Europa und Südostasien. Herausforderungen und Perspektiven des europäisch-südostasiatischen Verhältnisses


Masterarbeit, 2017

76 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Historische Situation
2.1 Vorgeschichte zum politischen Umfeld Südostasiens
2.2 Entstehungs- und Entwicklungsprozess der ASEAN
2.3 Entstehungs- und Entwicklungsprozess der Europäischen Union

3 Politische Situation
3.1 Organisatorische Struktur und Institutionen der ASEAN
3.2 Organisatorische Struktur und Institutionen der EU
3.3 Systemischer Vergleich

4 Kooperationen und institutionelle Zusammenarbeit
4.1 Gemeinsame Ziele der ASEAN-Europa Kooperation
4.2 ASEAN-EU Dialogue
4.3 Asia-Europe Meeting (ASEM)
4.4 ASEAN Plus Three
4.5 ASEAN Regional Forum
4.6 Die regionale Einbindung Chinas

5 Stärken, Schwächen, Chancen, Bedrohungen, Maßnahmen

6 Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Entwicklungsstufen der ASEAN

Abbildung 2: Organisationsstruktur der ASEAN

Abbildung 3: Organisationsstruktur der EU

Abbildung 4: Analyse ASEAN

Abbildung 5: Analyse EU

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

“One Vision, One Identity, One Community”

(ASEAN 2016a)

So lautet das Motto der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN), die am 8. August 2017 ihr 50-jähriges Bestehen feierte. Ein Ereignis, das in den deutschen Medien wenig Beachtung fand. Ursächlich dafür könnte die Einschätzung sein, dass das Staaten- bündnis, aus europäischer Perspektive am entgegengesetzten Ende der Welt gelegen, nur eine geringe Relevanz für die Europäische Union hat. Doch eine solche Einschätzung ist keineswegs richtig. Bei der ASEAN handelt es sich um eine Kooperation regionaler Ein- zelstaaten mit derzeit rund 630 Millionen Menschen. Sie verteilt sich auf eine Fläche von 4,5 Mio. qkm und ist damit, nicht nur bezogen auf die Bevölkerungszahl, größer als die EU. Für die kommenden Jahre plant sie die vollständige Umsetzung eines Binnenmarktes nach europäischem Vorbild (vgl. o.V. 2017). Im Jahr 2015 betrug das Bruttoinlandspro- dukt (BIP) der ASEAN rund 2,4 Billionen US$. Damit stand sie, hinter China und Japan, auf Platz drei der größten Volkswirtschaften in der Region und auf Platz sechs weltweit. Im gleichen Jahr investierten ausländische Unternehmen ca. 121 Mrd. US$ in die Region (vgl. ASEAN 2016a). Somit wird nachvollziehbar, dass dort in absehbarer Zeit ein riesi- ger Markt, auch für die EU, entsteht.

Im Rahmen dieser Arbeit soll daher untersucht werden, wie die beiden geographisch so weit auseinanderliegenden Regionen - ASEAN und EU - zum Vorteil für beide Seiten, zukünftig miteinander kooperieren können. Welche Herausforderungen und Perspektiven ergeben sich für beide Seiten? Wenn die ASEAN die EU bei der Errichtung ihres Bin- nenmarktes zum Vorbild nimmt, stellt sich die Frage, ob dieser Wunsch überhaupt ge- rechtfertigt ist?! Dazu müssen die Strukturen der beiden Kooperationen miteinander ver- glichen werden. Diese haben sich von einer historischen Basis aus, über Jahrzehnte hin- weg, unter verschiedensten Einflussfaktoren, entwickelt. Das macht also nicht nur eine Untersuchung der historischen Entwicklung erforderlich, sondern auch eine verglei- chende Analyse des politischen und ökonomischen Status quo. Denn erst wenn die Ge- meinsamkeiten und Unterschiede, insbesondere der heutigen Struktur, geklärt sind, lässt sich prüfen, ob die EU eine Vorbildfunktion für die ASEAN überhaupt erfüllen kann. Denn differieren die Strukturen zu stark, macht das vor dem Hintergrund notwendiger Anpassungen an das europäische System wenig Sinn. Ausgehend von den gewonnenen Erkenntnissen wird im Anschluss untersucht, wie die beiden Regionen miteinander inter- agieren können. Welche Kommunikationswege gibt es und wie werden diese genutzt? Welche Interessen verfolgen die beiden Großregionen und wie werden sie diese durch- setzen können? Schließlich ergeben sich auch hieraus mögliche Herausforderungen für eine vertiefte Zusammenarbeit. Letztlich muss untersucht werden, welche Konsequenzen eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den beiden Regionen hat; nicht nur bezogen auf die ASEAN und die EU, sondern eben auch für den gesamten östlichen Pazifik. Wo gibt es auf beiden Seiten Stärken oder Schwächen? Worin bestehen mögliche Chancen oder Risiken? Ausgehend von diesen Leitfragen ergibt sich damit die folgende These die- ser Arbeit:

Wie die Herausforderungen der Entwicklung eines europäisch-südostasiatischen Verhält- nisses im Interesse beider Seiten bewältigt werden können, hängt maßgeblich vom Ein- fluss der EU als Vorbild ab.

Für die Untersuchung dieser These wird vorwiegend auf Online-Quellen zurückgegriffen. Der Grund dafür ist die hohe Aktualität vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklungen und Fortschritte, die auf beiden Seiten, vor allem innerhalb der letzten 15 Jahre, stattge- funden haben. Klassische Standardwerke zu diesem Thema waren hier also relativ schnell veraltet. Zudem stellte sich während einer ersten Recherche heraus, dass die wenigen neueren Printausgaben, selbst renommierter Autoren, zum Teil schon zum Zeitpunkt des Erscheinens seit mehreren Jahren veraltet waren. Daher musste insbesondere im Bereich der heute aktuellen Institutionenstruktur der ASEAN auf deren Internetpräsenz zurück- gegriffen werden.

Anmerkung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwen- dung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeich- nungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

2 Historische Situation

Im folgenden Kapitel werden in zwei Unterkapiteln die historischen Entstehungs- und Entwicklungsprozesse der beiden Regionen seit dem Ende des 2. Weltkriegs unabhängig voneinander dargestellt. Diese Vorgehensweise wurde gewählt, da sich mit einer getrenn- ten Betrachtung die abschließende Beurteilung der Entwicklungen sowohl hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten als auch die ihrer Unterschiede leichter veranschaulichen lässt. Im Gegensatz zum europäischen Einigungsprozess, der beinahe unmittelbar nach dem Krieg begann, verzögerte sich diese Entwicklung im südöstlichen Pazifik zunächst. Die Ursachen dafür waren vielfältig. Beispielsweise hatten sich einige der späteren ASEAN- Staaten noch gar nicht gebildet, da sie ein noch nicht unabhängiger Teil eines europäi- schen Kolonialreiches waren. Andere Staaten hingegen unternahmen bereits erste Versu- che einer regionalen Kooperation, scheiterten jedoch aus verschiedensten Gründen. Diese Umstände machen es notwendig, die Entwicklungen, die in den beiden Jahrzehnten vor der ASEAN in der Region stattfanden, zuvor in einem weiteren Unterkapitel kursorisch zu umreißen.

2.1 Vorgeschichte zum politischen Umfeld Südostasiens

Die Region Südostasien gehört zum asiatischen Kontinent und umfasst dort die Länder östlich von Indien und südlich von China. Bis zum 2. Weltkrieg stand dieses Gebiet unter der Macht- und Einflusssphäre westlicher, vor allem europäischer, Kolonialmächte wie zum Beispiel Großbritannien (z.B. Malaysia, Myanmar), Frankreich (z.B. Laos, Kam- bodscha), den Niederlanden (z.B. Indonesien) oder auch Portugal (Osttimor). Nach dem 2. Weltkrieg begann allerdings ein politischer Umbruch, der schließlich in eine Phase der blutigen Auseinandersetzungen, deren Folgen zum Teil noch heute spürbar sind, mün- dete. Ursächlich dafür war zum einen die einsetzende Entkolonialisierung, während der die Kolonien begannen, sich von ihren Kolonialmächten zu befreien. Zum anderen auch die beiden damaligen Weltmächte USA und Sowjetunion, die zu jener Zeit ihre Konflikte teilweise auch in dieser Region austrugen (z.B. Vietnamkrieg). Im Bemühen um Fort- schritt und politische Stabilität entstanden in diesem Kontext die ersten Versuche, sich zu organisieren (vgl. Rosenbusch 2003: 37-38). Der Erste von ihnen war das pazifische Pen- dant zur atlantischen North Atlantic Treaty Organization (NATO): Die 1954 gegründete South-East Asia Treaty Organisation (SEATO). Initiiert wurde sie von den USA und den ehemaligen Kolonialmächten mit dem Ziel, den Einfluss in dieser Region zu wahren und gegen das kommunistische China gewappnet zu sein (vgl. Rosenbusch 2003: 37-38). Ne- ben Australien, Frankreich, Großbritannien, Neuseeland, Pakistan und den USA, waren die beiden südostasiatischen Staaten Thailand und die Philippinen in diesem Bündnis. Ihre Ziele bestanden in einer gemeinsamen Verteidigung, ständigen Konsultationen so- wie einer wirtschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit. Was im transatlanti- schen Bündnis funktionierte, versagte jedoch im Pazifik. Die westlichen Staaten verloren ihr Interesse an den ehemaligen Kolonien, traten zum Teil aus dem Bündnis aus, während die Staaten der Region nach mehr Eigenständigkeit von den Westmächten strebten (vgl. Haubold 1975). So wurde die SEATO im Jahre 1977 schließlich aufgelöst. Ein weiterer Versuch sich zu einer regionalen Zusammenarbeit zusammenzufinden, ebenfalls unter Führung der USA, war die Association of Southeast Asia (ASA) von 1961. Ihre Mitglieder, Thailand, die Philippinen und die Föderation Malaya, hatten sich zum Ziel gesetzt, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Region voranzutreiben. Aus Sorge vor den kommunistischen Tendenzen in den drei Ländern, entwickelten sich allerdings auch Ideen bezüglich einer möglichen Sicherheitsallianz zwischen den Staaten. Aber auch diese Zusammenarbeit wurde, nur vier Jahre später, erfolglos beendet. Rosenbusch führt dazu verschiedene Interessenkonflikte zwischen den Staaten sowie eine regional nachlas- sende Bedrohung durch den Kommunismus als Ursache an (vgl. Rosenbusch 2003: 38- 39). So stritten sich beispielsweise die Philippinen und Malaya um den nordöstlichen Teil Borneos, der sich später dann dem neu gegründeten Malaysia anschloss. Außerdem konnte Indonesien als größter Staat in der Region nicht für das Bündnis gewonnen wer- den, da es selbst nicht in den Ost-West-Konflikt eingebunden werden wollte, die ASA ihrerseits jedoch von den USA unterstützt wurde. Schließlich schwächte sich nach 1962 die Bedrohung durch den Kommunismus, auch aufgrund der Unterstützung durch die USA, sowohl auf die Region von außen wie auch innenpolitisch in Malaya und auf den Philippinen ab, so dass der Sicherheitsaspekt wegfiel (vgl. Rosenbusch 2003: 38-39). Auch ein dritter Versuch der Zusammenarbeit scheiterte. Verantwortlich dafür war ein bereits bestehender Konflikt, der etwa im Jahr 1961 begonnen hatte. Im Rahmen eines Staatsbildungsprozesses wollte sich die Föderation Malaya mit den britischen Gebieten Sarawak (im Nordwesten Borneos), Brunei und Sabah (im nordöstlichen Borneo) verei- nen (vgl. Jose 2004: 855). Indonesien betrachtete dies allerdings als eine Form des Neo- Kolonialismus und wollte diesen Zusammenschluss mit seiner sogenannten Konfrontasi- Kampagne verhindern. Dabei handelte es sich um eine „erfolglose diplomatische und nur halbherzige militärische Anstrengung“ (King 2013: 84), die mit der Ausrufung des Staa- tes Malaysias im Jahre 1963 begann und erst 1966 endete. Auch hier waren auf Seiten Malaysias, mit Großbritannien, Australien und Neuseeland, überregionale Kräfte am Konflikt beteiligt. Daher schlug der philippinische Präsident Diosdado Macapagal damals vor, diesen Konflikt mithilfe einer neu zu gründenden Organisation zu lösen, die lediglich die Konfliktparteien in den Problemlösungsprozess einband: Die MAPHILINDO 1. Kein außenstehender Staat sollte sich einmischen, stattdessen sollte nach dem Prinzip „Asian solutions by Asian nations for Asian problems.“ verfahren werden (vgl. Jose 2004: 855). Doch auch dieser Versuch scheiterte. Die unterschiedlichen Interessen der Staaten, die Grenzstreitigkeit, die politischen Haltungen und nicht zuletzt auch die tiefen Gräben, die die Politik der Konfrontasi gezogen hatten, verhinderten eine Fortsetzung des Projekts und so endete dieses im Jahre 1966 (vgl. Jose 2004: 855). Allerdings bewiesen die drei beteiligten Staaten mit ihren steten Bemühungen (auch untereinander) ihren festen Wil- len, regionale Konflikte zukünftig selbstständig und ohne Einflüsse Dritter zu lösen und offenbarten einen zukunftsweisenden regionalen Zusammenhalt für eine mögliche zu- künftige Zusammenarbeit. Wenngleich alle drei oben genannten Versuche einer Koope- ration fehlgeschlagen sind, belegen sie damit dennoch, dass sie sich einer Erkenntnis be- wusst sind - eine, die allen beteiligten Staaten in dieser Region gemein ist: Nur gemein- sam sind wir wirtschaftlich, politisch und verteidigungspolitisch stark.

2.2 Entstehungs- und Entwicklungsprozess der ASEAN

Die ASEAN wurde bereits kurze Zeit nach der gescheiterten Zusammenarbeit im Rahmen der MAPHILINDO im Jahre 1967 gegründet. Zu den fünf Gründungsmitgliedern gehör- ten damals, neben Singapur und Thailand, auch jene drei Staaten, denen es kurz zuvor im Rahmen der MAPHILINDO nicht gelungen war, ihre zwischenstaatlichen Konflikte zu lösen: Indonesien, Malaysia und die Philippinen. Denkbar schlechte Voraussetzungen also für einen weiteren Anlauf einer politischen Zusammenarbeit. Doch zwei politische Ereignisse beeinflussten den positiven Ausgang maßgeblich:

1) In Indonesien fand zwischen 1965 und 1966 ein allmählicher Machtwechsel zu Gunsten des Armeegenerals Hadji Mohamed Suharto statt. Nach der Machtüber- nahme entsagte er der Politik der Blockfreiheit seines Vorgängers Achmed Su- karno und trieb stattdessen einen politischen und ökonomischen Umbau seines Landes mit Hinwendung zu den Westmächten voran2 (vgl. Langels 2013).
2) Auch auf den Philippinen hatte sich zur gleichen Zeit ein Machtwechsel vollzogen. Ferdinand Marcos löste nach freien Wahlen im November 1965 seinen Vor gänger Diosdado Macapagal ab und versprach die Korruption und Vetternwirt- schaft, die bis dahin das Land gelähmt hatten, zu beseitigen3 (vgl. Bertsch 2015).

Mit dem Wechsel der Führung in den beiden Staaten endete auch die spannungsgeladene Politik der Konfrontasi zwischen Malaysia und den Philippinen. Beide, Marcos und Suharto, verfolgten eine moderatere Außenpolitik als ihre Vorgänger, verbunden mit der Absicht, sich weiter dem Westen, insbesondere den USA, anzunähern (vgl Bhatki 2010: 291). Diese gemeinsame Stoßrichtung half dabei, die Basis für eine neue politische Zu- sammenarbeit in der Region zu legen, und so konnte am 8. August 1967 in Bangkok (Thailand) von den fünf Außenministern der oben genannten Staaten die ASEAN-Dekla- ration (auch Bangkok-Deklaration genannt) unterzeichnet werden (vgl. Association of Southeast Asian Nations 2016). In einer sehr allgemein formulierten, aus lediglich fünf Artikeln bestehenden Erklärung, begründeten die Staaten ihre Gemeinschaft, mit den „Zielen und Absichten, das wirtschaftliche Wachstum zu beschleunigen, den gesell- schaftlichen Fortschritt sowie die kulturelle Entwicklung in der Region durch gemein- same Bemühungen im Geiste der Gleichheit und Partnerschaft“4 voranzutreiben. Damit sollte „das Fundament für eine erfolgreiche und friedliche Gemeinschaft südostasiati- scher Nationen gestärkt werden“ (vgl. Association of Southeast Asian Nations 2016). In Artikel 5 bekennt sich die Gemeinschaft ferner dazu, den kollektiven Willen der beteilig- ten Nationen zu vertreten, sie durch Freundschaft und Kooperation aneinander zu binden und für die Sicherheit der Menschen sowie für Frieden, Freiheit und Wohlstand der Nach- welt zu sorgen (vgl. Association of Southeast Asian Nations 2016).

Dieses Vorhaben scheint auch aus heutiger Sicht noch ambitioniert. Immerhin lebten während der damaligen Zeit rund 185 Millionen Menschen in den fünf Mitgliedsstaaten (vgl. Weltbank, 2017b), mit den verschiedensten Ethnien, Sprachen und Religionen.5 Vor diesem Hintergrund, und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die Staaten zum zu konstatieren, dass die Länder sich erst am Anfang eines Prozesses der Nationenbildung befanden, was das Erreichen der gesteckten kooperativen Ziele nochmals erschwerte, so- lange entsprechende innenpolitische Prozesse (zum Beispiel Festigung der Staatsstruktu- ren) noch nicht abgeschlossen waren. Allerdings zeugt die ASEAN-Deklaration auch von dem gemeinsamen Ehrgeiz der Teilnehmer, ihre noch jungen Staaten vor den akuten Ge- fahren, wie internen Konflikten, territorialen Disputen untereinander oder auch durch den Kalten Krieg, zu bewahren und damit ihre Region von innen heraus zu stabilisieren und nach außen hin zu schützen. Dazu war es zunächst einmal notwendig, untereinander Ver- trauen zu fassen. Ein erster Meilenstein während der ersten Jahre der Zusammenarbeit war die 1971 unterzeichnete Kuala Lumpur-Deklaration, mit der die Zone of Peace, Free- dom and Neutrality (ZOPFAN) ins Leben gerufen wurde. Hierhin sprachen sich die ASEAN-Staaten vor allem gegen eine Einmischung der Ost-/Westmächte aus und setzten damit ein noch relativ unbedeutendes Zeichen vor dem Hintergrund der damaligen Ent- wicklungen in der Region (z.B. der Vietnamkrieg, der Rückzug Großbritanniens aus Ma- laysia und Singapur und der damit verbundene Sicherheitsverlust) (vgl. Amer 2004: 186). Von besonderer Bedeutung für die Gemeinschaft war das Jahr 1976. Damals trafen die Staats- und Regierungschefs der fünf Mitgliedsstaaten erstmals zu einer Gipfelkonferenz zusammen. Diese sollte der „Verwirklichung einer Regionalisierung und als ein ‚Versuch einer politischen Identitätsfindung‘ dienen (vgl. Rosenbusch 2003: 45). Während dieser Konferenz wurden zwei bedeutende Beschlüsse gefasst. Der eine war die „Declaration of ASEAN Concord“, mit der die in der Bangkok-Deklaration formulierten Beschlüsse über die Ziele und Organisationsstrukturen nochmals bekräftigt und ausgebaut wurden. Zuvor nicht vorgesehene Gipfeltreffen sollten fortan im Bedarfsfall einberufen werden können, weiterhin wurde beschlossen, in Jakarta ein ständiges Sekretariat einzurichten (vgl. Ro- senbusch 2003: 45).

Der andere Beschluss war der Treaty of Amity and Cooperation (TAC). Dieser war des- halb von herausragender Bedeutung, da er jene Normen und Prinzipien enthielt, die später auch zusammenfassend als der „ASEAN Way“ der Sicherheitskooperation und der Kon- fliktbearbeitung bezeichnet wurde.6 Gemäß Artikel 2 sicherten sich die Mitgliedsstaaten untereinander folgendes zu:

- Gegenseitige Achtung der Unabhängigkeit, der Souveränität, der Gleichheit, der territorialen Integrität und der nationalen Identität.
- Das Existenzrecht eines jeden Staates, frei von äußerer Einmischung.
- Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates.
- Beilegung von Streit mit friedlichen Mitteln.
- Jeglicher Verzicht von Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung (vgl. ASEAN 2016b).

Ferner sah der TAC zur friedlichen Beilegung inner- und zwischenstaatlicher Konflikte auch die Einrichtung eines Hohen Rates vor. Von der Möglichkeit der Anrufung dieser Institution wurde jedoch bisher, trotz durchaus vorhandener Konflikte (wie zum Beispiel dem auch heute noch existierenden Disput zwischen Malaysia und den Philippinen be- züglich der Sabah-Region), noch nie Gebrauch gemacht. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass dieser Vertrag allerdings nicht nur für die ASEAN-Staaten gedacht war, sondern auch anderen Staaten offen stand (vgl. Nabers; Ufen 2005: 33-34). Damit können diese beiden Verträge als Initialzündung für die (sicherheits-) politische und ökonomische Kooperationen verstanden werden. Im Jahre 1984 trat als sechstes Mitglied Brunei Da- russalam, unmittelbar nach der Erklärung seiner Unabhängigkeit von Großbritannien, dem Zusammenschluss bei.

Als sich ab Ende der 1980er und in den 1990er Jahren die Ökonomie in der Region zu- nehmend positiv entwickelte, stieg in Folge dessen auch die Kooperation untereinander stetig an. Dieser Umstand führte im Jahre 1992 schließlich zur Unterzeichnung des Com- mon Effective Preferential Tariff (CEPT) Abkommens. In diesem Papier legten die Mit- gliedsstaaten fest, dass die bestehenden Zollschranken zunächst entlang eines Zeitplans reduziert und schließlich ganz abgeschafft werden sollten (vgl. ASEAN 1992). Damit bildete dieses Papier die Grundlage für das spätere Freihandelsabkommen ASEAN Free Trade Area (AFTA).7 Zudem beschlossen die Teilnehmer, ab sofort alle drei Jahre zu einem Gipfeltreffen zusammenzukommen. Bis dahin hatte es in den 25 Jahren zuvor nur drei entsprechende Zusammenkünfte gegeben. Neben dem Beschluss einer verstärkten Zusammenarbeit waren drei weitere Faktoren während der 1990er Jahre entscheidend auf dem Weg zu einer zunehmenden Institutionalisierung der ASEAN:

1) Im Juli 1993 beschlossen die Außenminister die Einrichtung des ASEAN Regio- nal Forums (ARF). Ziel war die Förderung eines offenen, konstruktiven Dialogs in allen politischen Fragen sowie einer sicherheitsrelevanten Kooperation im ge- samten asiatisch-pazifischen Raum. Damit war dieses Forum also nicht nur auf die ASEAN Staaten beschränkt, sondern öffnete sich auch gegenüber Außenste- henden. Seither findet alljährlich ein Treffen auf Ebene der Außenmister der ASEAN Staaten und der 17 Teilnehmerländer statt.8 Seit 2001 ist auch die Terro- rismusbekämpfung eines der Hauptziele des ARF (vgl. ASEAN Regional Forum o.J.).
2) Ferner begann die ASEAN Ende der 1990er Jahre damit, als ein regionaler Akteur aufzutreten und selbst externe Kooperationen mit Nichtmitgliedern einzugehen. Im Dezember 1997 lud sie die Spitzenvertreter der Länder China, Japan und Süd- korea zu einem inoffiziellen Gipfeltreffen, dem ASEAN Plus Three (APT), ein. Ihre gemeinsam vereinbarten Ziele gaben sie nach Abschluss der Gespräche in einer gemeinsamen Erklärung ab: Man wolle zukünftig gemeinsame Ziele auf ver- schiedenen Ebenen und in verschiedenen Bereichen, insbesondere in denen der Ökonomie, des Sozialen und der Politik, verfolgen (vgl. ASEAN Secretariat 2017c).
3) Außerdem war das Jahrzehnt durch ein Wachsen der Mitgliedsstaaten geprägt. 1995 wurde Vietnam das siebte Mitglied der ASEAN, 1997 folgten Myanmar und Laos. 1999 erreichte der Staatenbund mit dem Beitritt Kambodschas schließlich seine heutige Mitgliedszahl und umfasst seitdem den gesamten südostpazifischen Raum.

Doch trotz der oben genannten Entwicklungen befand sich die südostasiatische Region Anfang der 2000er Jahre in einer Krise. Verschiedene Epidemien (Vogelgrippe, SARS), die Asienkrise 1997 sowie terroristische Anschläge und Unruhen in Touristenzentren, hatten die dortigen Länder in eine missliche Lage gebracht, in deren Folge zu befürchten war, dass vor allem ausländische Investoren wegzubleiben drohten (vgl. Freistein 2004:

1). Hinzu kamen interne Auseinandersetzungen zwischen Staaten wie Thailand und den Philippinen auf der einen Seite, die ihrerseits auf Reformen und die Einhaltung der Men- schenrechte drängten sowie Vietnam, Laos und Burma auf der anderen Seite, die wiede- rum jede Verhandlung in diesen Punkten ablehnten (vgl. Freistein 2004: 1). Vor dem Hintergrund dieser Querelen fassten die Mitgliedsstaaten im Zuge ihres neunten Gip- feltreffens den Beschluss, einen neuen Weg zu beschreiten; den, der Gemeinschaftsbil- dung. Dazu verabschiedeten die Regierungschefs die Declaration of ASEAN Concord II im Jahre 2003, die unter anderem die Gründung einer ASEAN Gemeinschaft bis zum Jahr 2020 (die sogenannte Vision 2020) vorsah. Jenes Grundgerüst, welches zukünftig eine „dynamische, geschlossene, stabile und integrierte ASEAN Gemeinschaft“ (vgl. ASEAN 2012b) tragen sollte, bestand aus drei Säulen:

1) ASEAN Security Community (ASC)9: Gemäß Absatz A1 stand hier vor allem die politische und sicherheitspolitische Kooperation der Staaten im Vordergrund. Be- tont wurde in Absatz A4 neben dem Bekenntnis zur UN-Charta und anderer in- ternationaler Gesetze auch das weiterhin geltende Prinzip der Nichteinmischung in innerstaatliche Angelegenheiten vor dem Hintergrund der Beachtung der Sou- veränität der Staaten. Den bereits in diesem Zusammenhang bestehenden Verein- barungen wurde eine exponierte Rolle bei der Suche nach einer Konfliktlösung eingeräumt (siehe Absatz A6). Insgesamt versteht sich die ASC nicht als Vertei- digungsinstrument, sondern eher als eine Gemeinschaft der kollektiven Sicherheit (vgl. ASEAN 2012b).
2) ASEAN Economic Community (AEC): Sie verfolgt laut Absatz B1 das Ziel, die ASEAN Gemeinschaft zu einer stabilen, prosperierenden und in höchstem Maße wettbewerbsfähigen Region, mit freiem Verkehr von Waren, Gütern und Dienst- leistungen, zu entwickeln. Zudem sollen die wirtschaftlich schwächeren Staaten im Wachstum ihrer Ökonomien unterstützt und den stärkeren Ländern angegli- chen werden (siehe Absatz B4). Um die AEC voranzutreiben, soll ebenso auf bestehende Mechanismen (z.B. AFTA, ASEAN Framework Agreement on Services (AFAS) und ASEAN Investment Area (AIA)), wie auch auf neue, noch einzurichtende richtende Mechanismen zurückgegriffen werden (siehe Absatz B3) (vgl. ASEAN 2012b).
3) ASEAN Socio-Cultural Community (ASCC): Das Hauptaufgabenfeld ist hier vor allem die Integration auf soziologischer Ebene. Die Gemeinschaft beabsichtigte dazu gemäß Absatz C2 die Anhebung des Lebensstandards benachteiligter Grup- pen und der Landbevölkerung, die stärkere Einbindung insbesondere von Frauen, Jugendlichen und lokaler Gemeinschaften. Weiterhin sollte die Bildung, als Schlüssel zur sozioökonomischen Integration, ebenso gefördert werden (siehe Absatz C3) wie auch das Gesundheitswesen (siehe Absatz C4). Auch die Zusam- menarbeit bei problembehafteten Aspekten wie dem Bevölkerungswachstum, der Arbeitslosigkeit oder der Umweltverschmutzung und der Nachhaltigkeit, wurden in die Erklärung mit aufgenommen (siehe Absatz C6) (vgl. ASEAN, 2012b).

Mit der im November 2007 von allen Staats- und Regierungschefs unterzeichneten und bis Dezember 2015 in allen Mitgliedsstaaten ratifizierten ASEAN-Charta, gab sich die Gemeinschaft einen Rechtsstatus und einen institutionellen Rahmen. Während die Artikel 1 und 2 der Charta lediglich noch einmal die bereits bekannten Ziele bzw. Prinzipien der Gemeinschaft benannte, war der Artikel 3 hier von herausragender Bedeutung. Denn dort definiert sich die ASEAN als eine „inter-governmental organisation“ (vgl. ASEAN Se- cretariat 2017d: 8) mit einer entsprechend eigenen Rechtspersönlichkeit. Daraus resul- tierte, dass die ASEAN in der internationalen Gemeinschaft ab sofort als eigenständiger Akteur auftreten konnte. Im Weiteren konnte sie zudem im Sekretariat der Vereinten Na- tionen (UN) registriert werden, wurde in den Beobachterstatus erhoben und kann damit seither vor den Vereinten Nationen als Dialogpartner auftreten (vgl. ASEAN o.J.). Weiter konkretisiert wurden die oben genannte Ideen der ASEAN Community in der 2009 veröffentlichten Roadmap for an ASEAN Community 2009-2015. Neben den Ent- würfen für die Umsetzung der drei Pfeiler, enthielt dieser Fahrplan zudem ein Kapitel über die „ Initiative for ASEAN Integration (IAI) Strategic Framework and IAI Work Plan 2 (2009-2015) “. Mit dem Verweis auf die unterschiedlichen Entwicklungsstände in den verschiedenen Ländern, sollte der IAI Work Plan 210 dafür Sorge tragen, dass mithilfe entsprechender Programme und Fördermaßnahmen die unterschiedlichen Entwicklungsstände stände, insbesondere im Bereich der Infrastruktur, des Handels und der Investitionen, an- geglichen werden. Die Aufgabe des IAI Strategic Framework ist es dabei, die für den IAI Work Plan 2 notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, die Durchführung zu über- wachen und die spätere Berichterstattung zu liefern (vgl. ASEAN Secretariat 2009: 96). Aus heutiger Sicht wurden, bezogen auf die geplante Errichtung der drei Pfeiler, vor al- lem Fortschritte im Bereich der Ökonomie gemacht. Zunächst ist in diesem Kontext, durch den Beitritt Kambodschas im Jahre 2010, die endgültige Umsetzung des Freihan- delsabkommens AFTA zu nennen. Von größerer symbolischer Bedeutung war allerdings das Inkrafttreten der AEC am 31. Dezember 2015. Symbolisch deshalb, da eines ihrer Hauptziele, die Umsetzung der Zollfreiheit, bereits Jahre zuvor im Rahmen der Umset- zung der AFTA, weitestgehend erreicht werden konnte. Andere Ziele jedoch, wie bei- spielsweise die Arbeitnehmerfreizügigkeit oder die Harmonisierung nationaler Stan- dards, lassen immer noch auf sich warten (vgl. Westenberger 2016: 1). Zudem sind auch die derzeitigen Disparitäten zwischen den Ländern nach wie vor erheblich. Somit lässt sich resümieren, dass das wichtigste Integrationsprojekt im Hinblick auf die Errichtung der ASEAN Community bisher nur mit Einschränkungen umgesetzt werden konnte. Da auch die Einrichtung der anderen beiden Pfeiler, ASCC und ASPC, auf dem Weg zu ASEAN Community bisher nicht abgeschlossen werden konnte, wurde seitens der Teil- nehmer entsprechend reagiert und ein weiterer Fahrplan installiert. Diese ebenfalls Ende 2015 in Kuala Lumpur unterzeichnete Roadmap ASEAN Community Vision 2025 gibt den Staaten in ihrem Bestreben nach einem gemeinsamen Markt, ähnlich der EU, nun die weitere Richtung und die notwendigen Ziele für eine stärkere regionale Integration bis zum Jahre 2025 vor.

Im Jahre 2011 unterzeichneten die Staatsoberhäupter einen weiteren, den bis heute gülti- gen Aktionsplan Bali Concord III für die Jahre von 2013 bis 2017. Hierin vereinbarten die Beteiligten, sich zukünftig stärker für den Frieden und die Sicherheit auf globaler Ebene einzubringen, sich in die Weltwirtschaft zu integrieren sowie ihre bereits vormals gesteckten Ziele der nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung und den Umwelt- und Klima schutz zu erfüllen (vgl. ASEAN 2012a: 1-34). Um eine erfolgreiche Umsetzung dieser vorgenannten Punkte zu gewährleisten, wurden die jeweils zuständigen Fachminister an- gewiesen, mit dem Koordinationsrat, dem Ausschuss der ständigen Vertreter und des Sekretariats, zusammenzuarbeiten (vgl. ASEAN 2012a: 33-34). Dieser Aktionsplan wird zudem von dem derzeit aktuellen IAI Work Plan III (2016-2020) unterstützt. Dessen För- derschwerpunkte zur Angleichung der verschiedenen Entwicklungsstände liegen, im Ver- gleich zum IAI Work Plan 2, hier vor allem im Bereich der Entwicklung der menschli- chen Arbeitskräfte, der Handelserleichterungen sowie der Armutsbekämpfung. Da sich sowohl Bali Concord III als auch der IAI Work Plan III derzeit noch in der Umsetzungs- phase befinden, lassen sich die Erfolge bisher noch nicht abschließend bewerten. Aller- dings betonte der Vorsitzende der ASEAN, anlässlich ihres 30. Gipfeltreffens in Manila, die seiner Einschätzung nach positiven Entwicklungen und bescheinigte den beiden Pro- grammen eine positive Zwischenbilanz (vgl. ASEAN 2017: 3-5).

Entsprechend der in diesem Kapitel dargestellten Entwicklungsprozesse und Zusammen-

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung

Dabei muss in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass sich in der Lite- ratur ähnliche Darstellungen finden lassen. Diese verwenden jedoch bei ihrer Herleitung zum Teil andere Ereignisse oder andere Gewichtungen, so dass sie in der Folge auch zu einer entsprechend anderen Einteilung der Entwicklungsstufen als hier dargestellt füh- ren.11

2.3 Entstehungs- und Entwicklungsprozess der Europäischen Union

Auch die Geschichte der europäischen Integration ist eng mit dem Ende des 2. Weltkriegs und seiner Folgen verknüpft. Unmittelbar nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands galt es, die Zerstörungen, die kaum ein Land verschont hatten, zu beseitigen und alte Feindschaften zu begraben. Es war Winston Churchill, der bereits 1946 in einer Rede an der Universität von Zürich forderte, eine „Art Vereinigter Staaten von Europa“ zu errichten (o.V. 2016b). Zu dieser Zeit bildeten sich zwei Gruppierungen heraus, die ihrerseits ganz verschiedene Vorstellungen davon hatten, wie eine europäische Einigung umzusetzen sei. Auf der einen Seite die Unionisten, zu denen auch Churchill gehörte, die ein möglichst rasches Zusammenwachsen der Staaten unter Beibehaltung ihrer national- staatlichen Souveränität forderten. Stattdessen sollte die Zusammenarbeit nach den Vor- stellungen dieser Gruppe auf intergouvernementaler Ebene erfolgen. Unter besonderer Förderung Großbritanniens und unter dem atomaren Schutzschirm der USA sollte dieses Europa auf der Seite des Westens in den Ost-West-Konflikt und damit in den Kampf gegen die Bedrohung durch den Kommunismus eingebunden werden. Auf der anderen Seite präferierten die Föderalisten einen europäischen Bundesstaat, in dem die Mitglieds- staaten einen Teil ihrer wirtschaftlichen, politischen sowie militärischen Souveränitäts- rechte an eine supranationale Instanz der Europäische Union abtreten sollten. Bezogen auf den Ost-West-Konflikt vertraten die Föderalisten die Auffassung, dass Europa sich aus diesem heraushalten müsse (vgl. Brummer 2008: 22). Hinsichtlich der Frage, ob für eine Neuordnung Europas das Einsetzen einer Institution, die mit überstaatlichen Kom- petenzen ausgestattet war, notwendig sei, bestanden inhaltliche Differenzen innerhalb der beiden Lager. Hier konnten sich im Januar 1949 in einer diesbezüglichen Abstimmung letztlich die Unionisten mehrheitlich durchsetzen. Damals beschlossen die Mitglieder des Brüsseler Pakts 12 die Schaffung eines europäischen Ministerrats und einer Beratenden Versammlung (ohne supranationale Elemente), den Europarat (vgl. Brummer 2008: 23). Wie der Name „Beratende Versammlung“ bereits andeutet, hatte der Europarat keine rechtliche Handhabe zur Durchsetzung seiner Beschlüsse. Vielmehr konnte er lediglich Vorschläge unterbreiten. Im Mai 1949 unterzeichneten schließlich die Staaten des Brüs- seler Pakts sowie die Länder Dänemark, Irland, Italien, Norwegen und Schweden den Satzungsentwurf (der sogenannte Londoner Vertrag), so dass dieser am 3. August 1949 in Kraft treten konnte (vgl. Brummer 2008: 23). Doch der Erfolg der Unionisten währte nur kurz. Bereits ein Jahr später, am 9. Mai 1950, veröffentlichte der damalige französi- sche Außenminister Robert Schumann seinen föderalistischen Vorschlag, der die Errich- tung eines weiteren supranationalen Elements vorsah: Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Das Ziel war das Zusammenlegen der deutsch-französischen Kohle- und Stahlproduktion unter eine oberste Behörde, die die Produktion fortan dadurch verwalten und koordinieren sollte, indem sie etwaige Handelshemmnisse zwi- schen den europäischen Staaten beseitigte. Das heißt auch, dass die Möglichkeit eines Beitritts auch anderen europäischen Staaten offenstand. Diese Möglichkeit nahmen neben Deutschland und Frankreich auch Belgien, Italien, Luxemburg und die Niederlande wahr. Sie unterzeichneten den Vertrag 1951 und bereits am 23. Juli 1952 trat er in Kraft (vgl. Olsson; Piekenbrock 2013: 113). Für die Umsetzung des Vertrages war es notwendig, vier weitere neue Behörden zu schaffen: 1) Hohe Behörde (aus ihr ging später die EU Kommission hervor, 2) der Ministerrat (später Rat der EU), 3) die Gemeinsame Versamm- lung (heute das Europäische Parlament und 4) Gerichtshof (heute der Europäische Ge- richtshof). Doch die Einführung des auch Montanunion genannten Vertrages hatte nicht nur einen integrativen Zweck. Dahinter steckte ebenso die Absicht, Deutschland wieder in die internationale Gemeinschaft einzugliedern wie auch die, die Kontrolle über diese kriegswichtigen Wirtschaftszweige zu haben. Denn die französische Seite fürchtete sich nicht nur vor einem erneuten Aufrüsten des ehemaligen Erzrivalen, sondern noch mehr fürchtete sich Europa vor einem aus dem Osten kommenden Krieg. Mit dieser Lösung hatte Europa also zumindest die Schlüsselindustrie unter seiner Kontrolle (vgl. Große Hüttmann 2013a). Wie konkret die Sorge vor einem gewaltsamen Konflikt war, zeigte auch die Bereitschaft auf französischer Seite, im Bereich einer gemeinsamen Verteidi- gung zusammenzuarbeiten. Die Initiative scheiterte jedoch, obwohl sie bereits von den Beneluxstaaten, Deutschland, Frankreich und Italien unterzeichnet worden war, 1954 an der Ratifizierung durch die französische Nationalversammlung (vgl. Große Hüttmann 2013b). Trotz dieses Rückschlags begannen die Teilnehmerstaaten der EGKS nur ein Jahr später ihre Konsultationen über weitere Möglichkeiten einer Zusammenarbeit und der europäischen Integration, an deren Ende die Unterzeichnung der sogenannten Römischen Verträge im März 1957 stand. Diese bestanden aus zwei einzelnen Abkommen, dem Ver- trag über die Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sowie der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom), die beide supranationale Elemente enthiel- ten. Von besonderer Bedeutung ist, auch aus heutiger Sicht, der Vertrag über die EWG. Vor allem mit den Artikeln 2 und 3 wurden einige der fundamentalen Eckpfeiler der heu- tigen EU gelegt. So sieht Artikel 2 beispielsweise die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes mit einer schrittweisen Annäherung der Wirtschaftspolitiken zum Zwecke des Wachstums und der Stabilität vor (vgl. o.V. 1957: 15). Artikel 3 greift diesbezüglich auf Artikel 2 zurück und gibt die umzusetzenden Schritte auf dem Weg zum Gemeinamen Markt vor. Dazu gehört beispielsweise die Abschaffung interner Zölle und Handelsbe- schränkungen, bei gleichzeitiger Einführung eines Gemeinsamen Zolltarifs und einer ge- meinsamen Handelspolitik gegenüber Drittstaaten. Hierzu verpflichteten sich die Staaten in Artikel 3h, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften für eine Umsetzung entsprechend anzupassen (vgl. o.V. 1957: 15-16). Erwartungsgemäß unterzeichnete Großbritannien diesen Vertrag nicht und gründete seinerseits 1959, zusammen mit Dänemark, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden und der Schweiz, die Europäische Freihandelszone (EFTA). Es behielt seinen europäischen Sonderweg in den nächsten Jahren bei, während- dessen die Staaten der EWG ihre Beziehungen vertieften. Als Beispiele dafür können in diesem Zusammenhang der Deutsch-Französische Vertrag (auch Elysee-Vertrag) von 1963 oder auch der Fusionsvertrag von 1965, der den Ministerrat und die Kommission für alle drei Gemeinschaften bildete und damit die Europäische Gemeinschaft konstitu- ierte, genannt werden. Während der 1960er Jahre zeichnete sich der Erfolg einer wirt- schaftlichen Kooperation vor allem auf Seiten der EWG und weniger auf Seiten der EFTA ab. Aus diesem Erfolg resultiert letztlich die Norderweiterung Anfang 1973, als Großbri- tannien neben Dänemark und Irland der Gemeinschaft beitrat (vgl. Europäische Kommis- sion 2017). Die 1970er und 1980er Jahre waren geprägt von einem Auf und Ab der Ent- wicklungen. Die mit der ersten Ölkrise im Zusammenhang stehende Weltwirtschaftskrise Mitte der 1970er Jahre sowie auch die zweite Ölkrise zum Ende des Jahrzehnts führten dazu, dass die Mitglieder ihren Glauben an die Wirtschaftsgemeinschaft kurzzeitig ver- loren und so versuchten sie, die ökonomischen Geschicke ihrer Länder wieder in die ei- gene Hand zu nehmen.13 Doch auf der anderen Seite gab es auch nennenswerte Fort- schritte. Dazu gehören beispielsweise die 1974 getroffenen Vereinbarungen über regel- mäßig abzuhaltende Treffen der Staatsspitzen sowie darüber, dass ein Europäischer Rat gegründet werden solle, der über die zukünftigen Richtlinien der gemeinsamen Politik bestimmen sollte. Weiterhin wurde 1979 erstmals auch die Bevölkerung der einzelnen Staaten in den Prozess der europäischen Vergemeinschaftung einbezogen. Damals fanden die ersten direkten Wahlen zum Europäischen Parlament statt, das zu diesem Zeitpunkt jedoch lediglich über ein Anhörungs- und über kein Mitspracherecht verfügte (vgl. Furtak 2015: 154-155). Wenngleich aufgrund dessen die Bedeutung dieser Institution gering war, brachte es den Menschen das „Projekt Europa“ dennoch ein Stück näher. Mit Grie- chenland (1981) und den beiden baltischen Ländern Spanien und Portugal (beide 1986) erweiterte sich die Union im Süden auf bis dahin zwölf Mitgliedsstaaten. 1986, mit Wir- kung zum 1. Juli 1987, wurden die drei oben vorgestellten Gründungsverträge (EGKS, Euratom und EWG) grundlegend ergänzt oder verändert und in die Einheitliche Europä- ische Akte (EEA) überführt. Das Ziel war klar: Gemäß Kapitel II, Abschnitt II, Unterab- schnitt I, Artikel 13 wurde der EWG-Vertrag dahingehend verändert, dass die Gemein- schaft sich verpflichtete, den Binnenmarkt bis zum 1. Januar 1993 schrittweise umzuset- zen. In diesem Binnenmarkt sollten keine Grenzen mehr existieren, so dass „der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital […] gewährleistet ist.“ (Eu- ropäische Gemeinschaften 1987: 7). Von der Überarbeitung waren auch die beiden Ver- träge der EGKS und der Euratom betroffen, die ebenfalls auf das Gesamtziel „Europäi- sche Union“ hin ausgerichtet wurden. Die EEA wurde somit zum Wegbereiter für das, was fünf Jahre später folgen sollte: Der Vertrag von Maastricht.

Dieser Vertrag wurde im Februar 1992 ratifiziert, trat am 1. November 1993 in Kraft und brachte bedeutende Veränderungen mit sich. Nicht nur die Umbenennung von „Europäi- scher Wirtschaftsgemeinschaft“ hin zur „Europäischen Gemeinschaft“ signalisierte nach außen die Fortentwicklung von einem Wirtschaftsbündnis hin zu einem politischen Bünd- nis; auch die gesamte Organisationsstruktur wurde grundlegend umgebaut. So wurden die bisherigen drei Wirtschaftsverträge EGKS, EG und Euratom zusammengefasst und bildeten von nun an die erste von insgesamt drei tragenden Säulen, deren neues Dach die EU war, die Europäischen Gemeinschaften. Die beiden anderen Säulen, die Gemeinsame Außen – und Sicherheitspolitik (GASP) (sie entspringt aus der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ)) und die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsa- chen (PJZS) wurden als die beiden weiteren Säulen neu gegründet. Während die erste Säule supranational organisiert war, war für die beiden anderen eine intergouvernemen- tale Zusammenarbeit vereinbart worden. Letzteres bedeutete, dass die Entscheidungs- kompetenz zwar zunächst weiterhin noch bei den Staaten selbst lag, einmal einstimmig beschlossene Verfahren oder Entscheidungen jedoch im Anschluss für alle verbindlich wurden.

[...]


1 Abgeleitet aus den Anfangsbuchstaben der drei Staaten Malaysia, Philippinen und Indonesien.

2 Diese Entwicklung vollzog sich jedoch vor dem Hintergrund, dass Suharto sein Land mit diktatorischer Gewalt beherrschte. Menschenrechte und Pressefreiheit wurden außer Kraft gesetzt, die Parteifreiheit ein- geschränkt, Unabhängigkeitsbestrebungen in kleineren Provinzen blutig niedergeschlagen (vgl. Kremp 2008).

3 Die bestehende Vetternwirtschaft schaffte er ab, um sie durch seine eigene zu ersetzen. Während der Zeit seiner Diktatur bereicherten er und seine Familie sich um mehrere Milliarden US$. Weiterhin regierte auch er mit Brutalität, indem er Menschenrechte nicht beachtete und Oppositionelle wie auch Minderheiten fol- terte und tötete (vgl. cte/AFP 2016).

4 Siehe hierzu Artikel 1 der ASEAN-Deklaration.

5 Allein in Indonesien leben Angaben zu Folge über 300 verschiedene Ethnien, die rund 250 verschiedene Sprachen sprechen. Hauptethnien sind die Javaner, die Sundanesen, die Malaien, die Maduresen, die Bata- ker, die Minangkabau, die Balinesen und weitere Minderheiten mit chinesischer, indischer, arabischer und melanesischer Herkunft (vgl. Central Intelligence Agency 2010).

6 Der „ASEAN Way“ bezeichnet einen normativen Konsens der ASEAN-Staaten, der sie dazu anweist, Konflikten ohne eine Androhung von Gewalt oder ihrer Ausübung zu begegnen, verbunden mit der Zusi- cherung, sich nicht in die inneren Angelegenheiten der anderen Staaten einzumischen. Zudem ist der „ASEAN Way“ durch einen hohen Grad an Informalität geprägt.

7 Die Ziele der AFTA waren der Freihandel und das Senken von Zöllen zwischen den Mitgliedern. So sollte die Region besser auf dem Weltmarkt agieren können und die Attraktivität der Region für ausländische Investoren steigern. Die Umsetzung der AFTA war ursprünglich für 2008 geplant. Jedoch konnten die Ver- fahren und die Umsetzung beschleunigt werden, sodass das Freihandelsabkommen bereits 2003 für die ältesten sechs Mitgliedsstaaten, die ASEAN-6 (Brunei Darussalam, Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur und Thailand), in Kraft treten konnte. Die jüngeren Länder folgten 2006 (Vietnam), 2008 (Laos und Myanmar) und 2010 (Kambodscha).

8 Derzeit nehmen folgende Länder an diesem Austausch teil: Australien, Bangladesch, Brunei Darussalam, Kambodscha, Kanada, China, Nordkorea, Europäische Union, Indien, Indonesien, Japan, Laos, Malaysia, Mongolei, Myanmar, Neuseeland, Pakistan, Papua Neu Guinea, Philippinen, Südkorea, Russland, Singa- pur, Sri Lanka, Thailand, Timor-Leste, USA und Vietnam (vgl. ASEAN Regional Forum o.J.).

9 Sie wurde später umbenannt zu ASEAN Political-Security Community (APSC).

10 Zwischen 2002 und 2008 existierte bereits ein erster IAI Work Plan: In dessen Verlauf wurden 134 verschiedene Projekte und Programme, mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 211 Millionen US$, von den sechs fortschrittlichsten ASEAN Staaten (Indonesien, Malaysia, den Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam) sowie verschiedenen anderen Partnern finanziell gefördert (vgl. ASEAN Secretariat 2009: 96).

11 Siehe hierzu beispielsweise: Furtak, Florian T.: Internationale Organisationen, Staatliche und nichtstaat- liche Organisationen in der Weltpolitik, Springer VS, Wiesbaden, 2015, S 120-128.

12 Der Brüsseler Pakt bestand aus den fünf Staaten Belgien, Frankreich, Großbritannien, Luxemburg und den Niederlanden.

13 In der Literatur findet sich hierzu der Begriff „Eurosklerose“, der die schwierige Zusammenarbeit wäh- rend dieser Zeit auf den Punkt bringen soll. In diese Phase, während der verstärkt versucht wurde, nationale Interessen durchzusetzen, fällt beispielsweise die Diskussion um den „Britenrabatt“ (vgl. Seeger 2013).

Ende der Leseprobe aus 76 Seiten

Details

Titel
Europa und Südostasien. Herausforderungen und Perspektiven des europäisch-südostasiatischen Verhältnisses
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
76
Katalognummer
V469593
ISBN (eBook)
9783668945142
ISBN (Buch)
9783668945159
Sprache
Deutsch
Schlagworte
europa, südostasien, herausforderungen, perspektiven, verhältnisses
Arbeit zitieren
Kai Wolfs (Autor:in), 2017, Europa und Südostasien. Herausforderungen und Perspektiven des europäisch-südostasiatischen Verhältnisses, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/469593

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