Vom "konservativen Wohlfahrtsstaat" zum "aktivierenden Sozialstaat". Geschlechterspezifische Auswirkungen des Aktivierungsinstruments atypischer Beschäftigungen


Hausarbeit, 2018

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Vom „konservativen Wohlfahrtsstaat“ zum „aktivierenden Sozialstaat“
2.1 Konzept des aktivierenden Sozialstaates
2.2 Konzept des aktivierenden Arbeitsmarktes

3 Gleichstellungspolitik innerhalb des Aktivierungsdiskurses
3.1 Das sozialpolitische Instrument der atypischen Beschäftigung
3.2 Auswirkungen atypischer Beschäftigung auf das Geschlechterverhältnis

4 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Wir brauchen Gleichheit beim Start, nicht im Ergebnis, eine Politik der zweiten Chance. Das Stichwort ist der aktivierende Staat. Wir müssen Instrumente in die Hand nehmen, die Selbsthilfe, Eigeninitiative und Unternehmertum fördern.“

Mit diesen Worten beschrieb der ehemalige Kanzleramtsminister Bodo Hombach (1998: 12) die „Ausweitung der Chancengleichheit“ als Leitgedanke der Modernisierung von Staat und Verwaltung, der sogenannten „Aktivierung“ des Staatsverständnisses.

Die Rede ist von den unübersehbaren, insbesondere seit den 1980er Jahren in Bewegung geratenen, Arbeits- und Lebenswelten. Unter der treibenden Kraft dessen ist die maßgebliche Transformation vom „versorgenden Wohlfahrtsstaat“ zum „aktivie­renden Sozialstaat“ zu verstehen.

Mittels der metaphorischen Schlagwörter „Trampolin“ und „Sprungbrett“ erläuterten sowohl Hombach (1998: 18) als auch der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (1999: 895) das verfolgte Ziel, Erwerbslose in den Arbeitsmarkt „zurückzukatapultieren“ und folglich den Arbeitsmarkt, die Anbieter öffentlicher Leistungen sowie die BürgerInnen mit Hilfe Flexibilisierungs-, Deregulierungs- und Subjektivierungsprozessen zu „aktivieren“.

Da feministische Emanzipationsbewegungen den Paradigmenwechsel erheblich mitgestalteten und die Zusammenhänge zwischen Erwerbs- und Produktionsarbeit in die Öffentlichkeit trugen, gewann vor allem die Vermittlung von Frauen in den Arbeitsmarkt zunehmend an Bedeutung (vgl. Gottschall 2010: 672). Im Zuge dessen sollten sozialpolitische Instrumente, mitunter durch neue Erwerbsformen, einen Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter leisten und das zuvor im Wohlfahrtsstaat vorherrschende „Männliche Ernährermodell“ zu einem „egalitären Zweiverdienermodell“ reformieren (vgl. Dingeldey 2006).

Interessant erweisen sich an dieser Stelle die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes (2017: 357f.), welche im Jahr 2016 von insgesamt 7665 atypisch Beschäftigten 2302 männliche und 5313 weibliche ArbeitnehmerInnen verzeichnen.

Welche Ursachen dieser derartigen Frauendominanz zugrunde liegen, welchen Beitrag das reformierte Staatsverständnis dazu leistet und ob das eingangs erläuterte Ziel eines Aufbruchs der strikten Geschlechterrollenzuweisungen in der Umsetzung realisiert wurde, steht im Mittelpunkt der Arbeit.

Vor diesem Hintergrund wird sich im weiteren Verlauf folgender Forschungsfrage angenommen: „Inwieweit trägt der aktivierende Arbeitsmarkt zu einer Veränderung des Geschlechterverhältnisses am Beispiel atypischer Beschäftigungsverhältnisse bei?“

Um ein grundlegendes Verständnis zu verschaffen, wird zu Beginn eine schemenhafte Darstellung der Prämissen des Paradigmenwechsels gegeben, gefolgt von den wesentlichen Konzeptinhalten des „aktivierendes Sozialstaates“.

Da im Mittelpunkt der aktivierenden Sozialpolitik die Universalisierung der Arbeitsmarktteilhabe steht, wird im Anschluss grob aufgezeigt, welche Veränderungen sich unter dem Schlagwort „aktivierender Arbeitsmarkt“ vollzogen haben. Darüber hinaus wird sich der Fragestellung angenähert, in dem gleichstellungspolitische Veränderungen innerhalb des Aktivierungsdiskurses aufgezeigt und folglich die Regelungen der Sozialgesetzbücher auf ihre Geschlechtsneutralität geprüft werden. Um der Frage eine präzise Beantwortung zu ermöglichen, wird sich im weiteren Verlauf dem Aktivierungsinstrument atypischer Beschäftigungsverhältnisse angenommen. Grundlage dessen ergibt sich aus der Annahme, dass die aus den aktivierenden Arbeitsmarktprinzipien resultierenden, atypischen Erwerbsformen die Relation der Geschlechter erheblich prägen.

Im nächsten Kapitel werden dessen Auswirkungen auf die Geschlechterdifferenzen herausgearbeitet, woraufhin schlussendlich die Forschungsfrage innerhalb des Fazits Beantwortung findet.

2 Vom „konservativen Wohlfahrtsstaat“ zum „aktivierenden Sozialstaat“

Nicht zu übersehen ist der allgegenwärtige, prozesshafte Strukturwandel innerhalb der Sozialpolitik. Neben unzähligen Einflussfaktoren und Beweggründen, welche einen Wandel des Sozialstaats bedingen, nimmt vor allem die politische Inanspruchnahme neuer sozialstaatlicher Strukturen, der sogenannten „Aktivierung“, eine wesentliche Rolle ein (vgl. Lessenich 2012: 41 ff.).

Innerhalb der vergangenen zwei bis drei Jahrzehnte drängten Finanzmiseren, steigende Staatsverschuldungen, ansteigende Arbeitslosigkeit, die Globalisierung und viele weitere Problemstellungen die deutsche Gesellschaft zu einer zeitnahen Problemlösung.

Dem enormen Handlungsbedarf begegnete der Staat, in dem Bill Clintons und Tony Blairs Idee des „dritten Weges“ als die moderne sozialdemokratische Politik, aufgegriffen wurde.

Unter der Rot-Grünen Bundeskoalition und der Kanzlerschaft Gerhard Schröders wurde die neoliberale Idee einer „aktivierenden“ Wende in das Leitbild der „Neuen Mitte“ integriert. Diese fand im Jahre 2003 in Gestalt der „Agenda 2010“ den Eingang in das Regierungsprogramm. (vgl. Galuske 2004: 1, Büschken 2017: 28f.)

Armutsbekämpfung und Arbeitsmarktreformen wurden zu den Hauptangelegenheiten erklärt, es entstand eine Debatte über Sozialleistungsmissbrauch und es sollte eine gewisse Abhängigkeit von Transferleistungen erreicht werden. Infolgedessen wurde auf eine Reform des passiven Leistungsbezuges zu einer aktiven Leistungserbringung abgezielt (vgl. Lessenich 2018: 24f.). Mit Inkrafttreten der „Hartz-Gesetze“, der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II, fand die Transformation vom versorgenden Wohlfahrtsstaat zum aktivie­renden Sozialstaat ihren vorläufigen Höhepunkt (vgl. Galuske 2004: 8).

2.1 Konzept des aktivierenden Sozialstaates

Unter der Neuausrichtung des aktivierenden Sozialstaates ist eine grundlegende Veränderung innerhalb des individuellen und gesellschaftlichen Zusammenspieles der Verantwortung zu verstehen.

Mit dem grundsätzlichen Wandel des Staatsverständnisses wird der wechselseitige Auftrag des Sozialstaates in Form einer neuen Balance von Rechten und Pflichten modifiziert. In dem neuen Verhältnis zwischen Staat und BürgerInnen agiert die „öffentliche Hand“ als ErzieherIn seiner SozialstaatsbürgerInnen. „Erzogen“ werden soll das Verhalten der individuellen BürgerInnen hin zu arbeitsmarkttauglichen AkteurInnen. Um die Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt sicherzustellen, wird der Fokus auf die Ressourcenherstellung und -optimierung gelegt, wodurch sich das interventionistische Staatsverständnis zunehmend zur Privatisierung verändert. Dem Arbeitsmarkt wird die Rolle eines idealen Mechanismus zugeschrieben, welcher gesellschaftliche Defizite erkennen und ausgleichen könne. Folglich entsteht durch die Arbeitsoptimierung und die Marktentgrenzung eine Subjektivierungstendenz, bei der die Wohlfahrtsproduktion in die Hand jedes/ jeder einzelnen selbst gelegt wird. (vgl. Lessenich 2018: 23f.)

Diese Form der Verantwortungsübertragung ist durch Selbstkontrolle, -ökonomisierung sowie -rationalisierung geprägt (vgl. Voß 2007: 98f.).

Um die verfolgten Ziele des Aktivierungsdiskurses zu erlangen, somit die Selbstverantwortung der BürgerInnen auf eine marktkonforme Lebensorientierung zu verlagern und sie zu Subjekten des Arbeitsmarktes umzuformen, konstituiert der Staat sich als „Gewährleistungsstaat“.

Mithilfe sozialpolitischer Interventionen, angefangen bei der „Riester-Renten-“Einführung, über die „Hartz“-Gesetze, das Kinder- und Elterngeld, frühkindlicher Bildung, bis hin zur Expansion der öffentlichen Kinderbetreuung, versucht der Staat Anreize zur Förderung der BürgerInnen zu schaffen. Die arbeitsmarktpolitischen „Förderungsinstrumente“, welche Vermittlung, Beratungs-, Weiterbildungs- sowie Dienstleistungsangebote umfassen, stehen jedoch in enger Verbindung mit etlichen Einforderungen. (vgl. Lessenich 2018: 24; Dahme/Wohlfahrt 2003: 75ff.; ebenso Büschken 2017: 28)

Innerhalb der zu aktivierenden Ebenen der NutzerInnen, der Anbieter öffentlicher Leistungen bis hin zu der Ebene des Arbeitsmarktes, werden im darauffolgenden Kapitel genannte „Förderungen“, „Forderungen“ sowie dessen Konsequenzen in Bezug auf die Arbeitsmarktebene aufgezeigt (vgl. Galuske 2004: 5).

2.2 Konzept des aktivierenden Arbeitsmarktes

Der Leitgedanke „aktivierender“ Sozialstaatspolitik liegt in dem Bestehen und der Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Um dieser verfolgten Zielsetzung gerecht zu werden, muss die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes gesteigert und folglich „Beschäftigungshindernisse“ zunehmend beseitigt werden. Der Versuch eines solchen Hindernisabbaus bei gleichzeitiger Lohnarbeitszentrierung, äußert sich sowohl in Flexibilisierungs- als auch Deregulierungsmaßnahmen der Arbeitsmärkte, vor allem seitens des Personals.

(vgl. Büschken 2017: 237)

Die Aktivierung äußert sich in Form arbeitsmarktzentrierter Maßnahmen unter anderem in der Aufweichung von Flächentarifverträgen, dem Abbau von Arbeitsnehmerschutzrechten, wie beispielsweise dem Kündigungsschutz sowie der Expansion flexibler, befristeter, atypischer Beschäftigungsverhältnisse (vgl. Galuske 2004: 5). Abgezielt wird demnach auf die Aufwertung der flexiblen Marktfähigkeit der ArbeitnehmerInnen.

Getreu dem Motto „Fördern und Fordern“ wird vor allem in der Arbeitsmarktpolitik an die Selbstverantwortung der BürgerInnen appelliert. Im Rahmen der genannten Aktivierungsstrategien wird das Verknüpfen von Rechten und Pflichten mit Sanktionen legitimiert (vgl. Lessenich 2012: 41ff).

Um die gänzliche Teilhabe am Arbeitsmarkt weitestgehend zu etablieren, versucht der aktivierende Sozialstaat arbeitsmarktkonformes Verhalten der ArbeitnehmerInnen mittels Arbeitsanreize, Sanktionen und Konditionierung sozialer Leistungen zu steuern (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2003: 75ff.).

Das von den Hauptakteuren verfolgte Ziel, die mobilen ArbeitnehmerInnen vermehrt in Beschäftigung zu führen, erweist sich in der Umsetzung allerdings äußerst ambivalent.

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Vom "konservativen Wohlfahrtsstaat" zum "aktivierenden Sozialstaat". Geschlechterspezifische Auswirkungen des Aktivierungsinstruments atypischer Beschäftigungen
Hochschule
Frankfurt University of Applied Sciences, ehem. Fachhochschule Frankfurt am Main
Veranstaltung
Aufbaumodul Gesellschaft, Ökonomie, Sozialstaat (sozialpolitische Bezüge)
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
15
Katalognummer
V459650
ISBN (eBook)
9783668907256
ISBN (Buch)
9783668907263
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialstaat, Aktivierungsdiskurs, Atypische Beschäfigung, aktivierend, Wohlfahrtsstaat, Frauen, Politik, Soziale Arbeit, Auswirkung, Aktivierung, Agenda 2010, Hartz IV, Gerhard Schröder, workfare
Arbeit zitieren
Sina Schütte (Autor:in), 2018, Vom "konservativen Wohlfahrtsstaat" zum "aktivierenden Sozialstaat". Geschlechterspezifische Auswirkungen des Aktivierungsinstruments atypischer Beschäftigungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/459650

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