Stimmenhörer in der Krise - Pflegerische Interventionsmöglichkeiten


Examensarbeit, 2005

30 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Krise

2. Krisenintervention
2.1 Methodik – Der generelle und der individuelle Ansatz in der Krisenintervention
2.1.1 Prinzipien der Krisenintervention
2.2 Die drei Ausgleichsfaktoren

3. Schizophrenie
3.1 Ursachen und Entstehung
3.2 Symptomatik
3.3 Therapie
3.4 Verlauf

4. Stimmenhören
4.1 Stimmenhörer verstehen
4.2 Stimmenhörer – Netzwerk

5. Pflegerische Interventionsmöglichkeiten beim Stimmenhören
5.1 Umgang mit gefährlichen Stimmen – Krisenintervention
5.2 Gruppenarbeit mit Stimmenhörern
5.3 Eigene Interventionsmöglichkeiten

Resümee

Quellen

Erklärung

Vorwort

„Der Alltag lehrt die Menschen viele Methoden, mit Angst umzugehen und Stress abzubauen. Die Entwicklung ganzer Lebensstiele geschieht auf der Grundlage von Reaktionsmustern, die dazu dienen, belastende Situationen zu bewältigen. Die Lebensstiele sind von Mensch zu Mensch außerordentlich unterschiedlich, gerade in ihrer Verschiedenheit aber unbedingt notwendig, um das seelische Gleichgewicht zu bewahren.“ (Aguilera D., (2000) S.77)

Jeder Mensch muss für sich die richtige Methode wählen um mit belastenden Situationen umzugehen. Reichen diese Methoden jedoch nicht mehr aus und die Belastung wird zu groß, kann man in eine Krise geraten. Im chinesischen setzt sich das Wort für Krise –weiji- aus den Charakteren für Gefahr –wei- und für Chance –ji- zusammen und weist so auf die zwei möglichen Ausgänge dieser Lebenssituation hin (siehe auch Deckblatt). In der heutigen Gesellschaft sieht man in einer Krise häufig nur die Gefahr, doch besteht darin auch die Möglichkeit etwas zu verändern. Ein Tiefpunkt kann zur Kehrtwende genutzt werden und man lernt und wächst aus den Erfahrungen, die man macht wenn man sie überstanden hat. Diese Erfahrungen können einen dann vor der nächsten Krise bewahren, weil man eventuell um Mechanismen weiß dieser Krisensituation vorzubeugen.

In dieser Arbeit beschäftige ich mich mit dem Thema „Stimmenhörer in der Krise“. Doch was genau sind Stimmenhörer? Hören sie vielleicht auch Stimmen, die ansonsten keiner hört? Natürlich nicht, werden Sie sagen. Stimmen zu hören ist ein Zeichen dafür, dass man den Verstand verliert, das weiß doch jeder! Aber was ist, wenn dem nicht so wäre? Das Phänomen des Stimmenhörens geht bis auf ca. 10.000 Jahre vor Christus zurück. Viele bekannte Persönlichkeiten der Geschichte haben Stimmen gehört und galten keineswegs als „verrückt“, z. B. der Dichter Rainer Maria Rilke und der Prophet Moses, die Äbtissin Hildegard von Bingen und die französische Nationalheldin Jeanne d’Arc. Was ist wenn die Stimmen für einen selbst, einen wichtigen Grund haben oder sogar angenehm sind? Muss das hören von Stimmen direkt krankhaft sein? Also noch einmal: „Hören Sie Stimmen?“

Ich will das Stimmenhören nicht beschönigen. Ich will nur deutlich machen, dass es immer wieder Menschen gibt, die mit ihren Stimmen gut leben können und diese nicht als belastend empfinden. Das sind jedoch nicht die Menschen, mit denen ich mich in meiner Arbeit befasse. Ich beschäftige mich mit den Menschen, denen wir auf unseren Stationen begegnen und die unsere Hilfe suchen, weil sie durch die Auswirkungen der Stimmen in eine Krise geraten sind. Die unter ihren Stimmen leiden, von diesen gequält werden und die ihr alltägliches Leben erschweren. Ja sogar soweit treiben, dass die Betroffenen sich selbst verletzen oder ernsthaft an einen Suizid denken um sich davon zu befreien.

In dieser Arbeit befasse ich mich als erstes mit der Krise im allgemeinen. Ich stelle vor was eine Krise ist, welche unterschiede es gibt und wie sie in der Regel verläuft. Danach komme ich zur Krisenintervention, hier benenne ich Merkmale der Krisenintervention, stelle verschiedene Formen der Psychotherapie und deren Methodik vor, sowie ausgleichend wirkende Faktoren beim Problemlösungsprozess. Im dritten Kapitel komme ich zur Schizophrenie. Viele der Stimmen hörenden Menschen, die uns in der Psychiatrie begegnen haben diese Diagnose und sehen diese Erkrankung als Spitze einer Krise an. Ich stelle diese Erkrankung kurz vor, mit ihren Ursachen, Symptomen, Therapie und ihrem Verlauf. Danach komme ich dann zum Stimmenhören an sich. Ich erkläre dieses Phänomen und gebe Beispiele wie es erlebt wird, auch stelle ich die Sichtweise der Betroffenen dar. Der letzte Teil meiner Arbeit soll eine Art Zusammenfügung der vorangegangenen Kapitel sein, in dem ich pflegerischen Interventionsmöglichkeiten beim Phänomen Stimmenhören vorstelle und Möglichkeiten des Handelns in Krisen, sowie eigene vorbeugende Maßnahmen.

Es soll bei dieser Arbeit nicht der Eindruck entstehen, dass das bloße hören von Stimmen eine Krise darstellt. Eine Krise ergibt sich in diesem Zusammenhang erst dann, wenn der Betroffene sich durch sein Erleben belastet und gequält fühlt und nicht mehr weiß, wie er damit umzugehen hat. Wichtig ist mir vor allem zu verdeutlichen, dass es keine ultimative Standardlösung für den Umgang mit Stimmen in Krisen gibt, jeder Mensch reagiert anders auf verschiedene Situationen und es Bedarf einer großen Kreativität damit umzugehen. Vor allem sind hier aber Verständnis und Einfühlungsvermögen gefragt, um die Situation richtig einzuschätzen, die geeignete Maßnahme zu wählen und dem Betroffenen ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.

1. Krise

Eine Krise ist ein „Ungleichgewicht zwischen Schwierigkeiten und der Bedeutung eines Problems und den unmittelbar zur Verfügung stehenden Ressourcen, dieses zu bewältigen“ (Caplan, 1964). Laut Ciompi ist eine Krise auch „eine Überforderung eines gewohnten Verhaltens- respektive Copingsystems durch belastende äußere oder innere Erlebnisse. Eine Krise tritt akut und überraschend auf, ist von bedrohlichem Charakter und zieht eine innerpsychische und soziale Labilisierung und eine erhöhte Suggestibilität nach sich. In der Phase der erhöhten Suggestibilität können neue Überzeugungen und Verhaltensweisen eingepflanzt werden, die dann oft jahrelang stabil bleiben“ (Ciompi, 1993, S.14ff).

Nach Benter unterscheidet man drei Typen einer Krise:

1.) Krisen im Reifungsprozess: erfolgen bei wichtigen Lebensübergängen, z.B. vom Pubertierenden zum Erwachsenen oder in der Mutterschaft, wo oft Veränderungen in den sozialen Rollen stattfinden.
2.) Situative Krisen: sind häufige Menschliche Erfahrungen sog. kritische Lebensereignisse oder auch „life events“ genannt, z.B. Arbeitsplatzverlust, eine unerwünschte Schwangerschaft, oder die Ehescheidung, die das psychologische Gleichgewicht stören kann auch psychische Erkrankungen, wie z.B. das Stimmenhören kann hierzu gezählt werden.
3.) Außergewöhnliche Krisen: beinhalten seltene, außerordentliche Ereignisse wie z.B. Brandkatastrophen, Erdbeben, Geiselnahme oder ein Atomunfall.

Die Krisen mit denen ich mich hier beschäftige, sind Krisen, die entstanden sind, weil Personen Stimmen hören, mit denen sie nicht umzugehen wissen oder die sie negativ beeinflussen und dadurch in eine Krise geraten sind. In Krisen treten sowohl physische als auch psychische Merkmale oder Symptome auf. Die häufigsten sind:

physisch: erhöhte Anspannung, Zittern, Herzklopfen (Tachykardie), fahrige Bewegungen, Übererregtheit

psychisch: Schlaflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, angespannte Gesichtszüge, Angst oder Furcht, Destruktives Verhalten sich und anderen gegenüber

Wie die Dynamik einer Krise dann aussieht, kann auf Grund des folgenden Phasenmodells von Caplan gut dargestellt werden (Caplan, zit. in Zeller-Foster, 1998):

1.) Angepasste, routinierte Reaktionen: Bei Belastung werden die zur Verfügung stehenden Strategien angewandt; Angst, Bedrohung und Spannung entstehen. Bei evtl. misslungener Problemlösung verstärken sich diese Gefühle.
2.) Unsicherheit und Überforderung: Die Situation spitzt sich zu. Die Perspektive wird aussichtslos. Gefühle von Hilflosigkeit und Versagen treten auf.
3.) Abwehr: Alle Ressourcen werden gegen die Krise mobilisiert. Ungewöhnliche Mittel werden eingesetzt. Bei Problemlösung wird der Betroffene gestärkt.
4.) Erschöpfung, Rat- und Hilflosigkeit: Krise mit positivem oder negativem Ausgang. Bei negativem Ausgang entstehen Rat- und Hilflosigkeit sowie Erschöpfung. Es kommt zum Zusammenbruch der Persönlichkeit. Professionelle Hilfe wird hier erforderlich.

Die Krisentheorie von Aguilera und Messick basiert auf Caplans Arbeit. Mit ihr befasse ich mich in einem späteren Kapitel ausführlich. Vorab lässt sie sich folgendermaßen zusammenfassen:

Im streben nach psychischem Gleichgewicht müssen Menschen Probleme mit den vorhandenen Ressourcen lösen. Ist ein Individuum der Auffassung, die Ressourcen reichen für die Problemlösung nicht aus, kommt es zur psychischen Spannung, die sich bei fortgesetztem Bestand des Problems verstärkt. Gibt es hierzu keine akzeptable Lösung, entstehen Gefühle von Angst, Scham oder Hilflosigkeit. Ob sich eine Krise nun entwickelt, ist maßgeblich von drei „Ausgleichsfaktoren“ abhängig. Diese drei Ausgleichsfaktoren werden im Kapitel Krisenintervention eingehender beschrieben

(vgl. Sauter/Abderhalden/Needham/Wolff (2004) S.781ff)

2. Krisenintervention

Die Krisenintervention wurde ursprünglich in den 40er Jahren in den USA als therapeutisches Konzept in ambulanten Diensten der Gemeindepsychiatrie entwickelt und ermöglichte eine Behandlung von PatientInnen in ihrem natürlichen sozialen Umfeld. Zu den Grundsätzen der Krisenintervention gehören die folgenden Merkmale:

Krisenintervention…

- findet in einem zeitlich begrenzten Rahmen statt
- ist auf die Bewältigung der Krise zentriert
- beinhaltet eine vergleichsweise aktive Haltung des TherapeutInnen/Pflegenden
- fördert gesunde oder progressivere Bewältigungsstrategien des Patienten und wirkt regressiven Tendenzen entgegen
- erfordert häufig Multidisziplinarität

(vgl. Sauter/Abderhalden/Needham/Wolff (2004) S.783ff)

Im Rahmen der Krisenintervention gibt es drei Möglichkeiten der Krisenbewältigung. Die Psychoanalyse, die Kurztherapie und die Krisenintervention. Bei der Psychoanalyse und der Kurztherapie handelt es sich eher um Therapiemöglichkeiten und werden daher nur kurz vorgestellt, die Krisenintervention dagegen befasst sich mit der wörtlichen Krisenintervention also mit dem auflösen und überstehen einer Krise.

Bei der Psychoanalyse besteht das Therapieziel darin, die Persönlichkeitsstruktur der PatientInnen wiederherzustellen (Restrukturierung). Im Mittelpunkt der Behandlung stehen dessen psychogenetische Vergangenheit und die Suche nach einem Zugang zum Unbewussten. Psychoanalytisch-psychotherapeutische Prozeduren werden anhand ihrer Funktion in zwei Kategorien unterteilt: aufdeckend und stützend. Der Therapeut ist ein „nicht-direktiver“, passiver Beobachter, der die Äußerungen seiner PatientInnen deutet. Diese Art der Therapie eignet sich für Personen, die neurotische Persönlichkeitsstrukturen aufweisen. Wie lange die Therapie dauert, hängt von den jeweiligen PatientInnen ab.

Ziel der Kurztherapie ist es, spezifische Symptome zu beseitigen und tiefgreifendere neurotische oder psychotische Symptome zu verhindern. Sie beschäftigt sich mit der psychogenetischen Vergangenheit der PatientInnen nur soweit, wie diese für die aktuelle Situation eine Rolle spielen. Im Mittelpunkt stehen hier die Unterdrückung des Unbewussten und die Kontrolle der Triebe. Der Therapeut spielt die indirekte und unterstützende Rolle des teilnehmenden Beobachters. Die Methodik der Kurztherapie besteht aus einer Kombination von psychodynamischen, medizinischen und umweltbezogenen Interventionen. Eine Kurztherapie ist indiziert, wenn die PatientInnen akute seelische Qualen, zerstörerische Umstände oder Situationen erleben, die ihr eigenes oder das Leben anderer Personen bedrohen oder eine eingehende psychoanalytische Intervention unnötig ist. Die durchschnittliche Dauer der Behandlung liegt zwischen einer und 20 Einheiten.

Die Krisenintervention zielt darauf ab, eine unmittelbare Krise aufzulösen. Sie ist die logische gedankliche Fortführung der Kurztherapie. Im Zentrum steht die Unterstützung der PatientInnen, denen eine Rückkehr auf ihr vorheriges Funktionalitätsniveau bzw. eine Erhöhung dieses Niveaus ermöglicht werden soll. Der Therapeut ist ein aktiver Teilnehmer, der seine PatientInnen helfend unterstützt. Es können hierbei verschiedene therapeutische Techniken zum Einsatz kommen. Als sinnvoll hat es sich erwiesen, den PatientInnen ein intellektuelles Verständnis ihrer Krise zu vermitteln, ihnen beim herauslassen ihrer Gefühle zu helfen, ihre früheren und aktuellen Bewältigungsmechanismen zu erforschen, ihnen situativen Rückhalt zu verschaffen und ihnen bei ihrer Zukunftsplanung zu unterstützen, um die Wahrscheinlichkeit erneuter Krisen zu senken. Diese Art der Therapie ist angebracht, wenn eine Person plötzlich die Fähigkeit verliert, eine Lebenssituation zu bewältigen.

Caplan betont, eine Krise sei typischerweise auf einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen begrenzt. Dieser Zeitraum stellt eine Übergangsphase dar, die einerseits die Gefahren einer erhöhten psychischen Verletzlichkeit mit sich bringt, andererseits aber auch die Chance des Persönlichkeitswachstums. Im Einzelfall entscheidet die Qualität und Verfügbarkeit der Hilfe in hohem Maße über das jeweilige Ergebnis. Da die Zeit knapp ist, wird ein Therapieklima geschaffen, das die konzentrierte Aufmerksamkeit von PatientInnen und Therapeuten weckt. Hieraus entwickelt sich ein hoher Grad an Zielstrebigkeit, der in scharfem Kontrast zum gemächlichen Tempo der traditionellen Behandlungsmethoden steht.

(vgl. Aguilera D. (2000) S.41 ff.)

[...]

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Stimmenhörer in der Krise - Pflegerische Interventionsmöglichkeiten
Hochschule
LVR-Akademie für seelische Gesundheit; früher Rheinisches Institut für Fort- und Weiterbildung in der Psychiatrie
Veranstaltung
Fachweiterbildung für psychiatrische Krankenpflege
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
30
Katalognummer
V45866
ISBN (eBook)
9783638431965
ISBN (Buch)
9783638658294
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stimmenhörer, Krise, Pflegerische, Interventionsmöglichkeiten, Fachweiterbildung, Krankenpflege
Arbeit zitieren
Thomas van Laar (Autor:in), 2005, Stimmenhörer in der Krise - Pflegerische Interventionsmöglichkeiten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45866

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