Leseprobe
Inhalt
1. Politischer Protest
2. Vorgeschichte der DDR
2.1. Die SMAD
2.2. Die privilegierte Staatspartei
2.3. Vereinigung zur SED und politischer Terror
3. Macht durch Wirtschaft
3.1. Normerhöhung und Neuer Kurs
3.2. Zwischenstand
4. Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953
4.1. Die Folgen des Aufstandes
5. Die Kausalität des Widerstandes
Literaturverzeichnis
1. Politischer Protest
„Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille“, skandierten die Demonstranten am 17. Juni 1953 bei ihren Zügen durch ostdeutsche Städte. Sie zielten mit der Parole auf Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl ab, allesamt in der Führungsriege der Deutschen Demokratischen Republik, DDR. Für die Demonstranten waren sie der Inbegriff dessen, was sie ‚versklavte‘1. Die Bevölkerung lebte in einem Staat geführt von einer Partei, welche streng nach Moskauer Vorbild fungierte und agierte. Dieser Staat provozierte es, dass acht Jahre nach Ende des Krieges erneut russische Panzer durch deutsche Städte fuhren. Er provozierte es ebenso, dass Demonstranten, in ihrer Mehrheit Menschen der Arbeiterklasse, mit Steinen nach den Panzern schmissen. Dieser Kampf, David gegen Goliath, konnte jedoch nicht mit Steinen gewonnen werden und wurde, auf Basis eines Befehls aus Moskau, gewaltsam niedergeschlagen. Die DDR hatte sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit als Unrechtsstaat enttarnt und versuchte dennoch das Bild eines friedlichen, realsozialistischen Einheitsstaats aufrecht zu erhalten. Innenpolitisch jedoch, lösten die Aufstände des Junis 1953 einen Flächenbrand aus, den die SED-Führung rigoros erstickte. Dass sie allerdings diese Aufstände selbst provozierte und schlussendlich auch die Konsequenzen hierfür tragen musste, steht historisch betrachtet nicht zur Debatte. Was jedoch beleuchtet werden muss, sind die genauen Ursachen, der genaue Weg, der letztendlich zur Eskalation geführt hat. Dies begann nicht erst mit der Staatsgründung im Oktober 1949, sondern bereits im Juni 1945.
2. Vorgeschichte der DDR
Bekanntermaßen endete im Mai 1945 der Zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches. Ein Krieg, der zig Millionen Menschenleben forderte und den Sündenfall der menschlichen Existenz zu bekunden hatte: Den Holocaust. Systematisches Morden, der Wahn vom Lebensraum im Osten und eine Partei, die die Religion ersetzte – die Ideologie der Nationalsozialisten entfachte ein Lauffeuer, das sich auf dem europäischen Kontinent ausbreitete. Nachdem dieser Brand nun durch die Alliierten großflächig gelöscht wurde, war es ihre dringendste Aufgabe, Deutschland wieder aufzubauen. Vor allem jedoch war für die Sowjetunion der Wiederaufbau Deutschlands ein Mittel zum Zweck, da ihr Hauptziel war „in Deutschland ihr eigenes System zu installieren, nur so könnten „Faschismus und Militarismus“ – nach ihrer Ideologie ja Folgen des Kapitalismus – endgültig ausgerottet werden.“2 Der Aufbau Deutschlands sollte also einhergehen mit einer Installation des Realsozialismus nach Moskauer Vorbild. Es sollte das internationale Gewicht verstärkt werden und hierzu war das Gebiet Deutschlands, welches die UdSSR militärisch besetzte, ein geeignetes Bollwerk. Nach außen hin favorisierte die UdSSR jedoch „nachdrücklich (…) eine gesamtdeutsche Lösung“3, was nicht zuletzt darin begründet war, dass sich die Sowjetunion Reparationen aus Gesamtdeutschland, vorrangig dem Ruhrgebiet, erhoffte. Auch die UdSSR hatte während des Krieges enorme Verluste verzeichnen müssen, nicht zuletzt finanzieller Natur. Es waren jedoch ihre politischen Handlungen in der von ihnen besetzten Zone, welche sie letztendlich deutlich von den Westalliierten trennten und im Laufe der Jahre bis zur Staatsgründung auch Skepsis und starkes Misstrauen in der ostdeutschen Bevölkerung hervorriefen.
2.1. Die SMAD
Bereits im Juni 1945 übernahm die UdSSR in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die politische Kontrolle. Die Besatzungsbehörde, die dem direkten Befehl aus Moskau unterstand trug den Namen Sowjetische Militäradministration in Deutschland, kurz SMAD genannt, und war de facto die Regierung der SBZ. Sie war es auch, welche die Aufgabe hatte, die Moskauer Ideologie in Deutschland zu installieren. Es ist durchaus beachtenswert, dass die SMAD bereits im Monat nach Unterzeichnung der Kapitulation eingerichtet wurde und ihre Befehle vom Rat der Volkskommissare und damit Stalin direkt bekam.4 Die Befehle, welche die SMAD bekam, sind bis heute im Bundesarchiv archiviert und einsehbar. So ist auch bekannt, dass es der SMAD oblag, die Parteien(neu-)gründungen in der SBZ zu beobachten und zu kontrollieren. Die erste Partei, welche gegründet wurde, ebenfalls im Juni 1945, war die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Sie wurde später im Rahmen eines Zwangszusammenschlusses mit der SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Dazu an anderer Stelle mehr. Die SMAD überwachte auch die Gründung der Freien Deutschen Jugend. Zwar wurde diese offiziell erst am 7. März 1946 gegründet, ihre Ursprünge liegen jedoch bereits in den Monaten nach Ende des Krieges. Eine Führungsrolle in ihrer Gründung übernahm Erich Honecker, der spätere Generalsekretär des Zentralkomitees (ZK). Zeitgleich rückte die Rote Armee in Westteile Thüringens, Sachsens und Mecklenburg- Vorpommerns vor und markierte durch ihre Stellung die späteren Grenzen der DDR.
Der am schwersten wiegende Befehl für die SMAD ist jedoch zweifelsohne Befehl Nr. 35, welcher zunächst in seiner Benennung keine negative Konnotation hat. Der Befehl vom 26. Februar 1948 mit dem Titel „Auflösung der Entnazifizierungskommission in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands“5 sorgte dafür, dass proklamiert wurde, dass der Prozess der Auslöschung der nationalsozialistischen Ideologie weitestgehend beendet war. Entscheidender ist jedoch, was der Befehl nicht tat: Er beinhaltete keine Forderung der Volkskommissare, die Speziallager, in denen ca. 150.000 Menschen inhaftiert waren und nach Schätzungen ca. 70.000 ums Leben gekommen waren6, zu schließen. Die Lager waren noch bis 1950 in Betrieb. Der Umstand, dass in der SBZ verschiedene Personen in Speziallagern inhaftiert wurden, war in weiten Teilen der Bevölkerung ein offenes Geheimnis. Auch viele Politiker der KPD waren sich der Umstände bewusst und kommentierten „gefährliche politische Gegner müsse man eben einsperren und unschädlich machen.“7 Diese Aussage ist durchaus bemerkenswert, wenn in Betracht gezogen wird, dass auch nach Ende des offiziellen Entnazifizierungsprozesses noch immer politische Gegner unschädlich gemacht werden sollten. Die Tscheka verwendete hierzu den Begriff „soziale Prophylaxe“8. Dies war ein direkter Affront gegen jene, die sich, nach demokratischem Genius, konträr zum sich bildenden Staatswesen bewegten.
2.2. Die privilegierte Staatspartei
Die KPD entwickelte sich in den Nachkriegsjahren von einer Volkspartei zu einem Machtorgan der SMAD. Die kommunistisch und sozialistisch ausgerichtete Partei genoss die Sympathien der Volkskommissare und nahm sich ihrer Forderungen an. Zudem profitierte sie von der Zentralisierung in Bereichen des öffentlichen Lebens, da viele politische Gegner von Positionen entfernt und eigene Parteigenossen diesen zugeführt wurden. Die KPD verteilte sich somit vertikal auf alle Bereiche der Machtstruktur. Die Partei identifizierte sich immer stärker mit der Besatzungsmacht und stieß damit auf Gegenwehr aus der Bevölkerung, da die KPD unter anderem „Übergriffe der Roten Armee, die Behandlung der Kriegsgefangenen, die Reparationszahlungen usw. rechtfertigte“9. Die Kommunistische Partei Deutschlands gab der Bevölkerung das Gefühl, gegen sie zu arbeiten und es entwickelte sich ein Dissens zwischen beiden. Schlussendlich spielte die KPD auch eine entscheidende Rolle in der Enteignung und Verstaatlichung von Betrieben und Produktionsstätten. Dies begann mit der Bodenreform im Jahre 1945, wonach der Großgrundbesitz enteignet werden sollte. Im September desselben Jahres wurden „rund 7.000 Großgrundbesitzer mit über 100 ha entschädigungslos enteignet“10 und verloren so das Recht auf ihr eigenes Land. Die Neuaufteilung der in die Bodenfonds zusammengefassten Landflächen hatte zur Folge, dass Kleinbauern kaum genug produzieren konnten, um ihre eigene Existenz zu gewährleisten. Es waren vorrangig diese Bauern, die sich sieben Jahre später in Landesproduktionsgenossenschaften (LPG) zusammenschlossen. Die Parteifunktionäre beziehungsweise Parteigenossen waren abgehoben von der Existenzproblematik der Landwirte und Bauern, was den Unmut derer erheblich schürte. Die Industriereform 1946 und die damit einhergehende Enteignung von Betrieben11 tat ihr Übriges. Die Aufgabe der KPD bestand nach der Verstaatlichung sämtlicher Bereiche des beruflichen, öffentlichen und politischen Lebens darin, die Wirtschaft zu planen und eine sozialistische Planwirtschaft zu errichten – auch hierbei unterstand sie den Richtlinien aus Moskau.
Inwieweit die KPD sich abstrahierte von einer Volkspartei, die den Willen der Bevölkerung zu vertreten versucht, wurde im Rahmen der Enteignungen deutlich. Ein Volksentscheid in Sachsen, wo ein Großteil der zu enteignenden Betriebe stand, sollte unter der Losung „Enteignung der Kriegsverbrecher und Nazis“12 die wahlberechtigte Masse dazu bringen, dass sie für die Enteignung und für die Verstaatlichung stimmten. Sachsen bildete einen Sonderfall, da hier die einzige Volksteilhabe stattfand. In anderen Teilen der SBZ wurden Betriebe ohne Volksstimme enteignet.
2.3. Vereinigung zur SED und politischer Terror
Die Vereinigung der Sozialdemokraten und der Kommunisten zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, war zweifelsohne nicht auf freiwilliger Basis geschehen – wenigstens nicht aus Sicht der Sozialdemokraten. Zwar war die SMAD zunächst gegen eine Vereinigung der beiden souveränen Organe, änderte ihre Meinung jedoch, nachdem deutlich wurde, dass die KPD keine alleinige Vormachtstellung in der SBZ erlangen konnte. Als vorrangiger Grund für eine nötige Vereinigung der beiden Parteien wurde allerdings der Auslöser für die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 genannt: die Spaltung der Arbeiterbewegung zum Ende der Weimarer Republik. Während die Sozialdemokraten den Kommunisten die Schuld am Ende der Republik gaben, bezeichnete die KPD die Sozialdemokraten wiederum als „Sozialfaschisten“13. Es wurde argumentiert, dass das stärkste Bollwerk gegen den Faschismus eine Vereinigung der starken Arbeiterklasse sei. Jedoch standen die Chancen für eine friedliche Vereinigung denkbar schlecht, da die Sozialdemokraten immer wieder unter Repressalien durch die SMAD leiden mussten und so auch dem verlängerten Arm derer, namentlich die KPD, misstrauisch gegenüberstanden. Am 20./21. Dezember 1945 trafen sich je 30 Vertreter beider Parteien zur Sechziger-Konferenz und obschon die KPD der SPD Zugeständnisse machte, um sie umzustimmen, waren es SMAD-Offiziere, welche die SPD-Teilnehmer „bearbeiteten“14. Am Morgen nach der Konferenz gab es plötzlich eine „gemeinsame Auffassung“15 von KPD und SPD und der Weg zur Zwangsvereinigung war frei und wurde mit Gründung der SED am 20./21. April 1946 beendet. Die Mitglieder der SPD sahen beim Einheitsprozess nicht stillschweigend zu und dort „wo sich Ablehnung zeigte, griff die sowjetische Besatzungsmacht massiv ein, unter anderem mit Redeverboten und sogar Verhaftungen von sozialdemokratischen Einheitsgegnern.“16
[...]
1 Der Begriff der Versklavung bezieht sich auf eine weitere von Demonstranten genutzte Parole im Rahmen der Aufstände um den 17. Juni: „Berliner kommt und reiht euch ein, wir wollen keine Sklaven sein!“
2 Weber, Hermann: Die DDR 1945-1990. 2. überarb. u. erw. Aufl.. Oldenbourg R. Verlag GmbH, München 1993, S.4
3 ebd. S.4
4 Vgl. Broszat, Martin; Weber, Hermann: SBZ-Handbuch : Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945-1949. 2. Aufl.. Deutschland: Oldenbourg, 1993, S. 39
5 siehe: https://www.archivportal-d.de/item/XXM4EDEDF5IC5RNZUOYV2JY6ION7OZWM (letzter Aufruf am 12.01.2019, 13:25 Uhr)
6 Vgl. Weber, Hermann: Die DDR 1945-1990. 2. überarb. u. erw. Aufl.. Oldenbourg R. Verlag GmbH, München 1993, S.10
7 Fricke, Karl Wilhelm. Opposition, Widerstand und Verfolgung in der SBZ/DDR, in: Kaff, Brigitte (Hg.): Gefährliche politische Gegner. Widerstand und Verfolgung in der sowjetischen Zone/DDR. Droste, Düsseldorf 1995, S.10
8 ebd. S.10
9 Weber, Hermann: Die DDR 1945-1990. 2. überarb. u. erw. Aufl.. Oldenbourg R. Verlag GmbH, München 1993, S.10
10 ebd. S.12
11 Vgl. hierzu: Weber, Hermann: Von der SBZ zur DDR 1945 – 1968. Verlag für Literatur und Zeitgeschehen GmbH, Hannover 1968, S.50f
12 Weber, Hermann: Die DDR 1945-1990. 2. überarb. u. erw. Aufl.. Oldenbourg R. Verlag GmbH, München 1993, S.13
13 Plener, Ulla: Sozialdemokratismus – Instrument der SED-Führung im Kalten Krieg gegen Teile der Arbeiterbewegung (1948 – 1953) https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/161plener.pdf (letzter Aufruf am 31.01.2018, 10:37 Uhr), S.248
14 Weber, Hermann: Die DDR 1945-1990. 2. überarb. u. erw. Aufl.. Oldenbourg R. Verlag GmbH, München 1993, S.16
15 ebd. S.16
16 Weber, Hermann: Die DDR 1945-1990. 2. überarb. u. erw. Aufl.. Oldenbourg R. Verlag GmbH, München 1993, S.15