psychische und räumliche Ebene (vgl. Hurrelmann 2007, S.118). Für ihn beginnt der Abkopplungsprozess mit dem Eintritt ins Jugendalter. Auffällig jedoch ist, dass man bei dem Auszug aus dem Elternhaus wieder mit genau diesen Ebenen konfrontiert wird. Angefangen mit der emotionalen Ebene. Schon während der Planung des Auszuges stehen viele Emotionen im Mittelpunkt. Zum einen die Vorfreude, Aufregung und Spannung auf das neue Zuhause und zum anderen auch die Trauer aufgrund des Abschiedes von Familie und Freunden. Die finanzielle Ebene ist, wie vorher in meinem persönlich beschriebenen Fall, eine sehr bedeutsame Ebene. Mit dem Auszug aus dem Elternhaus ist man in den meisten Fällen auch immer finanziell unabhängig, sodass Miete und auch die Finanzierung der Lebensunterhaltskosten von einem selbst getragen werden müssen. Aus diesem Grund muss jeden Monat genau kalkuliert werden, was und wie viel man sich leisten kann. Bin ich in der Lage mir diesen Monat eine neue Jeans zu kaufen oder reicht mein Geld überhaupt für alle Bücher, die ich für das Studium besorgen muss? All solche Fragen musste ich mir zuvor nicht stellen. Als ich noch zuhause bei meiner Mutter gewohnt habe, war es nicht nötig ein Buch darüber zu führen, wie viele Einnahmen und Ausgaben ich habe und war auch nicht auf einen Nebenjob angewiesen. Mit dem Auszug änderte sich dies jedoch und ich musste mir viel mehr Gedanken darüber machen, wie ich die nächste Zeit in meinem Leben finanziell bewältigen kann. Die kulturelle Ebene ist wichtig, da sie für den Lebensstil steht. Sobald man von Zuhause ausgezogen ist, lebt man diese vollständig aus. So entscheidet jeder selbst, welche Möbel er braucht oder wie sich das alleine wohnen gestaltet. Wie oft und was kaufe ich ein oder wie oft räume und putze ich meine Wohnung? Von nun an wird die Art und Weise, wie man lebt, selbst bestimmt. Psychisch gesehen ändert sich jedoch ebenfalls Einiges. Da mit dem Auszug eine große Eigenverantwortlichkeit einhergeht, macht man sich über Alltägliches automatisch viel mehr Gedanken. Schaffe ich es, die Miete zu bezahlen, wann und wo kaufe ich ein, wie schaffe ich es, meinen Haushalt zu regeln und dabei auch noch für die Uni zu lernen? Durch all diese Gedanken kann es passieren, dass sich erst einmal viel Druck in einem aufbaut. Deswegen kommt es anfänglich auch immer wieder zu Überforderungen. Aufgrund der Überforderungen sind viele junge Erwachsenen dann wieder dazu geneigt, zurück zu ihren Eltern zu ziehen. Andere wenden sich in ihrem Kummer an Familienangehörige und an Freunde oder auch an Beratungsstellen für Jugendliche und junge Erwachsene und fragen diese um Rat. In den meisten Fällen wird die psychische Ebene mit der Zeit weniger wichtig, da man sich nach einer gewissen Zeit an alle Anforderungen gewöhnt hat und nun weiß, wie man sie bewältigen kann. Die letzte Ebene von Hurrelmann ist die räumliche Ebene. Sie steht für die Veränderungen in der Umwelt. Sobald man eine eigene Wohnung besitzt, muss man sich auch mit dem neuen Umfeld vertraut machen. Bei meinem Umzug handelte es sich um einen Umzug in ein anderes Bundesland, wodurch ich mich beispielweise auch mit den dort vorhandenen Gesetzen und Regeln vertraut machen musste. Wo muss ich mich, was benötige ich um meinen Wohnsitz anzumelden? Aber natürlich war die Umgebung auch erst einmal fremd für mich und somit auch all meine Nachbarn. Neben den zuvor genannten Herausforderungen kommt also auch das Kennenlernen der neuen Umgebung hinzu. Das ist am Anfang sehr wichtig, da man zum Beispiel auch wissen muss, wo kann ich meine Einkäufe erledigen, welchen Bus kann ich dafür wohlmöglich nehmen, wo gebe ich meine Post ab? Das sind alles Fragen, auf die man in kürzester Zeit eine Antwort finden muss. Außerdem sind auch die sozialen Kontakte wichtig. Da man in einem neuen Umfeld wohnt, ist es auch erforderlich dort neue Freunde zu finden, die einem in schwierigen Situationen helfen können. In meinem Fall war es sehr leicht neue Freunde zu finden, da in dem Studentenwohnheim viele Studenten wohnten, welchen es genauso ging wie mir. Ich hatte sogar das Glück, Nachbarn zu haben, die ebenfalls aus dem Saarland stammten, was die Kontaktaufnahme noch etwas einfacher gestaltete. Durch die neuen Bekanntschaften habe ich mich dann auch viel schneller eingewöhnt und sie zeigten mir all das, was sie in Trier kannten, sodass ich mich in kürzester Zeit auskannte. Außerdem hatte ich somit auch immer Leute, mit welchen ich Etwas unternehmen konnte, wenn ich mit meinem Haushalt und dem Lernen fertig war. Auf diese Art und Weise konnte ich dann auch den Druck aus der psychischen Ebene verringern. So kann also festgehalten werden, dass die emotionale, finanzielle, kulturelle, psychische und räumliche Ebene von Hurrelmann nicht nur bei Eintritt ins Jugendalter eine Rolle spielen, sondern auch bei einem Auszug aus dem Elternhaus von großer Bedeutung sind. Ebenso fällt auf, dass die Ebenen in einem Wechselverhältnis zueinanderstehen. So hat die räumliche, finanzielle und kulturelle Ebene beispielweise Auswirkungen auf die psychische Ebene, genauso aber auch umgekehrt. Nesthocker versuchen all diesen Herausforderungen so lange wie möglich aus dem Weg zu gehen. Nestflüchter hingegen wollen sich so früh wie möglich ihrer Verantwortung stellen und selbständig werden. Der Anteil der Nesthocker ist in Deutschland unter den jungen Erwachsenen jedoch wesentlich größer, als der Anteil der Nestflüchter, wie eine statistische Erhebung des Statistischen Bundesamtes zeigt. Demnach lebten 2015 etwa 62% der 18- 24 Jahre alten Erwachsenen noch bei den Eltern Zuhause. Jedoch lässt sich auch ein Geschlechterunterschied erkennen. So liegt der Anteil der Frauen, die in diesem Alter noch zuhause wohnen bei 56% und der Anteil der Männer bei 68%. Frauen dieser Altersgruppe ziehen somit früher aus dem Elternhaus aus, als Männer. Daher kann festgehalten werden, dass Männer die größeren Nesthocker und Frauen die größeren Nestflüchter sind. Grund hierfür nennt Kinder- und Jugendpsychologe Michael Thiel: „Töchter haben oft weniger Freiheiten, das kann die Motivation erhöhen, das Weite zu suchen. Sie helfen häufiger im Haushalt und sind daher selbstständiger" (Spiegel Online 2016).

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Übergänge während des Studiums. Das Nestflüchterphänomen
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
Sozialpädagogik der Übergänge
Note
2,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
18
Katalognummer
V458199
ISBN (eBook)
9783668893047
ISBN (Buch)
9783668893054
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialpädagogik, Übergang, Emerging Adulthood, Nestflüchterphänomen
Arbeit zitieren
Johanna Hoffmann (Autor:in), 2018, Übergänge während des Studiums. Das Nestflüchterphänomen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/458199

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