Familienfreundliche Personalpolitik. Wie bestärken Unternehmen ihre MitarbeiterInnen bei der Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf?


Tesis de Máster, 2019

228 Páginas, Calificación: 2,4


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Terminologie und Modelle
2.1.1 Erwerbstatigkeit („Work“)
2.1.2 Familie („Life“)
2.1.3 Pflege und Pflegebedurftigkeit („Life“)
2.1.4 Vereinbarkeit: Familie, Pflege & Beruf (Work-Life-Balance)
2.2 GesellschaftlicheRahmenbedingungen
2.2.1 Demografischer Wandel
2.2.2 Individualisierung und Wertewandel
2.2.3 Innerfamiliare Arbeitsteilung
2.3 Unternehmerische Rahmenbedingungen
2.3.1 Frauen in der Arbeitswelt
2.3.2 Anstieg der Personalkosten
2.3.3 Wandel der Personalpolitik
2.4 Gesetzliche Rahmenbedingungen
2.4.1 Leistungen fur Pflegebedurftige und deren Angehorige
2.4.2 Leistungen fur Mutter und Vater
2.5 MaGnahmen zur Work-Life-Balance
2.6 Forschungsstand: Einflussfaktoren
2.7 Zusammenfassung

3 Fragestellung(en) und Hypothesen

4 Methodik
4.1 Ausgangslage
4.2 Studiendesign
4.3 Datenbasis und Rekrutierung
4.4 Studienablauf
4.5 Pretest
4.6 Erhebungsinstrument: Onlinebefragung
4.7 Auswertung der Daten
4.7.1 Deskription
4.7.2 Abhangige und unabhangige Variablen
4.7.3 BivariateTeststatistik: Hypothesentestung
4.7.4 Multivariate Statistik: binar logistische Regression

5 Ergebnisse
5.1 Deskriptive Statistik
5.1.1 Beschreibung der Befragungspopulation
5.1.2 Berufliche Situation und Familienfreundlichkeit
5.1.3 Beziehung zwischen Kollegen und Vorgesetzten
5.1.4 Kommunikation und Information
5.1.5 Betriebliche Unterstutzungsmoglichkeiten
5.1.6 Pflege von Angehorigen
5.2 Bivariate Statistik: Beantwortung der Hypothesen
5.3 Multivariate Statistik: Logit-Modell

6 Diskussion
6.1 Methodendiskussion
6.2 Ergebnisdiskussion

7 Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

Anhangsverzeichnis

Vorwort: Vereinbarkeit als wahre Fuhrungsaufgabe

Diese Masterarbeit ist im Rahmen des Studiums der Gesundheitswissenschaften entstan- den und richtet sich an alle Personaler und Fuhrungskrafte. Diese Studie soil bei der res- sourcenschonenden und effektiven Wahl betrieblicher Ma&nahmen zu mehr Familien- freundlichkeit behilflich sein. Familienfreundlichkeit bezieht sich in vorliegender Arbeit auf alle betrieblichen Ma&nahmen, welche die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf er- leichtern Oder gar ermoglichen. Die Idee, uber diese Thematik zu schreiben, entstand an- lasslich einer Studienarbeit uber Arbeitgeberattraktivitat durch Sozialleistungen in kleinen und mittleren Unternehmen. Durch personliche Gesprache stellte sich heraus, dass heute im Vergleich zu fruher mehr Moglichkeiten bestehen, bisher unbeachtete Mitarbeitergrup- pen zu unterstutzen und zu rekrutieren. Der Autor der Masterarbeit ist der Meinung, dass es essenziell ist, mit Beschaftigten, die neben dem Job familiare Herausforderungen meis- tern, angemessen umzugehen. Fuhrungskraften sollte bewusst werden, dass sich jeder schnell in herausfordernden familiaren Situationen, wie der Pflegebedurftigkeit eines Ange- horigen, wiederfinden kann. Arbeitgeber mussen zunehmend auch das private Umfeld des Arbeitnehmers berucksichtigen, da sich private Probleme zwangslaufig auch auf die Ar- beitsleistung und Fluktuation auswirken. Betroffene Mitarbeiter gilt es zu unterstutzen, da- mit diese privat als auch beruflich vorankommen. Bei neuen Mitarbeitern wird die Unterstut- zung durch den Arbeitgeber fur eine gute Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf zum „must-have“. Gelingt es Familie, insbesondere Angehorigenpflege und Beruf optimal zu ver- einen, kann das Unternehmen seine Mitarbeiter langer halten und leichter neue gewinnen. Familienfreundliche Personalpolitik ist somit ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal, urn die Auswirkungen des Fachkraftemangels abzumildern und mitarbeiterorientiert zu fuhren. Nicht nur in den USA, wo HR-Trends gesetztwerden, sondern auch in Deutschland haben dies immer mehr Unternehmen bereits erkannt. Inwieweit die von Arbeitgebern angebote- nen VereinbarkeitsmaBnahmen positiv wirken, gilt es zu erforschen. Durch die Masterarbeit sollen neue Losungen gefunden werden Familie, Pflege und Beruf optimal zu vereinbaren.

Im Zeitraum von April bis Ende Juli 2018 beschaftigte sich der Autor mit der Datenerhebung und Auswertung. Beim Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten verliert man manchmal den Uberblick. Meine Hochschulbetreuer standen jedoch stets beratend und geduldig zurSeite. An dieser Stelle mochte ich Herrn Prof. Pihl und Herrn Hallbauer Anerkennung fur die gute Begleitung aussprechen. Danken mochte ich ferner den Kooperationspartnern, der PREA- LIZE® GmbH und dem BRK-Kreisverband Tirschenreuth, welche mich beim Zugang zum Forschungsfeld unterstutzt haben. Grower Dank gilt auch alien Studienteilnehmerlnnen, da ohne ihr Interesse und ihr Engagement keine solche Forschung moglich gewesen ware.

Geleitwort der PREALIZE® GmbH

Nichts ist so bestandig wie der Wandel. (Zitat des griechischen Philosophen Heraklit)

1st nicht das ganze Leben eine Veranderung? 1st die Evolution, die uns seit Jahrtausenden begleitet, nicht der stetige Wandel uberhaupt? Weshalb beschaftigen wir uns heute mit Ver- anderungen intensiver, als in den letzten Epochen und das so nachhaltig in Wirtschaftsun- ternehmen, die doch mehr Richtung Zukunft und Wachstum ausgerichtet sind?

- Was ist heute folglich anders? -

In den letzten zwanzig Jahren zeichnete sich zunehmend immer mehr ab, wie durch globa- len Wettbewerb, den demografischen Wandel, neue Arbeits- und Kommunikationsprozesse und letztlich die zunehmende Digitalisierung, sich die Arbeitswelt von morgen nicht mehr so schnell kalkulieren lasstwie in der Vergangenheit. Dieses Phanomen kann man sehrgut daran erkennen, wenn man Manager heute fragt, wie ihr 10-Jahresplan fur das Unterneh- men aussieht. Fur heutige Manager ist es manchmal schon sehr schwierig die nachsten drei Jahre zu planen, meist plant man sogar nur noch maximal zwolf Monate, da alles dar- uber hinaus keinem wirklichen Plan mehr entspricht, sondern eher dem Glaskugelschauen.

Durch die sich drastisch und schneller verandernden Umfeldparameter wir die Personalsi- tuation verscharft. Weiterhin tragt der stetig steigende Fachkraftemangel dazu bei, dass sich der Arbeitgebermarkt verstarkt zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt. Dies verandert auch zunehmend den Blick aller Unternehmen auf die „nachhaltige Mitarbeiterbindung".

Die Ziele und Werte von Arbeitnehmern haben sich deutlich verandert im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten. Statussymbole und Geld sind nicht mehr so wichtig wie Familie und Freizeit. Hierauf mussen Arbeitgeber in Zukunft reagieren, urn weiterhin in einem sinkenden Bewerbermarkt noch als spannendes Unternehmen wahrgenommen zu werden. Daher be- gruBen wir die Studie zum Thema „Familienfreundliche Personalpolitik - Einflussfaktoren auf die Vereinbarkeit der Lebensbereiche" von Herrn Domenic Sommer sehr. Sie zeigt auf, in welchem Umfang Arbeitnehmer Familienfreundlichkeit aktiv wahrnehmen und schatzen.

Die zunehmende Digitalisierung erleichtert in Zukunft auch immer mehr Menschen und Un­ternehmen die Arbeit und Freizeit optimal zu kombinieren. In der Bildungsapp bil|d|ich digi­tal® konnen Unternehmen ihren Mitarbeitenden bereitsjetzt diese Arbeitserleichterung er- moglichen. Ein Aufbau von Wissensmanagement muss in Zukunft nicht mehr vom Arbeits- platz aus passieren, sondern kann ganz entspannt von zu Hause aus angegangen werden.

Wir mochten alien interessierten Leserinnen und Lesern der Studie zur „Familienfreundli- chen Personalpolitik" Mut zusprechen, sich den neuen Medien gegenuber zu offnen und die Chancen im stetig steigenden Wettbewerbsumfeld fur sich zu nutzen. Es geht im Sinne der familienfreundlichen Personalpolitik auch darum innovative Wege fur die Vereinbarkeit der Lebensbereiche zu nutzen. Doch ein Satz von Walter Frisch ist heute noch genauso wichtig wie damals „Tue Gutes und sprich daruber". Hier gibt es laut der Studie noch viel Luft nach oben dieses nach auBen besserzu transportieren. Wirwunschen Ihnen viel Erfolg in der erfolgreichen Umsetzung beim Kampf um die besten Mitarbeiterkopfe der Zukunft.

Kurzfassung (EMED)

Familiare Pflege- und Erziehungsaufgaben sind genauso wie die Karriere zentraler Be- standteil der Lebenswelten. Durch eine schlechte Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf entsteht einerseits fur den Beschaftigten eine Belastung und anderseits konnen Un- ternehmen ihr Erwerbspersonenpotenzial nicht optimal nutzen. Im schlimmsten Fall verlas- sen gut ausgebildete Mitarbeiter aufgrund einer schlechten Vereinbarkeit der Lebensberei- che das Unternehmen. Durch das Instrument derfamilienfreundlichen Personalpolitik kon- nen Arbeitgeber hingegen die Unternehmensbindung steigern, bisher unberucksichtigte Personen rekrutieren und Ausfallzeiten sowie Kosten reduzieren. Vorliegende Arbeit hat das Ziel neben dem Status quo vor allem Verbesserungen fur die Personalarbeit aufzuzei- gen. Ferner ist die Kenntnis uber wesentliche Vereinbarkeitsfaktoren fur eine erfolgreiche familienfreundliche Personalpolitik wichtig. Urn die Forschungsfragen zu beantworten, wurde eine quantitative Onlinebefragung von abhangig Beschaftigten durchgefuhrt. Die Teilnehmerrekrutierung fand per E-Mail (N=550), Aushange und soziale Netzwerke statt. Die Befragung schloss sowohl Beschaftigte mit familiaren Aufgaben als auch ohne familiare Aufgaben ein. Das Betriebsklima wird insgesamt positiv bewertet. Vorgesetzte und Kolle- gen haben generell Verstandnis fur familiare Aufgaben und unterstutzen in der Regel auch praktisch nach familiaren Absenzen. Der Majoritat der Befragten gelingt die Vereinbarkeit der Lebensbereiche. Die Ergebnisse zeigen, dass 70% aller Arbeitnehmer ihren Arbeitge­ber bereits als familienfreundlich einschatzen, auch wenn mehr als 50% der Unternehmen eine familienfreundliche Strategie nicht offentlichkeitswirksam kommuniziert. Vor allem Mut­ter werden im betrieblichen Setting berucksichtigt, wahrend die Bedurfnisse von Vatern und Pflegender bei 35% der Betriebe bisher keine Rolle spielen. In der Unternehmensstrategie werden vorwiegend MaBnahmen zur familienfreundlichen Gestaltung von Arbeitszeit, Ar- beitsort und Arbeitsorganisation geboten. Bereiche, in denen weniger geboten wird, sind die Personalentwicklung, das betriebliche Betreuungsangebot und die finanzielle Unterstut- zung. Die bisherigen MaBnahmen werden als hilfreich bewertet, obwohl zugleich noch mehr Bedarf nach betrieblicher Unterstutzung besteht. Im Regressionsmodell zeigt sich die Zu- friedenheit mit dem Gehalt als signifikanter Einflussfaktor fur eine gelungene Vereinbarkeit. Weitere Faktoren sind die Verfugbarkeitflexibler Arbeitszeitmodelle, die Verlasslichkeit und Rucksichtnahme in der Dienst- und Urlaubsplanung als auch die Unterstutzung von Vorge- setzten und Kollegen. Letzteres zeigt, dass Schulungen zur mitarbeiterorientierten Fuhrung und Teambuilding wichtig sind. Insgesamt sind die festgestellten Faktoren fur die familien- orientieren Personalpolitik sehr wichtig. Diskutiert werden kann jedoch die Befragungsre- prasentativitat. Zusatzlich ist weitere Forschung zur Unternehmerperspektive anzustoBen.

Abstract

Background/ objective: A high degree of employees with a good work life balance is cru­cial for the company's success, especially in times of demographic change. In family-friendly HR policies, it is essential to choose the right measures to increase employee loyalty, recruit previously unrecognised employees and secure skilled workers. Therefore, this study ex­amines the reconciliation of family, care and career and the factors predicting it.

Methodology: Dependent employees with and without family responsibilities were inter­viewed with an online questionnaire. Recruitment took place by e-mail (N=550), posters and social networks. The quantitative study was conducted in German companies. The online questionnaire asked for satisfaction with the working conditions, corporate culture, the per­ception of leadership, information policy and support possibilities for the compatibility of family, care and career. The response was 351 people. The evaluation was performed with SPSS. A binary logistic regression with the work-life-balance was carried out.

Results: Supervisors and colleagues generally have an understanding for family tasks and provide practical support after absences. The majority of respondents succeeded in balanc­ing their areas of life. The findings show that 70% of all employees already consider their employer to be family-friendly, even if more than 50% of the companies do not communicate family friendliness publicly. Mothers in particular are considered in companies, while the needs of fathers and carers aren't recognised in 35% of the firms. In corporate strategy, measures refer to a formal reconciliation strategy, workplace design an work organization- Areas, where less is offered, are personnel development, company care services and fi­nancial support. The work-life-balance-measures taken are seen as helpful, although at the same time there is still more need for support. In the logistic regression model, satisfaction with the salary is a significant influencing factor for successful work-family reconciliation. Further factors are the availability of flexible working time models, reliability and considera­tion in duty and holiday planning as well as the support of bosses and colleagues.

Discussion: As a monolingual cross-sectional study with recruiting elements of self-selec­tion, the representativeness is debatable. The current state of research could be confirmed as well as extended by the results on the relevance of salary, teambuilding and leadership. The latter shows that training in employee-oriented leadership is important. It is also im­portant to improve the family-friendly HR policy and pay attention to the influencing factors. Further research on the employer's perspective on reconciling work and family life must be initiated. The perspective of managers and social service providers should be examined.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Individuelle Lebenswelt: Vielfalt der Lebens-/Berufsphasen

Abb. 2: Vereinfachte Darstellung des „work-family-conflict“-Konzepts

Abb. 3: Work-Life-Balance-Modell/ “Wippe”

Abb. 4: Work-family-border-Theorie

Abb. 5: Bevolkerungsentwicklung Deutschland

Abb. 6: Sozialversicherungspflichtig Beschaftigte in Voll- und Teilzeit

Abb. 7: Arbeitszeitverlaufe von Frauen und Mannern in Deutschland

Abb. 8: Bedeutung des Themas Familienfreundlichkeit

Abb. 9: Unterstutzungsmoglichkeiten bei hauslicher Pflege durch Angehorige

Abb. 10: Unterstutzungsmoglichkeiten und Schutzrechte fur Mutter und Vater

Abb. 11: Dimensioned in denen Work-Life-Balance gefordertwerden kann

Abb. 12: BetrieblicheAnsatzpunkte, in denen Work-Life-Balance gefordertwerden kann32 Abb. 13: Zeitraum der Studiendurchfuhrung, insbesondere der Rekrutierungszeitraum..

Abb. 14: Dimensionen des Fragebogens

Abb. 15: Abhangige Variable: Ich kann Beruf, Familie und Pflege vereinbaren

Abb. 16: Ansprechpartner, die zurVereinbarkeit urn Unterstutzung gebeten werden

Abb. 17: Betriebliche Vereinbarkeitsmoglichkeiten

Abb. 18: Pradiktoren/ Einflussfaktoren auf„Work-Life conflict"

Abb. 19: Konzeptder lebensphasenorientierten Personalpolitik

Abb. 20: Betriebliche VereinbarkeitsmaBnahmen - alternative Einteilung

Abb. 21: Vorteile von Work-Life-Balance: Unternehmen, Gesellschaft und Beteiligten...

Abb. 22: Zusammengefasste Geburtenziffer aus dem Jahr2016 im EU-Vergleich

Abb. 23: Altersaufbau in 1.000 je Altersjahr, 2016

Abb. 24: Altersaufbau der Bevolkerung in Deutschland, Prognose fur 2060

Abb. 25: PflegeZG und FPfZG

Abb. 26: Bereiche im neuen Begutachtungsassessment

Abb. 27: Unterstutzungsmoglichkeiten bei der hauslichen Pflege durch Angehorige

Abb. 28: Finanzieller Uberblick uber Leistungen fur die ambulante Pflege nach PSG

Abb. 29: Leistungen je Pflegegrad, ab 01.01.2017

Abb. 30: Leistungen im neu entwickelten Entlastungsbudget

Abb. 31: Unterstutzungsmoglichkeiten und Schutz fur Mutter und Vater

Abb. 32: Demand-Control-Support

Abb. 33: Zeit-Balance-Modell

Abb. 34: Vereinfachte Darstellung des transaktionalen Stressmodell

Abb. 35: Belastung und Beanspruchung

Abb. 36: Analysemoglichkeiten nach Skalierung und Verteilung

Abb. 37: Deskription zu den betrieblichen Unterstutzungsangeboten

Abb. 38: Deskription zur Relevanz der betrieblichen Unterstutzungsangebote

Abb. 39: Deskription zur Zusatzfragen: Angehorigenpflege

Abb. 40: Deskription zu Zusatzfragen: Auswirkung der Pflege auf den Beruf

Abb. 41: Deskription zu Zusatzfragen: Unterstutzungspotenzial Pflegender

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Kerneinflussfaktoren aufdie Vereinbarkeit

Tab. 2: Uberblick uberdie Hypothesen zu Einflussfaktoren aufdie Vereinbarkeit

Tab. 3: Zusammensetzung der Datenbasis: aktive und passive Rekrutierung

Tab. 4: Legende zurSkalierung: Vierer-Ordinalskala

Tab. 5: Moglichkeiten im Unternehmen, die Vereinbarkeit zu fordern

Tab. 6: Uberblick uber Einflussfaktoren, unabhangige Variablen fur die Regression

Tab. 7: Index zur Unternehmenssituation und familienfreundlichen Kultur

Tab. 8: Personliche Einstellung zur Familienfreundlichkeit

Tab. 9: Index zur Unternehmenssituation und familienfreundlichen Kultur

Tab. 10: nichtin den Index integrierte Variable, Kollegenbeziehung: Konflikte

Tab. 11: nicht in den Index integrierte Variablen, Vorgesetztenbeziehung

Tab. 12: Information zurVereinbarkeit von Beruf, Familie und Pflege

Tab. 13: Fortfuhrung der Pflege- und Berufsaufgaben in den nachsten 2 Jahren

Tab. 14: Berufliche Auswirkungen der Angehorigenpflege (gultig, relative Haufigkeiten)

Tab. 15: Assoziationen der unabhangigen Variablen/ Regressoren mit der selbstbewer- teten, gelungenen Vereinbarkeit (vs. keine/ misslungene Vereinbarkeit), binar log. Regression, vorwarts-blockweise, schrittweiser Variableneinschluss

Tab. 16: MaBnahmen zur Familienfreundlichkeit im Unternehmen

Tab. 17: Generationen und deren Werte, Erwartungen und Verhalten

Tab. 18: Pflegegeld und Entlastungsbetrag

Tab. 19: Suchstrategie/-protokoll in der Datenbank PubMed

Tab. 20: Suchstrategie/ -protokoll in der Datenbank PubMed

Tab.21: Suchstrategie/ -protokoll in der Datenbank EBSCO

Tab. 22: Deskriptive Darstellung wichtiger (soziodemografischer) Variablen

Tab. 23: Reliabilitatsanalyse: Uberprufung Cronbach's Alpha

Tab. 24: Deskription zurfamilienfreundlichen Unternehmenssituation

Tab. 25: Deskription zur Information und Kommunikation

Tab. 26: Deskription zu Informanten und Unterstutzern

Tab. 27: Deskription zum Wissenstand uberVereinbarkeitsregelungen

Tab. 28: Deskription zu den betrieblichen Unterstutzungsangeboten

Tab. 29: Deskription zu den betrieblichen Unterstutzungsangeboten

Tab. 30: Deskription zu den sonstigen betrieblichen Unterstutzungsangeboten

Tab. 31: Deskription zur Effektivitat betrieblicher Unterstutzungsangebote

Tab. 32: Deskription zu allgemeinen Fragen zur Angehorigenpflege

Tab. 33: Deskription zu den Zusatzfragen: Angehorigenpflege - Pflegesituation

Tab. 34: Deskription zu Zusatzfragen: Angehorigenpflege - Pflegezeitraum

Tab. 35: Deskription zu Zusatzfragen: Angehorigenpflege - Pflegeaufgaben

Tab. 36: Deskription zu Zusatzfragen: Angehorigenpflege: Auswirkungen

Tab. 37: Deskription zu Zusatzfragen: sonstige betriebliche Unterstutzungsangebote...

Tab. 38: Deskription zu Zusatzfragen: Information Pflegender

Tab. 39: Deskription zu Zusatzfragen: Unterstutzungspotenzial Pflegender

Tab. 40: Zusammenhange zwischen der abhangigen und unabhangigen Variablen

Tab. 41: Zusammenhange zwischen metrischen UV und der AV, Testung auf Normalverteilung

Tab. 42: Auflistung aller signifikanten, weiter ins Modell eingeschlossenen Variablen

Tab. 43: Korrelation: Multikollinearitat zwischen den Pradiktoren (auffallige Variablen)

Tab. 44: Korrelation zwischen durch Multikollinearitat auffalligen Pradiktoren und der abhangigen Variable

Tab. 45: Einschluss gewahlter unabhangiger Variablen in das Regressionsmodell

Tab. 46: Assoziationen der unabhangigen Variablen/ Regressoren mit der selbstbewerten, gelungenen Vereinbarkeit (vs. keine/ misslungene Vereinbarkeit), binar log. Regression, vorwarts-blockweises Einschlussverfahren, Einschlussschritte 1 bis 5

Tab. 47: Assoziationen der unabhangigen Variablen mit der selbstbewerten, gelungenen Vereinbarkeit (vs. keine/ misslungene Vereinbarkeit), binar log. Regression, Einschluss aller UV

1 Einleitung

Die Arbeitswelt wird sich durch die demografische Entwicklung, Globalisierung und Digita- lisierung rasant verandern. Der Arbeitsmarkt wird in naher Zukunft zu einem Nachfrage- markt, in dem es einen ausgepragten Wettbewerb um das beste Personal geben wird (Bun- desministerium fur Arbeit und Soziales 2013). Bis zum Jahr2020 vergroBert sich die Fach- kraftelucke auf 1,8 Millionen Arbeitskrafte (Ehrentraut und Neubauer 2015, S. 2). Ein Un- ternehmen investiert in Zukunft mehr in die Weiterbildung seiner Belegschaft und hat ein groBes Interesse daran, Mitarbeiter langfristig und unterbrechungsfrei im Betrieb zu halten.

Neben dem „War for Talents" findet ein Wertewandel statt, indem die Belegschaft weniger Wert auf materielle Anreize und klassische Statussymbole legt (Degner und Rohkamm-Bolz 2015). Weiche Faktoren wie die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben werden zuneh- mend ein wichtiger Bestandteil der Unternehmenskultur und Erfolgsfaktor in der Mitarbei- terbindung (Rodeck2014, S. 3; Schmucker2017, S. 5). Bereits bei Berufseinsteigern zeigt sich, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu den Top-Funf-Faktoren bei der Wahl des kunftigen Arbeitgebers zahlt (Grohnert 2016, S. 23). Ferner ist die Veranderung der Geschlechterbeziehung im Kontext der Mitarbeiterbindung bedeutsam. Immer mehr und besser ausgebildete Frauen mochten heute Karriere machen und das bei zusatzlicher Ubernahme zeitintensiver familiarer Pflege- und Erziehungsaufgaben (Becker 2008, S. 133). Die Zahl der erwerbstatigen Mutter mit kleinen Kindern nimmt deutlich zu. Im Jahr 2015 waren 43% der Mutter mit Kindern unter zwei Jahren erwerbstatig (Die Bundesregie- rung 2017). Moderne Familienformen erfordern, dass beide Eltern sich durch ihre Erwerbs- tatigkeit finanziell absichern. Fur Manner wird es kontrar dazu normal, sich durch Eltern- zeit(en) mehr um die Familie und Kindererziehung zu kummern (Koenig et al. 2015, S. 2).

Geschlechterubergreifend konnen Konflikte beim Spagat zwischen beruflichen und privaten Herausforderungen entstehen. Die meisten Menschen werden irgendwann als Mutter, Va- ter Oder pflegende Angehorige familiare Verantwortung ubernehmen und von solchen Kon- flikten betroffen sein. Vereinbarkeitskonflikte wirken sich durch hohere Stresslevel negativ auf die Gesundheit und die Arbeitswelt aus (Williams et al. 2017, S. 1). Insbesondere die Arbeitszufriedenheit, Motivation, Unternehmensverbundenheit sowie die Leistungsbereit- schaft konnen abnehmen (Karatepe und Tekinkus 2006, S. 175). Gesamtgesellschaftlich ist es daher von Vorteil, wenn Arbeit auf Lebenssituationen, wie die Kinderbetreuung Oder die Pflege von Angehorigen, zugeschnitten ist (MaaB 2016, S. 118). Es geht nicht um einen ohnehin ungleichen Wettkampf zwischen Privat und Berufsleben, sondern darum, Syner- gien zu schaffen (Bischof-Jaggi 2005, S. 11). Familienfreundliche Gestaltung der Arbeit, durch bspw. flexible Arbeitszeiten, Betreuungs- und Beratungsangebote, nutzt insbeson­dere der Wirtschaft und ist mehr als soziales Engagement (Ehrentraut und Neubauer 2015).

Einerseits konnen Arbeitgeber die Familienplanung erleichtern und dadurch die Geburten- rate steigern, das demografische Gefalle zwischen Alt und Jung abbauen sowie neue Kon- sumenten schaffen (Bundesministerium fur Arbeit und Soziales 2017). Andererseits gewin- nen familienfreundliche Unternehmen neue Personengruppen, fur die bisher aufgrund von familiarer Verpflichtungen eine Erwerbstatigkeit oftmals nur erschwert moglich war (Bi- schof-Jaggi 2005, S. 11). Dies ist gerade in Zeiten des Wirtschaftswachstums notwendig, denn hierwerden alle Humanressourcen benotigt. Familienfreundliche Unternehmen erhal- ten durch das erweiterte Erwerbspersonenpotenzial einen wesentlichen Wettbewerbsvor- teil, konnen offene Stellen leichter besetzen und weisen geringere Fluktuationsraten auf (Vuksan etal. 2012, S. 5). Arbeitgeberseitige Unterstutzung, im Bezug auf familiareAufga- ben, hat eine starke Wirkung und wird von vielen wertgeschatzt (Butts et al. 2013, S. 2). Es lohnt sich familienfreundliche Personalstrategien zu etablieren (Williams et al. 2017, S. 2).

Die Unternehmen sind allerdings unsicher, welche konkreten VereinbarkeitsmaBnahmen zielfuhrend sind (Spiegl 2017, IX). Die bisherige Forschung zeigt auf, dass nur knapp die Halfte aller Unternehmen in Deutschland MaBnahmen zur Vereinbarkeit der Lebensberei- che ergreift (Schmucker 2017; Hammermann und Stettes 2016). Bestehende Unterstut- zungsangebote sind auf Mutter fokussiert und pflegende Angehorige werden kaum beruck- sichtigt (Kreimer und Meier 2017, S. 8). Letzteres ist vor dem Hintergrund, dass pflegende Angehorige im Pflegesystem bedeutend sind, kritisch (Geyer und Schulz 2014, S. 294).

Gegenstand dieser Studie ist es daher, zielgerichtete MaBnahmen zur Verbesserung der Familienfreundlichkeit hinsichtlich ihres Nutzens fur alle Beschaftigten und ihrer Verbreitung zu erforschen. Die speziellen Belange und Bedurfnisse pflegender Angehorigergiltes dabei besonders zu berucksichtigen. Neben dem aktuellsten Stand zur familienfreundlichen Un- ternehmenswelt sollen mittels Regressionsmodell(en) allgemeine Einflussfaktoren fur eine gelungene, effektive familienorientierte Personalpolitik ermittelt werden. Ubergeordnetes Ziel dieser empirischen Arbeit ist es, aus den Erkenntnissen angemessene und bedurfnis- orientierte Unterstutzungsansatze im Umgang mit Mitarbeitenden mit familiaren Verpflich­tungen zu entwickeln. Urn die Forschungsziele zu erreichen, fuhrt der Autor eine quantita­tive Erhebung mittels Onlinefragebogen zurfamilienfreundlichen Personalpolitik durch.

Die Struktur dieser Masterthesis folgt dem allgemeinen Aufbau wissenschaftlicher Arbeiten Iwer (Klewer 2016, S. 97). Nach der Einleitung werden zunachst theoretische Grundlagen erlautert. Bevor im nachfolgenden Kapitel auf die Methodik eingegangen wird, soil die The- orie mit dem aktuellen Forschungsstand dargestellt werden. Nach dem Theoriekapitel wer­den die Fragestellungen sowie die Hypothesen erlautert. Das auf die Fragestellung fol- gende Ergebniskapitel richtet sich nach der Fragebogenstruktur. Die Ergebnisse und Me­thodik werden diskutiert. AbschlieBend folgt ein Fazit mit konkreten Handlungsvorschlagen.

2 Theoretischer Hintergrund

lm theoretischen Hintergrund sollen die theoretischen Grundlagen skizziert werden, damit die im weiteren Verlauf erlauterten Handlungsfelder zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser verstandlich werden. Weiterhin wird abschlie&end der Forschungsstand dargestellt.

2.1 Terminologie und Modelle

lm ersten Kapitel wird die Terminologie zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf skizziert. Dem Themenfeld wird sich dabei soziologisch und gesundheitswissenschaftlich genahert.

2.1.1 Erwerbstatigkeit („Work“)

Erwerbstatigkeit ist eine zielgerichtete, korperliche, geistige und entlohnte Tatigkeit (Pie- kenbrock und Hasenbalg 2014, S. 27). Unterschieden werden kann bei Erwerbsarbeitzwi- schen selbststandiger und abhangiger Beschaftigung. Selbststandige konnen laut § 84 Abs. 1 HGB den Arbeitsort, die Arbeitszeit und -aufgabe in der Regel selbst gestalten. Abhangig Beschaftigte sind dagegen weitgehend abhangig vom Arbeitgeber und haben weniger Frei- heiten. Gerade bei ihnen ist eine familienorientierte Personalpolitik besonders von Bedeu- tung, da ihre Arbeit stark formellen Verpflichtungen, die vonseiten des Arbeitgebers gestal- tet werden, unterliegt (Bold und DeuBen 2013, S. 14). Der Bereich derabhangigen Erwerbs­tatigkeit wird durch Gesetze reglementiert, mit denen der Staat den Arbeitnehmer vor Aus- beutung durch den Arbeitgeber schutzen will. So gibt es eine Reihe von Arbeitszeit- und Arbeitsschutzgesetzen, die ausreichend Freiraume fur Privates und die Regeneration der Arbeitskraft zu sichern. Die vorliegende Studie beschrankt sich auf abhangig Beschaftigte, da diese eine deutlich groBere Personengruppe darstellen (Statistisches Bundesamt 2018a). Die berufliche Tatigkeit ist fur viele Menschen zentral und dient langfristig der „Schaffung, Erhaltung und Weiterentwicklung von Lebensgrundlagen" (Nerdinger et al. 2011, S. 174). Erwerbsarbeit sichert das Einkommen der Familie bzw. des Haushalts. lm Gegensatz zur unentgeltlichen Familienarbeit erfullt aktive Erwerbstatigkeit eine Finanzie- rungsfunktion (Ruling und Kassner 2007, S. 36). Neben der Finanzierung der Familie er- moglicht Erwerbsarbeit vor allem Frauen die wirtschaftliche Unabhangigkeit vom Partner (Nerdinger et al. 2014, S. 187). Daruber hinaus besteht durch den Beruf die Moglichkeit zur Selbstverwirklichung und Personlichkeitsentwicklung (Bold und DeuBen 2013, S. 14). Be- reits die Ausbildungswahl ermoglicht eine Ausrichtung auf Interessen. Berufliche Tatigkeit dient zudem der individuellen gesellschaftlichen Teilhabe (Ulich und Wiese 2011, S. 21).

2.1.2 Familie („Life“)

Die Familienstrukturen sind historisch gewachsen und unterliegen einem gesellschaftlichen Wandel (Ecarius et al. 2011, S. 13; Weigel 2008, S. 1427). Bisher wurde die Familie als „ideelle Einheit zwischen Ehe, Hausgemeinschaft, Elternschaft und Verwandtschaft" be- zeichnet (Maihofer et al. 2001, S. 15). Die Familie ist heute jedoch nicht mehr nur an die Ehe gebunden (Ciabattari 2017, S. 22; Ruling und Kassner 2007, S. 12). Eine Familie be- steht mindestens aus einem Erwachsenen und einem Kind (Warda 2007, S. 10). Wobei es keine Rolle mehr spielt, ob die Partner verheiratet sind und ob es sich bei den Kindern urn leibliche Kinder Oder Stief-, Pflege- bzw. Adoptivkinder handelt (Schmidt 1993, S. 45).

Aus familiensoziologischer Sicht ist Familie ein relativ dauerhaftes, interdisziplinares ,,Netz- werk, das auf Erziehung, Unterstutzung, Kommunikation und Rollenakzeptanz basiert" (Ge- ffroy und Albiez 2016, S. 57). Familie kann als „Eltern-Kind-Gemeinschaft“ umschrieben werden (Dallinger et al. 2016, S. 51; Weigel 2008, S. 1427). Diese (Kooperations-)Gemein- schaften konnen sich unterschiedlich organisieren, wobei die Organisation von familiaren Lebensformen dabei als dynamischer und individueller Verhandlungsprozess zwischen zwei Oder mehreren Lebenspartnern gesehen werden kann (Maihofer et al. 2001, S. 11).

Der Gesetzgeber sieht Familie als schutzenswerte Grundlage fur die Pflege und Erziehung von Kindern (Deutscher Bundestag 24.05.1949). Familie bezeichnet laut Art. 6 und Art. 3 Grundgesetz alle Partnerschaften, in denen eheliche und uneheliche Kinder existieren.

Aus psychosozialer Perspektive ist das wichtigste Merkmal einer Familie die Reproduktion (Ecarius et al. 2011, S. 13). Die optimale Erziehung und Entwicklung von Kindern ist Kern des Familienlebens (Heimer2017, S. 9). Hierzu gehortdie Sozialisation, inklusive der Ver- mittlung von Werten und Normen (Maihofer et al. 2001, S. 10). Familie hat gesellschaftlich stabilisierende Funktionen, wie die emotionale und materielle Unterstutzung (Weigel 2008, S. 1428). Vertrauen sich Familienmitglieder, wird eine bis ins Erwachsenenleben konstante emotionale Bindung und Identitat aufgebaut (Fitzpatrick 2004, S. 167). In Zeiten von Krisen besinnen sich Menschen beider Geschlechter auf den Stabilisator Familie, da sie hier sozi- ale, pflegerische und okonomische Hilfe bekommen (Aldous und Ganey 1999, S. 155).

Fur die vorliegende Masterarbeit wird ein weitlaufiges sowie modernes Verstandnis des Familienbegriffs angenommen. Sowohl Eltern als auch kinderlose Paare werden als Fami­lie angesehen. In der vorliegende Masterarbeit spielt es ferner keine Rolle, welches Fami- lienmodell individuell als das „richtige“ angesehen wird. Mit Familienmodellen sind neben der klassischen Ehegemeinschaft auch die Patchwork-, Single-, Pendler-, Zwei-Kern-Fa- milien odersonstige Formen der familiaren Organisation gemeint (Weigel 2008, S. 1428).

2.1.3 Pflege und Pflegebedurftigkeit („Life“)

Da es in der vorliegenden Arbeit um die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf geht, mussen auch die Begriffe Pflege und Pflegebedurftigkeit genauerbetrachtetwerden. Pflege ist eine Aufgabe, die Menschen sowohl sich selbst als auch ihren engsten Angehorigen gegenuber immer schon erbracht haben (Zimmer 2016, S.42.). Grundlegend dafur war die Sorge um die Artgenossen und die Erhaltung der Art, beschrankte sich aber meistens auf die eigene Familie und ging nur selten daruber hinaus (Moller und Hesselbarth 1998, S. 8.)

Pflege beinhaltet grundsatzlich alle Handlungen, die die Gesundheit fordern und erhalten. Pflege unterstutzt Menschen beim Umgang mit den Auswirkungen ihrer Erkrankung und ihrer Therapie (Spichiger et al. 2006, S. 45). Pflege ist auf den zu Pflegenden ausgerichtet. Bei Demenz steht beispielsweise die Anpassung des Umfelds an die mentalen Fahigkeiten des zu Pflegenden sowie das eigene Verstandnis der Krankheit im Fokus der Anstrengun- gen (Henry et al. 2018, S. 3). Pflege ist eine interdisziplinare komplexe „Hilfeleistung an Menschen allerAltersgruppen im Zustand von Behinderung, Krankwerden, Kranksein, Ge- sundwerden, Krankbleiben und Sterben" (Kother2011, S. 1001). In der Pflegewissenschaft bezieht sich der Pflegebegriff auf die Unterstutzung von „Verrichtungen des taglichen Le- bens“. Zu den vielfaltigen Aufgaben Pflegender zahlen daher Verrichtungen, wie Korper- pflege Oder die Unterstutzung bei der Ernahrung, (Ciabattari 2017, S. 197). Weiter gefasst beinhaltet die Pflege zudem Betreuungsaufgaben und schlieBt die Hilfe bei der Haushalts- fuhrung mit ein (Schneider 2006, S. 494). Genauso vielseitig wie die Pflegeaufgaben selbst sind auch deren Ziele. So steht neben der Betreuung, Orientierung und Gesundheitsforde- rung der Erhalt der Selbststandigkeit und Selbstbestimmung im Fokus (Theunissen und Kulig 2011, S. 270). Pflegebedurftige sollen durch die Pflege befahigt werden, mit der Krankheit Oder Behinderung umzugehen und Abhangigkeit zu vermeiden. Neben der Si- cherstellung einer sicheren und fordernden Umgebung ist auch die Ermoglichung eines wurdevollen Sterbens ein Thema der Pflege (Kother 2011, S. 1000).

Laut § 8 SGB XI ist die pflegerische Versorgung eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe", die der Staat jedoch durch sozialrechtliche Leistungsanspruche unterstutzt. In der Pflege wird generell zwischen professioneller bzw. formeller Pflege und informeller Pflege unter- schieden. Beide Pflegebereiche komplementieren sich (Geyer und Schulz 2014, S. 295). Die professionelle Pflege muss jedoch mehr spezifische Voraussetzungen erfullen, um als professionell zu gelten, wozu fachliche und personliche Qualifikationen gehoren, die in be- stimmten Gesetzen und Verordnungen festgeschrieben sind (Schwinger 2016, S.151-152; Zimmer 2016, S. 42-48; Deutscher Bundestag 01.01.2020).

Fur informell Pflegende trifft eine normierte pflegerische Ausbildung nicht zu, denn sie sind meistens nicht in der Pflege ausgebildet, verfugen zu Beginn der Pflegesituation nicht uber Fachkenntnisse und konnen nicht auf Erfahrungswissen zuruckgreifen (OECD 2017, S. 201). Dennoch ubernehmen sie diese Aufgabe, weil sie einer empfundenen familiaren Pflicht nachkommen, und erfullen damit eine gesellschaftliche Aufgabe von hoher Bedeu- tung (Schneider 2006, S. 493). Die informelle Pflege wurde fruher aufgrund ihrer haufig fehlenden Pflegeausbildung auch als „Laienpflege“ bezeichnet. Da die informelle Pflege jedoch (noch) einen GroBteil aller Pflegearrangements sicherstellt und Pflegende heute besser denn je geschult werden, wird dieser Begriff nicht mehr verwendet, da diese Art der Pflege nicht durch den Begriff Laienpflege abgewertetwerden sollte (OECD 2017, S. 201). Durch die Unterstutzung aller Lebensbereiche und die Organisation von hauslicher Pflege werden informelle Pflegepersonen indirekt zu Pflegemanagern. Informell Pflegende sind Lotsen in der Gesundheitsversorgung und haben sich nach Jahren pflegerischer Tatigkeit entsprechende Fahig- und Fertigkeiten angeeignet. Diese Thesis fokussiert sich kompe- tenzunabhangig auf die informelle Pflege, das hei&t die Angehorigen Oder Nachstenpflege.

Informelle Pflege meint ein vorwiegend unentgeltliches Engagement, bei dem sich urn Hil- febedurftige nach eigenem Ermessen gekummert wird (Lademann und Isfort 2014, S. 20). Informelle Pflegepersonen betreiben laut §19 SGB XI die Pflege nicht erwerbsma&ig in der hauslichen Umgebung (Deutscher Bundestag 26.04.1994). Die Unterstutzung einer hilfe- bedurftigen Person kann sich dabei auf die eigenen Eltern Oder Kinder sowie auch auf Per- sonen in der Nachbarschaft beziehen. Haufig bezieht sich informelle Pflege jedoch auf die Unterstutzung innerhalb der Familie, indem sich Tochter, Sohne Oder Ehepartner urn ein hilfebedurftiges Familienmitglied kummern (OECD 2017, S. 201). Genannter Personenkreis sowie auch GroBeltern, Lebenspartner, Schwiegereltern und Enkelkinder werden haufig als „nahe“ Angehorige bezeichnet (Deutscher Bundestag 26.04.1994, §15 SGB XI, 01.07.2008, §7 Abs. 3 PflegeZG). Auch wenn mit informeller Pflege alle pflegenden Ange- horigen gemeint sind, werden von gesetzlicher Seite enge Verwandte als pflegende Ange- horige besser unterstutzt. Im Zentrum der Aufmerksamkeit von pflegenden Angehorigen stehen jedoch generell der Empfanger der Pflege und seine Pflegebedurftigkeit. Pflegebe- durftigkeit ist dabei ein „komplexes und multidimensionales Phanomen" und muss daher nachfolgend eindeutig beschrieben werden (Chassioti 2014, S. 47).

Unter Pflegedurftigkeit fallt ein ,,Mensch, wenn er krank ist Oder an einer Behinderung leidet, die ihn im Alltag dauerhaft von anderen Menschen abhangig macht" (Eins 2018). Die Pfle­gebedurftigkeit orientiert sich an den Voraussetzungen „Hilflosigkeit“ und „Bedarf“ (Chassi­oti 2014, S. 48). Unter Anhang 8,S. 119 ist der Pflegebedurftigkeitsbegriff naher erlautert.

2.1.4 Vereinbarkeit: Familie, Pflege & Beruf (Work-Life-Balance)

Ein Terminus, der im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie haufig genannt wird, ist die Work-Life-Balance. Work-Life-Balance gehort mit deren Weiterent- wicklung, der Life-Domain-Balance, zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben (BZgA 2017). Vorab soil erwahnt werden, dass der Work-Life-Balance-Begriff mit Kritik behaftet ist. Durch die Work-Life-Balance wird unter Umstanden eine irrefuhrende Spaltung von Ar­beit und Leben erzeugt (Widuckel 2015, S. 34). Diese Sichtweise von Work-Life-Balance entspricht nicht der Realitat, da Arbeit und Leben in unserer heutigen, schnelllebigen Zeit nur schwer voneinander zu trennen sind (Continentale Krankenversicherung 2013, S. 4). SchlieBlich findet auch wahrend der Arbeitszeit das „Leben“ statt. Als Beispiel sind wichtige familiare Anrufe wahrend der Arbeitszeit zu nennen. In der privaten Freizeit werden zudem haufig Mails beantwortet Oder wichtige geschaftlicheTelefonate gefuhrt. Sowohl die Arbeit als auch das Privatleben sind „Teilsysteme unserer menschlichen Lebenswelt, die sich wie- derum in verschiedene Subsysteme unterteilen lassen, mit jeweils vielfaltigen Auspragun- gen und Interdependenzen (Kirschten 2014, S. 20). Die individuelle Lebenswelt einer Per­son ist deutlich komplexer und kann im Work-Life-Balance-Begriff nur vereinfacht darge- stellt werden. Die auf der Seite dargestellte Definition ist diesem Umstand angepasst.

Der Begriff Work-Life-Balance kann synonym zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie ver- wendet werden. Mit beiden Termini ist die ..Balance zwischen den Moglichkeiten und An- forderungen der Erwerbsarbeit und den Moglichkeiten und Anforderungen anderer Le- benstatigkeiten" (Ulrich 2017, S. 968) gemeint. Unter den ..Anforderungen anderer Le- benstatigkeiten" werden im Sinne dieser Arbeit familiare Aufgaben, wie die Pflege von An- gehorigen Oder Kindererziehung, verstanden. Vielmehr gibt es weitere Lebensphasen und private Belange (Rump et al. 2014, S. 21). Die Abbildung gibt einen einfachen Uberblick:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Individuelle Lebenswelt: VielfaltderLebens-ZBerufsphasen; (vgl. Rump et al. 2014, S. 21)

Unter der „Balance“ wird der individuelle Aushandlungsprozess verstanden, in dem ein Mensch versucht anfallende berufliche und private Phasen, Rollen, Interessen und Funkti- onen zu erfullen. Der Beschaftigte ist im Laufe seines Lebens immer wieder einem berufli- chen und privaten Wandel und damit neuen Herausforderungen ausgesetzt. Bei diesen privaten und beruflichen Herausforderungen stehen der einzelne Mensch und der Umgang mit diesen Herausforderungen im Vordergrund. Die Balance zwischen den Lebensberei- chen geschieht intraindividuell. Jeder Mensch setzt sich im Privat- und Arbeitsleben unter- schiedliche Prioritaten und teilt seine Verantwortungen zeitlich unterschiedlich auf (Bischof- Jaggi 2005, S. 20). Jeder Mensch besitzt zudem andere Selbstverwirklichungsbedurfnisse und andere Ressourcen (Rump et al. 2014, S. 43). Bei den bidirektionalen Wechselbezie- hungen zwischen Arbeitswelt und Privatleben kann es zu Konflikten kommen („Work-familv (role) conflict", „work-life conflict"). Die folgende Abbildung verdeutlicht diesen Konflikt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Vereinfachte Darsteilung des .work-famHy-conflicr-Konzepts (Frone at at. 1992. S. 72)

Ein Konflikt entsteht im Allgemeinen, wenn Personen unter Druck geraten, weil sie ver- schiedene Anforderungen aus (multiplen) Rollen nicht erfullen konnen. Wie anhand der Ab­bildung deutlich wird, beeinflussen sich die beruflichen und auBerberuflichen Rollen (Frone et al. 1992, S. 72). Ein Konflikt resultiert dann, wenn es aufgrund hoher Anforderungen und Belastungen zu einer Beeintrachtigung einer Rolle kommt. „Beispielsweise konnen die ho- hen Anforderungen an die Betreuung von Kindern [...] dazu fuhren, dass berufliche Rollen- anforderungen nur eingeschrankt erfullt werden konnen [z. B. nur als Teilzeiterwerbstatig- keit].“ (Kirschten 2014, S. 155) Die Erfullung bestimmter Rollen und Erwartungen kann da- bei beispielsweise aufgrund von zeitlichen Grunden scheitern (Uzoigwe et al. 2016, S. 630). Eine Imbalance, das hei&t ein Vereinbarkeitskonflikt, ist jedoch mehr als nur ein Zeitkonflikt zwischen Beruflichem und Privatem. Neben zeitlichen Grunden konnen Konflikte aufgrund einer (uber)Belastung sowie verhaltensbedingte Konflikte genannt werden (Ahmad 2008, S. 58). Es existieren ferner weitere Faktoren, die Einfluss auf die Work-Life-Balance haben. Neben den berufsbedingten Faktoren existieren familienbedingte Faktoren und auch die Person selbst spielt eine Rolle bei der Entwicklung eines Konflikts (Anhang 1, S. 106).

Ein „work-life-conflict“ hat negative Auswirkungen fur die Person als auch fur das Unterneh- men. Personen, die einen Vereinbarkeitskonflikt auBern, haben eine geringere Lebensqua- litat und potenziell Unzufriedenheit im Berufs- und Privatleben (Uzoigwe etal. 2016, S. 630;

Daniels et al. 2017; Holz und Da-Cruz 2007, S. 82). Auf der Seite der Person konnen ferner erhohter Stress sowie eine hohere Gefahr fur psychische Erkrankungen festgehalten wer- den (Kelly et al. 2011, S. 265; BZgA 2018). Hinsichtlich des Unternehmens zeigt sich ein „work-life-conflict“ durch verminderte Arbeitszufriedenheit, Ungehorsam, verringerte Ver- antwortung, erhohte Fluktuation und schlechte Gesundheit (Nayeri et al. 2018, S. 6865).

Kontrar zu dem „work-life-conflict“ kann jedoch eine Bereicherung beider Lebensbereiche entstehen. „Work-familv-enrichment“ bezeichnet eine-positive Wechselwirkung zwischen den Lebensbereichen und Rollen. Eine Rolle bestarktdie andere und alle Rollen profitieren von den durch sie trainierten Qualitaten (Ahmad 2008, S. 58). Familiare Verantwortung kann sich folglich auch positiv auf die Arbeit auswirken (Odle-Dusseau et al. 2012, S. 28).

Die vorhergehenden Absatze haben sich uberwiegend der Begriffsklarung gewidmet. Wie es zu einer Bereicherung (work-life-enrichment) Oder einem Vereinbarkeitskonflikt (work- life-conflict) kommt, wird anhand ausgewahlter Modelle detailliert erklart. Die meisten der vorhandenen Modelle zur Erklarung der Interaktion zwischen Berufs- und Privatleben ba- sieren auf der Ressourcenerhaltung und den Anforderungen der einzelnen Rollen (BZgA 2018, S. 12). Diese Modelle konnen auch als dynamische Oder integrative Modelle bezeich­net werden. Bei ihnen bestehen grundsatzlich Gemeinsamkeiten mit Stressmodellen (An- hang 11, S. 134). Das unter Anhang 11 erlauterte Job-Demand-Control-Modell bietet die Moglichkeit, Risiken der Unvereinbarkeit des Arbeits- und Privatlebens darzustellen. Fur vorliegende Thesis sollen jedoch spezifische Work-Life-Balance-Modelle verwendet wer­den. Ferner ist die Work-Life-Balance individuell und steht in Verbindung mit der Identitat einer Person (Collatz und Gudat 2011, S. 29; Ahmad 2008, S. 58). Das in der Forschung haufig zitierte Zeit-Balance-Modell (Anhang 11, S. 135) wurde bewusst nicht als Erklarungs- ansatz fur die Vereinbarkeit gewahlt. Work-Life-Balance bedeutet mehr als nur den Umgang mitZeitkonflikten zwischen Berufs- und Privatleben. Konflikte mussen immer in Zusammen- hang mit den dynamischen Ressourcen und Anforderungen betrachtet werden (Collatz und Gudat 2011, S. 31). Das Work-Life-Balance-Modell nach Kastner (2004) bietet diese Sicht- weise. Im ganzheitlichen und dynamischen Work-Life-Balance-Modell nach Kastner (2004) geht es vereinfacht gesagt darum, die Ressourcen und Belastungen subjektiv abzuwagen (Collatz und Gudat 2011, S. 31). Work-Life- Balance ist laut Kastner ein ganzheitlicher und lebenslanger Gestaltungsprozess. Personale, situative und organisationale Faktoren spie- len eine Rolle. Der Faktor Zeit ist alleinig nicht ausschlaggebend. Eher steht der lebens- phasenorientierte Ausgleich von Belastungen und Anforderungen im Fokus (Kastner 2004, S. 4). Die Person schafft sich einen Anforderungspuffer (Resilienz), der sie befahigt schwie- rige Situationen ohne Beeintrachtigung zu uberstehen (Collatz und Gudat 2011, S. 32).

Das Work-Life-Balance-Modell nach Kastner (2004) wird anhand einer Wippe visualisiert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Work-Life-Balance-Modell/“Wippe” nach Kastner(vgl. Kastner2004, S. 3)

Die Wippe als Metapher der Work-Life-Balance zeigt die Herausforderung, zwischen den Belastungen bzw. Anforderung und den eigenen Ressourcen eine Balance zu finden (Kast­ner 2004, S. 3). Jeder Mensch hat unterschiedliche Belastungs- und Beanspruchungspro- file. Eine Work-Life-Balance wird laut Kastner dann erreicht, wenn sich Belastungen und Ressourcen die Waage halten. Eine Uberforderung entsteht, wenn zu viele Belastungen, wenig Puffer und zu wenige Ressourcen bestehen (Kastner 2004, S. 4). Bei den Belastun­gen ist zudem auch deren Dauer und die individuelle, subjektive Bewertung von Bedeutung (siehe Stressmodelle, Anhang 11, S. 135). Kastner hat in sein Modell sogenannte Puffer integriert. Die in bestimmten Lebenszeiten auftretenden Belastungsspitzen, wie bei Geburt eines Kindes, konnen mit einem Anforderungspuffer „abgefedert“ werden (Collatz und Gu- dat 2011, S. 31). Der Ressourcenpuffer schutzt hingegen vor ebenso schadlicher Unterfor- derung. Die Puffer werden ferner in hinreichenden Regenerationsphasen wieder aufgefullt (Kastner 2004, S. 4). Geschieht dies nicht, konnen sich Burnout und Missbrauch ergeben.

Das Modell von Kastner zeigt, dass Work-Life-Balance ein „Auf- und Abschaukelungspro- zess“ ist, der auf verschiedenen Ebenen unterstutzt werden kann (Kastner 2004, S. 5). Aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht ist das Handlungsfeld mit dem der Salutgenese von Antonovsky und gangigen Stressmodellen vergleichbar. Betrieblich ist es laut dem Modell wichtig, Mitarbeitenden (dynamische) Kompetenzen und somit Ressourcen zu vermitteln.

Das zweite Modell, das im Rahmen dieses Unterkapitels vorgestellt werden soil, ist eben- falls ein dynamisches WLB-Modell. Es zeigt auf, dass Arbeit und Leben vereinbar sind. Arbeit und Leben sind gleichberechtigte Lebenselemente. Es geht in der „Work-family-bor- der-Theorie“ von Clark (2000) jedoch mehr urn Rollengrenzen und -ubergange. Ahnlich wie im vorherigen Modell weist die Lebensweltjedes Einzelnen verschiedene Ebenen und Ele- mente auf. Die „Work-family-border-Theorie“ nimmt an, dass die Lebensbereiche miteinan- der in Verbindung stehen (Kirschten 2014, S. 157). Fur jeden Menschen sehen diese Ver- bindungen anders aus. Die Kontrolle der „Grenzen“ bei der Beruf-Familie-Schnittstelle ist jedoch furalle der Schlussel fur Wohlbefinden und Balance (Tammelin 2018, S. 95).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Work-family-border-Theorie nach Clark (Clark 2000, S. 754)

Die tagliche Interaktion zwischen den Lebenswelten ist davon abhangig, wie „durchlassig die Grenzen zwischen diesen Bereichen" sind (Kirschten 2014, S. 158). Jede Lebenswelt weist eigene Ziele, Aufgaben, Denkmuster, Werte und Regeln auf (Clark 2000, S. 756). Sind die Lebensbereiche ahnlich und berucksichtigen sich gegenseitig, dann kann eine In­tegration von Familie und Beruf gelingen (durchlassige „Grenze“). Menschen werden dabei uberwiegend als „Grenzganger“ betrachtet, da sie standige Ubergange zwischen Beruf und Familie vornehmen (Tammelin 2018, S. 95). Einen groBen Einfluss auf die „Grenzganger“ haben sogenannte „Grenzhuter“. Dies sind meist Ehepartner Oder Vorgesetzte, mit denen die Grenzganger ihre Prioritaten verhandeln mussen (Othman 2009, S. 8). Gibt es zu groBe Differenzen zwischen den Lebensbereichen, d.h. die Grenzen sind undurchlassiger, kommt es zu einer starkeren Segmentierung der Lebensbereiche. Die Lebensbereiche werden dann voneinanderabgegrenzt und es kann zu Konflikten kommen (Kirschten 2014, S. 159).

Die Digitalisierung, die Arbeitsverdichtung und mobile Technologien fur das Home Office werden ferner einen Einfluss auf das genannte Modell ausuben (Tammelin 2018, S. 91). Die bisher schon unscharfen Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem werden bspw. durch die standige telefonische Erreichbarkeit durchlassiger werden (Othman 2009, S. 6). Die Unternehmen, die Gesellschaft und der Staat haben ferner Einfluss auf die Ubergange zwischen Privatem und Beruflichem. Sie haben Einfluss darauf, wie durchlassig die ,,Gren- zen“ zwischen den Lebensbereichen sind (Clark 2000, S. 756; Kirschten 2014, S. 160).

2.2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

In den genannten WLB-Modellen haben die Gesellschaft, insbesondere deren Werte, einen Einfluss auf die Work-Life-Balance (Clark 2000, S. 747; Kastner 2004, S. 3). Nachfolgend werden daher die wesentlichen aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen und Ent- wicklungen vorgestellt, die die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf beeinflussen.

2.2.1 Demografischer Wandel

Mit dem Begriff „demografischer Wandel" werden die Veranderungen in der Zusammenset- zung von Gesellschaften bezeichnet (Schimany 2008, S. 16). Die Einwohnerzahl Deutsch- lands lag im Jahr2017 bei 80.780.000 Menschen (UN ESA 2017). Die Vereinten Nationen (UN) gehen davon aus, dass sich die Bevolkerungsanzahl negativ entwickeln wird, da die Geburtenrate mit 1,59 Kindern pro Frau im europaweiten Vergleich unterdurchschnittlich ist (UN ESA 2017, Anhang 4, S. 112). Zusatzlich zum Ruckgang der Geburtenrate ist die Al- tersstruktur der Gesellschaft bedeutsam (Deller et al. 2008, S. 5). Wie in der Grafik ersicht- lich wird, nimmt der Anteil der Bevolkerungsgruppe der 15 bis 65-jahrigen seit der Jahrtau- sendwende stetig ab. Gleichzeitig steigt der Anteil der Alteren deutlich an. Diese demogra- fische Alterung wirkt sich neben derTragfahigkeit der Sozialsysteme vor allem auf den Ar- beitsmarkt aus (Anhang 5, S. 114). Die Belegschaften sind heute Alter und die Rekrutierung neuer, insbesondere jungerMitarbeitender, wird deutlich schwieriger(Rimser2014, S. 145).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Bevolkerungsentwicklung Deutschland (linksseitig) und (rechtsseitig)

Anteil der Altersgruppen an derGesamtbevolkerung Deutschlands (UN ESA 2017)

Eine luckenlose Prognose zur Bevolkerungsentwicklung findet sich unter Anhang 5, S. 113.

2.2.2 Individualisierung und Wertewandel

Innerhalb der Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein Wertewandel er- eignet, der sich vor allem in einer voranschreitenden Individualisierung der Menschen und einer Pluralisierung der Gesellschaft zeigt (Beck und Sopp 1997, S.10). Dieser Wertewan­del bezieht sich vor allem auf die Bereiche der personlichen Entwicklung und der individu- ellen Autonomie und fuhrt dazu, dass Freiheitswerte wie Selbstentfaltung, Autonomie und Gleichberechtigung heute deutlich hoher als fruher bewertet werden, wahrend Pflichtwerte wie Disziplin, FleiB und Punktlichkeit an Bedeutung verloren haben (Beck 2001). Die Pflicht- und Akzeptanzwerte waren fruher fur die Gesellschaft allgemeingultig und verbindlich und wurden bruchlos sowohl von der Schule als auch vom Elternhaus vermittelt (Rosenstiel 2014, S.34). Da Menschen daran gewohnt waren, sich unterzuordnen, konnten sie in den Unternehmen relativ leicht gefuhrt werden. Heute ist das nicht mehr so einfach, denn ein- fache Konzepte von Fuhrung erreichen die Menschen nicht mehr und werden den gesell- schaftlichen Realitaten nicht mehr gerecht (Heidenreich und Braczyk 2003, S.142-143.). Der Wertewandel bezieht sich auch auf den Wert der Arbeit selbst, der sich deutlich veran- dert hat, denn die Arbeit, die fruher als ein Wert an sich betrachtet wurde, ist heute meistens nicht mehr als ein Mittel zum Zweck, ein Instrument, urn sich einen bestimmten Lebensstil leisten zu konnen und urn bestimmte personliche Entwicklungsziele zu verwirklichen (Ro­senstiel 2014, S.34). Ein weiterer Wandel, der sich in der Arbeitswelt vollzogen hat, ist die Betrachtung von Arbeitsleistung und von Mitarbeitern. Zwar sind Mitarbeiter immer noch Produktionsfaktoren des Unternehmens, aber sie sind mehr als das, denn sie nehmen ver- schiedene Rollen und Funktionen ein, bewegen sich in unterschiedlichem Kontext und sind qualitativ vollig anders zu bewerten als die ubrigen Produktionsfaktoren, denn „der Mensch tragt als Lebewesen einen Sinn in sich selbst und ist nicht nur Mittel zum Zweck. Er weist einen Selbstwert auf und stellt Anforderungen an seine Umwelt" (Thommen und Achleitner 2012, S.715). AuBerdem gilt: „Der Mensch ist selbsttatig, mit Denkvermogen, Initiative und Willen ausgestattet. Deshalb ist er nicht nur passives Objekt, sondern Trager von selbst- standigen und sinnhaften Handlungen" (Thommen und Achleitner 2012, S.715).

Menschen sind nicht mehr nur Befehlsempfanger und konnen auch im Rahmen der WLB nicht mehr als solche betrachtet werden (Heidenreich und Braczyk 2003, S.142). Deutlich wird dieser Wandel an der jungsten der in den Betrieben vertretenen Generationen, der Generation Y (Anhang 6, S. 116). Angehorige dieser Generation sind im Hinblick auf Auto- ritaten kritisch und erkennen nur Autoritaten an, die sich ihren Respektverdient haben. Die Generation Y sucht nach erfullenden und anspruchsvollen Arbeitsaufgaben und neigt zu einer Vermischung von Privat- und Berufsleben (Ruthus 2014, S.7). Eine neue Work-Life- Balance, Oder besser Life-Work-Balance, ist notwendig (Buscher und Schwilden 2014). Die Menschen leben nicht mehr nur, urn zu arbeiten, sondern arbeiten, urn gut leben zu konnen.

2.2.3 Innerfamiliare Arbeitsteilung

Zum gesellschaftlichen Wandel, der mit der Individualisierung und Verschiebung der Le- bensprioritaten verbunden ist, kommt ein Rollenwandel hinzu. Die Rolle der Partner und die innerfamiliare Arbeitsteilung verandern sich. Dies liegt letztendlich an den veranderten Le- bensentwurfen und der Verwerfung traditioneller, gesellschaftlicher Normen. Die Menschen legen heute mehr Wert auf Individualist und Ziele, wie Selbstverwirklichung und Wohlbe- finden (Opaschowski 2004, S. 446). Die Menschen wollen eigenverantwortlich uber ihre Arbeit und ihre freie Zeit bestimmen (Breiten 2006, S. 18). Zudem wird die Forderung nach Gleichberechtigung auch innerhalb der Familien deutlich. „Frauen wollen nicht mehr zwi- schen Beruf und Kindern wahlen, sie wollen sich fur beides entscheiden konnen." (Breiten 2006, S. 18) Die klassische Kleinfamilie, mit einem mannlichen Alleinverdiener und einer Frau als Erzieherin und Haushalterin, ist daher rucklaufig und wird von Frauen abgelehnt.

Auch wenn Frauen heute erwerbstatig sind, gestaltet sich die innerfamiliare Arbeitsteilung traditionell. Frauen und Manner sind rechtlich gleichberechtigt. In der Realitat, insbesondere im Haushalt, zeigt sich jedoch aktuell teilweise noch ein anderes Bild (VoBkuhler 2017). Auch heute noch sind die Aufgaben, die Manner in der Familie ubernehmen, immer noch die gleichen wie fruher und sie sind ebenfalls weniger als die Aufgaben, die Frauen in der Familie erfullen (BILD der FRAU 2015, S.4). Frauen mit Kindern leisten durchschnittlich uber „20 Stunden pro Woche mehr unbezahlte Familienarbeit als Manner." (Koenig et al. 2015, S. 3). Befragungen ergeben, dass 95 Prozent der Frauen ihre Eltern Oder Schwie- gereltern unterstutzen, 88 Prozent als Ansprechpartner immer fur die Kinder da sind, 66 Prozent die Familienarbeit mehr Oder weniger allein erledigen. Die Manner ubernehmen von diesen Aufgaben nur einen sehr geringen Anteil. Das bedeutet, dass sich die familiaren Aufgaben von Frauen kaum verringert haben, sie aber gleichzeitig beruflich immer starker eingebunden werden (BILD der FRAU 2015, S.4). Bei berufstatigen Frauen entsteht eine Doppelbelastung durch die Ubernahme des GroBteils familiarer Aufgaben und der Berufs- tatigkeit (Bischof-Jaggi 2005). Die Gesamtarbeitslast von Muttern ist hoch (Koenig et al. 2015, S. 3). Vor allem im Alter zwischen dem 40. und dem 60. Lebensjahr zeigen sich erhebliche Belastungen, die aus der Familie resultieren (VoBkuhler 2017). Die Kinder ha­ben dann meistens ein Alter erreicht, in dem sie zwar selbststandiger werden und nicht mehr im eigentlichen Sinne betreut werden mussen, aber sie sind meistens noch nicht in der Lage, vollstandig und ohne die Hilfe der Eltern fur sich selbstzu sorgen (BILD der FRAU 2015, S.13). Gleichzeitig fangen die Eltern der Eltern an, gebrechlicher und hilfebedurftiger zu werden, und erfordern ihre Aufmerksamkeit. Auch diese Aufgaben bleiben in erster Linie weibliche Aufgaben, sodass sich die mittlere Generation nicht nur vollstandig im Beruf, son- dern ebenso in familiare Verpflichtungen eingebunden sieht (BILD der FRAU 2015, S.13).

2.3 Unternehmerische Rahmenbedingungen

AuBerfamiliare Strukturen, wie der Job und die Arbeitsumgebung haben einen groBen Ein- fluss auf Work-Family Konflikte (Major et al. 2008, S. 881; Kelly et al. 2011, S. 267; Breiten 2006, S. 19). Gute Mitarbeiter sind jedoch die Grundbedingung fur unternehmerischen Er- folg (Maier2016, S.14). Kein Unternehmen kann es sich angesichts der Fachkrafteknapp- heit leisten, Mitarbeiter zu verlieren, so dass es fur Unternehmen wichtig ist, den Bedurfnis- sen der Mitarbeiter Rechnung zu tragen und die Themen, die diese in besonderem MaBe interessieren Oder betreffen zu berucksichtigen. Fur die Mitarbeiter wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf beziehungsweise das Ausbalancieren von Arbeit und Freizeit ein zunehmend wichtiger Punkt, der ihre Entscheidung, in einem Unternehmen zu arbeiten und dort zu verbleiben, immer starker beeinflusst (Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2017, S.9). Es gibt zudem mehr Anspruchsgruppen. Pflegende Ange- horige und beide Elternteile wollen bzw. mussen heute berufstatig sein (OECD 2017, S. 45). Fur die Unternehmen bedeutet das im Gegenzug, dass sie verstarkt Bemuhungen in diese Richtung unternehmen mussen, urn ausreichend Mitarbeiter gewinnen und binden zu konnen. Gleichzeitig ist eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die von Unterneh­men bereitgestellt wird, auch ein Wettbewerbsvorteil, dennjewichtiger Familienfreundlich- keit fur die Mitarbeiter wird, desto mehr werden sie sie in Unternehmen zu schatzen wissen (Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2017, S.9).

Einige der vorher genannten Entwicklungen, wie der demografische Wandel, der Fachkraf- temangel, der Wertewandel, derWunsch nach Individualisierung, die veranderte Rollenauf- teilung und die steigende Berufstatigkeit von Frauen, wirken sich auf die Betriebe und die Work-Life-Balance jedes Einzelnen aus. Unternehmen mussen die genannten Bedingun- gen bei der Gestaltung ihrerfamilienfreundlichen Personalpolitik beachten. SchlieBlich wol­len Unternehmen durch die optimale Forderung der Vereinbarkeit der Lebensbereiche die Mitarbeiterbindung, Mitarbeitergesundheit, Produktivitat sowie ihr Arbeitgeberimage ver- bessern. Arbeitgeber wollen durch eine optimal angepasste familienfreundliche Personal­politik die Ausfallzeiten und Fluktuationskosten geringhalten (Kelly et al. 2011, S. 265).

2.3.1 Frauen in der Arbeitswelt

Dass der veranderte weibliche Lebensentwurf in einem extra Kapitel gefasst wird, hat nicht zu bedeuten, dass die Vereinbarkeit nur diese betrifft. Manner benotigen ebenso Unterstut- zung bei der Vereinbarkeit, da beide Geschlechter Herausforderungen im Rahmen der Ver- einbarung privater und beruflicherAnforderungen aufweisen (Kirschten 2014, S. 102).

Festzuhalten ist, dass die Familienstrukturen heute anders aussehen und sich die Erwerbs- strukturen geandert haben. Bezuglich der Familienstrukturen und der innerfamiliaren Ar- beitsteilung ist zu wiederholen, dass Frauen noch den GroBteil familiarer Aufgaben uber- nehmen (BILD der FRAU 2015, S. 13). Zudem sind die Erwerbstatigenzahlen von Frauen gestiegen. 2016 waren in Deutschland 41,3 Millionen Menschen erwerbstatig, von denen 22,1 Millionen Manner und 19,2 Millionen Frauen waren. In den letzten Jahren hat sich die Gesamtzahl der erwerbstatigen Menschen deutlich erhoht, wobei ein GroBteil dieser Stei- gerung auf die Erhohung des Frauenanteils an den Erwerbstatigen zuruckzufuhren ist, denn die Anzahl der weiblichen Bevolkerung, die entweder arbeiteten Oder eine Stelle suchten, stieg von 2006 bis 2016 urn knapp eine Million. In der Gesamtheit bedeutet dies, dass 2006 nur 68,4 Prozent der Frauen erwerbstatig Oder arbeitsuchend waren, wahrend es im Jahr 2016 bereits 72,4 Prozentwaren. Bei den Mannern blieb die Erwerbstatigenquote bei 81,7 Prozent. Insgesamt aber bleibt derAbstand zwischen der Anzahl der erwerbtatigen Manner und Frauen immer noch hoch (Bundesagentur fur Arbeit 2018, S.5). Ebenfalls hoch bleibt die Anzahl der Frauen, die in Teilzeit Oder als ausschlieBlich geringfugig Beschaftigte ar- beiten, denn diese liegt bei fast der Halfte der erwerbstatigen Frauen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6: Sozialversicherungspflichtig Beschaftigte in Voll- und Teilzeit, Juni 2007 und 2017 (Bunde- sagentur furArbeit 2018, S. 9)

Die vermehrte Teilzeitarbeit von Frauen fuhrt fur die Wirtschaft zu einem groBen Verlust von Erwerbspotenzial. Laut dem Statistischem Jahrbuch leben in Deutschland 2,4 Millionen unterbeschaftigte Personen (Statistisches Bundesamt 2018b, S. 13). Ein GroBteil entfallt dabei auf Frauen die in Teilzeit arbeiten (Bundesagentur furArbeit 2018, S. 9).

Das ungenutzte Arbeitskraftepotenzial wird in Deutschland fur beide Geschlechter insge­samt auf5,1 Millionen Personen geschatzt(Statistisches Bundesamt2018b, S. 13).

Die Arbeitszeitverlaufe der Geschlechter sollen anhand folgender Grafik dargestellt werden:

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Abb. 7; Arbeitszeitverlaufe von Frauen und Mannern in Deutschland (alle Erwerbstatigen), Stand: 2010 (Koenig et al. 2015, S. 2)

Die Verteilung des Anteils der erwerbstatigen Frauen uber die verschiedenen Lebensalter zeigt ferner, dass es offensichtlich Korrelationen zwischen dem erhohten Aufkommen von Familienpflichten und einer Verringerung der Arbeitszeit Oder dem temporaren Ausstieg aus dem Arbeitsleben gibt (Bundesagentur fur Arbeit 2018, S.9). Mutter befinden sich in einer „Familienfalle“, da der Haushalt haufig noch Frauensache ist (VoBkuhler 2017). In Schwe- den sieht die dargestellte Arbeitszeitenkurve anders aus. Schweden gilt als Beispiel fur ge- lungene Gleichberechtigung und Familienforderung. In Schweden arbeiten Manner und Frauen in den Lebensphasen annahernd gleiche Stunden (Koenig et al. 2015, S. 2). Die Arbeitsteilung zwischen Mannern sowie die Ausgestaltung der Arbeitswelt scheinen besser zu funktionieren. In Deutschland arbeiten Mutter mit Kindern deutlich weniger, wahrend Manner ihre Stunden beibehalten. Mutter in Deutschland haben es zudem schwer, in eine Vollzeitbeschaftigung zuruckzukehren, auch wenn die Kinder das Haus verlassen haben.

Die „Unterbeschaftigung“ und der berufliche Ausstieg ist von Frauen jedoch nicht gewollt (Fratzscher 2018). Unterbeschaftigung hei&t nicht, dass Frauen nichts zu tun haben. Sie kummern sich dafur mehr urn die Kinder. Haufig begrenzen die innerfamiliare Arbeitsteilung und Settings, wie Arbeitszeiten Oder Kinderbetreuungsangebote, die Erwerbstatigkeit. Wenn Arbeitnehmerinnen in den Unternehmen keine Konzepte vorfinden, die es ihnen er- moglichen, alien Verpflichtungen gerecht zu werden, kann dies entweder dazu fuhren, dass sie ihren Beruf aufgeben, um sich nur noch um ihre Familie zu kummern, Oder aber dazu, dass dergesamte Bereich der informellen Pflege und Betreuung nicht mehr erledigt werden kann, sondern professionellen Dienstleistern uberlassen werden muss. Dies wurde die Un- ternehmen vor groBe Herausforderungen stellen, da sie qualifizierte und erfahrene Mitar- beiter verlieren, Oder aber den Staat, der den zusatzlichen Pflegebedarf uber die Pflege- versicherung abdecken muss (Ruling und Kassner2007, S. 10). Die hohere Erwerbstatig- keit und Doppelbelastung von Frauen macht insbesondere arbeitgeberseitige, familien- freundliche Personalpolitiken notwendig. Ferner ist „ein Ende der Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt, im Steuersystem, in der Familien- und der Bildungspolitik" Vo- raussetzung fur eine familienfreundlichere Arbeitswelt (Fratzscher 2018, S. 2).

Am Arbeitsmarkt fallt bezuglich des weiblichen Geschlechtes zudem Folgendes auf: Frauen werden nicht immer qualifikationsgerecht eingesetzt und nehmen eine deutlich schlechtere Bezahlung als Manner in Kauf. Frauen haben heute gute Bildungsabschlusse und Karrie- reorientierung (Spiegl 2017, S. 2). Frauen stehen heute Mannern hinsichtlich Bildungsni- veaus und Qualifikationen in nichts mehr nach. Dennoch sind Frauen seltener in Fuhrungs- positionen vorzufinden, was nicht nur durch die vermehrte Teilzeittatigkeit von Frauen zu begrunden ist (Kmenta und Linhart 2016, S. 53). Gerade in mittlerem Alter ist der Anteil an weiblichen Fuhrungskraften gering und einige Frauen ziehen sich aufgrund eines zu gering empfundenen „Return on Investment" aus bestehenden Verantwortungen zuruck (Rump und Eilers 2014,121). Frauen werden oftmals immer noch „unterhalb ihrer Qualifikation und ihres Konnens eingesetzt." (Breiten 2006, S. 21) Dies fuhrt in Zeiten der Fachkraftelucke zu einer Verschwendung von Humanpotenzial. Einerseits wird Geld in die Ausbildung von Frauen investiert, andererseits werden die Qualifikationen von Frauen nicht vollends aus- genutzt. Zusatzlich existiert in Deutschland ein Einkommensunterschied zwischen Mannern und Frauen, der Arbeit fur Frauen tendenziell unattraktiver macht. Die sogenannte „gender pay gap" liegt in Deutschland uber dem EU-Durchschnitt bei 21,5% (European Commission 2018, S. 1). Frauen haben fur die gleiche Arbeit deutlich geringere Stundenlohne (Koenig et al. 2015, S. 3). Gerade wenn man zusatzlich viele unbezahlte Erziehungs- und Pflegear- beiten, die Frauen leisten, wahrnimmt, liegt bei Frauen „Lohndiskriminierung“ vor (Koenig et al. 2015, S. 3). Jedoch sind Frauen anspruchsvolle und zahlungskraftige Zielgruppen fur die Wirtschaft (Silverstein und Sayre 2010, S. 109). Der Haushalt, Ernahrung, Fitness, Schonheit und Kleidung sind Bereiche, in denen Frauen mehr Geld ausgeben als ihr Ge- schlechterpendant (Silverstein und Sayre 2010, S. 109). Frauen haben eine enorme Kon- sumstarke, da 80% der Frauen die Haushaltseinkaufe erledigen (Rump und Eilers 2014, 126). Wirtschaftlich gesehen wurde ein hoheres Fraueneinkommen die Kaufkraft starken.

Neben diesen wirtschaftlichen Interessen bieten Frauen fur die Arbeitswelt weiterreichende Qualitaten. Die Sicherstellung einer ausreichenden Zahl an Frauen und Mannern zu anna- hernd gleichen Teilen fuhrt zu einer besseren Unternehmenskultur (Deller et al. 2008, S. 261). Durch den „Mix“ von weiblichen und mannlichen Beschaftigten entsteht Diversitat (Rump und Eilers 2014, 127). Diese betriebliche Diversitat spiegelt sich in den unterschied- lichen Fuhrungsstilen wider. Daneben kann durch mannliche und weibliche Fuhrungsper- sonen besser auf die Kundschaft eingegangen werden. Frauen konnen mit Emotionen (in derTendenz) besser umgehen als Manner (Breiten 2006, S. 20). Wahrend Manner (in der Tendenz) eher analytisch vorgehen, zeigen Frauen mehr Verstandnis fur unterschiedlichste Anspruchsgruppen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Innovationspotenzial bei ge- schlechtergemischten Teams deutlich hoher ist (Rump und Eilers 2014, 127).

2.3.2 Anstieg der Personalkosten

Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel beeinflusst auch die Personalkosten. Per­sonalkosten konnen den Unternehmenserfolg schmalern. Gesundes und vorhandenes Hu- mankapital stellt die Grundlage fur erfolgreiches Wirtschaften dar (Deller et al. 2008, S. 42).

Ein grower Kostenfaktor sind ausgefallene Arbeitstage aufgrund von familiaren Aufgaben sowie Krankheiten. Letztgenanntes, die Ausfallkosten aufgrund von Krankheit, stellen einen immer groBeren Faktor dar. In der Gruppe der erwerbstatigen Frauen und Manner (15- bis 65-Jahrige) verursachen vor allem Krankheiten des Verdauungssystems hohe Kosten. Krankheiten des Verdauungssystems verursachen jahrliche Kosten in Hohe von 25,5 Milli- arden Euro. An zweiter Stelle stehen Kosten durch psychische Storungen (20,3 Mrd. Euro) und Krankheitskosten durch Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems in Hohe von 17 Mrd. Euro (Badura et al. 2018, S. 560). Die gesamten Arbeitsunfahigkeitskosten, die sich durch den Ausfall der Bruttowertschopfung ergeben, konnen auf insgesamt 133 Mrd. Euro geschatzt werden (Bundesanstaltfur Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) 2018, S. 1).

Fur die Kosten durch familiar bedingte Ausfallzeiten gibt es noch keine genauen Statistiken. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Unvereinbarkeiten von Privatleben und Beruf die Produktivitat verringern und zu erhohter Fluktuation fuhren (Juncke 2005, S. 42). Auch ist denkbar, dass sich Probleme in der Vereinbarkeit auf die Krankheitskosten auswirken (Con- tinentale Krankenversicherung 2013, S. 5). Ceteris paribus steigen dadurch die gesamten Personalkosten. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren die Kosten fur Rekrutierung, Ein- arbeitung und Personalentwicklung gestiegen sind (PreiBing 2010, S. 86). Der demografi- sche Wandel wird fur Unternehmen immer spurbarer. Studien gehen davon aus, dass die Personalkosten aufgrund der demografischen Entwicklung in den nachsten funf Jahren zu einer Halbierung des Unternehmensgewinns fuhren (Holz und Da-Cruz 2007, S. 61).

Dies zeigt, dass Personal ein limitierender Faktor fur Wachstum sein kann. Verlassen Mit- arbeiter das Unternehmen dauerhaft aufgrund von familiaren Aufgaben, so tragt dies nicht gerade zur Senkung der Personalkosten bei. Eine familienfreundliche Personalpolitik ist hingegen langfristig in der Lage, die Personalkosten durch verringerte Rekrutierungsbemu- hungen und geringere Fluktuation zu verringern (Juncke 2005, S. 5). Die Fehlzeitquoten gehen zuruck, die Mitarbeitermotivation und die Arbeitsqualitat steigen (Bischof-Jaggi 2005, S. 4). Familienfreundlichkeit ist eine Win-Win-Situation. Verschiedene Studien legen dar, dass sich Familienfreundlichkeit auszahlt. In einer Modellrechnung konnen die Fluktua- tions- und Wiederbeschaffungskosten urn 31% und die Wiedereingliederungskosten urn 33% gesenkt werden (Juncke 2005, S. 42). Die Gesamteinsparung, die sich bei gelungener Vereinbarkeit von Beruf und Familie ergibt, kann urn 55% gesenkt werden. (Juncke 2005, S. 43). In einer anderen Studie der Unternehmensberatung Roland Berger wurde unter an- derem eine „Produktivitatssteigerung pro Erwerbstatigenstunde urn mehr als 1,5 Prozent", errechnet. (Kotter et al. 2014, S. 7). In Deutschland arbeitet jeder Beschaftigte im Schnitt 1.393 Stunden jahrlich (Bundesanstalt fur Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) 2018, S. 1). Jahrlich konnen durch Vereinbarkeit folglich 21 Arbeitsstunden gewonnen werden.

2.3.3 Wandel der Personalpolitik

Die Unternehmenswelt hat zu groBen Teilen erkannt, dass sich Unternehmen fur erfolgrei- che Mitarbeiterbindung und -rekrutierung heute mehr an den lebensphasenspezifischen Bedurfnissen ihrer Mitarbeiter orientieren mussen (Frodermann et al. 2018, S. 6). Der Fach- kraftemangel bei gleichzeitiger Unvereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Pflege ist ein strukturelles Problem, welches im konjunkturellen Aufschwung zunimmt (Freitag 2012, S. 1). Unternehmen haben erkannt, dass die Berucksichtigung familiarer Bedurfnisse und fa- miliare Unterstutzungsangebote in Zeiten des Fachkraftemangels wichtiger denn je sind (Spiegl 2017; Schroeter 2008, S. 34). „Die vergleichsweise geringe Erwerbstatigkeit von Frauen ist auch wirtschaftlich das groBte ungehobene Potenzial unserer Gesellschaft." (Fratzscher 2018, S. 2) Die Betriebe richten ihre Personalarbeit zunehmend auf die Imple- mentierung von familienfreundlichen Gesichtspunkten aus, urn Erwerbstatigenpotenzial zu (er)halten (Rump et al. 2014, S. 26). Eine Befragung von 500 Unternehmen im Kreis der IHK Schwaben ergab, dass fast zwei Drittel der Unternehmen die Familienfreundlichkeit als „ausschlaggebend“ fur die Sicherung ihrer Fachkraftebasis ansehen (Pauli 2014, S. 7).

Dass eine Nachfrage nach familienfreundlicher Personalpolitik besteht, lasst sich auch an dem umfangreichen Angebot entsprechender Zertifizierungen familienfreundlicher Arran­gements erkennen. Diese Zertifizierungen bescheinigen den Arbeitgebern verschiedene fa- milien- und lebensphasenspezifische MaBnahmen und dienen als wichtiger Imagefaktor. Wesentliche Zertifizierungen sind in Deutschland das Qualitatssiegel ..Familienfreundlicher Arbeitgeber" der Bertelsmann Stiftung, das Audit berufundfamilie® der Hertie-Stiftung, das Famany-Siegel sowie auch die GreatPlaceToWork®-Auszeichnung (Beste-Fopma2018, S. 98). Der deutschlandweit durchgefuhrte Familienmonitor bestatigt zusatzlich die gestiegene Bedeutung der Familienfreundlichkeit. Sowohl bei den Beschaftigten als auch den Betrie- ben hat sich die Bedeutung der Familienfreundlichkeit in den letzten neun Jahren verdop- pelt (Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2016a, S. 11).

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Abb. 8: Bedeutung des Themas Familienfreundlichkeit, prozentuale Werte, Unternehmensmonitor (Bundesministerium furFamilie, Senioren, Frauen undJugend2016a, S. 11)

Der Unternehmensmonitor aus dem Jahr 2016 zeigt, dass bereits 77 Prozent der Unter­nehmen Familienfreundlichkeit fur wichtig Oder eherwichtig halten. Auf die Frage, furwel- che ihrer Beschaftigten sie dieses Thema fur besonders wichtig halten, nannten die Unter­nehmen erwartungsgemaB Mitarbeiter mit Kindern und pflegebedurftigen Angehorigen. Auch die Mitglieder dieser beiden Gruppen zeigen ein hohes Interesse an dem Thema. Damit stimmen die Einschatzungen der Unternehmen und der Beschaftigten im Wesentli- chen uberein (Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2016a, S. 11).

Bei der Gruppe der Beschaftigten ohne Kinder und ohne pflegebedurftige Angehorige aber zeigen sich groBe Unterschiede. Wahrend nur knapp 43 Prozent der Unternehmen anneh- men, dass das Thema auch fur diese Beschaftigtengruppe interessant ist, geben 81 % der Beschaftigten an, dass es fur sie wichtig Oder eher wichtig ist (Bundesministerium fur Fa­milie, Senioren, Frauen und Jugend 2016a, S.11). Ahnlich verhalt es sich bezuglich der Beschaftigten ohne Kinder und Pflegebedurftige. Viele Betriebe unterschatzen also die Be­deutung der Familienorientierung. Betriebe sehen sich selten in der Pflicht eine familienori- entierte Personalpolitik fur alle Beschaftigten anzubieten. Es ist davon auszugehen, dass viele Betriebe (noch) keine umfassende Systematik in der Familienfreundlichkeit aufweisen.

Der generelle, jedoch ausweitungsfahige Wandel hin zu mehr Vereinbarkeit von Beruf und Familie leitet sich auch am aktuellen Umsetzungsstand familienfreundlicher Unternehmens- bedingungen ab (Bertram et al. 2018, S. 221). Es zeigen sich deutliche Unterschiede in der Bewertung der Unternehmen selbst und der Arbeitnehmer, denn die Unternehmen schat- zen sich sowohl allgemein als auch in Bezug auf einzelne Aspekte als wesentlich familien- freundlicher ein als ihre Mitarbeiter. So halten 44 Prozent der Unternehmen ihre Unterneh- menskultur fur sehr familienfreundlich, aber nur 24 Prozent der Mitarbeiter teilen diese Ein- schatzung. Auch andersherum zeigt sich diese Diskrepanz, denn 32 Prozent der Mitarbeiter halten die Unternehmenskultur ihres Arbeitgebers fur nicht Oder weniger familienfreundlich, wahrend nur 16 Prozent der Arbeitnehmer dieser Ansicht sind. AuBerdem empfinden die Beschaftigten die Berucksichtigung ihrer personlichen Lebenssituation durch das Unterneh­men deutlich anders als die Unternehmen, denn nur 19 Prozent der Mitarbeiter sehen ihre individuelle Lebenssituation berucksichtigt, wahrend immerhin 58 Prozent der Unterneh­men der Uberzeugung sind, sich genau an der Lebenssituation ihrer Mitarbeiter zu orien- tieren (Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2016a, S.11). In an- deren Studien wird ein ahnlicher Verbesserungsbedarf konstatiert, auch wenn in alien Bran- chen eigentlich der Wille zu mehr Familienfreundlichkeit vorhanden ist. In einer bundeswei- ten und branchenubergreifenden Befragung gaben 44% von 609 Arbeitnehmern an, eine geringe bis gar keine betriebliche Unterstutzung bei der Vereinbarkeit von Privat- und Be- rufsleben zu erhalten (Continentale Krankenversicherung 2013, S. 8).

Gleichzeitig scheint es ein Informationsdefizit aufseiten der Arbeitnehmer Oder ein Kommu- nikationsdefizit aufseiten der Unternehmen zu geben, denn die Unternehmen bieten durch- schnittlich deutlich mehr MaBnahmen zur Vereinbarung von Beruf und Familie an, als von den Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden (Bundesministerium fur Familie, Seni­oren, Frauen und Jugend 2016a, S.11).

AbschlieBend soil Folgendes angemerktwerden. Auch wenn Arbeitnehmer mehr Familien­freundlichkeit erwarten, wollen nicht alle Branchen eine familienorientierte Personalpolitik einfuhren. Manche Arbeitgeber weigern sich, die an sie gestellten neuen Anforderungen zu akzeptieren. Einige Branchen furchten eine Uberregulierung und fassen das Thema Ver­einbarkeit von Familie, Pflege und Beruf daher gar nicht erst an. Diese Einstellung zeigt sich durch eine Stellungnahme des Bundes der deutschen Arbeitgeber. Der BDA sieht Ar- beitszeitverkurzungen infolge einer Pflegezeit, das hei&tTeilzeitregelungen, als „Belastung fur Beschaftigung und Arbeitsplatze" (Bund der Arbeitgeber 2014, S. 1). Der BDA fuhrt vor allem Schwierigkeiten in der Personalplanung als Gegenargument fur familienfreundliche Arrangements an. Diese Denkweise ist jedoch zu kurzgefasst. Obwohl sich der Personal- ausfall durch familienfreundliche Teilzeitregulierungen kurzfristig erhoht, halt man einen Mitarbeiter deutlich langer und uber der ublichen Unternehmenszugehorigkeit von durch- schnittlich funf Jahren ergeben sich wirtschaftliche Vorteile (Pauli 2014, S. 5). Gerade an- gesichts des heutigen Fachkraftemangels, der keine Branche verschont, erscheint eine fa­milienorientierte Personalpolitik wichtiger denn je (Freitag 2012).

2.4 Gesetzliche Rahmenbedingungen

Der Gesetzgeber unterstutzt die gesellschaftlichen Veranderungen mit mehr Spielraum in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (BZgA 2017). So wurden in den letzten funf Jahren wesentliche Erleichterungen in der Elternzeitregelung bei Vatern Oder bei der Pflegezeit eingeraumt. Laut dem aktuellen Koalitionsvertrag steht zudem die Forderung der Familien und Kinder im Mittelpunkt der politischen Bemuhungen. Neben mehr Transparenz sollen die Leistungen fur Familien erhoht und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie starker ge- fordert werden (Bundesregierung 2018, S. 19). Im Grundgesetz finden sich funf zentrale Bestimmungen, die sich mit der Familie beschaftigen Oder die fur die Familie von Bedeu- tung sind. Vierdavon befinden sich in Art. 6 GG, einerdavon in Art. 3 (Deutscher Bundestag 24.05.1949). Art. 3 Abs. 1 beginnt mit der Festschreibung der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Diese wird mittlerweile als Grundlagefuralle weiteren Lebensbereiche, also auch fur Ehe und Familie, betrachtet. Laut Grundgesetz Artikel 6 stehen die Familie, Pflege und Erziehung zudem unter einem besonderen staatlichen Schutz. AuBerdem gilt das Sozial- staatsgebot, das soziale Gerechtigkeit fordert und Ungleichgewichte ausgleichen soil. Der Gesetzgeber hat in seiner Sozial- und Familienpolitik erkannt, wie wichtig die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf fur die Zukunft des Wirtschaftsstandortes ist (Backer et al. 2010, S. 64). Wenn keine Regularien seitens des Staates existieren, wird es unmoglich, der Erwerbsarbeit und dem Privaten voll und ganz gerecht zu werden. Als negatives Beispiel sollen fehlende Anreize fur Kinderbetreuungsplatze genannt werden. Mangelnde Betreu- ungsangebote haben den Effekt, dass die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf erschwert wird. Die Geburtenraten konnten sinken, weil sich weniger Frauen fur Kinder, sondern die Karriere entscheiden. Wie deutlich wird, sind der staatliche Einfluss und die Familienpolitik entscheidend fur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Einige gesetzliche Regelungen, welche eine familien- und pflegefreundliche Arbeits- und Lebenswelt begunstigen, wurden bereits auf den Weg gebracht. Eine Auswahl der Instrumente wird im Folgenden erlautert.

2.4.1 Leistungen fur Pflegebedurftige und deren Angehorige

Zu den gesetzlichen Regelungen, die Pflegebedurftige und deren Angehorige mit Leistun­gen unterstutzen, zahlt auch das Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI). Grundsatzlich ha­ben Pflegebedurftige sowohl im stationaren Pflegeeinrichtungssetting als auch ambulant die Moglichkeit eine Reihe von Leistungen in Anspruch zu nehmen (Deutscher Bundestag 26.04.1994, §14 SGB XI). Der Leistungserteilung gehen ein Begutachtungsprozess und die Zuweisung des Pflegegrads voraus. Nachfolgend wird der Schwerpunkt auf Leistungen fur Pflegebedurfte gelegt, die ambulant, d. h. in ihrer hauslichen Umgebung, gepflegt werden.

Wenn nach der medizinischen Begutachtung eines Menschen Pflegebedurftigkeit festge- stellt wird, kann der Pflegebedurftige, der zu Hause gepflegt wird, eine Reihe von Sach-, Geld- Oder Kombinationsleistungen in Anspruch nehmen. Die Leistungen dienen grundle- gender Pflege und Betreuung. Sie dienen auch dem pflegenden Angehorigen, damit dieser nicht in finanzielle Schwierigkeiten gerat, weil er seine Arbeitszeit fur die Angehorigenpflege reduziert. Die Leistungen werden fur eine bessere Ubersicht in folgende Bereiche unterteilt: finanzielle Unterstutzung, Pflegesachleistungen, soziale Absicherung der Pflegeperson, Ur- laubs- und Krankheitsvertretung, Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sowie Beratung.

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Abb. 9; Unterstútzunqsmõqtichkeiten bei hãuslicher Pfíeqe durch Anqehóriqe (eiqene Darstellunq)

Víele der gezeigten Unterstützungsmöglichkeiten korrelieren untereinander und dienen letztendlich aile der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Am haufigsten sichert der Staat pflegenden Angehörigen und Pflegebedürftigen finanzielle Leistungen zu. Je nach Pflege-bedürftigkeit und Pflegesituation werden verschiedene Leistungen gewahrt. Voraussetzung ist die Begutachtung durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK).

In diesem Theoriekapitel soil auf spezielle Regelungen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, insbesondere die Regelungen des Pflegezeitgesetzes (PflegeZG), kompakt einge- gangen werden. Da weiterfuhrende gesetzliche Regelungen, wie bspw. das Pflegegeld, die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf beeinflussen, sollen diese ebenfalls erlautert werden. Dieses Kapitel wurde aber auf das Wesentliche zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf beschrankt. Die weiterfuhrenden gesetzlich normierten Leistungen (bspw. das Pflegegeld, Sachleistungen Oder Beratung) werden ubersichtlich im Anhang 9, auf Seite 121 erlautert.

Laut dem Pflegezeitgesetz (PflegeZG) konnen Arbeitnehmer, die kurzfristig vor der Aufgabe stehen, die Pflege eines nahen Angehorigen organisieren zu mussen, dazu zunachst eine Befreiung von der Arbeit fur einen Zeitraum von bis zu zehn Arbeitstagen in Anspruch neh- men (Deutscher Bundestag 01.07.2008, §2 Abs. 1 PflegeZG). Als nahe Angehorige gelten nach §7 Abs. 3 PflegeZG: GroBeltern, Eltern, Schwiegereltern, Stiefeltern, Lebenspartner, lebenspartnerahnliche Gemeinschaften, Geschwister, Kinder, Schwiegerkinder sowie En- kelkinder. Die Rechte auf Pflegezeit gelten nur fur diese Personengruppen.

Um den Anspruch durchzusetzen steht der Arbeitnehmer in der Pflicht die Arbeitsverhinde- rung unverzuglich dem Arbeitgeber anzuzeigen. Durch die kurzfristige Arbeitsverhinderung kann die grundlegende Versorgung des Pflegebedurftigen sichergestellt werden. Pflegende Angehorige konnen kurzfristig eine sachgerechte Anschlussversorgung, bspw. anhand der Kurzzeitpflege sicherstellen. Haufig ist kurzzeitige Arbeitsverhinderung nach dem PflegeZG notwendig, wenn der Pflegebedurftige nach einem langeren Krankenhausaufenthalt ins hausliche Wohnumfeld zuruckkehrt (Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2018d, S. 10). Wenn der pflegende Angehorige im Unternehmen keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung hat, kann erferner nach dem PflegeZG auch ein Pflegeunterstutzungs- geld bei der Pflegekasse beantragen und so einen eventuellen Verdienstausfall ausglei- chen (Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2018d, S. 7). Diese finanzielle Unterstutzung giltjedoch nur bis maximal zehn Tage.

Neben der Freistellung fur eine akute Pflege(not)situation gibt es weitlaufigere Freistel- lungsregelungen, die uber die zehn tagige Befreiung hinausgehen. Beschaftigte, die sich entscheiden, einen Angehorigen langerfristig zu Hause zu betreuen, haben mittlerweile ei­nen Rechtsanspruch auf eine sogenannte Pflegezeit. Diese Pflegezeit meint eine langere pflegebedingte Arbeitsverhinderung und ist mit unbezahltem Sonderurlaub vergleichbar. Mit der Pflegezeit haben pflegende Angehorige nach §4 PflegeZG das Recht auf eine teil- weise Oder vollstandige Freistellung von der Arbeit, die bis zu sechs Monate dauern kann. Der Anspruch auf Pflegezeit besteht nur bei Arbeitgebern mit mehr als 15 Beschaftigten (Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2018d, S. 5).

Neben der Pflegezeit existiert auch die Familienpflegezeit. Die Familienzeit beinhaltet ebenso den Anspruch auf Arbeitszeitreduzierung, jedoch fur einen langeren Zeitraum als bei der Pflegezeit. In der Familienpflegezeit konnen erwerbstatige pflegende Angehorige die Arbeitszeit fur max. 24 Monate auf bis zu 15 Wochenstunden reduzieren (Deutscher Bundestag 01.01.2012, §2 FPfZG). Grundsatzlich gelten die Freistellungsregelungen des Familienpflegegesetzes nurdann, wenn ein naher Angehorigerzu Hause gepflegt wird. Bei Kindern Oder in der letzten Lebensphase eines nahen Angehorigen gilt diese Vorausset- zung nicht, sondern hier ist die Freistellung auch bei einer auBerhauslichen Pflegesituation moglich (Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2018d, S:17-18). Das Familienpflegegesetz schlieBt auch Eltern ein, die minderjahrige Kinder pflegen.

Fur die Dauerder Pflege- und Familienpflegezeit wird, sofern nicht im Arbeitsvertrag anders vereinbart, keine Entgeltfortzahlung geboten. Arbeitnehmer sind zudem laut §2 PflegeZG auch wahrend der Pflegezeit nur nach Antragstellung in den meisten Fallen sozialversiche- rungspflichtig. Urn die durch die Pflegezeit Oder Familienpflegezeit ausfallenden Lohne zu kompensieren, wurde die Moglichkeit eines zinslosen Darlehens eingeraumt. Die Hohe des Darlehens richtet sich nach dem Einkommensverlust, der sich aus der Pflegezeit ergibt. Das zinslose Darlehen deckt 50% der fehlenden Nettoeinkunfte ab. Weitere finanzielle Zu- schusse, wie das maximal 10-tagige Pflegeunterstutzungsgeld Oder die Moglichkeit zur Ent- geltaufstockung sind zudem moglich (Deutscher Bundestag 26.04.1994, §44a SGBXI).

Zu erwahnen ist, dass Arbeitnehmer wahrend der Pflege- und Familienpflegezeit einen er- weiterten (Sonder-) Kundigungsschutz genie&en (Deutscher Bundestag 01.07.2008, §5 PflegeZG, 01.01.2012, §2 Abs. 3 FPfZG). Der Arbeitgeber darf ein Arbeitsverhaltnis nach Ankundigung der Pflege-/Familienpflegezeit fruhestens nach zwolf Wochen kundigen.

Insgesamt unterstutzen die genannten Regelungen Arbeitnehmer sehr und fordern die Ver- einbarkeit verschiedenster Aufgabenfelder. Gerade das Aufgabenpaket „Pflege eines An- gehorigen" ist fur Erwerbstatige sehr umfangreich und belastend (Buker 2015, S. 14). Die informelle Pflege fuhrt neben einer emotionalen, sozialen, finanziellen und gesundheitlichen Belastung haufig auch zu hohen zeitlichen Belastungen (Buker 2015, S. 15; Spiegl 2017, S. 14). Die Freistellungsregelungen sind auBerst wertvoll, da sich 60% aller Arbeitnehmer eine Auszeit wunschen, urn privater Verantwortung nachzukommen (Mumm und Jahnichen 2018, S. 4). Im Kontext des WLB-Modells nach Kastner (2004) fordern die gesetzlichen Leistungen fur Pflegende insbesondere die Regeneration von Ressourcenpuffern (Kastner 2004, S. 3). Durch die gesetzlichen Freistellungsmoglichkeiten haben Pflegende die Option, mit Belastungsspitzen angemessen umzugehen (Collatz und Gudat2011, S. 31).

2.4.2 Leistungen fur Mutter und Vater

Die Regelungen aus dem Pflegezeitgesetz (PflegeZG) und dem Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) gelten auch fur Mutter und Vater. Wenn bspw. Kinder im Krankenhaus gepflegt werden mussen, konnen Eltern nach den FPfZG-Regelungen Freistellungen in Anspruch nehmen, die denen der hauslichen Pflege eines nahen Angehorigen entsprechen (Bundes- ministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2018d, S.18). Es ist jedoch spezieller auf die gesetzliche Absicherung von Muttern und Vatern einzugehen. Die folgende Abbil- dung soil einen Uberblick uber die zentralen Schutzrechte und Leistungen fur Eltern geben:

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Abb. 10: Unterstutzungsmoglichkeiten und Schutzrechte fur Mutter und Vater (eigene Darstellung)

Die Schutzrechte und Leistungen durfen nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Auch in diesem Theorieteil werden jedoch nur die wichtigsten Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorgestellt. Weitere, insbesondere finanzielle Unterstutzungsleistun- gen sind in den Anhang 10, S. 130, ausgelagert. Es istzu erwahnen, dass der Gesetzgeber Mutter und ihre Kinder unter besonderem Schutz stellt (Deutscher Bundestag 24.01.1952, §3 MuSchG). So existiert vor und nach der Geburt ein Tatigkeitsverbot. Fur Mutter existiert wahrend dieser Zeit ferner ein besonderer Kundigungsschutz. Finanziell abgesichert sind Mutter wahrend dieser Zeit durch das sogenannte Mutterschaftsgeld. Zudem existiert noch das sogenannte Kindergeld und Eltern konnen Elterngeld, bzw. ElterngeldPlus beantragen (Anhang 10, S. 131). Das Elterngeld unterstutzt Eltern, die ihr Neugeborenes zu Hause betreuen wollen (Deutscher Bundestag 01.01.2007, §4 BEEG). Neben finanzieller Unter- stutzung, Schutzrechten fur Kinder und Mutter, sind Eltern sozial abgesichert. Kindererzie- hungszeiten werden auf die Rente angerechnet (Deutscher Bundestag 01.01.1992, §56 SGB VI). Ferner gibt es ein Recht auf Beratungsleistungen, die nach §8a SGB VIII (junge) Eltern vor Uberforderung schutzen sollen. Auch wenn diese Rechte fur die Vereinbarkeit relevant sind, sollen spezielle Punkte Vereinbarkeit von Familie und Beruf erwahnt werden.

Der deutsche Staat hat das Recht auf Anpassung der Arbeit an die Lebensumstande nor- miert. Bereits im Burgerlichen Gesetzbuch ist ein Anspruch auf Arbeitszeitanderung er­wahnt (Deutscher Bundestag 01.01.1900, §315, §315 BGB). Auch das Arbeitsschutzgesetz bezieht eine Anpassung der Arbeitszeiten an die Lebensphasen in Form der „menschen- gerechten" Gestaltung der Arbeit mit ein (Deutscher Bundestag 21.08.1996, §3 ArbSchG). Laut dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (§8 TzBfG) besteht ein Anspruch auf Verkurzung der Arbeitszeit, soweitkeine betrieblichen Grunde entgegenstehen. Die Flexibilisierung wird vom Gesetzgeber unterstutzt. Den Rahmen fur die Gestaltung flexibler, familienfreundlicher Arbeitszeiten stellt in Deutschland im Detail das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) dar.

Die Vereinbarkeit von Familienverantwortung und beruflichen Tatigkeiten wird durch Frei- stellungen unterstutzt. Neben dem Pflegezeit- und dem Familienpflegezeitgesetz bestehen weitere Moglichkeiten. Bei Erkrankung eines Kindes konnen sich Angestellte jahrlich bis zu zehn Tage freistellen lassen und erhalten Kinderkrankengeld (Deutscher Bundestag 01.01.1989, §45 SGBV). Furdie Kindererziehunggibt es die Freistellung „Elternzeit“. Laut §15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) haben Arbeitnehmer einen An­spruch auf Elternzeit, wenn ihr Kind im Haushalt wohnt und sie das Kind selbst betreuen und erziehen. „Der Anspruch auf Elternzeit besteht bis zur Vollendung des dritten Lebens- jahres" (Deutscher Bundestag 01.01.2007, §15 Abs. 2 BEEG). Danach wird davon ausge- gangen, dass Eltern die Moglichkeit haben wieder in Vollzeit erwerbstatig zu sein. Die El­ternzeit ist eng mit dem Elterngeld verbunden, was die finanzielle Unterstutzung wahrend dieser Zeit sicherstellt. Ohne Elterngeld handelt es sich urn eine unbezahlte Freistellung von der Arbeit nach der Geburt des Kindes. Die Elternzeit betragt maximal 36 Monate und die Wochenarbeitszeit darf nicht mehr als 30 Stunden betragen. Die Elternzeit kann bis zwischen Mutter und Vater aufgeteilt werden. Seit dem Januar 2019 existiert zudem die Bruckenteilzeit, bei der kontrar zu anderen Teilzeiten kein Anlass genannt werden muss.

Rechtlich wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusatzlich durch den Anspruch auf Kinderbetreuung gestutzt. In Deutschland haben Kinder, die das erste Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Anspruch auf Forderung in einer Kindertagespflegeeinrichtung (Deutscher Bundestag 01.01.1991, §24 SGB VIII). Bis zum Schuleintritt besteht laut §24 Abs. 3 SGB VIII zudem derAnspruch, seine Kinder in einer Tageseinrichtung unterbringen zu konnen. Dieser Anspruch auf Tagesbetreuung soil in den nachsten Jahren weiter aus- gebaut werden, da es hier zu wenige Angebote gibt (Deutscher Bundestag 01.01.1991, §20 SGB VIII). Ein bedarfsgerechtes und zahlenma&ig ausreichendes Angebot an Ganztags- platzen ist vorgesehen. Der Anspruch auf ausreichende Kinderbetreuung bietet vor allem Eltern, die in Vollzeit arbeiten einen groBen Mehrwert. Die Kinderbetreuungskosten sind zusatzlich steuerlich begunstigt (Deutscher Bundestag 01.01.1991, §33c SGB VIII).

Erganzend ist zu erwahnen, dass fur Beamte weitere, den abhangig Beschaftigten ahnliche Regelungen bestehen. Neben den grundlegenden gesetzlichen Regelungen konnen fur den Beschaftigten, sofern vorhanden, Tarifvertrage und Dienstvereinbarungen relevant sein. Durch sie konnen unternehmensspezifisch zusatzlich Freistellungen zur Kinder- und Angehorigenbetreuung sowie Arbeitszeitflexibilisierung normiert sein (DGB et al. 2011, S. 1). Auch sind bspw. arbeitgeberseitige Zuschusse fur Eltern und deren Kinder denkbar. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die genannten Regelungen vorwiegend fur abhangige Beschaftigte, die gesetzlich versichert und nicht selbststandig sind, gelten. Der Betriebsrat hat sich im Unternehmen laut Betriebsverfassungsgesetz (§80 BetrVG) fur die Schaffung familienfreundlicher Regelungen, insbesondere flexibler Arbeitszeiten, zu engagieren. Be­schaftigte sollten sich bei Fragen zu innerbetrieblichen Vereinbarungen an ihn wenden.

Zusammenfassend ist auch in diesem Unterkapitel hervorzuheben, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen die Work-Life-Balance von Eltern beeinflussen (Abendroth und den Dulk 2011, S. 234). Insgesamt verhalt sich der Effekt der gesetzlichen Regelungen fur El­tern ahnlich wie bei den Regelungen fur pflegende Angehorige. Die Freistellungsregelun- gen haben einen ahnlichen positiven Effekt auf die Work-Life-Balance von (werdenden) Eltern. Zudem unterstutzen die finanziellen Leistungen Eltern bei ihrem Erziehungsauftrag und bieten bedingten Schutz vor Armut. Gerade jungen Eltern fallt es schwer, ihre junge Familie mit dem Beruf zu vereinbaren (Gerlach und LaB 2012). Junge Familien erfahren zudem vermehrt eine immer starkere „okonomische Achterbahnfahrt" (Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005, S. 26). Da junge Menschen (Millennials) deutlich weniger Geld zur Verfugung haben als ihre vorherige Generation, sind finanzielle Unterstutzung und eine hohe Erwerbstatigkeit innerhalb junger Familien von Bedeutung (Grimm 2018). Viele junge Familien, die aktuell Miete zahlen, sparen ferner furs Eigenheim.

2.5 MaBnahmen zur Work-Life-Balance

Die Notwendigkeit und der Rahmen zur Familien- und Pflegefreundlichkeit ergeben sich durch Vorausgehendes. Bisher wurden Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie erlautert. Nachfolgend soil nun jedoch die praktische Forderung der Work-Life- Balance im Fokus stehen. Grundsatzlich kann die Vereinbarkeit der Lebensbereiche in ver- schiedenen Dimensionen gefordert werden. Ziel ist die gegenseitige Rucksichtnahme auf die Belange in den einzelnen Lebensbereichen. Private, soziale und berufliche Bedurfnisse und Bedingungen sollten durch personliche, betriebliche und politische Ma&nahmen unter- stutzt werden (Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005, S. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 11: Dimensionen, in denen Work-Life-Balance gefordert werden kann (eigene Darstellung)

Die einzelnen Ebenen werden als Mikro-, Meso- und Makroebene bezeichnet. Einerseits spielen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, darunter die vorher aufgezeigten ge- setzlichen und politischen Bedingungen, eine groBe Rolle bei der Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Exemplarisch ist hier die Gleichstellung und Forderung von Frauen als wesentliches Ziel europaischer Politik zu nennen (Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2018b). Zusatzlich ist der Wertekonsens der Bevolkerung ein wichtiger Ansatzpunkt und wichtig fur familienfreundliche Lebenswelten (Badura et al. 2016, S. 5).

Wahrend der Staat die Work-Life-Balance durch Gesetze fordert, sind die Eigenverantwor- tung und Achtsamkeit des Menschen selbst von Bedeutung. Gemeint ist hier der Beschaf- tigte selbst. Nurwenn er seine Lebensvision kennt und sich urn seine sozialen, gesundheit- lichen und beruflichen Bedurfnisse kummert, wird er die „Ausgewogenheit“ seiner Lebens­bereiche erreichen (Schnetzer2014, S. 6). Fernersind die innerfamiliare Arbeitsteilung, das Stressmanagement und das Gesundheitsverhalten bedeutsam (Faller2010, S. 235).

Den groBten Einfluss weisen die unternehmerischen Handlungsbereiche auf (Kelly et al. 2011, S. 265). Im „war of talents", dem Kampf urn die besten Mitarbeiter, gestalten Unter- nehmen den Arbeitsalltag hin zu mehr Flexibility und Entlastung. Mitarbeitende sollen bei der Vereinbarkeit von privaten und beruflichen Anforderungen unterstutzt werden, da dies fur die Wirtschaft, den Staat und die Beschaftigten Vorteile bringt (Abrell 2015b, S. 31).

Ziel vereinbarkeitsfordernder Ma&nahmen ist den Beschaftigten „in seiner Berufsbiografie mit einer gleichzeitigen Rucksichtnahme auf private und soziale Bedingungen zu unterstut- zen.“ (Bertram et al. 2018, S. 221). Die positiven Effekte sind hinreichend bekannt (Anhang 3, S. 111). Eine familienfreundliche Personalpolitik fuhrt zu mehr Mitarbeiterbindung, bes- serer Mitarbeitergewinnung sowie verringerten Ausfallkosten (Abrell 2015a, S. 34; Schetter 2014, S. 93). Die Beschaftigten fuhlen sich durch eine familienfreundliche Personalpolitik fairer in ihren Bedurfnissen beachtet (Bischof-Jaggi 2005). Dadurch, dass sich Mitarbei- tende besser mit dem Unternehmen identifizieren, sinkt der Krankenstand und die Motiva­tion steigt generationsubergreifend (Reis und Braga 2016, S. 103; Schetter 2014, S. 93). Die Mitarbeiter zeigen zusatzlich mehr Einsatzwillen und losen Probleme selbststandiger (Gallup Institut 2016, S. 25). Die verringerten Kosten ergeben sich neben der gesteigerten Produktivitat wahrend der Anwesenheit durch eine schnellere Ruckkehr nach der Elternzeit (Kreimer et al. 2018, S. 385). Es ist nicht verwunderlich, dass immer mehr Arbeitnehmer auf das Konzept der familienorientierten Personalpolitik setzen (Pauli 2014, S. 7; Bundes- ministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2016a, S. 11). Das Konzept „fami- lienfreundliche Personalpolitik" enthalt dabei eine Vielzahl an nicht-monetaren und „wei- chen“ Faktoren (Continentale Krankenversicherung 2013, S. 4). Die familienorientierte Oder auch pflegesensible Personalpolitik stellt die strategische, betriebliche Organisationssyste- matik, in welche VereinbarkeitsmaBnahmen eingebettet sind (Kirschten 2014, S. 171). Sie istzentraler Bestandteil der Unternehmensstrategie (Rinklake et al. 2012, S. 9). Es existiert nicht die eine familienorientierte Personalpolitik. Jeder Betrieb regelt das Thema fur sich in Arbeitsvertragen, Betriebsvereinbarungen, Tarifvertragen, Leitbildern Oder auch auf infor- mellen Wegen (Bund der Arbeitgeber 2014, S. 1). Vielmehr existiert ein riesiges Potpourri an verschiedenen VereinbarkeitsmaBnahmen, welche sich an den Lebensphasen der Mit- arbeitenden und branchenspezifischen Erfordernissen, wie der Schichtarbeit, orientieren.

Dennoch lasst sich fur die Forderung der Vereinbarkeit der Lebensbereiche eine Reihe von langfristigen als auch punktuellen MaBnahmen finden, die vonseiten des Unternehmens organisiert und angeboten werden konnen. Bei den langfristigen MaBnahmen sind vor al- lem flexible Arbeitszeiten als erfolgversprechendes Instrument zu nennen, mit denen Fami- lienfreundlichkeit implementiert werden kann (Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2016b, S.6). Zu den kurzfristigen MaBnahmen gehoren beispielsweise Angebote, die den Mitarbeitern in einem plotzlich entstehenden Oder nicht planbaren Eng- pass aushelfen. So kann das Unternehmen beispielsweise anbieten, bei Bedarf Kinderbe- treuungsmoglichkeiten bereitzustellen oderzu vermitteln. Aus der Vielzahl an MaBnahmen werden nun diejenigen vorgestellt, die auch in Zertifizierungen am bedeutendsten sind. Weitere MaBnahmen und Gruppierungsmoglichkeiten sind unter Anhang 2, S. 108 gelistet.

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Final del extracto de 228 páginas

Detalles

Título
Familienfreundliche Personalpolitik. Wie bestärken Unternehmen ihre MitarbeiterInnen bei der Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf?
Universidad
University of Applied Sciences Zwickau  (Fakultät Gesundheits- und Pflegewissenschaften)
Calificación
2,4
Autor
Año
2019
Páginas
228
No. de catálogo
V462800
ISBN (Ebook)
9783668930711
ISBN (Libro)
9783668930728
Idioma
Alemán
Palabras clave
Personalpolitik, Arbeitnehmer, Familie, Management, Pflege, familienfreundliche Personalpolitik, Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf, Work-Life-Balance, pflegefreundliche Arbeitsplätze, Employee retention, Employee assistance program, family friendly workplaces, work-family reconciliation, caregiver friendly work, family and work
Citar trabajo
Domenic Sommer (Autor), 2019, Familienfreundliche Personalpolitik. Wie bestärken Unternehmen ihre MitarbeiterInnen bei der Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/462800

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