Bildung 4.0. Wie zukunftsfähig ist die deutsche Bildungspolitik in einer koordinierten Marktwirtschaft?

Sekundarbereiche I und II


Diskussionsbeitrag / Streitschrift, 2018

31 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Zukunftsfähigkeit der deutschen Bildungspolitik in einer koordinierten Marktwirtschaft in den Sekundarbereichen I und II – Bildung
2.1 Varieties of Capitalism-Ansatz
2.2 Arbeitsmarkt in Deutschland
2.3 Institutionelles Gefüge der Bildungspolitik in Deutschland
2.4 Bereiche der bildungspolitischen Gestaltung: Ist-Zustand & Probleme
2.4.1 Sekundarstufe 1 &
2.4.2 Tertiärbereich & Quartärbereich
2.5 Maßnahmen für Sekundarstufe 1 &

3. Fazit

Bibliographie

Zusammenfassung

In diesem Politikberatungspapier gingen wir der Frage nach, in welchem Zustand sich die deutsche Bildungspolitik befindet, und erarbeiteten verschiedene Maßnahmenvorschläge, um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Bildungspolitik in einer koordinierten Marktwirtschaft, in den Sekundarbereichen I und II, zu sichern. Dabei greifen wir den Varieties-of-Capitalism-Ansatz auf, der die verschiedenen Spielarten des Kapitalismus thematisiert. Anstatt eines Bildungswettbewerbs zwischen den Bundesländern, brauchen wir ein allgemeines, konkurrenzfähiges Bildungssystem für ganz Deutschland, das die heutigen Schüler auf die Wettbewerbsfähigkeit mit liberalen Marktwirtschaften vorbereitet. Damit das gelingen kann, erachten wir es als sinnvoll, das Kooperationsverbot in der Bildungspolitik zwischen Bund und Ländern abzuschaffen. Außerdem braucht es deutlich mehr Investitionen in den Bildungssektor, Implementierung digitaler Medien in den Unterricht, einen umfassenden Ausbau der digitalen Infrastruktur an deutschen Schulen und damit ein neues gebündeltes Konzept für das Lehramtsstudium. Hilfreich wären auch die Vermittlung von Medienkompetenz, Grundlagen des Programmierens und Informatikkenntnisse. Bei all dem sollten auch nicht die kritischen Aspekte bezüglich des Konsums digitaler Medien ignoriert werden. Um einen normativen Konsens zu erreichen und möglichst viele Aspekte zu berücksichtigen, sollte eine Art „runder Tisch“ eingerichtet werden, zu dem Bildungspolitiker, Finanzpolitiker, Demografen, Netzpolitiker, Philologen, Lehrer, Politikwissenschaftler und Journalisten, eingeladen werden. Das Ziel muss lauten: Bildung 4.0

Vorbemerkung zum Sprachgebrauch:

Nach Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes sind Frauen und Männer gleichberechtigt. Alle Personen- und Funktionsbezeichnungen in diesem Policy Paper gelten für Frauen und Männer in gleicher Weise.

1. Einführung

Die USA - genauer das Silicon Valley - sind im Gegensatz zu Deutschland ein Eldorado für Tech-Konzerne. Facebook, Google, Microsoft, Apple und Co tummeln sich dort regelrecht. Gerade im Hinblick auf die vierte industrielle Revolution, die - mit dem Credo hochindividualisierte Produkte zu Kosten der Massenfertigung herzustellen - im Grunde von der Datensammlung und Datenverarbeitung solcher Unternehmen lebt, sollte in Deutschland die Frage gestellt werden, inwiefern unser politisches und wirtschaftliches System auf die Herausforderungen der Digitalisierung auf einem globalisierten Weltmarkt vorbereitet ist. Offensichtlich hat Deutschland nämlich einen Nachteil gegenüber Staaten wie den USA. Insbesondere in puncto Digitalisierung zeigt sich hier eine Polarisierung zwischen verschiedenen Ländern (Heinrich 2011 / Schröder 2014). Einen Erklärungsansatz hierfür bietet die Theorie über die verschiedenen Spielarten des Kapitalismus (VoC) von Hall und Soskice (2001). Sie bestätigt in Bereichen der radikalen Innovationen einen institutionellen Vorteil liberalerer Marktwirtschaften (wie den USA) gegenüber Staaten wie Deutschland, deren kapitalistisches System mehr auf Kooperation, Koordination und Marktregulierung basiert. Dennoch muss Deutschland im Zuge der Globalisierung mit diesen Staaten konkurrieren. Durch die Digitalisierung und die neuen Herausforderungen durch die sogenannte Industrie 4.0, rücken nun gerade jene Vor - bzw. Nachteile in den Vordergrund. Der VoC-Ansatz bietet ein Set von Möglichkeiten mit internationaler Konkurrenz aus verschieden gearteten politischen wie ökonomischen Systemen umzugehen (Busemeyer, 2015). Eine der wichtigsten Ressourcen in einer solchen globalen Konkurrenzsituation ist die Bildung (Estevez et al., 2001).

Wenn also der Vorsitzende der Freien Demokratischen Partei (FDP), Christian Lindner, davon spricht, dass die Schüler in Deutschland mit Schülern in der ganzen Welt und nicht nur zwischen den einzelnen Bundesländern konkurrieren müssen, dann spricht er nicht nur von der, seiner Meinung nach überflüssigen Konkurrenzlage zwischen den Bundesländern, sondern er weist auch explizit auf eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben hin (vgl. Lindner, 2017): Die deutsche Bildungspolitik muss ein System schaffen, in welchem Schüler auf einen Arbeitsmarkt vorbereitet werden, der international mit jedem anderen konkurrieren kann. Vor diesem Hintergrund darf man aber nicht nur Gesamtdeutschland als Kollektiv betrachten, sondern auch die Veränderungen, die durch eine digitale Arbeitswelt auf jeden einzelnen Arbeitnehmer zukommen werden. Wenn ganze Tätigkeitsfelder (Arntz, 2016) durch die Digitalisierung - insbesondere einfache oder gar monotone Arbeiten - ersetzt werden könnten, so könnten gerade niedrig ausgebildete Beschäftigte ihre Anstellung dauerhaft verlieren (Frey/Osborne 2017). Hier muss die Politik mehr tun, als zu beschwichtigen, in einigen Berufen würden sich lediglich die Tätigkeitsfelder verschieben und nur wenige würden komplett wegfallen. Auch dort kann der größte Effekt durch höhere Bildung erzielt werden (ebd.). Nach dem Prinzip des sogenannten „Lebens langen Lernens“ (Zacharias 2018, Interview) muss damit allerdings früher begonnen werden, als in Weiter- oder Fortbildungen, wenn bereits ausgebildete Arbeitnehmer auf dem neuen Arbeitsmarkt mit ihren bisherigen Qualifikationen alleine kaum eine Chance haben. Auch, wenn es in Deutschland von Unternehmerseite häufig gute Angebote gibt, um Arbeitnehmer in bestimmten Bereichen exzellent auszubilden (Busemeyer, 2015), so muss die Bildungspolitik eine vernünftige Grundlage hierfür bereits im Primarbereich, aber insbesondere im Sekundarbereich I und II schaffen. Diesem, bisher chronisch unterfinanzierten Politikfeld, das sich durch mangelnde Kooperation auszeichnet und meist hinter anderen Bereichen wie dem Militär und dem Sozialstaat zurückstehen musste (Schmidt, 2018), muss die immanente Bedeutung, die es besitzt, auch beigemessen werden.

Dies war lange Zeit nicht der Fall und auch heute sehen viele Entscheidungsträger in der Politik die Bildung gerade noch im Schulbereich (Primarbereich, Sekundarstufen I und II) als ein untergeordnetes Thema an, obwohl es sich im Hinblick auf die Digitalisierung nicht nur um ein Thema handelt, das große Probleme verursachen kann, sondern auch um ein Themenfeld voller Chancen. Man denke nur an die Möglichkeiten, die Smartphones, Laptops und Smartboards für den Unterricht bieten können.

Daher gehen wir im folgenden Policy Paper der Frage nach, wie zukunftsfähig die deutsche Bildungspolitik in einer koordinierten Marktwirtschaft in den Sekundarbereichen I und II vor dem Hintergrund der Bildung 4.0 ist und schlagen den Entscheidungsträgern im Bundesministerium für Bildung und Forschung und in den Kultusministerien der Bundesländer konkrete Maßnahmen zum effektiven Nutzen digitaler Möglichkeiten und zum Umgang mit den Herausforderungen derselben vor.

Hierfür werden wir zunächst die Grundlagen des VoC-Ansatzes behandeln, sowie seine Bedeutung für die weitere Analyse konkretisieren und die arbeitsmarkttechnischen und institutionellen Bedingungen durchleuchten, auf die eine erfolgreiche und zukunftsfähige Bildungspolitik in Deutschland aufbauen muss, um anschließend nach Beschreibung des Ist-Zustandes und der Probleme in den Bereichen der bildungspolitischen Gestaltung, unsere Maßnahmenvorschläge für die Sekundarstufen I und II zu präsentieren.

2. Zukunftsfähigkeit der deutschen Bildungspolitik in einer koordinierten Marktwirtschaft in den Sekundarbereichen I und II – Bildung 4.0

Zunächst werden es die Grundlagen, für die im späteren Verlauf aufgezeigten Möglichkeiten der Implikation konkreter Maßnahmen in der Bildungspolitik, thematisiert. Diese werden ab Punkt 2.4 diskutiert.

2.1 Varieties of Capitalism-Ansatz

Der erste wichtige Grundlagenpunkt ist der theoretische Ansatz, mit dessen Hilfe die Bildungspolitik in Deutschland analysiert werden soll. Hierfür dient der sogenannte Varieties of Capitalism-Ansatz (VoC-Ansatz).

Dieser Ansatz wurde von Peter Hall und David Soskice entwickelt. Der VoC-Ansatz vergleicht im Grunde verschiedene Wirtschaftssysteme (Heinrich, 2011). Diese Systeme beeinflussen sich gegenseitig nicht dahingehend, dass sie sich von ihrer Wesensart her annähern würden (ebd.). Es handelt sich also lediglich um unterschiedliche Kapitalismuskonzepte, die nebeneinander existieren.

Die wichtigsten Akteure dieser Theorie sind die Unternehmen (Moore, 2018), die im Sinne eines Rational-Choice-Ansatzes handeln (Hall/Soskice, 2001). Es soll aus Sicht der Unternehmen herausgefunden werden, wie und warum sich die Institutionen in westlich kapitalistischen Systemen unterscheiden (Heinrich 2011). Durch diese Fokussierung auf die Unternehmen wird klar, dass sie in der Lage sind, gewisse Institutionen in ihrem Umfeld mitzugestalten (Streek, 2010). Dieses Umfeld beeinflusst die Unternehmen natürlich auch. Gemeinhin wird im VoC zwischen LMEs (Liberal Market Economies) und CMEs (Coordinated Market Economies) unterschieden (Hall/Soskice, 2001). Häufig werden auch noch sogenannte Mediterranean economies (ebd.) oder auch Mixed Marked Economies (MMEs) (McLeod/Hall et al., 2012) genannt. Hall und Soskice gehen mit diesem Ansatz der Frage nach „ was Regierungen in ihrem institutionellen Umfeld tun können, um den politisch-ökonomischen Herausforderungen zu begegnen“ (Heinrich 2011: 87).

Daraus folgt, dass Kooperation und Koordinierung von und durch Institutionen eine immanente Rolle spielen (ebd.). Auch die Wertschöpfung, die Unternehmen betreiben, bemisst sich in diesem Ansatz nach den Beziehungen und Kooperationen, die die einzelnen Unternehmen mit anderen Beteiligten innerhalb des politisch ökonomischen Systems haben (McLeod/Hall et al., 2012). Diese Kooperationen finden innerhalb verschiedener Subsysteme statt (Hall/Soskice, 2001).

Hiervon gibt es insgesamt fünf:

1. Arbeitsbeziehungen (Arbeitnehmer-Arbeitgeber)
2. Unternehmensführung
3. Unternehmensbeziehungen (Heinrich 2011)
4. Ausbildungssysteme (Aus- und Weiterbildung)
5. Unternehmensfinanzierung (Schröder 2014)

Michael Hoelscher fügt hier noch den sechsten Begriff des Innovationssystems hinzu (vgl. Hoelscher, 2012).

Zwischen all diesen Subsystemen bestehen institutionelle Komplementaritäten. Von Komplementarität kann man sprechen, sobald eine Institution durch eigene Effizienz, oder teilweise auch nur durch ihre bloße Existenz eine andere positiv hinsichtlich ihres Nutzens beeinflusst (Hall/Soskice, 2001 & Hörisch, 2013). Diese gegenseitige Beeinflussung unterscheidet sich je nach Art der Marktökonomie. Daher besteht die Trennung in die zwei erwähnten Idealtypen.

LMEs stehen in der Tradition der neoklassischen Ökonomie (Hall/Soskice, 2001), da die handelnden Akteure (die Unternehmen) in ihren Entscheidungen besonderen Wert auf die sogenannte Grenzkostenanalyse legen (Hörisch, 2013) - In einem Graph wären die Grenzkosten die Steigung der Kostenkurve, da es sich um zusätzliche Kosten pro zusätzlich produzierter Produkteinheit handelt, also im Grunde eine Kosten-Nutzen-Analyse, ob das Angebot erhöht werden sollte oder nicht.

Das heißt, ihr Handeln basiert vollkommen auf den Prinzipien des freien Marktes, wie sie Friedrich August von Hayek formuliert hatte (vgl. Hayek, 1979). Er sah die Ursache der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre hauptsächlich in falschen Investitionen seitens des Staates. Grundsätzlich hielt er von staatlicher Intervention sehr wenig und forderte sogar, das Drucken von Geld privaten Unternehmen zu überlassen. Seiner Meinung nach kann der Geldwert rein aus politischen Gründen durch die Zentralbanken nicht stabil gehalten werden (ebd.). Daraus folgt, dass in LMEs der freie Wettbewerb maßgeblich für die Koordinierung der Tätigkeit der Unternehmen ist (Hörisch, 2013).

Dies bedeutet zudem, dass häufig Vorteile möglicher Kooperation von Unternehmen ungenutzt bleiben, da der Fokus in LMEs eher auf Marktarrangements liegt (Schröder, 2014). Somit spielen regulierende Institutionen nur eine enorm geringe Rolle. Daraus folgt ein nur schwach ausgeprägter Arbeitnehmerschutz, was sich beispielsweise in einem nahezu nicht existenten Mitspracherecht seitens der Arbeitnehmer, oder keinen Lohnabsprachen äußert. Unternehmen in LMEs bekommen auch ihr Kapital nicht z.B. von Kreditinstituten, sondern zumeist direkt von Anlegern am Kapitalmarkt (Hoelscher, 2012). Dies hat zur Folge, dass Unternehmen selten an langfristige Kredite gebunden sind. Durch diese beiden Punkte entsteht für die Unternehmen nicht nur eine hohe Flexibilität, neue Mitarbeiter einzustellen bzw. überflüssige zu entlassen, sondern auch die Möglichkeit, schnell und einfach an viel Kapital für neue Ideen und Innovationen zu gelangen, wird begünstigt. Dies bedeutet, dass Innovationen selbst hier rasch und radikal erfolgen (Schröder 2014). Da sich somit Unternehmen schnell anderes Personal mit anderen Qualifikationen für neue Projekte beschaffen können, bedeutet dies auch für den Arbeitnehmer, dass er flexibel einsetzbar ist. Seine Ausbildung also ermöglicht ihm, in verschiedenen Tätigkeitsfeldern arbeiten zu können. Anfang der 90er Jahre beschäftigte sich Gary Becker mit dem Thema Humankapital und der Frage ob es eine Korrelation zwischen Familiengröße und vorhandenem Humankapital in Staaten gibt (vgl. Becker, 1990). Er fand dabei aber auch heraus, dass sich Arbeitnehmer unterschiedliche Arten von Fähigkeiten aneignen: Die sogenannten „general skills“ und die „specific skills“ (Becker, 1992 et al.). Die logische Folge hieraus ist, dass in LMEs die Arbeitnehmer eher geneigt sind, allgemeine Fertigkeiten zu erlernen (Hall/Soskice, 2001 & Busemeyer, 2015). Ein Beispiel für eine typische LME wären die USA.

Der zweite Idealtyp sind die sogenannten CMEs. Während LMEs auf Kurzfristigkeit, Flexibilität und schnelle Innovationen beruhen, sind CMEs für langfristige Entwicklungen gut geeignet. Es geht weniger um das Erfinden eines neuen Produkts, als um das stetige Verbessern bereits existierender Produkte (Schröder 2014). Diese inkrementelle Entwicklung fußt auf Beziehungen die nicht-marktliche Koordination erfordern (Hörisch, 2013). Hier wird ein wesentlich höherer Wert auf Zusammenarbeit gelegt. Dies führt z.B. zu wesentlich mehr Einfluss von Gewerkschaften oder anderen Arbeitnehmervertretern, oder auch zum Beitritt von Firmen in Handelsverbände (McLeod/Hall et al., 2012). CMEs basieren auch nicht darauf, dass das Kapital von Anlegern am Kapitalmarkt kommt. Sehr viel häufiger stammt es von Banken und wird in Form von langfristigen Krediten gewährt (Heinrich, 2011). Dies schränkt natürlich die Flexibilität der Unternehmen ein. Das bedeutet allerdings auch, dass die Arbeitsplätze der Mitarbeiter „sicherer“ sind. Zudem kommt von politischer Seite meist noch ein robuster Arbeitnehmerschutz hinzu (Schröder, 2014). Daher werden viele Arbeitnehmer in CMEs, im Gegensatz zu Arbeitnehmern in LMEs, sehr spezialisiert ausgebildet. Teilweise ist ihre Ausbildung derart spezifisch, dass die dort erlernten Fähigkeiten nur für eine einzige Firma von Nutzen sein können (Busemeyer, 2015). Letztendlich führt dieser hohe Faktor an Koordination zu einem „System, welches mehr als die Summe seiner Einzelteile darstellt“ (Schröder, 2014: 51).

Ein Beispiel für eine klassische CME wäre Deutschland.

Beide Kapitalismusvarianten sind sich gegenseitig nicht absolut überlegen. Es ergeben sich höchstens relative Vorteile (McLeod/Hall et al., 2012). Klar ist jedoch, dass die Bildung eine enorme Rolle spielt (Busemeyer, 2015). Es stellt sich die Frage, welche der vorhin angesprochenen „skills“ Schüler, Studenten, Auszubildende, etc. erlernen müssen, um in ihrem jeweiligen System erfolgreich zu sein. Gerade in Hinblick auf die vierte industrielle Revolution muss gerade in Deutschland diese Frage gestellt werden. In einer empirischen Studie, in der sie 26 OECD Staaten untersuchten, überprüften Schneider und Paunescu (2012) den VoC-Ansatz und fanden unter anderem heraus, dass sich auf der einen Seite Hochtechnologieländer hin zu LMEs entwickelt haben und klassische LMEs sich in Richtung Hochtechnologie Länder entwickelten. Auch bewegten sich einige typische CMEs, wie beispielsweise einige der skandinavischen Länder, sich Richtung LME. Für CMEs galt, dass sie im Schnitt eher mittel-hoch technologisiert waren (Schneider/Paunescu, 2012).

2.2 Arbeitsmarkt in Deutschland

Zweiter Punkt ist der Arbeitsmarkt in Deutschland und dessen Herausforderungen durch die Industrie 4.0. Die Ausbildung, in den von uns untersuchten Bereichen der bildungspolitischen Gestaltung, muss auf diesen Arbeitsmarkt vorbereiten.

Wie in Punkt 2.1 bereit erwähnt, handelt es sich bei Deutschland um eine koordinierte Marktwirtschaft. Auch, wenn Jensen (2011) davon ausgeht, dass die Globalisierung hauptsächlich negative Effekte auf eine LME hat und eine CME kaum merklich beeinflusst wird, so muss man die Frage der Konkurrenz auf dem Weltmarkt trotzdem stellen. Während sich in Deutschland die Autoindustrie ansammelt und hunderttausende von Arbeitsplätzen schafft, so tummeln sich in den USA die großen High-Tech Firmen wie Google oder Facebook. Laut Schröder (2014) liegt dies an den unterschiedlichen Kapitalismuskonzepten. Da beide Konzepte nahezu dieselbe Chance auf großes Wachstum haben (McLeod/Hall et al., 2012), ist fraglich, ob dies überhaupt ein Problem darstellt.

Klar ist, dass der Traum von einem deutschen Silicon Valley existiert. Die mittlerweile zahlreichen Science- und Technologie- Parks, wie die „NordAllianz“ im Münchner Norden, sind ein Indiz dafür. Wie aber in Abschnitt 2.1 erläutert, gestalten sich derart radikale Innovationszentren in einer CME extrem schwierig. Das könnte ein Grund sein, weshalb sich einige CMEs in den letzten Jahren immer mehr zu LMEs entwickelt haben (Schneider/Paunescu, 2012). Die Studie von Hall und Soskice (2001) hatte gerade in Bezug auf Deutschland gezeigt, dass die Industrie überall dort Schwächen aufweist, wo die USA als klassische LME besondere Stärken besitzen., z. B. in der Medizin- oder Informationstechnologie. Dies gilt andersherum beispielsweise für das Maschinenwesen oder die Autoindustrie. In internationalen Verhandlungen werden LMEs und CMEs diese Stärken immer verteidigen. Gezeigt hat sich dies schon bei den Verhandlungen zum Maastricht-Vertrag 1992 (vgl. Fioretos, 2001). Die Bundesrepublik muss demnach auch in Zukunft bei den Verhandlungen um mögliche Freihandelsabkommen stark darauf achten, diese Stärken zu schützen und beispielsweise kein zu Hohes Maß an Deregulierungen zuzulassen.

Für uns liegt der Fokus nun aber mehr auf der Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Um herauszufinden, welche Bildungsvoraussetzungen für einen zukunftsorientierten Arbeitsmarkt in Deutschland notwendig sind, ist es von immanenter Bedeutung zu wissen, was Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammenbringt. Auf welcher Basis kann eine Zusammenarbeit entstehen? Grundsätzlich sind Unternehmen in jeder Variante des Kapitalismus zuerst profitorientiert. Das heißt für die Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, dass letzterer durch den Verkauf eines hergestellten Produkts einen höheren Umsatz erzielen muss, als er dem Arbeiter an Lohn zahlen muss. Dies klingt zunächst vielleicht banal, ist aber von entscheidender Bedeutung, um nötige Voraussetzungen der Bildung der Arbeitnehmer zu benennen. Denn in diese Rechnung müssen auch die Ausgaben für mögliche Weiterbildungen mit einbezogen werden. Wie oben erwähnt, fordern gerade Unternehmen in CMEs besondere Qualifikationen seitens ihrer Mitarbeiter (Busemeyer, 2015). Firmenspezifische Ausbildungen kann der Staat natürlich nicht leisten, weshalb das Weiterbildungssystem, das häufig komplett oder zumindest teilweise von Firmen privat finanziert wird, an Bedeutung gewinnt.

Gerade in Deutschland herrscht neben der hohen Koordination einer klassischen CME auch noch die Tradition vor, dass viele Unternehmen bevorzugt langfristig investieren. Auch wenn dies möglicherweise zunächst mit Gewinneinbußen einhergeht (ebd.). Der Fokus liegt klar auf langfristiger und nachhaltiger Entwicklung. Dies gilt natürlich auch für die Ausbildung der Arbeitskräfte. Gerade hier muss der Staat ein solides Fundament schaffen. Die Firmen dürfen in ihren Aus- und Weiterbildungsprogrammen nicht alleine gelassen werden. Daher müssen bereits in der Schule breite Kenntnisse vermittelt werden, auf welchen eine mögliche Aus- und Weiterbildung aufbauen kann. Es ist nämlich offensichtlich, dass der große relative Vorteil der deutschen CME gegenüber typischen LMEs die Nachhaltigkeit ihrer Entwicklungen ist und, dass hierzu die Bildung einen enormen Beitrag leistet.

Gerade auf einem globalisierten Weltmarkt gewinnen die „skills“, die ein Arbeiter vorweisen kann noch einmal zusätzlich an Bedeutung (Estevez et al., 2001). Daraus lässt sich schließen, dass der Konkurrenzsituation auf diesem Weltmarkt mit klassischen CME Tugenden begegnet werden muss.

Ein Problem (vielleicht auch das Hauptproblem) stellt hierbei die Digitalisierung dar. Vorhin wurde bereits angesprochen, dass die großen IT-Konzerne ihren Hauptstandort in LMEs und nicht in CMEs haben (Schröder, 2014). Dies liegt schlichtweg an den radikaleren Innovationsmöglichkeiten in LMEs. Die Digitalisierung ist ein Feld, das sich stetig und vor allem sehr schnell verändert (Abolhassan, 2016). Diese Eigenschaft könnte ein enormes Problem für eher langsam auf neue Innovationen reagierende CMEs, wie Deutschland sein. Zudem sollte sich Deutschland aber auch nicht durch den Traum des deutschen Silicon Valley zu weit vom Idealtypus einer CME entfernen, denn wie mittlerweile klar wurde, ist es gerade dieses Modell, welches hier so viele Arbeitsplätze beispielsweise in der Autoindustrie schafft. Nun können diese Entwicklungen dennoch nicht ignoriert werden. Auch wenn die CME Tugenden erhalten bleiben müssen, so wird es dennoch wichtig sein, sich auf dem neuesten Stand der Digitalisierung zu befinden, um zu gewährleisten, dass die für die globale Konkurrenz Situation so unabdingbaren „skills“ der Arbeiter erlernt werden können.

Frey und Osborne (2017) schlossen in ihrer Studie “The future of employment: how susceptible are jobs to computerization”, dass bis zu 47 Prozent der Erwerbsstellen in den USA ein hohes Risiko aufweisen, automatisiert zu werden und damit die Arbeitslosigkeit stark steigen könnte. Nun sind die Arbeiter und Angestellte in Deutschland besser ausgebildet, aber dennoch besteht die Gefahr, dass einige Berufe wegfallen. Gerade, da der große Traum hinter Industrie 4.0 ist, dass es am Ende des Tages eine Fabrik ohne menschliche Arbeitskräfte geben wird (Wilkesmann et al. 2018) und niemand mehr monotone Arbeiten à la „Modern Times“ leisten muss. Damit zeigt sich auch, dass obwohl LMEs grundsätzlich innovationsfreudiger sind, dort wohl mehr Arbeitsplätze verloren gehen werden als in CMEs, wie in Deutschland. Die Frage ist, ob überhaupt ganze Berufe wegfallen werden oder nur, wie Arntz et al. (2016) betonen, lediglich diese monotonen Tätigkeitsfelder. Zudem stellt das Team um Arntz heraus, dass so manches Tätigkeitsfeld, in welchem potenziell Arbeitnehmer durch Maschinen ersetzt werden könnten, sich dennoch nicht ändert, da der nötige Wille dazu fehlt. Ein Beispiel hierfür wäre die Pflege (Arntz et al., 2016). Zudem ist es möglich, dass der Stellenabbau in einem Tätigkeitsfeld dadurch kompensiert wird, dass sich die Arbeit „verschiebt“. Auch Roboter müssen programmiert, gewartet und bedient werden. Natürlich bedeutet dies eine nötige höhere Qualifikation seitens der Arbeitskräfte. Dies könnte aber gerade für CMEs und insbesondere Deutschland mit seiner weiter oben erwähnten Tradition hin zu langfristigen und nachhaltigen Aus- und Weiterbildungen eine Chance auf dem Weltmarkt sein.

Durch Weiterbildung könnten Tätigkeitsfelder zudem nicht verschwinden, sondern würden aufgewertet werden (Ittermann/Niehaus, 2018). Dennoch hat die Studie von Arntz et al. (2016) gezeigt, dass unter den OECD Staaten, Deutschland hinter Österreich die zweitmeisten Arbeitnehmer (ca. 12%) besitzt, für die eine über 70 prozentige Wahrscheinlichkeit gilt, dass ihr Tätigkeitsfeld automatisiert wird. Dengler und Matthes (2015) fanden bereits ein Jahr früher heraus, dass wohl knapp zwölf Millionen Beschäftigte in Berufen tätig sind, in denen lediglich 30 Prozent oder weniger ihrer Tätigkeit von Maschinen (Computer, Roboter) übernommen werden könnte. Das bedeutet, sie haben ein geringes sogenanntes Substituierbarkeitspotenzial. Ein hohes Substituierbarkeitspotenzial (> 70 Prozent) besitzen lediglich 4,4 Mio. Erwerbstätige (Dengler/Matthes 2015). Die Studien zeigt auch, dass je nach Berufsfeld und Qualifikation das Substituierbarkeitspotenzial unterschiedlich ist. So werden beispielsweise in Bau- und Ausbauberufen weiterhin viele wenig qualifizierte Arbeiter benötigt, während beispielsweise in IT-Berufen grundsätzlich Experten - also sehr gut ausgebildete Arbeiter - ein geringes Substituierbarkeitspotenzial aufweisen. Hier wurde auch bestätigt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass personenbezogene Berufe (z.B. die Pflege) automatisiert werden, sehr gering ist (ebd.). An der Tatsache, dass je nach Berufsfeld Experten, wie auch reine Hilfsarbeiter Vorteile auf einen zukunftssicheren Job haben, aber seltener mittelgut ausgebildete Beschäftigte ein besonders niedriges Substituierbarkeitspotenzial besitzen, lässt den Schluss zu, dass es in Zukunft weniger Fachkräfte geben wird. Zumindest nicht in Berufen, wie wir sie heute kennen. Zenhäusern und Vaterlaus (2017) befürchten hier eine regelrechte Polarisierung des Arbeitsmarktes.

Als CME muss Deutschland hier besonders auf gute Bildung setzen. Nur so lässt sich die Digitalisierung in unserer globalisierten Welt wirkungsvoll nutzen (Busemeyer, 2015) ohne, dass Menschen dauerhaft durch die neuen Möglichkeiten der Industrie 4.0 arbeitslos werden.

2.3 Institutionelles Gefüge der Bildungspolitik in Deutschland

Die Bildungspolitik als dritter Grundlagenpunkt ist Teil des Sozialstaates - obwohl sie offiziell nicht zur Sozialpolitik gezählt wird - (Schmidt, 2018) und wird beschrieben, durch die verbindliche gesamtgesellschaftliche Gestaltung des Ausbildungssystems (Wurster, 2010). Die Politik kann hier in verschiedene Bereiche eingreifen:

1. Elementar- / Vorschulbereich: Die Teilnahme an diesem Bereich ist freiwillig und die Kinder in diesem Bereich sind ca. 3-5 Jahre alt.

2. Primarbereich: Dieser Bereich umfasst die vier Jahre Grundschulzeit. Der Altersdurchschnitt ist von ca. 6-9 Jahren.

3. Sekundarstufe I: In diesem Bereich befinden sich Kinder und Jugendliche zwischen 10-15 Jahren. Es handelt sich um die Klassenstufen fünf bis zehn, vertikal über alle Schularten (Hauptschule/Mittelschule, Realschule, Gymnasium, Gesamtschule) verteilt.

4. Sekundarstufe II: Diese Stufe umfasst zwei wesentliche Aspekte:

a. Den gymnasialen Bereich: Seit der G8 Reform geht dieser in den meisten Bundesländern bis zur 12. Klasse. Hier wird die allgemeine Hochschulreife erworben, mit der sich der Schüler im tertiären Bereich bewerben kann.
b. Das berufliche Schulwesen: Zwar gibt es auch hier zwischen den Bundesländern große Unterschiede, aber einige Aspekte, wie beispielsweise das duale Ausbildungssystem, in welchem öffentliche Schule und private Unternehmen zusammenarbeiten, haben sich flächendeckend bewährt. Zudem kann man hier z.B. an Fachoberschulen eine fachgebundene Hochschulreife erwerben.

5. Tertiärbereich: Dieser Bereich ist der sogenannte Hochschulbereich. Hierzu zählen alle Universitäten sowie Hochschulen und Fachhochschulen. Hier kann ein Studienabschluss erworben werden. Es kann sich z.B. um ein Diplom, den Bachelor, den Master, einem Magister oder einem Staatsexamen handeln.

6. Quartärbereich: Dieser Bereich ist der Weiterbildungssektor. Nachdem bereits eine Ausbildung abgeschlossen wurde, können sich hier alle Menschen, die noch nicht in Rente sind, beruflich oder teilweise auch akademisch weiterbilden. Hier arbeiten nebeneinander staatliche und private Einrichtungen (Hepp, 2011).

Unser Paper befasst sich unter dem anschließenden Punkt 2.4 hauptsächlich mit den Sekundarbereichen I und II.

[...]

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Bildung 4.0. Wie zukunftsfähig ist die deutsche Bildungspolitik in einer koordinierten Marktwirtschaft?
Untertitel
Sekundarbereiche I und II
Hochschule
Hochschule für Politik München
Veranstaltung
Politikfeldanalyse
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
31
Katalognummer
V470777
ISBN (eBook)
9783668951860
ISBN (Buch)
9783668951877
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bildungspolitik, policy, analysis, Varieties of Capitalism, Digitalisierung, Bildung 4.0
Arbeit zitieren
Christian Ramspeck (Autor:in), 2018, Bildung 4.0. Wie zukunftsfähig ist die deutsche Bildungspolitik in einer koordinierten Marktwirtschaft?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/470777

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