Wie wirkt sich die traditionell stereotypische Geschlechtervorstellung auf den Leistungsunterschied zwischen Mädchen und Jungen im Mathematikunterricht aus?


Hausarbeit, 2018

25 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Gliederung

1. Die konstruierte Angst vor Mathematik

2. Traditionelle Geschlechterstereotypen
2.1. Definition begriffliche Entwicklung
2.2. Geschlechterklischees im (Schul-)Alltag
2.3. Persönliche Entwicklung und Einfluss auf das Selbstkonzept

3. Leistungsunterschied im Mathematikunterricht
3.1. Schweizerische Doktorarbeit Kanton Wallis
3.2. Stereotyp-Threat und mathematisches Selbstkonzept
3.3. PISA Ergebnisse
3.4. Fazit der Untersuchungen

4. Wesentliche Vorschläge zur Reduzierung von Genderstereotypen
4.1. Geschlechterrollenidentifikation
4.2. Konzept der Monoedukation
4.3. Konzept der offenen Unterrichtsgestaltung
4.4. Politischer Ansatz

5. Abwägung des stereotypischen Denkens

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abstract

Ziel dieser Seminararbeit ist es, herauszufinden, ob die traditionell stereotypische Geschlechtervorstellung verantwortlich für einen Leistungsunterschied zwischen Jungen und Mädchen ist. Da Stereotypen Konstrukte sind, die uns das Leben erleichtern, verinnerlichen wir stereotypische Geschlechterrollenvorstellungen schon früh. Im Laufe unseres Lebens, wenn sich unsere Identität gestaltet, nutzen wir unsere verfestigten Vorstellungen, um uns in bestimmte Rollen hinein zu entwickeln. Vorherrschende Geschlechterklischees dienen uns als gesellschaftliche Vorlage, sich einem Geschlecht (männlich – weiblich) zuzuordnen und, je nach Erwartungen, geschlechtergerecht zu verhalten. So entwickelt sich das Selbstkonzept für den Mathematikunterricht dementsprechend positiv oder negativ (Mädchen können nicht rechnen – Jungs sind gut in Mathe). Bei dem Vergleich verschiedener Studien stellt sich heraus, dass sich geschlechterspezifische Leistungsunterschiede nach Komplexität der Matheaufgaben und Erhöhung des Alters herausbilden. Während ein Leistungsunterschied zwischen Mädchen und Jungen in den unteren Klassen wenig bis kaum zugegen ist, gibt es in den höheren Klassen erhebliche Unterschiede. Es stellt sich zudem eine große Leistungsdifferenz heraus, wenn die Schüler vor einem Mathetest mit Stereotypen konfrontiert werden. Eine Veränderung der Unterrichtsstruktur kann zu einem besseren Umgang mit der Heterogenität der Schülerschaft führen, wobei geschlechterhomogener Unterricht nicht unbedingt zu dem Ziel, Leistungsunterschiede zu verringern, führt. Entscheidend ist vor allem die stetige Reflektion der Eltern und Lehrenden über ihr eigenes Geschlechterrollenverhalten.

1. Die konstruierte Angst vor Mathematik

Mathematik bestimmt unser Leben. Von Architektur, über unser Steuersystem, bis hin zu jedem technischen Gerät, alles um uns herum ist Mathematik. Die Süddeutsche Zeitung stellt in einem Artikel vom 27.09.2018 „Ein Fach, das die Welt wirklich braucht“ die faszinierende Welt der Mathematik dar. Hierin gibt die Süddeutsche Zeitung basierend auf der Studie der Stiftung Rechnen zu bedenken, dass „fast jedes zehnte Kind Angst vor dem Fach“ hat, insbesondere gab jedes dritte „ältere Mädchen“ an, „sich vor Mathematik zu fürchten“. Das Problem seien zu volle Lehrpläne, das hohe Sicherheitsbedürfnis der Mädchen und „zu heterogene […] Klassen“.

Unter anderem die Aussage der Eltern: „‘Ich war auch schlecht in Mathe‘“ sei entscheidend, mit welcher Motivation und mit welchem Selbstkonzept die Schüler und Schülerinnen dem Mathematikunterricht begegnen (Hoffmeyer 2018). Schließlich heben auch die PISA Ergebnisse hervor, dass Leistungsunterschiede auf mehrere Faktoren zurückzuführen sind, „auf Faktoren, auf die Eltern, Lehrkräfte, Politikverantwortliche und Meinungsführer Einfluss nehmen können“. Bisher bezeichnen sich mehr Mädchen als Jungen in Mathe als „einfach nicht gut“ (OECD 2018), obwohl „geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede nicht auf inhärente Begabungsunterschiede zurückzuführen“ sind (Gurría 2016, S. 6). Interessant ist daher zu betrachten, woher diese Einstellung der Schülerinnen kommt.

Die Frage stellt sich, ob die traditionelle stereotypische Geschlechtervorstellung (insbesondere der Eltern, der Lehrer und Lehrerinnen) einen Einfluss auf das mathematische Selbstkonzept der Mädchen hat und damit einen mathematischen Leistungsunterschied zwischen Mädchen und Jungen hervorruft. Zu beachten ist dabei, dass Geschlechterverhältnisse je nach Kontext (Verständnis, Kultur, usw.) wandlungsfähig und daher nicht unumstößlich sind. Es geht darum, „soziale und kulturelle Deutungen von Geschlecht als Grundlage gesellschaftlicher Unterschiede zu erkennen und diese gezielt in den Blick zu nehmen“ (Mulot und Schmitt 2017, 340f). Sollten mathematische Leistungsunterschiede auf Geschlechterstereotypen zurückzuführen sein, können diese möglicherweise mit gezielten Maßnahmen überwunden werden.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist, im Rahmen der geschlechtergerechten Gleichstellung Ansätze zu finden, wie sowohl Mädchen als auch Jungen in ihrem mathematischen Selbstkonzept unterstützt werden können, damit der Matheunterricht an alle Bedarfe angepasst werden kann. Dazu werden zu Beginn die traditionellen Geschlechterstereotypen definiert, alltägliche Geschlechterklischees beschrieben und deren Entwicklung und Einfluss auf Selbstkonzepte aufgezeigt (vgl. Kapitel 2).

Im weiteren Verlauf werden anhand verschiedener Studien die mathematischen Leistungen der Schüler und Schülerinnen im Mathematikunterricht verglichen und Leistungsunterschiede herausgearbeitet (vgl. Kapitel 3).

Zuletzt werden Ansätze vorgestellt, wie Genderstereotypen im Umfeld der Schülerinnen und Schüler (Bsp.: Unterricht und Erziehung) reduziert werden können, um die Welt der Mathematik beiden Geschlechtern gleichermaßen näher zu bringen (vgl. Kapitel 4).

2. Traditionelle Geschlechterstereotypen

„‘Meist schauen wir nicht zuerst und definieren dann, wir definieren erst und schauen dann‘“

( Lippmann 1922, S. 63. Zitiert in: Abels 2009, S. 181 )

Im Folgenden werden Geschlechterstereotypen definiert, deren kontextuale Entwicklung aufgezeigt und schließlich oft erwähnte Geschlechterklischees beschrieben.

2.1. Definition begriffliche Entwicklung

Der Begriff „Stereotype“ wird im sozialwissenschaftlichen Kontext zum ersten Mal von Walter Lippmann verwendet (Stocker 2005, S. 55). „‘ Ein Stereotypenmodell ist nicht neutral. […] [E]s ist die Projektion unseres Wertbewußtseins, unserer eigenen Stellung und unserer Rechte auf die Welt‘“ (Lippmann 1964 [engl. Orig. 1922], S. 72. Zitiert in: Stocker 2005, S. 56). „Stereotype“ werden benutzt, um neue Situationen im Vorfeld analysieren zu können. Dazu benutzen wir unsere bisher gemachten Erfahrungen und verfestigen Sie zu sogenannten „Schablonen“. (Abels 2009, S. 180).

„Im Prinzip ist jede neue Situation und jede Begegnung mit einem Anderen ein Problem, und es muss sich erst erweisen, dass unsere bisherigen Erfahrungen ausreichen, es zu lösen, dass die Schablone wirklich funktioniert“ (Abels 2009, S. 180).

Unsere Wahrnehmung wird von allgemeinen Vermutungen über „Personen, Gruppen oder Zusammenhänge[n]“ geprägt. Es werden z. B.: nur „wenige, oberflächliche Merkmale“ einer Person beachtet, welche auf „das Ganze und auf alle anderen Fälle“ also z. B.: auf die ganze Person, bezogen werden (Abels 2009, S. 181). „Stereotype stoßen überhaupt nicht auf die individuelle Besonderheit, sondern ordnen die Wirklichkeit rasch und entschieden nach hochgerechneten Einzelerfahrungen.“ (Abels 2009, S. 182).

„‘In dieser Welt haben Menschen und Dinge ihren wohlbekannten Platz und verhalten sich so, wie man es erwartet. Es ist daher kein Wunder, dass jede Störung der Stereotypen uns wie ein Angriff auf die Grundfesten (Korrektur H. A.) des Universums vorkommt‘“ (Lippmann 1922, S. 71f. Zitiert in: Abels 2009, S. 184).

Stereotyp gilt als die Zuordnung von Eigenschaften, die ein Individuum auf eine gesellschaftliche Gruppe bezieht (Eagly und Mladinic 1989, 543f). Letzten Endes entwickeln sich Stereotype aus dem ständigen Anordnen von Schemata und Strukturen. Wir versuchen, unsere Erfahrungen einzuordnen und zu strukturieren (Abels 2009, S. 183). Daraus wollen wir Erkenntnisse gewinnen, um auf neue Situationen vorbereitet zu sein und neues schneller einordnen zu können, dies führt zu Handlungssicherheit. Stereotype dienen dazu, uns nicht immer wieder auf Neues einstellen zu müssen. Unsere vorgefertigten Erwartungen beziehen sich also auf alles, was eine Ähnlichkeit hat, und schließen daraus, dass sich unsere gestellten Erwartungen als Klischee erfüllen.

„Stereotype übertreiben die Bedeutung einzelner Merkmale und verallgemeinern einzelne Fälle. (Abels 2009, S. 183).

Stereotype ermöglichen, zusammen mit Vorurteilen und Diskriminierung, uns eine Einstellung gegenüber einer Person zu bilden. Diese entstehen, „wenn unsere Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen“ von der „sozialen Kategorie“ beeinflusst werden. Stereotyp sei „die kognitive Komponente,“ es „enthält die Gedanken und Überzeugung einer Person gegenüber dem Einstellungsobjekt“ (Ebert und Steffens 2016, S. 14). Unsere Meinung über andere (Personen) entwickeln wir nicht nur durch unsere Ansichten, sie wird auch gebildet durch die „öffentliche Meinung“ in der Alltagskommunikation und der Medien. Je weniger wir als Individuen über Stereotype reflektieren und die Annahmen weitertragen, desto zäher hält sich die gesellschaftlich konstruierte Anschauung (Abels 2009, S. 185).

Es ist festzuhalten: Die Vorteile von Stereotypen sind eine für uns einfache Kategorisierung der Umwelt. Je mehr unsere Erfahrungen Stereotypen entsprechen, desto besser glauben wir, die Welt zu verstehen. Der Nachteil entsteht durch die fehlende Reflektion bestehender Stereotypen und mangelnder Wahrnehmung der Individualität des Gegenübers. Sollte es zur Reflektion kommen, besteht eine weitere Schwierigkeit darin, dass eine Änderung in der eigenen, bzw. der öffentlichen Ansicht nur langsam und schwerfällig in Gang gesetzt wird, insbesondere auch, weil Stereotypen meist emotional und gefühlsgebunden sind.

„Von den Sozialwissenschaften wurde Stereotyp' zur Bezeichnung von emotional geprägten, festgefügten (Vor-)Urteilen gegenüber sozialen Gruppen (Nationen, Religionsgemeinschaften etc.) aufgenommen“ (Stocker 2005, S. 55).

2.2. Geschlechterklischees im (Schul-)Alltag

Typische Geschlechtereigenschaften, also Wahrnehmungen, die auf Klischees beruhen, begegnen uns im Alltag immer wieder. So seien Jungen „aggressiver, dominanter, technisch begabter“ (Timmermann 1998, S. 56), Frauen dagegen emotional und fürsorglich (Timmermann 1998, S. 56). Sie hören auf ihr Bauchgefühl (Schnell 2017, S. 329) und kommunizieren viel, insbesondere ihr non-verbaler Sinn sei besonders ausgeprägt (Eagly und Mladinic 1989, S. 9). Zudem seien Frauen „unsicher“ und „hilfsbedürftig“, doch sehr fleißig. Jungen dagegen seien „kreativer“. Laut Ansicht der Lehrer und Lehrerinnen fehle den Jungen nur mehr der Wille, gute Leistung zu erzielen, während dies bei Mädchen schneller auf „intellektuelle Mängel“ zurückgeführt wird (Budde 2009, 6f).

So hält sich auch das Vorurteil, „Jungen können rechnen, Mädchen besser reden“ (Budde 2009, S. 1). Folglich existiert „bei Lehrkräften, Eltern, Schülerinnen und Schülern“ das traditionelle Geschlechterstereotype, dass Jungen im Gegensatz zu Mädchen mathematisch höher begabt seien (Budde 2009, S. 9).

2.3. Persönliche Entwicklung und Einfluss auf das Selbstkonzept

Das Selbst „drückt zum einen den Rückbezug auf die eigene Person aus (z. B.: in der Kategorie Selbstwert), zum anderen wird das Selbst als das Gesamt der innerpsychischen Struktur angesehen, als reizverarbeitende und handlungsleitende Instanz […]. Die Strukturbildung des Selbst basiert auf realen Erfahrungen und deren innerer (emotionaler) Bewertung. […] Mehrere ähnliche Erinnerungen werden miteinander vernetzt oder ‚zusammengeschaltet‘ […] [zu] verallgemeinerten Abbildungen dieser Erinnerungen […]. Die so entwickelten Schemata sind – notwendigerweise – sehr stabil und streben tendenziell eher danach, wieder bestätigt zu werden. […] Diese sehr stabilen Strukturelemente bilden die grundlegende Art eines Menschen ab, mit der er der Welt begegnet.“ (Mulot und Schmitt 2017, 746f).

Die Definition der Selbstentwicklung verdeutlicht ein weiteres Mal, wie sehr sich Erfahrungen auf die individuelle Wahrnehmung der Welt auswirken. Begegnet man immer wieder den gleichen Vorstellungen und Erwartung und wird man für sein eigenes Handeln gelobt, ignoriert oder getadelt, verfestigt sich die Erinnerung, wie man sein soll, zu einem Selbstkonzept.

In Kontext dieser Arbeit bedeutet das, wenn Schülerinnen und Schülern immer wieder Geschlechterstereotypen begegnen (z.B.: Mädchen sind ordentlicher), kann sich aus ihren Erfahrungen heraus eine spezifischen Geschlechterrollenidentifikation entwickeln. Sie werden gelobt für ihr geschlechtergerechtes Verhalten und leben sich in ihre Rolle hinein. Da heraus kann sich in bestimmen Bereichen, wie dem Matheunterricht, ein eigenes positiv konjungiertes Selbstkonzept entfalten oder eben auch ein negatives (Nuissl 2006, S. 31).

So setzt sich die Leistung im Unterricht aus zwei unterschiedlichen Faktoren zusammen, sogenannte „internale und externale Faktoren“. Mit externalem Faktor (soziologische Umwelt) sind Unterrichtsmerkmale und äußere Gegebenheiten gemeint, die „Einflüsse von Seiten der Lehrpersonen, der Eltern und der Peergroup“ (Jacqemet et al. 2009, 7f). Mit dem internalen Faktor ist das Selbstkonzept / die Selbstwirksamkeitsüberzeugung gemeint. Dazu wirken u.a.: „räumlich-visuelle Fähigkeiten“, „Attribution von Erfolg und Misserfolg“, „Interesse“, „Angst vor Erfolg“, „Geschlechterrollenidentität“ und auch „Geschlechterrollenstereotype“. Es wird also deutlich, dass Geschlechterrollenstereotype als ein Teil (von mehreren) auf das (mathematische-) Selbstkonzept einwirkt.

Die Gesamtheit der Internalen Faktoren bestimmen das Selbstkonzept und die Selbstwirksamkeitsüberzeugung. Beide Faktoren stehen in Wechselwirkung zueinander (Jacqemet et al. 2009, S. 7) und beeinflussen wiederum die Leistung im Mathematikunterricht. Diese werden im folgenden Kapitel betrachtet.

3. Leistungsunterschied im Mathematikunterricht

In diesem Kapitel werden verschiedene Ergebnisse vorgestellt, die sich mit dem Thema Matheleistungen und Geschlecht befassten.

3.1. Schweizerische Doktorarbeit Kanton Wallis

Im Folgenden werden die empirischen Ergebnisse der Forschungsgemeinschaft Mathematik und Geschlecht der Pädagogischen Hochschule Wallis (Schweiz) aufgezeigt. Bei ihrer „Untersuchung über die Gründe unterschiedlicher geschlechtsspezifischer Mathematikleistungen von Schülerinnen und Schülern im Kanton Wallis“ schließen sie folgende Faktoren mit ein:

- „[…] Die Identitätssuche auf dem Hintergrund von sozial vermittelten, geschlechtsspezifischen Stereotypen, sozial vermittelte Erwartungen und Einschätzungen gegenüber sich selbst, Gruppenbildung und in Gruppen eingelagerte soziale Stereotype“,
- „Interaktion zwischen Lehrpersonen und Schülern1“,
- „Die Einstellungen und Erwartungen von Lehrpersonen2“,
- „Die koedukative Schulform als Verstärk[ung] bereits vorhandener Stereotypen [und dadurch] Benachtilig[ung] [der] Mädchen gegenüber den Knaben
- „De[r] Lehrplan [..] [spreche] ab der 7. Klasse […] Knaben stärker an als Mädchen“, und die „unterschiedlichen Berufsperspektiven von Knaben und Mädchen“ (Jacqemet et al. 2009, S. 15).

Sie kommen auf die Ergebnisse, dass in Primarschulen „keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Mathematikleistungen vorkommen“ (Jacqemet et al. 2009, S. 20). Getestet wurden hierbei 92 Schulzentren, wobei in 46 Zentren die Mädchen und in 46 Zentren die Jungen besser waren.

Eine andere Studie, die 115 Grundschüler in Unterfranken nach Lerndefiziten einteilt (kein Defizit, rechnerisches Defizit, schriftsprachliches Defizit, kombiniertes Defizit) bestätigt, dass Mädchen und Jungen - ohne Lerndefizite bzw. mit kombinierten Lerndefiziten - die gleichen Leistungen erbrachten. Die Gruppen mit je einem Lerndefizit wiesen unterschiedliche Leistungen auf. Es ist zu betonen, dass bei der Gruppe mit rechnerischen Defiziten mehr Mädchen vertreten sind. Doch laut den Forschern bildete das Geschlechterverhältnis in allen Gruppen keinen „signifikanten Unterschied“ (Schneider und Schwenck 2003, 215ff.). In den unteren Klassen ist also noch kein geschlechtlicher Leistungsunterschied festzustellen.

Dagegen zeigen sich in höheren Klassen „geschlechtsspezifische Unterschiede […] vor allem in der Geometrie“ (Jacqemet et al. 2009, S. 21). Getestet wurden die Jahrgangsstufen 7 - 9 - mit einfachen und komplexen Anforderungen. Insgesamt sind „Unterschiede zwischen Mädchen und Knaben […] besonders ausgeprägt in den ‚tieferen‘ Niveaus am Ende der obligatorischen Schulzeit“ (Jacqemet et al. 2009, S. 21). Die Forscher erhielten aber nur in der 3.Oberstufe Niveaustufe II ein ausschlaggebendes Resultat im Unterschied von Mädchen zu Jungen.

„Dennoch ergaben sich im Rahmen dieser Studie im Gesamten auf Sekundarstufe I […] in 7 von 8 Schulzentrumskategorien für die Mädchen Abweichungen zu ihren Ungunsten“ (Jacqemet et al. 2009, S. 23). Es kann also vermutet werden, dass es in höheren Klassen geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede in der Mathematik gibt. Nachfolgend wird nun untersucht, ob der Leistungsunterschied durch Stereotypen beeinflusst wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 - Anzahl Jungen respektive Mädchen besser bei den Gesamttests

3.2. Stereotyp-Threat und mathematisches Selbstkonzept

In der Forschungsgemeinschaft Mathematik und Geschlecht wurden mehrere Studien verglichen. Sie zeigten auf, dass Unterschiede im mathematischen Selbstvertrauen bereits in den Grundschulen entstehen (Jacqemet et al. 2009, S. 9). Es gibt verschiedene Untersuchungen, die zeigen, dass die Konfrontation mit geschlechtsbehafteten Vorurteilen, Klischees oder stereotypischem Denken zu einer Verschlechterung der Mathematikleistung führt (Anzirk 2011, S. 16).

Weitergehend wird in der Studie von Herrmann Johanna und Vollmeyer Regina Das mathematische Selbstkonzept als Moderator des Stereotyp-Threat und Stereotyp-Lift Effekt beschrieben, wie sich die Aktivierung von Stereotypen auf die Mathematikleistung der Schüler und Schülerinnen auswirkt und wodurch das mathematische Selbstkonzept wirkt. Es nahmen 97 Schüler und Schülerinnen der 10. Jahrgangsstufe an der Studie teil. „Das Ziel dieser Studie besteht darin, zu überprüfen, inwiefern ein hohes mathematisches Selbstkonzept Effekte positiver und negativer Stereotypisierung im Leistungskontext beeinflusst“ (Hoffmeyer 2018, S. 225).

Die Studie dient dazu „das Verständnis für die unterschiedliche Leistung von Mädchen und Jungen in Mathematik weiter zu vertiefen“. Die Forscher gehen davon aus, „dass es geschlechtsspezifische Unterschiede im Umgang mit Stereotypen gibt, weshalb auch in dieser Studie Mädchen und Jungen gemeinsam untersucht w[u]rden“ (Hermann und Vollmeyer 2017, S. 225). Die Verteilung der Schüler erfolgte nach dem Zufallsprinzip auf zwei Gruppen. In der Stereotype-Threat-Gruppe waren 27 Jungen und 20 Mädchen, während sich in der Kontrollgruppe 28 Jungen und 22 Mädchen befanden (Hermann und Vollmeyer 2017, S. 226).

Erst wurde das mathematische Selbstkonzept der Schüler anhand der Mathematikskala Domain Identification Measure von Smith und White erhoben, bevor die Schüler dann, je nach Zugehörigkeitsgruppe, einen Artikel lasen. Der Artikel „‘Mathematik in der Alltagssprache‘“ enthielt nur „neutrale Informationen“ über Mathematik, während der andere Beitrag „‘Warum nur Jungs Spitze in Mathe sind?‘“ als „Manipulation“ verwendet wurde um den sogenannten „Stereotype Threat“3, also „die mathematische Unterlegenheit von Mädchen“ auszulösen (Hermann und Vollmeyer 2017, S. 225).

Im Anschluss mussten die Jugendlichen auf einer 7-stufigen Lickert-skala angeben, „wie stark sie persönlich an ein gleiches Leistungsvermögen beider Geschlechter in Mathematik glauben“ (Hermann und Vollmeyer 2017, S. 226). Schließlich wurde der Mathematiktest innerhalb von 45 Sekunden absolviert (Hermann und Vollmeyer 2017, S. 226). Trotz der Manipulation mit dem Artikel gab es kein[en] signifikante[n] Unterschied zwischen den Versuchsbedingungen“ (Hermann und Vollmeyer 2017, S. 227). „Probanden der Stereotype-Threat-Gruppe glaubten nur geringfügig weniger an eine ausgeglichene mathematische Kompetenz der Geschlechter als Probanden der Kontrollgruppe“ (Hermann und Vollmeyer 2017, S. 227).

[...]


1 „Die Interaktion zwischen Lehrpersonen und Schülern bezüglich des Frage- und Antwortverhaltens im Unterricht sowie der Attributionsstile sind geschlechtsspezifisch geprägt.“

2 Geringere Leistungserwartung werden an Mädchen gestellt

3 Stereotype Threat in diesem Kontext = „mathematische Inkompetenz von Frauen“ Hermann und Vollmeyer 2017, S. 226.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Wie wirkt sich die traditionell stereotypische Geschlechtervorstellung auf den Leistungsunterschied zwischen Mädchen und Jungen im Mathematikunterricht aus?
Hochschule
Hochschule für angewandte Wissenschaften Landshut, ehem. Fachhochschule Landshut
Note
2,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
25
Katalognummer
V459649
ISBN (eBook)
9783668894785
ISBN (Buch)
9783668894792
Sprache
Deutsch
Schlagworte
geschlechtervorstellung, leistungsunterschied, mädchen, jungen, mathematikunterricht
Arbeit zitieren
Julia Grübl (Autor:in), 2018, Wie wirkt sich die traditionell stereotypische Geschlechtervorstellung auf den Leistungsunterschied zwischen Mädchen und Jungen im Mathematikunterricht aus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/459649

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