Homophilie im Rauchverhalten von Jugendlichen

Die Erklärungskraft von sozialem Einfluss und Selektion im Vergleich


Hausarbeit, 2019

18 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund
2.1. Homogenität sozialer Freundschaftsnetzwerke
2.2. Der Prozess der sozialen Beeinflussung und Sozialisation
2.3. Der Prozess der Selektion

3. Überblick über bisherige empirische Forschung
3.1. Homophilie im Rauchverhalten von Jugendlichen
3.2. Die Prozesse der Sozialisation und Selektion im Vergleich

4. Zusammenfassung und Diskussion

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Konsum von Tabak stellt eines der größten gesundheitlichen Probleme der Welt dar. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation rauchen weltweit ca. 1,1 Milliarden Menschen. Jährlich sterben etwa 6 Millionen Menschen an Krankheiten, die auf den Konsum von Tabak zurückgehen, jeder zehnte davon an den Folgen des Passivrauchens. Der jährliche Schaden für die Weltwirtschaft durch Krankheit, Arbeitsausfälle und Substitution anderer Konsumgüter beträgt ca. 950 Milliarden Euro (USNCI/WHO 2016).

Beinahe alle Betroffenen beginnen mit dem Konsum von Tabak in der Kindheit oder Adoleszenz und nur ein Drittel von ihnen gibt das Rauchen als erwachsene Person wieder auf (USDHHS 2012: 134).

Präventionsprogramme, die Jugendliche vom Rauchen abhalten sollen, haben oft kurzfristige Effekte, die jedoch mit der Zeit ihre Wirkung verlieren (Peterson et al. 2000; USDHHS 1994) und im allgemeinen eher gemischte Resultate (Lantz et al. 2000: 60). So stagnierte in den USA, trotz staatlich geförderter Implementierung dieser Programme, der Rückgang der minderjährigen Raucher zwischen 2003 und 2012 und fand bei einzelnen Subgruppen überhaupt nicht statt (USDHHS 2012: 139).

Eine große Zahl an Studien lässt erkennen, dass Jugendliche, die mit Rauchern befreundet sind, mit höherer Wahrscheinlichkeit ebenfalls rauchen, als solche, die nur mit Nichtrauchern befreundet sind. Langfristig bilden sich in Schulen oft Cluster oder Teilnetzwerke von Rauchern heraus. Auf dieser Erkenntnis aufbauend besteht eine der Grundannahmen der meisten Präventionsprogramme darin, dass sich Tabakkonsum in den Freundschaftsnetzwerken über Gruppendruck oder andere Formen der sozialen Beeinflussung verbreitet. Die entsprechenden Gegenmaßnahmen der Programme nehmen daher oft eine ähnliche Form wie die durch Nancy Reagan bekannte „Just Say No!“-Kampagne an und versuchen Jugendliche vor der Beeinflussung durch ihre Freunde mittels Vermittlung von sogenannten „Refusal-Skills“ zu schützen. Alternativ könnte die Homogenität im Rauchverhalten jedoch auch auf Selektionsprozesse zurückgehen und die Jugendlichen aus anderen Gründen mit dem Rauchen beginnen.

Diese Arbeit geht der Frage nach, ob der Fokus auf Beeinflussung durch Freunde gerechtfertigt ist oder ob die alternative Prozess der Selektion das Entstehen der oben genannten Cluster eher erklärt und die Programme daher überarbeitet werden sollten.

Zur Klärung dieses Sachverhalts wird zunächst das Vorkommen von Homogenität in sozialen Freundschaftsnetzwerken erläutert. Dabei wird die Homophilie als mögliche Hauptursache dieser Homogenität bezüglich des Rauchverhaltens beschrieben. Anschließend werden die Prozesse der sozialen Beeinflussung und der Selektion als möglichen Erklärungen für die Homophilie dargestellt und theoretisch eingeordnet. Der Hauptteil der Arbeit widmet sich der Beantwortung der Forschungsfrage, welcher der beiden Prozesse bei der Bildung von im Rauchverhalten homogener Freundschaftsnetzwerke überwiegt. Dazu wird zunächst ein Überblick über die bisherige Forschung zu Homophilie im Rauchverhalten von Jugendlichen gegeben, und dann näher auf die Literatur über die unterschiedlichen Prozesse und deren relative Stärke eingegangen.

2. Theoretischer Hintergrund

2.1. Homogenität sozialer Freundschaftsnetzwerke

Freundschaftsnetzwerke bezeichnen soziale Netzwerke, welche sich primär über das Vorhandensein von Freundschaft zwischen den Akteuren des Netzwerks definiert.

Ein Netzwerk lässt sich allgemein „als eine durch Beziehungen eines bestimmten Typs verbundene Menge von sozialen Einheiten“ (Pappi 1987: 13) definieren.

Der Fokus der Analyse eines sozialen Netzwerks liegt auf der Struktur der Beziehungen zwischen den Akteuren dieses Netzwerks, sowie auf deren Interdependenz. Theoretische Annahme der sozialen Netzwerkforschung ist, dass Individuen miteinander interagieren und sich gegenseitig in ihrem Handeln beeinflussen. Die Beziehungen zwischen den Individuen wirken hierbei als Kanäle, über welche Informationen, Ressourcen oder auch typische Verhaltensweisen, innerhalb eines sozialen Netzwerks verbreitet werden (Kobus 2003: 40).

Die Netzwerkanalyse kennt einige theoretische Konzepte, um die Akteure innerhalb der Netzwerke zu vergleichen und die Struktur der Netzwerke als solche zu beschreiben. Im Folgenden wird jedoch nur auf diejenigen Konzepte und Instrumente eingegangen, die für die Beschreibung und Erklärung der Ähnlichkeit von Verhaltensmerkmalen von Interesse sind. Die in der Netzwerkanalyse häufig verwendeten Zentralitätsmaße werden daher nicht weiter berücksichtigt.

Die auf ein spezifisches Merkmal bezogene Homogenität eines Freundschaftsnetzwerks lässt drei verschiedene Möglichkeiten der Erklärung zu:

Die soziale Homophilie bezeichnet die Neigung von Individuen, mit Personen Verbindungen einzugehen, die ihnen ähnlich sind. In diesem Fall werden Freundschaften angestrebt und gewählt, in denen sich die Freunde möglichst ähnlich sind.

Eine weitere Erklärung bieten die unterschiedlichen Theorien der Sozialisation und sozialen Beeinflussung. Diese gehen davon aus, dass das soziale Umfeld bestimmte Merkmale wie die Einstellungen und das Verhalten einer Person verändern kann. In diesem Fall würde also Homogenität erzielt, indem sich bereits bestehende Freundschaften aneinander anpassen.

Eine dritte mögliche Erklärung wäre, dass die befreundeten Personen lediglich ähnlichen oder gleichen Gegebenheiten ausgesetzt waren oder sind und dadurch zum Beispiel mehr Kontakt miteinander haben.

Während manche Autoren die ersten beiden Erklärungen trennen (e.g. Christakis/Fowler 2008: 2251), wird die soziale Beeinflussung im weiteren Verlauf dieser Arbeit als Mechanismus der Homophilie betrachtet. Dies geschieht sowohl aus praktischen Gründen als auch in Übereinstimmung mit einem Großteil der Literatur. Mechanismen der Homophilie sind in diesem Fall also sowohl die Neigung, Freunde mit ähnlichen Eigenschaften zu wählen, als auch die Neigung, bereits bestehende Freundschaften anzugleichen.

2.2. Der Prozess der sozialen Beeinflussung und Sozialisation

Soziale Beeinflussung in Freundschaftsnetzwerken bezeichnet einen Prozess der wechselseitigen Veränderung, Formung und Anpassung von Individuen aufgrund der Beziehungen zu den Freunden in ihrem Netzwerk. Die Merkmale, die diesem Prozess unterliegen sind sehr vielseitig und können vom Kleidungsstil, über bestimmte Verhaltensweisen und Hobbys bis hin zu verinnerlichten Normen und Werten reichen.

Im Kontext dieser Arbeit ist vor allem die soziale Beeinflussung von Rauchverhalten von Relevanz, insbesondere die Frage, wie Jugendliche durch ihre Freundschaftsnetzwerke zum Konsum von Zigaretten verleitet werden können.

Die Theorie der primären Sozialisation basiert auf der Annahme, dass Normen und Verhalten innerhalb eines sozialen Kontexts gelernt werden. Zusammen mit Schule und Familie stellen hierbei die gleichaltrigen Freunde den wichtigsten Kontext der frühen Sozialisation dar. Die Beziehungen zum jeweiligen sozialen Kontext bzw. Netzwerk dienen als Kanäle, durch welche Informationen über Verhaltensnormen vermittelt werden (Kobus 2003: 39). Eine Hypothese der Theorie ist, dass eine schwächere Bindung zum Schul- und Familienkontext, wie es in der Adoleszenz der Fall ist, eine stärkere Beeinflussung durch die Freundschaftsnetzwerke zur Folge hat. Sind also Jugendliche Teil eines Freundschaftsnetzwerks, in dem das Rauchen die Norm ist, steigert dies das Risiko der Jugendlichen, ebenfalls mit dem Rauchen anzufangen.

Eine weitere Theorie zur sozialen Beeinflussung ist die Theorie der sozialen Identität von Tajfel und Turner (1986). Hier entscheidet die Selbstwahrnehmung der Jugendlichen darüber, wie sie sich in einem bestimmten Kontext verhalten. Nehmen sie sich als Teil einer Gruppe wahr, so passen sie sich in ihrem Verhalten dem der Gruppe an und sehen dieses Verhalten von da an als Teil ihrer sozialen Identität. Die Hypothese dieser Theorie ist also, dass Jugendliche sich ihrem Freundschaftsnetzwerk freiwillig und ohne Gruppendruck anpassen. Wenn dieses hauptsächlich aus Rauchenden besteht, so werden sie auch anfangen zu rauchen.

In der sozialen Netzwerktheorie dagegen kann auch aktive Beeinflussung durch Freunde in der Form von Gruppendruck eine Erklärung für die Homogenität eines bestimmten Verhaltens in der Gruppe sein. In diesem Fall wären vor allem Personen mit vielen rauchenden Freunden dem größten sozialen Druck ausgesetzt und eher gewillt, sich anzupassen (vgl. Granovetter 1973).

Ist soziale Beeinflussung der relevanteste Prozess zur Erklärung der Homophilie im Rauchverhalten, so sollte die Literatur, welche die beiden Prozesse vergleicht, einen relativ größeren Anteil an Zusammenhängen mit der folgenden zeitlichen Abfolge aufweisen: 1. Freundschaft; 2. Ähnlichkeit im Rauchverhalten.

2.3. Der Prozess der Selektion

Selektion bezeichnet einen Prozess, in dem Individuen festlegen, mit welchen anderen Personen sie sich anfreunden wollen und daraufhin in Interaktion treten.

Obwohl das Verhalten im Gegensatz zu vorrangigen Eigenschaften wie zum Beispiel Geschlecht oder ethnischer Herkunft nur ein zweitrangiges homophiles Merkmal ist, stellt es Kerckhoff und Davis, sowie Kandel zufolge dennoch einen wichtigen Prädiktor für die Selektion eines Freundschaftsnetzwerk dar (Kerckhoff/Davis 1962; Kandel 1978).

Jugendliche sollten also, sofern der Prozess der Selektion für die Homophilie im Rauchverhalten relevant ist, bevorzugt Personen als Freunde wählen, welche ein ähnliches Rauchverhalten haben, wie sie selbst.

Während soziale Beeinflussung hauptsächlich stattfindet, wenn eine Person bereits Teil des spezifischen Freundschaftsnetzwerks ist, findet der Prozess der Selektion zeitlich vor der eigentlichen Netzwerkintegration statt.

Daher sollte die Literatur, welche das Rauchverhalten und die Freundschaftsnetzwerke von Jugendlichen simultan betrachtet, einen relativ hohen Anteil von Zusammenhängen mit der folgenden zeitlichen Abfolge aufweisen: 1. Ähnlichkeit im Rauchverhalten; 2. Freundschaft.

3. Überblick über bisherige empirische Forschung

3.1. Homophilie im Rauchverhalten von Jugendlichen

Eine breite Masse an empirischer Forschung konnte zeigen, dass Freundschaften zwischen Jugendlichen oft durch Ähnlichkeit im Rauchverhalten gekennzeichnet sind. So sind rauchende Jugendliche eher mit anderen rauchenden Jugendlichen befreundet, als mit solchen, welche nicht rauchen (Sussman et al. 1990; Alexander et al. 2001; Ennett/Bauman 1993; Eiser et al. 1991).

Da der regelmäßige Konsum von Tabak meist in der Adoleszenz beginnt, in welcher Freundschaftsnetzwerken eine große Rolle in der persönlichen Entwicklung zukommt, ist es sinnvoll die Stärke der Homogenität in diesem Kontext darzustellen.

Alexander, Piazza, Mekos und Valente untersuchten anhand der National Longitudinal Study of Adolescent Health (Add Health), einer großangelegten Längsschnittstudie an Schulen in den USA, mögliche Einflüsse sowohl des direkten Schülernetzwerks, als auch des besten Freundes bzw. der besten Freundin auf das Rauchverhalten von Schülerinnen und Schülern (Alexander et al. 2001). Die Forscher konnten mittels mehrerer Regressionen, bei denen sie auf die Variablen Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft, Bildung der Eltern, Schule und Verfügbarkeit von Zigaretten im Elternhaus kontrollierten, feststellen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Person, zu rauchen signifikant mit der Prävalenz von Rauchern im Schulnetzwerk und der zwei besten Freunde ansteigt.

Ihre Ergebnisse sind in ihrer Grundaussage deckungsgleich mit einer großen Zahl an weiteren Studien, welche die starke Verbindung zwischen dem Rauchverhalten von Jugendlichen und ihrem Freundschaftsnetzwerk (e.g. Flay et al. 1994; Chasin et al. 1986; Hu et al. 1995; Aloise-Young et al. 1994) und ihren besten Freundinnen und Freunden (e.g. Urberg et al. 1997) in den Vordergrund stellten. Gemeinsam haben diese Studien alle, dass sie eine starke Korrelation im Rauchverhalten von Jugendlichen und ihren Freunden feststellten, jedoch entweder explizit herausstellten, dass die Mechanismen hinter dieser nicht endgültig geklärt werden können (Alexander et al. 2001), oder aber schlicht von Sozialisationseffekten ausgingen (vgl. Evans et al. 1988).

Christakis und Fowler (2008) konnten sehr eindrücklich die langfristigen Folgen der Homogenität im Rauchverhalten von Jugendlichen aufzeigen.

Sie untersuchten ein großes, dicht zusammenhängendes soziales Netzwerk. Die untersuchten Personen waren Teil der Framingham Heart Study (FHS) und wurden von 1971 bis 2003 regelmäßig unter anderem zu ihrem Rauchverhalten und ihrem sozialen Netzwerk befragt. Sie verglichen das existierende Vollnetzwerk mit simulierten Netzwerken der gleichen Topologie und dem gleichen Vorkommen von Rauchverhalten im Netzwerk, mit dem Unterschied, dass in den simulierten Netzwerken das Rauchverhalten zufällig auf die Akteure verteilt war. Auf diese Weise konnten sie nachweisen, dass Cluster bezüglich des Rauchverhaltens im Netzwerk existieren, dass also rauchende Personen eher mit anderen Personen befreundet oder liiert sind, wenn diese ebenfalls rauchen. Über alle Zeiträume hinweg war die Wahrscheinlichkeit für Personen zu rauchen im gegebenen Netzwerk um 61% höher, als in den simulierten Netzwerken, wenn sie Kontakte zu einer rauchenden Person hatten. Die Personen, die diese Cluster oder Teilnetzwerke ausmachten, verloren im Vergleich zu nicht-rauchenden Personen über den Zeitraum der Studie hinweg stetig an Zentralität im Gesamtnetzwerk. Dies deutet darauf hin, dass sich Raucherinnen und Raucher außerhalb ihres Teilnetzwerkes zunehmend isolieren und nur noch die Peripherie des gesamten Netzwerks ausmachen. Weder die höhere Sterblichkeit der Raucherinnen und Raucher noch Unterschiede in Bildung konnten diesen Effekt erklären. Des Weiteren fanden die Forscher heraus, dass das Rauchen die Isolation der Cluster fördert, die Isolation jedoch nicht fördernd auf das Rauchen wirkt.

3.2. Die Prozesse der Sozialisation und Selektion im Vergleich

Ennett und Bauman waren die ersten, die darauf hinwiesen, dass die Forschung bei der Analyse homogener Freundschaftsnetzwerke und speziell bei der Betrachtung von Rauchverhalten womöglich voreilige Schlüsse gezogen hat und die Prozesse der Selektion bisher unterschätzte (Ennett/Bauman 1994; Bauman/Ennett 1996).

Die European Smoking Prevention Framework Approach (ESFA) Studie (de Vries et al. 2003a), eine Längsschnittstudie zum Rauchverhalten von Jugendlichen in mehreren europäischen Ländern, stellt aufgrund ihrer großen Fallzahl und ihren multinationalen Daten eine gute Möglichkeit für die Forschung dar, das Sozialisationsparadigma zu überprüfen.

De Vries et al. (2003b) gingen der Frage nach, ob das Rauchverhalten von Freunden und Eltern ein gültiger Prädiktor dafür ist, dass Jugendliche ebenfalls mit dem Rauchen beginnen. Eine erste Querschnittsuntersuchung von 15604 Jugendlichen aus der Kontrollgruppe der ESFA-Studie bestätigte die Annahme, dass das Rauchen von Jugendlichen am engsten mit dem Verhalten ihrer Freunde zusammenhängt. Eine Längsschnittuntersuchung mit den zusätzlichen Daten, welche ein Jahr später erhoben wurden, offenbarte jedoch, dass das Verhalten der Freunde weit weniger Vorhersagekraft für den Rauchbeginn der Jugendlichen hatte.

Bei einer weiteren Untersuchung mit ausschließlich jüngeren Jugendlichen kamen sie sogar zu dem Ergebnis, dass das Rauchverhalten von Freunden kein signifikanter Prädiktor für das Rauchverhalten der jugendlichen ein Jahr später ist (de Vries et al. 2006). Die Strukturgleichungsmodelle, welche sie nutzten, deuteten des Weiteren darauf hin, dass in vier der sechs untersuchten Länder Selektionsprozesse die Freundschaft rauchender Jugendlicher besser erklärten als Sozialisationsprozesse.

Liesbeth Mercken und weitere Kollegen führten die Forschung am ESFA zusammen mit de Vries fort, wobei sie sich konkret auf die Entflechtung der beiden Prozesse fokussierten. Ihre Ergebnisse zeigten, dass bei Unterscheidung zwischen reziproken und einseitigen Freundschaften sowohl Selektion als auch Sozialisation wichtige Faktoren zur Erklärung der Ähnlichkeit des Rauchverhaltens sind. So sei die Selektion allein verantwortlich für die Ähnlichkeit im Rauchverhalten nicht reziproker Freundschaften, während die Sozialisation den größeren Teil der Ähnlichkeit reziproker Freundschaften erklärt (Mercken et al. 2007). Auch hier verwendeten die Forscher Strukturgleichungsmodelle, welche aber bei der Entflechtung von sozialer Beeinflussung und Selektion einige Mängel aufweist. Bestimmte Interdependenzen dieser Prozesse und der weiteren Netzwerkstruktur können nicht berücksichtigt werden. So stellt sich zum Beispiel die Frage, wie Freundesfreunde, also das erweiterte Netzwerk, Einfluss auf die Jugendlichen übt (Mercken 2007: 1490).

Die Verwendung neuerer Verfahren zur Modellierung der Koevolution von Netzwerken und Verhalten, sowie die Arbeit mit RSIENA (R-Simulation Investigation for Empirical Network Analysis) zur Schätzung dieser Koevolution, ermöglichte Mercken et al. eine bessere Entflechtung von Netzwerk- und Verhaltensveränderungen. Stochastic actor-based models, welche auch als SIENA-Modelle bezeichnet werden (vgl. Schaefer et al. 2012) entflechten Prozesse der sozialen Beeinflussung und Selektion, indem sie die Autokorrelation der Verhaltensähnlichkeit von Freunden in unterschiedliche Komponenten untergliedern, welche entweder der Verhaltensänderung durch soziale Beeinflussung oder der Netzwerkänderung durch Selektion zugeschrieben werden können (Schaefer et al. 2012: 13). Auf diese Weise können Forscher die beiden Prozesse wechselseitig kontrollieren. SIENA-Modelle beruhen auf der Annahme, dass die in Längsschnittstudien sichtbare Verhaltensähnlichkeit auf unbeobachteten Prozessen beruht, deren Ablauf durch das Modell geschätzt werden kann. Dies schließt Veränderungen des Verhaltens und des Netzwerkes mit ein, die in normalen Regressionen nicht beachtet werden können. Ein Beispiel dafür wäre eine Beziehung zwischen Person A und Person B. Zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung sind beide Personen befreundet und Person A raucht. Zum Zeitpunkt der zweiten Datenerhebung sind beide Personen befreundet und beide rauchen. Ein möglicher Schluss wäre also, dass Person A auf Person B Einfluss geübt hat. SIENA-Modelle berücksichtigen allerdings auch, dass sich die Freundschaft zwischen den beiden Datenerhebungen für einige Zeit aufgelöst haben könnte, Person B aus anderen Gründen mit dem Rauchen angefangen hat und sich beide Personen später wieder befreundeten, die Homophilie also womöglich auf Selektion beruht.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Homophilie im Rauchverhalten von Jugendlichen
Untertitel
Die Erklärungskraft von sozialem Einfluss und Selektion im Vergleich
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Soziologie und Sozialpsychologie)
Veranstaltung
Seminar: Freunde, Fluch oder Segen? Netzwerkforschung in der Adoleszenz
Note
1.3
Autor
Jahr
2019
Seiten
18
Katalognummer
V465559
ISBN (eBook)
9783668929609
ISBN (Buch)
9783668929616
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Netzwerkforschung, Netzwerke, Soziale Netzwerke, Adoleszenz, Jugendliche, Jugend, Freundschaft, Freundschaftsnetzwerke, Nikotin, Nikotinkonsum, Drogen, Selektion, Sozialer Einfluss, Sozialisation, Rauchen, Rauchverhalten, Netzwerk, Peer, Kinder, Gruppenzwang, Peer Pressure, Zigaretten, Alkohol, Tabak, Tabakkonsum, Soziale Beeinflussung, Selektionsmechanismen, Homophilie, Soziale Homophilie, Homogenität
Arbeit zitieren
Peter Solbach (Autor:in), 2019, Homophilie im Rauchverhalten von Jugendlichen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/465559

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