Die vorliegende Masterarbeit setzt sich mit der Frage auseinander, ob die bloße Suche nach Anerkennung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu einer Radikalisierung führen kann.
Ausgangslage dieser Überlegungen ist die theoretische Annahme, dass eine Hinwendung zu einer extremistischen Szene nicht zwingend ideologisch erfolgt, sondern vielmehr aus jugendtypischen Problematiken, wie der Suche nach Anerkennung in kritischen Lebensphasen.
Vor diesem Hintergrund wird in dieser Arbeit auch überprüft, ob der Eintritt in eine extremistische Szene, unabhängig von der jeweiligen Ideologie, meist unter den gleichen Voraussetzungen verläuft und es damit mehr oder weniger vom Zufall bzw. dem sozialen Umfeld abhängt, in welche extremistische Szene ein Jugendlicher hineinwächst.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Gesellschaftspolitische Relevanz des Themas
3. Begriffsbestimmungen
3.1 Politisch motivierte Kriminalität
3.2 Radikalismus
3.3 Extremismus
3.3.1 Rechtsextremismus
3.3.2 Linksextremismus
3.3.3 Islamismus
3.4 Terrorismus
3.5 Ist ein Vergleich dieser Ideologien überhaupt möglich?
4. Der Kampf um Anerkennung
4.1 Anerkennungstheoretische Prozesse
4.2 Soziale Gruppe
4.2.1 Bedeutung der Gruppe im Jugendalter und in kritischen Lebensphasen
4.2.2 Identitätsstiftung innerhalb einer Gruppe
5. Die Suche nach Anerkennung im Radikalisierungsprozess
5.1 Der Radikalisierungsprozess
5.2 Push- und Pull-Faktoren für den Einstieg in eine extremistische Szene
5.3 Welche Rolle spielt die Ideologie?
5.4 Erkenntnisse aus qualitativen Interviews mit politischen Extremisten und Szeneaussteigern
6. Neonazi, Antifa, Salafist – Ideologisch motiviert oder vom Zufall abhängig?
7. Erkenntnisorientierte Präventions- und Deradikalisierungsansätze
8. Fazit
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die vorliegende Masterarbeit befasst sich thematisch mit der Radikalisierung im Kontext Politisch motivierter Kriminalität.
Die Radikalisierung von Jugendlichen, die oft im Zusammenhang mit einem Eintritt in eine extremistische Szene steht, beschäftigt die Gesellschaft und die Sicherheitsbehörden in einem nicht unerheblichen Ausmaß und stellt diese gleichermaßen vor Herausforderungen. Dies zeigt sich z. B. in den Diskussionen um den G20-Gipfel in Hamburg, den rechtsextremistisch motivierten Morden des NSU oder den Ausreisen junger Menschen aus dem salafistischen Umfeld nach Syrien. Zentrale Fragen, die sich dabei ergeben, sind die nach den Ursachen für eine Radikalisierung und den möglichen Eintritt in eine extremistische Szene sowie nach den möglichen Ansatzpunkten für eine entsprechende Präventionsarbeit bzw. eine Deradikalisierung. Aufgrund der Aktualität der Ereignisse im Zusammenhang mit gesellschaftsschädigenden Angriffen von Extremisten existieren zahlreiche und aktuelle Studien zu diesem Thema. Jedoch fokussieren die meisten Forschungen zum Thema Radikalisierung oft nur eine Ideologie (z.B. Islamismus) und untersuchen dabei eine Vielzahl von möglichen Gründen, welche zu einer Radikalisierung von Jugendlichen führen könnten. Das Bundeskriminalamt veröffentlichte im Jahr 2010 eine Studie, in der die Biographien von insgesamt 39 Personen aus dem Links- und Rechtsextremismus sowie aus dem Islamismus verglichen wurden, um die Gemeinsamkeiten dieser Personen zu ermitteln, welche sich zwar alle radikalisiert haben, jedoch bezüglich ihrer Ideologie in völlig unterschiedliche Gruppen hineingewachsen sind. Im Ergebnis dieser Studie wurden Gemeinsamkeiten erkannt, die sich aus den Befragungen der radikalisierten Personen ergeben haben, darunter Aspekte wie „dysfunktionale Familienverhältnisse“, „Herstellung von Machtverhältnissen“ oder auch „Orientierungslosigkeit und Einsamkeit“.
In meiner Masterarbeit beschäftige ich mich hauptsächlich mit dem Aspekt des Wunsches nach Anerkennung im Zusammenhang mit Radikalisierungsprozessen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Ausgangslage dieser Überlegung ist die theoretische Annahme, dass die Hinwendung zu einer extremistischen Szene nicht zwingend ideologisch erfolgt, sondern vielmehr aus jugendtypischen Problematiken wie der Suche nach Anerkennung in kritischen Lebensphasen.
Vor diesem Hintergrund soll auch überprüft werden, ob der Eintritt in eine extremistische Szene, unabhängig von der jeweiligen Ideologie, meist unter den gleichen Voraussetzungen verläuft und es damit mehr oder weniger vom Zufall bzw. dem sozialen Umfeld abhängt, in welche extremistische Szene ein Jugendlicher hineinwächst. An dieser Stelle erfolgt der Hinweis, dass in dieser Arbeit kein in die Tiefe gehender Vergleich der höchst unterschiedlichen und teilweise komplexen Ideologien des Rechts- bzw. Linksextremismus und des Islamismus erfolgen wird.
In der methodischen Vorgehensweise werde ich zunächst einige für diese Arbeit bedeutsame Begriffe aus dem Bereich der Politisch motivierten Kriminalität erläutern. Im Anschluss werde ich allgemein auf soziologische Prozesse bei der Entwicklung von Personen im Jugendalter und beim Verhalten von Personen in Gruppen eingehen. Hierüber soll die in dieser Arbeit aufgestellte Hypothese auf den Radikalisierungsprozess übertragen, überprüft und verdeutlicht werden. Die Befassung mit dem Radikalisierungsprozess und der Frage, ob dieser ideologisch motiviert oder aber u. a. durch die Suche nach Anerkennung gekennzeichnet ist, nimmt den Hauptteil dieser Arbeit ein. Orientiert an den aus dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnissen sollen auch Präventions- und Deradikalisierungsansätze aufgezeigt werden.
Ein abschließendes Fazit soll als Ergebnis meiner Masterarbeit dienen.
2. Gesellschaftspolitische Relevanz des Themas
„Hamburg räumt auf! Autos wurden angezündet, Scheiben wurden eingeschlagen, Müllcontainer angezündet und und und … Bilder wie aus einem Bürgerkrieg, und das mitten in der schönsten Stadt der Welt!“ (Welt – Nachrichten, Hintergründe, News & Videos 2017: 1) So lautet der Kommentar einer Hamburger Bürgerin, die sich an den Aufräumarbeiten nach den Krawallen linksextremistischer Gruppierungen im Rahmen des G20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg beteiligte. Die Bilder der Ausschreitungen des besagten G20-Gipfels gingen um die ganze Welt und lösten bei den Beobachtern vielfach Fassungslosigkeit und Entsetzen über das Ausmaß der Gewalt aus. Hierbei handelt es sich um eines der jüngsten Ereignisse, bei denen politisch motivierte Extremisten ihre Ideologien durch Gewalthandlungen zum Ausdruck brachten.
In vielen Fällen kommt es im Rahmen von Demonstrationen mit politischem Bezug zu einer Konfrontation zwischen den Demonstranten und dem Staat in Form der Polizei. Jedoch beschränken sich extremistische Handlungen nicht nur auf Demonstrationen, wie sich am Beispiel der neonazistischen terroristischen Vereinigung „NSU – Nationalsozialistischer Untergrund“ erkennen lässt. Diese Gruppierung beging nicht nur über mehrere Jahre zahlreiche fremdenfeindlich motivierte Straftaten, sondern ermordete auch neun Migranten sowie eine Polizistin. Der noch aktuelle Strafprozess gegen eines der Hauptmitglieder des NSU, Beate Zschäpe, wird medial und in der Gesellschaft mit hohem Interesse am Ausgang des Verfahrens verfolgt. Weiterhin sind hier auch die Bewegungen rund um den sogenannten Salafismus zu nennen, welcher eine besonders strenge Auslegung des islamischen Glaubens darstellt und nicht selten Personen aus diesem Spektrum zu islamistisch motivierten Terroranschlägen in der ganzen Welt treibt.
Die aufgezählten Beispiele politisch motivierter Straftaten aus dem Links- und dem Rechtsextremismus sowie dem Salafismus/ Islamismus unterscheiden sich zwar in ihrer Ideologie, jedoch nicht in ihrer gesellschaftspolitischen Relevanz. Exemplarisch lassen sich hier jegliche Formen politisch rechts motivierter Straftaten nennen, die insbesondere vor dem Hintergrund der geschichtlichen Ereignisse in der Bundesrepublik Deutschland gesamtgesellschaftlich verurteilt werden. Dennoch sieht sich die BRD regelmäßig mit den Themen Fremdenfeindlichkeit, Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus konfrontiert. So zeigen sich in dem zuletzt veröffentlichten Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2017 für das Jahr 2016 folgende Entwicklungstendenzen: „Die seit etwa Mitte 2014 steigenden Asylbewerberzahlen in Deutschland gingen mit einem deutlichen Anstieg rechtsextremistisch motivierter Straftaten und einer verstärkten Agitation von Rechtsextremisten gegen Asylsuchende und deren Unterkünfte sowie gegen die Asylpolitik der Bundesregierung einher. Insbesondere im Laufe des Jahres 2015 gewann diese Entwicklung an Dynamik und Intensität. Auch 2016 war hier ebenfalls ein hohes Niveau zu konstatieren. So konnte bei rechtsextremistisch beeinflussten Aktivitäten vor allem in Bezug auf die Asylthematik eine deutliche Radikalisierung in Inhalt und Diktion festgestellt werden.“ (Verfassungsschutzbericht 2016: 38)
Auch die Entwicklungen im Bereich des Islamismus haben großen Einfluss auf das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung und damit auch auf die Sicherheitspolitik des Bundes und der Länder.
Im Jahr 2016 kam es allein in Deutschland zu insgesamt fünf terroristischen Anschlägen mit islamistischem Hintergrund (vgl. Verfassungsschutzbericht 2016: 38). „Auch wenn sie zahlenmäßig nur einen Bruchteil der politisch motivierten Straftaten in Deutschland ausmachen, sind islamistisch motivierte Gewalttaten in der öffentlichen Wahrnehmung wohl der präsenteste Aspekt Politisch motivierter Kriminalität.“ (Münch 2017: 27)
Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass das Thema „Extremismus“ gesellschaftspolitisch sehr aktuell und absolut relevant ist. In den Diskussionen rund um dieses Thema stellt sich die Frage nach wirksamen Maßnahmen der Prävention und danach, wo diese ansetzen können. Es ist festzustellen, dass man nicht von einem Tag auf den anderen zum Extremisten wird, sondern dass es sich vielmehr um einen Prozess handelt; den Prozess der Radikalisierung. Dem Erkennen und Verstehen des Radikalisierungsprozesses kommt eine zentrale Bedeutung bei der Bekämpfung des politisch motivierten Extremismus zu. Die in diesem Phänomenbereich begangenen Straftaten haben ihre Ursache in aller Regel nicht in pathologischen psychischen Dispositionen der Täter. Es deutet eher vieles darauf hin, dass die Ursachen in sozialen und politischen Prozessen zu finden sind und gerade das engere soziale Umfeld entscheidenden Einfluss auf individuelle Radikalisierungsprozesse hat. (vgl. Malthaner 2012: 12) Gerade bei Jugendlichen spielen die sozialen Gruppenprozesse bei der Radikalisierung eine große Rolle. „Anlässlich bestimmter Protestereignisse wie dem 1. Mai, Naziaufmärschen oder der Mobilisierung zu globalisierungskritischen Aktionen kommt es aber regelmäßig auch zu Gewaltausbrüchen im Umfeld linksaktionistischer Bewegungen, die ebenfalls gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Bei allen Differenzen in den ideologischen Inhalten und Zielen zeichnen diese Ereignisse eine Gemeinsamkeit aus: Sie scheinen eine im Verhältnis zur Gesamtgesellschaft überdurchschnittliche Anziehungskraft auf (vor allem männliche, aber auch weibliche) junge Menschen auszuüben. Sowohl bei den linken »Autonomen« als auch bei den rechtsorientierten »autonomen Nationalisten« sind mehrheitlich junge Menschen aktiv […]. Beide Gruppierungen gelten aktuell als gewalttätigste Szene in ihrem politischen Lager. Eine besondere Attraktivität für Jugendliche und junge Erwachsene wird aber auch dem gewaltorientierten Islamismus bescheinigt: Den Sicherheitsbehörden zufolge sind unter den Syrienausreisenden auffällig viele junge Menschen; die jüngsten bekannten Ausreisenden waren 13 und 14 Jahre alt.“ (Glaser 2015: 5)
Es kann unterstellt werden, dass sowohl die Politik und Sicherheitsbehörden als auch die Gesellschaft ein hohes Interesse daran haben, eine Radikalisierung junger Menschen zu verhindern oder aber einen bestehenden Radikalisierungsprozess zu stoppen bzw. umzukehren. Um entsprechende Ansätze dafür finden zu können, bedarf es einer genauen Ursachenforschung. Als möglicher Ansatz wird in dieser Arbeit die Bedeutung der Suche nach Anerkennung im Radikalisierungsprozess analysiert.
Zunächst werden zum besseren Verständnis einige für diese Arbeit bedeutsame und in diesem Abschnitt bereits genannte Begriffe im Kontext der Politisch motivierten Kriminalität erläutert.
3. Begriffsbestimmungen
Im Abschnitt zuvor wurden bereits einige Begriffe genannt, die zum besseren Verständnis dieser Arbeit näher erläutert werden sollen. In den Medien oder in politischen Diskussionen ist immer wieder die Rede von „Rechtsradikalen/ Linksradikalen“ oder „Rechtsextremen/ Linksextremen“. Oft werden diese Begriffe miteinander vermischt oder nicht trennscharf verwendet. Gleichwohl bestehen enorme Unterschiede zwischen diesen Begrifflichkeiten. Ähnliche Probleme ergeben sich bei der Unterscheidung von sogenannten Salafisten und Islamisten, weshalb auch hier eine entsprechende Begriffsdefinition erfolgen wird. Auch wenn in dieser Arbeit kein Vergleich der Ideologien erfolgt, soll im Folgenden eine kurze Erläuterung zu den jeweiligen Ideologien des Rechts- und des Linksextremismus sowie des Islamismus erfolgen.
3.1 Politisch motivierte Kriminalität
Wenn in dieser Arbeit von Begriffen wie „Radikalisierung“ und „Extremismus“ die Rede ist, dann ausschließlich im Zusammenhang mit „Politisch motivierter Kriminalität (PMK)“. Dieser Begriff lässt sich wie folgt definieren:
„Als ‚Politisch motivierte Kriminalität‘ werden alle Straftaten bezeichnet und erfasst, die einen oder mehrere Straftatbestände der sogenannten klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.“ (Verfassungsschutzbericht 2016: 21)
Als Beispiel für die eben genannten klassischen Staatsschutzdelikte lassen sich Straftaten wie das „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ gemäß §86a StGB, die „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ gemäß § 89a StGB oder die „Volksverhetzung“ gemäß §130 StGB nennen. (vgl. ebd.) „Üblicherweise wird zwischen Staatsschutzdelikten im engeren und weiteren Sinne unterschieden. Im engeren Sinne werden zu den Staatsschutzdelikten diejenigen Straftaten gerechnet, die bereits kraft ihrer tatbestandlichen Struktur generell einen staatsgefährdenden Charakter aufweisen.“ (Kastner 2006: 309) Dazu gehören u.a. auch die eben genannten Paragraphen des Strafgesetzbuches. „Im weiteren Sinne lassen sich zu den Staatsschutzdelikten auch solche Straftaten zählen, welche zwar grundsätzlich in den Bereich der allgemeinen Kriminalität gehören (z. B. Bildung einer kriminellen Vereinigung, Mord, Brandstiftung, Sachbeschädigung, Bauwerkszerstörung, Angriffe auf den Luftverkehr), die aber im konkreten Falle aus einer politischen Motivation heraus begangen werden bzw. welche nach den Tatumständen im Einzelfall die innere oder äußere Sicherheit des Staates gefährden. So kann etwa ein Tötungsverbrechen aus Ausländerhass die Annahme eines Staatsschutzdelikts begründen […].“ (ebd.)
Entsprechende Anhaltspunkte für eine politische Motivation sind gegeben, wenn:
- die demokratische Willensbildung beeinflusst werden soll, sie der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dient oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richtet,
- sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO) bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben,
- sie durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
- sie sich gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status richten (sog. Hasskriminalität); dazu zählen auch Taten, die nicht unmittelbar gegen eine Person, sondern im oben genannten Zusammenhang gegen eine Institution oder Sache verübt werden. (vgl. Verfassungsschutzbericht 2016: 21f)
Bei der freiheitlich demokratischen Grundordnung handelt es sich um einen Begriff aus dem Grundgesetz. Zu den durch das Bundesverfassungsgericht festgelegten Prinzipien der fdGO gehören beispielhaft die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität und die Gewaltenteilung. (vgl. Goertz 2018: 10f)
3.2 Radikalismus
Der Begriff Radikalismus lässt sich zunächst wie folgt definieren:
„Bei ‚Radikalismus‘ handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denk- und Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits ‚von der Wurzel (lat. radix) her‘ anpacken will.“ (BfV 2018) Das bedeutet, dass der Begriff Radikalismus nicht zwingend negativ besetzt sein muss. So kann eine radikale Einstellung auch zum Fortschritt gesellschaftlicher Entwicklungen beitragen, z. B. wenn sie sich im Sinne einer Weiterentwicklung demokratischer Prinzipien oder auch der Ausweitung auf den Bereich der Ökonomie versteht. (vgl. Möller 2018: 6) Radikalismus sollte dabei aber nicht mit Extremismus gleichgesetzt werden, da sich zwischen diesen beiden Begriffen inhaltlich große Unterschiede zeigen. Orientiert an dem Extremismus-Modell nach Stöss markiert der Begriff „Radikalismus“ die Grenzzonen zwischen den Extremismen und dem demokratischen, durch die freiheitliche demokratische Grundordnung geschützten Bereich. (vgl. Stöss 2005:14f) Rechts- oder linksradikale Gruppierungen bewegen sich in ihrem Denken und Handeln also innerhalb der fdGO und verfolgen demnach auch keine verfassungswidrigen Ziele. (vgl. ebd.)
In dieser Arbeit wird noch häufiger der Begriff „Radikalisierung“ zu nennen sein. „‚Radikalisierung‘ meint vor diesem Hintergrund zunächst einmal einen (vor allem auch politisch-weltanschaulich) unspezifischen Prozess, der in Richtung auf den Erwerb und die Ausgestaltung einer zielorientierten und prinzipiengeleiteten Haltung aus Orientierungen und Aktivitäten verläuft, die ein handlungsleitendes Überzeugungssystem, mindestens aber stabile Repräsentationen, Habitualisierungen und verhaltensentscheidende Muster konstruieren. In polarisierender Weise aufgestellt fallen dabei deren Kompromissbereitschaft und Flexibilität relativ gering aus, während ihre Wahrheitsansprüche, Veränderungsresistenz und Streitbarkeit (aber nicht unbedingt Gewaltsamkeit) vergleichsweise hoch sind.“ (Möller 2018: 6f) Ein sogenannter Radikalisierungsprozess kann (muss jedoch nicht) zu der Annahme extremistischer Denk- und Verhaltensmuster führen. Was genau unter extremistischen Denk- und Verhaltensmustern zu verstehen ist, soll in den nachfolgenden Erläuterungen zum Begriff Extremismus deutlich gemacht werden.
3.3 Extremismus
„Extremismus ist das Gegenstück zum demokratischen Verfassungsstaat. […] Der politische Extremismus, der eine lange Tradition aufweist, ist dadurch gekennzeichnet, dass er den demokratischen Verfassungsstaat ablehnt, ihn beseitigen oder einschränken will.“ (Hirscher 2013: 9) Dies ist der zentrale Aspekt, der die politisch Radikalen von den politisch Extremen unterscheidet. Während die Radikalen die fdGO akzeptieren und ihr Handeln sich eben innerhalb der durch die fdGO festgelegten Regeln bewegt, wird diese durch Extremisten gänzlich abgelehnt und regelmäßig missachtet. „In diesem Sinne kann man politischen Extremismus als Absage an fundamentale Werte, Verfahrensregeln und Institutionen demokratischer Verfassungsstaaten bestimmen.“ (Backes 2005: 23f) Unabhängig von der politischen oder religiösen Gesinnung weisen extremistische Personen und Gruppierungen gemeinsame Merkmale auf. Dazu gehören neben dem Absolutheitsanspruch der eigenen Auffassung und einem Dogmatismus auch die Unterteilung der Welt in Freund und Feind, Verschwörungstheorien sowie Fanatismus. (vgl. Jaschke 2006 :31) „Extremistische Ideologien sind geschlossene Denkgebäude, die von ihren Anhängern angewandt oder ausgelegt, nicht aber reflektiert und fortentwickelt werden.
Sie haben einen quasi-religiösen Status, sie werden nicht diskutiert sondern geglaubt.“ (Jaschke 2006: 31; Hervorh. i. Orig.) Genau diese Denk- und Handlungsmuster haben im Prinzip alle Extremisten gemeinsam, jedoch existieren gemessen an den politischen oder religiösen Einstellungen auch völlig unterschiedliche Ideologien innerhalb dieser Personenkreise. In den folgenden Abschnitten sollen daher die für diese Arbeit relevanten extremistischen Bewegungen mit den entsprechenden Ideologien des Rechts- und des Linksextremismus sowie des Salafismus/ Islamismus in den Grundzügen erläutert werden.
3.3.1 Rechtsextremismus
Beim Rechtsextremismus handelt es sich um eine spezielle Form des politischen Extremismus. Der Begriff wird in den Sozialwissenschaften oft sehr unterschiedlich verwendet, sodass weder eine anerkannte Definition noch eine einheitliche Theorie des Rechtsextremismus existiert. (vgl. Thein 2009: 31) Der Versuch einer Definition dieses Begriffs, welche die wesentlichen Merkmale, die dem Rechtsextremismus zugeschrieben werden, enthält, lautet wie folgt: „Unter ‚Rechtsextremismus‘ verstehen wir die Gesamtheit von Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen, organisiert oder nicht, die von der rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit der Menschen ausgehen, nach ethnischer Homogenität von Völkern verlangen und das Gleichheitsgebot der Menschenrechts-Deklaration ablehnen, die den Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum betonen, von der Unterordnung des Bürgers unter die Staatsräson ausgehen und die den Wertepluralismus einer liberalen Demokratie ablehnen und Demokratisierung rückgängig machen wollen.“ (Jaschke 2001: 30)
Demnach handelt es sich beim „Rechtsextremismus“ um einen Sammelbegriff, welcher die Überbewertung der ethnischen Zugehörigkeit, die Ideologie der Ungleichheit sowie Aspekte wie den Antipluralismus bzw. Autoritarismus als wesensbestimmend darstellt. (vgl. Thein 2009: 32) Die Komplexität und nicht einheitliche Begriffsbestimmung lassen sich anhand von Schlagwörtern wie „Faschismus“, „Antisemitismus“ oder „Rassismus“ erkennen, die allesamt regelmäßig mit dem Begriff Rechtsextremismus verbunden bzw. darunter subsumiert werden.
Da es hier lediglich darum geht, die Grundzüge der Ideologien des Rechts- und des Linksextremismus sowie des Salafismus/ Islamismus und dadurch auch die entsprechenden Unterschiede aufzuzeigen, wird auf eine Erläuterung der zuvor genannten Begrifflichkeiten verzichtet.
An dieser Stelle soll eine bestimmte Gruppierung im Spektrum des Rechtsextremismus speziell erwähnt werden. Es handelt sich dabei um die Gruppe der sogenannten „Neonazis“. „Als Neonazis gelten jene männlichen Aktivisten des rechtsextremen Spektrums, die sich offen in die Tradition des Nationalsozialismus stellen – ideologisch-programmatisch und/ oder über Symbolik und Gruppenverhalten.“ (Jaschke 2001: 37) Demnach handelt es sich bei sog. Neonazis um Rechtsextremisten, die sich als Apologeten des nationalsozialistischen Gedankengutes verstehen und nach der Wiedereinführung dieser menschenverachtenden diktatorischen Gewaltherrschaft streben. (vgl. Thein 2009: 33) Neonazis unterschieden sich von Rechtsextremisten in gewisser Form in der Ideologie, da sie nicht nur nicht zur „Volksgemeinschaft“ zählende Minderheiten (z. B. Juden, Ausländer oder Homosexuelle), sondern auch politisch Andersdenkende (z. B. Kommunisten oder Sozialdemokraten) kategorisch ablehnen und bekämpfen. (vgl. Thein: 34) Daneben wird auch der allgegenwärtige Aspekt der Gewaltausübung als prägendes Element neonazistischer Aktivitäten beschrieben. (ebd.)
3.3.2 Linksextremismus
Im vorherigen Abschnitt wurden die wesentlichen Merkmale des Rechtsextremismus sowie die Grundzüge des Neonazismus genannt und zum Teil erläutert. Jedoch tut sich der amtliche Sprachgebrauch bei der inhaltlichen Abgrenzung des Linksextremismus wesentlich schwerer, da hier eben nicht von einer einheitlichen Ideologie ausgegangen wird. (vgl. Stöss 2010: 13) „Vielmehr werden zwei, nachgerade widersprüchliche ideologische Traditionen benannt: ‚Linksextremisten wollen an Stelle der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft oder eine ‚herrschaftsfreie‘, anarchistische Gesellschaft etablieren und orientieren ihr politisches Handeln an revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Ideologien‘.“ (ebd.)
Das Menschenbild der extremen Linken ist geprägt von der Vorstellung einer Rechtsgleichheit sowie wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit. (vgl. Jaschke 2006: 32) Ein weiterer grundlegender Gedanke linksextremistischer Gruppierungen ist es, durch revolutionäre Aktion den Sturz des Kapitalismus herbeizuführen, um dann die sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten. (vgl. ebd.) Der kleinste gemeinsame Nenner bei extrem linken Gruppierungen ist das Streben nach Herrschaftsfreiheit, demnach das Leben in einem Staat ohne Polizei, Abgeordnete oder Gesetze. (vgl. Hoffmann 2014: 29) Da es innerhalb dieser Gruppierungen unterschiedliche Auffassungen gibt, wie man dieses Ziel erreichen kann, haben sich verschiedene Strömungen herausgebildet. (vgl. ebd.) Die größte definierbare Gruppe in diesem Zusammenhang ist die der „Autonomen“, welche sich ideologisch betrachtet den Anarchisten zuordnen lassen und sich oftmals in besetzten Häusern, den sog. autonomen Zentren, aufhalten. (vgl. ebd.)
Zu den autonomen Linken gehört auch die Gruppe der sog. „Antifaschistischen Aktion (Antifa)“. Der Kampf gegen den Rechtsextremismus stellt ebenfalls einen zentralen Bestandteil der Aktivitäten innerhalb der linksautonomen Szene dar. „Dass gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextreme und deren angebliche Unterstützer notfalls auch mit Gewalt vorgegangen werden darf, ist in der Szene allgemein akzeptiert.“ (Schroeder 2015: 214)
Im nächsten Abschnitt sollen die Ideologien des Salafismus/ Islamismus näher betrachtet werden, die sich in wesentlichen Punkten von den Ideologien des Rechts- und des Linksextremismus unterscheiden.
3.3.3 Islamismus
Das wesentliche Merkmal, worin sich die Ideologien des Rechts- und des Linksextremismus von der Ideologie des Islamismus unterscheiden, lässt sich folgendermaßen beschreiben. „Rechts- und Linksextremismus haben eher reservierte bis ablehnende Einstellungen gegenüber der Religion und dem Christentum, bei beiden gilt der Primat der Politik. Hier ist der zentrale Unterschied zu sehen gegenüber dem Islamismus.“ (Jaschke 2006: 33). Wie bei der Beschreibung von rechts- und linksextremistischen Strömungen, ist es auch bei der Beschreibung des Islamismus extrem wichtig, bei den Begrifflichkeiten sorgfältig zu differenzieren.
Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen den Begriffen „Islamismus“, „Salafismus“ und „Dschihadismus“.
„‘Islamismus‘ steht als Sammelbezeichnung für alle politischen Auffassungen und Handlungen, die im Namen des Islam eine religiös begründete Gesellschafts- und Staatsordnung im erklärten Gegensatz zu den Normen und Regeln eines demokratischen Verfassungsstaates durchsetzen wollen. Dies bedeutet die Aufhebung einer Trennung von Religion und Staat und die nationale oder weltweite Etablierung eines islamischen Staates.“ (Pfahl-Traughber 2011: 1) Demnach ist der „Islamismus“ eine Form des politischen Extremismus und eine religiös-politische Ideologie, deren Anhänger sich auf religiöse Normen des Islam berufen und diese politisch interpretieren. (vgl. Goertz 2018: 17) Unter den Islamisten existieren wiederum verschiedene Gruppierungen. Dazu gehören legalistische Gruppierungen, die über politische und gesellschaftliche Einflussnahme eine nach ihrer Interpretation islamkonforme Ordnung durchsetzen wollen. (vgl. Verfassungsschutzbericht 2016: 154) Zum anderen gehören dazu auch die sogenannten jihadistischen Gruppierungen wie „al-Qaida“ oder der „Islamische Staat (IS)“, die in ihrem Kampf für einen „Gottesstaat“ terroristische Gewalt für ein unverzichtbares Mittel halten. (vgl. ebd.)
Eine weitere Strömung im Islamismus ist der sogenannte Salafismus. „Der Salafismus ist eine fundamentalistische, islamistische Ideologie und zugleich eine extremistische, moderne Gegenkultur mit einem alternativen Lebensstil durch markante Alleinstellungsmerkmale (Kleidung und Sprache).“ (Verfassungsschutzbericht 2016: 179) Es ist festzustellen, dass es sich bei Personen, die sich der salafistischen Bewegung anschließen, oft um Jugendliche handelt. Öffentliche Veranstaltungen, die durch Salafisten ausgerichtet werden, scheinen einen gewissen Eventcharakter zu haben. Dabei konvertieren junge Menschen zum Teil vor Ort auf einer Bühne zum Islam und werden anschließend von der salafistischen Gemeinschaft aufgenommen. Hierfür könnten wiederum soziologische Gründe eine Rolle spielen, weshalb in dieser Arbeit auch der Eintritt von Jugendlichen in die salafistische Szene näher beleuchtet wird. Es ist wichtig zu erwähnen, dass nicht jeder Salafist automatisch zum Islamisten wird. Dennoch geht von Salafisten eine Gefahr aus. „In verschiedenen und viel zitierten Varianten kursiert eine Formel, nach der zwar nicht jeder Salafist ein (islamistischer) Terrorist sei, aber alle (islamistischen) Terroristen Kontakt zu Salafisten hätten oder Salafisten seien.“ (Hummel 2014: 8f)
Demnach kann der Salafismus auch als „breeding ground“ für den Jihadismus bezeichnet werden, da er einen sowohl ideologischen als auch sozialen Nährboden für eine Radikalisierung darstellt. (vgl. Puschnerat 2017: 299) „Für den Zusammenhang von Salafismus und Gewalt lässt sich an dieser Stelle eine zentrale begriffliche Unterscheidung vornehmen. Obgleich Salafismus und die Militanz predigende Ideologie des Dschihadismus offensichtliche Überschneidungen aufweisen, sollte doch zwischen diesen beiden Phänomenen unterschieden werden […]. Unter Dschihadismus lässt sich eine moderne islamistische Ideologie verstehen, nach der Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele theologisch legitim und notwendig ist […].“ (Biene 2016: 20f)
Politscher Extremismus äußert sich regelmäßig auch in gewaltvollen Auseinandersetzungen mit Andersgläubigen oder politischen Gegnern. Im schlimmsten Fall steigert sich politischer Extremismus in Terrorismus. Der Begriff Terrorismus wird im nachfolgenden Abschnitt erläutert.
3.4 Terrorismus
Die Angst vor terroristischen Anschlägen ist gerade heutzutage nahezu omnipräsent. Zurzeit ist es vor allem die Angst vor islamistisch motivierten Anschlägen, die sowohl die Medien als auch den politischen Diskurs beherrschen. In den 1960er/ 70er Jahren waren es hingegen die linksextremistisch motivierten Attentate der „Roten Armee Fraktion (RAF)“, die die Gesellschaft bewegten. Im Jahr 2011 offenbarten sich wiederum die zahlreichen rechtsextremistisch motivierten Attentate des „Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)“. Obwohl die Gesellschaft ziemlich sicher eine Vorstellung von Terrorismus hat, ist dieser Begriff längst nicht so einfach zu definieren und zu beschreiben. „Trotz lautstarker allgemeiner Verdammung des Terrorismus hat man sich bis heute international nicht darüber einigen können, was darunter eigentlich zu verstehen ist. Äußerst schmal ist der Grat, der den Terroristen vom Freiheitskämpfer trennt, und entsprechend groß ist die Versuchung für die politisch Mächtigen, unbequeme Oppositionsgruppen kurzerhand zu Terroristen abzustempeln.“ (Waldmann 2011: 13)
Um den Begriff Terrorismus besser einordnen zu können, wird folgende Definition als Grundlage genommen: „Unter Terrorismus sind planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge aus dem Untergrund gegen eine politische Ordnung zu verstehen.
Sie sollen vor allem Unsicherheit und Schrecken verbreiten, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen.“ (Waldmann 2011: 14) Aus dieser Definition ergibt sich ein direkter Bezug zum Extremismus. Wie bereits erläutert, lehnen sowohl Rechts- als auch Linksextremisten sowie Salafisten/ Islamisten die Werte der freiheitlich demokratischen Grundordnung ab. Diese Ablehnung kann sich soweit steigern, bis sie an den Punkt eines terroristischen Anschlags gegen die bestehende politische Ordnung reicht. Ein weiteres Merkmal der oben genannten Definition von Terrorismus ist die Handlung aus dem Untergrund. „Terrorismus ist die bevorzugte Kampfstrategie relativ kleiner und ››schwacher‹‹ Gewaltverbände […]. Terroristischen Gruppen fehlt es sowohl an der erforderlichen Kampfstärke als auch am notwendigen Rückhalt in der Bevölkerung, um ein Stück Territorium zu besetzen und der Staatsmacht offen Paroli zu bieten.“ (Waldmann 2011: 15) Extremistische und terroristische Ideologien sind nur zu einem sehr geringen Teil in der Gesamtgesellschaft verbreitet. Gehör finden diese Gruppen im Grunde nur, wenn sie die bewusste und öffentlich gewaltsame Konfrontation in der Öffentlichkeit suchen. Mit der Durchführung von terroristischen Anschlägen rückt auch die Ideologie, die diese Menschen dazu bewogen hat, viele Menschen auf einmal zu töten, in den Fokus. „Dem Terroristen geht es weniger um den eigentlichen Zerstörungseffekt seiner Aktionen. Diese sind nur ein Mittel, eine Art Signal, um einer Vielzahl von Menschen etwas mitzuteilen. Terrorismus, das gilt es festzuhalten, ist primär eine Kommunikationsstruktur.“ (Waldmann 2011: 17)
Terroristische Anschläge sorgen bei einem Großteil der Gesellschaft für Angst, Unsicherheit und Abschreckung, bei einem anderen Teil erzeugen sie Interesse und Bewunderung für die ausführenden Personen. Terroristen erlangen durch ihre Taten immer wieder Bekanntheit und damit auch Bedeutsamkeit. Welchen Stellenwert die Suche nach Anerkennung und Bedeutsamkeit insbesondere im Leben junger Menschen haben kann, wird im Verlauf dieser Arbeit noch herausgestellt.
3.5 Ist ein Vergleich dieser Ideologien überhaupt möglich?
Als Ergebnis aus den vorherigen Abschnitten lässt sich zusammenfassen, dass der Rechts- und der Linksextremismus sowie der Salafismus/ Islamismus zwar Gemeinsamkeiten in Bezug auf den Radikalisierungs- und den Extremismusbegriff im Allgemeinen aufweisen, sie sich jedoch in den speziellen Ideologien vollkommen unterscheiden. Es wurde bereits herausgestellt, dass dem Dasein als Extremist ein Radikalisierungsprozess vorausgeht. Fraglich ist nun, aufgrund welcher Gegebenheiten sich z. B. ein Jugendlicher für die eine oder die andere Form des Extremismus entscheidet und ob hier tatsächlich die jeweilige Ideologie den größten Anteil an der Entscheidung zum Eintritt in diese Szene hat. Bei der Darstellung der Extremismusformen sollte deutlich geworden sein, dass die einzelnen Begrifflichkeiten und Ideologien, die damit im Zusammenhang stehen, sehr komplex und vielfältig sind. Es scheint daher schwer vorstellbar, dass sich gerade Jugendliche im Vorfeld des Eintritts in eine extremistische Szene bereits umfassend mit den Themen der rechts oder links ausgerichteten Politik auseinandergesetzt haben. Ähnlich verhält es sich mit dem bereits genannten Beispiel einer spontanen Konvertierung auf einer salafistischen Veranstaltung, der höchstwahrscheinlich selten eine ausgiebige Auseinandersetzung des Konvertierten mit dem islamischen Glauben vorausgeht. Vielmehr scheinen hier soziale Prozesse eine Rolle zu spielen, bei denen wiederum Jugendliche in einem Gruppengefüge gewisse Bedürfnisse erfüllt sehen, die ihnen an anderer Stelle verwehrt wurden.
Im Weiteren sollen nun allgemein genau diese sozialen Prozesse, die für eine Entscheidung zum Eintritt in eine extremistische Szene verantwortlich sein könnten, beschrieben und erläutert werden.
4. Der Kampf um Anerkennung
Die theoretische Grundannahme dieser Arbeit ist, dass der Suche nach Anerkennung eine zentrale Bedeutung im Radikalisierungsprozess zukommt. Weiterhin wird angenommen, dass dies gerade auf jugendliche Personen zutrifft, die sich in kritischen Lebensphasen befinden. An dieser Stelle werden nun die soziologischen Prozesse erläutert, die im Zusammenhang mit der Suche nach Anerkennung stehen.
Damit einher geht auch die Annahme, dass sich Jugendliche, die in ihren gewohnten sozialen Strukturen keine Anerkennung erhalten, die Befriedigung dieses emotionalen Bedürfnisses in einem anderen Umfeld bzw. in Gruppen, z. B. in radikalen und extremistischen Milieus, suchen. Daher werden im weiteren Verlauf die Soziologie der Gruppe bzw. bestimmte Gruppenprozesse sowie die Identitätsstiftung von Personen innerhalb einer Gruppe erläutert. Im darauffolgenden Abschnitt sollen die daraus gewonnenen allgemeinen Erkenntnisse auf das spezielle Phänomen der politischen Radikalisierung transferiert werden.
4.1 Anerkennungstheoretische Prozesse
Die Suche nach Anerkennung kann als menschliches Grundbedürfnis bezeichnet werden. Dies gilt im Prinzip für alle Menschen, egal welchen Alters und welcher Herkunft. Gemeint ist hier die Anerkennung von außen, sprich z.B. durch Familie, Freunde, Lebensgefährten oder den Arbeitgeber. Die Suche nach Anerkennung spielt gerade im Jugendalter eine besondere Rolle. „Die Jugendphase ist die Zeit verstärkter, mehr und mehr reflektierter und eigen-verantworteter Identitätssuche. […] Die Ich-Bildung geschieht durch ein ständiges Sich-Einlassen auf die soziale und kulturelle, die sachliche und räumliche Umwelt – ebenso aber durch die Möglichkeiten und Fähigkeiten, sich auf sich selbst zu besinnen. Dies kann nicht ohne Hilfe und Anleitung geschehen […].“ (Schäfers 1998: 99) Daraus lässt sich folgern, dass Jugendliche auf äußere Einflüsse in Form von Feedback bezogen auf ihr eigenes Handeln zum Zwecke der Identitätsbildung angewiesen sind. Doch was geschieht, wenn ein solches Feedback ausbleibt bzw. sich ausschließlich negativ oder in Extremfällen sogar in Form von Diskriminierungen oder bewussten Gruppenausschluss äußert?
Dazu soll zunächst eine Erläuterung zum Begriff „Anerkennung“ als fundamentaler Bestandteil zwischenmenschlicher Interaktionen erfolgen. Der Sozialphilosoph Axel Honneth hat sich ausgiebig mit den anerkennungstheoretischen Prozessen auseinandergesetzt. Als Grundlage dafür hat er sich in seiner Monographie „Kampf um Anerkennung“ mit dem namensgleichen Denkmodell des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel auseinandergesetzt und den Versuch unternommen, daraus eine normativ gehaltvolle Gesellschaftstheorie zu entwerfen. (vgl. Honneth 2016: 7)
Nach Axel Honneth „sind [es] die moralisch motivierten Kämpfe sozialer Gruppen, ihr kollektiver Versuch, erweiterten Formen der reziproken Anerkennung institutionell und kulturell zur Durchsetzung zu verhelfen, wodurch die normative Veränderung von Gesellschaften praktisch vonstatten geht.“ (Honneth 2016: 149) Die Bedeutung der Suche oder auch der Kampf um Anerkennung beschränkt sich also nicht nur auf das Dasein und die Entwicklung eines Individuums, sondern hat nach Honneth auch unmittelbaren Einfluss auf gesamtgesellschaftliche Prozesse. Dies unterstreicht die enorme Wichtigkeit einer wechselseitigen Anerkennung innerhalb sozialer Gruppen.
Honneth trifft in seinen Ausführungen die Unterscheidung zwischen drei Formen der wechselseitigen Anerkennung. (vgl. Honneth 2016: 151) Dabei handelt es sich um
1. die emotionale Zuwendung, die wir aus Liebesbeziehungen und Freundschaften kennen
2. die rechtliche Anerkennung
3. die solidarische Zustimmung. (vgl. ebd.)
Durch jede dieser drei Stufen soll sowohl die subjektive Autonomie des Einzelnen als auch die positive Beziehung zu sich selbst gesteigert werden. (vgl. ebd.) Die „Liebe“, also die emotionale Zuwendung, stellt demzufolge die erste Stufe der reziproken Anerkennung dar, „weil sich in ihrem Vollzug die Subjekte wechselseitig in ihrer konkreten Bedürfnisnatur bestätigen und damit als bedürftige Wesen anerkennen: in der reziproken Erfahrung liebevoller Zuwendung wissen beide sich darin einig, daß sie in ihrer Bedürftigkeit von jeweils anderen abhängig sind.“ (vgl. Honneth 2016: 153)
Die zweite Stufe in Form der „rechtlichen Anerkennung“ unterscheidet sich in nahezu jeder Hinsicht von der bereits dargestellten ersten Stufe. (vgl. Honneth 2016: 174) Auf dieser Stufe gewinnt ein menschliches Subjekt seine Anerkennung aus folgender Gegebenheit: „[W]eil individuelle Rechte zu besitzen bedeutet, sozial akzeptierte Ansprüche stellen zu können, statten sie das einzelne Subjekt mit der Chance zu einer legitimierten Aktivität aus, anhand derer es sich selber vor Augen führen kann, daß es die Achtung aller anderen genießt.“ (Honneth 2016: 194)
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- Christopher Ursuleack (Author), 2018, Neonazi, Antifa, Salafist. Die Bedeutung der Suche nach Anerkennung im Radikalisierungsprozess, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/463161
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