Das Rollen- und Simulationsspiel im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe II. Eine adäquate Methode zur Durchsetzung des problemorientierten Unterrichts?


Examensarbeit, 2004

46 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Rollen- und Simulationsspiel im Geschichtsunterricht aus theoretischer Sicht
2.1. Klärung der Begriffe
2.2. Problematisierung des Rollen- und Simulationsspiels in der fachdidaktischen Literatur
2.3. Verankerung des Rollen- und Simulationsspiels im Lehrplan Geschichte der Sek

3. Das Rollen- und Simulationsspiel in der Praxis des Geschichtsunterrichts – ein Beispiel
3.1. Planung mit didaktischer Reduktion und Entwurf der Durchführung
3.2. Die konkrete Durchführung – Lehrer- und Schülerverhalten
3.2.1. Sensibilisierungsphase
3.2.2. Simulationsphase
3.2.3. Aufarbeitungsphase
3.3. Evaluation – durch die Schüler und durch den Lehrer

4. Abschließende Bewertung des Rollen- und Simulationsspiels im Geschichtsunterricht

Literaturverzeichnis

Bildanhang

Stundenverlaufsplan

Handreichung für beobachtende Schüler

Evaluationsbogen

Thesenpapier zur Handlungsorientierung im Geschichtsunterricht

„Geschichte lebt und kann nur am Leben erhalten werden

dadurch, dass jeder von uns sich als ein Teil von

Geschichte versteht.“ 1

1. Einleitung

Die oben zitierte Aussage, dass „Geschichte lebt“, könnte für oberflächliche Leser zunächst wie ein Paradoxon wirken, verbinden doch viele mit Geschichte etwas Abgeschlossenes, in Museumsvitrinen Eingeschlossenes und dem Laien allzu oft Verschlossenes – wahrscheinlich ist eine solche Wirkung durch das „Spiel“ mit den Assoziationen (die hier als Wort“spiel“ angedeutet sind) beabsichtigt gewesen. Um das Wortspiel noch weiter zu treiben: Gibt es einen Schlüssel zur Verlebendigung von und bewussten Teilhabe an Geschichte ? Die Antwort ist: Es gibt derer viele. Ein Zugang - der nun im Mittelpunkt dieser Arbeit steht - ist es, Geschichte zu „spielen“.

Es handelt sich um ein Verfahren, welches einerseits selber schon eine lange Geschichte aufweist2 und andererseits erst in allerjüngster Zeit unter ganz neuen Perspektiven wieder entdeckt wurde. Gemeint sind mit Letzterem etwa groß angelegte historische Rollenspiele als Freizeitaktivität3, die so genannte experimentelle Archäologie und eine davon abgeleitete neue Form der Museumspädagogik4 sowie nicht zuletzt spielerische Aktivitäten im Geschichtsunterricht.

Spielen im Geschichtsunterricht – ist das nicht schon wieder so ein Paradoxon ? Die Schule ist doch ein Ort des Lernens und Arbeitens, gespielt wird im Kindergarten, so könnte man zugespitzt formulieren. Dass es im Folgenden sogar um das Spielen in Geschichtskursen der gymnasialen Oberstufe bis hin zur 13 geht, ist in dem Zusammenhang nicht als Provokation gedacht und soll auch nicht die Schule als Lernort negieren, sondern vielmehr optimieren. Entsprechende Überlegungen in der vorliegenden Arbeit knüpfen im weiteren Verlauf an eben solche Vorbehalte wie den genannten an und problematisieren, inwieweit ein handlungsorientierter Ansatz am Beispiel des Rollen- und Simulationsspiels einem problemorientierten, wissenschaftspropädeutischen Unterricht in der Sekundarstufe II angemessen ist. Über die beschriebene quantitativ zunehmende Präsenz von historischen Spielen im schulischen (dies insbesondere in der Sekundarstufe I) und außerschulischen Kontext hinaus ergibt sich eine Relevanz dieser Frage vor allem anhand fachdidaktischer Diskussionen in der Literatur seit etwa 1990 und einer dort beklagten „Motivationskrise“ bei Schülern, offenbar hervorgerufen durch eine Verabsolutierung des seit Schmid leitend gewordenen, auf Schriftquellen und deren systematisch-analytische Verarbeitung focussierten fragend-forschenden Ansatzes5, was sicherlich in der Sekundarstufe II ausgeprägter auftreten kann und dann als einseitige „Verkopfung“ des Unterrichts wahrgenommen wird6. Ein solcher Befund scheint ja nach einem motivierenden, auch affektiv-sinnliche („Herz“) und aktionale („Hand“lungsorientierung) Dimensionen des Lernens einbeziehenden Korrektiv zu verlangen7, wie es das Spielen bieten könnte.

Die Frage ist auch, ob damit dann wirklich Schmids Ansatz und auch der in dieser Tradition stehende Problemorientierte Geschichtsunterricht8 korrigiert oder nicht sogar erst zu voller Entfaltung gebracht würden. Letzteres wäre nämlich in der vorliegenden Arbeit nach einem Theorieteil, der einer begrifflichen Eingrenzung von „Spiel“, „Rollenspiel“ und „Simulation“ sowie einem Überblick über die angedeutete fachdidaktische Diskussion und die Verankerung des Spielens im Lehrplan Geschichte dient, als Hypothese zu prüfen – und zwar anhand der Unterrichtspraxis des Verfassers mit zwei Geschichts-Zusatzkursen der Jahrgangsstufe 13. Dieser praktische Teil bildet den Schwerpunkt der Arbeit und behandelt exemplarisch ein selbst entwickeltes Simulationsspiel zum Kalten Krieg, dessen Planung, Durchführung und Evaluation dargestellt werden soll mit Bezug auf die Lehrerfunktionen „Unterrichten“, „Bewerten“ und „Innovieren“. In einer abschließenden Betrachtung wird die Ausgangsfrage nach der Angemessenheit des Rollen- und Simulationsspiels für einen problemorientierten Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe II mit der Hypothese, dass durch das handlungsorientiert-spielerische Element dieser Ansatz vervollständigt, optimiert wird, vor dem Hintergrund der berichteten Praxis nochmals in den Blick genommen.

Das angestrebte Ziel dieser Arbeit ist es in erster Linie, die Hypothese hinreichend begründet aus der Praxis heraus zu verifizieren und in zweiter Linie, Geschichtslehrern, die Oberstufenkurse unterrichten, das Rollen- und Simulationsspiel als eine Möglichkeit zur Motivation, Aktivierung und Affizierung sowie zur Bildung von Identität, Entwicklung von Geschichtsbewusstsein und zu problemorientiertem und letztlich problemlösendem Denken und Handeln zu empfehlen. Das Praxisbeispiel kann dabei eine Anregung sein für die Entwicklung eigener Ideen.

2. Das Rollen- und Simulationsspiel im Geschichtsunterricht aus theoretischer Sicht

2.1. Klärung der Begriffe

„Alles Geschehen in unserer Welt gleicht einem großen Spiel..“ 9

Der Begriff „Spiel“ kann sehr weit gefasst werden, so dass sogar Naturgesetze als Spielregeln begriffen werden können. Einige Komposita und Redewendungen könnten entsprechend verdeutlichen, dass eine klare Eingrenzung von „Spiel“ auf einen bestimmten Bereich, eine Definition gar, kaum möglich erscheint10. Auch das gesellschaftliche Handeln, als vergangenes Handeln ein historisches Handeln, kann als „Spiel“ gelten oder als Komplex von Spielen, in denen Aktanten in bestimmten Rollen auftreten (als König, Soldat, Händlerin, Bäuerin…), ein „Rollenspiel“. Selbst jede Unterrichtsstunde, auch die „trockenste“ Textarbeit oder der „frontalste“ Lehrervortrag, kann als „Rollenspiel“ in diesem weiten Wortsinne aufgefasst werden mit der groben Aufteilung in Lehrerrolle und Schülerrolle, die jeweils in einem „Spielraum“ von Möglichkeiten agieren. „Spiel“ wäre so gesehen eine grundsätzlich ergebnisoffene Interaktion von Rollenträgern - unter bestimmten Bedingungen (Regeln) einerseits und in gewissen Freiräumen andererseits - und „Rolle“ eine solche im soziologischen Sinn, nämlich ein Bündel von Verhaltenserwartungen an den Rollenträger, der sich an die „Spielregeln“ hält, indem er sie erfüllt11. Darauf bezogen wäre Geschichtsunterricht nicht nur selber ein Spiel, sondern hätte auch ständig „Gesellschafts-Spiele“ zum Gegenstand, gerade ein solcher, der Schmid folgend vornehmlich sozial- und strukturgeschichtlich ausgerichtet ist12. Dies ist eine für den weiteren Verlauf der Arbeit und die abschließende Beurteilung nicht unwichtige Erkenntnis.13

Obwohl dieses weite Verständnis von Spiel und Rolle seine Bedeutung hat für das Rollen- und Simulationsspiel im Geschichtsunterricht, bezieht sich die konkrete Verwendung der Begriffe Spiel, Rolle und Simulation in der vorliegenden Untersuchung auf ein enges Verständnis wie folgt: „Spiel“ im Geschichtsunterricht als Rollen- und Simulationsspiel sei eine besondere Phase der Interaktion von Schülern (deshalb auch eine handlungsorientierte Phase) mit eigenen Regeln, in der eine bewusste Rollenübernahme erfolgt, bei der die Schüler in die Rollen von bekannten oder anonymen historischen Personen „schlüpfen“14. „Rolle“ ist in diesem Zusammenhang weniger eine verinnerlichte, die den Schülern als Verhaltenserwartung seitens der Mitschüler und des Lehrers anhaftet als eine solche, die im Sinne einer „Theaterrolle“15 schauspielerisch in einer Mischung aus Empathie und Distanz bewusst und probeweise übernommen wird. Ein „Rollenspiel“ enthält diese genannten Merkmale, wobei es sich abgrenzt von anderen Spieltypen wie dem Brettspiel durch seinen „Darstellungscharakter“16, seine Eigenart der „Dramatisierung“ und „Inszenierung“17 und seine situative Einbettung in eine „Konflikt- oder Problemsituation“ mit „Entscheidungsspielräumen“18. „Simulation“ wird manchmal als ein Oberbegriff von „Rollenspiel“ angesehen19, auch als Unterbegriff20 oder als eine grundsätzlich vom Rollenspiel zu unterscheidende Kategorie21. In dieser Arbeit soll Simulation am ehesten noch angelehnt an Sauer (siehe Fußnote 20) als besondere Form des Rollenspiels verstanden werden, da in den Simulationen, die der Verfasser selbst erprobt hat, einerseits Schüler in historischen Rollen agierten, dies andererseits jedoch jeweils eingebettet war in eine nicht nur verbal, sondern ganzheitlich-sinnlich-emotional greifbar werdende „typisierte Situation“22 mit entsprechend eher „anonymen“ Rollen (keine „großen Männer“), wo mehrfach ein Entscheidungsprozess im Vordergrund stand (ohne jedoch den individuellen Entscheidungsspielraum außer Acht zu lassen) (siehe dazu Fußnote 21). Eine Simulation sei in diesem Sinne ein „Erfahrungsraum“, in den die Schüler mit Kopf, Herz und Hand hineingeraten, um Vergangenes mit möglichst vielen Sinnen passiv aufnehmend wie aktiv handelnd nachzuerleben, geht also über das bloße Rollenspiel hinaus, es gleichwohl beinhaltend23, weshalb im Folgenden der Begriff „Rollen- und Simulationsspiel“ verwendet werden soll.

2.2. Problematisierung des Rollen- und Simulationsspiels in der fachdidaktischen Literatur

Rollen- und Simulationsspiele werden von Geschichtsdidaktikern als Beispiele für handlungsorientierten Unterricht angesehen24. Dabei wird die Handlungsorientierung als Konzept einem Unterricht gegenübergestellt, der begrifflich-kognitiv ausgerichtet ist und in dem die Schüler überwiegend rezipieren25 und angesichts eines strukturgeschichtlichen Ansatzes ohne die Möglichkeit „sinnlich-unmittelbarer“ Erfahrungen „Ohnmachtsgefühle, Passivität, Resignation, Motivationsmangel und … Unlust“ entwickeln26, dies insbesondere in der Sekundarstufe II27. Dies macht den Eindruck, als sei die Handlungsorientierung ein Gegenkonzept zu Schmid28 und zum Problemorientierten Unterricht oder gar deren Ablösung29. Ein genauer Blick in Schmids ursprünglichen Entwurf zeigt jedoch, dass sich bereits dort Elemente finden, die Handlungsorientierung im Allgemeinen und Spiel im Besonderen als integrierbar erscheinen lassen, wenn nicht sogar aus heutiger Sicht einfordern. So macht sich Schmid Forderungen nach „Kommunikation, Kooperation (und) .. Selbstbestimmung“ zu eigen30, plädiert für „sozialbezogene Unterrichtsformen“31, auch in Projekten32, und hält einen Gegenwarts- und Existenzbezug aus lernpsychologischen Gründen für unabdingbar zum Gewinn historischer Erkenntnisse33. An keiner Stelle lehnt Schmid den Einsatz auch von aktivierend spielerischen Elementen zum Erreichen dieser Ziele ab. Im Gegenteil legt er es schließlich implizit fast nahe34. Auch der von Uffelmann vertretene Problemorientierte Unterricht – der im Keim bereits in den Problemzielen bei Schmid zu erkennen ist35 – lässt sich nicht nur rein kognitiv und rezeptiv denken. „Problembewusstes Erkennen“ sei nur möglich, wenn die Schüler sich selbst mit dem historischen Sachverhalt in eine Beziehung setzten36. Dieses „Denken im Dienst des Erkennens“37 muss (!) Uffelmann zufolge ausgehen von einer emotional verstandenen „Betroffenheit“38, wobei er die Gestaltpädagogik als eine Methodenquelle besonders hervorhebt39. Diese erweitere den kognitiv ausgerichteten Unterricht um unter anderem affektive „Kontakterfahrungen“40, wobei das Rollenspiel besonders erwähnt wird als ein Element sowohl in der Motivations- als auch in der Problemlösungsphase41. Im Ergebnis erkennt Uffelmann eine zunehmende Integration handlungsorientierter Methoden in den Problemorientierten Unterricht42. Insofern liegt es bereits auf dieser Ebene nahe zu behaupten, dass das Rollen- und Simulationsspiel im Geschichtsunterricht auch der Sekundarstufe II den leitenden Konzepten von Schmid und Uffelmann nicht widerspricht.

Was kann nun das Rollen- und Simulationsspiel konkret leisten im Rahmen eines problemorientierten Unterrichts ? Es schafft Nähe. Indem sich Schüler nach-vollziehend in das Handeln und Leiden vergangener Personen ein-fühlen, entsteht der vielfach geforderte Existenzbezug. Der historische Gegenstand und die gegenwärtig handelnden Schüler verschränken sich partiell miteinander und die Probleme von damals werden partiell innerhalb einer Simulation als eigene Probleme wahrgenommen, was das Problembewusstsein im eigentlichen Sinne erst schafft. Man kann auch sagen, die ver-handelte Sache betrifft (siehe: Betroffenheit) die Schüler unmittelbar, wird „ihr Ding“43. In gewisser Weise geschieht eine Identifikation der Schüler mit dem Lerngegenstand44. Der „fiktive Handlungskontext…(ist) als der eigene imaginiert“45. Geschichtliche Erfahrungen können durch das Schülerhandeln begrenzt wiederholt werden46. Wenn dabei Nähe und Distanz in einem ausgewogenen Verhältnis stehen und die Schüler zugleich das Eigene im Fremden und das Fremde im Eigenen wahrnehmen, dann können sich durch ein solches „Identifikationslernen“47 ein auf Erkenntnis aus Erfahrung gegründetes Geschichtsbewusstsein und letztlich Identität aufbauen.

Nähe erzeugt und bedingt Emotionen. Die affektive Komponente ist deshalb beim Rollen- und Simulationsspiel immer mit angesprochen. Schließlich geht es unter anderem um Empathie, eben Ein-fühlung, in die fremden Rollen, und auch durch die Interaktion selbst und durch verschiedene Sinneswahrnehmungen während der Simulation werden Gefühle geweckt. Sie seien Teil des Spiels und das Spielgeschehen erfasse den „ganzen Menschen“, so Pöschko48, weshalb auf den Lehrer besondere Anforderungen in der Planungs-, Durchführungs- und Nachbereitungsphase in Bezug auf die Einschätzung und Begleitung seiner Schüler hinsichtlich ihrer Emotionen und deren Aufarbeitung zukommen (siehe Praxisteil). Schulz-Hageleit, der sich ausführlich mit dem Thema Gefühle im Geschichtsunterricht auseinandergesetzt hat, strebt eine „Begegnung mit Geschichte“ als „ganzheitliche Erfahrung“ an, in der der Schüler anders als bei der „intellektuellen Belehrung“ „fühlend und denkend persönlich betroffen“ sei49, was auch die Verbindung von Existenzbezug und Emotion noch einmal aufzeigt. Ähnlich wie Uffelmann hält Schulz-Hageleit einen affektbetonten Zugang vor allem in einer frühen Phase eines Unterrichtsvorhabens für sinnvoll, wobei er insgesamt die schwer widerlegbare Ansicht vertritt, dass jeglicher Unterricht ohnehin von Emotionen begleitet sei50. Dies ist einsichtig, denn „man kann nicht nichts fühlen“ und es gibt keine reine Objektivität51. Gerade viele Gegenstände und Medien des Geschichtsunterrichts sind ohne Emotionen und die Auseinandersetzung mit ihnen gar nicht vorstellbar und auch nicht wünschenswert52. Es scheint schon aus diesen Gründen unsinnig, Gefühle aus dem Geschichtsunterricht „verbannen“ zu wollen, sie sich nicht nutzbar zu machen. Dabei liegt ihr Nutzen im Rollen- und Simulationsspiel neben dem Existenzbezug mit den Anknüpfungsmöglichkeiten für historische Erkenntnisse in ihrer Bedeutung für die Motivation und die Lernleistung der Schüler. Wenn Schüler in Annäherung an ein Spiel bei der Einfühlung in die historischen Personen Eigenes entdecken oder bei der Einstimmung auf eine bevorstehende Simulation zunehmend Betroffenheit empfinden, dann kann dies eine intrinsische Motivation verstärken, Interesse fördern sowie selbstgesteuerte Arbeitsprozesse in Gang setzen53. Neben diesem für die Anfangsphase der Unterrichtsstunde / -reihe besonders wichtigen Nutzen liegt der langfristige Vorteil des affektiven Anteils am Rollen- und Simulationsspiel in der durch die Hirnforschung und Lernpsychologie bestätigten Behaltensleistung. Untersuchungen haben ergeben, dass Lernstoff, der lediglich vom Lehrer mündlich vermittelt wurde, nach 3 Monaten noch bei 10 % der Schüler abrufbar war, während selbst handelnd bearbeiteter Lernstoff noch einen „Haftwert“ von 65 % aufwies54. Raisch weist zudem darauf hin, dass die Speicherung von Informationen im Gehirn durch Rückkopplung an Emotionen erfolgt55 und fordert – von „emotionaler Intelligenz“ und später auch von „emotiver Kompetenz“ sprechend – explizit ein „sinnenhaft-aktives Umgehen mit einem historischen Sachverhalt“ mit dem ersten Ziel einer „intensiven, auch affektiven und emotionalen Inbeziehungsetzung“, um „gerade durch das Zusammenspiel emotionaler und kognitiver Verarbeitungsprozesse“ die „fruchtbarsten Kernergebnisse“ zu erreichen56.

Kritisch gewendet formulieren Hank und auf sie berufend Mayer einige mögliche Vorbehalte gegen das Spiel im Geschichtsunterricht, die insbesondere dessen affektive Dimension betreffen, nämlich die Gefahr einer Rückkehr zur unüberlegten personalisierenden Identifikation und mithin zum Geschichtsbild der „großen Männer“ sowie einer den Ansprüchen problemorientierten Unterrichts zuwider laufenden Suggestion und „unhistorischen Vergegenwärtigung“57. Derartige Konsequenzen sind jedoch vermeidbar. So kann beispielsweise der Personalisierung entgegengewirkt werden, indem man vermeidet, unmittelbar „Haupt- und Staatsaktionen“ mit entsprechend „tragenden Rollen“ (Päpste, Kaiser, Präsidenten…) spielen zu lassen, sondern auf „Nebenschauplätze“, „kleine Leute“ und/oder mehr typisierte Alltagssituationen ausweicht (eine Konferenz im Kreise von Beratern, ein Gespräch auf dem Marktplatz, ein römisches Gastmahl…), was auch dem Charakter einer Simulation mit ihren Spielräumen und ihrer sinnlichen Vielfalt in der Regel näher kommt und der mehr sozial- und strukturgeschichtlichen Herangehensweise des Ansatzes von Schmid gerechter wird58. Dabei geht es dann nicht mehr um Personalisierung, sondern um Personifizierung59. Zur Abwehr von Projektionen gegenwärtigen Empfindens und Deutens auf historische Personen und Sachverhalte empfiehlt Hank eine intensive analytische Beschäftigung mit dem Stoff bereits im Vorfeld60. Dazu ist anzumerken, dass dann aber möglicherweise die wichtige Phase einer vorgeschalteten Affizierung und damit Motivierung verloren geht. Es muss auch möglich sein, derartige Defizite gerade auf der Basis der gemachten Spielerfahrungen erst im Nachhinein in der Aufarbeitung ansprechen und richtig stellen zu können (und dann auch zu müssen). Dies gilt in analoger Weise für während des Spiels suggerierte Sinneseindrücke (Gerüche, Geschmacks- und Tastempfindungen…). Hank möchte sie ausschließen, da sie mehr meditativ als wissenschaftlich seien61. Es scheint aber unter dem Gesichtspunkt der Handlungsorientierung und insbesondere bei einer Simulation geboten, auch mehrere – darunter auch ungewöhnliche – sinnliche Erlebnisse zuzulassen, da dies hinsichtlich aller bereits genannten Kriterien von der Identifikation bis hin zur Behaltensleistung nur förderlich sein kann62 – natürlich unter dem Vorbehalt der späteren reflektierenden Aufarbeitung. Schließlich sind die Sinne auch ein direkter Zugang zu den Emotionen. Vielleicht sollte man nicht von Suggestion, sondern neutraler auch hier von Simulation sprechen63.

Noch ein ganz anderes Problem stellt sich beim Rollen- und Simulationsspiel gerade im Geschichtsunterricht, welches weniger mit Emotionen und mehr mit „harten Fakten“ zu tun hat. Manche Didaktiker werfen der Spielmethode vor, sie leugne die Faktizität von Geschichte, den Umstand, dass die Vergangenheit ein für alle Mal feststeht64 und nicht ohne Verfälschungen spielerisch ausgestaltet werden kann, es sei denn durch z.B. wortgetreues Nachsprechen aufgrund detaillierter Vorlagen ohne Spielräume der Schüler. Kreativität, Spontaneität, sinnliche Elemente und all der damit verbundene Nutzen und gerade auch ein Einsatz des Spiels in der Anfangsphase würden an dieser Barriere scheitern65. Man kann dem Vorwurf einer Kollision mit der Faktizität in mehrfacher Hinsicht begegnen. Zum einen ist zu fragen, ob nicht jede Art des Umgangs mit Geschichte, auch die ‚mühsame’ Quellenarbeit, sich mit der Faktizität „reibt“. Quellen können gefälscht oder mehrdeutig sein oder fehlerhafte Datierungen enthalten. Darstellungen geben die subjektive Sicht des Autors von einem Ereignis wieder, nicht das Ereignis selbst66. Faktizität ist also ein grundsätzliches Problem in der Geschichtswissenschaft. Zum anderen aber war ja jede zu einem Faktum geronnene Vergangenheit einmal offene Zukunft mit vielen möglichen Handlungsalternativen67. Gerade diesen „Möglichkeitssinn“ könnten Schüler spielerisch entwickeln68, um das offenzulegen, was nicht in den Geschichtsbüchern steht, was aber eine historische Situation aus damaliger Sicht vielleicht auch hergegeben hätte.69 Im Spiel zeigen sich solche Handlungsalternativen dann plötzlich als Handlungschancen und über den Gegenwarts- und Existenzbezug können die Schüler sensibilisiert werden für ihre Gestaltungsmöglichkeiten im Hier und Jetzt70. Unumstritten ist, dass offensichtliche Verfälschungen der Vergangenheit in der Auswertungsphase zu korrigieren sind und dass denkbare, aber nicht ganz unsinnige Handlungsalternativen reflektierend auf ihre damaligen Chancen hin überprüft werden sollten71.

Mehrere Probleme des Rollen- und Simulationsspiels erweisen sich also als lösbar. Wo aber liegen seine Grenzen, die nicht mehr überschritten werden sollten ? Schulz-Hageleit diskutiert eine solche Grenze hinsichtlich der spielbaren Personen und Inhalte. Es geht um das Problem der „negativen Rollen“ und um die „Identifikation mit Destruktivem“. Kann man einem Schüler zumuten, z.B. Hitler zu spielen oder einen KZ-Aufseher ? Wie steht mit Simulationen zu Gegenständen wie Krieg („War Games“), Holocaust, Folter u.ä. ? Schulz-Hageleit warnt vor damit verbundenen, nicht näher bezeichneten Gefahren72, hält derartige Spiele aber dennoch für möglich und gewinnbringend73, wenn – und das ist wieder derselbe Hinweis wie bei den anderen besprochenen Problemen – die Aufarbeitung hinreichend erfolgt mit den Möglichkeiten reflektierter Distanzierung und des Herstellens von Gegenwartsbezügen74. Am skeptischsten ist er noch hinsichtlich der negativen Rollen politischer Machtinhaber75 (Hitler, Stalin, …). Die Position des Verfassers zum Thema negative Rollen und Destruktivität soll im Praxisteil dargestellt werden, da sie dort besonders relevant wird.

[...]


1 http://www.historisches-spiel.de/Home/index.html

2 Schon in der Antike wurden als historisch verstandene Stoffe in Theatern inszeniert.

3 Der Betreiber der Homepage historisches-spiel.de (s.o.) gehört in diesen Kontext. Menschen jeden Alters „schlüpfen“ für ein Wochenende in klar definierte Rollen und Verkleidungen von historischen Akteuren (häufig aus dem Mittelalter) und bewegen sich innerhalb einer Rahmenhandlung (Ritterturnier, Fehde, Minne,…) möglichst zeitgetreu (bis hin zur Verwendung mittelhochdeutscher oder lateinischer Worte / Sätze) in einem anregenden räumlichen Umfeld (Burgruine, Wald, …). ; Ähnliches gibt es auch virtuell auf Spielplattformen im Internet.

4 Siehe zum Beispiel http://www.bajuwarenhof.de/projekt.html. Es handelt sich in museumspädagogischer Hinsicht um Museen (häufig Freilichtmuseen), in denen der Alltag vergangener Epochen durch besonders ausgebildete Schauspieler (sog. „archo interpreters“) nach-konstruiert wird (von der Prähistorie bis ins 20.Jahrhundert ist dies möglich).

5 Schmid, S.354

6 Von „Motivationskrise“ und „kognitiv-verbaler Einseitigkeit“ spricht zum Beispiel Mayer 1997 Handlung, S.412 ; Pöschko 1996, S.17: „In den oberen Jahrgängen der Oberstufe gibt es in der Regel nichts Spielerisches mehr…“

7 Die Trias „Kopf, Herz und Hand“ ist Pestalozzi entnommen.

8 Uwe Uffelmann et al., Problemorientierter Geschichtsunterricht. Grundlegung und Konkretionen, 1990

9 M.Eigen und R.Winkler, Das Spiel. Naturgesetze steuern den Zufall, München/Zürich 1985, S.11, zitiert in: Pöschko 1996, S.6

10 Spieluhr, Fußballspiel, Das ganze Leben ist ein Spiel., Spielzeug, Schauspieler, Spielsucht, Spieltheorie, Sprachspiele, Gesellschaftsspiele, Machtspiele, Machtpoker, Spiel der Muskeln…

11 Wobei erwähnt werden sollte, dass jeder Mensch sich in mehreren Rollen bewegt, z.B. als Schüler gegenüber Lehrern und der Institution Schule, Klassenkollege gegenüber Mitschülern, Staatsbürger Deutschlands, Europäer usw. Die Gesamtheit der Rollen eines Menschen bestimmt seine Identität.

12 Wo es also nicht um vorgeblich „einsame Entscheidungen“ „großer Männer“ geht. ; zum sozialgeschichtlich-strukturellen Ansatz siehe Schmid, S.348.

13 Zum Spiel im weiteren Sinne äußern sich sowohl Pöschko 1996, S.6f. als auch Schulz-Hageleit 1991, S.12f.

14 Dies geschieht übrigens nicht nur beim Rollen- und Simulationsspiel, sondern auch bei vielen Brettspielen (wo jemand z.B. die Figur des Königs oder Bauern bedient), nicht dagegen bei Quiz- und Ratespielen (die deshalb eine grundsätzlich andere Kategorie sind). ; Elisabeth Hank verwendet „Spiel“ im Geschichtsunterricht als „Sammelbegriff für alle erlebnisintensiven Formen der Auseinandersetzung mit historischen Unterrichtsgegenständen“, Hank 1993, S.104 ; Michael Sauer spricht von einem „regelgeleiteten Agieren mit vorgegebenen Materialien bzw. innerhalb eines vorgegebenen situativen Rahmens“ und unterscheidet dann als Großgruppen „Lernspiele und szenische Darstellungen“, Sauer 2003, S.125.

15 Je nach Anlage des Spiels in einem „epischen Theater“ (dann ist die Distanz stärker), einem „bürgerlichen Illusionstheater“ (dann ist die Empathie stärker) oder einem Improvisationstheater (dann wird die Ergebnisoffenheit betont). Raisch unterscheidet gelenktes und freies Rollenspiel: Raisch 1998, S.34 ; Schulz-Hageleit unterscheidet z.B. das „Nachspielen von Vorlagen“ und die „vorbereitete kleine Szene“ (jeweils geringere Offenheit) vom „Stegreifspiel nach Rollenanweisung“ (größere Offenheit): Schulz-Hageleit 1995, S.52f.

16 Pöschko 1996, S.8

17 Schulz-Hageleit 1991, S. 14

18 Mayer 1997 Spiele, S. 449 ; Solche Entscheidungsspielräume werden von einzelnen Autoren unterschiedlich weit ausgelegt. Während Hank 1993 S. 104 einen eher engen Spielraum beschreibt („Nachvollzug vorgegebener Aktionen“), plädieren Hageleit 1991 S.14 („Entwicklung eigener Entscheidungsalternativen“, zitiert aus einem Schreiben des Berliner Schulsenats) und Sauer 2003 S.128f. für eine größere Freiheit der Schüler.

19 So bei Raisch 1998, S.34: das Rollenspiel dort als eine „simulative Aktivität“ neben z.B. Tanz/Ritual, Pantomime oder Hörspiel

20 Sauer 2003, S.128: als Sammelbegriff für Rollen-, Plan- und Simulationsspiel der Terminus „historisches Rollenspiel“

21 Schulz-Hageleit 1991, S.16 ; Gudjons 2001, S.119f. („fiktives, probeweises Handeln mit Ausschnitten der Realität“ ggü. „Simulation realer Prozesse“, wobei der Unterschied jedoch nicht klar genug herauskommt) ; nach Mayer 1997 Spiele S.449 betonen historische Rollenspiele das Individuelle und Simulationen das Typische, wobei bei der Simulation nach Hank 1993 S.103 ein Entscheidungsprozess im Vordergrund steht und nicht ein individueller Entscheidungsspielraum.

22 Siehe Sauer 2003, S.129

23 Je nach Ausgestaltung der Simulation könnte man es als eine Art „Zeitreise“ mit einer imaginären „Zeitmaschine“ ansehen. Die mehrtägigen Rollenspiele von Geschichtsvereinen und die experimentelle Archäologie (s.o. Fußnoten 3-4) sind solche besonders aufwändigen Simulationen.

24 Gudjons 2001, S.119f. ; bei Mayer 1997 Handlung sind auf S.415 folgende „Spielarten“ für das Thema der vorliegenden Arbeit relevant: „modellhafter Nachvollzug vergangener Alltagsaktivitäten“, „Nachleben durch sinnliche Erfahrung“, „sprachliches Verhandeln und spielendes Handeln“ sowie „Simulation historischer Problemlösungen“. ; Bei Raisch 1998 S.34 ist es als Unterform der „simulativen Aktivität“ Bestandteil des „handlungs- und produktionsorientierten Geschichtsunterrichts“ ; bei Sauer 2003 S.78 gehört es innerhalb des Kapitels „Handlungsorientierung“ in die Kategorie „Historisches Denken und Entscheiden simulieren“.

25 Sauer 2003, S.76

26 Mayer 1997 Spiele, S. 447

27 Hank 1991 spricht auf S.362 von dem „Fatalismus“, der durch die „Betonung transpersonal wirkmächtiger Strukturen“ gefördert werde, was „gerade bei Oberstufenschülern Anlass zur Sorge“ gebe.

28 Schmid hat zwar 1970 seinen Ansatz für die Mittelstufe entworfen, aber die dort getätigten Aussagen über den kognitiven Ansatz, die historische Forschungsmethode, die Wissenschaftsorientierung usw. treffen umso mehr auf die Oberstufe zu, was auch in den Lehrplänen kenntlich wird.

29 Mayer 1995, S.119: „..Ablösung von wissenschaftszentrierten und lernzielbezogenen Konzepten durch personale, erfahrungsorientierte, ganzheitliche Entwürfe.“

30 Schmid S.343

31 ebd. S.344

32 ebd. S.346

33 ebd. S.347 ;

34 ebd. S.363: Eine Betroffenheit der Schüler über den Existenzbezug werde häufig erst dann erreicht, wenn das einseitig logische Denken durchbrochen und die historische Situation in die Gegenwart „hereinprojiziert“ werde, indem der Lehrer die Schüler „in die Rolle derjenigen hereinversetzt, auf deren Rücken geschichtliche Entscheidungen ausgetragen werden.“. Dies kann durch Eingabe weiterer Quellen geschehen, aber warum nicht auch und besser noch durch ein Rollenspiel ?

35 ebd. S.355-361 ; Die Problemziele werden dort auch mit dem – aus heutiger Sicht für das Spielen wichtigen – Existenzbezug verbunden, S. 356

36 Uffelmann 1997, S. 282

37 ebd. S.283, mit der „Freizügigkeit, alles Mögliche zu denken“.

38 ebd. S.284

39 ebd. S.285

40 Uffelmann 1996, S.232 ; Peter Knoch hat sich damit näher befasst und auch das historische Rollenspiel als eine solche Erfahrung beschrieben (Hinweis bei Uffelmann 1996, S.232).

41 ebd. S.239

42 Uffelmann 1998, S.5

43 Und bleibt nicht im „luftleeren Raum“, ohne subjektiv empfundene Relevanz – so wie kürzlich ein Schüler der Klasse 9 bei der Behandlung der Französischen Revolution im Unterrichtsgespräch, also nicht handlungsorientiert, meinte: „Was interessiert mich, was die Franzosen vor 200 Jahren gemacht haben.“

44 Hank 1991 S.356 beschreibt entsprechend ein „Verstehen durch Identifikation“ sehr anschaulich am Beispiel eines Rollenspiels zum Gang nach Canossa. ; Dieses Verstehen sei allerdings nicht reine Empathie, sondern ein Bedingungsgefüge aus Empathie, Analyse und Rekonstruktion, was bedeutet, dass eine Differenz zwischen Eigenem und Fremdem trotz aller Einfühlung immer bewusst bleibt.

45 ebd. S.359

46 Mayer 1995, S.127, der ähnlich wie Hank vor der Gefahr einer unreflektierten Empathie warnt, die dann zu einer unhistorischen Projektion werden könnte.

47 Begriff übernommen von Karl-Ernst Jeismann. (Jeismann, S.12)

48 Pöschko 1996, S.9 ; Dazu passt auch der Ausspruch von Friedrich Schiller aus dem 15.Brief der „Ästhetischen Erziehung des Menschen“: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

49 Schulz-Hageleit 1995, S.10

50 Schulz-Hageleit 1995, S.36f.: Es gebe keine „abstrakten Einsichten“ ohne „konkrete Vorerfahrung“. Erst nach dieser erfahrungsbetonten „vorgeordneten Ebene“ könnten „Objektivität“ und „Intellektualität“ greifen. ; Auf S.36 formuliert Schulz-Hageleit außerdem: „In jedem Gedanken stecken Gefühle, in jedem Gefühl sind Gedanken.“ Ähnlich äußert sich Pandel 1997, S.400: „Lernen ist stets von Empfindungen begleitet.“

51 Auch Langeweile und Unlust sind Gefühle. ; Der Umstand, dass jegliche Aussage, auch eine wissenschaftliche, subjektiv mitgeprägt ist, ist zugleich eine wichtige Einsicht für die Arbeit mit Quellen und Darstellungen, denn sie zeigen niemals ungebrochen die historische Realität, sondern sind bereits ihrerseits Deutungen. Siehe dazu auch Jeismann, S.62

52 Man denke nur an die Hexenverfolgung, an Auschwitz oder die Atombombe sowie bei den Medien an den Einsatz von Bildern, Filmen oder Musik. Bei den Methoden gehört das Rollen- und Simulationsspiel zu den am stärksten affektbetonten.

53 Näheres dazu im Praxisteil. Siehe auch das Praxisbeispiel bei Gudjons 2001, S.116f., wo die Schüler hochmotiviert Bereiche ihrer eigenen Lebenswelt (Supermarkt, Geld, Maßeinheiten) einer mittelalterlichen Lebenswelt gegenüberstellen. ; Auch Schulz-Hageleit 1995, S.166 Lernziel 2

54 Entnommen aus Materialien einer Klippert-Fortbildung (siehe Anhang). Ähnlich äußert sich Mayer 1995, S.121.

55 Raisch 1998, S.30

56 ebd. S.31 ; Welche Bedeutung Raisch den Affekten beimisst, ist auch zu erkennen an der von ihm beschriebenen „emotiven Kompetenz“ als ein fester Bestandteil in einem Bündel von Kompetenzen, die gemeinsam das historische Lernen ermöglichen, S.33.

57 Hank 1991 S.360 und Mayer 1997 Spiele S.450 ; Solches wäre der Fall, wenn etwa Schüler sich in Cäsar, Napoleon oder Hitler hineinversetzen und diese Männer dann in ihren Handlungen „verstehen“ oder (zur Vergegenwärtigung) als Hexen verfolgte Frauen im Mittelalter als Okkultistinnen im Verständnis heutiger Subkulturen darstellen würden. ; Insgesamt scheinen Hank und Mayer zwar Spiele im Geschichtsunterricht klar zu befürworten, dabei jedoch vorsichtiger zu sein und eher Grenzen zu sehen als etwa Schulz-Hageleit (siehe unten bezüglich der Faktizität).

58 Siehe dazu auch Schulz-Hageleit 1995 S.22ff., insbesondere zur Gefahr einer Identifizierung mit Herrschenden S.42f. ; Auf S.196 äußert er, dass auf „Nebenschauplätzen“ mehr die „sozialen Zusammenhänge“ als die „staatsgeschichtlichen Veränderungen“ sichtbar würden. ; Hank 1991 plädiert für den „idealtypischen Vertreter“ an Stelle des „großen Politikers“, S.362.

59 Hank 1991 S.362 greift mit dieser Gegenüberstellung eine Anregung von Klaus Bergmann auf. Eine strukturell bedingte Situation wird personifiziert, d.h. über Personen kenntlich gemacht.

60 ebd. S.363f.

61 ebd. S.364 ; Dies zeigt ihre Vorsicht gegenüber etwa Uffelmann, der ja gar als Vertreter des Problemorientierten Unterrichts keine Probleme mit der Gestaltpädagogik hat, s.o. S.6 in dieser Arbeit.

62 Der Verfasser hat dies selbst mit Schülern im Geschichtsunterricht erprobt, auch unter Einbeziehung des Geschmacks-, Geruchs- und Tastsinns, etwa in einer Simulation der Notzeiten kurz vor der Währungsreform mit Essen von rohen Kohlrabistücken und Barfußgehen im Kursraum. Die Schüler des 12er LK sagten danach, sie würden die Stunde nicht so schnell vergessen.

63 Dann bleibt trotz aller Einfühlung auch der Charakter des Konstruierten bewusst.

64 Z.B. bringt Schulz-Hageleit 1991 S.14, allerdings um der späteren Distanzierung willen, das Beispiel, dass sich die Kaiserkrönung des Frankenkönigs Karl am 25.12.800 durch Papst Leo III in Rom nicht rückgängig machen oder kreativ neu konstruieren ließe.

65 So stellt Hank 1991 S.365 eine „Grenze motivierender Unterrichtsformen…(und) aller spielerischer Formen“ fest, da Geschichte „nicht erfindbar“ sei. Es kann wie eine Hilfskonstruktion anmuten, wenn es dann heißt, „im Grunde (sei) nur eine analoge Redeweise von ‚Spiel’ im Geschichtsunterricht möglich.“

66 Oder wie Jeismann, S.62 es ausdrückt: Geschichtliche Rekonstruktionen seien keine „ein für allemal festen, wahren Aussagen über Vergangenheit.“

67 Solche Handlungsalternativen werden seit kurzem durch die sog. „Virtuelle Geschichte“ erforscht, die sich fragt „Was wäre, wenn…“. Neben der einen feststehenden Geschichte gibt es damit unzählige nicht realisierte Parallelgeschichten, die zumindest als einmal gedachtes Konzept (z.B. als Utopie) erforschbar sind (z.B. eine eigenständige DDR nach den Ideen der Bürgerrechtsbewegung über 1990 hinaus). Fast könnte man es als eine Art „fünfte Dimension“ ansehen (mehrere mögliche vierdimensionale Raum-Zeit-Kontinua parallel).

68 Vor allem am Anfang eines Unterrichtsvorhabens würde dies geradezu provoziert, wenn die Schüler das tatsächliche Ergebnis eines geschichtlichen Konfliktes noch nicht kennen. Selbst Schmid schlägt vor, einen geschichtlichen Fall für die Schüler noch „offen zu halten“, solange sie sich in der (spielerischen ?) Problembearbeitung befinden. Schmid, S.359, Fußn.75.

69 Dafür spricht sich Sauer 2003, S.128f. aus, der auch den Begriff „Möglichkeitssinn“ verwendet. Ähnlich gegen ein deterministisches Geschichtsbild argumentiert Schulz-Hageleit 1991 S.14, der sich also hier unbefangener zeigt als Hank im selben Jahr (s.o.).

70 Problemorientierter Unterricht würde dabei zu problemlösendem Unterricht, passend auch zum Auftrag der politischen Bildung in den Zusatzkursen der Jahrgangsstufe 13 (Näheres siehe unten im Praxisteil.).

71 Damit könnte einem letzten Einwand von Hank begegnet werden, die bezweifelt, dass gespielte Handlungsalternativen eine angemessene Einsicht in damalige Entscheidungsspielräume eröffneten, Hank 1993 S.104. Warum nicht nach dem Spiel gerade über diese Spielräume diskutieren (lassen) ?

72 Schulz-Hageleit 1991, S.16: „Vorsicht bei Grenzsituationen und sensiblen politisch-persönlichen Bereichen.“ ; Es geht nach Ansicht des Verfassers um die Gefahr einer unkritischen Identifikation, eines unreflektierten Einfühlens etwa in Diktatoren und Sadisten mit einer möglichen Übernahme von deren Denkmustern („Verständnis für Hitler“) oder auch um das „Katastrophenszenario“, wenn etwa in einem KZ-Rollenspiel Simulation und Realität sich derart vermengen, dass Schüler, die Juden darstellen, von Einzelnen aufgrund persönlicher Antipathien mit Freude gequält werden und die Situation entsprechend eskaliert.

73 ebd. S.13 und Schulz-Hageleit 1995 S.27: „Die Übernahme der Rolle ermöglicht Distanz von der Rolle.“ und eine entsprechende Widerstandsfähigkeit in Gegenwart und Zukunft.

74 Schulz-Hageleit 1991 S.13 und ders. 1995 S.26f.

75 Schulz-Hageleit 1991 S.13, wo er vor „unkritischer Identifikation mit staatlichen Machtpositionen“ warnt – die Gefahren von Personalisierung (und mithin ggf. Glorifizierung) sind schon teilweise behandelt worden – und stattdessen „Nebenschauplätze“ (s.o. S.8 Fußn.58 in dieser Arbeit) empfiehlt. ; Eine Referendarskollegin meinte auch im Gespräch mit dem Verfasser, wenn Schüler Hitler darstellten, könnte dies zur „Klamotte“ entarten (wenn sie ihn quasi parodieren, was in der Tat verführerisch ist) und der Ernst des Spiels wäre dahin. Bei einem anonymen SS-Mann besteht diese Gefahr weniger.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Das Rollen- und Simulationsspiel im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe II. Eine adäquate Methode zur Durchsetzung des problemorientierten Unterrichts?
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
46
Katalognummer
V462637
ISBN (eBook)
9783668920668
ISBN (Buch)
9783668920675
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Simulationsspiel, Geschichtsunterricht, Sekundarstufe, Unterrichtsmethode, Handlungsorientierung, Geschichtsdidaktik, Kalter Krieg
Arbeit zitieren
Joachim Kohnen (Autor:in), 2004, Das Rollen- und Simulationsspiel im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe II. Eine adäquate Methode zur Durchsetzung des problemorientierten Unterrichts?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/462637

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