Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren


Master's Thesis, 2019

72 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Gang der Untersuchung

2 Entwicklung des deutschen Insolvenzrechts seit der Einführung des ESUG
2.1 Die Entwicklung des Insolvenzrechts in Deutschland
2.2 Ablauf des Insolvenzverfahrens in Deutschland

3 Theoretische Grundlagen
3.1 Insolvenzeinleitungsgründe
3.1.1 Zahlungsunfähigkeit
3.2.2 Drohende Zahlungsunfähigkeit
3.2.3 Überschuldung
3.2 Formen des Insolvenzverfahrens
3.2.1 Regelinsolvenzverfahren
3.2.2 Verbraucherinsolvenzverfahren

4 EU-Restrukturierungs-Richtlinie vom
4.1 Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission
4.2 Gründe und Ziele

5 Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren
5.1 Notwendigkeit des Vorschlags der Europäischen Union
5.2 Kernprobleme der Insolvenz
5.3 Relevanz eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens
5.4 Eröffnungsgrund und Antrag
5.5 Zuständigkeit der Gerichte
5.6 Sachwalter
5.7 Moratorium
5.8 Präventiver Restrukturierungsrahmen

6 Kohärenz mit dem deutschen Recht

7 Plädoyer der deutschen Praxis
7.1 Allgemeines
7.2 Gravenbrucher Kreis (GK)
7.3 Deutscher Anwaltverein e.V. (DAV)
7.4 Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK)

8 Praxisbeispiele bisheriger Umsetzungen in Europa
8.1 Company Voluntary Arrangement und Scheme of Arrangement (England)
8.2 Procédure de Sauvegarde und Procédure de Conciliation (Frankreich)

9 Aktuelle neue Ereignisse

10 Fazit und Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Generell soll das deutsche Insolvenzrecht nicht verhindern, dass der Markt von sanierungsunwürdigen Unternehmen bereinigt wird. Ihm kommt in einer Marktwirtschaft lediglich eine Koordinierungs- und Ordnungsfunktion zu. Darüber herrscht in der wissenschaftlichen Diskussion breite Einigkeit. Auch die deutsche Insolvenzordnung (InsO) ist getragen von diesem Verständnis. Allerdings veranschaulicht ein rechtsvergleichender Blick in die USA, dass diese Grundüberzeugung nicht überall geteilt wird und dass das Insolvenzrecht teilweise auch als Instrument zur Suspendierung des Wettbewerbs verstanden wird. Besondere Relevanz erlangt die Frage nach der Funktion des Insolvenzrechts, weil mit dem Vorschlag über eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates für einen präventiven Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren vom 22.11.20161 ein Paradigmenwandel anstehen könnte. Aus dem Entwurf geht erkennbar hervor, dass Sanierungen deutlich vereinfacht werden sollen.2

In den aktuellen Zeiten eines immer weiter sinkenden Zinsniveaus explodieren die Übertreibungen an den Finanzmärkten weltweit. Die bisher nicht überstandenen sowie neu hinzukommenden Krisen führen dabei weiter zu verharrenden Niedrigzinsen und mögliche neue Anleihekäufe der Zentralbanken. Es droht damit eine weitere Risikoverschärfung an den Märkten. In Europa herrscht seit der Einführung des Zahlungsmittels Euro ein Überkonsum und zeitgleich derweil ein Zinsniveau von nahezu null. Gerade das Zinsniveau ist dem der Subprime -Krise ab dem Jahr 2007 und der daraus resultierenden Finanz- und Wirtschaftskrise geschuldet. Aufgrund einer großen Anzahl fauler Kredite, welche die Geschäftsbanken an nicht rentable Unternehmen vergeben haben, wächst die Anzahl an Unternehmen, die eine mehr als durchwachsene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit haben, immer weiter an. In diesem Umfeld plant die Europäische Kommission die Etablierung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens zur Vermeidung eines Insol- venzverfahrens und zur Gewährung einer zweiten Chance für rentable Unternehmen sowie zur Schaffung eines Binnenmarkts mit einer einheitlichen Investitionskultur für Unternehmen, die in mehr als einem EU-Land wirtschaftlich tätig sind.3

Der Diskussionsansatz für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren ist nicht neu.4 Schon im Jahr 1982 wurden beim 54. Deutschen Juristentag in Nürnberg eine Diskussionsgrundlage geschaffen. Damals hielt der Hamburger Rechtslehrer Albrecht Zeuner ein Referat zu Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht. Die anschließenden Diskussionen mündeten in einem Konsens und einer entsprechenden Beschlussvorlage. Im Ergebnis wurde festgehalten, dass sich die Mehrheit „der Delegierten für ein neues Reorganisationsverfahren als Teil eines einheitlichen Insolvenzrechts zur Bewältigung von Unternehmenskrisen“5 aussprach. Seither verstummten die Diskussionen sowie das Bestreben eines neuen Reorganisationsverfahren jedoch wieder. Erst im Jahr 2009, also 27 Jahre nach der Abstimmung des Deutschen Juristentags, nahm die damalige Bundesregierung um Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel die Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens erstmals in den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP mit auf. Es folgte zwar die Einführung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) am 01.03.2012, allerdings nicht in dem in den Diskussionen gewünschten Ausmaß. Seit den Empfehlungen der Europäischen Kommission vom 12.03.2014 entbrannten die Diskussionen um die Einführung des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens erneut. Bereits zu dieser Zeit wurden auf europäischer Ebene Maßnahmen empfohlen, die von den Mitgliedstaaten zur Implementierung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens umgesetzt werden sollten. Jedoch fühlte sich kein Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) von diesen Empfehlungen angesprochen, sodass die Europäische Kommission diese Empfehlungen nun mit einer Richtlinie6 vom 22.11.2016 erneuerte.7

1.2 Zielsetzung und Gang der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Richtlinienentwurf (RLE) der Europäischen Kommission vom 22.11.2016. Dem Verfasser ist bekannt, dass mit Datum vom 19.12.2018 ein neuer Entwurf verabschiedet worden ist, der nunmehr alle Änderungsanträge inkludiert und für alle Mitgliedstaaten der EU bindend ist. Da dieser Text noch nicht in seiner Endfassung veröffentlicht worden ist, wird sich diese Arbeit ausschließlich auf den RLE vom 22.11.2016 beschränken. Alle bislang bekannt gewordenen Inhalte der neuen Richtlinie sind in Kapitel 9 berücksichtigt.

Das Ziel der Arbeit ist die detaillierte Darstellung des RLE auf europäischer Ebene sowie der Gegenüberstellung zum deutschen Insolvenzrecht. Die Praxisrelevanz einer dem nationalen Recht übergeordneten neuen Richtlinie wird zudem anhand zweier EU-Länder dargestellt, die bereits seit einiger Zeit ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren etabliert haben. Die aus dem RLE resultierenden Herausforderungen in der jeweiligen nationalen Umsetzung werden entsprechend dokumentiert.

Um sich dem Thema der vorliegenden Arbeit vollständig widmen zu können, müssen im Vorfeld theoretische Grundlagen definiert werden. Die Definitionen erfolgen in Kapitel 2.

Das nachfolgende Kapitel 3 widmet sich zunächst dem deutschen Insolvenzrecht in seiner Entstehung bis heute sowie dem Ablauf eines Insolvenzverfahrens nach deutschem Recht. Dies ist erforderlich, um die chronologische Abfolge eines Regel- sowie Verbraucherinsolvenzverfahrens einordnen zu können, die im direkten Zusammenhang stehen.

In dem Kapitel 4 werden die RLE der Europäischen Kommission vom 22.11.2016, deren Beweggründe und deren Ziele skizziert, bevor in Kapitel 5 detailliert auf das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren eingegangen wird. Diese beiden Kapitel stellen zugleich den Schwerpunkt dieser Arbeit dar.

In Kapitel 6 wird das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren dem deutschen Insolvenzrecht gegenübergestellt und mögliche Schwierigkeiten in der Implementierung aufgezeigt. Anschließend widmet sich das Kapitel 7 mit Stimmen aus der deutschen Praxis. Hier werden die Stellungnahmen der wichtigsten Interessensvertreter der deutschen Insolvenzverwalter dargestellt.

In Kapitel 8 soll gezeigt werden, wie europäische Länder bereits mit einem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren arbeiten. Die Praxisbeispiele werden anhand der Länder England und Frankreich gezeigt. Der Verfasser hat sich bewusst auf diese beiden Länder begrenzt, da sie für die europäische Insolvenzlandschaft eine entscheidende Rolle spielen.

Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse und sich aus dem RLE ergebenen Kernprobleme zusammenfassend dargestellt und mögliche resultierende Folgen erläutert.

2 Entwicklung des deutschen Insolvenzrechts seit der Einführung des ESUG

2.1 Die Entwicklung des Insolvenzrechts in Deutschland

Der Vorgänger der InsO war die Konkursordnung (KO) des damaligen Deutschen Reiches von 1877. Diese Rechtsverordnung war geprägt vom Grundsatz der unbeschränkten Nachforderung. Soweit die Forderungen im Konkursverfahren nicht vollständig erfüllt wurden, konnten sie nach Abschluss des Verfahrens durch die jeweiligen Gläubiger auch weiter durchgesetzt werden. Der Schuldner war den Ansprüchen der Gläubiger und den daraus resultierenden Vollstreckungsmaßnahmen weiterhin ausgesetzt, bis die Verjährungsfrist von 30 Jahren abgelaufen war. 1935 wurde die Vergleichsordnung (VerglO) eingeführt, um generelle Sanierungsmöglichkeiten zu fördern. Die heutige InsO trat am 01.01.1999 in Kraft und hat die bisherige Konkurs- und die Vergleichsordnung abgelöst und ein für die ganze Bundesrepublik einheitliches Insolvenzrecht geschaffen.8

Jahrelange Bedenken gegen das uneingeschränkte Nachforderungsrecht sorgten auch dafür, dass die Restschuldbefreiung mit der neuen InsO eingeführt wurde, da dem Schuldner Zukunftsaussichten geboten werden sollten. Ziel war es, einerseits den Schuldner nicht mehr nur am Rande der Pfändungsfreigrenzen existieren zu lassen und andererseits ihm durch die Erteilung der Restschuldbefreiung einen schuldenfreien Neuanfang zu ermöglichen. Allerdings ist diese Möglichkeit nur für den redlichen Schuldner gedacht, was als ausdrückliches Ziel in § 1 S. 2 InsO geregelt ist. Durch das Gesetz zur Änderung der InsO und anderer Gesetze, das am 01.12.2001 in Kraft getreten ist, sind die Vorschriften über das Verbraucherinsolvenzverfahren teilweise neu geregelt worden, z. B. die Möglichkeit der Verfahrenskostenstundung, wodurch auch mittellose Schuldner Zugang zum Insolvenzverfahren und zur Restschuldbefreiung erhalten können oder die Verkürzung der Wohlverhaltensperiode, die nunmehr regelmäßig sechs Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beträgt.9

Seit der Novellierung des deutschen Insolvenzrechts zum 01.01.1999 kam es jedoch immer wieder vor, dass Unternehmen den Firmensitz dennoch kurzfristig nach England verlegten, um in den Genuss der Sanierung nach englischem Recht zu gelangen, da diese einfacher und attraktiver erschien10. Wenngleich es sich hierbei zwar nur um Einzelfälle handelte, war dies für den Gesetzgeber Anlass genug, die deutsche InsO reizvoller zu gestalten, um solche Abwanderungen zukünftig zu vermeiden.11 So führte der Gesetzgeber das ESUG ein, welches zum 01.03.2012 in Kraft getreten ist12. Ziele des ESUG sind die Erleichterung der Unternehmenssanierung in der außergerichtlichen Sanierung sowie der Erhalt der Arbeitsplätze. Es sollte ein Anreiz geschaffen werden, dass Unternehmen frühzeitig eine drohende Zahlungsunfähigkeit erkennen und melden, sodass durch Sanierungsmaßnahmen diese Unternehmen gerettet und weiter fortbestehen können. Dieser Anreiz sollte durch die Vereinfachung des Insolvenzplanverfahrens und der Gleichstellung der Gläubiger gesetzt werden.13

Derweil werden die Grenzen des ESUG-Fortschritts deutlich. Die Verfahren, die in Eigenverwaltung geführt wurden, stagnieren seit Jahren konstant bei etwa drei Prozent aller Verfahren. Darüber hinaus enden etwa ein Drittel aller Verfahren mit einer vorläufigen Eigenverwaltung oder mithilfe des Schutzschirmverfahrens weiterhin mit einem Regelinsolvenzverfahren. Dies sollte ursprünglich mit der Einführung des ESUG durch den Gesetzgeber weitestgehend vermieden werden. Allerdings gibt es auch prominente Beispiele, bei denen mit Hilfe des ESUG eine Sanierung gelungen ist, ohne das Regelinsolvenzverfahren zu absolvieren, z.B. bei der IVG Immobilien AG aus Bonn oder der Suhrkamp Verlag aus Berlin. Insgesamt zeigt die Praxis aber eher ein zurückhaltendes Interesse an dem ESUG.14

2.2 Ablauf des Insolvenzverfahrens in Deutschland

Der Ablauf des Insolvenzverfahrens in Deutschland ist genau geregelt, wenngleich im Verlauf verschiedene Wege eingeschlagen werden können. Zu Beginn des Insolvenzverfahrens steht der Insolvenzantrag. Dieser kann sowohl von dem Schuldner selbst als auch von einem seiner Gläubiger gestellt werden. Stellt der Schuldner einen Insolvenzantrag über sein Vermögen, handelt es sich um einen Eigenantrag. Stellt ein Gläubiger einen Insolvenzantrag über das Vermögen des Schuldners, handelt es sich um einen Fremdantrag. Nach der Stellung des Insolvenzantrages wird das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet. Das vorläufige Insolvenzverfahren dient der Sicherung des noch vorhandenen Vermögens, bis das eigentliche Insolvenzverfahren eröffnet wird. In dieser Zeit untersteht das Vermögen des Schuldners einem besonderen Schutz durch einen vom Insolvenzgericht einzusetzenden vorläufigen Insolvenzverwalter.15

Die Bestimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters kann nach § 22 InsO in zwei Ausprägungen erfolgen, die in Zusammenhang mit seinen Rechten innerhalb des vorläufigen Insolvenzverfahrens stehen. So kann dieser entweder als schwacher (§ 22 Abs. 2 InsO) oder starker (§ 22 Abs. 1 InsO) vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt werden. Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter kennzeichnet sich dadurch, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis weiterhin bei dem Schuldner verbleibt und der Verwalter nur Zustimmungsvorbehalte bei etwaigen Rechtsgeschäften erhält. Dem entgegenstehend erhält der starke vorläufige Insolvenzverwalter die volle Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners. In diesem Fall wird dem starken vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 1 S. 2 InsO auferlegt, dass:

1. das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten ist,
2. ein Unternehmen, das der Schuldner betreibt, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen ist, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden, sowie
3. zu prüfen ist, ob das Vermögen des Schuldners die Kosten des Verfahrens decken wird; das Gericht kann ihn zusätzlich beauftragen, als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen.

Bei der Entscheidungsfindung des Insolvenzgerichts, welche Art des vorläufigen Insolvenzverwalters eingesetzt wird, kommt es vor allem auf den Schuldner selbst an. Führt der Schuldner sein Unternehmen generell in geordneten und klar strukturierten Verhältnissen sowie einer ordnungsgemäßen Buchführung, wird das Insolvenzgericht eher einen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter einsetzen, wohingegen bei einem Schuldner mit keiner ordentlichen Geschäftsführung eher ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt wird. In der Praxis werden starke vorläufige Insolvenzverwalter sehr selten eingesetzt.16

Als Sonderformen im vorläufigen Insolvenzverfahren hat der Schuldner die Möglichkeit, die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270 a InsO oder das Schutzschirmverfahren nach § 270 b InsO zu beantragen. In diesen Fällen wird kein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, der die bereits genannten Aufgaben wahrzunehmen hat, sondern ein vorläufiger Sachwalter, der die Arbeit des Schuldners zu überwachen hat. Im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung bleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis weiterhin bei dem Schuldner selbst und der eingesetzte vorläufige Sachwalter hat keine Zustimmungsvorbehalte bei etwaigen Rechtsgeschäften.17 Einzige Aufgabe ist die Kontrolle des Schuldners bei der Ausübung seiner originären Geschäftsführertätigkeit. Stellt der Sachwalter Umstände fest, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, hat er diese dem Insolvenzgericht unverzüglich mitzuteilen, § 274 Abs. 3 InsO. Beantragt der Schuldner das Schutzschirmverfahren nach § 270 b InsO, wird ihm Schutz vor Sicherungsmaßnahmen seitens der Gläubiger für eine Zeit von drei Monaten gewährt. Innerhalb dieser Frist hat der Schuldner einen Insolvenzplan auszuarbeiten und dem Insolvenzgericht entsprechend vorzulegen, der die Fortführung des Unternehmens und die Befriedigung der Gläubiger regelt. Allerdings besteht die Möglichkeit zur Beantragung des Schutzschirmverfahrens für den Schuldner ausschließlich dann, wenn die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Der Gesetzgeber verlangt daher eine entsprechende Bescheinigung einer in Insolvenzsachen geeigneten Person18, dass eine drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, jedoch noch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und somit die Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist.19

Die Dauer des vorläufigen Insolvenzverfahrens beträgt in der Regel max. drei Monate. Für diese Zeit wird den Mitarbeitern des schuldnerischen Unternehmens ein sog. Insolvenzgeld durch die Bundesagentur für Arbeit gezahlt. Da die Zahlungen der Bundesagentur für Arbeit jedoch erst nach der Insolvenzeröffnung ausgezahlt werden, wird in der Praxis das Insolvenzgeld über Kreditinstitute vorfinanziert, die sog. Insolvenzgeldvorfinanzierung. Dieses Insolvenzgeld richtet sich nach der Höhe der bisher bezogenen Nettolöhne der jeweiligen Mitarbeiter und dient der Kostenentlastung des Unternehmens für Personalangelegenheiten. Das Unternehmen ist unter Umständen somit in der Lage, die eingesparten Personalkosten anderweitig einzusetzen und ggf. an anderer Stelle entstehende Liquiditätsengpässe zu bedienen. Die Forderung der Bundesagentur für Arbeit gegenüber dem Unternehmen aufgrund der geleisteten Insolvenzgelder werden wiederum bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenztabelle angemeldet und die Bundesagentur für Arbeit wird im regulären Insolvenzverfahren entsprechend quotal befriedigt. Da die Insolvenzgeldzahlungen auf drei Monate beschränkt sind, orientiert sich somit auch die Dauer des vorläufigen Insolvenzverfahrens regelmäßig hieran.20

Ist das vorläufige Insolvenzverfahren abgeschlossen und das reguläre Insolvenzverfahren eröffnet, wird das Unternehmen in der Regel bis zum Berichts- und Prüfungstermin zunächst weitergeführt. In dieser Zeit werden die Forderungen von den Gläubigern des Unternehmens nach einer entsprechenden Prüfung durch den Insolvenzverwalter anerkannt oder bestritten. Zu prüfen ist, ob die angemeldeten Forderungen rechtmäßig sind oder eben nicht, z.B. aufgrund einer bereits eingetretenen Verjährung oder der fehlenden ausreichenden Nachvollziehbarkeit der Forderung. Zudem wird im Berichts- und Prüfungstermin ebenfalls über die Fortführung des Unternehmens entschieden. Hier kommt es auf den allgemeinen Zustand des Unternehmens an. Bei einer generell aussichtslosen Sanierung würde das Unternehmen liquidiert werden. Besteht jedoch die Aussicht auf eine erfolgreiche Sanierung des Unternehmens und liegt zudem auch der Sanierungswille des Unternehmens vor, würde das Unternehmen entweder weiter fortgeführt, das sog. Sanierungsverfahren oder verkauft, die sog. übertragende Sanierung. Das Sanierungsverfahren wird auf einen Insolvenzplan nach den §§ 217 ff. InsO ausgerichtet mit dem Ziel der größtmöglichen Gläubigerbefriedigung und der Verfestigung des Unternehmens am Markt. In der Praxis ist die übertragende Sanierung verbreiteter, als die Sanierung mittels Insolvenzplan. Hierbei werden die gesunden Teile des schuldnerischen Unternehmens an eine neue Gesellschaft übertragen und dadurch der Geschäftsbetrieb gerettet.21

Auch im eröffneten Insolvenzverfahren hat der Schuldner die Möglichkeit, die Eigenverwaltung nach § 270 InsO bei dem zuständigen Insolvenzgericht zu beantragen. Dieser Antrag wird zusammen mit dem Antrag auf Insolvenzeröffnung gestellt. Das Insolvenzgericht billigt diesen Antrag der Eigenverwaltung in der Regel, sofern keine offensichtlichen Tatsachen vorliegen, die für eine Benachteiligung der Gläubiger sprechen. Generell ist schon im vorläufigen Insolvenzverfahren darauf abzustellen, die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter zu übertragen. Der Schuldner soll nach Möglichkeit weiterhin das schuldnerische Unternehmen führen können, sodass die Beantragung der Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren weiter fortgesetzt werden kann.22 Wird im eröffneten Verfahren dem Antrag auf Eigenverwaltung stattgegeben, wird, wie auch schon im vorläufigen Insolvenzverfahren, kein Insolvenzverwalter sondern ein Sachwalter nach § 270 c InsO bestellt und ihm werden die nachfolgenden Aufgaben respektive Rechte durch § 274 InsO zugesprochen:

- die Prüfung der wirtschaftlichen Lage,
- die Überwachung der Geschäftsführung,
- die Vornahme von Anfechtungen,
- die Prüfung angemeldeter Forderungen sowie
- das Führen der Insolvenztabelle.

Insbesondere aber hat der Sachwalter nach § 274 Abs. 3 InsO die Aufgabe, umgehend das Insolvenzgericht zu informieren, sobald Umstände durch die Geschäftsführung des Schuldners bekannt werden, die eine Gläubigerbenachteiligung herbeiführen oder herbeiführen könnten.

3 Theoretische Grundlagen

3.1 Insolvenzeinleitungsgründe

3.1.1 Zahlungsunfähigkeit

Allgemeiner Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren ist gemäß § 17 Abs. 1 InsO die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners.23 Die Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen, § 17 Abs. 2 S. 1 InsO. Allgemein geht der Gesetzgeber nach § 17 Abs. 2 S. 2 InsO von einer Zahlungsunfähigkeit aus, wenn der Schuldner seine Zahlungen insgesamt eingestellt hat. Der Gesetzgeber hat in seiner Legaldefinition24 jedoch nicht hinreichend präzise festgelegt, wann es zu einer Zahlungsunfähigkeit bei einem Schuldner gekommen ist bzw. wie lange die Zahlungseinstellung andauern darf, bis von einer Zahlungsunfähigkeit gesprochen werden kann. Dieser Frage nahm sich der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 24.05.200525 an, indem er definierte, dass von einer Zahlungsunfähigkeit gesprochen werden kann, wenn der Schuldner für einen Zeitraum von mind. drei Wochen seine Zahlungen einstellt und spätestens dann die Liquiditätslücke 10 % oder mehr beträgt, sofern jedoch nicht mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die Liquiditätslücke kurzfristig zumindest fast vollständig beseitigt werden kann.26 Dies bedeutet, dass nach der Rechtsprechung des BGH der Schuldner mindestens in der Lage sein muss, binnen drei Wochen 90 % seiner Verbindlichkeiten bedienen zu können. Andernfalls ist von einer Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO auszugehen und es liegt ein Insolvenzeröffnungsgrund vor. Bei einer geringeren Liquiditätslücke liegt keine Zahlungsunfähigkeit, sondern vielmehr eine Zahlungsstockung vor.27

In der Praxis ist die Zahlungsunfähigkeit ist in der Praxis oftmals sehr kompliziert festzustellen, insbesondere dann, wenn keine ordnungsgemäße Buchführung vorliegt.28

3.2.2 Drohende Zahlungsunfähigkeit

„Als neuer Eröffnungsgrund wurde in der InsO der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit in § 18 InsO eingeführt. Der Antrag nach § 18 InsO, gestützt auf den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit kann nur vom Schuldner, nicht aber von einem Gläubiger gestellt werden.“29 § 18 Abs. 2 InsO definiert, dass ein Schuldner drohend zahlungsunfähig ist, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Zur Feststellung dieser drohenden Zahlungsunfähigkeit ist die gesamte Finanzentwicklung des Schuldners in dem entsprechenden Betrachtungszeitraum darzustellen, mittels Finanz- und Liquiditätsplanung.30 Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist dann gegeben, wenn sich durch die Finanz- bzw. Liquiditätsplanung vorhersagen lässt, dass Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit nicht mehr bedient werden können. Die drohende Zahlungsunfähigkeit beschäftigt sich mit einer Prognose. Hier kommt es auf die voraussichtliche Zahlungsunfähigkeit an. Dabei hat der Gesetzgeber festgelegt, dass zu prüfen ist, ob die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer zukünftigen Zahlungsunfähigkeit größer ist, als dass sie nicht eintritt. So soll vermieden werden, dass es zu Unsicherheiten in der Bewertung künftiger Einnahmen und Ausgaben kommt.31

Die Einführung des Begriffs der drohenden Zahlungsunfähigkeit beruht auf einem Vorschlag der Kommission für Insolvenzrecht. Diese schlug vor, als neuen Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die drohende Zahlungsunfähigkeit vorzusehen. Nach den Vorstellungen dieser Kommission sollte der neue Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit die Möglichkeit schaffen, bereits bei einer sich deutlich abzeichnenden Insolvenz vor ihrem tatsächlichen Eintritt verfahrensrechtliche Gegenmaßnahmen einleiten zu können.32 Entgegen dem Vorschlag der Kommission für Insolvenzrecht entschied sich der Gesetzgeber jedoch dafür, diesen Paragraphen nur als Antragsgrund für den Schuldner gelten zu lassen und nicht auch für die Gläubiger. Es soll mit dieser Einschränkung vermieden werden, dass der Schuldner schon im Vorfeld der eigentlichen Insolvenz, also wenn nur die drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, durch einen Insolvenzantrag von Außenstehenden unter Druck gesetzt werden kann. Außenstehende können z.B. Stakeholder, Shareholder, Lieferanten oder Kunden sein. Bemühungen um eine außergerichtliche Sanierung sollten insoweit nicht durch den Antrag eines Gläubigers, gestützt auf den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit, behindert werden können.33

3.2.3 Überschuldung

In § 19 InsO ist die Überschuldung für juristische Personen geregelt. Gemäß § 19 Abs. 2 InsO liegt die Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.34 Knapp einen Monat nach dem Insolvenzantrag des Investmenthauses Lehmann Brothers und dem Beginn der Finanzmarktkrise, am 17.10.2008, trat das Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG) in Kraft. Durch dieses Gesetz wird der Begriff der Überschuldung im § 19 InsO gelockert.35

Hinsichtlich des Vorliegens einer Überschuldung nach § 18 InsO a.F. ist die Bewertung in einer zweistufigen Vorgehensweise nach den Kriterien der Beurteilung der Fortbestehensprognose sowie der Erstellung eines Überschuldungsstatus zu prüfen.36 Um die Überschuldung nach § 19 InsO bewerten zu können, ist es erforderlich, zunächst die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens zu prüfen. Geprüft wird eine reine Prognose der Zahlungsfähigkeit des laufenden und nachfolgenden Geschäftsjahres. Sobald die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens festgestellt wurde, ist im zweiten Schritt eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung des vorhandenen Vermögens und der vorhandenen Verbindlichkeiten gegenüberzustellen. Ergibt das Ergebnis des Überschuldungsstatus ein negatives Reinvermögen, liegt die Überschuldung des Unternehmens vor. Unerheblich ist dann, ob die Fortführungsprognose ein positives oder negatives Ergebnis ergeben hat.37

Die Fortführungsprognose ist in § 19 InsO n.F. entscheidend. Wenn die Prognose positiv ist, wird eine rechnerische Überschuldung des Unternehmens hingenommen. Eine positive Fortführungsprognose ist dann gegeben, wenn zunächst der Wille des Unternehmens zur Fortführung besteht. Bei einer Liquidation des Unternehmens ist dies nicht der Fall. Weiterhin muss, wie schon in der alten Fassung des § 19 InsO, die Finanzkraft des Unternehmens nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens ausreichen und die Fortführung im Vergleich zur Stilllegung überwiegend wahrscheinlich sein.38

Zu beachten ist, dass „im Fall einer Überschuldung .. [die] Zahlungsunfähigkeit nicht gegeben zu sein [braucht], wenn die juristische Person kreditfähig und dadurch in der Lage ist, ihre fälligen Verbindlichkeiten zu bereinigen“39. Umgekehrt kann aber auch eine Zahlungsunfähigkeit trotz fehlender Überschuldung vorliegen, wenn einer Gesellschaft die finanziellen Mittel zur Berichtigung der Verbindlichkeiten fehlen. Die Begriffe sind strikt voneinander zu trennen und schließen sich nicht gegenseitig aus, um als Insolvenzeinleitungsgrund vorzuliegen.40

3.2 Formen des Insolvenzverfahrens

3.2.1 Regelinsolvenzverfahren

Das Regelinsolvenzverfahren findet stets bei Gesellschaften Anwendung. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine Kapitalgesellschaft41, Personengesellschaft42 oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit43 handelt. Eine Differenzierung der Rechtsform ist nur bei natürlichen Personen zu prüfen. Für ein Regelinsolvenzverfahren ist vorab zu prüfen, ob die natürliche Person nach § 304 Abs. 1 S. 1 InsO eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt oder ausgeübt hat. Eine selbstständige Tätigkeit übt aus, wer nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, sondern auf eigene Rechnung und Gefahr tätig ist, also das Erfolgsrisiko der eigenen Betätigung trägt, das sog. Unternehmer-Risiko. Hierbei ist maßgeblich das Gesamtbild der Verhältnisse zu berücksichtigen und die für sowie gegen ein Arbeitsverhältnis sprechenden Merkmale gegeneinander abzuwägen. Für die Annahme der selbstständigen Tätigkeit ist ein planmäßiges Auftreten am Markt erforderlich. Hierfür sprechen z. B. das Bestehen eines eigenen Unternehmens, eigene Geschäftsräume, eigene Geschäftsausstattung, das Vorhandensein einer Buchführung oder das Auftreten unter einer eigenen Firma. Zudem findet das Regelinsolvenzverfahren Anwendung, wenn die Vermögensverhältnisse eines früher selbstständigen Schuldners zum Zeitpunkt des Antrages auf Insolvenzeröffnung nicht überschaubar sind. Nach § 304 Abs. 2 InsO sind die Vermögensverhältnisse nicht mehr überschaubar, wenn die Anzahl der Gläubiger die Zahl 20 übersteigt. Dabei ist es unerheblich, ob die bestehenden Verbindlichkeiten aus selbstständiger oder nicht selbstständiger Tätigkeit resultieren. Bestehen gegen den Schuldner Forderungen aus Arbeitsverhältnissen, ist das Regelinsolvenzverfahren ebenfalls anzuwenden.44

3.2.2 Verbraucherinsolvenzverfahren

Mit der Einführung der InsO ist auch das Verbraucherinsolvenzverfahren eingeführt worden. Diese werden in den §§ 304 bis 315 InsO geregelt. Nunmehr ist es überschuldeten Personen möglich, nach einer Laufzeit von sechs Jahren die Restschuldbefreiung zu erlangen. Ihnen wird fortan ein finanzieller Neustart ohne Verbindlichkeiten gewährt. Gemäß § 304 InsO findet das Verbraucherinsolvenzverfahren generell dann Anwendung, wenn der Schuldner keine selbstständige Tätigkeit ausübt respektive ausgeübt hat. Hat der Schuldner jedoch eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt, kann das Verbraucherinsolvenzverfahren dennoch angewandt werden, wenn die Vermögensverhältnisse des Schulners überschaubar sind. Allerdings darf gegen den Schuldner keine Forderung aus einem Arbeitsverhältnis bestehen.45 Mit dem Verbraucherinsolvenzverfahren steht den Schuldnern ein vereinfachtes Insolvenzverfahren zur Verfügung. Die Besonderheit im Gegensatz zum Regelinsolvenzverfahren ist nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Zwang des voranzustellenden außergerichtlichen Einigungsversuchs. Nur wenn die außergerichtliche Einigung scheitert, kann das Verbraucherinsolvenzverfahren beantragt werden.46

Als zweite Stufe der Insolvenzrechtreform durch das am 01.07.2014 in Kraft getretene Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläu-bigerrechte ist die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung schon nach drei oder fünf Jahren möglich. So ist die Restschuldbefreiung zu erteilen, wenn:

- drei Jahre der Abtretungsfrist verstrichen sind und dem Insolvenzverwalter oder Treuhänder innerhalb dieses Zeitraums ein Betrag zugeflossen ist, der eine Befriedigung der Forderungen der Insolvenzgläubiger in Höhe von mindestens 35 Prozent ermöglicht (§ 300 Abs. 1 Nr. 2 InsO), oder
- fünf Jahre der Abtretungsfrist verstrichen sind (§ 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO).

Allerdings kann über den Antrag auf vorzeitige Restschuldbefreiung von dem zuständigen Insolvenzgericht nur dann entschieden werden, wenn nach § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO die Kosten des Verfahrens vollständig berichtigt wurden. Dass bedeutet, dass der Schuldner insbesondere die Gerichtskosten sowie die Kosten für den Insolvenzverwalter bzw. den Treuhänder vorher beglichen haben muss.47

Wenn die bisherigen Bemühungen gescheitert sind, wird das vereinfachte Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Nun wird das vorhandene pfändbare Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös nach Abzug der Verfahrenskosten an die Gläubiger ausgeschüttet.

Gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren ist das Verbraucherinsolvenzverfahren eine vereinfachtere Variante. Hierzu wird im eröffneten Verfahren ein Insolvenzverwalter von dem zuständigen Insolvenzgericht eingesetzt, der die Insolvenztabelle, also die Gläubiger, die Forderungshöhe sowie den Forderungsgrund, prüft. Zudem hat der Insolvenzverwalter die Aufgabe, das pfändbare Vermögen des Schuldners zu verwerten. Sobald dieser Prozess abgeschlossen ist und von keinem Gläubiger die Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 InsO beantragt wurde, wird das Verfahren aufgehoben und der Schuldner geht von dem eröffneten Verfahren in die sog. Wohlverhaltensphase über. In der Wohlverhaltensphase wird der Insolvenzverwalter zum Treuhänder bestellt. In dieser Phase tritt die verschuldete Person den pfändbaren Teil seines Einkommens aus dem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende Bezüge an die Insolvenzmasse ab. Der Treuhänder verteilt die anfallenden Beträge nach Abzug der Kosten des Verfahrens ge-mäß der Quote des Verteilungsverzeichnisses an die Gläubiger. Nach erfolgreichem Ablauf des Restschuldbefreiungsverfahrens erteilt das Gericht dem Schuldner auf Antrag die Restschuldbefreiung.48

[...]


1 Vgl. Europäische Kommission, Richtlinienentwurf, 2016, Zugriff: 10.10.2018.

2 Vgl. Korch, St., Restrukturierungsrahmen, 2018, S. 440.

3 Vgl. Schnabl, G., Siemon, K., Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, 2018, S. 913.

4 Vgl. Goetker, U., Schulz, B., vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, 2016, S. 2095, vgl. Rauscher, M. et al., Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, 2016.

5 Vallender, H., Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, 2017, S. 304.

6 Eine Empfehlung ist nicht verpflichtend, eine Richtlinie jedoch ist ein Rechtsakt, in dem ein zu erreichendes Ziel festgelegt wird, welche bindend ist; vgl. Europäische Union, Definitionen, o.J., Zugriff am 24.01.2019.

7 Vgl. Vallender, H., Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, 2017, S. 303 f..

8 Vgl. Schmittmann, J. M., Insolvenzverfahren, 2019, S. 4 f..

9 Vgl. Jacobi, Ch. A., Böhme, B., Verbraucherinsolvenz, 2019, S. 1 ff..

10 Vgl. auch Kapitel 8.1.

11 Vgl. He, W., Insolvenzplan, 2012, S. 15 ff..

12 Vgl. Bundesgesetzblatt Nr. 64 vom 07.12.2011 ESUG, 2011.

13 Vgl. He, W., Insolvenzplan, 2012, S. 15 ff..

14 Vgl. Madaus, S., ESUG, 2017, S. 332.

15 Vgl. Heesen, B., Wieser-Linhart, V., Insolvenzverfahren, 2018, S. 25 f..

16 Vgl. Heesen, B., Wieser-Linhart, V., Insolvenzverfahren, 2018, S. 26.

17 Vgl. Leichtle, H., Insolvenzrecht, 2016, S. 25 ff..

18 Nach § 270 b InsO kann eine in Insolvenzsachen geeignete Person ein erfahrener Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt oder eine Person mit vergleichbarer Qualifikation sein.

19 Vgl. Heesen, B., Wieser-Linhart, V., Insolvenzverfahren, 2018, S. 27 f..

20 Vgl. Heesen, B., Wieser-Linhart, V., Insolvenzverfahren, 2018, S. 26 f..

21 Vgl. Heesen, B., Wieser-Linhart, V., Insolvenzverfahren, 2018, S. 28 f..

22 Vgl. Heesen, B., Wieser-Linhart, V., Insolvenzverfahren, 2018, S. 34 f..

23 Vgl. Schmittmann, J. M., Insolvenzverfahren, 2019, S. 61 f..

24 Definition eines Rechtsbegriffs in einem Gesetz.

25 Vgl. BGH vom 24.05.2005, IX ZR 123/04.

26 Vgl. Vallender, H., Insolvenzreife, 2018, S. 1740 ff..

27 Vgl. Crone, A., Werner, H., Sanierungsmanagement, 2014, S. 17 ff..

28 Vgl. Staab, J., Insolvenzrecht, 2015, S. 153.

29 Möser, A., Insolvenzrecht, 2011, S. 10.

30 Vgl. Schmittmann, J. M., Insolvenzverfahren, 2019, S. 62 f..

31 Vgl. Crone, A., Werner, H., Sanierungsmanagement, 2014, S. 27.

32 Vgl. Vallender, H., Insolvenzreife, 2018, S. 1748 ff..

33 Vgl. Möser, A., Insolvenzrecht, 2011, S. 10 f..

34 Vgl. Vallender, H., Insolvenzreife, 2018, S. 1758 ff..

35 § 19 InsO a.F.: gültig bis zum 17.10.2008; § 19 InsO n.F.: gültig zunächst für den Zeitraum vom 18.10.2008 bis zum 31.12.2010, wurde dann bis zum 31.12.2013 verlängert und gilt nun schließlich unbegrenzt.

36 Vgl. Schmittmann, J. M., Insolvenzverfahren, 2019, S. 64.

37 Vgl. Crone, A., Werner, H., Sanierungsmanagement, 2014, S. 27 f..

38 Vgl. Staab, J., Insolvenzrecht, 2015, S. 155 f..

39 Gehrlein, M., Insolvenzeinleitungsgründe, 2018, S. 354.

40 Vgl. Gehrlein, M., Insolvenzeinleitungsgründe, 2018, S. 354.

41 Z. B. Aktiengesellschaft (AG) oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH).

42 Z. B. Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder Offene Handelsgesellchaft (oHG).

43 Z. B. Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung oder Partnerschaftsgesellschaft.

44 Schmittmann, J. M., Insolvenzverfahren, 2016, S. 109 ff..

45 Vgl. Schmittmann, J. M., Insolvenzverfahren, 2016, S. 109 ff..

46 Vgl. Theurich, H., Insolvenzverfahren, 2016, S. 113 ff..

47 Vgl. Bundesgesetzblatt Nr. 38 vom 18.07.2013 Verbraucherinsolvenzen, 2013, S. 2379 ff., Zugriff am 20.01.2019.

48 Vgl. Theurich, H., Insolvenzverfahren, 2016, S. 113 ff..

Excerpt out of 72 pages

Details

Title
Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren
College
University of Applied Sciences Essen
Grade
2,0
Author
Year
2019
Pages
72
Catalog Number
V470111
ISBN (eBook)
9783668954472
ISBN (Book)
9783668954489
Language
German
Keywords
Richtlinienentwurf, vorinsolvenzlich
Quote paper
Pascal Wilhelm (Author), 2019, Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/470111

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