John Rawls "Justice as Fairness". Begrenzte Lehre oder universelle Moraltheorie der Gerechtigkeit?


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2018

19 Pages, Note: 2,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. RAWLS` GERECHTIGKEIT ALS FAIRNESS: DESKRIPTION, ANALYSE UND KRITIK

3. DER UNIVERSALE ANSPRUCH VON RAWLS GERECHTIGKEITSTHEORIE
3.1 Gerechtigkeit als Fairness: Politisch und nicht metaphysisch
3.2 Law of Peoples: Globale Anwendung der Moraltheorie
3.3 Patikularismus vs. Universalismus

4. FAZIT UND EIGENE MEINUNG

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der berühmte Philosoph der Aufklärung Immanuel Kant unternimmt bekanntlich den Versuch die Philosophie durch vier Fragen zu definieren: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Doch ist eine allgemeingültige Beantwortung dieser Fragen überhaupt möglich? Insbesondere die Beantwortung der zweiten Frage,1 also die nach der Moral, erscheint unter dem Aspekt einer pluralistischen Welt, in der viele Kulturen mit wiederstreitenden Normen und Werten existieren, schwierig. Kann in einer solchen Welt eine transnJene Kontroverse soll im folgenden Abschnitt ausführlich erläutert werdenationale Moral aufgestellt, eingefordert und möglicherweise auch durchgesetzt werden? Sind die Gesellschaften in ihren Strukturen nicht in einem so unterschiedlichen Maße konzipiert, dass eine Übereinkunft über eine derartige Anforderung utopisch und unmöglich erscheint?

Jener Problematik steht auch die Gerechtigkeitskonzeption von John Rawls gegenüber, über die bis heute in der Sozialwissenschaft debattiert wird, und seine Anhänger in partikulare und universale Rawlsianer spaltet. Zu dieser Auseinandersetzung soll die vorliegende Seminararbeit einen Beitrag leisten. Die Forschungsfrage lautet: Inwiefern kann Rawls` Theorie der Moral einen universalen Anspruch erheben?

Hierfür sollen seine Thesen, dargelegt in „Justice as Fairness“, zunächst noch einmal grundsätzlich betrachtet und erörtert, sowie auf prominente Einwände eingegangen werden. Anschließend wird, durch Vertiefung der Theorie unter Berücksichtigung zwei seiner weiteren Werke, herausgearbeitet werden, wie sich Rawls selber zu dieser Frage verhält. Daraufhin sollen, durch intensive Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur, sowohl Argumente die für, als auch gegen eine universale Anwendung der Moral sprechen, diskutiert werden. Letztendlich soll ein Fazit gezogen und die eigene Meinung dargestellt werden.

2. Rawls` Gerechtigkeit als Fairness: Deskription, Analyse und Kritik

Im folgenden Abschnitt soll Rawls` Moraltheorie beschrieben und analysiert werden. Ferner werden verschiedene Einwände dargelegt, welche gegen die Theorie vorgebracht wurden.

Rawls` „Theory of Justice” erschien im Jahr 1971. Sie baut auf mehreren, bereits vorher publizierten Essays auf, legt eine umfassende Moraltheorie der Gerechtigkeit dar und gilt als eine der bedeutendsten Werke der Politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts. Sie plädiert für einen demokratischen Rechtsstaat, der Freiheit und sozialen Ausgleich miteinander in Einklang bringt. 2 Seine Theorie stellt zwar keinen klassischen Gesellschaftsvertrag dar, baut aber auf dem Kontraktualismus, insbesondere dem Kantianischen auf. Wie bereits dem Titel entnommen werden kann, ist Fairness in Rawls` Konzeption eine entscheidende Bedeutung beizumessen. „Eine Praxis ist dann gerecht oder fair, wenn sie den Prinzipien genügt, die den daran Beteiligten unter den zuvor erwähnten Umständen zur gegenseitigen Anerkennung vorschlagen könnten. Die an einer gerechten oder fairen Praxis beteiligten Personen stehen einander offen gegenüber und untermauern ihre jeweiligen Positionen, falls sie fragwürdig erscheinen, dadurch, daß (sic!) sie sich auf Prinzipien beziehen, deren Anerkennung man vernünftigerweise erwarten kann. Diese Vorstellung der Möglichkeit gegenseitiger Anerkennung von Prinzipien durch freie Personen, die keine Autorität übereinander haben, macht den Begriff der Fairneß (sic!) so grundlegend für die Gerechtigkeit“. 3 Um einen solchen Zustand zu schaffen, konstruiert Rawls einen fiktiven Ur-Zustand, in dem die gleichgestellten und an sich selbst interessierten Individuen miteinander aushandeln, wie die Gesellschaft in der sie Leben konzipiert sein soll. Dieser besitzt die Funktion aufzuzeigen, auf welche Normen und Werte sich vernünftige Individuen einigen würden. Es gilt der „Schleier des Nichtwissens“, das heißt die Menschen können rational denken und sich miteinander verständigen, sind aber unwissend über entscheidende individuelle Faktoren. Ausprägungen wie Nationalität, Hautfarbe, Geschlecht, Intelligenz, soziale Position, Generation, körperliche Kraft, natürliche Talente oder die eigene Einstellung zum Risiko sind gänzlich unbekannt. Folglich wird ein Zustand wahrer Unparteilichkeit als regulierende Norm geschaffen.4 Um zu verhindern, dass Subjekte stets Prinzipien bevorzugen, die ihren persönlichen Interessen dienen, soll eine grundlegende Konstitution der Gesellschaft bereits im Voraus erfolgen. Aus den gewählten Grundsätzen ergeben sich dann weitere Details, wie gesellschaftliche Zusammenarbeit oder die Zusammensetzung der Regierung.5

Da die Wahrscheinlichkeit hoch ist, in der Gesellschaft zu den Benachteiligten zu gehören, würden sich die Individuen, aufgrund ihrer Rationalität auf folgende grundlegende Prinzipien einigen. Erstens gilt die Norm der egalitären Freiheit: “Each person has an equal right to a fully adequate scheme of equal basic liberties which is compatible with a similar scheme of liberties for all”. 6 Jedermann besitzt also das gleiche Recht auf Freiheit, insofern diese nicht mit der Freiheit Anderer kollidiert. Folglich können alle Menschen für sich selbst entscheiden was das „gute Leben“ ist und durch welche Lebensart dieses zu erreichen ist. Zweitens gilt das Differenzprinzip: „Social and economic inequalities are to satisfy two conditions. First, they must be attached to offices and positions open to all under conditions of fair equality of opportunity; and second, they must be to the greatest benefit of the least advantaged members of society”. 7 Mit dem „Wiedergutmachungsprinzip“, welches als Teil des Differenzprinzips zu begreifen ist, geht Rawls sogar noch weiter und vertritt die These, da natürliche Talente zufällig verteilt sind, dass auch für diese ein Ausgleich erfolgen soll. Es gilt also der Grundsatz, dass ökonomische Ungleichheiten, welche prinzipiell nichts Verwerfliches darstellen, so auszugestalten sind, dass sie auch den Schwächsten zum Vorteil gereichen. Dieses Wohlfahrtsprinzip generiert Unterstützung der Ärmeren für die Reichen und fördert den gesellschaftlichen sozialen Frieden. Auch dürfen Ungleichheiten nicht das Prinzip der Chancengleichheit verletzen. Öffentliche Positionen und Ämter müssen Jedermann in gleicher Weise zugänglich sein. Die gewählten Prinzipien würden also zur Folge haben, dass die risikoaversen Individuen sich auf eine Gesellschaft einigen würden, die sich durch ein hohes Maß an Gleichheit auszeichnet: „Da keiner die Möglichkeit hat, besondere Vorteile für sich selbst zu erringen, könnte jeder es als vernünftig annehmen, Gleichheit als Ausgangsprinzip anzuerkennen“. 8

Es lässt sich analysieren, dass Rawls Moraltheorie nicht subjektiv gerechtes Verhalten, sondern gerechte Institutionen verlangt. Ganz im Gegenteil nutzt Rawls den menschlichen Egoismus für die Schaffung der gerechten Institutionen. Es gilt die „Prima- facie-Pflicht“: Befolgung der anerkannten Regeln bei gleichzeitigem Recht, dass sich alle Teilnehmer ebenfalls an diese halten. Rawls wendet sich, insbesondere mit der individualistischen Perspektive und dem Differenzprinzip gegen den klassischen Utilitarismus,9 da dieser alle Personen als einen Gesamtkorpus betrachtet. Nach seiner Theorie ist eine Gesellschaft erst dann als gerecht zu betrachten, wenn sie jedem Subjekt aufgrund seiner Konstitution ein besseres Leben zukommen lässt.

Kritik an Rawls (zumeist als sozialliberal klassifiziertes Modell) erfolgt sowohl von kommunitaristischer10 als auch liberaler Seite. Rawls priorisiert, wie bereits dargestellt, „das Rechte“ vor „dem Guten“. Eine Hauptaufgabe des Staates besteht darin, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu setzen, in denen Jedermann seinen individuellen Lebensentwurf verfolgen kann, worin für ihn persönlich die gute Lebensart besteht. Für Kommunitaristen hingegen genießt die Frage nach dem tugendhaften an der Gemeinschaft orientierten Leben Vorrang vor „dem Rechten“. Diese kritisieren das reine Nutzenkalkül des liberalen Ansatzes und die fehlende Begründung aus welchen moralischen Gründen eine Gesellschaft so oder so aussehen sollte. Aus Rawls` Ur- Zustand mit dem „Schleier des Nichtwissens“ lässt sich lediglich entnehmen, dass der Mensch eine moralische Person ist. Über die Qualität der Moral gibt sein Modell jedoch keine Aussage und sei deshalb letztendlich ohne Substanz. Der Philosoph Michael Sandel führt an, dass Rawls ebenso wie der Liberalismus im Allgemeinen von einem falschen Menschenbild ausgeht. Der falsche Anthropologismus eines isolierten zweckrationalen Individuums ohne soziologische Konstitution und Rollenverständnis auf der ersten Ebene führt zu einer falschen gesellschaftlichen Konzeption auf der zweiten Ebene.11 Der Kommunitarist Walzer fordert zwar ebenso wie Rawls den sozialen Wohlfahrtsstaat mit Transferleistungen, doch dieser bietet nach ihm nur eine Überlebensweise und begründet keine konkrete Lebensweise, da er niemanden nachhaltig verpflichtet und lediglich auf rationaler Vernunft, und keinem gesellschaftlichen Moralkonzept basiert.12 Ferner kritisiert er Rawls deontologisch-konstruktivistische Begründungsweise: „Diesen Weg der Moralphilosophie bezeichnet Walzer als den Weg der Erfindung: Ideale Personen treffen sich an einem idealen Ort und erfinden ideale Prinzipien für eine ideale Gesellschaft “.13 Es wird also der (klassische sich gegen jegliche kontraktualistische Theorie richtende) Einwand erhoben, wie sich aus einem hypothetischen Vertrag reale Ansprüche ableiten lassen sollen. Liberale Theoretiker kritisieren insbesondere das Außerkrafttreten des Leistungsprinzips in Folge des Differenzprinzips und die irreale Verantwortung des Wiedergutmachungsprinzip. Ein allgemeiner Einwand besteht darin, dass die Rawlsianische Wechselwirkungsethik nur für gleichgestellte Personen gilt. So ist seine Ethik etwa nicht auf Tiere, denen gegenüber, der Mensch möglicherweise ebenfalls eine moralische Verantwortung besitzt, anwendbar.

Eine eigenständige Debatte hat die Frage ausgelöst, ob sich Rawls` Moraltheorie universal, oder höchstens auf bestimmte Gesellschaften anwenden lässt. Sind die Menschen von ihren Kulturen nicht in so unterschiedlichem Maße geprägt, dass es unmöglich erscheint sich auf gleiche, die von Rawls angeführten Grundprinzipien zu einigen? Jene Kontroverse soll im folgenden Abschnitt ausführlich erläutert werden.

3. Der universale Anspruch von Rawls Gerechtigkeitstheorie

Zunächst soll eruiert werden, wie sich Rawls zu einem universalen Anspruch von „Justice as Fairness“ verhält. Anschließend soll auf das Werk „The Law of Peoples“ eingegangen werden, indem sich Rawls intensiv mit der Frage, welche Normen universale Ambitionen besitzen können, auseinandersetzt.

3.1 Gerechtigkeit als Fairness: Politisch und nicht metaphysisch

Fraglich ist also, welchen Geltungsanspruch Rawls` Theorie für sich beanspruchen kann. „Justice as Fairness“ rief eine Reihe von Kritikern hervor, welche der Theorie durchaus positiv gesinnt waren, jedoch anführten, dass sie lediglich einen Anspruch als „Staatstheorie“ beziehungsweise als Theorie für eine bestimmte Gruppe von Staaten, und nicht auf eine allgemeine Moral (wie z.B. Kants kategorischer Imperativ) erheben könne. Rawls reagierte auf die Repliken, insbesondere durch sein Essay „Gerechtigkeit als Fairneß (sic!): politisch und nicht methaphysisch“, in dem er sich der Frage der Universalität widmet und seine Theorie dadurch präzesiert. Es besagt, dass er seine Thesen einerseits an einigen Stellen unpräzise formuliert hat, und dass sie andererseits oft falsch interpretiert wurde, was zu der Annahme führte, er wolle mit seiner Moraltheorie einen universalen Anspruch erheben. Rawls negiert eindeutig eine globale Einforderung seiner Ethik: „Der entscheidende Punkt ist, daß (sic!) aus praktischpolitischen Gründen keine allgemeine moralische Lehre eine öffentlich anerkannte Grundlage für eine Gerechtigkeitskonzeption in einem modernen demokratischen Staat bereitstellen kann. Die gesellschaftlichen und historischen Bedingungen dieser Staaten haben ihren Ursprung in den auf die Reformation folgenden Religionskriegen und der anschließenden Entwicklung des Toleranzprinzips sowie in der Entstehung verfassungsmäßiger Regierungen und großer industriell geprägter Marktwirtschaften. Diese Bedingungen berühren tiefgreifend die Anforderungen an eine praktikable Konzeption politischer Gerechtigkeit.

[...]


1 Ferner auch die vierte Frage nach der Anthropologie, auf die sich die ersten drei Fragen beziehen.

2 Vgl. Münkler, S. 243 f., Vgl. nach Bernd Ladwig, „Gerechtigkeit“, in: Gerhard Göhler/Mattias Iser/Ina Kerner (Hgg.), Politische Theorie. Umkämpfte Begriffe zur Einführung, 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, Wiesbaden 2011, S: 109-125, S. 110.

3 Rawls (1971), S. 58 f.

4 Vgl. Milnkler, S. 244 f.

5 Vgl. Milnkler, S. 211 ff., nach John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt am Mai 1979,S. 28 f:

6 Rawls(1971), S. 291 f.

7 Rawls (1971), S. 291 f.

8 Rawls(1971), S. 49 f.

9 Der klassische Utilitarismus strebt nach dem „groflten Glilck der groflten Zahl", entscheidend filr die moralische Legitimation einer Handlung ist also ihr aggregierter Gesamtnutzen.

10 Kommunitarismus ist die Bezeichnung filr eine in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA entstandene gesellschaftsphilosophische Stromung, die die Abhängigkeit des Einzelnen von der Gemeinschaft betont und sich gegen üersteigerten Individualismus und Egoismus ausspricht. Sie entstand besonders aus der Auseinandersetzung mit dem Liberalismus und der Auffassung Rawls vom Gesellschaftsvertrag (nach http://www.philolex.de/kommunit.htm).

11 Vgl., Sandel (1993).

12 Vgl., Walzer (1993).

13 Forst, S. 204 f.

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
John Rawls "Justice as Fairness". Begrenzte Lehre oder universelle Moraltheorie der Gerechtigkeit?
Université
University of Passau
Note
2,3
Auteur
Année
2018
Pages
19
N° de catalogue
V462457
ISBN (ebook)
9783668919723
ISBN (Livre)
9783668919730
Langue
allemand
Mots clés
john, rawls, justice, fairness, begrenzte, lehre, moraltheorie, gerechtigkeit
Citation du texte
Julius Bonaventura (Auteur), 2018, John Rawls "Justice as Fairness". Begrenzte Lehre oder universelle Moraltheorie der Gerechtigkeit?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/462457

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