Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung / Motivation
2. Grundlegendes
2.1 Definitionen
2.2 Anzahl von Migranten und Ausländern in deutschen Schulen
3. Die Formen der sozialen Benachteiligung
3.1 Empirische Befunde und deren Interpretation
3.2 Die Bedeutung der PISA- Studie
4. Erklärungsansätze
4.1 Bedeutung von Sprachkenntnissen
4.2 Institutionelle Diskriminierung
5. Zusammenfassung
6. Literaturliste
1. Einleitung / Motivation
In vielen schulbezogenen Studien, allen voran PISA, wurden Statistiken erstellt, die unter anderem folgende besorgniserregende Interpretationen hervorbringen: Das deutsche Schulsystem in seiner dreigliedrigen Form sei sehr stark selektiv und völlig veraltet, der Leistungsdruck der auf den Schülern lastet werde immer größer und Schüler aus Migrantenfamilien seien benachteiligt im Vergleich zu den einheimischen deutschen Schülern. Doch der Meinung einiger Wissenschaftler zufolge darf man letzteres Urteil nicht so pauschal stehen lassen. Dazu gebe es zu viele beeinflussende Faktoren, die eine differenzierte Betrachtungsweise des Problems erfordern.
Das Ziel dieser Hausarbeit ist es, mit Bezug auf die aktuellen Erkenntnisse der Sozialwissenschaft, die Benachteiligung der Migranten in der Schule darzustellen und mögliche Erklärungsansätze zu diskutieren. Dabei möchte ich besonders auf den Aspekt der institutionellen Diskriminierung und die Rolle der Sprachkenntnisse eingehen. Zum einen habe ich in meinen Schulpraktika verschiedene Schulformen und auch die Verwirrung und Verärgerung darüber seitens der Schüler und Lehrer kennen gelernt, was mich zu einer näheren Auseinandersetzung mit dem Thema motiviert. Zuletzt interessiere ich mich als Anglistikstudent auch für linguistische Fragestellungen und für die Rolle der Fremdsprachenkenntnisse für den Schulerfolg. Bevor ich mit der Auseinandersetzung des Themas beginne möchte ich zuallererst einige grundlegende Begriffe, die für das Thema relevant sind, definieren.
2. Grundlegendes
2.1 Definitionen
Was ist soziale Ungleichheit? Dazu möchte ich Eickelpasch zitieren, der eine kurze und prägnante Definition liefert: „Als „soziale Ungleichheit“ bezeichnet die Soziologie ein Verhältnis der Über- und Unterordnung, der Begünstigung und Benachteiligung zwischen verschiedenen Gruppierungen von Menschen.“1 Um Ungleichheiten innerhalb der gesamten Gesellschaft zu erklären, gibt es verschiedenen Modelle, die mit Begriffen wie „Schichten“ und „Klassen“ arbeiten. Bei dem hier diskutierten Thema werden die Unterschiede zwischen deutschen und ausländischen Schülern, respektive Migranten, zu betrachten sein. Die Benachteiligung von Migranten in der Schule äußert sich zum Beispiel durch deren schlechtere Schulleistungen und schlechtere Bildungsabschlüsse. Vor allem zeigen sich aber große Unterschiede bei der Verteilung der Schüler auf die Schularten. Diese Punkte werden ausführlich unter 3.1 behandelt.
Die zweite Frage, die geklärt werden muss, ist folgende: Was ist ein Migrant? Dieser Begriff kann im alltäglichen Sprachgebrauch verschiedene Assoziationen wecken, zum Beispiel denkt man an (Spät-) Aussiedler, Gastarbeiter oder politisch verfolgte aus allen Teilen der Welt, die nach Deutschland eingewandert sind. Eine einfache Definition liefert Bernhard Gill: „Eine Migrantin ist eine Person, die […] für längere Zeit oder für immer ihren Lebensmittelpunkt […] im Allgemeinen in ein anderes Land verlegt- sei es aufgrund von Krieg und Verfolgung, wegen ökologischer Verwüstung, aus politischen Gründen, wirtschaftlichen Motiven oder für einen längeren Studienaufenthalt.“2 Aus dieser Definition wird deutlich, dass unter Migranten weit mehr als die oben genannten Gruppen zu verstehen sind. Nun stellt sich die Frage, wer als Migrantenkind gelten soll. Dabei stellt man fest, dass es Kinder gibt, die selbst (meistens mit ihrer Familie) nach Deutschland immigriert sind im Gegensatz zu in Deutschland geborenen Kindern, deren Eltern Migranten sind. Bezüglich dieses Problems haben sich Begriffe wie „Migrantenkinder 1. Ordnung“ und „Migrantenkinder 2. Ordnung“ etabliert (vgl. Diefenbach 2007). Der Einfachheit halber sollte man also von Migrantenkindern sprechen, wenn es einen direkten Bezug des Kindes zu einer Migration gibt. Die PISA- Studie klassifiziert dieser Fragestellung Rechnung tragend jene Schüler als Migrantenkinder, die von mindestens einem nicht in Deutschland geborenen Elternteil abstammen.
Um den Begriff noch deutlicher abzugrenzen, drängt sich die Unterscheidung zu der Bezeichnung „Ausländer“ auf, die mit dem Thema Migration per se erstmal nichts zu tun hat. Als „Ausländer“ werden solche Menschen bezeichnet, die keinen deutschen Pass haben. Nun sind aber viele Migrantenkinder in Deutschland geboren und haben einen deutschen Pass; sie sind hier aufgewachsen und fühlen sich durch die hier stattgefundene Sozialisation als Deutsche. Aufgrund ihres familiären Hintergrundes sieht man ihnen aber meistens an, dass sie „anders“ sind. Das kann dazu führen, dass sie fälschlicherweise als „Ausländer“ bezeichnet und angesehen werden. Da der Begriff „Ausländer“ eher negativ konnotiert ist, werden hier schon erste Schwierigkeiten deutlich, mit denen sich Migrantenkinder auseinanderzusetzen haben.
2.2 Anzahl von Migranten und Ausländern in deutschen Schulen
Zur genauen Anzahl von Migrantenkindern in deutschen Schulen gibt es bis heute noch keine eindeutige Statistik, denn in den amtlichen Bildungsstatistiken werden nur deutsche und ausländische Schüler mit dem Kriterium der Staatsangehörigkeit unterschieden. In der PISA- Studie werde laut Diefenbach als Anteil der Migranten an allen untersuchten Schülern ein Wert von 20% angegeben. Der Ausländeranteil der Schüler betrage deutschlandweit 9,5%, wobei es anscheinend einen großen Unterschied zwischen den westlichen und den östlichen Bundesländern gibt, denn der Ausländeranteil in allen ostdeutschen Bundesländern, mit Ausnahme von Berlin, beträgt etwa 1%, in Hessen beträgt die Quote dagegen 15,1%, Spitzenreiter ist Hamburg mit einer Ausländerquote von 20,5% (vgl. Diefenbach 2007, 42). Wenn man diese Zahlen zugrunde legt, bestärkt sich die Erfahrung, dass vor allem in Großstädten viel mehr Migrantenkinder in den Schulen aufzufinden sind. Im Gegensatz zu eher ländlichen Gebieten ergeben sich somit ganz andere Voraussetzungen für die Migrantenkinder. Entsprechend ließen sich sicherlich auch Unterschiede zu den sozialen Verhältnissen der Migrantenfamilien feststellen. Außerdem scheint es große Unterschiede bei den verschiedenen Schularten zu geben. Näheres dazu im folgenden Kapitel. Für eine grobe Orientierung sind die oben genannten Zahlen aber schon recht hilfreich.
3. Die Formen der sozialen Benachteiligung
3.1 Empirische Befunde und deren Interpretation
Ein entscheidendes Kriterium, welches bei der Diskussion um Benachteiligung von Migrantenkindern in der Schule herangezogen wird, ist die Bildungsbeteiligung. Damit ist gemeint, inwiefern Migrantenkinder Zugang zu den verschiedenen Formen der schulischen Betreuung haben, denn von einer geregelten Schulausbildung hängen die weiteren Lebens- und Karrierechancen ab. Eine erste institutionelle Betreuung erfahren Kinder in Deutschland durch den Kindergarten. Der Besuch ist zwar keine Pflicht, er lohnt sich aber insofern für alle Kinder, weil durch die anregende Umgebung und durch den Kontakt mit anderen Kindern ihre kognitiven und sozialen Fähigkeiten gefördert werden. Nun kann man von einer ersten Benachteiligung sprechen, wenn wie Diefenbach feststellt „ausländische Kinder seltener als deutsche Kinder vorschulisch betreut werden und daher deutschen Kindern gegenüber Nachteilen haben […]“3. Tatsächlich belegen Statistiken, dass ausländische und Migrantenkinder seltener als deutsche Kinder einen Kindergarten besuchen. Das kann natürlich mit der Einwanderung selber zu tun haben, aber auch mit einem fehlenden Wissen der Migranten über entsprechende Einrichtungen. Besonders deutlich werden die so entstehenden Nachteile bei der Sprachfähigkeit der Kinder, auf die ich noch näher eingehen werde. So stellen zum Beispiel die 2002 in Hessen eingeführten Sprachtests vor der Einschulung eine erste ernste Hürde für Migrantenkinder dar. Auch wenn Roland Koch sie als voller Erfolg wertet, gibt es dazu sehr kritische Stimmen.4 Selbst in anderen Ländern scheinen es Migranten schwer zu haben beim Übergang vom Kindergarten in die Primarschule. So stellt Lanfranchi für die Situation in der Schweiz fest, dass „Diese Übergangsschwierigkeiten […] sich insbesondere für die Kinder aus eingewanderten Familien als besonders gravierend [erweisen].“5
Sofern die Kinder die Grundschule erfolgreich absolviert haben, stehen sie am Ende dieser Zeit vor dem Übergang in die Sekundarstufe und sehen sich mit dem dreigliedrigen Bildungssystem konfrontiert. Dabei ist dies eine wichtige Entscheidung, denn obwohl das Schulsystem theoretisch einen Wechsel erlaubt, machen nur wenige Schüler davon Gebrauch. Dabei unterscheiden sich außerdem die Schulabschlüsse immanent in ihrem Wert für die spätere Berufslaufbahn. Seit einigen Jahren gehen immer weniger Schüler auf die Hauptschule, weil ein Hauptschulabschluss heute nicht mehr viel bedeutet. Stetig gestiegen ist dagegen die Schülerzahl an Gymnasien. Insofern ist es schon auffällig, dass der Anteil der Migranten, die eine Hauptschule besuchen fast doppelt so hoch ist wie der Anteil der deutschen Schüler, demnach besuchen 44 Prozent der Migranten eine Hauptschule und nur 24 Prozent der deutschen. Die Verteilung auf dem Gymnasium ist ebenfalls unterschiedlich: 20% der Migranten und 32% der deutschen Schüler besuchen die „beste“ der drei Schularten, was den Bildungsabschluss betrifft (vgl. dazu Gill 2005, 148). Weil der Großteil der Migrantenkinder aus sozial schwachen Familien stammt, kann es hier zu einer so genannten „Statusvererbung“ kommen, und die Migrantenkinder haben kaum Chancen auf einen sozialen Aufstieg.
Letztere These kann man durch die Betrachtung der erworbenen Bildungsabschlüsse von Migranten und Ausländern untermauern: Demnach verlassen mit 40-45% die Mehrheit der Ausländerkinder die Sekundarstufe mit einem Hauptschulabschluss, bei den deutschen Schülern beträgt der Anteil nur 24-26%, der Großteil der deutschen Schüler schafft einen Realschulabschluss (ca.42%). Signifikant ist auch der Unterschied bei den Abiturienten: Während etwa 26% der deutschen Schüler das Abitur schaffen, beträgt der Anteil unter den Ausländern nur 8-11%.6 Diese Zahlen belegen eindeutig eine Benachteiligung von ausländischen Schülern gegenüber den deutschen. Nun kann man argumentieren, dass es sich dabei um eine leistungsgerechte Selektion handelt, dass die deutschen Schüler einfach besser sind. Manche könnten eine Erklärung darin suchen, dass die Migranten, die nach Deutschland kommen, im Allgemeinen einen geringen Sozialstatus haben und dass deren Kinder deshalb im Durchschnitt keine so guten Leistungen erbringen können. Angesichts der genannten Zahlen wäre eine solche Argumentation aber sehr kurzsichtig und fadenscheinig, denn man kann gewisse Mechanismen der Diskriminierung und Benachteiligung nicht verleugnen. Ein gewichtiger Ansatz zur Erklärung dieser Benachteiligung ist die Kritik am Schulsystem, worauf ich in Punkt 4.1 eingehen werde.
Nach dem Schulabschluss streben die meisten Schüler eine Berufsausbildung an. Auch hier scheint es zu Benachteiligungen zu kommen, wie die Schweizerin Susi Stieger in ihrer Abhandlung zur Erlangung der Doktorwürde zeigt:
„Überdurchschnittlich viele Migrantinnen und Migranten besuchen die Berufsausbildung der Anlehre. […] Weil die Anlehre- als unterste, am wenigsten Zugang zu sozial relevanten Ressourcen versprechende Berufsausbildung- nicht für Migrantinnen und Migranten, sondern für ‚vornehmlich praktisch begabte’ Jugendliche eingeführt worden ist, habe ich folgende Hypothese formuliert: Die meisten Migrantinnen und Migranten befinden sich aufgrund ihrer nationalstaatlichen Zugehörigkeit in der Anlehre. Die Beobachtung und die daraus abgeleitete Hypothese habe ich als Phänomen sozialer Ungleichheit interpretiert.“7
Obwohl hier die Situation der Schweiz im Vordergrund steht, zeigt diese Hypothese, dass die Diskriminierung von Migranten nicht mit dem Ende der Schulausbildung abreißt und darüber hinaus keine rein deutsche Angelegenheit ist. Es besteht nicht nur das Problem, dass Migrantinnen und Migranten anscheinend weniger zugetraut wird. Bei der Vergabe eines Ausbildungsplatzes hat ein Arbeitgeber oft die Wahl zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen. Die Entscheidung fällt bei gleichen Qualifikationen eher auf die deutschen Bewerber, in einigen Fällen hilft ihnen sicher das so genannte „Vitamin B“ der Eltern weiter, die als Einheimische ein größeres soziales Netzwerk haben als die Einwandererfamilien.
[...]
1 Eickelpasch 1999, 91
2 Gill 2005, 136 f.
3 Diefenbach 2007, 49
4 Vgl. Punkt 4.2
5 Lanfranchi 2002, 53
6 Diefenbach 2007, 71 ff.
7 Stieger 2003, 266
- Arbeit zitieren
- Johannes Merz (Autor:in), 2007, Die Benachteiligung von Migrantenkindern in der Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/459345
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