Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung der Borderline Persönlichkeitsstörung
2.1 Erscheinungsformen
3. Mutter-Kind Bindung
3.1 Bindungstheorie
3.2 Kindliche Bedürfnisse
4. Auswirkungen auf die Mutter-Kind Bindung im Borderline-Kontext
5. chlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit geht als Modulabschlussarbeit aus dem eminar
„Theorie-Praxis-Transfer“ unter der Leitung von Frau Prof.in i.K. Dr. päd. XY an der katholischen Fachhochschule Mainz hervor.
Durch meine Tätigkeit als taatlich anerkannte Erzieherin auf der fakultativ chließbaren Aufnahme- und Kriseninterventionsstation einer Kinder- und Ju- gendpsychiatrie und mein Praktikum im Kreisjugendamt im Bereich des Pflege- kinderdienstes entschied ich mich dafür, die Thematik von psychisch erkrankten Elternteilen genauer zu betrachten. ehr häufig konnte ich in meinem Prakti- kum in laufenden und archivierten Akten einsehen, dass vor allem Kindsmütter die Diagnose der Borderline-Persönlichkeitsstörung erhielten und deren Kinder in Pflegefamilien untergebracht wurden. Aufgrund dieser Beobachtung wollte ich die Auswirkungen der Erkrankung auf die Mutter-Kind Bindung besser ver- tehen und nachvollziehen können1.
Deshalb befasse ich mich in der vorliegenden Hausarbeit mit der Borderline Persönlichkeitsstörung der Mutter und die Auswirkung der Erkrankung auf die Eltern-Kind Bindung.
Einleitend wird ein Überblick über das Krankheitsbild der Borderline Persönlich- keitsstörung gegeben. Dazu gehörten typische Verhaltensweisen und Erklä- rungsansätze der Erkrankung. Das anschließende Kapitel befasst ich mit der Mutter-Kind Bindung, wobei hier auf die Bindungstheorie nach John Bowlby ein- gegangen wird und die Relevanz der kindlichen Bedürfnisse nach Klaus Grawe erläutert werden.
Im letzten Kapitel werden die Auswirkungen der Borderline Persönlichkeitser- krankung auf die Mutter-Kind-Beziehung verdeutlich, wobei mir eine ressour- cenorientierte Betrachtungsweise wichtig war.
2. Begriffsbestimmung der Borderline Persönlichkeitsstörung
Nach ICD-10 zählt die Borderline Persönlichkeitsstörung zu den pezifischen Persönlichkeitsstörungen. Die Abkürzung ICD teht für „International tatistical Classification of Diseases and Related Health Problems“. Die Zahl 10 teht für die 10. Revision der Klassifikation. Die ICD-10 ist eine amtliche Diagnoseklassi- fikation der World Health Organization (WHO) und ist die international am meis- ten eingesetzte Diagnoseklassifikation (vgl. Remschmidt/Schmidt/Poustka 2006, 7ff.).
Es handelt ich hierbei um chwere törungen der Persönlichkeit und des Ver- haltens der betroffenen Person, die nicht direkt auf eine Hirnschädigung, -krank- heit oder auf eine andere psychiatrische törung zurückzuführen ind. Die Borderline törung wird nach ICD-10 F60.3 auch emotional instabile Persön- lichkeitsstörung genannt (vgl. a.a.O., 253).
Sie ist eine Persönlichkeitsstörung, mit deutlicher Tendenz, Impulse ohne Be- rücksichtigung von Konsequenzen auszuagieren. Damit verbunden ist eine wechselnde, instabile timmung. Ausbrüche intensiven Ärgers können oft zu ge- walttätigem und explosiblem Verhalten führen. Dieses Verhalten wird chnell dadurch ausgelöst, wenn impulsive Handlungen von anderen kritisiert oder be- hindert werden (vgl. ebd.).
Um die törung als eigenständige Diagnose von anderen abzugrenzen, wurde ie im Jahr 1980 erstmals in die Diagnostic and tatistical Manuel - III (DSM III), der amerikanischen Klassifikation für psychische törungen in der American Psy- chiatric Association (APA) aufgeführt. Dort wurde ie unter dem Namen border- line personality disorder geführt. In Deutschland wird die törung aktuell im DSM 5 unter dem Namen der Borderline Persönlichkeitsstörung geführt (vgl. Falkai/Wittchen 2015, 883). Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Ausar- beitung der genannte Terminus verwendet.
2.1 Erscheinungsformen
Bei der Borderline Persönlichkeitsstörung können zwei Erscheinungsformen un- terschieden werden. Ein impulsiver Typus, vorwiegend gekennzeichnet durch emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle und ein Borderline Typus, welcher durch zusätzliche törungen des elbstbildes gekennzeichnet ist (vgl. a.a.O., 253f.).
„Von einer `Störung´ und als deren onderform von einer `Erkrankung´ kann erst ge- prochen werden, wenn im Zusammenspiel von Lebensaufgaben und Bewältigungs- möglichkeiten Probleme auftauchen, die aus eigener Kraft nicht gemeistert werden kön- nen und in derer Folge Krankheitssymptome entstehen.“ (Rahn 2010, 11)
„Die Diagnose einer Borderlinestörung tritt elten isoliert auf. Es ist die Regel, dass Betroffene auch unter weiteren komorbiden psychischen törungen, wie Depression, Angststörungen, ubstanzgebrauchsstörungen oder auch anderen Persönlichkeitsstörungen leiden.“ (Buck-Horstkotte/Renneberg/Rosenbach 2015, 15)
Buck-Horstkotte/Renneberg/Rosenbach (vgl. 2015, 11) beschreiben zudem, dass Menschen mit Borderlinestörung große chwierigkeiten haben tabile Be- ziehungen zu führen. In tressigen ituationen handeln Menschen mit Borderli- nestörung ehr emotional, chnell und heftig (vgl. ebd.).
Menschen, die an einer Borderline Persönlichkeitsstörung erkrankt ind, be- chreiben häufig, wie ie unter extremen timmungsschwankungen leiden. An- derseits berichten Betroffene aber auch, dass ie an einer inneren Leere leiden, die tarke Verlustängste hervorruft (vgl. Rahn 2010, 14). „Die inneren pannun- gen können ich in regelrechten Ausnahmezuständen entladen, in denen die Kontrolle über den eigenen Körper und die eigene eele abhandenkommt.“ (ebd.)
3. Mutter-Kind Bindung
Der britische Kinderpsychiater und Psychoanalytiker John Bowlby und die Ar- beitsgruppe einer amerikanischen chülerin Mary Ainsworth waren es, die die ogenannte Bindungstheorie entwickelten und prägten (vgl. Lengning/Lüpschen 2012, 9).
Unter Bindungsverhalten versteht Bowlby (2014, 21), das Verhalten, welches darauf ausgerichtet ist, die Nähe eines vermeintlich kompetenteren Menschen zu uchen oder zu bewahren, ein Verhalten, das bei Angst, Müdigkeit, Erkran- kung und entsprechendem Zuwendungs- oder Versorgungsbedürfnis am deut- lichsten wird. Bowlby gibt an, dass es ihm wichtig ist, dass die Begriffe „Abhän- gigkeit“ oder „Abhängigkeitsbedürfnis“ nicht verwendet werden ollten, „[…] da ie herabsetzend klingen, emotionale Beziehungen nur elten zutreffend be- chreiben und auch nie wichtigen biologischen Funktionen attribuiert werden konnten.“ (ebd.)
3.1 Bindungstheorie
„Die Bindungstheorie begreift das treben nach engen emotionalen Beziehun- gen als pezifisches menschliches, chon beim Neugeborenen angelegtes, bis ins hohe Lebensalter vorhandenes Grundelement.“ (Bowlby 2014, 98) Bowlby (2014, 22) unterscheidet in einem Werk zwischen Bindung und Bin- dungsverhalten.
„Eine (passive oder aktive) Bindung setzt ein durch pezifische Faktoren gesteuertes tarkes Kontaktbedürfnis gegenüber bestimmten Personen voraus und tellt ein dauer- haftes, weitgehend tabiles und ituationsunabhängiges Merkmal des Bindungssuchen- den dar. Zum Bindungs verhalten gehören hingegen ämtliche auf ‘Nähe‘ ausgerichteten Verhaltensweisen des Betreffenden.“ (ebd.)
Zusätzlich zum Bedürfnis nach tabiler Bindung, existiert in jedem Kind ein Ver- langen nach elbstständiger Erforschung der Umwelt und Kontakt zu Gleichalt- rigen. Auch hierfür tellt eine ichere Bindung eine entscheidende Vorausset- zung dar, indem ich eine ichere Bindung und das Explorationsverhalten eines Kindes wechselseitig beeinflussen (vgl. Brisch 2003, 38).
Vor allem Mary Ainsworth war es, die diesen Aspekt der Bindungstheorie mit ei- ner Untersuchung entscheidend vorantrieb. Diese Untersuchung basierte auf ihrer Erfahrung, dass Kinder ich in gewohnter Umgebung wohlfühlen und ex- plorieren. Es galt herauszufinden, wie ich dieses Verhalten und das Gefühl der icherheit unter verschiedenen Bedingungen owie in einer fremden Umge- bung ändern würden (vgl. Grossmann/Grossmann 2012, 36). An ihrer Untersu- chung nahmen Kinder im Alter vom echsten bis zum 24. Lebensmonat teil. Um das Bindungsverhaltenssystem zu aktivieren, wurden diese in einem fremden Raum mit fremden Personen konfrontiert (vgl. Lengning/Lüpschen 2012, 10/ Grossmann/Grossmann 2012, 36). Dabei war die Mutter teilweise abwesend und kehrte nach kurzer Zeit in den Raum zurück. Anhand der Reaktion des Kin- des auf die Rückkehr der Mutter können Aussagen über gemachte Bindungser- fahrungen und die Bindungsqualität getroffen werden (vgl. Rauth 2012, 47f.).
Das Ergebnis dieser Untersuchung brachte vier unterschiedliche Bindungsqua- litäten hervor: icher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent und desorgani- iert.
Das sicher gebundene Kind verfügt über ein großes Maß an Urvertrauen und ist ich der Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit einer Bindungsperson icher. Dies stellt die wichtigste Basis des Bindungsgefüges dar, durch die das Kind befähigt wird, in der fremden ituation trotz Abwesenheit der Mutter nach kurzer Irrita- tion die Umgebung weiter zu erkunden. Bei Wiedervereinigung mit der Mutter zeigt es ich fröhlich und ucht die Nähe zu ihr (vgl. Grossmann/Grossmann 2012, 144 /Freck 2011, 55). Hier zeichnet ich, je nach ituation und Tren- nungsgrad, ein flexibler Wechsel zwischen Bindungs- und Explorationsverhal- ten ab (vgl. Grossmann/Grossmann 2012, 144). Gut 50% aller Kinder haben ei- nen icheren Bindungsstil zu ihrer Bezugsperson.
Kinder mit unsicher-vermeidendem Bindungsmuster zeigen in der fremden itu- ation ohne Bezugsperson keine Hinweise auf Beunruhigung oder Angst. ie zeigen wenig Bindungsverhalten, explorieren unbeirrt die Umgebung und tole- rieren fremde Personen als Ersatz. Die Rückkehr der Mutter wird ignoriert. Die- es Verhalten lässt darauf chließen, dass die Bedürfnisse des Kindes nicht ausreichend befriedigt wurden und das Kind weitere Zurückweisungen vermei- den möchte (vgl. ebd.). Es bleibt festzuhalten, dass dieser Bindungstyp durch Misstrauen gegenüber der Bindungsperson charakterisiert ist, da das Kind ich nicht auf Fürsorge und icherheit durch die Mutter verlassen kann (vgl. Freck 2011, 54). Etwa 30-40% der Kinder weisen eine unsicher-vermeidende Bindung zu ihrer Bezugsperson auf.
Der dritte Typ der unsicher-ambivalenten Bindung ist durch eine tarke Fixie- rung auf die Bindungsperson gekennzeichnet, da diese dem Kind durch gespal- tene und unbeständige Verhaltensweisen keine icherheit und tabilität bietet. Das Kind teht vor der Aufgabe, ein Verhalten dem ambivalenten Verhalten der Bezugsperson anzupassen, was in einer Reduzierung des Explorationsver- haltens resultiert (vgl. ebd., 54f.). Bei Kindern dieses Bindungsmusters bedarf es nur kleiner unvorhergesehener Abweichungen in einer ituation, um das Bindungssystem zu aktivieren. Fehlender ichtkontakt zur Bezugsperson ist ausreichend, um Wutausbrüche auszulösen. In olchen ituationen können fremde Personen nicht zu dem Kind durchdringen und werden zurückgewiesen, da das Kind verzweifelt und überfordert ist. elbst bei Rückkehr der Bezugsper- on ist das Kind nicht mehr fähig weiter zu explorieren, da es tändig befürch- tet, die Mutter könnte es erneut verlassen (vgl. Grossmann/Grossmann 2012, 144 /Freck 2011, 54). Circa 10% der Kinder zeigen eine unsicher-ambivalente Bindung gegenüber ihrer Bezugsperson.
[...]
1 Die Borderline-Persönlichkeitsstörung als diagnostizierte Erkrankung ist nicht allein auf das weibliche Geschlecht be- timmt, ondern wird ebenfalls bei Männern diagnostiziert, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß (vgl. Bohus 2002, 10).