Partizipation in der Kunst. Ein Paradigmenwechsel vom Objekt zum Subjekt


Dossier / Travail, 2016

17 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Partizipation
2.1. Begriffserklärung und Definition
2.2. Partizipation in der Kunst
2.3. Geschichte der partizipatorischen Kunst

3. Forschungsstand
3.1. Juliane REBENTISCH „Formen der Partizipation“
3.2. Siglinde LANGE „Partizipatives Kulturmanagement: Interdisziplinäre Verhandlung zwischen Kunst, Kultur und Öffentlichkeit“
3.3. Markus MIESSEN „Albtraum Partizipation“

4. katharinajej „ich in Köln in mir“

5. Fazit: Ein Paradigmenwechsel vom Objekt zum Subjekt

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

„Kunst als Einladung zur Selbstgestaltung“ – Besonders seit den 1990er Jahren hat sich ein Trend in der Kunst-Branche in Richtung partizipatorischer Projekte, der so genannten „Mitmachkunst“ herauskristallisiert. Der Begriff ‚Partizipation‘ taucht in der zeitgenössischen Kunst stetig zunehmender auf und prägt sie wie nie zuvor. Immer häufiger wird man als Besucher aufgefordert, das Kunstwerk selbst zu betreten, zu gestalten oder zu ‚benutzen‘. Die Künstler beanspruchen eine neue Art der Teilhabe und ein gänzliches ‚Eintauchen‘ in das Kunstobjekt. „Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts nähern sich Repräsentation und Realität, Kunst und Leben zunehmend einander an: Materialien werden nicht mehr allein illusionistisch gemalt, sondern real in Kunstwerke integriert.“1 Die Künstler verlangen von ihren Besuchern vollste Aufmerksamkeit und binden durch die geforderte Interaktion das Werk in das Zeitgeschehen ein. Im Zentrum dieser Art von Kunst steht der Kunstbetrachter oder der Ausstellungsbesucher. Die körperlich passive und kontemplative Rezeptionshaltung, die lange vorherrschte, soll abgelegt werden, indem der Betrachter sowohl intellektuell, als auch physisch in die Realisation einer künstlerischen Arbeit involviert wird. Erst im Moment der tatsächlichen Beteiligung des Publikums realisiert sich die Projektidee als eine künstlerische Arbeit. Dieser Ansatz zur Provokation im Kunstgeschehen dient dazu, den traditionellen„unantastbaren“ Werkbegriff aufzubrechen und ein ‚Sich-Lösen‘ vom klassischen dualistischen Produzent-Rezipient-Modell anzustoßen. Stattdessen wird ein Subjekt- Subjekt-Verhältnis durch den partizipatorischen Ansatz gefordert und gefördert. Doch wie ist dieser neue Ansatz im Umgang mit Kunst zu bewerten? Welche Intentionen stecken hinter solchen partizipatorisch orientierten Projekten?

Um diese Fragen zu beantworten, wird zunächst der Partizipationsbegriff genauer definiert. Anschließend wird der aktuelle Forschungsstand durch Juliane REBENTISCH, Siglinde LANGE und Markus MIESSEN umrissen. Im Anschluss daran wird ein Projekt der Performance-Künstlerin katharinajej näher beschrieben und mit Rückblick auf die Forschungsliteratur kritisch rezipiert. Schließlich fasst ein Fazit die gewonnen Erkenntnisse noch einmal zusammen.

2. Partizipation

2.1. Begriffserklärung und Definition

Der Begriff ‚Partizipation‘ entstammt dem Lateinischen participatio und bedeutet Beteiligung, Teilhabe, Mitwirkung, Einbeziehung oder Teilnahme. Mit politischem Bezug meint dies die Teilnahme an Wahlen, die Mitgliedschaft in politischen Parteien oder die aktive Teilnahme in Interessensverbänden.2 Soziologisch betrachtet gilt Partizipation als gesellschaftlich relevant und fördert die Entwicklung des sozialen Kapitals. Aus pädagogischer Sicht versteht man den Begriff Partizipation als Einbeziehen von Kindern bei allen Ereignissen, die das Zusammenleben betrifft.3 In der Kunst stößt dieser Aspekt eine neue Künstler-Betrachter-Kunstwerk-Beziehung an.

Dennoch bzw. aufgrund dieser vielen verschiedenen Anwendungsbereiche, lässt sich nur schwer eine klare Definition von Partizipation finden.

„Das wachsende Interesse an Beteiligung in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen sowie die damit verbundene Zustimmung zum Prinzip partizipativen Handelns haben weniger zu einer Klärung, als vielmehr zu einer unübersichtlichen Vervielfältigung und Verwässerung der Begrifflichkeit geführt.“ 4

Im Folgenden versucht diese Arbeit zumindest den Begriff der partizipatorischen Kunst genauer zu definieren.

2.2. Partizipation in der Kunst

Auf partizipatorische Kunst bezogen meint es die Vereinigung der Perspektive des Künstlers, da er den Rezipienten an seiner Arbeit beteiligt, und der Perspektive des Rezipienten, da er an einem Projekt teilnimmt.

Eine künstlerische Arbeit kann nur dann als partizipatorisch bezeichnet werden, wenn bestimmte Parameter berücksichtigt und erfüllt werden. Zum einen muss der Künstler die Absicht formulieren, jemanden an seiner Arbeit teilhaben zu lassen – dies muss durch eine konkrete schriftliche Einladung oder ein offensichtliches Angebot deutlich gemacht werden. Konkrete Handlungsanweisungen sind dafür von Nöten. Es kann in konkreter Textform oder auch impliziert durch die Anlage der künstlerischen Arbeit formuliert sein. So bilden Handlungsanweisungen die Basis jeder partizipatorischen Arbeit.5 Der Künstler versucht durch diese Einladungen und Aufforderungen die Rezipienten zu Handelnden zu transformieren, sodass die Handlungen beobachtbar sind, bzw. „eine wahrnehmbare Spur in einem Geschehen, an einem Werk oder an einer Person hinterlassen“6. Dieser Faktor stellt das zweite Paradigma der partizipatorischen Kunst dar. Die leibliche Präsenz, die physische Involvierung und die körperliche Aktivität des Rezipienten ist entscheidend. Neben der partizipatorischen Intention des Künstler, dem Adressaten als performativem Rezipierendem spielt zuletzt das Kriterium des zeitlichen Verlaufs eine essenzielle Rolle. In der Partizipationskunst werden die künstlerischen Arbeiten zu prozessualen Projekten geformt. „Erst im Prozessverlauf realisiert sich die performative Teilhabe des Rezipienten.“7 Sie wandeln sich von passiven Teilnehmern zu aktiven Handelnden – zu Performern.

Eine Bedingung für das Schaffen von partizipatorischen Kunstprojekten ist ein „offenes Kunstwerk“, wie Umberto Eco es forderte, um den Rezipienten am Prozess seiner Bedeutungskonstruktion teilhaben zu lassen. Der dadurch ausgeweitete Autorenbegriff kann die nötige Verlagerung des Produktionsprozesses – weg vom Künstler, hin zum partizipierenden Betrachter – anstoßen.8

Einer der häufigsten Kritikpunkte, die in Bezug auf partizipatorische Kunstvermittlung geäußert werden, ist, dass die Kunstvermittlung Gefahr laufe, zur „de-professionellen Praxis und Sozialarbeit zu werden“ und die Ergebnisse nicht länger nach den bekannten ästhetischen Kriterien eines Museumsfeldes bewertet werden könnten.9 Allerdings wird dieser Punkt häufig von Institutionen genannt, die bisher nur wenig Kontakt mit Partizipationskunst hatten. Es scheint, als bestehe im Augenblick noch eine gewisse Angst vor solcher Art von Kunst.10

Der Beginn der partizipatorischen Kunst findet sich in den 50er und 60er Jahren. Damals stand der Prozess der Kunstproduktion zunehmend im Fokus. Zu diesem Zeitpunkt findet sich nicht mehr nur das Kunstwerk selbst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern auch der Entstehungsprozess und die Präsentation des Werks. „Durch die Verbindung von darstellender und bildender Kunst im Rahmen von Performances, Aktionen und Happenings wird der Betrachter in den Entstehungsprozess von Kunst explizit miteinbezogen.“11 Diese neue Betrachtung von Kunst, die sich durch die Verbindung dieser drei Faktoren zusammensetzt, bewirkt, dass der Betrachter in größerem Umfang in das Kunstwerk ‚eintauchen‘ kann. Auch der Rezipient wird von dem Künstler genutzt, um das Werk zu komplettieren. Vor allem auch die Strömung der Avantgarde gab den Anstoß dafür, dass nicht nur künstlerische Objekte, sondern auch Handlungen als kunstfähig angesehen wurden. Kunstrichtungen wie Happenings oder Body Art rückten zunehmend in den kunstwissenschaftlichen Diskurs. Auch in der Theaterszene machten sich Einflüsse dieser Entwicklungen bemerkbar: Immer häufiger wurden sogenannte „Mitspieltheater“ aufgeführt. Der Leitgedanke der Avantgarde, dass Kunst in den Lebensalltag integriert werden solle, bekräftigte die partizipatorischen Strömungen der Kunstszene. Der Bogen zu dem behandelnden Thema lässt sich in folgendem Zitat sehr gut festhalten: „Partizipation sollte als kulturelle Teilhabe definiert werden; sie wirkt grenzauflösend zwischen Kunst und Leben“12

2.3. Geschichte der partizipatorischen Kunst

Im deutschsprachen Raum findet vor allem die Entwicklung der neuen Kunstform‚Environment‘ als konkreter Anstoß der Partizipation in der Kunst Ende der 60er Jahre statt. Im Jahr 1968 eröffnete in Bern die erste europäische Überblicksausstellung zum Environment (12 Environments).13 Dabei wurde viel Wert auf den kausalen Zusammenhang zwischen Betrachterbeteiligung und Environment gelegt, das heißt die Betonung lag darin, dass die zentralen künstlerischen Überlegungen von dem Wunsch geleitet wurden, die Beziehung zwischen dem Kunstobjekt und dem Publikum zu verändern. Der Begriff der Partizipation sollte genau dieses Verhältnis charakterisieren. Vielen Künstlern war es wichtig, dass die Besucher sich durch aktive Handlungen an den Werken beteiligten. Die Kunstform des Environments bot die perfekte Plattform, um situative Kunstwerke mit einer solchen Intention der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Funktion dieser neuen Orientierung war die Veränderung des Betrachterbezugs. Die Begriffe ‚Partizipation‘ und ‚Situation‘ benennen die wesentlichsten Charakterzüge der Kunstform Environment.

Ebenfalls zu nennen ist der Einfluss Arnold Bodes, der auf der vierten documenta im Jahr 1968 eine veränderte Besucherbeteiligung initiierte. Er griff dabei auf neuartige Vermittlungs- und Aneignungsstrategien von US-amerikanischen Künstlern zurück, um die Aktivität des Rezipienten in den Fokus der Ausstellungsstücke zu rücken und somit eine Veränderung des Rezeptionsverhaltens zu bewirken.

Der französische Kunstkritiker Nicolas BOURRIAUD führte in den 90er Jahren die Begrifflichkeit „relationale Ästhetik“ ein, in der er das „Kunstwerk eher auf der Grundlage der ‚menschlichen Interaktion und ihres gesellschaftlichen Kontexts‘ beurteilt und nicht als Behauptung eines unabhängigen und privaten symbolischen Raumes“. Der Ansatz der‚relationalen Ästhetik‘ bezieht sich demnach vielmehr auf die Ortsbezogenheit des Kunstwerks und dem performativen Erleben, als auf ein bestimmtes künstlerisches Objekt an sich. Sie beziehe sich auf die Interaktion und Partizipation des Publikums untereinander und mit dem Ausstellungsstück.

Besonders Medienkünste benötigen Interaktion durch Partizipation des Betrachters. Viele Künstler machen sich daher die moderne Technik zu Nutze. Nicht selten finden sich in Ausstellungen Video- oder Computerinstallationen, die Besucher dazu auffordern, aktiv teilzunehmen. Erst durch diese geforderte Partizipation entsteht aus dem Ausstellungsstück das gedachte Kunstwerk – erst das Eingreifen des Rezipienten erzeugt die eigentliche Kunst. Dieser Aspekt der Medienkunst charakterisiert den Besucher daher als ‚Benutzer‘.

3. Forschungsstand

Bereits seit einigen Jahren findet sich die partizipatorische Kunst im Fokus der Kunstwissenschaft wieder. Besonders zeitgenössische Künstler behandeln die Thematik der Partizipation auf unterschiedlichste Weise.

3.1. Juliane REBENTISCH„Formen der Partizipation“

In ihrem Werk „Theorien der Gegenwartskunst zur Einführung“ (2013) zeigt Juliane REBENTISCH deutlich, inwieweit sich die Kunsttheorien in Bezug auf die Kunst bis hin zur heutigen Gegenwartskunst gewandelt haben. Neben der zunehmend geringeren Bedeutung des Werkcharakters, der Überschreitung der Gattungen und der Bewegung der Kunst hin zur Nicht-Kunst, greift sie Umberto Ecos Begrifflichkeit des ‚Offenen Kunstwerks‘ ausführlich auf. Im Grunde sei jedes Kunstwerk als offen zu betrachten, denn auch scheinbar in sich geschlossene Kunstwerke sind aus „unendlich vielen Perspektiven“14 zu betrachten. Jedes Kunstwerk, ob formal geschlossen oder nicht, fordere „eine freie und schöpferische Antwort“ von seinem Publikum.15 Nur die Interpretationsleistung seiner Betrachter kann es letztlich beleben und seine ästhetischen Qualitäten freisetzen.

[...]


1 BEITIN, Andreas; WEIBEL, Peter (o.J.): Partizipation.

2 Vgl. SCHUBERT, Klaus; KLEIN, Martina (2011): Das Politiklexikon. 5., aktual. Aufl. Bonn: Dietz .

3 Vgl. KREUZIGER, Andreas: Partizpation von Kindern und Jugendlichen.

4 DANKO, Dagmar; MOESCHLER, Oliver; Schumacher, Florian: Kunst und Öffentlichkeit, S. 97.

5 Vgl. FELDHOFF, Silke (2009): Zwischen Spiel und Politik. Partizipation als Strategie und Praxis in der bildenen Kunst. Bd. 1: Analyse, Kontextualisierung, Bewertung. S. 34.

6 Ebd.

7 Ebd.

8 Vgl. BEITIN; WEIBEL.

9 ALTMANN, Karin; MARESCH, Mela (2014): Die Kunst der Partizipation: Über die Möglichkeiten und den Stellenwert der Kunstvermittlung an Museen.

10 Vgl. Ebd.

11 Ebd.

12 Ebd.

13 FELDHOFF, S. 30ff.

14 REBENTISCH, S. 27.

15 Vgl. ebd., S. 29.

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Partizipation in der Kunst. Ein Paradigmenwechsel vom Objekt zum Subjekt
Université
University of Duisburg-Essen  (Kunst und Kunstwissenschaft)
Note
1,0
Auteur
Année
2016
Pages
17
N° de catalogue
V462137
ISBN (ebook)
9783668918726
ISBN (Livre)
9783668918733
Langue
allemand
Mots clés
Partizipation, Kunst, REBENTISCH, LANGE, Miessen, katharinajej, Objekt, Subjekt, Rezeption, Provokation, Performance
Citation du texte
Sophie Hohmann (Auteur), 2016, Partizipation in der Kunst. Ein Paradigmenwechsel vom Objekt zum Subjekt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/462137

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