Friedrich Hebbels „Sommerlied“ (an anderen Stellen erscheint es mit dem Titel „Sommerbild“) ist alles andere als eine Hymne auf die warme Jahreszeit. Der Zwei-Mal-Vierzeiler über die rote Rose, die unterm Schlag eines Schmetterlingsflügels verblüht, ist ein Symbol für den unaufhaltsamen Gang, den das Leben stetig dem Tod entgegen nimmt. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, braucht es kein Hintersinnen, denn der Dichter spricht uns ganz offen an, legt seinem lyrischen Ich die Deutung in einer Selbstansprache in den Mund: „So weit im Leben ist zu nah am Tod.“
Doch der zitierte Satz ist keine Moral von der Geschicht'. Er fällt nicht am Ende, sondern auf der Hälfte der kleinen Geschichte, wirkt also prophetisch. Am Ende stimmt er, die Rose kann nicht widerstehen. Wenn die Selbstansprache des lyrischen Ichs alle Bedeutung wäre, bedürfte es der übrigen Zeilen nicht, dann hätte Hebbel das „Sommerlied“ als Einzeiler geschrieben. Objektiv, das mag wahr sein, entspricht die Aussage einem fatalistischen „Irgendwann müssen alle mal sterben“. Doch das entspricht in Nichts der Empfindung, die das „Sommerlied“ trotz aller Verallgemeinerung hervorruft. Die Empfindung bleibt etwas Subjektives.
Hebbel beweist in diesem Gedicht die Fähigkeit, etwas Kleines zu schildern, als sei es etwas Großes. Letztendlich macht er es im selben Zuge zu etwas Großen. Ich möchte die im Gedicht verwendete Sprache untersuchen, um einerseits zu verstehen, wie diese Wirkung zustande kommt, aber auch, um die subjektive Wirkung durch die Analyse zu verstärken. Die verwendeten Symbole scheinen auf den ersten Blick in ihrer Bedeutung einzuleuchten. Häufig offenbart die intensivierte Betrachtung jedoch Details, die ansonsten verborgen bleiben. Ich unterstelle dem „Sommerlied“, ein vollständiges Symbolgedicht zu sein und werde alle im Gedicht verwendeten Symbole einer zusammenhängenden Deutung unterziehen. In der Vorgehensweise orientiere ich mich an Jürgen Links strukturalistischem Symbolbegriff. Aufgrund der gedanklichen Subjektivität, die Hebbels Dichtung dominiert, kündet zwischen den Zeilen des Gedichts etwas vom Charakter des Dichters. Im letzten Teil meiner Arbeit möchte ich ausgewählte Aspekte meiner Interpretation daraufhin überprüfen, inwiefern sie der Gesinnung Friedrich Hebbels entsprechen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Analyse
2.1 Inhalt
2.2 Formale Aspekte
2.3 Semantische Felder
3. Das Sommerlied als Symbol
3.1 Zur Vorgehensweise
3.2 Analyse und Interpretation der Symbole
4. Zur Person des Dichters
4.1 Hebbel und Gott
4.2 Hebbel und der Tod
5. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Friedrich Hebbels „Sommerlied“ (an anderen Stellen erscheint es mit dem Titel „Sommerbild“) ist alles andere als eine Hymne auf die warme Jahreszeit. Der Zwei-Mal-Vierzeiler über die rote Rose, die unterm Schlag eines Schmetterlingsflügels verblüht, ist ein Symbol für den unaufhaltsamen Gang, den das Leben stetig dem Tod entgegen nimmt. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, braucht es kein Hintersinnen, denn der Dichter spricht uns ganz offen an, legt seinem lyrischen Ich die Deutung in einer Selbstansprache in den Mund: „So weit im Leben ist zu nah am Tod.“
Doch der zitierte Satz ist keine Moral von der Geschicht´. Er fällt nicht am Ende, sondern auf der Hälfte der kleinen Geschichte, wirkt also prophetisch. Am Ende stimmt er, die Rose kann nicht widerstehen. Dabei sind die Umstände ihres Verwelkens all zu offensichtlich symbolhaft. Nachdem Hebbel einen Schlüssel an die Hand gibt, scheint die Ausdeutung der Symbole nicht weiter schwer. Es stellt sich die Frage: Ist das Sommerlied überhaupt einer Interpretation wert, wenn sie dieselbe doch eigentlich schon vorwegnimmt?
Meiner Meinung nach schon. Wenn die Selbstansprache des lyrischen Ichs alle Bedeutung wäre, bedürfte es der übrigen Zeilen nicht, dann hätte Hebbel das „Sommerlied“ als Einzeiler geschrieben. Objektiv, das mag wahr sein, entspricht die Aussage einem fatalistischen „Irgendwann müssen alle mal sterben“. Doch das entspricht in Nichts der Empfindung, die das „Sommerlied“ trotz aller Verallgemeinerung hervorruft. Die Empfindung bleibt etwas Subjektives.
Der Ausgangspunkt der lyrischen Dichtung – wie Hebbel sie hier auffaßt – ist die Vereinzelung des Menschen; die Aussage des subjektiven Ichs hat die Bindung an das Ich oder (und) an das Du auch beim Überschreiten des Individuellen in Richtung auf das Allgemeine nur individuelle, d.h. eine für das Ich (Du) allein gültige Aussage. Das Übergewicht des Subjektiven verhindert das Aufgeben dieses subjektiven Ausgangspunkt als des Schwerpunkts. […] Auch die Möglichkeiten der lyrischen Symbolsprache können dieses Faktum nicht verändern[.]“1
Oder mit anderen Worten:
„Die Poesie hat Formen, in denen der Geist seine Schlachten schlägt, die epischen und dramatischen, sie hat Formen, worin das Herz seine Schätze niederlegt, die lyrischen.2
Was ist nun also mein Anspruch an eine Interpretation des „Sommerliedes“? Er gestaltet sich dreigeteilt.
Erstens: Hebbel beweist in diesem Gedicht die Fähigkeit, etwas Kleines zu schildern, als sei es etwas Großes. Letztendlich macht er es im selben Zuge zu etwas Großen. Ich möchte die im Gedicht verwendete Sprache untersuchen, um einerseits zu verstehen, wie diese Wirkung zustande kommt, aber auch, um die subjektive Wirkung durch die Analyse zu verstärken.
Zweitens: Die verwendeten Symbole scheinen auf den ersten Blick in ihrer Bedeutung einzuleuchten. Häufig offenbart die intensivierte Betrachtung jedoch Details, die ansonsten verborgen bleiben. Ich unterstelle dem „Sommerlied“, ein vollständiges Symbolgedicht zu sein und werde alle im Gedicht verwendeten Symbole einer zusammenhängenden Deutung unterziehen. In der Vorgehensweise orientiere ich mich an Jürgen Links strukturalistischem Symbolbegriff.
Drittens: Aufgrund der gedanklichen Subjektivität, die Hebbels Dichtung dominiert, kündet zwischen den Zeilen des Gedichts etwas vom Charakter des Dichters. Im letzten Teil meiner Arbeit möchte ich ausgewählte Aspekte meiner Interpretation daraufhin überprüfen, inwiefern sie der Gesinnung Friedrich Hebbels entsprechen.
2. Analyse
Sommerlied
Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
Sie war, als ob sie bluten könne, rot;
Da sprach ich schauernd im Vorübergehn:
So weit im Leben ist zu nah am Tod!
Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,
Nur leise strich ein weißer Schmetterling;
Doch ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag
Bewegte, sie empfand es und verging.3
(18444 )
2.1 Inhalt
Friedrich Hebbels „Sommerlied“ erzählt vom Verblühen einer Rose am Ende des Sommers und der darin deutlichen Nähe des Todes.
An einem heißen, windstillen Spätsommertag, an dem fast alle Rosen schon verblüht sind, sieht das lyrische Ich eine einzelne Rose blutrot blühen. Es erschauert bei diesem Anblick, der es eines nahenden Todes mahnt. Ein weißer Schmetterling fliegt vorbei, sein Flügelschlag verursacht eine eigentlich unwesentliche Luftbewegung, doch die Rose ist so empfindlich, dass sie darüber verblüht.
2.2 Formale Aspekte
Sucht man nach Interpretationen des „Sommerlied“, stößt man vorwiegend auf Versionen, die für den Deutschunterricht in der Schule geschrieben wurden, und deren größter Teil eine rein formale Untersuchung umfasst, die von der inhaltlichen Bearbeitung stark geschieden wird. Als Ausnahme fand ich einen Beitrag in einem Hebbel Jahrbuch: „Hinweise zu dem bekanntesten Gedicht Hebbels“5. Der Verfasser, Hilmer Grundmann, stellt an seine Hinweise den Anspruch, Oberstufenunterricht vorzubereiten. Er setzt sich mit Inhalt und Wirkung auseinander, allerdings geht er auf formale Aspekte nur äußerst grob ein.
Meine Arbeit soll den Anspruch erfüllen, eine angemessene Interpretation von Hebbels „Sommerlied“ zu bieten. Von daher nehme ich im Folgenden eine formale Untersuchung vor, beschränke mich aber (anders als die Schülerinterpreten) auf jene Aspekte, die mir für die inhaltliche Bearbeitung relevant erscheinen. (Ich beziehe mich zwischenzeitlich auf eine Internetquelle, deren Verfasser mir nicht zu ermitteln war, und die keineswegs als Musterbeispiel für eine Interpretation gesehen werden soll.) Wo es mir möglich ist, verknüpfe ich meine Ergebnisse mit den treffenden aber sehr grob greifenden Einschätzungen Grundmanns.
Das Gedicht besteht aus zwei Strophen a vier Versen, die sich im Kreuzschema reimen. Beim Metrum handelt es sich um einen fünfhebigen Jambus mit männlicher Kadenz. Die Form vermittelt Harmonie und „eignet sich“ (laut der Internetquelle) „dazu, Personen und Gegenstände genau zu beschreiben.“6 Jedenfalls, so meine Zustimmung, scheint alles geordnet und an seinem Platz zu sein.
Zu diesem Eindruck trägt auch der Zeilenstil bei, der den Großteil des Gedichts beherrscht. Jeder der ersten sechs Verse stellt einen Hauptsatz dar, im zweiten Vers der ersten Strophe ausnahmsweise mit einem eingeschobenen Nebensatz. (In diesem bringt das lyrische Ich erstmals eine eigene Deutung der Situation zum Ausdruck: „Sie war, als ob sie bluten könne, rot“. Hebbels Dichtung zeichnet sich im Allgemeinen, so auch hier, durch eine starke Vergedanklichung aus.7 )
Die einzelnen Sätze sind mit Kommata aneinandergereiht (Erste beiden Verse beider Strophen) oder durch Semikola getrennt (Vers 2 und 3 beider Strophen). Der vierte Vers der ersten Strophe wird durch einen Doppelpunkt am Ende des dritten eingeleitet, es handelt sich um wörtliche bzw. gedachte Rede, die nach der Beschreibung der äußeren Welt nun die der Gedanken des lyrischen Ichs zugänglich macht. Dadurch kommt das Reflexive in Hebbels Dichtung unverschleiert zur Geltung.
„In der ersten Strophe wird nicht das zur Sprache gebracht, was der Autor in seinem Innersten fühlt, wenn er sich der Vergänglichkeit allen Seins bewußt wird, sondern das, was er dabei denkt. […] Setzt man […] die Deutung der zweiten Strophe fort, dann zeigt sich, daß sie exakt der ersten gleicht.“8
(Der anonyme Internetinterpret sagt dazu: „Das in den Versen Gesagte ist mehr gedacht, als empfunden, es fehlt ihm die innere Tiefe des Gefühls.“ Er revidiert diese Kritik kurz darauf allerdings und wird selbst poetisch: „Wie ein silbrig glänzender Hauch legen sie [die Gefühle] sich über das Ganze [Gedicht] und durchdringen es zart.“9 )
Zur rein formalen Erscheinung von von Vers vier: Es findet eine Dramatisierung statt, deutlich erkennbar daran, dass er in einem Ausrufungszeichen mündet. Grundmann spricht davon, dass es dieser auffällige Satz ist, von dem jede Interpretation des „Sommerlieds“ seinen Ausgang nehmen muss.10 Der Satz selbst ist elliptisch, das lyrische Ich spricht von einem zu-nahe-Sein am Tod, ohne zu erklären, zu nahe wofür. Vollständig wirkt: Zu nahe, um ihn nicht zu ignorieren. (Ich gehe unter 3.2 noch einmal genauer auf diese Ergänzung ein.)
Die letzten beiden Verse der zweiten Strophe stehen im Hakenstil, was sie vor allen anderen hervorhebt. Sie beinhalten ein Satzgefüge, in dem der mit „Doch ob auch“ eingeleitete Nebensatz dem Hauptsatz voransteht. Besonders hervorgehoben ist das finite Verb des Nebensatzes „bewegte“, das durch das Enjabement das erste Wort des letzten Verses ist und sich durch Mehrsilbigkeit von all den anderen einsilbigen Versanfängen unterscheidet. Diese exponierte Stellung des Wortes lässt mich vermuten, dass Bewegung im Gedicht einen wichtigen Aspekt darstellt. Ich greife dieses Untersuchungsergebnis in der weiteren Bearbeitung auf.
2.3 Semantische Felder
Es finden sich zwei semantische Felder, die auf den ersten Blick Gegensätze zu bilden scheinen: Sommer und Tod. Die Wörter „Sommer“, „Rose“ (Vers 1) und „rot“ (Vers 2), „Leben“ (Vers 4), „heiße[r] Tag“, (Wind-)„Hauch“ (Vers 5) und „Luft“ (Vers 7) sowie „Schmetterling“ (Vers 6) und „Flügelschlag“ (Vers 7) scheinen eindeutig die Erwartungen zu bedienen, die der Titel „Sommerlied“ bzw. „Sommerbild“ hervorruft. Allerdings handelt es sich bei dem Gedicht um keine bloße Naturbeschreibung, sondern beinhaltet ein memento mori. Dieses ergibt sich nicht etwa als Pointe am Schluss, sondern ist das ganze Gedicht über gegenwärtig, zum Beispiel in den Wörtern „schauernd“ (Vers 3), „Tod“ (Vers 4) und „verging“ (Vers 8). Die Begriffe beider Wortfelder sind dabei nicht diametral verteilt sondern größtenteils miteinander verknüpft. So ist die „Rose“ in Vers zwei die „letzte“ „des Sommers“, und das „rot“ erinnert an „bluten“, der „Schmetterling“ in Vers sechs ist immerhin „leise“ und „weiß“. Der Tod scheint jederzeit „ zu nah“ zu sein, wie in Vers vier beschrieben. Er scheint sich nicht vom Leben getrennt denken zu lassen.
[...]
1 Kraft, Herbert: Poesie der Idee. Die tragische Dichtung Friedrich Hebbels. Tübingen 1971: S. 8
2 Ebd: S. 7
3 Consbruch, M. und Klincksieck, Fr. (Hgg.): Deutsche Lyrik des 19. Jahrhunderts. Auswahl für die oberen Klassen höherer Lehranstalten. Leipzig 1903, S. 132
4 Vgl. http://mpg-trier.de/d7/read/hebbel_sommerbild.pdf
5 Grundmann, Hilmar. „Ich sah des Sommers letzte Rose stehn...“ Hinweise zu einem der bekanntesten Gedichte Hebbels. In G. Häntzschel und V. Schulz (Hgg.): Hebbel Jahrbuch 1991. Heide in Holstein 1991, S. 151
6 http://mpg-trier.de/d7/read/hebbel_sommerbild.pdf; S. 6
7 Vgl. Grundmann 1991: 152
8 Vgl. ebd: 154
9 http://mpg-trier.de/d7/read/hebbel_sommerbild.pdf: 6
10 Vgl. Grundmann 1991: 154 f.
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