Warum in digitalen sozialen Netzwerken trotz partieller Anonymität seinem Wesen entsprechend moralisch gehandelt wird


Essay, 2017

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Gesellschaftlich motivierte Moral: Die Gyges-These
2.1 Positiv und negativ motivierte Moral teilanonymer Nutzer
2.2. Moral und Unmoral anonymer Nutzer

3 Die Kraft des Internalismus
3.1 Internalismus im Internet und im realen Leben
3.2 Moralisches und unmoralisches Handeln im Internalismus

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Behauptung dieses Essays, dass man auch im Internet trotz vorherrschender Anonymität moralisch handelt, gründet auf der durch den Gyges-Effekt (Kersting 2006: 59) verbreiteten Annahme, dass der Mensch unmoralischer handelt, wenn er sich unbeobachtet fühlt. Durch die zunehmende Digitalisierung gewinnt der Mensch den Eindruck, mindestens teilanonym, wenn nicht sogar ganz anonym zu sein, und wird dadurch nach der Theorie des Gyges trotz hoher moralischer Grundsätze dazu verleitet, unmoralisch zu handeln, etwa indem er jemanden mobbt oder illegal Musik herunterlädt. Was in einem realen Geschäft mit CDs nie infrage kommen würde, gilt im Internet fast als selbstverständlich. Dies stellt eine große Herausforderung für die moralische Selbstkontrolle jedes Einzelnen dar, da man einmal von der (Internet-)Gesellschaft eine eigene Gesetzgültigkeit vermittelt bekommt und zudem auch mit der eigenen Anonymität und der anderer Nutzer konfrontiert ist. Wird man beispielsweise anonym angegriffen, ist die Hemmschwelle niedriger, ebenfalls anonym genauso unmoralisch zu antworten. Diese beiden Herausforderungen für jedes Individuum spiegeln sich im Nutzerverhalten der Gesellschaft wider und erwecken den Eindruck, dass sie im Internet unmoralischer handelt, als sie sich im „realen Leben“ gibt. Das „reale Leben“ wird im folgenden Essay als die sozialen Interaktionen verstanden, die außerhalb des Internets und sozialer Online-Netzwerke stattfinden.

Dieser Wirkungsmechanismus ist in Zeiten der Digitalisierung besonders in der Diskussion, da man scheinbar jede Identität im Netz annehmen und darüber Gedankengänge verbreiten kann, ohne dafür bestraft zu werden, zum Beispiel auch in Deutschland. Über soziale Netzwerke wie Facebook, aber auch über anonym erstellte Webseiten kann man sich Profile anlegen oder Texte und Bilder verbreiten, die jenseits der Moral liegen und häufig auch juristisch stark zu bemängeln sind. Da solche Beiträge in Deutschland nicht immer aktiv verfolgt werden und wenn, dann der Verfasser schwer ausfindig zu machen ist aufgrund besagter Anonymität, gilt das Internet allgemein trotz teils nachverfolgbarer IP-Adressen und Datenspeicherung noch immer als großteils anonymer, rechtsfreier Raum.

Nicht zuletzt wegen öffentlicher W-Lan-Hotspots und der gesellschaftlichen und auch häufig vom Job her rührenden Verpflichtung, das Internet zu erreichen und zu nutzen, kann fast jeder am World Wide Web teilnehmen, etwas herauslesen und beitragen. Die ganze Gesellschaft, so scheint es, ist über das Internet vernetzt, und jeder kann alles darin machen – anonym, wenn er möchte. Daraus entsteht die Frage, ob durch diesen Effekt der digitalen Schein-, Teil- oder gänzlichen Anonymität, die sich auch auf das reale Leben auswirkt, die Gesellschaft tatsächlich unmoralischer wird.

Das folgende Essay soll die These vertreten, dass durch die Anonymisierung im Internet nicht unmoralischer gehandelt wird als woanders, da der Mensch durch Internalismus und gesellschaftliche Normen geleitet ist und daher nur unmoralischer handelt, wenn er ohnehin eine mangelnde Moral aufweist. Diese Argumentation wird anhand mehrerer Argumente erläutert und vertieft. Vorgegangen wird dabei, indem zuerst die Geschichte des Ringes des Gyges erläutert und in den Zusammenhang mit Anonymisierung gesetzt wird, dem der Internalismus entgegengesetzt wird und anschließend eine Zusammenführung der beiden gegensätzlichen Thesen unter Beachtung der Thematik des Internets stattfindet.

2 Gesellschaftlich motivierte Moral: Die Gyges-These

2.1 Positiv und negativ motivierte Moral teilanonymer Nutzer

Vorerst muss geklärt werden, dass sich im folgenden Text das „moralische Handeln“ an der traditionellen Moral nach Leist orientiert, die aus der Moraltheologie und nach Kant entstand, strikte Verbote und bedingte Gebote umfasst und damit einen starken Schutz, aber nur individuell relativierte Hilfestellungen bietet (Leist 2000: 6). Diese Form der Moral umfasst geltende Gesetze sowie gesellschaftliche Normen und ist daher auf die vorliegende Problematik allumfassend anwendbar. Zur Veranschaulichung der Diskussion über moralisches Handeln aus gesellschaftlichen Gr,ünden heraus wird ein Gleichnis herangezogen. Glaukons Parabel vom Ring des Gyges in Platons Werk „Politeia“ erzählt, dass der lydische Hirte Gyges einen Ring findet, der ihn unsichtbar werden lässt, sobald er ihn dreht. Gyges nutzt diese Kraft aus, um die Frau des Königs zum Ehebruch zu verführen, den König zu ermorden und dessen Herrschaft an sich zu reißen (Kersting 2006: 57 f.). Diese Parabel soll Glaukon zufolge veranschaulichen, dass Menschen, sobald sie sich unbeobachtet fühlen, Unrecht tun, weil ihnen keine Strafe dafür droht. Daraus ist zu folgern, dass der Mensch nur gut handelt, um Strafen zu entgehen, und andererseits unmoralisch handelt, wenn er sich sicher ist, unbeobachtet zu sein.

Diese Ansicht ist aber insofern zu widerlegen, als Menschen auch unbeobachteterweise zum Beispiel Hilfe gegen Mobbing leisten, wenn im Internet niemand weiß, wer sie sind. Ein Mensch leistet in der Regel nicht nur Hilfe, weil er von Gesetzes wegen muss, sondern weil er Mensch ist und menschlich handelt. Hier muss man aber auch berücksichtigen, dass zwar die Mobbenden wahrscheinlich nicht wissen, wer man ist, aber der Kommentar wahrscheinlich im Newsfeed der eigenen Freunde auftaucht. Egal, ob man dies während seiner Handlung weiß oder nicht – in seinem sozialen Umfeld wirkt es natürlich meist sympathischer, das Mobbingopfer zu verteidigen, als es zu mobben. Diese Handlung hat daher nichts mit einer drohenden Bestrafung zu tun, sondern ist eher internalistisch begründet oder auch einem anvisierten positiven Erscheinungsbild in der eigenen Umgebung zuzuschreiben. Dies ist ein Beispiel für ich nenne es einmal positiv motivierte Moral, also die Widerlegung des Falles, dass man nur gut handelt, um Strafen zu entgehen.

Ein anderes Beispiel tritt in dem Fall ein, wenn jemand etwas Schlechtes tun könnte, weil er unbeobachtet ist, zum Beispiel illegal Musik herunterzuladen oder einen Mordaufruf zu starten. Hier muss man natürlich unterscheiden zwischen einem kleinen und einem großen Vergehen. Beim kleinen Vergehen ist die Hemmschwelle, etwas Verbotenes zu tun, wesentlich niedriger, obwohl auch darauf Strafen drohen und die Verfolgung illegaler Downloads inzwischen sehr einfach geworden ist. Die drohende Strafe hält also tatsächlich kaum davon ab, etwas Verbotenes zu tun, allerdings könnte man eben auch viel schlimmere Dinge tun, würde man nur davon ausgehen: Beim großen Vergehen, dem Aufruf zum Mord, muss ein unmoralischer Mensch dahinterstehen, denn diese Straftat macht in ihrer Durchführung keinen Unterschied zum realen Leben offline und wird daher nicht von der Anonymität im Internet beeinflusst. Dies ist negativ motivierte Moral, also der Antrieb, Böses zu tun, weil man unbeobachtet ist. Damit ist der Ring des Gyges nicht auf die Anonymität im Internet übertragbar, sondern zeigt, dass Moral auch unter dem Mantel der Anonymität vom Charakter des handelnden Menschen abhängt.

2.2. Moral und Unmoral anonymer Nutzer

Bis hierher galt die Annahme, dass man nur fremden Nutzern gegenüber anonym wirkt und mit seinen Bekannten dennoch über das Netz verbunden ist. Geht man dagegen davon aus, dass ein Internetnutzer sich komplett anonymisiert und im Sinne des Gyges als tatsächliche Person für andere Nutzer unsichtbar wird, sodass er nicht mehr identifizierbar ist, so ließe sich die These des Gyges durchaus neu diskutieren. Da aber der Mensch ein natürliches Bedürfnis nach Mitteilung hat und die einen Nutzer in sozialen Netzwerken mehr, die anderen weniger posten, sich aber in jedem normalen Fall identifizierbar machen, um mit ihnen bekannten Mitnutzern in medialen Kontakt treten zu können, ist sie nahezu hinfällig. Sobald jemand über sein Profil identifizierbar ist, ist er nicht mehr anonym. Auch bei falschen oder abgeänderten Namen und schwer erkennbaren Fotos ist man vielleicht zwar nicht mehr im realen Leben mit dem virtuellen Profil verknüpfbar, jedoch für seine Bekannten in jedem Fall als man selbst erkennbar. Auch in der Internetgemeinde an sich taucht man an diversen Stellen immer wieder auf, sodass bestimmte Handlungen, Beiträge und Kommentare mit dem eigenen Profil verknüpft werden können. Ein moralisch denkender Mensch, der das Internet also nutzt, um mit Bekannten in Kontakt zu treten, ist keinesfalls anonym, und ein solcher, der mit fremden Personen in Kontakt tritt, verbindet dennoch Nachrichten mit dem eigenen Profil, das auch eine Art der Identifikation darstellt. Im Gegensatz zur allgemeinen Annahme der Anonymität im Internet wird mancherorts auch eine „totale Transparenz“ unterstellt (Schöttle, Böhme 2014: 20 ff.), die offenlegt, dass im Internet Informationen über eine Person viel leichter abrufbar und speicherbar sind, als sie es in der realen Welt je werden. Dadurch kann man die scheinbar harten Fakten der virtuellen Realität in der Wirklichkeit vergleichen und so eventuelle Flunkereien sehr leicht aufdecken.

Natürlich fällt es schwer, die Möglichkeit, sich besser darzustellen als man ist, nicht komplett auszunutzen und sich online als jemand oder so zu präsentieren, der oder wie man gerne sein würde. Verfälscht man seine Daten dennoch gering, ist dies in einem gewissen Rahmen nicht als unmoralisch anzusehen, solange man niemanden damit anlügt außer sich selbst. Beispielsweise wird es der Umwelt ziemlich egal sein, ob man auf seinem Profilbild eine Hautunreinheit entfernt, die im realen Leben kaum oder gar nicht zu erkennen ist, sondern nur auf dem Foto. Damit betrügt man am meisten sich selbst, weswegen diese Handlung nicht als unmoralisch anzusehen ist. Unmoralischer jedoch wäre die völlige Verfälschung oder ganzheitliche Abänderung fester Lebensdaten oder das Einstellen von Fotos fremder Menschen. Verfälscht ein Mensch ganze Eckdaten oder erstellt ein komplettes Fakeprofil mit dem Vorsatz, andere Nutzer zu täuschen, und dem Ziel, damit etwas zu erreichen, was nicht im Zusammenhang mit der eigenen Person stehen soll, ist dies eine Handlung mit einem eindeutig unmoralischen Hintergrund. Eine solche Handlung wird von Personen begangen, die einen unehrlichen bis hin zu einem kriminellen Hintergrund haben und daher auch im realen Leben entweder gekonnt über diese Eigenschaft hinwegtäuschen oder offensichtlich unmoralisch handeln, in jedem Falle jedoch als unmoralische Menschen anzusehen sind. Von vornherein unmoralische Menschen handeln also auch entweder moralisch oder unmoralisch im Internet, moralische Menschen hingegen haben eine höhere Hemmschwelle und handeln daher höchstens in geringem Maße unmoralisch.

Die Anonymität spiegelt sich folglich hierbei lediglich in der eigenen Gestaltung eines Nutzerprofils wider, bei der man durchaus tricksen kann, jedoch als moralischer Mensch im eigenen Sinne dies nicht übermäßig tun wird aus Angst vor sozialer Unerwünschtheit. Wenn man zum Beispiel ein absolut bearbeitetes Profilbild von sich verwendet, auf dem man dem allgemeinen Schönheitsideal entsprechend wesentlich besser aussieht als im realen Leben, wird das gesellschaftliche Umfeld eher negativ darauf reagieren und die mögliche Kompensation durch positiven Reaktionen im Internet klar überlagern. Ebenso verhält es sich mit verfälschten Informationen auf dem Profil. Der Mensch handelt also moralisch aus gesellschaftlicher Einbindung heraus, insofern er in diese integriert ist. Die Gründe für moralisches Handeln liegen hierbei eher darin, nicht unmoralisch zu handeln, um nicht geächtet zu werden. Bei unmoralisch handelnden Menschen gibt es diese Einschränkung nicht, daher können sie das Internet nutzen, um ihre Taten noch umfassender zu vollziehen. Dies zieht weitere Kreise in den Medien als das typische Vorgehen normal handelnder Menschen und wirkt daher durch diese stärkere Präsenz als eine Bedrohung durch das Internet. Letztlich erleichtert das Internet kriminellen Gewalten zwar einiges, doch erreicht sozialer Zwang bei Nicht-Kriminellen schon ein moralischeres Verhalten. Im folgenden Kapitel geht es um den inneren Antrieb, bewusst moralisch zu handeln. Dieser beleuchtet die andere Möglichkeit, moralische Menschen unmoralischer werden zu lassen.

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Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Warum in digitalen sozialen Netzwerken trotz partieller Anonymität seinem Wesen entsprechend moralisch gehandelt wird
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
14
Katalognummer
V466033
ISBN (eBook)
9783668940079
ISBN (Buch)
9783668940086
Sprache
Deutsch
Schlagworte
warum, netzwerken, anonymität, wesen
Arbeit zitieren
Olivia Mantwill (Autor:in), 2017, Warum in digitalen sozialen Netzwerken trotz partieller Anonymität seinem Wesen entsprechend moralisch gehandelt wird, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/466033

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