Die Auswirkungen der psychischen Erkrankung der Eltern auf die psychische Entwicklung der Kinder


Bachelor Thesis, 2018

59 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abstract

1 Einleitung

2 Überblick über psychische Erkrankungen
2.1 Affektive Störungen
2.2 Zwangsstörungen
2.3 Angststörung
2.4 Schizophrenie
2.5 Persönlichkeitsstörungen
2.6 Alkoholabhängigkeit

3 Psychische Grundbedürfnisse von Kindern
3.1 Bindungsbedürfnis
3.2 Orientierung und Kontrolle
3.3 Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung
3.4 Lustgewinn und Unlustvermeidung

4 Belastungen der Kinder
4.1 Wahrnehmung des psychisch kranken Elternteils
4.2 Tabuisierung
4.3 Die Suche nach der Krankheitserklärung
4.4 Gefühlswelt der Kinder
4.5 Parentifizierung
4.6 Stationäre Behandlung

5 Krankheitsbezogene Probleme und Risiken
5.1 Kinder von Eltern mit affektiven Störungen
5.2 Kinder von Eltern mit Schizophrenie
5.3 Kinder von Eltern mit Angststörungen
5.4 Kinder von Eltern mit Zwangsstörung
5.5 Kinder von Eltern mit Persönlichkeitsstörung
5.6 Kinder von Eltern mit Alkoholabhängigkeit

6 Stärkung und Förderung von betroffenen Kindern durch die Kinder- und Jugendhilfe
6.1 Allgemeine Resilienzfaktoren
6.2 Spezifische Resilienzfaktoren
6.3 Förderung der Erfüllung von psychischen Grundbedürfnissen
6.4 Herausforderungen für die Kinder- und Jugendhilfe
6.5 Präventive Angebote

7 Fazit

Literatur

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Häufigkeit der Formen von Zwangserkrankungen bei Erkrankten

Tabelle 1: Anteil der informierten Kinder nach Altersgruppen

Tabelle 3: Alkoholabhängigkeit und Co-Erkrankungen

Tabelle 4: Krankheitsspezifische Risiken

Tabelle 5: Klassifikation von Schutzfaktoren

Abstract

Es wird geschätzt, dass ca. 3 Millionen Kinder im Laufe eines Jahres, ein Elternteil erleben, welcher psychisch krank ist. Die psychischen Erkrankungen wie Depression, Angst- und Zwangsstörung, Schizophrenie oder Persönlichkeitsstörungen verändern den kranken Elternteil in seinem Denken und Verhalten, welcher wiederum Einfluss auf die Kinder hat. Sie erleben einen veränderten Elternteil, welcher sie verwirrt und befremdlich wirkt. Die Tabuisierung der Krankheit in der Familie führt dazu, dass sie sich selbst Schuld für die Erkrankung geben. Die Eltern belasten die Kinder mit einer unangemessenen Verantwortung, was zur Parentifizierung führt. Eine stationäre Behandlung des kranken Elternteils ruft Verlust- und Trennungsängste hervor. Die Kinder leben in einer für sie belastenden Situation, die sich negativ auf ihre psychische Entwicklung auswirkt.

Die Kinder haben ein um ein vielfaches erhöhtes Risiko selbst an einer psychischen Störung zu erkranken. Unter diesen Belastungen, in Verbindung mit krankheitsspezifischen Verhaltensmustern der Eltern, entwickeln sie eine unsichere Bindung, zeigen externalisierte sowie internalisierte Verhaltensauffälligkeiten und ihre sozialen Kompetenzen sind eingeschränkt. Die psychischen Grundbedürfnisse der Kinder können nicht befriedigt werden. Die Resilienzforschung hat schützende Faktoren für die Kinder festgestellt: Unterstützung durch außerfamiliäre Kontakte, gute soziale Kompetenz des Kindes, offener Umgang mit der Erkrankung in der Familie und Psychoedukation für Kinder. Präventive Angebote im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe greifen diese Schutzfaktoren auf, um die Kinder bei der Bewältigung ihrer Lebenssituation zu stärken. In der praktischen Umsetzung der Hilfen, ist eine starke Vernetzung sowie eine gute fachliche Kompetenz aller unterstützenden Akteure notwendig.

Schlüsselwörter: Psychische Erkrankung der Eltern, Belastungen der Kinder mit psychisch kranken Eltern, psychische Grundbedürfnisse der Kinder, Resilienzfaktoren, Prävention durch Kinder- und Jugendhilfe

1 Einleitung

Ich habe versucht, meine Mama von ihren traurigen Gedanken abzulenken, für sie da zu sein, sie fröhlich zu machen […]. Sie hat unverständliche Ängste, zum Beispiel, dass wir aus der Wohnung ausziehen müssten, dass alles kaputtgeht, das sie wertlos ist, dass ihr ganzes Leben zusammenstürzt. Ich habe ihr gesagt: „Du hat doch uns! Wir helfen dir, damit das nicht passiert!“ Aber das hat nichts genutzt. Das Schlimmste war das Gefühl der Hilflosigkeit. Und ich habe mich für sie geschämt, weil sie sich nicht mehr pflegte (Jeanette, 18 Jahre, Tochter psychisch kranker Mutter, Roedenbeck 2016, S. 127)

Eine 18-jährige Tochter erzählt von ihrem Leben mit der psychisch kranken Mutter und eröffnet jedem, der das liest, einen Einblick in ihr Leben. Solche und ähnliche Geschichten erzählen viele Kinder und Jugendliche oder später dann auch erwachsene Personen, die mit einem psychisch kranken Elternteil aufgewachsen sind. Wie viele Kinder so aufwachsen, lässt sich nur schätzen, da bislang die tatsächlichen Zahlen nicht vorliegen. Mattejat (2014) geht von ca. drei Millionen Kindern aus, die im Laufe eines Jahres einen Elternteil mit einer psychischen Erkrankung erleben (vgl. Mattejat 2008, S.75). Gehrmann und Sumargo (2009) schätzen, dass etwa die Hälfte aller Kinder, die im Rahmen der Jugendhilfe unterstützt werden, einen psychisch kranken oder psychisch belasteten Elternteil haben (vgl. Gehrmann/Sumargo 2009, S. 384). Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Sozialarbeiter mit Kindern psychisch kranker Eltern arbeiten wird, ist hoch. Wie das einleitende Zitat zeigt, leben diese Kinder ein etwas anderes Leben und mit diesem anderen Leben beschäftigt sich die vorliegende Arbeit.

Es liegt nahe, dass eine psychische Erkrankung in der Familie zu Veränderungen führt. Im Rahmen dieser Arbeit soll folgende Frage beantwortet werden: Welche Auswirkungen hat die psychische Erkrankung eines Elternteils auf die psychische Entwicklung der Kinder und wie kann die Kinder- und Jugendhilfe zur Stärkung der betroffenen Kinder beitragen?

Um diese Frage zu beantworten, wurde die vorhandene Literatur zum Thema ‚Kinder psychisch kranker Eltern‘ sowie zu angrenzenden Gebieten gesichtet und zentrale Erkenntnisse herausgearbeitet.

Um sich überhaupt mit Kindern psychisch kranker Eltern beschäftigen zu können, sollte eine Vorstellung über psychische Erkrankungen vorhanden sein. Hierzu beinhaltet Kapitel 2 einen Überblick über die Symptomatik und den Verlauf der am häufigsten vorkommenden psychischen Erkrankungen. Dieses Wissen bildet die Grundlage, um später den Einfluss der Erkrankung auf die psychische Entwicklung von Kindern zu verstehen. Wenn man von der psychischen Entwicklung der Kinder spricht, stellt sich die Frage, was sie brauchen, um sich psychisch gesund zu entwickeln, und welche Grundbedürfnisse sie haben, die erfüllt werden müssen. Diesen Fragen wird in Kapitel 3 nachgegangen. Kapitel 4 beschäftigt sich mit den Belastungen im Alltag, die die Kinder aufgrund der Krankheit erfahren, und schafft eine Verbindung zu den psychischen Bedürfnissen. So lässt sich der Einfluss auf die psychische Entwicklung etwas präzisieren. Nachdem die Belastungen herausgearbeitet wurden, wird in Kapitel 5 darauf eingegangen, wie die Belastungen in Verbindung mit konkreten psychischen Erkrankungen wirken und zu welchen Risiken die krankheitsspezifische Symptomatik führt. In Kapitel 6 wird dargelegt, ob für die Kinder Faktoren vorliegen, die sie vor den Auswirkungen und Risiken schützen, und inwieweit die Kinder- und Jugendhilfe davon ihre Aufgaben sowie Herausforderungen ableiten und konkrete Handlungen umsetzen kann, um die Kinder zu stärken und zu fördern. Zum Abschluss dieser Arbeit werden in Kapitel 7 die zentralen Erkenntnisse zusammengefasst.

2 Überblick über psychische Erkrankungen

Psychische Störungen treten in vielfältigen Erscheinungsformen auf. Um sich ein Bild von Symptomen und Verläufen zu machen, die Kinder psychisch kranker Eltern in ihrem gemeinsamen Leben mit dem kranken Elternteil erleben, werden im Folgenden die häufigsten psychischen Störungen dargelegt. Das Robert-Koch-Institut in Berlin erhob die Zwölfmonatsprävalenz von psychischen Störungen der deutschen Bevölkerung. Hier finden sich unter anderem folgende Störungsbilder: unipolare Depression sowie bipolare Störung, Zwangs- und Angststörungen, psychotische Störungen und Alkoholstörung (vgl. Jachertz 2013, S. 61). Diese Erkrankungen findet man auch in den Erhebungen von Grube/Dorn (2007) zu der Rate der Elternschaft bei psychisch Kranken. Somit sind etwa 70 Prozent der an affektiven Störungen Erkrankten, 47 Prozent der an Schizophrenie Erkrankten und 44 Prozent der Patienten und Patientinnen mit einer Persönlichkeits- oder neurotischen Störung Eltern (vgl. Lenz/Wiegand-Grefe 2017, S. 3). Somit hat man hier mit psychischen Krankheiten zu tun, die genauso oft in der Allgemeinbevölkerung wie bei den Eltern vorkommen.

2.1 Affektive Störungen

Affektive Störungen werden in zwei Arten eingeteilt: unipolar und bipolar. Bei unipolarem Verlauf treten entweder depressive oder manische Episoden auf, bei bipolarem Verlauf wechseln sich diese Episoden ab. Die am häufigsten auftretende affektive Erkrankung ist die Depression (vgl. Lieb et al. 2012, S. 147f.). Bei der Depression handelt es sich um eine

[…] Veränderung, die vom gesunden Erleben so fundamental verschieden ist, dass […] [die] wissenschaftliche Terminologie hierfür kaum treffende Formulierungen findet. […] Selbst der Betroffene kann sich nach überstandener depressiver Episode kaum mehr diesen Zustand vorstellen. (Tölle/Windgassen 2014, S. 234)

Die Erkrankten haben eine niedergeschlagene Stimmung und können keine Freude empfinden. Sie fühlen sich unfähig, Sympathiegefühle, Liebe und Zuneigung für andere zu empfinden, somit auch nicht für ihre eigenen Kinder, Ehepartner oder Eltern. Der Antrieb ist stark gehemmt. Sie grübeln und die Gedanken beziehen sich nur auf wenige Themen.

Eine Unterhaltung gestaltet sich schwierig, da sie diese nur unter größter Anstrengung führen können. Dabei verhalten sie sich weinerlich, sind schnell reizbar und unterliegen Tagesschwankungen. Hinzu kommen Konzentrationsschwäche, Verlangsamung im formalen Denken und Schlafstörungen. Viele leiden zusätzlich unter Angstsymptomen, vor allem in Bezug auf die Zukunft ihrer Familie. Bei 82 Prozent der Patienten treten Suizidgedanken auf, den Tod als Lösung wählen zwei bis acht Prozent dieser Gruppe (vgl. Lieb et al. 2012, S. 152f.). Der Suizid ist die häufigste Todesursache bei Depressionen. Tölle und Windgassen sprechen von mindestens zehn bis 15 Prozent bei einer vorliegenden schweren Depression (vgl. Tölle/Windgassen 2014, S. 245).

Die depressiven Episoden dauern von drei Monaten bis zu einem Jahr. Wenn sie länger als zwei Jahre anhalten, diagnostiziert man eine chronische Depression. Nach kurzen Episoden können die meisten Erkrankten ihr Leben normal fortführen. Nach langen Episoden gestaltet sich die Rückkehr zur Normalität eher schwierig (vgl. Tölle/Windgassen 2014, S. 247).

Die Behandlung der Depression sieht bei schweren Episoden eine Pharmakotherapie vor, während bei leichten Episoden zunächst abgewartet wird. Dazu sollte eine Psychotherapie stattfinden (vgl. Lieb et al. 2012, S. 167). Dabei kommt einer Psychoedukation eine besondere Rolle zu, die das Ziel hat, dass sich der Patient den selbstkompetenten Umgang mit der Erkrankung aneignet. Psychoedukative Gruppen werden auch für Familienangehörige, insbesondere Partner, angeboten, da diese sehr stark betroffen sind. In solchen Gruppen finden die Familienangehörigen emotionale Entlastung und Hilfestellung im Umgang mit den Erkrankten. Lieb et al. (2012, S. 171) weisen darauf hin, dass etwa 40 Prozent der Angehörigen therapeutische Hilfe benötigen.

Im Kontext der Kinder psychisch erkrankter Eltern soll noch explizit die postnatale Depression erwähnt werden, unter der ca. zehn bis 15 Prozent der gebärenden Frauen in Deutschland in den ersten sechs Monaten nach der Geburt leiden (vgl. Stiftung Deutsche Depressionshilfe, 2018). Diese Erkrankung wirkt sich auf die kleinsten Kinder in einem sehr sensiblen Lebensabschnitt aus und kann sich schnell zu einer lebensbedrohlichen Situation für die Babys entwickeln, wenn diese nicht entsprechend versorgt werden.

Bei bipolaren Störungen folgt nach einer depressiven Phase eine Manie. Manie ist eine übertriebene gehobene Stimmung einhergehend mit starker Selbstüberschätzung und Antriebssteigerung. Die Erkrankten empfinden sich als besonders leistungsfähig, haben einen sehr kreativen Einfallsreichtum, der komplett unrealistisch ist. Dieser Zustand führt dazu, dass sie sich vollständig enthemmt und distanzlos verhalten. Sie sind euphorisch und zeigen keine Krankheitseinsicht, wodurch ausgeprägte familiäre Konflikte entstehen. Die Krankheitsuneinsichtigkeit macht in manchen Fällen eine Zwangsbehandlung oder Zwangseinweisung notwendig (vgl. Möller et al. 2013, S. 104f.).

Die Pharmakotherapie bei manisch Erkrankten bietet gute Möglichkeiten, aber es gestaltet sich meist schwierig, da den Menschen die Krankheitseinsicht fehlt und sie somit die medikamentöse Therapie oft ablehnen. Plattner (2017) drückt diese Tatsache wie folgt aus: „Die Manie bringt es gerade mit sich, dass der Elternteil sich gesund und ‚bärenstark‘ fühlt und so der Überzeugung ist, keine Medikamente mehr zu brauchen.“ (Plattner 2017, S. 41)

2.2 Zwangsstörungen

Bei Zwangsstörungen wird unterschieden zwischen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Zwangsgedanken sind Gedanken, die sich aufdrängen, sich wiederholen und durch den Kranken nicht zu kontrollieren sind. Bei Zwangshandlungen fühlt sich der Betroffene gezwungen, spezifische Handlungen auszuführen, obwohl diese als sinnlos empfunden werden. Wenn diese Handlungen nicht ausgeführt werden, kommt es zu starken inneren Anspannungen und Angstgefühlen. Durch das Durchführen der Handlung wird die innere Spannung reduziert, jedoch hält dieser Effekt nur kurz an und die Handlung muss wiederholt werden. Daraus entwickeln sich oft komplexe Ritualabläufe, die den Tagesablauf stark beeinflussen können (vgl. Möller et al. 2013, S. 149). Nach Bebbington (1998) beträgt die Lebenszeitprävalenz bei Zwangserkrankungen ca. zwei bis 2,5 Prozent (vgl. Stengler 2008, S. 285).

Die Familienangehörigen werden oft in die zwanghafte Handlung mit einbezogen. So müssen z. B. Kinder einer Mutter mit Reinigungszwang die getragene Kleidung bereits vor dem Betreten des Hauses ausziehen, duschen gehen und die von der

Erkrankten vorbereitete Kleidung anziehen, um die Kontamination des Wohnbereichs auszuschließen (vgl. Stengler 2008, S. 249). Somit ist in der Therapie die Arbeit mit Angehörigen von großer Bedeutung, da auch diese stark belastet sind. Psychoedukation bringt in der Regel eine erste Entlastung (vgl. Lieb et al. 2012, S. 255).

Tabelle 2: Häufigkeit der Formen von Zwangserkrankungen bei Erkrankten (vgl. Möller et al. 2013, S. 149)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die häufigsten Zwangsstörungen sind Kontrollzwang und Waschzwang. Bei fast 50 Prozent der Betroffenen treten gemischte Formen der Handlungen auf, wie Tabelle 1 zu entnehmen ist. Viele Betroffene leiden zusätzlich an einer weiteren psychischen Erkrankung (vgl. Lieb et al. 2012, S. 250).

2.3 Angststörung

Im Gegensatz zur Prävalenz bei Zwangsstörungen, die doch immer noch sehr niedrig ist, beträgt die Prävalenz auf Lebenszeit bei Angststörungen 15 Prozent (vgl. Möller et al. 2013, S. 128). Pathologische Angst hat die gleiche Qualität wie reale Angst, tritt jedoch in Situationen auf, die keine reale Gefahr darstellen, z. B. beim Busfahren. Den Erkrankten ist diese ‚Überreaktion‘ kognitiv klar, sie fühlen sich jedoch der Angst komplett ausgeliefert. Ein Ohnmachtsgefühl entsteht. Zu den Angststörungen gehören unterschiedliche Formen der Phobien sowie Panikstörungen und generalisierte Angststörungen. Die beiden letzten haben starke Auswirkungen auf die Beziehungsgestaltung sowie den Tagesablauf. Betroffene haben ein niedriges Selbstwertgefühl, ergreifen oft den sozialen Rückzug und sind auf Hilfe von anderen angewiesen.

Genauso wie bei Zwangsstörungen ist bei Angststörungen die Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen hoch. Von den ersten Symptomen bis zur Diagnose vergehen bis zu 15 Jahre, was eine Chronifizierung stark begünstigt (vgl. Lieb et al. 2012, S. 232f.).

2.4 Schizophrenie

Schizophrenie gehört zu den psychotischen Störungen, bei denen zeitweise der Bezug zur Realität durch Wahn und Halluzinationen stark beeinträchtigt ist. Die Erkrankten hören Stimmen, oft mit kommentierendem oder befehlendem Charakter. Es treten auch optische und taktile Halluzinationen auf. Die Erkrankten fühlen sich verfolgt (Verfolgungswahn), halten sich für religiös Auserwählte (religiöser Wahn) oder erleben einen Beziehungswahn, z. B. der Fernsehsprecher vermittelt ihnen geheime Nachrichten (vgl. Renneberg et al. 2009, S. 67–71). Für Menschen, die mit solch erkrankten Personen zusammenleben, kann das eine akute Gefahr darstellen, wenn z. B. eigene Kinder im Wahn als bedrohlich erlebt werden. Im Gegensatz zum allgegenwärtigen Wahn treten Halluzinationen meist nur in den akuten Phasen auf (vgl. Plattner 2017, S. 64). Formale Denkstörungen wie z. B. Gedankenabriss oder Gedankeneingebung, gehören mit Halluzination und Wahn zu den sogenannten Positivsymptomen, die gut auf Antipsychotika ansprechen und somit gut therapierbar sind (vgl. Lieb et al. 2012, S. 179ff.). Im Vergleich dazu sind die Negativsymptome nur bedingt durch Medikamente zu beeinflussen. Dazu zählen Affektabflachung (Gefühlsleere und Gleichgültigkeit) sowie eine Verarmung in der Sprache, der Mimik und der Gestik. Die Unfähigkeit, Lust und Freude zu empfinden, bedingt weniger Interesse an Aktivitäten und wenig Kontakt zu Freunden und Angehörigen (vgl. Lieb et al. 2012, S. 181).

Der Verlauf der Schizophrenie ist sehr unterschiedlich. Etwa 60 bis 80 Prozent der Patienten erleben ein Rezidiv innerhalb der ersten zwei Jahre nach der erstmaligen Behandlung in einer Klinik (vgl. Lieb et al. 2012, S. 185). Die akute Phase kann von einer vollständigen Genesung abgelöst werden oder sich in einen Zustand mit Restsymptomen (oft negative Symptomatik) verwandeln (vgl. Plattner 2017, S. 64).

Frauen erkranken an Schizophrenie häufig schon mit Ende 20. Viele dieser Frauen sind zu diesem Zeitpunkt bereits Mutter (vgl. Schwartländer 2004, S. 335).

Lenz et al. (2011) haben in ihrer Studie ‚Schizophrenie und Elternschaft‘ mit 370 stationär behandelten Patienten erhoben, dass unter allen Patienten der Anteil der Mütter bei 43 Prozent liegt, der der Väter lediglich bei 15 Prozent. 41 Prozent der Eltern lebten mit ihren Kindern in einem Haushalt zusammen, mehr als die Hälfte der Patienten (56 Prozent) von ihren Kindern getrennt (vgl. Lenz 2014, S. 63). Das heißt, Kinder leben öfter mit einer erkrankten Mutter als mit einem erkrankten Vater zusammen und fast jedes zweite Kind lebt nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit dem erkrankten Elternteil.

Das bestätigt auch die Erhebung von Grube und Dorn (2007), die eine Untersuchung zur Elternschaft bei psychisch Erkrankten in Frankfurt durchführten. Hier wurden neben den Patienten aus der stationären Behandlung auch Patienten in ambulanter Behandlung und Tageskliniken befragt. Demnach leben in 55 Prozent der Fälle Kinder mit einem psychisch kranken Elternteil im gleichen Haushalt (vgl. Grube/Dorn 2007, S. 69).

2.5 Persönlichkeitsstörungen

Von einer Persönlichkeitsstörung wird gesprochen, wenn bestimmte Merkmale einer Persönlichkeit besonders stark ausgeprägt und dominant sind und zugleich die Personen unter der Symptomatik leiden (vgl. Tölle/Windgassen 2014, S. 107).

Nach Möller et al. (2013, S. 380) haben Persönlichkeitsstörungen in der Allgemeinbevölkerung eine Prävalenzrate von elf Prozent.

Besonders häufig kommt die Borderline-Persönlichkeitsstörung vor, deren Hauptmerkmale sich auf eine Störung der Affektregulation, Impulsivität und Instabilität der Ich-Identität beziehen (vgl. Lieb et al. 2012, S. 304). Die Erkrankten zeigen sich in Beziehungen wenig stabil, jedoch sehr intensiv. Sie leben ständig mit der Angst, verlassen zu werden, wodurch sie versuchen, die Beziehung unter Kontrolle zu halten, und manipulativ agieren. Sie haben ein instabiles Selbstbild und schwanken zwischen Idealisierung und Abwertung des Gegenübers. Die Erkrankten leiden unter heftigen Stimmungsschwankungen. Bei innerer Anspannung kommt es oft zum selbstverletzenden Verhalten (vgl. Tölle/Windgassen 2014, S. 112). Etwa 85 Prozent der Erkrankten schneiden sich, verbrennen sich z. B. mit Zigaretten oder verätzen sich mit chemischen Mitteln (vgl. Bohus/Schmahl 2006, S. 3345).

Viele sind suizidal, sprechen Suiziddrohungen aus oder nehmen Suizidversuchen vor (vgl. Tölle/Windgassen 2014, S. 113). Die Suizidrate ist mit acht bis zehn Prozent als hoch einzustufen (vgl. Lieb at al. 2012, S. 304, 307). 80 Prozent berichten über einen oder mehrere Versuche, sich bewusst das Leben zu nehmen (vgl. Bohus/Schmahl 2006, S. 3345).

Die Erkrankung fängt oft bereits zwischen dem 13. und 17. Lebensjahr in der Pubertät an, erreicht mit Mitte 20 meist ihre höchste Symptomatik und schwächt im Laufe des Lebens wieder ab (vgl. Lieb at al. 2012, S. 306). Somit fällt die am stärksten ausgeprägte Krankheitsphase in die Lebenszeit, in der viele Erwachsene eine Familie gründen und Kinder bekommen.

Die Behandlung mit Psychopharmaka wird als unterstützend angesehen. Psychotherapeutische Verfahren stehen im Vordergrund der Therapie. Hierfür muss der Erkrankte jedoch eine eigene entsprechende innere Motivation mitbringen, um sein eigenes Verhalten ehrlich betrachten und wahrnehmen zu können, um daraus Veränderungen für sich selbst ableiten und umsetzen zu können. Insgesamt ist das oft sehr schwer zu erreichen, da viele Emotionen den Menschen plötzlich beherrschen und die Erkrankten zu irrationalen Gedanken und Verhaltensweisen veranlassen. Die Angehörigen sehen sich oft hilflos, dass sie den Erkrankten oftmals zu therapeutischen Maßnahmen zwingen (vgl. Möller et al. 2013, S. 397).

2.6 Alkoholabhängigkeit

Von einer Abhängigkeitserkrankung spricht man, wenn ein starkes Verlangen nach einer Substanz vorliegt, die mit Kontrollverlust, körperlichen Entzugssymptomen, Toleranzentwicklung und Fortsetzung des Konsums trotz schädlicher Konsequenzen verbunden ist (vgl. Lieb et al. 2012, S. 204). Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu wiederkehrenden Substanzaufnahmen, die sich zu einer Gewöhnung entwickeln, oft verbunden mit der Ausbildung von speziellen Ritualen. Es wird am Abend vor dem Fernseher Wein und Bier getrunken, um zu entspannen. Der ggf. rein subjektive Wirkungsgrad verhält sich diskontinuierlich zur Dosierung. Es entsteht eine psychische und physische Abhängigkeit (vgl. Tölle/Windgassen 2014, S. 141).

Bei Alkoholabhängigkeit kommt es immer wieder zu Rauschzuständen mit Erinnerungslücken, zu heimlichen Trinkaktionen und einer Vernachlässigung der sozialen Kontakte bis hin zu deren komplettem Abbruch. Der Alltag wird durch die Substanz strukturiert und kontrolliert (Alkoholbeschaffung und Konsum), was kontraproduktiv zu einem Gefühl der Sicherheit führt. Symptomerschwerend kommt hinzu, dass sich auf lange Sicht Angstzustände und nicht zu verbergende organische Schäden durch berauschende Substanzen einstellen.

Die Prognose der Abhängigkeitserkrankung ist nicht günstig. Die Rückfallquote bei Alkoholsucht beträgt nach fünf Jahren immer noch 50 bis 80 Prozent (vgl. Buchner 2014, S. 207). Die Therapie besteht aus einer Entgiftungsphase sowie einem Prozess, in dem die Verhaltensänderung erlernt wird. Die ambulante Nachsorge ist dabei einer der bedeutendsten Schritte in der Therapie.

Da die ganze Familie von der Suchterkrankung betroffen ist, sind gezielte Präventionsprogramme und die spezielle therapeutische Unterstützung der in dem Haushalt lebenden Kinder von großer Bedeutung (vgl. Plattner 2017, S. 77). Während der aktiven Phase des Substanzmissbrauchs ist die Erziehungsfähigkeit der Eltern als eingeschränkt und im akuten Rausch als aufgehoben und gefährdend zu bewerten (vgl. Plattner 2017, S. 78).

Abschließend zu den psychischen Erkrankungen lässt sich sagen, dass diese sehr unterschiedliche Symptome und Verläufe aufweisen, jedoch alle Erkrankungen nach einer bestimmten Zeit in einen chronifizierten Zustand übergehen können. Folgend können die Kinder der kranken Eltern über sehr lange Zeit durch die Krankheit beeinflusst werden. Auch in den Behandlungsmöglichkeiten gibt es große Unterschiede. Während Depression und Schizophrenie gut behandelt werden können, ist eine Persönlichkeitsstörung oder eine Alkoholabhängigkeit schwer zu therapieren.

Durch die vielfältigen Symptome sind die Erkrankten teilweise in der Lebensführung schwer beeinträchtigt und ggf. auch auf die Hilfe anderer angewiesen. Ein psychisch kranker Vater/eine psychisch kranke Mutter verändert die Familie, da die psychische Erkrankung das Wesen und das Verhalten der Person beeinflusst und somit die Dynamik und Handlung zwischen den Kranken und den anderen Personen. Es ist bedeutsam, unterscheiden zu können, ob die Veränderung krankheitsbedingt ist oder einfach ein gewolltes Verhalten einer erwachsenen Person.

So können viele Missverständnisse, sowohl in der Familie als auch im sozialen Umfeld, vermieden werden, wenn der Betroffene auf einmal unnatürlich und nicht situationsadäquat agiert. Bei solchen Veränderungen ist es entscheidend, eine mögliche Vorstellung beim Arzt in Erwägung zu ziehen, um die Schwere der Symptome zu minimalisieren und schnell eine entsprechende Behandlung einzuleiten, da dann die Wahrscheinlichkeit einer Genesung höher ist. Somit sind Grundkenntnisse über psychische Erkrankungen eine Grundvoraussetzung, wenn im Kontext der Sozialen Arbeit mit psychisch Kranken sowie deren Angehörigen gearbeitet wird. Auf diesen Grundkenntnissen aufbauend kann sich ein Zugang zu der betroffenen Familie und deren Lebenswelt einfacher gestalten und optimaler verlaufen.

3 Psychische Grundbedürfnisse von Kindern

Psychische Erkrankungen verändern, wie in Kapitel 1 dargestellt, das Verhalten und Wesen des Menschen. Der veränderte kranke Vater/die veränderte kranke Mutter wirkt sich wiederum auf die Familie, insbesondere Kinder, aus. Wenn davon ausgegangen wird, dass diese Wirkung der Erkrankung die psychische Entwicklung der Kinder beeinflusst, stellt sich zuerst die Frage, welche psychischen Bedürfnisse Kinder haben und was sie brauchen, um sich psychisch gesund zu entwickeln. Um diese Fragen zu beantworten, werden in diesem Kapitel die psychischen Grundbedürfnisse von Kindern thematisiert.

Wenn es um die Benennung der Grundbedürfnisse eines Kindes geht, lehnt sich die Soziale Arbeit am häufigsten an dem weitverbreiteten Modell der ‚Bedürfnispyramide‘ von Maslow (1954) an. In diesem Modell sind die Bedürfnisse hierarchisch angeordnet. Das heißt, sie müssen der Reihe nach befriedigt werden, damit die nächste Bedürfnisstufe erreicht werden kann. Dieses Modell ist empirisch jedoch nicht untermauert. Im Gegensatz dazu wird das Modell der psychischen Grundbedürfnisse nach Grawe durch empirische Befunde (darunter auch neurobiologische Untersuchungen) weitgehend gestützt. Durch den aktuellen Erkenntnisstand in der Psychologie lässt sich behaupten, dass vier Grundbedürfnisse vorherrschend sind: 1) Bindung, 2) Selbstwertschutz/Selbstwerterhöhung, 3) Orientierung/Kontrolle und 4) Lust/Unlustvermeidung (vgl. Borg-Laufs/Dittrich 2010, S. 7f.). Somit wird in dieser Arbeit auf das Modell von Grawe Bezug genommen.

3.1 Bindungsbedürfnis

Das Bindungsbedürfnis ist heute das am besten empirisch abgesicherte Grundbedürfnis (vgl. Grawe 2004, S. 192). Bindung ist ein zentrales Bedürfnis jeder Person nach Liebe und Zuneigung und wird vor allem in der frühen Kindheit geprägt. Ainsworth untersuchte in Anlehnung an die Bindungstheorie von Bowlby (1976), wie Kinder auf die Trennung von ihrer Bezugsperson reagieren.

Dabei wurde ihre Reaktion in vier Mustern kategorisiert: 1) sichere Bindung, 2) unsichere Bindung mit vermeidendem Beziehungsverhalten, 3) unsichere Bindung mit ambivalentem Beziehungsverhalten, 4) unsichere Bindung mit desorganisiertem Beziehungsverhalten. Welche Bindung ein Kind entwickelt, hängt von der primären Bezugsperson ab. Wenn diese sich einfühlsam zeigt, die Signale des Kindes erkennt und immer verfügbar ist, hat das Kind das Gefühl der Sicherheit, erhält genug Nähe, erfährt Trost und bildet eine sichere Bindung. Wenn diese Bezugsperson aber nicht zuverlässig erreichbar ist und sich nicht feinfühlig verhält, entwickelt das Kind eine unsichere Bindung (vgl. Grawe 2004, S. 193). Zahlreiche Studien zeigen, dass die Unterschiede zwischen Kindern mit sicherer und unsicherer Bindung immer zugunsten der Kinder mit sicherer Bindung ausfallen (vgl. Grawe 2004, S. 207).

3.2 Orientierung und Kontrolle

Nach Epstein (1990) lebt jedes Individuum in einer Realität, die es sich durch die eigene Wahrnehmung und reale Erfahrungen konstruiert hat. Dieses Abbild der Realität, die jeder in sich trägt, hilft dem Menschen in der Regel, Orientierung und Kontrolle im Leben zu haben und sich so als selbstwirksam zu erfahren und eigene Ziele zu verfolgen und zu erreichen (vgl. Grawe 2004, S. 230). So z. B. ist ein fester Tagesablauf für ein Kind, das noch keine Zeit ablesen kann, ein Modell, an dem es sich orientiert und das es für sein psychisches Wohlergeben kontrollieren kann. Sonst würde das Kind überhaupt nicht wissen, was gerade um es herum und somit auch mit ihm passiert, und wäre mit der Situation überfordert. Dies bedeutet, dass für das Kind eine Überforderung auch Kontrollverlust bedeutet. Grawe betont, dass ein solcher Zustand ohne Orientierung und Kontrolle unerträglich sein kann (vgl. Grawe 2004, S. 233).

Je nach Lebenserfahrung, die vor allem in der frühen Kindheit gemacht wird, entwickelt der Mensch eine Grundüberzeugung, ob Voraussehbarkeit und Kontrolle möglich sind oder ob alles unkontrolliert und orientierungslos verläuft und durch eigenes Engagieren nichts bewirkt werden kann (vgl. Grawe 2004, S. 231). So werden Menschen, deren Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung nicht befriedigt wird, sich kaum für eigene Ziele oder Bedürfnisse einsetzen und sich in ihrer Existenz eher nicht als wirksam und kontrolliert empfinden.

3.3 Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung

Das Streben nach Überwindung eines Minderwertigkeitsgefühls hat bereits Alfred Adler (1920, 1927) als bedeutende Motivation des Menschen postuliert (vgl. Grawe 2004, S. 250). Jede Person möchte sich selbst als wertgeschätzt erleben und strebt deshalb an, eine möglichst große Akzeptanz sich gegenüber zu entwickeln. Menschen sind soziale Wesen, die in sozialen Gruppen leben, dort einen eigenen Platz haben wollen und sich selbst in diesem Kontext sehen. Hier erhalten sie eine Rückmeldung, wer sie sind, und entwickeln im besten Fall ein selbstschätzendes Selbstbild. Grawe (2004) macht deutlich, dass dieses Selbstbild „[…] zu einem wesentlichen Teil das Ergebnis sprachlicher Kommunikation und selbstreflexiver Prozesse [ist]“ (Grawe 2004, S. 250). Genau diese sprachliche Rückmeldung ist für jüngere Kinder besonders wichtig, da sie erst im späten Kindergartenalter in der Lage sind, sich selbst zu reflektieren. Somit ist die Rückmeldung von den Bezugspersonen ausschlaggebend für die Befriedigung des Bedürfnisses. In den späteren Jahren, so Berk (2011), sind Ereignisse wie Schulübertritt oder Sportvereine für die Entwicklung des Selbstwertes entscheidend, da die Kinder hier zusätzlich ein Feedback bekommen (vgl. Schär/Steinebach 2015, S. 30).

3.4 Lustgewinn und Unlustvermeidung

Jeder Mensch bewertet Situationen, in denen er sich befindet (z. B. wie war der Arztbesuch? Wie verlief das Essen mit der Familie?), sowie die eigenen Wahrnehmungen (Hat es geschmeckt? Hat die gehörte Musik gefallen?). Grawe (2004) konstatiert, dass diese Bewertung automatisch erfolgt und nicht nur auf lustvollen körperlichen Erfahrungen basiert, sondern auch davon abhängt, ob etwas als positiv oder negativ erlebt wird (vgl. Grawe 2004, S. 265). Anhand dieser Bewertung wird danach gestrebt, schlechte Erlebnisse oder Wahrnehmungen möglichst zu vermeiden und die guten möglichst wiederholen zu können. Nach Grawe (2004) spielen hierbei aber auch die anderen Grundbedürfnisse eine Rolle. Wird in einer Situation das Bindungsbedürfnis nicht befriedigt, wird diese höchstwahrscheinlich als schlecht eingeschätzt (z. B. ein Kind weint und wird von der Mutter nicht getröstet) (vgl. Grawe 2004, S. 265). Hier könnte es passieren, dass es das Kind aufgrund der schlechten Erfahrungen zukünftig vermeiden wird, weinend zur Mutter zu gehen.

Einerseits schützt die Unlustvermeidung vor einer Enttäuschung, blockiert aber andererseits auch die Möglichkeit der Befriedigung des Bindungsbedürfnisses.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Befriedigung der psychischen Grundbedürfnisse essentiell für eine gesunde psychische Entwicklung ist. Während die Grundbedürfnisse im Säuglingsalter eng zusammenhängen, können sie mit fortschreitendem Alter zunehmend auch einzeln befriedigt werden. Die Bedürfnisse können Kinder (weniger als Erwachsene) jedoch nicht selbstständig stillen, sondern brauchen eine entsprechende Umwelt. Daraus folgend ist die Anwesenheit einer primären feinfühligen Bezugsperson notwendig, um dem Bindungsbedürfnis nachzugehen. Das soziale Umfeld ist erforderlich, um die Kinder beim Aufbau eines stabilen Selbstwertgefühls zu unterstützen. Auch das Bedürfnis der Kontrolle und Orientierung wird durch ein gesichertes, stabiles und wiederkehrendes Verhalten der Erwachsenen zufriedengestellt. Somit ist der familiäre Umgang mitentscheidend, wie Kinder sich psychisch entwickeln. Da die Familie von Kindern, deren Mutter oder Vater an einer psychischen Erkrankung leidet, in sich (bedingt durch die Krankheit) verändert agiert, kann man davon ausgehen, dass – vor dem Hintergrund der psychischen Grundbedürfnisse – die Bedingungen für die psychische Entwicklung der Kinder ebenfalls verändert sind. Somit beleuchtet das folgende Kapitel, welche veränderten Bedingungen und Belastungen aufgrund der psychischen Störung eines Elternteils für die Kinder entstehen.

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Title
Die Auswirkungen der psychischen Erkrankung der Eltern auf die psychische Entwicklung der Kinder
College
University of Applied Sciences Koblenz
Grade
1,7
Author
Year
2018
Pages
59
Catalog Number
V463363
ISBN (eBook)
9783668924826
ISBN (Book)
9783668924833
Language
German
Keywords
auswirkungen, erkrankung, eltern, entwicklung, kinder
Quote paper
Agnes Hecker (Author), 2018, Die Auswirkungen der psychischen Erkrankung der Eltern auf die psychische Entwicklung der Kinder, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/463363

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Title: Die Auswirkungen der psychischen Erkrankung der Eltern auf die psychische Entwicklung der Kinder



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