Ein "Scheinproblem" ist das Leib-Seele-Problem wohl nur dann, wenn man Geist und Materie, Psychisches und Körperliches einfach für identisch erklärt, was ich für nachweislich falsch halte. Mein Körper, das ist zunächst etwas Materielles, Organisches, in Raum und Zeit Feststellbares. Mein Leib, das ist der religiös verklärte, der beseelte Körper. Die Seele nannte Aristoteles 'Psyche' und definierte sie als "die Form des Körpers" und als das zweckgerichtete (entelechetische) Lebensprinzip, das, was den Körper am Leben hält. Heute meinen wir mit Seele und Psyche vor allem die individuelle, je-meinige Art, in der ich mich und die Welt erlebe.
Candace B. Pert analysiert (2001) das gesamte zelluläre beziehungsweise energetische Geschehen im menschlichen Organismus als "dynamisches Informationsgeschehen", wodurch der latente Dualismus von Leib und Seele überwunden werde, und zwar durch die durch den "Körpergeist" bewirkte "informationelle Interaktion". Hieraus lässt sich eine neue Hypothese des Interaktionismus entwickeln, und zwar an Hand eines neuen, dialektisch-materialistischen Informationsbegriffs.
Klaus Robra
Mit Leib, Seele und Information. Ein Vorschlag zur Lösung des Leib-Seele-Problems
Koitieren, urinieren, fühlen, schmecken, reflektieren, sprechen, träumen – alles ein- und dasselbe? Natürlich können die genannten Aktionen allesamt von ein- und derselben Person vollzogen werden. Sind sie deshalb wesensgleich, evtl. sogar in qualitativer Hinsicht? Nur einer einzigen, immer gleichen Sinn- und Bedeutungsebene zuzuordnen? Überlegungen dieser Art gehen einem immer wieder durch den Kopf, wenn man über das Leib-Seele-Problem nachdenkt.
Und dies ändert sich auch nicht, wenn man bedenkt, dass manche Theoretiker darin ein bloßes „Scheinproblem“ sehen. Eine Annahme, die doch allenfalls dann berechtigt sein könnte, wenn man Geist und Materie, Psychisches und Körperliches einfach für identisch erklärt, was ich für nachweislich falsch halte. „Wie kommt der Geist in die Hose?“ „Wie können Theologen behaupten, die Seele sei unsterblich?“ „Der Geist weht, wo er will?“ Angesichts solcher Fragen und Probleme glaubt man jedenfalls zu wissen, worin die Aufgabe besteht: Die Nuss zu knacken, den Dingen auf den Grund zu gehen, endlich Klarheit zu gewinnen.
Aber wie? Müssen nicht zunächst wenigstens die Grund- und Schlüsselbegriffe definiert werden? Was ist denn der Leib im Unterschied zum Körper? Worin unterscheiden sich Körper, Seele, Psyche und Geist? Existiert der Mensch, auch und gerade als Person, nicht immer als Einheit, wenn nicht substanziell, so doch wenigstens akzidentiell? Körper und Leib, Psyche und Seele – diese Unterscheidungen verdanken wir vor allem der christlichen Theologie. Mein Körper, das ist zunächst und vor allem etwas Materielles, Organisches, in Raum und Zeit Feststellbares. Mein Leib, das ist der religiös verklärte, der beseelte Körper. Und die Seele? Aristoteles nannte sie Psyche und definierte diese als „die Form des Körpers“ und als das zweckgerichtete (entelechetische) Lebensprinzip, das, was den Körper am Leben hält.
Heute wissen wir: Seele oder Psyche, das ist einerlei. Mit beidem meinen wir die individuelle, je-meinige Art und Weise, in der ich mich und die Welt erlebe. Ich bin, aber ich habe mich nicht, wie Ernst Bloch bemerkt. Was ich empfinde, verspüre, fühle, erinnere, denke, gehört nichtsdestoweniger zu meinem persönlichen Erleben, meinem ureigenen, einmaligen Seelen-Leben. Es gehört alles zu meinem Selbst, das hinter und in meinem Ich steht. Und ist doch auch Teil eines größeren Ganzen: des Subjekt-Seins. Und dieses Subjekt-Sein lässt sich nicht begreifen ohne seine Objekt-Bezüge. Dinge an sich werden Gegenstände für meine Sinne und für meinen Verstand; es sind Gegenstände, die in meinem Gehirn zu mentalen Objekten werden, zu Objekten des Empfindens, Fühlens, Wahrnehmens, Vorstellens und Reflektierens. In diesen Transformationen zeigen sich Wechselwirkungen, Dialektik; so arbeitet der Geist, der aber ohne Körper und Psyche gar nicht funktionieren könnte. Subjekt-Objekt-Dialektik, das bedeutet: Der ganze Mensch ist stets auch ein geistiges Wesen und zugleich Teil der Natur, seiner Umgebung, seiner Gesellschaft – ein Welt-Ereignis.
Dies bringt mich auf eine weitere Idee: Sollte es nicht möglich sein, die Begriffe Dialektik und Information miteinander zu verbinden und dadurch neue Möglichkeiten der Erklärung des Leib-Seele-Problems zu finden? Weitere Gründe hierfür finden sich in dem Buch der US-amerikanischen Biomedizinerin Candace B. Pert: Moleküle der Gefühle. Körper, Geist und Emotionen, Reinbek 2001. Die Autorin analysiert darin das gesamte zelluläre bzw. energetische Geschehen in lebenden Organismen als dynamisches Informationsgeschehen, wobei angeblich der latente Dualismus von Leib und Seele endgültig überwunden wird. Gefühle vermitteln zwischen Körper und Geist; anscheinend Immaterielles (z.B. Gedanken) und Materielles (z.B. Organe) stehen, u.a. über Neuropeptide, im menschlichen Körper in ständiger Verbindung, und zwar – in unterschiedlichen, variierenden Ausprägungen – in den Körperzellen, die durch informationelle Interaktion miteinander verbunden sind. Diese Einheit bezeichnet Pert auch als „Körpergeist“.
Sind damit auch die Inhalte von Geist und Bewusstsein bereits erklärt? Wohl kaum, zumal die Subjektivität des Menschen, sein persönlicher Geist, sich nicht auf beschreibbare Hirn-Mechanismen oder gar Hirn-Materie reduzieren lässt. Diskutabel scheint außerdem Perts Behauptung, der Geist als solcher sei etwas gänzlich Immaterielles und letztlich nur religiös Begreifbares, nämlich der „Heilige Geist“. Wenn der Geist mit Schelling als dialektische Subjekt-Objekt-Beziehung und mit Gregory Bateson als „die Welt der Informationsverarbeitung“ aufgefasst werden kann, kann der Geist nicht als etwas völlig Immaterielles bezeichnet werden.
Nimmt man beide Hypothesen der Verursachung, d.h. die der Epigenetiker (wonach sogar erworbene Fähigkeiten vererbt werden können!) und die von Candace B. Pert, zusammen, zeichnet sich eine neue Hypothese des Interaktionismus zur Lösung des Leib-Seele- Problems ab, und zwar an Hand eines dialektisch-materialistischen Informationsbegriffs, den es näher zu erklären gilt.
Laut Thomas und Brigitte Görnitz (2002) kann man die „abstrakte kosmische Quanteninformation“ sogar als „das Weltsubstrat“ auffassen. Dieses Konstrukt halte ich jedoch für einen induktiven Fehlschluss, denn es wird darin ja von etwas Besonderem, der inner-weltlich konstatierten Information, auf etwas Allgemeines, den Welt-Grund, geschlossen.
Nichtsdestoweniger vermute ich, dass Information keineswegs ein bloßes Gedankending, sondern von Anfang an in der Natur, als ursprüngliche Welt-Information, vorhanden ist. Laut Rainer E. Zimmermann werden im Universum andauernd Informationen produziert. Im Jahre 2011 postulierte Zimmermann einen „Urstoff“, der allerdings nur gedacht, nicht beobachtet werden könne. Immerhin könne, wenn auch nur mathematisch-abstrakt, ein „Spin-Netzwerk“ dargestellt werden, das „auf der fundamentalen Ebene des Universums“ wie ein ständig Informationen erzeugender „Quanten-Computer“ wirke, „der zugleich hardware und software ist“. Dieses Spin-Netzwerk liege allem zu Grunde, was beobachtet werden kann. Es sei ein neuer Ausdruck für die Schöpferkraft der Natur (‚natura naturans‘) und zugleich eine Erweiterung der diesbezüglichen Erkenntnisse von Aristoteles, Spinoza, Schelling und Ernst Bloch – und speziell auch von Blochs hypothetischem „Natursubjekt“.
Ähnlich argumentiert der Theoretiker Erich Bieramperl in seiner Autoadaptions-Theorie. Auf subatomarer Ebene erkennt Bieramperl Vorgänge, die an die Arbeitsweise von Sensoren denken lassen. Elementarteilchen gewinnen Informationen über ihre Umgebung, d.h. über andere E-Teilchen, mit denen sie Kontakt aufzunehmen vermögen. Wie ein Radar tastet das E-Teilchen seine Umgebung darauf hin ab. Information, Kontakte und Verbindungen von E-Teilchen sind keineswegs neue Phänomene. Bieramperl fand aber eine neue Erklärung dafür – mit weitreichenden Konsequenzen: Die Natur organisiert sich anscheinend selbst, aber aus einem ursprünglichen „Selbst“ heraus, das bereits Subjektives in sich zu tragen scheint. Fragt man jedoch nach der Zielursache des Ganzen, wird man nicht umhin können, die informationshaltige Materie selbst, d.h. nicht unbedingt Ernst Blochs hypothetisches „Natursubjekt“, wohl aber sein Konzept einer „unvollendeten Entelechie der Materie“, als Grundlage anzunehmen.
Für sinnvoll halte ich es außerdem, die Informationstheorie mit der Semiotik zu verknüpfen. Dann zeigt sich, dass Zeichen-, Code- und Bedeutungsprozessen stets Vorgänge der Information – als In-Form-Setzung (‚informatio‘) – zu Grunde liegen, wobei laut H. Benesch (1977) dialektisch-materialistisch zwischen „Trägern, Mustern und Bedeutungen“ zu unterscheiden ist.
Orientierung vermitteln nach wie vor auch die Bestimmungen von Gregory Bateson, der (1985) Information und Unterschied gleichsetzt, genauer: als „Unterschied, der einen Unterschied ausmacht“, noch genauer: als „Unterschied, der bei einem späteren Ereignis einen Unterschied ausmacht“. Information als solche zu erkennen, ist demnach erst auf Grund vergleichender Analyse möglich, eines Verfahrens, das bekanntlich zu den Grundformen der dialektischen Methode gehört.
Dialektik als Einheit von Identität und Nicht-Identität betrifft voll und ganz die leib-seelische Befindlichkeit des Menschen, wobei Grenzen der Erklärbarkeit, z.B. außerhalb der von Empfängnis und Tod begrenzten leib-seelischen Identität des Menschen, erkennbar werden. Anfang und Ende des Ganzen, dessen Teile wir sind, kennen wir ohnehin nicht. Womit auch die Grenzen benannt sind, in denen sich eine dialektisch-materialistische Theorie der leib-seelischen Existenz des Menschen bewegen kann. – Immerhin ist diese Existenz aber an Hand eines dialektisch-materialistischen Informationsbegriffs näher bestimmbar, nämlich als umfassendes Informations- und Interaktions-Geschehen im Rahmen einer Theorie der informationellen Einheit von Körper, Seele und Geist.
(Vgl. Rainer E. Zimmermann: Räume sind Schäume. Über Substanz und Materie im richtigen Verhältnis, in: VorSchein Nr. 31, Nürnberg 2011, S. 117,
Klaus Robra: Wege zum Sinn, Hamburg 2015, S. 445 f.,
Ders.: „Kann das Leib-Seele-Problem durch einen dialektisch-materialistischen Informationsbegriff gelöst werden? In: VorSchein Nr. 30, Nürnberg 2008, S. 145-151.)
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- Quote paper
- Dr. Klaus Robra (Author), 2019, Mit Leib, Seele und Information. Ein Vorschlag zur Lösung des Leib-Seele-Problems, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/461010
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