Ein Fortbildungskonzept "Pädagogik praxisnah"


Diplomarbeit, 2011

91 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG
1.1 Begrundung des Fortbildungskonzeptes
1.2 Rahmenbedingungen
1.3 Personliches Leitbild/ Philosophie

2. PADAGOGISCHES VERSTANDNIS
2.1 Ansatze des systemisch-konstruktivistischen Denkens
2.2 Selbstgesteuertes Lernen
2.3 Lebenslanges Lernen und Emotionen
2.4 Erwachsenenbildung

3. DIE IDIOLEKTISCHE GESPRACHSFUHRUNG ALS HALTUNG UND METHODE

4. ETHISCHE FALLBESPRECHUNGEN ALS HALTUNG UND METHODE

5. KOMPETENZORIENTIERTE PRAXISANLEITUNG NACH PROF. DR. CHRISTA OLBRICH

6. ZIELE DER FORTBILDUNGSVERANSTALTUNG - ODER: WOHIN SOLL DIE REISE GEHEN?
6.1 Lehr- und Lernziele (inhaltlich]

7. ERFAHRUNGEN AUS DER ERSTEN FORTBILDUNGSSEQUENZ

8. METHODISCHE UBERLEGUNGEN

9. FORTBILDUNGSVERLAUF
9.1 Planungsentscheidungen

10. SCHLUSSWORT - ODER: DIE REISE GEHT WEITER

11. SKRIPT FUR DIE FORTBILDUNGSTEILNEHMERINNEN

12. LITERATURVERZEICHNIS

Anhang ist nicht in der Arbeit enthalten

1. Einleitung

Vorweggenommen mochte ich bemerken, dass ich mich der besseren Lesbarkeit halber durchweg der weiblichen Form bedient habe. Fur diese habe ich mich be- wusst entschieden, da der grofeere Anteil an Auszubildenden, Pflegefachkraften und somit auch Fortbildungsteilnehmerinnen aus weiblichen Teilnehmerinnen besteht. Der mannliche Anteil ist hier selbst verstandlich ebenfalls angesprochen. Des Weiteren verwende ich die Worte „Fortbildung" und „Seminar" synonym.

In der vorliegenden Diplomarbeit nutze ich Prof. Dr. Christa Olbrichs Konzept zur kompetenzorientierten Praxisanleitung, erganze dieses mit Inhalten aus der Idio- lektik und der Ethik und entwickele daraus eine zweitagige Fortbildung. Diese wird unter der Uberschrift „Padagogik praxisnah" fur bereits ausgebildete Praxi- sanleiterinnen angeboten. Gewachsen ist die Konzeption auf dem Boden der Kom- petenzorientierten Praxisanleitung und wurde Schritt fur Schritt mit den Inhalten der Konstruktivistischen Padagogik, der Idiolektik und der Ethik verwoben.

Die gewichtige Bedeutung der Thematik „Praxisanleitung" wahrend der Altenpfle- geausbildung erschloss sich mir erst in Ganze im Laufe meines Studiums zur Di- plom Pflegepadagogin (FH). Ich entwickelte im Schulalltag wahrend des Hauptstu- diums eine Sensibilitat fur die haufig kaum wahrnehmbaren Zwischentone - vor allem bezuglich der Theorie-Praxisproblematik, die in der Schulerinnenbegleitung und in dem daraus entstehenden Kontakt mit den Praxisanleiterinnen beobachtet werden konnten.

Zu beobachten waren ein gewisses Mafe an Unbewusstheit und Hilflosigkeit seitens der Praxisanleiterinnen im Umgang mit ihren Schulerinnen und in Bezug auf ihren Aufgabenbereich. Im Gegenzug war seitens der Schulerinnen eine deutliche Unzu- friedenheit in Bezug auf den Theorie-Praxistransfer zu spuren, besonders in Hin- blick auf die mangelnde Moglichkeit, in der Schule erworbenes Wissen kreativ aus- zuprobieren und zu erleben - und zwar innerhalb eines geschutzten Anleitungs- rahmens - Nur so kann jedoch meines Erachtens eine eigene Haltung zum Beruf aufgebaut werden.

Wahrend der Zeit meiner eigenen Ausbildung, waren examinierte Pflegekrafte vor Ort fur Fragen zuganglich, explizite Anleitungssituationen erinnere ich jedoch nicht oder nur sehr frequentiert bei medizinisch ausgerichteten Aufgaben, wie et- wa dem Medikamente richten oder auch dem Setzen einer intramuskularen Injek- tion.

Dem Herzstuck des so vielseitigen Berufes, der Interaktion und somit Kommunika- tion mit dem alten Menschen, sowie die standigen und taglichen Beruhrungspunk- te mit ethisch relevanten Themen wie: Wurde, Selbstbestimmung, Achtung, Gren- zen setzen und akzeptieren, Selbstliebe und Nachstenliebe, etc., wurde allein in der theoretischen Ausbildung Rechnung getragen oder eben im Pflegealltag gelebt oh- ne hinterfragt und reflektiert zu werden. In der Pflegepraxis gab es wenig Raum fur etwaige Bedurfnisse der Auseinandersetzung mit den oben genannten Themen. Gerade diesem Herzstuck mochte ich mich besonders widmen und es ist mir ein personliches Anliegen, den Fortbildungsteilnehmerinnen eine gewisse Art von Hal- tung zu vermitteln, vorzuleben und anzubahnen, mit welcher sie Schulerinnen und Bewohnerinnen wertschatzend begegnen. Diesem Anliegen nach wahle ich Me- thoden und Inhalte gezielt aus.

In der Zeit meines Hauptstudiums an einer stadtischen Altenpflegeschule und mehreren Praktika an Alten- und Krankenpflegeschulen wurde ich mit der derzei- tigen Anleitungsrealitat konfrontiert und merkte, dass sich diese seit meiner Aus­bildung im Jahr 1997 schon stark verandert hatte, jedoch gerade in berufspoliti- scher, kommunikationstechnischer und spiritueller Hinsicht durchaus erweiterbar ware. Nach der neuen Gesetzeslage, sowohl in der Alten- als auch in der Kranken- pflege, wird eine Praxisanleiterin mit mindestens 200 Stunden Weiterbildung ge- fordert und mittlerweile auch von den Heimen und Krankenhausern gestellt.

Ich erlebe in meiner momentanen Tatigkeit als freie Dozentin an zwei grofeen Wei- terbildungsinstituten, dass die Motivation der einzelnen Teilnehmerinnen die Wei- terbildung zu absolvieren haufig nicht intrinsischer Natur ist. Auch extrinsisch konnen nicht viele Grunde angegeben werden, wie etwa eine leistungsgerechte Vergutung oder andere Annehmlichkeiten, die dazu fuhren, diese verantwortungs- volle Aufgabe zu ubernehmen. Sondern, es gibt schlicht und ergreifend eine gesetz- liche Vorgabe, der die Heimbetreiber und Pflegedienstbetreiber nachkommen und berufserfahrene, fachlich qualifizierte, examinierten Pflegekrafte zur Weiterbil­dung verpflichten. Dazu bemerkt Muller (1994: 160) „Generell lafet sich behaupten, dafe die Lernerfolge bei einer nicht motivierten, sondern fremdbestimmten Teil- nahme an Weiterbildung meist gering sind". Diese Erfahrung betrifft nicht die Ge- samtheit aller Teilnehmerinnen, denn ich habe durchaus engagierte, verantwor- tungsvolle und wissbegierige Teilnehmerinnen, denen sehr am Nachwuchs gelegen ist, und die durchaus Anleitung nicht nur als das ,Vormachen von Mafenahmen' verstehen, sondern auch weit daruber hinaus denken ,denen es jedoch bisher kon- zeptionell an Moglichkeiten fehlte, beispielsweise die aktiv-ethische Kompetenz bewusst in der Anleitungssituation zu berucksichtigen und mit ein zu beziehen. Hier wurde ich gerne ansetzen, neugierig machen, provozieren und den Teilneh- merinnen im gunstigsten Fall einen Perspektivenwechsel ermoglichen.

Gleichwohl bin ich der Uberzeugung, dass es eine Weiterentwicklung und Um- strukturierung, sowohl in der Auswahl von zur Praxisanleiterin geeigneten Perso- nen, als auch an Weiterbildungsinhalten und Anreizen diese zu absolvieren, geben muss, um allen Facetten des (Alten)pflegeberufes gerecht zu werden und Schule- rinnen entsprechend auszubilden, namlich mit dem Ziel aktiv-ethisch handelnde, fachlich kompetent ausgebildete Fachkrafte zu werden.

Daraus lasst sich mit den Worten Diltheys (1974: 201 f. in Gieseke 2009: 114) meine Haltung hinter dieser Fortbildung im Rahmen dieser Diplomarbeit formu- lieren: „Wir verstehen einen Menschen nur, indem wir mit ihm fuhlen (...). Alles Raisonnement tritt nur als sekundar hinzu. Hiermit hangt zusammen, dafe in dem padagogischen Genius Gemut und Anschauungskraft vorherrschen, gar nicht der Verstand (...). Aus diesem Grunde naiven unmittelbaren Verstehens bemerkt man aber bei dem padagogischen Genie ein Sinnen uber Seelenleben, das so lebendig, so voller Realitatssinn ist, dafe es gegen die fur Erkenntnis unvermeidliche Analyse und Abstraktion widerspenstig bleibt". Dieses ,mit einem Menschen fuhlen', moch- te ich im Sinne der Empathie - bezogen auf das Schulerinnen-Anleiterinnen Ver- haltnis - besonders beachten.

In meiner Fortbildungsplanung und Durchfuhrung spiegelt sich dann die oben be- schriebene Haltung wieder, dass Anschauungskraft, Kreativitat und Lebendigkeit gegenuber den Kognitionen im Vordergrund stehen.

In Bezug auf Lernprozesse und Emotionen formuliert Gieseke, dass die lehrende Person als Vorbild, Helfer, Moderator oder auch fragender Informator fungieren kann, Beziehungen herstellt und eine beziehungsstiftende Lernatmosphare schafft, in welcher es moglich ist, zu individuellen Entscheidungen und Bewertungen zu gelangen (vgl. 2009: 231). Dies mochte ich hier gerne als eines meiner personli- chen Ziele auffuhren.

Ich mochte die Teilnehmerinnen mit Hilfe verschiedener Konzepte sensibilisieren, ihre eigene Haltung zu uberprufen und es Ihnen ermoglichen in Bezug auf sich selbst, ihre Schulerinnen und ihren Beruf, ggf. eine erweiterte oder veranderte Perspektive einzunehmen.

Der Aspekt, dass Lernanforderungen in der Regel durch Aufeenanregungen entste- hen, spielt fur mich in der Entwicklung des Konzeptes in sofern eine wichtige Rolle, als dass dies bedeutet, dass nicht nur Motivation und Interesse fur eine Thematik dazu fuhren eine Fortbildungsveranstaltung zu besuchen, sondern, dass sich eben dann eine Nachfrage ergeben kann, wo eine Anregung gegeben wird (vgl. Giesike 2009: 125). Diese Anregung soll mit der Fortbildungsveranstaltung initiiert wer- den.

Die genauen Zieldefinitionen sind in Kapitel 6.0 und 6.1 differenzierter formuliert.

1.1 Begrundung des Fortbildungskonzeptes

Mit der Konzeption der Fortbildung „Padagogik praxisnah" mochte ich den Fort- bildungsteilnehmerinnen durch die von Prof. Dr. Christa Olbrich entwickelte Anlei- tungsstruktur, einerseits ein sinnvolles und flexibel einsetzbares Gerust zur Orien- tierung zur Verfugung stellen, welches weit uber die ublichen Anleitungslisten (ge- zeigt, unter Aufsicht geubt und selbststandig durchgefuhrt) hinausgeht und ande- rerseits eine Auseinandersetzung der Teilnehmerinnen mit der eigenen Person und ihrem eigenen beruflichen Selbstverstandnis anregen. Nach meiner Meinung kann eine „gute Anleiterin", nur diejenige Anleiterin sein, welche sich mit sich selbst, eigenen Motivationen, Antrieben, Gefuhlen und Grenzen auseinandergesetzt hat.

Fur die Fortbildung und mich als Dozentin bedeutet dies, zum Ziel zu haben, einen gewissen Grad an Bewusstheit zu fordern, anzubahnen und einen Raum zu schaf- fen, in welchem Dies moglich ist.

Wie bereits in der Einleitung beschrieben, haben personliche und berufliche Erfah- rungen dazu gefuhrt, dass ich im Rahmen dieser Diplomarbeit eine Fortbildung fur bereits ausgebildete Praxisanleiterinnen konzipieren mochte. Diese soll den Teil- nehmerinnen die Moglichkeit bieten, sich reflexiv mit ihrem eigenen Berufsbild auseinanderzusetzen - auch auf berufspolitischer Ebene -, sich padagogische Inhal- te anzueignen, die zu einem erweiterten Lehr-Lernverstandnis fuhren, im Rahmen der Kommunikation einen besonderen Aspekt - die Idiolektik - kennenzulernen und der Anleitungssituation einen roten Faden zu geben, ohne jedoch zu statisch und festgelegt zu sein.

Der Wunsch der Praxisanleiterinnen, welche ich derzeit in den Weiterbildungskur- sen betreue, nach Klarheit ist grofe. Klarheit im Sinne von einer klar umrissenen Anleitungssituation, welche mehr bietet als die derzeitigen Lernzielkataloge her- geben, und Klarheit auch im Sinne ihres eigenen Aufgabenbereiches als ausgebil­dete Anleiterinnen. Was fehlt ist hier meines Erachtens an der aller ersten Stelle die Auseinandersetzung der Pflegefachkrafte mit ihrem eigenen Bild vom Pflege- beruf. Den Fragen, was bedeutet Kompetenz, Profession und berufliche Motivation fur mich selbst, und was hat das mit meiner Arbeit als Praxisanleiterin zutun, wird in den Praxisanleiterausbildungen zu wenig Bedeutung beigemessen.

Mit einer haufig unbewusst geaufeerten, geringen Wertschatzung fur den eigenen Beruf der Altenpflegerin und ohne ein Bewusstsein fur den grofeen Anteil von Kommunikation, Empathie und Intuition, die dieser mit sich bringt, ist es meiner Meinung nach nicht moglich, Schulerinnen auszubilden, die genau diese Wert- schatzung und Bewusstheit mitbringen und entwickeln sollen. Deshalb ist es in einer Fortbildung fur Praxisanleiterinnen von grofeer Bedeutung, die Themen zu erarbeiten, die in der momentanen Praxisanleiterweiterbildung keinen grofeen Raum einnehmen, bzw. fur die der Raum zur Diskussion und Auseinandersetzung dort fehlt. Es geht hierbei nicht in erster Linie um die blofee Vermittlung von Inhal- ten, sondern um ein Erkennen, welches angebahnt werden soll.

Die Kompetenzorientierte Praxisanleitung nach Frau Prof. Christa Olbrich wird fur dieses Ziel von mir genutzt, an einigen Stellen modifiziert, mit eigenen von mir als wichtig erachteten Inhalten und Aspekten aus der Idiolektik und der Ethik erganzt und komprimiert, um in einer zweitagigen Fortbildungsveranstaltung genutzt zu werden.

1.2 Rahmenbedingungen

In der Weiterbildungsinstitution Lembke Seminare und Beratungen in Hamburg bietet sich mir die Moglichkeit im September 2012 diese Fortbildung erstmals in Ganze anzubieten. Es handelt sich hier um zwei Tage die jeweils acht Unterrichts- stunden umfassen. Beginn ist um 8.30 Uhr, Unterrichtsschluss um 15.30 Uhr. Fur die Fortbildung stehen mir als Dozentin von Lembke Seminare und Beratungen die Raumlichkeiten und Materialien zur Verfugung.

Die Ausschreibung fur die Veranstaltung aus dem Programmheft des Weiterbil- dungsinstitutes ist im Anhang zu finden.

Die Teilnehmerinnenanzahl ist festgelegt auf mindestens 14 und hochstens 20 Teilnehmerinnen, die sich aus examinierten Pflegefachkraften, sowohl Gesund- heits- und Krankenpflegerinnen, als auch Altenpflegerinnen zusammensetzen, die jedoch alle in den Arbeitsfeldern der ambulanten und stationaren Altenpflege tatig sind. Die Kosten der zwei Fortbildungstage belaufen sich auf 180 Euro pro Person.

Die Planung findet im Rahmen dieser Arbeit statt. Einen geringen Teil der Inhalte (den der Anleitungsstruktur) habe ich bereits unabhangig von der Planung der Gesamtfortbildung in einem derzeit bestehenden Praxisanleiterkurs unterrichtet und werde meine daraus gewonnen Erfahrungen mit in die Entwicklung einfliefeen lassen.

Bei Lembke im Seminarzentum stehen mir alle Medien zu Verfugung, so dass mir methodisch keine Grenzen gesetzt sind. Sowohl neue Medien wie Beamer und Lap­top, als auch Flipchart, Metaplanwande, Stifte, etc. sind verfugbar.

1.3 Personliches Leitbild/ Philosophie

Lembke Seminare und Beratungen verfugen, ihr Fort- und Weiterbildungsinstitut betreffend, uber einige Leitsatze, die etwas uber ihre Arbeit aussagen. Sie beziehen sich jedoch eher auf das unmittelbare Angebot als auf die Arbeitsphilosophie. Etwa „Wir beraten und unterstutzen Sie bei der Entwicklung, Planung und Erreichung Ihrer individuellen beruflichen Ziele sowie bei den Finanzierungs- und Fordermog- lichkeiten" (http://www.lembke-seminare.de).

Fur mich ist es von grower Bedeutung ein personliches Leitbild zu erstellen, wel­ches fur dieses spezielle Fortbildungsangebot, aber auch fur alle weiteren gelten kann, um mir meiner eigenen Haltung und Einstellung bewusst zu werden und diese nach aufeen transparent zu machen. Ein Leitbild zwingt praktisch zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Aufeen- und Innenwelt einer Institution oder in diesem Falle mit einer Fortbildungsarbeit und mir selbst als lehrende Per­son und ist ein partizipativer Prozess. Dies bedeutet hier, dass ich wahrend der vorangegangenen Fortbildung und im Vorfeld dieser Fortbildung eruiert habe, wo die Wunsche und Bedurfnisse der Teilnehmerinnen liegen, und wie sich diese mit meiner personlichen Vision vereinbaren lassen. Ergebnis aus diesen Uberlegungen ist schliefelich mein personliches (padagogisches) Leitbild, welches meine Haltung gegenuber den Teilnehmerinnen, und meine Haltung, die ich meiner Arbeit als Do- zentin entgegenbringe, widerspiegeln soll:

„Lehren bedeutet, ein Feuer zu entfachen und nicht einen leeren Eimer zu fullen"He- raklit

Meine Aufgabe als Diplom Pflegepadagogin (FH) sehe ich in der Fort- und Weiter- bildung als stetige Moglichkeit mich in der Begegnung durch und mit meinen Teil­nehmerinnen fachlich und personlich zu entwickeln.

Ich als Lehrende sehe mich als naturliche Bildungspartnerin der Teilnehmerinnen und als Lernberaterin und Lernbegleiterin. Ich mochte Impulse zum Nachdenken geben und neue Perspektiven aufzeigen, um eingefahrene Pfade gemeinsam ver- lassen zu konnen.

Die Lernatmosphare und die Lernumgebung sind fur mich ausschlaggebend, um die Ergebnisse zu erzielen die gewunscht werden. Es ist mein Ziel eine vertrauens- volle Atmosphare zu gestalten, in der Konflikte angesprochen werden konnen und damit einen Raum fur eine gemeinsame Losungssuche zu schaffen.

Im Lernprozess stehen fur mich das selbststandige Agieren der Teilnehmerinnen und die grotetmogliche Ubernahme von Verantwortung fur den eigenen Lernpro­zess im Vordergrund. Es geht darum Moglichkeiten aufzuzeigen, nicht um ein star- res Vermitteln von Inhalten.

Offene und kreative Lehr-Lernmethoden sollen die Chance fur jede einzelne Teil- nehmerin bieten sich an Neues auf ihre eigene Weise heranzuwagen. Dies bedeutet fur mich als Lehrende ein hohes Mate an Flexibilitat und Empathie. Den eigenen beruflichen Standpunkt zu finden und zu vertreten erachte ich als sehr wichtig und es ist mein Bestreben dies mit meinen Teilnehmerinnen gemeinsam immer wieder aufs Neue zu tun.

Meine Vision ist es, dass jede Fortbildungsteilnehmerin durch die zwei Fortbil- dungstage etwas fur sich erfahrt - unabhangig vom inhaltlichen Aspekt - was sie personlich beruhrt und damit ein kleiner Schritt hin zu einer veranderten Perspek- tive getan ist.

2. Padagogisches Verstandnis

Sich als Lehrende mit dem eigenen padagogischen Verstandnisses auseinander zu setzen ist unumganglich, um Lehr-Lernprozesse bewusst gestalten zu konnen.

Ich mochte hier naher auf den Konstruktivismus eingehen, welchen auch Frau Prof. Dr. Olbrich in ihrem Buch „Modelle der Pflegedidaktik" (vgl. 2009: 68 ff.) be- schreibt, weil dieser meine Haltung und Fortbildungsmethodik beeinflusst und auch in der Fortbildungsveranstaltung selbst thematisiert wird.

2.1 Ansatze des systemisch-konstruktivistischen Denkens

„Unsere Alltagserfahrung sagt uns, dass die Welt so ist, wie wir sie sensorisch wahrnehmen, also wie wir sie sehen, horen, riechen, schmecken, tasten. Wir sind uberzeugt, dass unsere Sinnesorgane die Welt abbilden, wie sie „wirklich" ist.

Doch so einfach ist das Verhaltnis zwischen Innenwelt und Aufeenwelt nicht" (Sie- bert 2008: 74).

„Unsere Welt ist beobachtungsabhangig und „beobachtungsrelativ" (ebda:17). Das bedeutet dann, dass es keine Situation geben kann, welche von zwei Menschen vol- lig identisch beobachtet wird. So kann also auch kein Lerninhalt von allen Teil- nehmerinnen gleichermafeen absorbiert und verstanden werden. Lernen ist damit wie alles andere von Vorerfahrungen, Vorlieben, Abneigungen, etc. abhangig und das was gelehrt wird, wird auch von diesen und anderen Einflussen relativiert.

Diese Erkenntnisse fuhren fur mich als Dozentin dieser Fortbildungsveranstaltung zu einem erweiterten Verstandnis meinen Teilnehmerinnen gegenuber. Sie veran- dern aufeerdem den Blickwinkel betreffend eventuellen Ablehnungen oder Desin- teressen und konnen so mehr Kreativitat freisetzen und zu einer vielfaltigeren Me- thodenauswahl fuhren.

„Beobachten ist kein Abbilden, sondern ein konstruktives Erleben von Welt" (ebda: 17). Das bedeutet, jede Teilnehmerin konstruiert sich, aus dem was ich ihr inhalt- lich und methodisch anbiete, ihr „eigenes Werk". Dies kann eine enorme Bereiche- rung fur die Gesamtgruppe sein und in einer offenen Auseinandersetzung und Kommunikation zu vielfaltigen, bereichernden Ergebnissen fuhren oder auch, wenn der Rahmen dafur geschaffen ist, zu konstruktiver und kritischer Diskussion beitragen.

„Alles Gesagte ist von jemandem gesagt". (Maturana/ Varela 1987: S.32 in Siebert 2008: 40 ). „Eine scheinbar tautologische Formulierung, aber letztlich eine folgen- reiche These: Wir erkennen nur, was wir erkennen" (Siebert 2008: 40). Dies be- deutet, dass es keine absoluten Wahrheiten gibt und sich alles Wissen in den Gren- zen menschlichen Erkenntnisvermogens vollzieht (vgl. Siebert 2008: 40).

Die Konsequenz dieser Aussage von Matura/ Varel ist fur mich die Schlussfolge- rung, dass ich letztendlich als Lehrende inhaltlich (und auch methodisch) immer nur Angebote machen kann und die Teilnehmerinnen diese annehmen oder eben auch ablehnen konnen und fur sich selber etwas daraus erschaffen. Verknupft da­mit ist eine weitere Aussage von Matura/ Varel, die besagt, dass nicht nur sinnliche

Wahrnehmungen, sondern auch Gedanken, Gefuhle, Traume und Phantasien menschlich sind, also subjektiv (vgl. ebda: 40).

Nach dieser Annahme ist unser Wissen also vorlaufig, fehlerhaft und korrekturbe- durftig anzusehen und durch unser Wahrnehmungsvermogen, unsere Sprache und unsere kognitiven Strukturen begrenzt (vgl. ebda: 40).

Dies bestatigt wiederum den Ansatz des lebenslangen Lernens und die Tatsache, dass ich trotz des Bestrebens bestimmte Inhalte vermitteln zu wollen, immer nur soweit zu jeder einzelnen Teilnehmerin vordringen kann, wie diese es aufgrund ihrer kognitiven und emotionalen Strukturen zu lassen kann.

Bezogen auf das Lehren und die Ausgestaltung von Unterrichten und Seminaren bedeutet dies zweierlei. Wissen (also das was ich als Lehrende vermitteln mochte) ist einmal durch mich und meine Person subjektiv gefarbt und ist einer standigen Veranderung unterlegen, die dadurch hervorgerufen wird, dass ich als Person mich standig verandere, neue Erfahrungen hinzukommen, neue Gefuhle und Gedanken, mich „beeintrachtigen". Ebenso ist das Wissen durch die Wissensempfangerin, also die Teilnehmerin oder Schulerin, subjektiv gefarbt, denn diese hat ebenfalls Gefuh­le, Vorerfahrungen und Einstellungen, etc.

Wenn ich dies in meiner Unterrichts- und Seminargestaltung berucksichtige, so gelange ich fast automatisch dahin, dass ich zulasse, dass die Teilnehmerinnen oder Schulerinnen von ihrer Position aus lernen. Dies bedeutet, zum Ersten, dass ich als Lehrende die unterschiedlichen Wahrnehmungen nutzen kann und sie zur Bereicherung und Erweiterung des Unterrichtsinhaltes beitragen konnen, zum Zweiten, tragt diese Erkenntnis dazu bei, dass ich methodisch breiter gefachert arbeite, da sich die Wahrnehmungsschwerpunkte der Teilnehmerinnen je nach individueller Pragung unterschiedlich ausgestalten konnen.

Antonio Damasio ist ein amerikanischer Neurologe und hat die These gestarkt, dass nicht nur das Gehirn sondern auch der Korper an allen mentalen Vorgangen beteiligt ist und dies nicht irrational ist, sondern - im Idealfall - rationale Entschei- dungen unterstutzt und erleichtert (vgl. Siebert 2008: 50).

„Wir verkorpern unsere Welt nicht nur mit Hilfe unserer Sinneswahrnehmungen und unserer Vernunft, sondern auch durch unseren Korper" (Siebert 2008: 50). Wir erleben unsere Welt korperlich, empfinden Hitze und Kalte und ernahren uns aus der naturlichen Umwelt (vgl. ebda: 50).

„Denken, Fuhlen und korperliche Empfindungen bilden eine Einheit, die von der Metaphorik unserer Umgangssprache plastisch wiedergegeben wird: wir behalten kuhlen Kopf, wir haben ein komisches Gefuhl im Magen, wir entscheiden aus dem Bauch heraus, es strauben sich die Nackenhaare, uns bricht der Schweife aus, wir sind mit Leib und Seele bei der Sache..." (ebda: 50).

Weitere Beispiele dafur, „dass wir mit unseren Sinnen, Gedanken und Gefuhlen" (Siebert 2003: 20) unsere Wirklichkeit konstruieren werden in unserer Umgangs­sprache sichtbar:

- „wir bilden uns etwas ein,
- Wir machen uns etwas vor,
- Wir nehmen etwas wahr,
- Wir sehen schwarz,
- Wir haben etwas begriffen, d.h. auf den Begriff gebracht
- Man sieht nur, was man weife (Goethe),
- Wir wollen mit dem Kopf durch die Wand,
- Man sieht nur mit dem Herzen gut (Saint-Exupery),
- Kopfgeburten (Gunther Grass),
- Der Wunsch ist Vater des Gedanken" (ebda: 20).

„Vereinfacht formuliert: unsere Wirklichkeit wird nicht von uns entdeckt, sondern erfunden" (ebda: 21). Bezogen auf die Gestaltung der Fortbildungstage und der Gestaltung von Unterricht uberhaupt, bedeutet dies fur mich, dass ich diese Sub- jektivitat erkenne, anerkenne und berucksichtige.

„Empfindungen sind eine Brucke zwischen Emotionalitat und Korperlichkeit. Wir empfinden unseren Korperzustand in bestimmten Stimmungen - z.B. bei Trauer, Depressionen, Euphorie. Empfindungsfahigkeit ist Bestandteil einer personalen Kompetenz. Und Empfinden beeinflusst unser Welterleben, unsere Kontakte zur gegenstandlichen und sozialen Umwelt. Damit werden korperliche Empfindungen zu einem Instrument der Wirklichkeitskonstruktion" (ebda: 50).

Dies spielt eine grofee Rolle, wenn es um implizites Wissen und Intuition geht und auch hier kann ich als Lehrende ansetzen, denn hier treffe ich wieder auf die in meinem Leitbild erwahnte Vision „zu beruhren, anzuruhren" und damit aufmerk- sam zu machen fur die einzelnen Bewohnerinnen und Schulerinnen und somit letztlich auch fur die eigene Person und ihre Empfindungen. Es gibt ,korperliche Wegweiser' welche Damasio als positive und negative, somatische Marker be- zeichnet (vgl. ebda: 51). Negative Marker werden hier als Warnsignale und positi­ve Marker als ein ,Start frei Signal' gesehen und basieren auf fruheren Erfahrungen in bereits erlebten Situationen (vgl. ebda: 51). „Der Korper erinnert sich an fruhere Erfolge bzw. Misserfolge. Er hat implizites, d.h. unbewusstes Wissen gespeichert" (ebda: 51). „Intuition ist Ausdruck somatischer Marker" (ebda: 51). „Intuition ist gefuhltes Wissen" (ebda: 51).

Auch diese Erkenntnisse lassen sich padagogisch umsetzen. Da Teilnehmerinnen einer Fortbildungsveranstaltung, zumeist physisch und psychisch anwesend sind, halte ich es fur wichtig, Raum zu schaffen, fur diese ,doppelte Anwesenheit‘. Wenn Empfindungen unser Welterleben beeinflussen, also auch unser Erleben von Wis­sen und Lehrinhalten, dann ist dies ein Pladoyer fur Lernen mit ,Kopf, Herz und Hand‘.

Auch Niklas Luhmann hat konstruktivistische Begriffe in seine Systemtheorie ein- gearbeitet und stimmt mit der Aussage uberein, dass Wirklichkeit beobachtungs- abhangig ist (vgl. Siebert 2003: 56). „Von H. Maturana und F. Varela ubernimmt Luhmann den Begriff der Autopoiesis. Autopoietische Systeme operieren geschlos- sen, strukturdeterminiert und werden nicht von aufeen determiniert oder gesteu- ert" (ebda: 56). Das Gehirn ist ein System, welches operational geschlossen ist und keinen direkten Zugang zur Aufeenwelt hat. Es hat seine einzigartige, unverwech- selbare Geschichte und dies fuhrt dazu, dass auch jede Wirklichkeitskonstruktion individuell und einmalig ist (vgl. ebda: 36).

Es findet jedoch eine sogenannte strukturelle Kopplung statt, die auch als wechsel- seitige Storung der Systeme bezeichnet wird. Diese strukturelle Kopplung erklart, dass es moglich ist miteinander zu leben, zu lernen und in einer Welt zu sein.

„Eine konstruktivistische Padagogik muss Konzepte entwickeln, um die strukturel- le Kopplung theoretisch und empirisch zu untersuchen, wenn sie sich auf dem er- kenntnistheoretischen Boden von Systemtheorie und Konstruktivismus tatsachlich bewegen will" (Gieseke: 2009: 108).

„Paul Watzlawick hat bereits in den 1970er Jahren seine Kommunikationstheorie mit der konstruktivistischen Erkenntnistheorie verknupft " (ebda: 59). Er sieht als Kernthese die Aussage, dass Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation ist (vgl. ebda: 59).

Zusammengefasst sprechen die verschiedenen konstruktivistischen Stromungen also davon, dass wir nicht von einer Wirklichkeit ausgehen konnen, die alle Men- schen miteinander teilen, sondern von verschiedenen, individuellen Wirklichkei- ten, die jeweils vom einzelnen konstruiert werden. Bezogen auf den Lehr- Lernprozess im Unterricht oder der Fort- und Weiterbildung bedeutet dies, dass auch das Wissen, welches jeder einzelne erwirbt, auf diese Weise konstruiert ist und nicht als ein objektiver Gegenstand betrachtet werden kann. Der Lernprozess kann aus dieser Perspektive betrachtet kein Reproduktionsprozess sein, bei dem vermeintlich allgemeingultige Fakten gelehrt und wiedergegeben werden, sondern es geht vielmehr darum eine individuelle Perspektive auf bestimmte Sachverhalte, Fragestellungen und Thematiken zu konstruieren und diese im Verlauf des Lehr- Lernprozesses gemeinsam weiterzuentwickeln und immer wieder miteinander abzugleichen. Dies stellt gleichzeitig eine ungeheure Bereicherung dar, da jede Teilnehmerin ihr individuelles Wissen mit dem gesamten Kurs teilen kann und daruber hinaus im gunstigen Fall eine gemeinsame Verstandigungsebene entsteht.

2.2 Selbstgesteuertes Lernen

„Selbststeuerung des Lernens betrifft die „Freiheitgrade"[...] (Gnahs in: Siebert: 2006: 24) „in der Entscheidung fur Lernprojekte, in den Prioritaten der Lernbe- durfnisse und Interessen, in der Begrundung der Lernziele, in der Nutzung der Lernmedien und Lernhilfen, in der Bevorzugung von Lernstilen und Lernstrategi- en, in der Bewertung der Lernergebnisse" (Siebert 2006: 24). Damit dies in der Erwachsenenbildung moglich sein kann, ist ein reflexives Verhaltnis zum eigenen Lernverhalten und zu den eigenen Lerninteressen Voraussetzung (vgl. Gieseke 2009: 109).

„Selbstgesteuertes Lernen ist auch eine Haltung. Die Haltung eines Menschen ist Grundlage seiner Identitat. Zur Haltung gehoren grundlegende Einstellungen, Wer- te, dauerhafte Motivationen, ein stabiles Selbstbild" (ebda: 34). „Eine Haltung des selbstgesteuerten Lernens erfordert zweierlei:

a) Ein Lernselbstvertrauen, das heifet eine optimistische Einschatzung der ei­genen Lernfahigkeit, und
b) Ein Interesse an der Welt, das heifet eine Neugier auf Neues, Fremdes, Uberraschendes" (ebda: 34).

Nicht nur der Lernende braucht Selbstvertrauen in seine Fahigkeiten, auch die Lehrende muss ihren Schulerinnen/ Teilnehmerinnen etwas zutrauen.

In der Literatur findet man haufig Kritik an der Begriffszusammensetzung von „Selbst" und „Steuerung". Es wurde zu weit fuhren sich hier mit dieser weitgrei- fend auseinanderzusetzen. Hier sei dazu nur so viel gesagt „Selbstgesteuertes Ler- nen ist kein exakter, operationalisierbarer Begriff, sondern eine Metapher, die In- terpretationsvarianten zulasst und Interpretationsfantasie freisetzt" (ebda: 26).

Lehren und Lernen konnen als zwei getrennte Systeme betrachtet werden, welche lose miteinander verbunden sind. Ein Lehrender hat einen anderen Referenzrah- men als ein Lernender. Das jemand das lernt, was gelehrt wird, ist eher eine Aus- nahme. Wie schon in der Betrachtung einiger konstruktivistischer Aussagen er- wahnt, entscheidet jeder aufgrund seiner Erfahrungen und Motivation, was fur bedeutungsvoll oder/ und sinnvoll gehalten wird. Lehre ist somit ein Angebot und der Einzelne trifft eine Auswahl (vgl. Siebert 2006: 41).

Gerade in der Pflegepadagogik gilt verstarkt, ein Ausspruch von Thomas Ziehe „Es fuhrt kein Weg drum herum: wer lehrt, begluckt nicht nur, er bedroht auch" (Ziehe, in: Siebert 2006: 41). In den vielfach sehr festgefahrenen Strukturen unserer Pfle- gelandschaft, in welcher haufig immer noch die Ausspruche ,Das haben wir doch schon immer so gemacht‘ oder von der Praxis in Bezug auf Schulerinnen ,Das hier ist die Praxis, das andere ist nur Theorie', zu horen sind, gelten neue Inhalte nicht zwangslaufig als Bereicherung, sondern verunsichern und werden nicht selten als Enteignung und somit als Verlust empfunden. Lernwiderstande und mangelndes Interesse konnten auf dem Boden von Schutzmechanismen entstehen, die die ei- gene (berufliche) Identitat schutzen sollen (vgl. Siebert 2006: 41).

„Dieser Widerstand gegen Neues, dieses Beharren auf Gewohntem ist psychohy- gienisch verstandlich und - in Grenzen - auch funktional. Wer sich standig verunsi- chern lasst, verliert seine alltagliche Selbstsicherheit. Wer sich aber gar nicht ver- unsichern lasst, den „bestraft das Leben" (ebda. 2006: 39).

Fur ein selbstgesteuertes Lernen spricht, dass handlungsorientierte Erarbeitungs- formen, zu einer hoheren Lernmotivation fuhren und den Aufbau von Kompeten- zen begunstigen, welche zur Bewaltigung sich verandernder Anforderungen not- wendig sind (vgl. ebda: 70). Nicht fur jedes Thema ist Selbststeuerung jedoch die erfolgreichste Lernart. „Wunschenswert erscheint vielfach eine Kombination von selbstgesteuerten und angeleiteten Lernphasen, sowie ein Wechsel an Lernanfor- derungen" (ebda: 71).

Voraussetzung fur die Annahme dieses Angebotes ist eine gewisse Eigeninitiative der Teilnehmerinnen, Fragen zu stellen, Ideen einzubringen und Verantwortung fur den eigenen Lernprozess zu ubernehmen, sowie fur mich als Lehrende der An- spruch Sicherheit zu vermitteln und die Initiative der Teilnehmerinnen wert zu schatzen und als Vorbild und Lernmodell zum eigenstandigen Nachdenken auf verschiedenen Ebenen anzuregen (vgl. Olbrich 2009: 133).

Aufeerdem heifet die Devise nun Lernbegleitung und die Lehrende muss die Ver- antwortungszustandigkeit ihrer Teilnehmerinnen fur den eigenen Lernprozess ernst nehmen und zumuten. Im Gegensatz zum traditionellen Aufgabenverstandnis ist die Verantwortungszuordnung eine andere. Da diese eigene Verantwortlichkeit nicht durchgehend auf Zustimmung von Seiten der Teilnehmerinnen trifft, muss die Lehrende sich auf Auseinandersetzungen einstellen (vgl. Dietrich: 2001: 139).

Um der Rolle als Lernbegleiterin gerecht zu werden, benotigt man als Lehrende eine grundsatzliche Lust am Arbeiten in und mit Gruppen und muss diesen mog- lichst offen, neugierig und ohne Angst gegenuber treten. Vorhersehbarkeit ist nicht die Eigenschaft des selbstgesteuerten Lernens, da sich jede einzelne Teilnehmerin individuell auseinandersetzen kann und somit Lernprozesse in die unterschied- lichsten Richtungen stattfinden. Diese Tatsache birgt auch ein gewisses Konfliktpo- tential und mit diesem muss sich die Lehrende auseinandersetzen wollen.

Vergleicht man die Leiterinnen zentrierte Lernarbeit, mit der Teilnehmerinnen zentrierten Lernarbeit, wurde die Hauptaussage der Vertreterinnen Letzterer, Folgende sein: „Lernen konnen nur die Teilnehmer und Teilnehmerinnen selbst. Die Verantwortung liegt bei ihnen. Allerdings kann ich gunstige Voraussetzungen dafur schaffen und dies fortlaufend uberprufen. Dafur sehe ich mich professionell verantwortlich. Ich erwarte von den Teilnehmern, dass sie selbst ein Interesse an der Optimierung der Arbeitsbedingungen haben und mir signalisieren, wenn sie meinen, anders besser lernen zu konnen oder etwas anderes lernen wollen" (Wei- denmann 1995: 15). Diese Aussage unterscheidet sich von der der Leiterinnenzen- trierten Sichtweise darin, dass in Dieser die Teilnehmerinnen als ,Anvertraute’ ge- sehen werden und die Verantwortung fur das Erreichen der Lernziele bei der Leh- rerin liegt und diese auch erwartet, dass die Teilnehmerinnen ihren Anweisungen folgen und sie dies auch einfordert, wenn die Notwendigkeit besteht (vgl. ebda: 15).

Die Teilnehmerinnen werden im selbstgesteuerten Lernen, in der Art und Weise wahrgenommen, dass ihre methodischen Bedurfnisse und Lerninteressen in den Mittelpunkt gestellt werden (vgl. Dietrich 2001: 138).

Bezogen auf Methoden im selbstgesteuerten Lernen ist festzustellen, dass es ,die Methode' in diesem Zusammenhang nicht gibt. Es ist vielmehr ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren, das selbstgesteuertes Lernen anregt und moglich macht. Hier- zu gehoren unter anderem die Rahmenbedingungen und in allererster Hinsicht ein verandertes Rollenverstandnis die Lehrenden und Lernenden betreffend.

In der Fortbildung „Padagogik praxisnah" werde ich das selbstgesteuerte Lernen berucksichtigen, indem ich es einmal inhaltlich zum Thema mache, in Bezug auf die padagogischen Grundlagen, welche die Praxisanleiterinnen erlernen werden, und indem ich in meiner Fortbildungsgestaltung Raum dafur lasse.

2.3 Lebenslanges Lernen und Emotionen

„Lebenslanges Lernen - oder besser lebensbegleitendes Lernen - geht uber ein beliebiges Bildungs- bzw. Qualifizierungsinteresse weit hinaus" (Gieseke 2009: 13).

Jede einzelne Person ist hier gefragt und verantwortlich fur ihre individuelle Lern- und Bildungsbiographie. Dies stellt naturlich bestimmte Anforderungen an Men- schen (vgl. ebda: 13) und „[...]diesbezugliche bildungspolitische Aufeerungen beto- nen ein In-die-Pflicht-Nehmen der Individuen" (vgl. ebda: 13).

Aufgrund des sich schnell weiterentwickelnden Wissens unserer heutigen Zeit, der Voraussetzung einer immer starker geforderten Flexibilitat in Bezug auf den beruf- lichen Alltag und die Forderung nach der Zunahme von Kompetenzen, sowie die Tatsache eines veranderten familiaren und privaten Alltages (vgl. ebda: 13) mus- sen Menschen „in allen Bereichen der eigenen Lern- und Bildungsmoglichkeiten besondere Fahigkeiten entwickeln" (ebda: 13). Emotionen spielen hierbei in so- fern eine erhebliche Rolle, als dass diese als konstante Begleiter im Lernprozess sichtbar werden und sowohl lernhemmend als auch lernfordernd wirken konnen (vgl. ebda: 13). „Die gefuhlsmafeigen Beziehungen zum Lerngegenstand sind wah- rend des gesamten Lernprozesses prasent. Sie beeinflussen die Motivationsent- wicklung und damit mittelbar den Aufbau von Wissen" (Gieseke 2009: 13 zit. nach Oevermann 2002: 22).

Aufeerdem sind Emotionen fur die schon erwahnte strukturelle Kopplung Indivi- duum-Umwelt,- bezogen auf den Einfluss auf den Lernprozess-, mafegeblicher als andere Faktoren (vgl. Gieseke 2009: 113). „Sie sind der Offner, sie bauen Brucken, sie stiften Beziehungen und werden kommunikativ eingelost" (ebda: 113).

Fur die Lehrende ist dies von grofeer Bedeutung, denn „[...]allein auf Grundlage des Wissens, dass offene, beziehungsfahige Menschen besser uberzeugen konnen, also Menschen mit Empathie, Ambiguitatstoleranz, mit Engagement und Interesse wird deutlich, dass der alte Satz, der/die gute Padagoge/in musse eine Personlichkeit sein, nicht falsch ist" (ebda: 113).

Was bedeutet dies nun fur mich als Lehrende im Kontext meiner zu entwickelnden Fortbildungsveranstaltung? Diese „Personlichkeit" kann ja nicht „gemacht" wer- den, sondern ist ein lebenslanger Prozess - sicher auch in Bezug auf den Schlussel- begriff des lebenslangen Lernens. Ich als Lehrende kann also erst einmal „nur" ver- suchen, meiner eigenen Haltung meinen Teilnehmerinnen und auch mir selbst als Person gegenuber selbstreflexiv entgegenzutreten, mich eigenen Motivationen und Angsten zu stellen, und immer wieder zu uberprufen inwieweit ich meinen Teil­nehmerinnen dieses selbstgesteuerte, lebenslange Lernen ermogliche und inwie­weit, sich meine eigenen Rollenvorstellungen analog dazu bewegen.

Fur die Moglichkeit des lebenslangen Lernens sind eine Reihe an Schlusselqualifi- kationen erforderlich, welche sich in Emotionsvielfalt grunden. Lernen muss als etwas betrachtet werden was zum Leben gehort.

2.4 Erwachsenenbildung

„Organisierte Erwachsenenbildung findet vor allem als soziales Lernen in Semi- nargruppen statt. Zwar ist Lernen ein individueller Vorgang, aber unsere Lernstile und Lernmotive, unsere Erfahrungen und Lernanforderungen haben eine kollekti- ve Grundlage, unsere Interessen und Lebensstile sind in Interaktion mit „signifi- kanten Anderen", mit primaren und sekundaren Bezugsgruppen entstanden" (Griese: 1991 in Siebert 2003: 32) „[...] und sie verandert sich durch soziale Inter- aktionen" (Siebert: 2003: 32).

Es existieren die unterschiedlichsten Erwachsenenpadagogischen Konzepte. Hier sollen einige dargestellt werden.

In der Theorie und Praxis zeigt eine einflussreiche Konzeption von Malcolm Know­les durchaus Wirkung, welche zwar plausible Annahmen darstellt, jedoch unzurei- chend belegt ist (vgl. Nolda 2008: 85). Nach dieser ist das Erwachsenenlernen da- durch gekennzeichnet „dass Erwachsene

- Wissen mochten, warum sie was lernen
- Eigene Entscheidungen treffen wollen, also selbstgesteuert lernen wollen
- Vorerfahrungen haben, die sie als Ressourcen nutzen
- In ihrer Lernbereitschaft lebensbezogen sind
- Beim Lernen von Problemen ausgehen und Zusammenhange beachten
- Intrinsisch motiviert und nutzenorientiert sind" (ebda: 85).

Ein weiteres Konzept, welches sich mehr auf die psychologischen und sozialphilo- sophischen Lerntheorien bezieht, hat Knud Illeris in seinem Buch: Adult Education and adult Learning vorgestellt. In diesem stellt er ein Modell vor, welches man als Lerndreieck bezeichnen kann. Hier geht es um einen internen und einen externen Lernprozess der abgebildet wird (vgl. ebda: 85). „Der interne psychologische Lernprozess der Aneignung spielt sich in der Spannung zwischen Kognition und Emotion ab, der externe als Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt. Die kognitive Dimension bezieht sich auf den Lerninhalt, die emotionale auf Gefuhle und Motivationen, die Dimension der sozialen, kulturellen oder materiellen Umge- bung auf Teilnahme, Kommunikation und Kooperation" (ebda: 85).

Die Dimension der Kognition bezieht sich darauf, dass der Lernende dem Lernge- genstand eine eigene, personliche Bedeutung beimisst und fur sich konstruiert. Die emotionale Dimension sichert die mentale Balance des Lernenden und die soziale Dimension integriert den Lernenden in die Gemeinschaft. Illeris bezieht sich in seinem Modell auf den Konstruktivismus (vgl. ebda: 85).

Auch Klaus Holzkamp hat einen Beitrag zur Erwachsenenpadagogik geleistet und ahnlich wie bei Luhmann wird Lernen bei Holzkamp durch Diskrepanzerfahrun- gen ausgelost. „Eine Handlung kann nicht mehr mit den ublichen Routinen ausge- fuhrt werden, und es kommt zu einer Handlungsproblematik. Aus der Handlungs- problematik entsteht eine Lernproblematik. Die Bewaltigung des Handlungspro- blems scheint jetzt uber Lernen moglich, so dass es sinnvoll erscheint, eine Verzo- gerung uber eine ,Lernschleife' einzubauen" (ebda: 87).

Die subjektive Perspektive des Lernenden mit der individuellen Lernbegrundung steht hier strickt im Vordergrund. Lernen wird als aktiver Prozess „der Aneignung und Orientierung in der gesellschaftlichen Umwelt dargestellt" (ebda: 87).

Uber diese Ansatze hinaus kann festgestellt werden, dass Lernen im Erwachsenen- alter nicht so sehr mit einem „Verpflichtungscharakter verbunden ist und dadurch entscheidungsfokussiert ist. Der Erwachsene entscheidet sich zumeist selbsttatig fur die Teilnahme an einem Bestimmten Kurs, den Abbruch dieses Kurses und auch den Umfang der Beschaftigung mit der Thematik in Form von Vorbereitung, inhaltlicher Verarbeitung, Nachbereitung und auch dafur, das Gelernte ins tagliche Handeln umzusetzen oder eben auch nicht" (vgl. Gieseke 2009: 230).

In der Erwachsenenbildung werden den Menschen Wissens- und Kompetenzres- sourcen angeboten, und diese ubernehmen selbsttatig Verantwortung und ent- scheiden umfassend fur sich selbst, inwieweit sie diese Angebote annehmen und umsetzen. Man kann sie deshalb als „[..^Institution der Demokratie[...]“ (ebda: 37) bezeichnen, insofern sie „[...]unter dem Anspruch des Gemeinwohls[...]“ (ebda: 37) handelt.

3. Die idiolektische Gesprachsfuhrung als Haltung und Methode

Definition: Idiolekt

„Die Sprachmuster, die eine Person verwendet, inkl. all ihrer phonetischen, gram- matikalischen und die Wortwahl betreffenden Vorlieben. Ein Sprecher kann im Rahmen seines Idiolekts verschiedene Sprachstile haben, wobei er jeweils eine Version seiner Sprachmuster fur einen bestimmten sozialen Kontext einsetzt. Dar- uber hinaus bilden die verschiedenen Idiolekte einer Gruppe von Sprechern, sei dies nun regional oder einer sozialen Schicht, einen bestimmten Dialekt" aus: en­cyclopaedia britannica (http://www.idiolektik.de).

In jeder Situation, in der es darum geht, dass Menschen anderen Menschen helfen wollen (so auch in der Situation, in der die Praxisanleiterin der Schulerin helfen will, oder die Lehrende, den Lernenden), mussen erst einmal Informationen uber diese oder diesen Menschen erworben werden. In der Regel geschieht dies durch Gesprache, also durch und uber Kommunikation.

[...]

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Ein Fortbildungskonzept "Pädagogik praxisnah"
Hochschule
Katholische Fachhochschule Mainz
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
91
Katalognummer
V459844
ISBN (eBook)
9783668882027
ISBN (Buch)
9783668882034
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fotbildung, Pflege, Pädagogik, Praxisanleiter, Weiterbildung, Fortbildungsplanung, Idiolektik, Olbrich Christa, Ethik
Arbeit zitieren
Lisa Ruchnewitz (Autor:in), 2011, Ein Fortbildungskonzept "Pädagogik praxisnah", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/459844

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