Die ARD als Wahlkampfhelferin der AfD? Die Rolle von Polit-Talkshows im Bundestagswahlkampf 2017


Tesis de Máster, 2018

116 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theorie
2.1 Die Massenmedien in demokratischen Gesellschaften
2.1.1 Der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
2.1.2 Medienaufmerksamkeit
2.1.3 Medialisierung der Politik
2.2 Populismus
2.2.1 Rechtspopulismus
2.2.2 Rechtspopulismus in den Massenmedien
2.3 Die Talkshow in Deutschland
2.3.1 Polit-Talkshows
2.3.2 RechtspopulistInnen in politischen Talkshows

3. Untersuchung - Teil A
3.1 Methode
3.1.1 Forschungsfrage und Hypothesen
3.1.2 Forschungsmethode: Quantitative Medieninhaltsanalyse
3.1.3 Operationalisierung
3.2 Analyse
3.2.1 Datenerhebung und Datengrundlage
3.2.2 Pretest und Reliabilitätstest
3.2.3 Ergebnisse
3.2.4 Schlussfolgerungen
3.2.5 Reflexion

4. Untersuchung – Teil B
4.1 Methode
4.1.1 Forschungsfrage
4.1.2 Forschungsmethode: Fernsehanalyse
4.2 Analyse
4.2.1 Beschreibung des Materials
4.2.2 Analyse und Interpretation
4.2.3 Evaluation
4.2.4 Reflexion

5. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang: Codebogen

Anhang
Anhang 1: Codebuch
Anhang 2: Codebogen
Anhang 3: Wahlkampfschwerpunkte
Anhang 4: Reliabilitätstest
Anhang 5: Einstellungsprotokolle

ABSTRACT

Die ARD als Wahlkampfhelferin der AfD? Die Rolle von Polit-Tallkshows der ARD während des Bundestagswahlkampfes 2017 Lisa Blohm

Vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatte um die Verantwortung der öffentlich-rechtlichen Medien für den Wahlerfolg der „Alternative für Deutschland“ (AfD) bei der Bundestagswahl 2017, beschäftigt sich die vorliegende Masterarbeit mit der Darstellung der Partei und dem Umgang mit ihr in politischen Talkshows der ARD im September 2017. Ziel war es, zu prüfen, ob der AfD mehr Aufmerksamkeit zukommt, als den etablierten Parteien.

In ersten Analyseteil wurde mit einer quantitativen Medieninhaltsanalyse der Umfang der Medienaufmerksamkeit untersucht. Weder der AfD als Partei noch den AfD-Gästen wurde mehr Aufmerksamkeit zuteil als anderen Parteien. Jedoch war im untersuchten Zeitraum das Top-Wahlkampfthema der AfD – Flüchtlinge/Zuwanderung – dominant innerhalb der Talkshows.

Der zweite Teil der Analyse beleuchtete die Art der Aufmerksamkeit. Dafür wurde mit Hilfe einer qualitativen Fernsehanalyse der Umgang mit der AfD-Chefin Alice Weidel in einer hart aber fair -Ausgabe untersucht. Festgestellt werden konnte, dass der Moderator wiederholt die rationale Ebene verlässt und emotional agiert, wodurch Weidel die Möglichkeit gegeben wird sich als Opfer der Medien zu inszenieren. Unterstützt wird dies auch durch eine misstrauische Inszenierung durch die Kamera.

Festzuhalten ist, dass die Polit-Talkshows der ARD den Umgang mit der AfD optimieren können und selbstkritisch reflektieren sollten. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die alleinige Verantwortung zuzuschreiben wäre jedoch vereinfacht und würde den komplexen Ursachen für den Erfolg des Populismus nicht gerecht.

ABSTRACT

The ARD as an election campaigner for the AfD? The role of political talk shows of the ARD during the election campaign of 2017 Lisa Blohm

Against the background of the public debate on the responsibility of the public service media for the electoral success of the "Alternative for Deutschland" (AfD) in the 2017 general election, this master thesis deals with the presentation of the party and the treatment of them in talk shows of the ARD in September 2017. The aim is to check whether the AfD receives more attention than the established parties.

In the first part of the analysis, a quantitative media content analysis was used to investigate the extent of media attention. Neither the AfD as a party nor the AfD guests received more attention than other parties. However, the campaign topic of the AfD ­– refugees /immigration – was dominant in the talk shows during the selected period.

The second part of the analysis examined the kind of attention. With the help of a qualitative television analysis, the handling of the leader of the AfD, Alice Weidel, was examined in a hart aber fair edition. It was found that the moderator repeatedly leaves the rational level and acts emotionally, whereby Weidel is given the opportunity to stage herself as a victim of the media. This is also supported by a suspicious staging by the camera.

It should be noted that the political talk shows of the ARD can optimize the handling of the AfD and should reflect self-critically. The sole responsibility of public broadcasting, however, would be simplified and would not do justice to the complex causes of the success of populism.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Standardisierter Untersuchungsablauf der Inhaltsanalyse

Abbildung 2: Geladene PolitikerInnen: Parteizugehörigkeit

Abbildung 3: Diskussionsthema Parteien: Dauer

Abbildung 4: Diskussionsthema Parteien: Sendungsanzahl

Abbildung 5: Erwähnung AfD: Sendungen

Abbildung 6: Redeanteile der Gäste (hart aber fair vom 18.09.2017)

Abbildung 7: Redeanteile der Gäste (Maischberger vom 20.09.2017)

Abbildung 8: Gestellte Fragen durch den Moderierenden (hart aber fair vom 18.09.2017)

Abbildung 9: Gestellte Fragen durch den Moderierenden (Maischberger vom 20.09.2017)

Abbildung 10: Unterbrechungen durch den Moderierenden (hart aber fair vom 18.09.2017)

Abbildung 11: Unterbrechungen durch den Moderierenden (Maischberger vom 20.09.2017)

Abbildung 12: Visualität der Gäste (hart aber fair vom 18.09.2017)

Abbildung 13: Visualität der Gäste (Maischberger vom 20.09.2017)

Abbildung 14: Diskussionsthemen: Dauer

Abbildung 15: Diskussionsthemen: Sendungen

Abbildung 16: Einspieler: Themen

Abbildung 17: Publikumsbeteiligung: Themen

Abbildung 18: Sitzordnung bei hart aber fair am 18.09.2017

Abbildung 19: Schulterschuss Weidel

Abbildung 20: Nahaufnahme Özdemir und Weidel

Abbildung 21: Halbtotale

1. Einleitung

„Darüber wird [] noch zu diskutieren sein, in welchem Ausmaß die beiden öffentlich-rechtlichen Sender massiv dazu beigetragen haben, die AfD nicht klein zu machen, sondern sie groß zu machen.“

- Joachim Herrmann, 24.09.2017

Am 24. September 2017 zog mit der „Alternative für Deutschland“ (AfD) zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik eine neue Partei in den Bundestag ein. Die AfD feierte einen großen Wahlerfolg und erreiche 12,6 % der Zweitstimmen und konnte mit 94 Abgeordneten dem Bundestag beitreten (vgl. Gäbler, 2018, S. 10). Mit ihr hat es erstmals in Deutschland eine rechtspopulistische Partei geschafft sich im Zentrum der politischen Landschaft zu etablieren

Noch am Abend der Bundestagswahl prangerte der bayrische Innenminister Joachim Herrmann den Umgang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit der AfD an. Schnell pflichteten ihm VerteterInnen von SPD und den Grünen bei. So uneinig sie sich in manchen politischen Debatten sein mögen, so einig waren sich die PolitikerInnen den Schuldigen für den AfD-Wahlerfolg identifiziert zu haben: die Medien. Direkt danach entbrannte eine hitzige Debatte um die Frage, inwiefern die mediale Berichterstattung der rechtspopulistischen Partei zu ihrem Aufstieg verholfen hat. Vielfach wurde der Vorwurf laut, allen voran die öffentlich-rechtlichen Medien hätten den Vormarsch der RechtspopulistInnen erst möglich gemacht (vgl. Beisel/Denk/Föderl-Schmid, 2017). Ist diese Anschuldigung berechtigt oder machen es sich die PolitikerInnen zu leicht, wenn sie den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten die Verantwortung zuschreiben? An dieser Debatte knüpft die vorliegende Arbeit an. Ich möchte mich der Frage annehmen, ob den öffentlich-rechtlichen Medien zu Recht der Vorwurf gemacht werden kann, dass sie der AfD im Vorfeld der Bundestagswahl zu viel Aufmerksamkeit geschenkt haben.

Aus forschungsökonomischen Gründen werde ich mich auf den Sender ARD und dessen politische Talkshows konzentrieren. Polit-Talkshows sind in diesem Zusammenhang vor allem relevant, da sie eine hohe Reichweite erzielen und somit potenziell viele WählerInnen erreichen. Wie spannend die Analyse dieses Formats ist, wird deutlich, wenn Friedrich Merz von ihm als „Ersatzparlament“ (Girnth/Michel, 2015, S. 1) spricht und WissenschaftlerInnen kritisieren, dass stets die gleichen Themen besprochen, die geladenen PolitikerInnen sie als Plattform zur Selbstvermarktung nutzen würden und sowieso keine ehrliche Diskussion zu Stande käme, sondern stets die Sensation im Mittelpunkt stünde (vgl ebd.).

Ich werde damit beginnen, einen Überblick darüber zu geben, welche Aufgaben den öffentlich-rechtlichen Medien zukommen und was ihre Aufmerksamkeit erregt. Daraufhin möchte ich das Phänomen des Populismus erklären, um dann den aktuellen Forschungsstand zum Verhältnis von Rechtspopulismus und Medien aufzuarbeiten. Anschließend stelle ich das Genre der Talkshow vor und fasse die bisherigen Forschungsergebnisse zu RechtspopulistInnen in Talkshows zusammen.

Auf Basis des erarbeiteten theoretischen Hintergrundes und des Forschungsstandes, beginne ich mit der ersten Analyse. Hierbei handelt es sich um eine quantitative Medieninhaltsanalyse, die sich mit der Frage beschäftigt, wieviel Aufmerksamkeit die AfD in den politischen Talkshows der ARD im Vergleich zu anderen Parteien erhält. Ergänzend dazu folgt eine zweite Erhebung in Form einer Fernsehanalyse. Während sich die erste Analyse auf die quantitative Aufmerksamkeit konzentriert, legt diese ihr Augenmerk auf die Qualität der Aufmerksamkeit. Es handelt sich dabei um eine Fallanalyse, die einen genaueren Blick auf die Inszenierung der AfD-Chefin Alice Weidel innerhalb einer Talkshowausgabe von hart aber fair durch die Redaktion wirft.

Abschließend werden die Ergebnisse vor dem Hintergrund der Debatte zusammengefasst, um so zu bewerten, ob die ARD ihre Aufgaben zugunsten der Sensation vernachlässigt hat und sich somit zu Recht dem Vorwurf gefallen lassen muss, die AfD „groß gemacht“ zu haben.

2. Theorie

„Analyse ohne Theorie […] ist sinnlos, selbst dann, wenn sie die Eigenständigkeit des Beispiels gegen die Theorie zu verteidigen sucht“

- Wulff, 1999, S. 11

2.1 Die Massenmedien in demokratischen Gesellschaften

In demokratischen Gesellschaften erfüllen die Massenmedien grundsätzlich drei politische Funktionen für die Erhaltung und Weiterentwicklung der jeweiligen Gesellschaft: die Informationsfunktion, die Artikulationsfunktion und die Kritik- und Kontrollfunktion. Übergeordnet über diese Funktionen ist die Funktion der Thematisierung. Diese besagt, dass es grundsätzlich die Massenmedien sind, die Themen sowohl generieren als auch für die Rezipierenden bereitstellen. Dies geschieht durch „die Reduktion der (politischen) `Realität´“ (Tenscher, 1998, S. 23). Im Folgenden werden die drei politischen Kernfunktionen genauer beleuchtet.

Informationsfunktion

Die Vermittlung von Information an die RezipientInnen stellt die „ursprünglichste Funktion der Massenmedien“ (Wildenmann/Kaltefleiter, 1965, S. 15; zit. nach Delhaes, 2002, S. 52) dar. Es sind die Medien, die dem Einzelnen in einer Gesellschaft Informationen über die eigenen Erfahrungen hinaus vermitteln. Daraus lässt sich schließen, dass die Massenmedien maßgeblich an der Konstruktion eines Weltbildes der RezipientInnen beteiligt sind. Auf Grund dieser Verantwortung muss die Informationsvermittlung bestimmte Anforderungen erfüllen. Die Massenmedien sollen die BürgerInnen dazu befähigen, sich über das Weltgeschehen zu informieren und dabei die Geschehnisse in größere politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Kontexte einzuordnen. Dabei haben sie die Informationen vollständig, sachlich und verständlich weiterzugeben (vgl. Schmidt, 2007, S. 5). Der verantwortungsvolle Umgang mit den vermittelten Informationen in den Medien ist besonders relevant vor dem Hintergrund, dass die Themen, die in den Medien behandelt werden, Teil der Alltagskommunikation der BürgerInnen werden. Bezogen auf die Politik sind es also die Massenmedien, die politische Prozesse für die BürgerInnen erst sichtbar machen und so Öffentlichkeit herstellen. Es sind die Massenmedien, die den BürgerInnen Zugang zu den nötigen Informationen über politische Programme, Meinungen und Hintergründe gewähren, wodurch sich diese erst eine politische Meinung bilden und so am politischen Prozess teilnehmen können.

Artikulationsfunktion

Eine weitere Funktion der Massenmedien ist es, eine Diskussion zwischen allen gesellschaftlichen Akteuren über Themen von öffentlichem Interesse zu ermöglichen (vgl. Tenscher, 1998, S. 23). Um das zu bewirken, haben sie die Aufgabe allen Interessengruppen – dazu gehören neben den politischen Parteien die WählerInnen selbst, aber auch Organisationen, Institutionen oder politische Bewegungen – die Möglichkeit zu geben, ihre Meinung in den Medien zu artikulieren, um so einen Meinungsaustausch zwischen den verschiedenen Akteuren herzustellen (vgl. Bernauer/Jahn/Kuhn/Walter, 2009, S. 324).

Kontroll- und Kritikfunktion

Als dritte Aufgabe müssen die Medien die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft kontrollieren. Neben der Wirtschaft und dem Staat gehört auch die Politik zu den Bereichen, die die Medien aufmerksam überwachen, um Fehlverhalten oder Skandale aufzudecken. Durch die kontinuierliche Kontrolle ist das politische System permanent gezwungen sich selbst zu legitimieren. Trotz der Tatsache, dass die Massenmedien nicht über direkte Sanktionsmöglichkeiten gegenüber der Politik verfügen, üben sie durch ihren Einfluss auf die öffentliche Meinung Druck auf das politische System aus (vgl Tenscher, 1998, S. 23). Neben der eigenen Kritik und Kontrolle geben Medien auch der Opposition oder anderen gesellschaftlichen Akteuren die Möglichkeit Kritik an der Regierung zu üben. Darüber hinaus kommt es auch zu einer „intramediale[n] Kontrolle“ (Schmidt, 2007, S. 9). Das bedeutet, dass sich die verschiedenen Medienunternehmen stets gegenseitig beobachten und falsche oder einseitige Berichterstattung anprangern.

2.1.1 Der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Die vorgestellten politischen Funktionen unterstellen den Massenmedien eine „öffentliche Aufgabe“ (Ludwig, 2009, S. 58). Da die öffentlich-rechtlichen Medien über den Rundfunkbeitrag direkt von den Mitgliedern der Gesellschaft finanziert werden, sind sie maßgeblich dazu angehalten, dieser Aufgabe nachzukommen (vgl. ebd.). Dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sich ihrer Aufgabe bewusst sind, wird im Rundfunkstaatsvertrag, in dem die vorgestellten Funktionen anklingen, augenscheinlich:

„Auftrag […] ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. […] Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. […] Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen“ (§11 Abs. 1 RStV).

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind demnach verpflichtet, den BürgerInnen ein breites Abbild des Weltgeschehens aus verschiedenen Perspektiven bereitzustellen. Im zweiten Absatz des §11 wird dieser Aspekt der Vielfalt noch einmal betont, indem explizit darauf verwiesen wird, dass „die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen [sind]“ (§11 Abs. 2 RStV).

Die ARD, die in dieser Arbeit im Mittelpunkt steht, hat zusätzlich zu den rechtlichen Vorschriften, die der Rundfunkstaatsvertrag für alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten festsetzt, eigene Leitlinien verfasst. In diesen bekennt sich der Sendeverbund zu den Werten, die im Rundfunkstaatsvertrag festgelegt sind. Neben diesen Qualitätskriterien wie Objektivität, Unparteilichkeit, Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit, nennt die ARD für ihre Informationsangebote zusätzlich Kriterien wie Relevanz, Unabhängigkeit, journalistische Fairness und kritische Analyse (vgl. ARD, o.J.) Dabei gründet sich der Qualitätsanspruch der ARD „auf Werten wie Menschenwürde, Toleranz und Minderheitenschutz“ (ARD, 2016, S.6).

2.1.2 Medienaufmerksamkeit

In der heutigen Gesellschaft sind Massenmedien obligatorisch für eine stabile Kommunikation zwischen verschiedenen Akteuren der Gesellschaft. Sie sind dominant in der Vermittlung von Informationen. Speziell politische Informationen werden zu einem Großteil medial vermittelt. Die Massenmedien berichten über Ereignisse, wodurch die RezipientInnen befähigt werden, sich über Themen zu informieren (vgl. Kap. 2.1.1). Da es ihnen aber unmöglich ist, alle Weltgeschehnisse und -themen medial abzubilden, kommt es zu einem „Wettbewerb um Medienaufmerksamkeit“ (Rhomberg, 2008, S. 120). Dadurch und durch die Tatsache, dass die BürgerInnen nur einen bedingten Umfang an Informationen verarbeiten können, ist eine Selektion von Themen zwingend erforderlich. Aber wie erlangt etwas die Aufmerksamkeit der Medien? Welche Kriterien bestimmen, welche Ereignisse und Themen von den Medien aufgegriffen werden? Um diese Fragen beantworten zu können, werde ich im Folgenden den Agenda-Setting-Ansatz, das Medienframing und die Nachrichtenwerttheorie näher beleuchten.

Der Agenda-Setting-Ansatz geht von einem Zusammenhang zwischen den in den Medien behandelten und den von den RezipientInnen als relevant erachteten Themen aus. Folglich beeinflusst die Medienagenda die Publikumsagenda (vgl. Maurer, 2010, S. 10-11). Schon die Begründer des Ansatzes McCombs und Shaw betonten 1972, dass die Massenmedien dabei nicht beeinflussen wie ein Mensch über ein Thema denkt, aber sehr wohl über welche Themen der Mensch nachdenkt. So untersuchten die beiden Journalismus-Professoren der Universität North Carolina während des Wahlkampfes 1968, welche Themen die noch unentschiedenen WählerInnen als relevant erachteten. Zeitgleich analysierten sie die Inhalte der Medien, die von den Befragten am meisten konsumiert wurden. Anschließend erstellten sie sowohl für die Befragten als auch für die Medien eine Rangliste der Themen. Sie stellten fest, dass beide Listen nahezu identisch waren. Daraus schlossen die Wissenschaftler, dass die Medienagenda die Publikumsagenda beeinflusst (vgl. ebd., S. 42).

In den 1980er Jahren ist das Konzept des Medienframings entstanden, das den Agenda-Setting-Ansatz ergänzen kann. Anders als der originale Ansatz des Agenda-Settings, spricht dieses Konzept den Medien durchaus einen Einfluss auf die Interpretation der gezeigten Themen zu. Genauso wie der Agenda-Setting-Ansatz geht auch das Medienframing davon aus, dass bestimmte Aspekte besondere Aufmerksamkeit erhalten. Hier wird sich aber nicht nur auf Ereignisse konzentriert, sondern auch auf Argumente oder Bewertungen. Dadurch dass dem Rezipierenden zum Beispiel eine bestimmte politische Haltung zu einem Ereignis häufiger und intensiver erklärt wird, wird ihm diese zugänglicher (vgl. ebd., S. 78-79). Darüber hinaus beeinflussen die Medien die Meinung der RezipientInnen durch Frames. Ein Frame wird dabei als ein Interpretationsrahmen verstanden, der durch die Medien vorgegeben wird. Demnach stellen Medienschaffende Ereignisse aus einer spezifischen Perspektive dar, sodass einige Ursachen für das Geschehen betont werden und eine spezielle Wertung und Lösung propagiert wird (vgl. Bonfadelli, 2014, S. 62-63). Die dargestellte Perspektive erscheint dem Rezipierenden als besonders relevant und beeinflusst so seine Bewertung der Ereignisse. Als aktuelles Beispiel sei die Berichterstattung über Flüchtlinge genannt. Werden sie im Zusammenhang mit Kriminalität und Gewalt dargestellt oder als Chance für den deutschen Arbeitsmarkt und den Kampf gegen den Fachkräftemangel? Durch die verschiedenen Perspektiven wird eine unterschiedliche Bewertung des Migrationszustroms nahe gelegt.

Folglich sind die Massenmedien in der Lage, durch die Intensität, mit der sie über einzelne Themen berichten und der Art und Weise der Berichterstattung Einfluss darauf auszuüben, was die Bevölkerung als relevant erachtet. Die Sichtbarkeit ist demnach der „Gradmesser für die durch die Medien zugeschriebene Relevanz“ (Melischek/Seethaler, 2000, S. 131).

Die fortwährende Auswahl von berichtenswerten Geschehnissen aus einer endlosen Anzahl an Ereignissen weltweit benötigt Regeln. Nach der „Medien-Logik“ (Bonfadelli, 2014, S. 52) wird die Mannigfaltigkeit an Ereignissen, über die hypothetisch berichtet werden kann, dahingehend selektiert, ob sie für die Öffentlichkeit „informativ, mitteilungswürdig, neu, überraschend oder aktuell“ (ebd.) ist.

Die im Anschluss vorgestellte Nachrichtenwerttheorie definiert ebendiese Kriterien, die ein Ereignis zu einem Medienereignis machen.

Die Nachrichtenwerttheorie beschäftigt sich mit der Frage, welche Eigenschaften ein Ereignis aufweisen muss, um von den Medien aufgegriffen und so zu einer Nachricht zu werden. Dabei scannen die Medien fortwährend das Geschehen auf der Welt, wählen dann aus der Menge an Ereignissen auf Grundlage ihrer Selektionskriterien die für sie relevanten aus und berichten über diese. Auf diese Weise erhält der Rezipierende ein durch die Medien verzerrtes Bild der Welt. Diese „Medienrealität“ (ebd., S. 58) nimmt der Rezipierende jedoch als Wirklichkeit, schließlich erhält das Individuum in der modernen Gesellschaft alle Informationen außerhalb seines eigenen Umfelds durch Medienvermittlung. „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (Luhmann, 1996, S. 9). Hier zeigt sich die Macht der Medien, denn schon dadurch, dass sie Ereignisse selektieren, bestimmen sie mit über welche Themen die Menschen nachdenken und diskutieren (vgl. Rhomberg, 2008, S. 122).

Die konkreten Kriterien, nach denen ebendiese Selektion stattfindet, nennen sich Nachrichtenfaktoren. Laut der Nachrichtenwerttheorie ist ein Ereignis umso berichtenswerter, je mehr Faktoren erfüllt werden. Als wichtigste Grundvoraussetzung, um überhaupt die Aufmerksamkeit der Medien zu erlangen, gilt – bezogen auf das politische System ­– die Ereignishaftigkeit von Themen. Reine Programme, Projekte, Texte oder Meinungen, die nicht als Ereignis dargestellt oder mit einem konkreten Geschehnis in einen Zusammenhang gesetzt werden können, haben wenig Chancen von den Medienakteuren beachtet zu werden (vgl. Meyer, 2015, S. 47). Zu den Nachrichtenfaktoren, die ein Ereignis berichtenswert machen, zählen:

- Status: Handelt es sich um prominente Personen mit großem persönlichen oder institutionellen Einfluss? Sind Elitenationen beteiligt?
- Relevanz: Gibt es eine geographische, politische und/oder kulturelle Nähe? Haben die Geschehnisse eine große Tragweite? Ist das eigene Volk betroffen/beteiligt (Ethnoszentrismus)?
- Dynamik: Gibt es einen Überraschungseffekt? Entspricht es den Erwartungen der RezipientInnen?
- Konsonanz: Hat das Ereignis eine geringe Komplexität und kurze Dauer? Werden Stereotype erfüllt? Kann an vorangegangene Berichterstattungen angeknüpft werden?
- Valenz: Wie dramatisch ist das Ereignis? Wie groß ist der Schaden („bad news are good news“)? Gibt es großen Konfliktstoff?
- Identifikation: Lässt sich das Ereignis personalisieren und/oder emotionalisieren? (vgl. Tenscher, 1998, S. 36-37)

Grundsätzlich erhalten negativ konnotierte Ereignisse mehr Aufmerksamkeit als Erfolgsgeschichten oder „gute“ Nachrichten. Bezogen auf das politische System heißt das, dass Fehlschläge mehr Beachtung finden als Erfolge und Schwierigkeiten interessanter sind als Lösungsvorschläge (vgl. Jainsch, 2012, S. 31).

Der Selektion schließt sich die Präsentation der ausgewählten Inhalte an. Die „Bruchstücke der politischen Wirklichkeit“ (Meyer, 2015, S. 48), die das Filtersystem der Massenmedien durchlaufen haben, werden so zusammengesetzt und präsentiert, dass sie eine möglichst große Aufmerksamkeit des Publikums generieren (vgl. ebd.). Trotz beachtlicher Unterschiede in der Präsentation zwischen verschiedenen Medienformen und auch zwischen Qualitäts- und Boulevardjournalismus, lassen sich doch eine Reihe von Präsentationsregeln ausmachen, die in allen Medien und Gattungen Anwendung finden. Die neun identifizierten Inszenierungsformen sind angelehnt an das Theater (vgl. ebd., S. 49-50).

- Personifikation: Einzelpersonen werden auf Grundlage ihrer Taten und Aussagen als Verkörperungen von Eigenschaften inszeniert.
- Mythischer Heldenkonflikt: Politische Konflikte werden überhöht dargestellt, indem gegensätzliche Meinungen oder Interessen zwischen Parteien oder Personen als „schicksalhaftes Duell zwischen Heroen“ (ebd., S. 51) oder „Entscheidungsschlachten“ (ebd.) inszeniert werden.
- Drama: In gekonnt emotionaler Inszenierung werden Konflikte dramatisch zugespitzt, sodass am Ende nur ein Sieger übrigbleibt.
- Archetypische Erzählung: Politische Akteure werden als GegnerInnen – der Gute/der Böse, der Schuldige/der Unschuldige, der Mächtige/der Schwache ­– inszeniert, wobei ihre Geschichte in episodenartiger Form erzählt wird.
- Sozialintegratives Nachrichtenritual: Findet sich vor allem in Nachrichtenberichten. Derselbe respektierte und vertrauenserweckende Nachrichtenmoderierende lädt den Rezipierenden zur gleichen Zeit ein, ihm die komplizierte Welt einfach und unterhaltsam zu erläutern.
- Wortgefechte: Findet sich allen voran in Talkshows. Es wird von der Redaktion versucht einen emotionalen Konflikt herbeizuführen, um so die Spannung der Sendung zu steigern. Dabei bemüht sich der Moderierende durch provozierende Fragen und Einwürfe ein Streitgespräch herbeizuführen.
- Unterhaltungsartistik: Es wird versucht, leichte Unterhaltung zu bieten. Der Politiker oder die Politikerin erscheint im privaten Rahmen und wird – oft humorvoll – als natürliche Person inszeniert.
- Sozialrollendramen: Eine Präsentationsform, die ihre Anwendung oftmals in Talkshows findet. Dabei wird den Diskutanten verwehrt eine fruchtbare Unterhaltung zu führen. Stattdessen soll ein sozialer Rollenkonflikt inszeniert werden. Die GesprächspartnerInnen werden immer wieder in das „Klischee ihrer sozialen Rolle“ (ebd., S. 53) gedrängt. Anstelle des Gesagten zählt für die Regie vielmehr die dramatische Inszenierung der Mimik und Gestik der Anwesenden, um das angestrebte Drama zu untermalten.
- Symbolhafte Handlung: Einzelnes symbolisches Verhalten einer mächtigen Person dient als Symbol für ein komplexeres Geschehnis. Ein berühmtes Beispiel ist der Kniefall Willy Brandts 1970 vor dem Ehrenmal des Warschauer Ghettos. Symbolisch stand diese Geste für die Bitte um Vergebung für die deutschen Verbrechen des zweiten Weltkrieges.

(vgl. ebd., S. 50-53)

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Massenmedien einen großen Einfluss darauf haben, was in einer Gesellschaft als relevant gilt. Durch die Selektion der Inhalte und deren Präsentation haben sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Wahrnehmung der Realität und die Meinungsbildung der RezipientInnen. „Nachrichten spiegeln nicht die Realität; sondern sind das Ergebnis von Selektionsentscheidungen“ (Staab, 1990, S. 41).

In einer Gesellschaft, die geprägt ist von einem regelrechten Zwang zur Kommunikation und einer immer schnelleren Kommunikation, wird die Anzahl derer, die um die Aufmerksamkeit der Massenmedien buhlen, immer größer (vgl. Waldherr, 2012, S. 30). Daraus folgt, dass alle Akteure – auch PolitikerInnen – sich immer stärker bemühen müssen, um von den Massenmedien beachtet zu werden.

2.1.3 Medialisierung der Politik

Grundsätzlich gibt es keine einheitliche Definition des Begriffs Medialisierung in der wissenschaftlichen Diskussion. Eine sehr frühe Begriffserklärung stammt von Altheide und Snow. Demnach beschreibt die Medialisierung den „impact of the logic and form of any medium involved in the communication process“ (Altheide/Snow, 1988, S. 195; zit. nach Donges, 2008, S. 33). Neben diesem allgemeinen Versuch einer Definition, gab es im Laufe der Jahre immer wieder neue Definitionsansätze.

Sarcinelli setzt in seiner Definition die Entwicklung der Medialisierung in den Kontext der Politik. Zum einen beschreibt der Begriff demnach die zunehmende „Verschmelzung von Medienwirklichkeit und politischer wie sozialer Wirklichkeit“ (Sarcinelli, 1998, S. 678). Zum anderen wird die Politik immer stärker über die Medien vermittelt und auch das Handeln der politischen Akteure orientiert sich verstärkt an der Logik der Medien (vgl. ebd., S. 679-679).

Schulz versteht Medialisierung als „Teilaspekt sozialen Wandels, nämlich die Durchdringung der Gesellschaft mit der von den Medien praktizierten Logik der Erzeugung öffentlicher Aufmerksamkeit“ (Marcinkowski, 2015, S. 76) . Laut Schulz passt sich das Verhalten der gesellschaftlichen Akteure immer öfter der Medienlogik an (vgl. Pontzen, 2006, S. 28-29). „Political actors adapt the rules of the media system trying to increase their publicity and at the same time accepting a loss of autonomy“ (Schulz, 2004, S. 89). Demzufolge orientieren sich politische Akteure bei ihren Handlungen, Äußerungen und Themen an den Nachrichtenfaktoren der Massenmedien. Mit dem Ziel, die mediale Resonanz und damit Sichtbarkeit für die Bevölkerung zu steigern, greifen sie auf Methoden der „Selbst-Mediatisierung“ (Meyer, 2015, S.85) zurück. Infolgedessen instrumentalisieren die PolitikerInnen die Nachrichtenfaktoren, indem sie zum Beispiel ihre Aussagen gezielt verschärfen oder bewusst die Konfrontation mit anderen politischen Akteuren suchen, um die mediale Aufmerksamkeit zu erregen. Somit geht die Medialisierungsthese von einer Anpassungsstrategie der Politik an die medialen Regeln aus (vgl. Pontzen, 2006, S. 30-31). Da die Politik in einer demokratischen Gesellschaft nach ihrem eigenen Selbstverständnis stets auf die Legitimation ihres Handels durch die WählerInnen angewiesen ist (vgl. ebd., S. 31), bedürfen sie in einer globalisierten Welt, in der der Großteil des Wissens durch die Massenmedien vermittelt wird (vgl. Kap. 2.1), der Medien als Vermittler, um die Öffentlichkeit zu erreichen. Infolgedessen müssen politische Akteure im Wettstreit um die mediale Aufmerksamkeit bestehen und sich dem „Inszenierungsdruck“ (Meyer, 2015, S. 85) beugen.

Aus dieser Tatsache folgern einige WissenschaftlerInnen, dass die Politik ihre eigene Logik aufgibt und regelrecht von der Medienlogik einverleibt wird (vgl. Plasser, 2000, S. 50). Zwar kann man von einer gewissen „Unterwerfung“ der Politik sprechen, wenn die Akteure ihr Verhalten den Nachrichtenfaktoren der Medien anpassen. Jedoch geschieht dies stets aus der Motivation heraus, das politische Handeln zu legitimieren und so die eigene Macht zu erhalten und zu erweitern – ergo der politischen Logik gerecht zu werden (vgl. Pontzen, 2006, S. 32). Durch eine gekonnte Beherrschung der medialen Regeln, erhalten die PolitikerInnen gar Kontrolle zurück. „Die Medien […] beherrscht nur, wer sich ihnen unterwirft “ (Meyer, 2015, S. 85). Die daraus folgende doppelte Inszenierung durch die Massenmedien und die Politik, führt dazu, dass der für die BürgerInnen sichtbare Teil der Politik verändert wird, wodurch es für den Zuschauenden erschwert wird zwischen realem Politikprozess und arrangierter „Scheinrealität“ (Arnsfeld, 2005, S. 37) zu unterscheiden.

2.2 Populismus

Dem Begriff „Populismus“ fehlt es bis heute an einer allgemeingültigen Definition. Es werden sowohl Einzelpersonen als auch Parteien oder gesellschaftliche Bewegungen als populistisch bezeichnet. Meyer begründet die fehlende Begriffsschärfe mit der hohen Multidimensionalität der verschiedenen Ausprägungen (vgl. Meyer, 2005, S. 13). In der alltäglichen Kommunikation wird der Begriff Populismus oftmals als „politischer Kampfbegriff“ (Tieste, 2006, S. 115) gebraucht, der negativ konnotiert ist und daher in der Regel nicht für die Beschreibung seiner selbst oder der eigenen Partei verwendet wird.

Um sich dem Phänomen des Populismus anzunähern, ist es essentiell zunächst zwischen einem historischen und dem Populismus der Moderne zu unterscheiden. Während der historische Populismus stets aus Entbehrungen und Armut heraus geboren wurde[1], fällt auf, dass heutige populistische Strömungen besonders in wohlhabenden Staaten wie den USA, Frankreich, Italien, Österreich, Norwegen oder auch Deutschland erfolgreich sind. Auslöser für den Aufstieg populistischer Bewegungen sind hier keine existenziellen Krisen wie Hunger, Unterdrückung und Ausbeutung, sondern soziale und wirtschaftliche Umwälzungen, die den sozialen Wandel beschleunigen und so die Lebensrealität der Menschen verändern (vgl. ebd., S. 118).

Ein solcher Umbruch wird auch als „populistischer Moment“ (vgl. Meyer, 2005, S. 15) bezeichnet. Wenn eine plötzliche, einschneidende Veränderung in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen eintritt und die Machtverhältnisse sowie kulturelle Strukturen in Frage stellt, führt das bei der Bevölkerung zu Orientierungslosigkeit, Statusangst und Unsicherheit. Zu einem solchen Zeitpunkt ist es für populistische Bewegungen besonders leicht diese Ängste für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Der aktuelle populistische Moment, der seit Beginn des Jahrtausends zu einem Aufschwung der populistischen Strömungen in der westlichen Welt geführt hat, ist mit dem Prozess der Globalisierung schnell erkannt (vgl. ebd.).

Der Prozess der Globalisierung wirkt auf mehreren Ebenen. Auf der Ebene der Wirtschaft lösen sich ökonomische Prozesse zunehmend von nationalen Bindungen mit der Bestrebung der Herausbildung eines „internationalen kapitalistischen Wirtschaftssystem“ (Tieste, 2006, S. 120). Diese Entwicklung wirkt sich auf die politische Ebene aus, indem die Wettbewerbsfähigkeit eine der zentralen Säulen politischen Handels wird. Der Nationalstaat ist auf wirtschaftliche Akteure angewiesen, um im Kampf um internationale Wettbewerbsfähigkeit zu bestehen. Gleichzeitig schrumpft der Einfluss nationaler Politik auf Akteure der Wirtschaft, wodurch der Staat an Autonomie einbüßt (vgl. ebd.). Ein solcher Wettbewerbsstaat ist bemüht auf dem internationalen Weltmarkt zu bestehen, er konkurriert mit anderen Staaten um die besten Innovationen, sozialen Standards oder Umweltschutzmaßnahmen. Die Folgen eines solchen Standortwettbewerbs trägt in der Regel die Bevölkerung durch Kürzungen von Sozialleistungen oder Lohnsenkungen. Mit dem Ziel sich wirtschaftlich als „Global Player“ zu positionieren und zu bewähren, nimmt der Staat steigende soziale Risiken für die Bevölkerung in Kauf. Konsequenz einer solchen Politik sind wachsende Ängste und Verunsicherung des Volkes (vgl. ebd., S. 120-121). In einer neoliberalen Gesellschaft, die von einem „internationalen Kapitalismus“ (ebd., S. 122) geprägt ist, werden ganze Menschengruppen redundant. Technologische Innovationen und ein scharfer Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt führen dazu, dass viele Menschen aus der Arbeitswelt regelrecht ausgegrenzt werden (vgl. ebd., S. 122-123). Ebendiese „Globalisierungsverlierer“ (ebd., S. 123) sind es, die sich als Folge daraus abgehängt und von der Politik vergessen fühlen. Dieses Gefühl, von den etablierten Parteien nicht ausreichend mit ihren Problemen ernst genommen und vertreten zu werden, hat eine Abnahme von Parteienbindungen, schwankende Wahlentscheidungen, steigende Nichtwählerzahlen und somit zunehmende Politikverdrossenheit zur Folge (vgl. ebd., S. 124).

Großen Einfluss nimmt die Globalisierung auch auf einer kulturellen Ebene. Verändertes Kommunikationsverhalten, Migration und weltweite Mobilität führen zu einer zunehmenden Individualisierung, was wiederum neue Möglichkeiten der Identitätsbildung fern der nationalen Identität ermöglicht (vgl. ebd., S. 120). Diese Entwicklungen lösen bei dem Individuum oftmals ein Gefühl der Unsicherheit und Entwurzelung aus. Es wird zunehmend schwerer sich selbst in der modernen schnelllebigen Welt zu positionieren.

Neben dieser persönlichen Instabilität führt der hohe Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt, gepaart mit sozialer Abstiegsangst und dem fehlenden Vertrauen in die etablierte Politik, zu einer allgemeinen Verunsicherung, die den optimalen Nährboden für populistische Strömungen bietet.

Es ist aber zu unterstreichen, dass ein populistischer Moment nicht ausreicht, um den Erfolg populistischer Parteien zu erklären. Relevant sind zusätzlich der Umgang der etablierten Parteien mit den PopulistInnen sowie das Gefüge und die Geschlossenheit der populistischen Partei selbst. Bieten die etablierten Parteien den PopulistInnen keinen Angriffspunkt, weil sie selbst sich neuen Problemen und Sorgen der Bevölkerung annehmen, haben diese kaum eine Chance politisch Fuß zu fassen. Ist die populistische Partei dann noch selbst gespalten, nicht fähig sich und ihr Programm schnell anzupassen, wenn sich die Gegebenheiten verändern – Taggart spricht im Zusammenhang mit dieser opportunistischen Haltung mit dem Ziel der Machtentfaltung vom „empty heart of populism“ (Taggart, 2002, S. 70) – oder fehlt es ihr an einem ausdrucksstarken und medienwirksamen Anführenden, der die Menschen emotional einnehmen kann, wird eine populistische Partei voraussichtlich trotz eines starken populistischen Moments keinen bedeutenden Wahlerfolg verzeichnen können (vgl. Tieste, 2006, S. 125-126, 133).

Aktuell spielt die „Erosion des parteiischen Charakters von Parteien und Regierungsinstitutionen“ (ebd., S. 126) den PopulistInnen in Deutschland in die Hände. Die Parteien der Mitte neigen verstärkt dazu, schwierige Themen, die innerhalb der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden – hier sei die Flüchtlingskrise als aktuelles Beispiel aufgeführt – zu meiden, um sich selbst nicht eindeutig positionieren zu müssen und so eventuelle Wählerstimmen zu verlieren. Mit dem illusorischen Ziel möglichst allen Bevölkerungsgruppen zu entsprechen, verwischen die Profile der Parteien mehr und mehr. Den WählerInnen fällt es zunehmend schwer, Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien auszumachen (vgl. ebd., S. 126-127). Folge dieser wachsenden Konturlosigkeit etablierter Parteien ist ein Anstieg der NichtwählerInnen („Es ist ja sowieso egal wen man wählt, es ändert sich eh nichts“) oder aber die Zuwendung zu populistischen Parteien, die die emotional besetzten Themen, die von den moderaten Parteien gemieden werden, für sich beanspruchen. Im Gegensatz zu ihnen, beziehen populistische Parteien klar Stellung und setzen damit „der politischen Kultur der Unentschlossenheit und risikolosen Inszenierung mit ihren simplen Parolen ein Bild der Entschlossenheit entgegen“ (ebd., S. 127).

Meyer nennt trotz der Schwierigkeit die verschiedenen populistischen Strömungen eindeutig zu definieren, einige Merkmale, die sich seiner Auffassung nach in der Großzahl populistischer Organisationen wiederfinden:

1. Populistische Bewegungen richten sich stets aus Sicht der unteren oder mittleren Bevölkerungsschichten gegen etablierte politische Organe.
2. Dabei richtet sich der Protest in der Regel gegen den Herrschaftsanspruch der wenigen – die politische Klasse – über die vielen – das Volk. Grundsätzlich handelt es sich um Bewegungen, die sich gegen etwas richten und die selten eigene fruchtbare Lösungsansätze anbieten. Misstrauen und Unbehagen gegen die politische Herrschaft wird angestachelt und instrumentalisiert. Selbst Regierung und Opposition werden dabei gleichgesetzt als „geschlossenes Machtkartell“ (ebd., S. 132), das geprägt ist von Korruption, Inkompetenz und Machtstreben und bekämpft werden muss.
3. Der Populismus bedient sich dabei einfachen „Schwarz-Weiß-Bildern“ (Meyer, 2006, S. 82), die emotional aufgeladen sind.
4. Oftmals wird undifferenziert eine Gegensätzlichkeit vom „dem Volk“ und denen „da oben“ inszeniert. Dabei sollen die „da oben“ das erbringen, was „das Volk“ (angeblich) verlangt. Dies zeigt ein Demokratieverständnis, das auf der „Akklamation des […] `Volkswillens´“ (Häusler, 2018, S. 14) fußt.
5. Eine so kreierte Feindschaft führt dazu, dass eine konstruktive Kommunikation nicht mehr möglich ist. Stattdessen werden populäre Ressentiments aufgegriffen und verstärkt, für den Laien schwer zugängliche Lösungsansätze werden als korrupt abgestempelt und Unterstellungen, Denunziation und Anprangerung ersetzen eine förderliche Diskussion.

(vgl. Meyer, 2006, S. 81-82)

Tieste betont weiter den deutlichen Bezug auf „das Volk“ und „die einfachen Leute“. Die Bevölkerung wird vereinheitlicht und nicht in ihrer Diversität angesprochen, sondern „romantisch verklärt“ (Wolf, 2017, S. 11). Es wird von einem angeblichen einheitlichen Volkswillen gesprochen, welchen die populistische Partei im Sinne der „kleinen Leute“ vertritt. Taggart spricht in diesem Zusammenhang von einen „heartland“ (Taggart, 2002, S. 68). Dieses Konstrukt basiert auf einer verklärten Vorstellung einer homogenen Gesellschaft, die sowohl kulturell als auch ethnisch konvergent ist. Monokausale Probleme werden vereinfacht und es werden einfache Antworten auf komplexe Fragen angeboten (vgl. Tieste, 2006, S. 129). Auf Grundlage eines solchen antipluralistischen Gesellschaftsverständnisses wird jede Äußerung, die Alternativen zu diesem Entwurf aufzeigt, als Angriff auf die Zusammengehörigkeit des Volkes ausgelegt (vgl. Wolf, 2017, S. 11).

Spekulationen und Mutmaßungen werden ungeprüft als Tatsachen kundgetan und fehlende Kompetenz oder Widersprüche in der Argumentation durch den Appell an den „gesunden Menschenverstand“ verschleiert. Hierbei wird an die Alltagserfahrungen der Bevölkerung angeknüpft, indem man verbreitete Vorurteile aufgreift und als Tatsachen deklariert. Unterstützt wird dies durch eine zumeist leichte Sprache, die die komplexe globalisierte Welt auf einfache Kategorien und gegensätzliche Lager herunterbricht (vgl. ebd., S. 9).

2.2.1 Rechtspopulismus

Die Ideologie des Rechtspopulismus gründet sich grundsätzlich auf der des Populismus. RechtspopulistInnen verwenden aber einen konkreteren Volksbegriff, der nicht alle BewohnerInnen eines Landes einschließt, sondern lediglich die Menschen, die eine gemeinsame Kultur teilen und dieselbe Abstammung haben. „`Das Volk´ [wird] ethnisch und sozial homogenisiert“ (Häusler, 2018, S. 14) und der „anständige Deutsche“ (ebd., S. 15) glorifiziert. Der Volksbegriff erfüllt dabei eine identitätsstiftende Funktion mit dem Zweck der Abgrenzung von anderen Gruppen (vgl. Wolf, 2017, S. 13).

RechtspopulistInnen erschaffen neben dem „enemy above“ (Tieste, 2006, S. 132) – der herrschenden politischen Klasse – zusätzlich das Konstrukt eines „enemy below“ (ebd.). Dabei werden Gruppen als Feinde des „kleinen Mannes“ inszeniert, die als zweitklassig konstruiert und noch schwächer als das Volk selbst sind. Gruppen wie Flüchtlinge, MigrantInnen oder andere Minderheiten werden von den RechtspopulistInnen als „Sündenbock für die meisten – wenn nicht alle – aktuellen Sorgen und Probleme“ (Wodak, 2016, S. 18) inszeniert. Verlierer der Modernisierung können durch die eigene gefühlte Überlegenheit gegenüber diesem „inneren Feind“ (Häusler, 2018, S. 15) das Gefühl der Unterjochung durch den enemy above ausgleichen (vgl. Tieste, 2006, S. 132). Darüber hinaus präsentierten RechtspopulistInnen die Multikulturalität als Bedrohung für die nationale Sicherheit, indem sie auf hohe Ausländerkriminalität verweisen. Zusammenfassend wird die Migration zu einem Schlüsselfaktor für Missstände verschiedenster Art deklariert. Die Minderheitengruppe wird zur „Bedrohung für `uns´, für `unsere´ Nation“ (Wodak, 2016, S. 18). Grundsätzlich ist der Rechtspopulismus geprägt von einer „Überhöhung der eigenen Kultur“ (Wolf, 2017, S. 14-15) und dem Verständnis der eigenen Traditionen als absolut. Dies führt zu einer Ablehnung anderer Gepflogenheiten und zu der Annahme, dass die eigene Kultur und Wirtschaft vor fremden Einflüssen geschützt werden müsse. Auch wenn RechtspopulistInnen grundsätzlich alle ausländischen Einflüsse als potenzielle Bedrohung ansehen, so geht ihrer Ansicht nach von muslimischen Kulturen eine besondere Gefahr aus. Dabei wird dem Islam Rückständigkeit und die Missachtung christlicher Werte vorgeworfen. Zumeist wird die Religion mit dem Islamismus gleichgesetzt, weshalb man die „Islamisierung Europas“ (ebd., S. 16) verhindern will.

Der Rechtspopulismus ist wie der Populismus geprägt von starken Vereinfachungen komplexer gesellschaftlicher und politischer Prozesse. Neben dem Feindbild der herrschenden Elite, erschaffen sie aber mit dem enemy below eine zusätzliche Projektionsfläche für bestehende Ressentiments.

2.2.2 Rechtspopulismus in den Massenmedien

Die rechtpopulistische Partei AfD zeichnet sich durch ein „`Double-Bind´-Verhältnis“ (Gäbler, 2017, S. 29) aus. Sie inszenieren die Medien immer wieder als Feind und als „Systempresse“ (ebd.) der politischen Klasse. Gleichzeitig wollen sie aber um jeden Preis von ihnen beachtet werden. Grundsätzlich bietet der Rechtspopulismus einen hohen Nachrichtenwert für Medien. Durch Provokationen, Opferinszenierungen, Emotionalisierung, Tabubrüche, Personalisierung und die Konzentration auf die „einfachen Leute“ entspricht ihr Politikstil per se der Medienlogik besser als der der etablierten Parteien. Es finden sich gar systematische Übereinstimmung zwischen der populistischen Logik und den Aufmerksamkeitsregeln der Medien (siehe Kap. 2.1.2). So passt der Nachrichtenfaktor der Identifikation zu dem Element der Emotionalisierung und der hohen Relevanz eines ausdrucksstarken Parteichefs. Das Schwarz-Weiß-Denken der PopulistInnen und die Inszenierung eines von den korrupten Eliten betrogenen Volkes entspricht dem Nachrichtenfaktor der Valenz, die Vereinfachung komplizierter Sachverhalte der medialen Konsonanz und ihre Neigung zu Tabubrüchen entspricht der Dynamik der Medien. „[D]er Kommunikationsstil populistischer Akteure [scheint] den massenmedialen Aufmerksamkeitsregeln besonders affin zu sein“ (Diehl, 2012, S. 16; zit. nach Wolf, 2017, S. 20). Dieser Tatsache sind sich populistische Parteien wie die AfD nicht nur bewusst – sie nutzen sie wohlweislich zur gekonnten Selbstdarstellung und zur Steigerung ihrer Bekanntheit (vgl. Gäbler, 2017, S. 20).

Studien haben gezeigt, dass auch eine kritische Berichterstattung positive Effekte für rechtspopulistische Parteien haben kann. Allein die Sichtbarkeit und die damit verbundene Aufmerksamkeit kann sich positiv auf die Beurteilung der Partei auswirken (vgl. Reinemann, 2017, S. 178). Eine durchweg negative Berichterstattung können rechtspopulistische Parteien gar zur Mobilisierung nutzen, indem sie sich als Opfer der Medien darstellen und der „Lügenpresse“ eine Verbrüderung mit der Elite unterstellen (vgl. ebd., S. 178-181). Ähnliches geschieht, wenn Medien gar nicht über die populistischen Parteien berichten. Grenzt man die PopulistInnen aus, bestätigt man damit lediglich ihre Theorie, dass „ein Machtkartell der etablierten Eliten keine Kritik“ (Müller, 2016, S. 96) zulasse. Tieste kritisiert außerdem die Fokussierung der Medien auf die Sensation und nicht auf die gesellschaftlichen Probleme, die den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien erst ermöglichen. Durch den fehlenden medialen Diskurs über die Ursachen der Unzufriedenheit, kämen die Massenmedien ihrer demokratischen Verantwortung nicht nach (vgl. Tieste, 2006, S. 138).

Neben der direkten Berichterstattung über rechtspopulistische Akteure, beeinflusst auch die Berichterstattung über etablierte politische Akteure und das politische System den Erfolg von RechtspopulistInnen. Aufgrund ihrer Fokussierung auf Negativismus und Konflikt werden etablierte Parteien und ihre politischen Entscheidungen oftmals scharf kritisiert. Eine geringschätzige Berichterstattung über aktuelle Politik kann Politikverdrossenheit begünstigen und so einen Nährboden für populistische Akteure bieten (vgl. Reinemann, 2017, S. 182).

Außerdem haben auch die Themenschwerpunkte der Massenmedien einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Erfolg von Parteien. Stehen Themen auf der Medienagenda, die von einer rechtspopulistischen Partei besetzt sind, verschafft ihnen das mediale Aufmerksamkeit. Da rechtspopulistische Parteien in der Regel kontroverse und emotionale Themen besetzen, sind es besonders diese Themen, die der Aufmerksamkeitslogik der Medien entsprechen. So spielt eine mediale Thematisierung der Zuwanderung rechtspopulistischen Parteien wie der AfD in die Hände (vgl. ebd., S. 182-183).

„In other words, the media, intentionally or not, may serve as a powerful mobilization tool for populist causes“ (Mazzoleni, 2008, S. 50; zit. nach Reinemann, 2017, S. 177).

2.3 Die Talkshow in Deutschland

Die Talkshow ist bereits seit Beginn der Fernsehgeschichte in Deutschland ein wichtiger Pfeiler des Programms. Die erste deutsche Talkshow startete 1952 im Hörfunk und wurde bereits ein Jahr später im Fernsehen ausgestrahlt. Werner Höfer moderierte die Sendung Internationale Frühschoppen 34 Jahre lang und befragte JournalistInnen aus unterschiedlichen Ländern zu aktuellen Themen. Die erste Talkshow des deutschen Fernsehens wird unter anderem Namen – Presseclub – und mit anderem Moderator noch heute regelmäßig ausgestrahlt (vgl. Thomas, 2003, S. 121). Die ersten dreißig Jahre der Talkshow im deutschen Fernsehen können in drei Phasen unterteilt werden. Während sich in den 1950er und 1960er Jahre die ersten Talkshows entwickelten, die vor allem durch Diskussionen und Personenorientierung geprägt waren (z.B. Internationale Frühschoppen und Journalisten fragen – Politiker antworten), setzte in den 1970er Jahren der erste Boom des Formats mit Sendungen wie Drei nach neun und Kölner Treff, die die Exklusivität der Gästeauswahl auflösten, indem auch BürgerInnen in die Sendungen eingeladen wurden, ein. In der ersten Hälfte der 1980er Jahre wurden diese Formate vielfach kopiert und es kam zu einer „Phase der Stagnation“ (Eisentraut, 2007, S. 21).

Mit der Dualisierung des Rundfunks und der damit verbundenen Entstehung der privaten Programme (vgl. Thomas, 2003, S. 122), wandelte sich das Genre in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Die privaten Anbieter orientierten sich bei der Konzeption ihrer Talkshows stark an US-amerikanischen Talkshows. So ging es weniger um seriöse und lösungsorientierte Gesprächsführung, sondern vielmehr um Konfrontation und Eskalation zugunsten der Einschaltquoten. Die privaten Sender – allen voran RTL – setzten vermehrt auf die bereits in den USA erfolgreichen Confrontational Talks. Eine weitere Entwicklung zu Beginn der 1990er Jahre war die Entstehung der Daily Talks. Dieses Subgenre der Talkshow zeichnete sich insbesondere dadurch aus, dass in ihnen Nichtprominente zu alltäglichen Themen sprechen konnten. Die ersten Formate des Daily Talks waren so erfolgreich, dass in kürzester Zeit sehr viele Sendungen entstanden und in Hochzeiten ein Marktanteil von 40% erreicht werden konnte (vgl. Fley, 1997, S. 33). Zu Ende des Jahrzehnts ebbte der Erfolg der Sendungen stark ab, sodass sie innerhalb kurzer Zeit aus dem Programm verschwanden. Heute sind Daily Talks im deutschen Fernsehen nicht mehr vertreten (vgl. Goebel, 2017, S. 83). Mit dem Aussterben des Daily Talks ging ein Aufschwung der politischen Talkshows einher. Der Sendestart der Polit-Talkshow Sabine Christiansen in der ARD 1998 markiert dem Beginn des Hochs dieses Subgenres, das bis heute anhält. Sendungen wie Maischberger, hart aber fair oder Anne Will haben ihren Anfang im Ende des letzten Jahrtausends genommen und sind bis heute erfolgreich (vgl. Schmidt, 2007, S. 22).

Dieser kurze und fragmentarische Überblick zeigt, dass die Talkshow im Laufe der Jahre einschneidende Entwicklungen durchmachte. Zahlreiche Subgenres bildeten sich heraus, von denen sich einige instituierten und zu festen Größen der deutschen TV-Landschaft wurden (z.B. Prominenten-Talkshows wie Drei nach neun), während andere nicht überdauern konnten (z.B. Daily Talkshows). Andere Formate erlebten eine Renaissance (z.B. Polit-Talkshows). Noch heute ist die Entwicklung des Formats nicht abgeschlossen. So verändern sich die Sendungskonzepte stetig, was auch mit der schnellen technischen Entwicklung zusammenhängt. Auch wenn das Genre der Talkshow sich in einem laufenden Wandlungsprozess befindet, ist es mehr als unwahrscheinlich, dass das Format ausstirbt, denn „der moderne Journalismus wäre ohne persönlichen Austausch, ohne Frage und Antwort, ohne das Interviewgespräch nicht denkbar“ (Keller, 2009, S. 374).

In der heutigen Zeit gehört das Talkshowformat zum allgemeinen Angebot des Fernsehens. Dabei befindet sich das Format der Talkshow – wie jedes mediale Angebot – in einer ständigen Anpassung von Inhalten und Strukturen an aktuelle technische und gesellschaftliche Entwicklungen (vgl. ebd., S. 13). Eine solche unablässige Veränderung macht eine dauerhaft feststehende Definition des Formats unmöglich. Schon seit Anbeginn der Forschungen zur Talkshow in den 1970er Jahren mussten Definitionsversuche wiederholt verworfen oder angepasst werden, um dem Wandel des Formats zu entsprechen (vgl. ebd.). Ebenso macht die starke Heterogenität des Genres eine feste Definition schwer (vgl. Mühlen, 1985, S. 16).

Für diese Arbeit soll die Definition von Fley herangezogen werden. Fleys entwickelte Merkmale sind verhältnismäßig weit gefasst, um so der Vielfalt des Genres so gut wie möglich gerecht zu werden. Nach Fley sind die folgenden Kriterien obligatorisch für eine Talkshow:

1. Gesprächskonzeption: Der Großteil der Sendung wird durch Gespräche gefüllt. Dabei ist mindestens ein Person der Gesprächsleitende und mindestens eine andere Person als Gast geladen. Die Unterhaltung wird explizit für die Sendung geführt.
2. Primäre Zweckfreiheit: Der Wortwechsel verfolgt nicht den Zweck nach vorher festgeschriebenen Regeln eine Reihenfolge unter den Diskutanten aufzustellen.
3. Einseitige Gesprächsfreiheit: Geringstenfalls ein Beteiligter oder eine Beteiligte ist frei in seinen oder ihren Aussagen.
4. Lokale Einheitlichkeit: Die Unterhaltungen finden an nur einem Ort und zur selben Zeit statt. Außerdem ereignen sich alle Episoden einer Sendung stets am gleichen Ort.
5. Seriencharakter: Die Sendung besteht aus mehreren Folgen, die immer zur gleichen Zeit und im selben Rhythmus und mit demselben Konzept ausgestrahlt werden.

(vgl. Fley, 1997, S. 20).

Wie bereits zu Beginn des Kapitels angemerkt, ist die Talkshow von einer starken Heterogenität geprägt. Man kann demnach „kaum von `der Talkshow´ reden“ (Kalverkämper, 1979, S. 421). Somit ist auch Fleys Ansatz dem stetigen Wandel des Talkshowformats unterworfen. Auch sein Definitionsansatz darf nicht als feste Größe angesehen werden, sondern vielmehr als Orientierung, die fortwährend hinterfragt und geprüft werden muss.

Um das Genre der Talkshow weiter zu strukturieren, hat Klaus Plake eine Typologie von Subgenres entwickelt. Er unterscheidet zwischen drei Subgenres:

1. Personality-Show
2. Bekenntnisshow
3. Debattenshow

Bei einer Personality-Show liegt der Fokus auf der Persönlichkeit der Gäste. In der Regel sind die geladenen Gäste prominent. Geladen werden beispielweise SchauspielerInnen, MusikerInnen, JournalistInnen oder SportlerInnen, die vorwiegend die Intention der Selbstdarstellung verfolgen. Hierbei werden die Personen möglichst unterhaltsam präsentiert (vgl. Plake, 1999, S. 32-33).

Eine Bekenntnisshow beschäftigt sich meistens mit verhältnismäßig persönlichen und emotionalen Themen. Beispiele hierfür sind Alltagskonflikte, Schicksalsschläge oder gesellschaftliche Tabus. In diese Sendungen kommen Personen zu Wort, die nicht oder kaum prominent sind. Ein typisches Beispiel für eine Bekenntnisshow ist der Daily Talk der 1990er Jahre (vgl. ebd., S. 34).

In einer Debattenshow kommen in der Regel PolitikerInnen aber auch ExpertInnen zu einem Thema oder Betroffene zu Wort. Besprochen werden politische und gesellschaftlich relevante Themen. Ziel ist es hierbei, einen politischen Diskurs zu simulieren, der durch den freien Austausch von Argumenten im Vordergrund steht (vgl. ebd., S. 32). Beispiele hierfür sind aktuelle Polit-Talkshows wie Anne Will, Maischberger oder hart aber fair, die Gegenstand dieser Arbeit sind.

Diese Arbeit thematisiert das Subgenre der Debattenshow – hier weiter Polit-Talkshow genannt. Daher wird im nächsten Abschnitt ein genaueres Auge auf ebendiesen Typus geworfen.

2.3.1 Polit-Talkshows

Grundsätzlich werden Polit-Talkshows wöchentlich auf einem festen Sendeplatz ausgestrahlt. Dabei ist es durchaus möglich, dass die Sendung pausieren kann – beispielsweise während einer Sommerpause. Jede Ausstrahlung findet im gleichen Studio vor einem anwesenden Publikum statt. Die Diskussion unter den Gästen wird von einem Moderierenden geleitet. Dabei gibt es ein vorher festgelegtes Sendungsthema, das sich mit politischen oder gesellschaftlichen Kontexten beschäftigt (vgl. Goebel, 2017, S. 84-85).

Im Folgenden sollen die einzelnen Komponenten einer Polit-Talkshow charakterisiert werden. Hierbei soll vor allem – mit Blick auf die sich anschließende Analyse – der Einfluss der einzelnen Elemente auf den Verlauf der Sendung beleuchtet werden.

Gäste

Wer in eine politische Talkshow eingeladen wird, ist eine Entscheidung der Redaktion. Ziel ist es, eine möglichst große Bandbreite an Meinungen zu einem Thema bieten zu können und so eine kontroverse Diskussion zu ermöglichen. Nur dann kann die Sendung unterhaltsam sein und so ZuschauerInnen vor dem Fernseher generieren (ebd., S. 86).

PolitikerInnen besuchen Talkshows, um sich selbst und ihre Partei zu präsentieren und so Popularität zu erlangen. Dabei nutzen sie die politischen Talkshows als Bühne zur Selbstdarstellung. Um in dieser „Arena“ bestehen zu können, müssen sie sich an die medialen Regeln halten. Nur wenn sie sich der Logik der Medien bewusst sind und die damit einhergehenden Regeln anerkennen, können sie das Format für ihre Ziele nutzbar machen (vgl. Vowe/Dohle, 2008, S. 13; siehe auch Kap. 2.1.3). Basierend darauf, bereiten sich die geladenen PolitikerInnen akribisch auf ihre Talkshowbesuche vor. Viele von ihnen absolvieren professionelle Mediencoachings. Da nicht alle PolitikerInnen das Talent besitzen sowohl ihre inhaltlichen Standpunkte als auch ihre Person unterhaltsam und medientauglich darzustellen, sind oftmals immer wieder dieselben VertreterInnen einer Partei in Talkshows vertreten (vgl. Schmidt, 2007, S. 26-27). In Hinblick auf die professionelle Vorbereitung der politischen Gäste, müssen beispielsweise auch Mimik und Gestik der Gäste als bewusste Handlungen interpretiert werden. Die PolitikerInnen lernen, dass auch nonverbale Reaktionen Aussagen transportieren und von der Kamera eingefangen werden. Daher setzen geübte PolitikerInnen Gesten und Mimik systematisch ein, um die Aufmerksamkeit der Kameraleute zu erregen oder Aussagen zu unterstreichen. „Man ist immer im Bild – potenziell. Das Entgleiten der Gesichtszüge ist daher eine gezielte Kommentierung eines anderen Wortbeitrages oder schlicht unprofessionell“ (Nahles, 2009, S. 174). Auch die Aussagen der Beteiligten sind oftmals ritualisiert. Häufig kennen die Gäste bereits die Antwort bevor die Frage zu Ende gestellt wurde. Dabei übergehen sie gerne den tatsächlichen Kern der Frage oder die Argumentation der VorrednerInnen und konzentrieren sich lieber auf eine vorteilhafte Darstellung ihrer Partei und Person (vgl. Jonas, 2009, S. 51). Auch die gekonnte Inszenierung als Opfer, wenn andere Diskutanten eine Person angreifen, wird bewusst eingesetzt. „Mit dem Opfer hat man Mitleid […]. Der Angreifer hat immer schlechte Karten“ (ebd.). Eine weitere typische Strategie der Gäste in der Diskussion ist es, ein Gemeinschaftsgefühl durch das Entwickeln einer Wir-Gemeinschaft zu erzeugen. Gerne wird betont als Vertretung der breiten Masse und des Volkes zu agieren. Grundsätzlich gehört das Wort „wir“ zum festen Sprachrepertoire von PolitikerInnen (vgl. Thomas, 2003, S. 360). Die fortwährende Schuldzuweisung an den politischen Gegner oder die Gegnerin ist ebenso eine kalkulierte Taktik, die besonders gerne von der Opposition genutzt wird, um die aktuelle Regierung in einem schlechten Licht darzustellen (vgl. ebd., S. 358).

Neben PolitikerInnen, die mit Abstand den Hauptteil der Gäste ausmachen, werden auch ExpertInnen, die zu einem Thema professionelles Input geben können, eingeladen. Von diesen wird erwartet, dass sie als „Diskurswächter“ (Schmidt, 2007, S. 27) Wortgefechte durch sachliche Beiträge entspannen.

Trotz des Fokus auf sachliche Diskussion über ein Thema von öffentlichem Interesse, werden auch immer wieder Personen aus der Unterhaltungsbranche eingeladen. Dörner und Vogt stellen in diesem Zusammenhang fest, dass diese Gäste einen großen Einfluss auf die Meinungsbildung der RezipientInnen ausüben. Anders als die PolitikerInnen genießen die Prominenten das Vertrauen der ZuschauerInnen und werden, trotz eventuell mangelnder Fachkompetenz, als glaubwürdig wahrgenommen (vgl. Dörner/Vogt, 2004, S. 47).

Studiopublikum

In den heutigen Polit-Talkshows ist auch immer ein Publikum im Studio anwesend. Dabei nehmen die ZuschauerInnen auch keine unbedeutende Rolle ein. Die direkten Reaktionen des Publikums beeinflussen die Interaktionen der Studiogäste. Das Studiopublikum als „Resonanzboden“ (Gäbler, 2011, S. 102) gibt den Gästen eine direkte Erwiderung auf ihre Aussagen durch Applaus, Raunen, Lachen oder anderes Verhalten. Dies prägt die weitere Kommunikation der GesprächspartnerInnen (vgl. Goebel, 2017, S. 88). Darüber hinaus darf auch der Einfluss dieser Publikumsreaktionen im Saal auf die RezipientInnen vor den Bildschirmen nicht unterschätzt werden (vgl. Schmidt, 2007, S. 28). Ein Faktor, der die Rolle des Studiopublikums als Vertreter des Volkes verfälscht, ist die Möglichkeit der Gäste selbst mitgebrachte Personen in das Publikum zu schicken, die instruiert sind, an entsprechenden Stellen wohlwollend für den Gast zu reagieren (vgl. Falter, 2009, S.111).

Moderation

Der Moderierende nimmt grundsätzlich eine sehr wichtige Rolle für die Sendung ein. In der Regel ist er heute sogar die Identifikationsfigur einer Talkshow. Offensichtlich wird das daran, dass viele Sendungen nach den Moderierenden benannt sind (vgl. Fley, 1997, S. 74). Dabei übernimmt der Moderierende drei Aufgaben: Zu den strukturierenden-inhaltlichen Aufgaben gehört es, auf die Ausgewogenheit der Gespräche zu achten und das Ziel der Unterhaltung nicht aus den Augen zu verlieren. Um die zuschauerspezifischen Aufgaben zu erfüllen, muss der Moderierende zum einen dafür sorgen, dass dem Publikum die Inhalte verständlich gemacht werden und zum anderen müssen die Zuschauenden für das Thema interessiert werden. Nur dann kann der Moderierende seine dritte Aufgabe – die senderspezifische – erfüllen. Um das Publikum an die Sendung zu binden, muss er als „Wächter der Streitkultur“ (Eisentraut, 2007, S. 32) für eine ansprechende und unterhaltsame Ausgabe sorgen und so eine gute Einschaltquote generieren (vgl. Schaffar, 2002, S. 109).

Die Planung einer Sendung obliegt der Redaktion der Talkshow. Zu dieser Redaktion gehört auch der Moderierende. Es werden sowohl die Inhalte als auch die technische Umsetzung konzipiert. Dem Moderierenden wird dabei die entscheidende Aufgabe zuteil die Planung umzusetzen. Ob eine Sendung für die Zuschauenden unterhaltsam ist, hängt zu einem großen Teil davon ab, inwiefern der Moderierende in der Lage ist die Sendung zu strukturieren. Ebenfalls ist die eigene Fachkenntnis des Moderierenden über das Thema entscheidend, da dessen Kompetenz das Niveau der Unterhaltungen stark beeinflusst (vgl. Goebel, 2017, S. 87). Nicht nur das Geschick die Gespräche zu leiten ist ein entscheidender Faktor. Wem der Moderierende das Wort erteilt oder entzieht kann sogar Aufschluss über die persönliche Haltung des Moderierenden oder der Redaktion geben (vgl. ebd.).

Kamera

In diesem Zusammenhang spielt auch die Kameraführung eine wichtige Rolle. Die Kamera versucht fortlaufend nonverbale Kommunikation festzuhalten. Die Wirkung der Kameraführung lässt sich dabei in drei Teile aufteilen.

Zum einen strukturiert sie die Sendung durch Schnitte und Kamerafahrten. So ist es möglich schon durch visuelle Veränderungen, wie das Rauszoomen und Darstellen des gesamten Settings, zu verdeutlichen, dass ein neuer Themenblock beginnt (vgl. Holly, 2015, S. 131).

Daneben dient die Kamera der Profilierung des Sprechenden. Hierbei ist einerseits relevant, wie oft und lange der Sprechende im Bild ist. Spricht eine Person und wird dabei gefilmt, kann sie durch Mimik und Gestik ihre Botschaft stärker vermitteln. Wird dagegen eine andere Person als die sprechende gezeigt, wird der Sprechende durch den Entzug der Aufmerksamkeit geschwächt. Aber auch eine zu lange Präsenz des Sprechenden kann negative Folgen haben, indem sich der Zuschauende kritisch mit dem Äußeren der Person auseinandersetzt. Wichtig ist folglich die Ausgewogenheit zwischen Kamerapräsenz und Nicht-Präsenz (vgl. ebd., S. 133). Mindestens genauso wichtig wie die Quantität der Darstellung ist aber auch deren Qualität. Wie eine Person gefilmt wird, hat großen Einfluss darauf, wie die RezipientInnen die Gäste wahrnehmen. Nach Holly spielen besonders die Einstellungswerte Größe, Horizontalwinkel und Vertikalwinkel eine große Rolle. Ob die Person groß gezeigt wird oder in der Totalen beeinflusst das Empfinden von Intimität oder Distanz. Wird ein Diskutant frontal gefilmt, entsteht ein Gefühl der Identifikation, während eine seitliche Aufnahme eher Misstrauen hervorruft. Schaut die Kamera zu dem Gefilmten auf, so wirkt dieser überlegen und stark, während eine von oben gefilmte Person eher schwach und unterlegen wirkt. Bei einer Analyse muss aber immer auch der Kontext bedacht werden. Das Gesagte und auch die nonverbale Kommunikation kann nicht unabhängig von der Kamera untersucht werden und vice versa (vgl. ebd., S. 134).

Drittens werden durch die Kameraführung die Beteiligungsrollen der Anwesenden kontextualisiert. Dadurch dass eine andere Person als die sprechende gezeigt wird, wird auch dem Zuhörenden eine Rolle zugewiesen. Bereits zu Beginn der Sendung mit der komprimierten Vorstellung der Diskutanten, werden ihnen Rollen zugeschrieben. Diese stereotypen Zuschreibungen durch die Redaktion im Vorfeld der Sendung, bilden die Basis für das gesamte Konzept der Sendung. Der Zuhörende wird basierend auf seiner Rolle als GegnerIn oder UnterstützerIn einer Aussage durch die Kamera inszeniert (vgl. ebd., S. 139). Somit schafft die Kamera „unterstützend Interaktions- und Konfliktlinien“ (ebd., S. 140).

Die Kamera versucht ständig affektive Reaktionen der Gäste einzufangen, indem sie Nahaufnahmen von Gesichtern oder anderen Körperteilen wie zitternden Händen aufnimmt. Zum anderen stellt sie in dem sehr starren Rahmen der Talkshow Interaktion dar und visualisiert Kommentare.

Die Redaktion der Sendung möchte dem Zuschauenden eine möglichst hohe Authentizität vermitteln. Dadurch dass die Polit-Talkshows in der ARD in der Regel live übertragen werden, erscheinen sie dem Zuschauenden sehr glaubwürdig. Doch trotz dieser Live-Situation werden die Bilder, die gesendet werden von der Regie selektiert. Nicht alle möglichen Perspektiven werden dem Zuschauenden zur Verfügung gestellt. So werden in Echtzeit alle Kameraperspektiven geprüft und eine von der Redaktion ausgewählt. Schon durch diese Auswahl beeinflusst die Regie die Bewertung der Situation durch den Zuschauenden. Sie hat „einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Bedeutungsproduktion der visuellen Darstellung“ (Goebel, 2017, S. 90).

Einspieler

Ein weiterer Einflussfaktor der Redaktion während der Livesendung sind die vorher produzierten Einspieler. Dabei haben diese kurzen Clips verschiedene Aufgaben. Sie können sowohl neue Blickwinkel und Themen in die Diskussion bringen, die die Regie eingeplant hat, als auch Aussagen der Diskutanten widerlegen oder bestätigen. Darüber hinaus sollen sie dem Publikum Zusammenhänge erklären und Hintergrundergebnisse liefern. Oftmals werden auch Thematiken veranschaulicht, indem Menschen aus dem Volk zu Wort kommen und ihre persönlichen Erfahrungen teilen (vgl. Klemm, 2015, S. 105). Dabei werden die Inhalte der Einspieler stets als Gegebenheiten dargestellt. Darin dargestellte „Fakten“ werden von Redaktion und Moderierenden während der Sendung nicht hinterfragt (vgl. Goebel, 2017, S. 90). Bei den Einspielern handelt es sich um „eine multimodale Inszenierung von Sachlichkeit, Seriosität, aufklärender Didaktik“ (Klemm, 2015, S. 101). Trotz ganz unterschiedlicher Länge und verschiedener Schwerpunkte der einzelnen Clips, besitzen doch alle Einspieler einer Talkshow gleiche ästhetische Muster. Dabei weist vor allem die Rahmung in der Regel eine hohe Wiedererkennbarkeit durch stets identische visuelle und akustische Elemente zu Beginn und Ende des Clips auf. Ein Beispiel dafür ist die Gestaltung der Einspieler bei der Talkshow hart aber fair, bei denen zu Beginn ein Play-Symbol und zum Abschluss ein Eject-Symbol mit stets gleichen Sounds gezeigt wird (vgl. ebd.). Aufgabe der Einspieler als „multimodales Komprimat“ (ebd., S.107) ist es, Argumente und Positionen in klarer Abgrenzung zueinander für das Publikum konzentriert und anschaulich darzustellen.

2.3.2 RechtspopulistInnen in politischen Talkshows

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass bislang nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen zum Umgang mit RechtspopulistInnen in politischen Talkshows vorliegen. Cranmer kam bei seiner Untersuchung verschiedener medialer und nicht-medialer Sprechakte zu dem Schluss, dass Talkshows grundlegend für politische Akteure die geeignetste mediale Plattform bieten, um ihre Standpunkte ungefiltert einem großen Publikum zugänglich zu machen und darum auch die beste Möglichkeit bieten, populistische Inhalte weiterzutragen (vgl. Cranmer, 2011). Diese Annahme bestätigten 2014 auch Bos und Brants als sie bei ihrer Analyse verschiedener medialer Formate zu dem Schluss kamen, dass die meisten populistischen Aussagen in Polit-Talkshows getroffen werden (vgl. Bos/Brants, 2014).

Tieste untersuchte 2006 den Umgang mit dem als rechtspopulistisch geltenden Jörg Haider – damals Vorsitzender der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) – in deutschen Polit-Talkshows. Dafür führte Tieste Diskursanalysen von drei verschiedenen Talkshowsendungen (Sabine Christiansen, Farbe bekennen, Talk in Berlin) im Jahr 2000 durch. Sie kommt zu folgenden Ergebnissen:

Alle untersuchten Sendungen setzen sich in kritischer Absicht mit dem Rechtspopulismus auseinander, verhelfen Jörg Haider aber letztendlich durch die zusätzliche Aufmerksamkeit zu Berühmtheit. Dem österreichischen Politiker wird durch die mediale Präsenz eine Bedeutung zugeschrieben, die in keinem Verhältnis zu seiner tatsächlichen Relevanz für die deutsche Politik und Gesellschaft steht. Es kommt zu einer „massenmediale[n] Verstärkung“ (Tieste, 2006, S. 429), so Tieste.

Tieste bemängelt weiter das fehlende Fachwissen der ModeratorInnen. Sie sind nicht in der Lage, falsche Aussagen von Haider zu entlarven. Mehr noch, durch fehlende Beweise für ihre eigenen Anschuldigungen unterstützen sie seine „Inszenierung als unschuldig verfolgter Demokrat“ (ebd., S. 424) sogar. Gäbler sieht ähnliche Tendenzen und betont, dass die Gastgeber viel zu oft nicht ausreichend vorbereitet sind auf die strategischen Schachzüge und Ausweichmanöver der populistischen PolitikerInnen (vgl. Gäbler, 2017, S. 31). Die Hintergründe und Ursachen für den Erfolg des Populismus werden nicht beleuchtet. Ebenso wenig werden Lösungen diskutiert. Die Debatten bleiben auf einer oberflächlichen Ebene (vgl. Tieste, 2006, S. 430-431). Tieste kritisiert dabei deutlich, dass die mediale Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus von Emotionen geprägt ist statt von Fakten, wodurch der angestrebte Gegendiskurs oftmals selbst populistische Züge annimmt (vgl. ebd., S. 432).

Ziel der Sendungen ist es, die rechtspopulistischen Akteure vorzuführen und zu entlarven, anstatt über das Phänomen des Rechtspopulismus zu sprechen (vgl. ebd., S. 423), so Tieste.

In diesem Zusammenhang stellt sie außerdem fest, dass keine inhaltliche Erörterung stattfindet, sondern stets die Person Jörg Haider im Mittelpunkt der Diskussion steht – selbst wenn er gar nicht anwesend ist (vgl. ebd., S. 431).

Des Weiteren sind alle untersuchten Talkshows auf Konfrontation und Emotionalisierung ausgelegt und bieten damit ein optimales „populistisches Setting“ (ebd., S. 430).

Gäbler betont in seinem Aufsatz, dass den PopulistInnen möglichst kein Anlass gegeben werden darf, sich selbst als Opfer der Medien und der Elite zu inszenieren. Er unterstreicht, dass neben der Menge der Berichterstattung auch die Qualität relevant ist (vgl. Gäbler, 2017, S. 28). Da „die Komfortzone von AfD-Politikern […][da endet], wo die Realpolitik beginnt“ (Bender, 2017, S. 194), ist es sinnvoll, auf rationale und konkrete Aussagen zu pochen, indem immer wieder präzise nach den Folgen der populistischen Politik gefragt wird.

Das zapp-Magazin untersuchte die Präsenz der rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD), die im Mittelpunkt dieser Arbeit steht, in Talkshows der ARD und ZDF im zeitlichen Umfeld der drei Landtagswahlen im Jahr 2016. Dabei wurde festgestellt, dass die Partei in nur zehn Tagen ganze sechs Mal zu Gast in den Sendungen war (vgl. Bey/Wamper, 2016, S. 121).

Laut Bey und Wamper sind die VertreterInnen der AfD nur dann anwesend in Sendungen, wenn Themen diskutiert werden, zu denen sie sich äußern wollen. Geht es um Migration, Islam, innere Sicherheit oder nationale Identität sind sie oftmals zu Gast in den Talkshows, während Sendungen zu Themen, die nicht ihren Schwerpunkt bedienen – wie beispielsweise die Sozialpolitik – gemieden werden (vgl. ebd., S. 122). Marco Bülow stellt in seiner Untersuchung überdies die überproportionale Beschäftigung mit Themen, die die AfD besetzt, fest. Bei 204 untersuchten Ausgaben beschäftigte sich die Hälfte der Sendungen mit einem der Themenfelder Flüchtlinge, Islam, Terror/IS oder Extremismus/Populismus, so Bülow. Soziale Themen wie Armut und soziale Ungerechtigkeit fanden nur in sechs der Sendungen Beachtung (vgl. Gäbler, 2017, S. 31). Das ARD-Magazin Monitor hat ebenfalls die Kernthemen der Talkshows in ARD und ZDF untersucht. Dabei kam heraus, dass die Flüchtlingspolitik im Jahr 2016 in 141 Sendungen 40 Mal Hauptthema war. 21 Mal wurde über Populismus, allen voran von rechts, diskutiert und 15 Mal lag der Fokus auf dem Islam (vgl. Bey/Wamper, 2018, S.121).

[...]


[1] Beispiele hierfür sind die People´s Party, die Ende des 19. Jahrhunderts in den USA aus der durch die Industrialisierung entstandenen wirtschaftlichen Not und Ausbeutung der vor allem in der Landwirtschaft arbeiteten Bevölkerung heraus entstand oder die russischen Narodniki, die die Landbevölkerung aus der Repression des Zarentums befreien wollten (vgl. Wolf, 2017, S. 4).

Final del extracto de 116 páginas

Detalles

Título
Die ARD als Wahlkampfhelferin der AfD? Die Rolle von Polit-Talkshows im Bundestagswahlkampf 2017
Universidad
University of Bremen
Calificación
1,3
Autor
Año
2018
Páginas
116
No. de catálogo
V464956
ISBN (Ebook)
9783668934344
ISBN (Libro)
9783668934351
Idioma
Alemán
Palabras clave
AfD, Wahlkampf, ARD, Medienanalyse, Bundestagswahl, Medien, Politik und Medien, Fernsehanalyse, Talkshow, Medienaufmerksamkeit, Populismus, Rechtspopulismus, hart aber fair, Maischberger, Anne Will
Citar trabajo
Lisa Blohm (Autor), 2018, Die ARD als Wahlkampfhelferin der AfD? Die Rolle von Polit-Talkshows im Bundestagswahlkampf 2017, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/464956

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