Das Nibelungenlied als ideologisches Instrument seit seiner Wiederentdeckung bis zum Ende des Dritten Reichs


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

21 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Die erste Rezeptionsphase von der Wiederentdeckung des Epos bis zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs

3. Das Nibelungenlied im Deutschen Kaiserreich und während des Ersten Weltkrieges
3.1 Die Nibelungentreue als Symbol für das Verhältnis Deutschlands zu Österreich-Ungarn
3.2 Die Schwertsymbolik im Ersten Weltkrieg
3.3 Der deutsche Soldat als Nibelungenheld

4. Das Nibelungenlied zur Zeit der Weimarer Republik

5. Das Nibelungenlied im Dritten Reich
5.1 Görings Stalingrad-Rede

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Nibelungenlied ist so häufig wie kein anderes Werk in den vergangenen 250 Jahren rezipiert und dabei meist als ideologisches Mittel benutzt worden, um das deutsche Nationalgefühl zu stärken. Das bezieht sich sowohl auf die wissenschaftliche Analyse des Textes als auch auf Übersetzungen, Neubearbeitungen und Nachdichtungen, die auf der Basis des altdeutschen Epos entstanden sind.

Ziel dieser Hausarbeit ist es, den Umgang mit dem Nibelungenstoff in Politik und Alltag unter Berücksichtigung der jeweiligen Zeit zu untersuchen. Dabei ist es notwendig, die Entwicklung seit der Wiederentdeckung des Werkes im Jahr 1755 chronologisch bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 zu verfolgen, um aufzuzeigen, dass der Missbrauch als Propagandainstrument sich zunehmend verstärkte. Diese Tendenz lässt sich in vier Rezeptionsphasen unterteilen, die einhergehend sind mit der Geschichte Deutschlands. Daher wird eine Einteilung in vier Großkapitel, die die Zeitabschnitte von der Wiederentdeckung des Epos bis zur Gründung des Deutschen Reichs, das Deutsche Kaiserreich einschließlich des Ersten Weltkrieges, die Weimarer Republik und das Dritte Reich beinhalten, erfolgen.

Weiterhin soll nicht nur anhand von Neubearbeitungen in Form von Gedichten oder Romanen und Zitaten historischer Persönlichkeiten aufgezeigt werden, wie das Nibelungenlied aufgrund der selektiven Auswahl bestimmter Handlungen und Momente benutzt wird, um in der jeweiligen Ära als Werk der Tugenden und Helden dargestellt zu werden. Im Vordergrund wird stattdessen die konsequente Überprüfung der in der Rezeption behaupteten Aussagen am mittelhochdeutschen Text stehen, deren Ergebnis sein wird, dass die Umdeutung des Epos zu ideologischen Zwecken nur dadurch möglich war, dass eben kein Bezug zwischen den propagierten Behauptungen und der literarischen Vorlage vorhanden ist.

2. Die erste Rezeptionsphase von der Wiederentdeckung des Epos bis zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs

Als im Jahr 1755 durch den Arzt Jakob Herman Obereit das Nibelungenlied in der Hohenemser Bibliothek wiederentdeckt wird, zwei Jahre später ein Teildruck von Johann Jakob Bodmer einschließlich der Klage erscheint und 1782 schließlich der erste Druck des vollständigen Originaltextes von Bodmers Schüler Myller erfolgt, war die Reaktion des Publikums zunächst durch Desinteresse gekennzeichnet (VON SEE 1991: 56). Jedoch gab es eine Tendenz im 18. Jahrhundert, die für das Interesse am Werk sehr förderlich war: die Suche nach einem deutschen Nationalepos. Man wollte anderen Völkern, wie z. B. Griechenland mit seiner Ilias und Odyssee oder Frankreich mit seinen Chanson de Roland, die durch ihre identitätsstiftende Wirkung das Nationalbewusstsein stärken, nicht weiter nachstehen (FREMBS 2001:15). Daher sah man im Nibelungenlied die Möglichkeit, das deutsche Heldenwerk gefunden und somit das Defizit an einem Epos beseitigt zu haben. Bodmer wies auf die Ähnlichkeit des Nibelungenliedes mit Homer hin, indem er das Werk auf die Rachehandlung Kriemhilds am Hunnenhof reduzierte und so das Kriegerische als Basis der Epen zugrunde legte. Der Schweizer Historiker Johannes von Müller sprach dem Nibelungenlied erstmals einen Eigenwert zu und wertete es als Dokument aus vorgeschichtlich germanischer Zeit, da es ihm gelang, historische Orte und Figuren nachzuweisen. 1786 vermerkte er: „Der Nibelungen Lied könnte die teutsche Ilias werden.“ (VON SEE 1991: 57).

1805 brach der Krieg zwischen Frankreich und Preußen aus in dessen Verlauf Preußen in den Schlachten bei Jena und Auerstädt endgültig besiegt wird und Napoleon nach der Flucht des preußischen Königs als Sieger in Berlin einmarschiert. Diese historische Situation bewirkte eine solche Aufstauung patriotischer Emotionen einhergehend mit einem Gefühl der nationalen Erniedrigung, dass der Ruf nach dem Nibelungenlied als Nationalepos immer lauter wurde. In dem Zusammenhang erfolgte erstmals eine Verbindung der Figuren des Werkes mit den Kriegsgegnern. August Zeune sah in dem Drachen das Symbol für Frankreich und in dem Drachentöter Siegfried das Sinnbild für Deutschland (FREMBS 2001: 17).

Die Gebrüder Schlegel beschäftigten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingehend mit dem Nibelungenlied. Friedrich Schlegel begreift das Nibelungenlied als ein „Produkt aus poetischer Vorzeit, in welcher die Nation unter den weltbeherrschenden die ihr angemessene Stelle eingenommen hat“ (FREMBS 2001: 18 f.) und sein Bruder August Wilhelm betrachtet das Epos als ein „historisches Dokument aus der Völkerwanderungszeit“ (FREMBS 2001: 18). Dabei versteht er die Völkerwanderungszeit als deutsche Vergangenheit:„... Es ist unläugbar, daß der deutsche Nationalcharakter … bey der ersten Erscheinung in der neueren Geschichte, so kurz nach der Völkerwanderung, im größten Styl ausgeprägt ist …“ (nach BRACKERT 1971: 347). In seinem acht Jahre später erscheinenden Aufsatz „Untersuchungen über das Nibelungenlied“ von 1812 bestätigt er noch einmal, dass es sich bei dem Epos um ein deutsches, heimisches Gedicht handelt (BRACKERT 1971: 347).

„... Es ist aber dies tröstliche Streben noch allein die lebendige Urkunde des unvertilgbaren Deutschen Karakters, der über alle Dienstbarkeit erhaben, jede Fremde Fessel über kurz oder lang immer wieder zerbricht … Kein anderes Lied mag ein vaterländisches Herz so rühren und ergreifen …[wenn es] die herrlichsten männlichen Tugenden offenbart:… Treue und Freundschaft bis in den Tod,… Milde und Großmuth in des Kampfes Noth, Heldensinn, übermenschliche Tapferkeit, und willige Opferbereitschaft für Ehre, Pflicht und Recht;… und uns … doch zugleich mit Muth zu Wort und That, mit Stolz und Vertrauen auf Vaterland und Volk, auf dereinstige Wiederkehr Deutscher Glorie und Weltherrlichkeit erfüllen.“

(nach BRACKERT 1971: 348f.)

Der Schlegel-Schüler Friedrich Heinreich von der Hagen lässt 1807 in seiner Einleitung zur Nibelungenlied-Ausgabe ebenfalls verlauten, dass es ein Werk mit deutscher Vergangenheit sei, welches eine Fremdbestimmung über die Deutschen nicht dulde:

„Wie rehte ritterlîche die Dietrîches man

die schefte liezen vliegen mit trunzûnen dan

hôhe über die schilde von guoter ritter hant!

von den tiuschen gesten wart dürkel manic schildes rant.“

Diese Interpretation markiert den Anfang einer Tradition, die das Epos zu einem positiven Werk umdeutet. Die heroischen Charaktereigenschaften der Deutschen werden akzentuiert und können unter dem Blickwinkel der Napoleonischen Kriege eine ideologische Funktion übernehmen. Wobei es einem hohen Maß an Optimismus bedarf vom Ausgang des Nibelungenepos, der im Untergang der Burgunden endet, auf eine positive Hinwendung des deutschen Schicksals zu hoffen. Ebenso wie die Gebrüder Schlegel sieht auch von der Hagen im Nibelungenlied ein Werk deutscher Geschichte, da er die Begriffe „deutsch“ und „germanisch“ synonym gebraucht und so eine ahistorische Wortverwendung entsteht, die bis weit ins 20. Jahrhundert hineinreicht (WUNDERLICH 1991: 121). Im Nibelungenlied selbst wird nur ein einziges Mal das Wort „deutsch“ bzw. „tiusch“ genannt, nämlich in der 22. Aventiure, in der Kriemhilds Ankunft an Etzels Hof beschrieben wird (22. Aventiure: „Wie Kriemhilt von Etzel empfangen wart“, Strophe 1354):

Doch trotz dieser nicht vorhandenen deutschen Vergangenheit im Werk erhält das Nibelungenlied Schlagzeilen wie: „Urbild reiner echter Deutschheit“ und „Evangelium deutscher Tapferkeit und Treue“. Siegfried wird zum deutschen Helden stilisiert und der Hort symbolisiert das „versunkene Deutschtum“ (BRACKERT 1971: 350). Jedoch gab es zur damaligen Zeit nicht nur Befürworter des Nibelungenliedes sondern auch Gegner, die in dem Werk nicht das so lange gesuchte deutsche Nationalepos sehen. Als Goethe 1808 erstmals das Nibelungenlied liest, bewahrt er eine kritische Distanz, die ihm erlaubt, Homer weiterhin über die altdeutsche Dichtung zu stellen. Trotzdem äußert er sich: „Die Kenntnis dieses Gedichts gehört zu einer Bildungsstufe der Nation.“ (nach BRACKERT 1971: 351) Auch bei Hegel ist gegenüber dem Werk eine Reserviertheit zu erkennen, da er ebenso wie Goethe versteht, dass trotz des einheimischen Bodens, auf dem die Handlung des Epos stattfindet, keine weiteren Parallelen zur Tradition des Abendlandes zu ziehen sind und er daher die Epen Homers als „weit heimischer“ empfindet (FREMBS 2001: 23).

Zur Zeit der Restauration lässt das Interesse am Altdeutschen und somit auch die Nibelungenbegeisterung nach, stattdessen erfolgt nun die wissenschaftliche Bearbeitung der altdeutschen Dichtung. 1826 erscheint Karl Lachmanns klassische Textausgabe und 1827 Karl Simrocks Übersetzung (VON SEE 1991: 59).

In den 1840er Jahren wird eine Beziehung zwischen Nibelungenlied und Gegenwart hergestellt, indem die Flüsse Rhein und Donau in den Vordergrund treten, da an ihnen politische Aktualisierungen aufgezeigt werden können. Bei den beiden Flüssen handelt es sich nämlich um Grenzflüsse, die durch die Rheinlande und die Ostmark fließen und so zu „deutschen Schicksalsflüssen“ (VON SEE 1991: 83) werden. Felix Dahn sah sich 1859 durch das Gerücht eines gemeinsamen Angriffs von Russland, Frankreich und Italien auf deutsche Truppen veranlasst, sein Gedicht „Deutsche Lieder“ zu verfassen, in dem auch die zwei Flüsse mitwirken: „Von Blute schäumend ziehn mit Stöhnen empört die Donau und der Rhein:/ Es wollen brausend ihren Söhnen die deutschen Ströme Helfer sein.“ Des Weiteren überhöht Dahn in seinen letzten Versen die eventuelle Kriegsniederlage der Deutschen zu einem heroischen Untergang, den er mit dem Niedergang der Burgunden am Hunnenhof gleichsetzt: „Die Erde soll im Kern erzittern, wann fällt ihr tapferstes Geschlecht:/ Brach Etzels Haus in Glut zusammen, als er die Nibelungen zwang,/ So soll Europa stehn in Flammen bei der Germanen Untergang!“ Auch hier werden die Burgunden mit den Deutschen und diese mit den Germanen gleichgesetzt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass in der ersten Phase der Nibelungenrezeption, die im Zeitraum von 1755 bis 1870/71 zu verzeichnen ist, das Heldenepos als Zeugnis einer deutschen Vergangenheit verstanden wird und aufgrund der nationalen Begeisterung, nun ein deutsches Nationalepos gefunden zu haben, eine enorme Popularität erfährt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Das Nibelungenlied als ideologisches Instrument seit seiner Wiederentdeckung bis zum Ende des Dritten Reichs
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
2,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V46780
ISBN (eBook)
9783638439008
ISBN (Buch)
9783638782258
Dateigröße
475 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nibelungenlied, Instrument, Wiederentdeckung, Ende, Dritten, Reichs
Arbeit zitieren
Antje Minde (Autor:in), 2005, Das Nibelungenlied als ideologisches Instrument seit seiner Wiederentdeckung bis zum Ende des Dritten Reichs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46780

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