Das Motiv der Natur in Goethes "Die Leiden des jungen Werthers"


Hausarbeit, 2019

15 Seiten


Leseprobe

Gliederung

1. Einleitung

2. Werther und die Natur
2.1 Allgemeines
2.2 Die Rolle der Jahreszeiten
2.3 Vergleich von Natur und Stadt
2.4 Pantheistische Züge in Werthers Naturerleben
2.5 Die Natur als Lösung für Werthers Identitätskrise

3. Die Rolle der Natur in Goethes Leben und Werk
3.1 Goethe ein Pantheist? – Goethes Bezug zur Religion
3.2 Vergleich zu anderen Werken Goethes

4. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Beim Lesen des Titels Die Leiden des jungen Werthers stellt sich zunächst die Frage: „Woran leidet dieser arme Mann?“ Die erste Antwort die man er- wartet ist, „Er leidet aufgrund der unerwiderten Liebe zu seiner Lotte.“ Doch genügt das?

Meiner Meinung nach nicht, denn Goethes Werke sind weitaus komplexer und nicht nur schlichte Liebesromane. Werther ist ein typisches Beispiel der Identitätskrise des 18. Jahrhunderts. Wie sich diese äußert und wie Werther versucht diese zu bewältigen, probiere ich zu erläutern. Insgesamt unter- nimmt Werther drei Versuche mithilfe von Natur, Liebe und Gesellschaft sein Leben zu stabilisieren. Hierbei liegt der Fokus auf der Natur, zu der Werther eine ganz besondere Verbindung erlebt, welche so stark ist, dass sie in pan- theistischen Zügen kumuliert. Im Nachfolgenden werden die Parallelen von Werthers Naturerleben zu seiner Gefühlswelt, die Suche nach der eigenen Identität mithilfe der Natur und Gründe für das Scheitern daran näher er- leuchtet. Des Weiteren werden Einblicke in Goethes religiöse Einstellung, seine eigene Haltung zum Pantheismus und zur Natur gewährt sowie aus- gewählte Vergleiche zu anderen Werken Goethes gezogen.

2. Werther und die Natur

Wie man bereits beim ersten Lesen des Werkes Die Leiden des jungen Werthers bemerkt, ist Werthers Verhältnis zur Natur ein ganz besonderes. Natur bedeutet für ihn Zuflucht, Sicherheit, Geborgenheit und offenbart die Anwesenheit übernatürlicher Kräfte. Es lassen sich demzufolge deutlich pan- theistische Züge bei der Beschreibung der Natur erkennen. Durch die Natur versucht Werther sich zu identifizieren und sein Leben zu stabilisieren. An- hand seiner entweder positiv-euphorischen bzw. später negativ-hasserfüllten Beschreibung seiner Umgebung lassen sich Werthers innerste Gefühle ablei- ten. Man sieht, dass die Natur einige Parallelen zu Werthers Gefühlswelt aufweist.

2.1 Allgemeines

Da Werther ein typischer Vertreter der Stürmer und Dränger ist, sieht auch er die Natur als einen lebendigen Organismus an. Er selbst ist dabei Teil dieses Organismus1. Die Stürmer und Dränger bedienen sich an dem "Motiv der Flucht aus der Gesellschaft in die ländliche Geborgenheit und Abgeschie-denheit der Natur"2. Demzufolge dient die Natur im Sturm und Drang als Rückzugs- bzw. Zufluchtsort. Dies lässt sich ebenfalls auf Werther übertra- gen, der aus seinem städtischen Heimatort in das ländliche Wahlheim gezo- gen ist. Dieses neue Naturgefühl, das nebenbei bemerkt durch Rousseau gewissermaßen ausgelöst wurde, äußert sich in einer "Zivilisations- und Staatsverdrossenheit", die zu einer "Natursehnsucht" führt. Diese Natursehnsucht äußert sich in dem Wunsch eins mit der Natur zu werden3.

Es ist wunderbar, wie ich hierher kam und vom Hügel in das schöne Thal schaute, wie es mich rings umher anzog. Dort das Wäldchen! Ach könntest du dich in seine Schatten mischen! Dort die Spizze des Bergs! Ach könntest du von da die weite Gegend überschauen! Die aneinander gekettete Hügel und vertrauliche Thäler. O könnte ich mich in ihnen verliehren!4

Auch Werther äußert diesen Wunsch, indem er sich in ihr „verliehren“ möchte. Die wiederholte Interjektion „Ach“ drückt die Sehnsucht aus, die Werther bei jedem Gedanken an die Natur in Wahlheim empfindet.

Goethes eigene Grundidee war, dass ein Ausgleich nur in der Natur herrschen kann5. Das heißt auch, dass Werther diesen Ausgleich nur in der Natur finden kann. Sie dient ihm als Ort der Erholung von seinen Leiden und als Quelle seiner Kräfte und Ressourcen. Somit ist es kaum verwunderlich, dass seine Verbundenheit zur Natur nahezu pantheistische Züge annimmt (mehr dazu in Kapitel 2.4). Diese Verbundenheit spiegelt sich auch in einem synchronen Rhythmus zu den wechselnden Jahreszeiten wieder6.

2.2 Die Rolle der Jahreszeiten

Das Werk beginnt am 4. Mai, es ist also Frühling. Zu dieser Jahreszeit erfreut sich Werther besonders an der Natur. Die Glückseligkeit und Ekstase, die Werther in den Frühlingsmonaten erfährt, könnte man schon als „Frühlingsgefühle“ bezeichnen.

Die Einsamkeit ist meinem Herzen köstlicher Balsam in dieser paradisischen Gegend, und diese Jahreszeit der Jugend wärmt mit aller Fülle mein oft schauderndes Herz. Jeder Baum, jede Hecke ist ein Strauß von Blüten, und man möchte zum Mayenkäfer werden, um in dem Meer von Wohlgerüchen herumschweben, und alle seine Nahrung darinne finden zu können. 7

Auffällig sind hierbei die üppig verwendeten, positiv konnotierten Adjektive wie „köstlich[er]“ oder „paradiesisch[en]“ sowie die Verben „wärmt“ und „herumschweben“, die Werthers Wohlgefühl in der Natur ausdrücken. Der Frühling als „Jahreszeit der Jugend“ dient ihm als Halt und Schutz vor üblen Gefühlen. Er selbst würde gerne in Gestalt eines „Mayenkäfers“ Teil der Natur und komplett darin eingebunden sein. Hier äußert sich erneut der Wunsch nach einer Einheit mit der Natur und Werther sucht Schutz in dieser. Man erkennt, dass ihn die Natur glücklich macht und dass diese Glücksgefühle so stark sind, dass er sie mitteilen muss.

Das ändert sich jedoch im Herbst. Die Intensität seiner Gefühle ist zwar genau so stark, jedoch verändern sie sich ins negative. Man könnte hierbei schon von depressiven Gefühlen sprechen.

Wie die Natur sich zum Herbste neigt, so wird es Herbst in mir und um mich her. Meine Blätter werden gelb, und schon sind die Blätter der benachbarten Bäume abgefallen.8

Werther erkennt selbst, dass sich mit der düsteren Jahreszeit auch seine Laune verschlechtert. Hier lässt sich langsam schon erahnen, dass er beginnt, mit seinem Leben abzuschließen. Am schlimmsten äußert sich jedoch der einkehrende Winter, denn in dieser "menschenfeindlichen Jahreszeit"9 hat er am meisten mit seinen negativen Gefühlen zu kämpfen. Letztendlich ist der Winter die Jahreszeit, in der er sich zum Schluss des Werkes das Leben nimmt.

Ein weiteres gutes Beispiel für den Vergleich der Jahreszeiten und der Gefühle ist der Kirchhofplatz. Im Sommer war dieser noch ein idyllischer Ort10. Im Winter hat der Platz jedoch all seinen Charme verloren und die "Grabsteine" verdeutlichen die Traurigkeit und Trostlosigkeit dieses Ortes11.

2.3 Vergleich von Natur und Stadt

Wie bereits erklärt (Kapitel 2.1) zog Werther von seinem städtischgesellschaftlichen Geburtsort in das ländliche und idyllische Wahlheim. Man könnte dies sogar eher als Flucht bezeichnen, denn bereits im ersten Satz des ersten Briefes sagt er: „Wie bin ich froh, dass ich weg bin!“12 Demnach gibt er selbst preis, dass er die Natur der Stadt vorzieht. Unterstützt wird dies durch die fast ausschließlich positiven Beschreibungen der Natur. Goethe stellt damit Stadt und Natur antithetisch gegenüber, was die starken Kontraste der beiden Orte hervorhebt.

2.4 Pantheistische Züge in Werthers Naturerleben

Werthers besondere Verbindung zur Natur nimmt an vielen Stellen pantheistische Züge an. Er erkennt überall um sich herum Zeichen, die die Lebendigkeit und die Göttlichkeit der Natur belegen sollen. So spricht er zum Beispiel in dem Brief vom 10. Mai von einer von „Geistern“ beseelten Natur13. Er sieht die Natur als ein übernatürliches Zusammenspiel von Kräften, die er als „Offenbarung der göttlichen Urund Schöpferkraft“14 interpretiert. Doch er spürt diese göttliche Macht nicht nur in Form von übernatürlichen Erscheinungen.

Wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzähligen, unergründlichen Gestalten, all der Würmgen, der Mückgen, näher an meinem Herzen fühle , und fühle die Gegenwart des Allmächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf, das Wehen des Allliebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält. Mein Freund, wenns denn um meine Augen dämmert, und die Welt um mich her und Himmel ganz in meiner Seele ruht, wie die Gestalt einer Geliebten; dann sehne ich mich oft und denke: ach könntest du das wieder ausdrücken, könntest du dem / Papier das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, daß es würde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes. Mein Freund Aber ich gehe darüber zu Grunde, ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser Erscheinungen.15

[...]


1 Vgl. Flaschka, Horst: Werkkontextuelle Deskription und Analyse, München: Fink 1987 S. 147.

2 Ebd.

3 Vgl. ebd. S. 147f.

4 G oethe, Johann W. Die Leiden des jungen Werthers. Paralleldruck der beiden Fassungen. Hrsg. Matthias Luserke. Stuttgart: Reclam 2017 S. 56 V. 5-11.

5 Vgl. Meyer, Heinrich: Goethe. Das Leben im Werk. 2. Auflage. Stuttgart: Günther 1967 S.142f.

6 Vgl. Flaschka S.198.

7 Luserke S.10 V.10-16.

8 Ebd. S.163 V.24-27.

9 Ebd. S.219 V.5.

10 Vgl. ebd. S.24.

11 Vgl. ebd. S.211.

12 Ebd. S.8. V.1.

13 Vgl. Ebd. S.12.

14 Flaschka S.149.

15 Luserke. S. 12 V. 12-27.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Das Motiv der Natur in Goethes "Die Leiden des jungen Werthers"
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Germanistische Literaturwissenschaft)
Autor
Jahr
2019
Seiten
15
Katalognummer
V462242
ISBN (eBook)
9783668934559
ISBN (Buch)
9783668934566
Sprache
Deutsch
Schlagworte
motiv, natur, goethes, leiden, werthers, Pantheismus, Naturreligion
Arbeit zitieren
Maren Schürer (Autor:in), 2019, Das Motiv der Natur in Goethes "Die Leiden des jungen Werthers", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/462242

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