Die Liebe in der Kunst des Rokoko. Frauendarstellungen als Zeichen gesellschaftlicher und sexueller Veränderungen


Master's Thesis, 2018

45 Pages, Grade: 1,2


Excerpt


Inhalt

AbbildungsverzeichnisII

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau und Methodik

2 Das Zeitalter des Rokoko
2.1 Epochale Eingrenzung
2.2 Frauenbild und Darstellung des Weiblichen in der Kunst
2.3 Liebesdarstellung in Kunst und Literatur
2.3.1 Liebesdarstellungen im Sinne der Philia
2.3.2 Liebesdarstellungen im Bereich des Eros

3 Pittonis Werke
3.1 Bacchus und Ariadne
3.1.1 Mythologischer Hintergrund
3.1.2 Frauenbild und Liebesdarstellung
3.2 Die Opferung der Polyxena
3.2.1 Mythologischer Hintergrund
3.2.2 Frauenbild und Liebesdarstellung
3.3 Vergleich der beiden Werke
3.4 Vergleich zu Darstellungen des Weiblichen in den Werken anderer Künstler

4 Conclusio

Literaturliste

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Eugene Delacroix – La Liberté guidant le peuple (1830)

Abbildung 2: Hausbuchmeister – Gothaer Liebespaar (um 1480)

Abbildung 3: Esaias van de Velde – Fröhliche Gesellschaft auf einer Gartenterrasse (1615)

Abbildung 4: Nicolas Lancret – Le Moulinet (ca. 1730)

Abbildung 5: Jean-Honoré Fragonard – Die Krönung des Geliebten (1772)

Abbildung 6: Jan van Eyck – Arnolfini-Hochzeit (1434)

Abbildung 7: Peter Paul Rubens – Die Geißblattlaube (1609)

Abbildung 8: Paolo Veronese – Mars et Venus (ca. 1570)

Abbildung 9: Francois Boucher – Junges Schäferpaar (ca. 1740)

Abbildung 10: Giambatista Tiepolo – Rinaldo und Armida (1753)

Abbildung 11: Jean-Honoré Fragonard – Der Riegel (1778)

Abbildung 12: Giovanni Battista Pittoni – Bacchus und Ariadne (1730/1732)

Abbildung 13: Giovanni Battista Pittoni – Die Opferung der Polyxena (1730/1732)

Abbildung 14: Giovanni Battista Pittoni – Die Opferung der Polyxena (1733/1734)

Abbildung 15: Sebastiano Ricci – Sacrifice of Polyxena (1726-1730)

1 Einleitung

Die Kunst einer Zeit ist immer ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklungen, der politischen und historischen Gegebenheiten, der philosophischen Diskurse und der humanitären Werte. Sie kann Ausdruck dieser sein oder ihr schärfster Kritiker. Kunst kann im Rekurs auf den zeitgenössischen Diskurs betrachtet, kontextualisiert und interpretiert werden oder gänzlich von diesem losgelöst sein. Diese Masterarbeit will Kunst im Kontext ihrer Zeit sowie im Zusammenhang zu den vorangegangenen und auch den folgenden Entwicklungen betrachten. Im Mittelpunkt der Untersuchung sollen die Darstellung der Frau im Sinne der Weiblichkeit, sowie die Darstellung von Liebe stehen.

1.1 Problemstellung

Die Darstellungen der Frauen und des Weiblichen veränderten sich in der Kunst der Jahrhunderte immer wieder und schwankten parallel zu der gesellschaftlichen Stellung der Frau zwischen positivem und negativem Extrem. Auf der einen Seite steht das negative Extrem der Misogynie, die durch religiöse Ansichten und Restriktionen definiert wurde. Die Vertreibung aus dem Paradies wurde in der frühen christlichen Auslegung der Geschichte der Menschheit zum Verhängnis und Eva, der ersten Frau, und somit in der Folge allen Frauen angelastet. Die Ungezügeltheit und der Ungehorsam wurden so den Frauen zur Last gelegt. Dieses Bild verkehrte sich über die Jahrhunderte zunächst ins Positive, um dann im 19. Jahrhundert wieder negativ ausgelegt zu werden. Auf der anderen Seite der Skala steht das ausschließlich positive Bild der Frau als Heilige und Mutter Gottes, die das Ideal der christlichen Kirche, der Keuschheit und des Gehorsams verkörpert. Zwischen diesen beiden entgegen gesetzten Geisteshaltungen wechselte und änderte sich das gesellschaftliche Bild sowie die künstlerische Ausgestaltung weiblicher Darstellung. Mit dem gesellschaftlichen Stand der Frau änderte sich auch die Sichtweise auf Sexualität und Erotik. Die Verbindung der Aburteilung der Frau als von Natur aus sündhaftes Wesen ging einher mit einer Tabuisierung von Erotik und Lust, während die positive Wahrnehmung der Frau - als dem Mann in ihrer Andersartigkeit ebenbürtig - mit einem freieren Umgang mit Sinnlichkeit und Erotik verknüpft werden kann.

Im 18. Jahrhundert zeigten sich nun verschiedene Ausrichtungen der Wahrnehmung der Frau, die auf der positiveren Seite zu verzeichnen sind. Dies führt zur ersten Forschungsfrage, die in dieser Masterarbeit behandelt werden soll: Wie schlug sich das Frauenbild in der Kunst des Rokoko nieder und wie lässt es sich zu den vorangegangenen und nachfolgenden Darstellungen abgrenzen? In diesem Zusammenhang soll ebenso die zweite Forschungsfrage behandelt werden: Wie wirkt sich diese Betrachtungsweise auf die Liebesdarstellungen des Rokoko aus? Diese Forschungsfragen sollen im Abschluss der Arbeit anhand der Untersuchung der zwei für diese Arbeit zentralen Werke von Giovanni Battista Pittoni untersucht werden: Die Opferung der Polyxena und Bacchus und Ariadne. Die abschließende Forschungsfrage lautet entsprechend: Sind Pittonis Darstellungen charakteristisch für die Zeit und wenn ja, inwieweit? Falls nicht, worin liegen die Unterschiede?

1.2 Aufbau und Methodik

Die vorliegende Masterarbeit folgt einem systematischen Aufbau, um die Forschungsfrage zu diskutieren und beantworten zu können. Zunächst soll ein kurzer Überblick über das Zeitalter des Rokoko gegeben werden, indem gesellschaftliche Entwicklungen kurz in den Kontext der Kunst erklärt und Zusammenhänge dargestellt werden. Anschließend soll in einer ähnlichen Verfahrensweise die gesellschaftliche Stellung der Frau im Rokoko betrachtet werden, unter Zuhilfenahme der Betrachtung von Entwicklungen der vorausgegangenen Epochen. Der Fokus liegt hier auch wieder auf Darstellungen der Frauen in der Kunst, die anhand des sozio- historischen Kontextes diskutiert werden. Auf die Betrachtung des Frauenbildes folgend, wird die Arbeit auf der Grundlage der Einteilung und Klassifizierung von Sabine Poeschel die Liebesdarstellungen in der Kunst der Jahrhunderte betrachten und auch hier die Genese bis hin zum Rokoko und in Einschränkung darüber hinaus darlegen. Die charakteristischen Darstellungsweisen werden prosaisch dargelegt sowie als Bild beispielhaft in die Arbeit eingefügt, um die Ausführungen an der praktischen Ausgestaltung sogleich belegen zu können.

Nach Abschluss dieser Grundlagenkapitel werden die zwei Werke Pittonis, Bacchus und Ariadne sowie Die Opferung der Polyxena, auf dieser Basis untersucht. Zunächst soll hier jeweils der mythologische Hintergrund betrachtet werden. Auf Basis welcher Sagen oder Mythen entstanden die Werke? Welche Aussagen dieser Mythen sind zentral und wie hat Pittoni eben diese in seinen Werken interpretiert? Diese Überlegungen sollen vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Frauen- und Liebesdarstellungen in die Arbeit einfließen. Im Anschluss sollen die beiden Werke miteinander und mit anderen zeitgenössischen Werken auf die Erfüllung der Forschungsfragen hin untersucht und verglichen werden.

2 Das Zeitalter des Rokoko

2.1 Epochale Eingrenzung

Das Rokoko, auch Spätbarock genannt, bahnte sich bereits zum Ende des 17. Jahrhunderts in Europa an, als sich nach und nach ein Wertewandel im Zuge der immer weiter fortschreitenden Aufklärung vollzog. Zeitlich wird die Epoche von etwa 1720 bis 1780 gefasst, vorangegangen der Barock von etwa 1600 bis 1720 und gefolgt vom Klassizismus ab etwa 1780.1 Diese spätbarocke Stilphase ist geprägt durch das Ausreifen der stilistischen Elemente, die für den Barock charakteristisch waren sowie das Einführen neuer Elemente, die bereits auf den nachfolgenden Stil, den Klassizismus, vorgreifen.2 Allerdings muss hier angeführt werden, dass diese Einteilung nicht auf alle Künste und alle Länder in gleichem Maße angewendet werden kann.3 Während sich andere Stil- und Kunstepochen üblicherweise über Grenzen und Regionen hinweg nahezu flächendeckend verbreiteten, ist dies beim Rokoko nicht der Fall gewesen; das Rokoko konzentrierte sich vielmehr regional in Frankreich, Süddeutschland und Potsdam sowie im nördlichen Italien, hier vor allem um die Region der Republik Venedig. 4 Durch die Aufklärung werden Kunst und Literatur, die bis dato den adligen und betuchteren Schichten sowie der Kirche vorbehalten waren, auch einer etwas breiteren Masse zugänglich gemacht. Von England ausgehend verbreitet sich die Aufklärung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts über ganz Europa. Die Verschiebung der Machtverhältnisse wirkte sich auch auf das Künstlertum an sich aus: Das bestehende Mäzenatentum, also die Abhängigkeit der Künstler von ihren Auftraggebern, starb langsam aus, wodurch die Individualität und Kreativität der Künstler gefördert wurde.5 In der Malerei änderten sich damit nicht nur die Motive, sondern auch die Techniken der Malerei, wie beispielsweise die Hinwendung zur Pastellmalerei.6

Für das Rokoko in Italien können zwei Zeitpunkte hervorgehoben werden, die diese Epoche einläuten und beschließen: Am Anfang steht ein Liebeskanon des Dichters Metastasio, der noch im Auftrag einer Mäzenin verfasst wurde. Am Ende des italienischen Rokokos steht der Tanz der Jakobiner um den Freiheitsbaum im Jahr 1796.7 Wie im restlichen Europa, so war auch der Barock in Italien noch geprägt von der Aristokratie und der Kirche, bis die Verarmung des Adels und der Kampf der Kirche gegen die weltlichen Strömungen der Aufklärung die Kultur veränderten. So wird einerseits postuliert, dass „das Rokoko (…) dort [entstand], wo das Barock verfiel“8, andererseits wird dagegengehalten, dass das Rokoko nicht lediglich den Verfall eines Stils manifestierte, sondern es sich im Gegenteil um einen eigenen „Stil mit differenzierten regionalen und nationalen Ausprägungen“ 9 handele. Der auf den französischen Hof zurückgehende „Style Rocaille“10 mit der Vorliebe für Ornamente und dem künstlerischen Fokus auf den sogenannten bon gout, den guten Geschmack, war die treibende Kraft hinter der Verbreitung der Stilrichtung. Dennoch kann ebenfalls festgehalten werden, dass das Rokoko unter verschiedensten Einflüssen entstand und sich entwickelte, gerade in Italien kann der Grund für die Entstehung und Entwicklung dieser Epoche nicht alleine auf die aufklärerischen Tendenzen innerhalb Europas und den Einfluss des französischen Hofes zurückgeführt werden. Hier ist durch die Reisen Marco Polos und seiner immer weiter steigenden Anzahl an Nachfolgern der vermehrte Einfluss asiatischer Kultur auf die italienische Kultur spürbar.11 Das Interesse an asiatischer Kultur war Ausdruck von dem „Wunsch nach Kultivierung und Verfeinerung, nach einem utopischen Ideal von Schönheit, nach dem Intimen, Eleganten, Exotischen“12. Explizit zeigte sich diese Sehnsucht in der weiten Verbreitung der Chinoiserien sowie der Wertschätzung fernöstlicher Malereien, Bildhauerei und Porzellankunst. Der Ferne Osten sowie Frankreich waren somit die hauptsächlichen Einflussnehmer auf die italienische Kultur: Gerade in Modefragen waren die französischen Vorbilder nach wie vor prägend.13

In der Malerei vollzog sich ein Umschwung vom Pompösen und Schönen des Barock, von Pathos und Pracht zu mehr Einfachheit, Eleganz und Anmut. Barocke Kunst transportierte den „Ausdruck von Kraft und Dynamik“ 14, während die Kunst des Rokoko aristokratische Kultiviertheit und leichte bis „frivole Sinnlichkeit“15 ausdrückt. Der Stil schwenkt zu einer gewissen „Verweltlichung, zu sinnlicher Ästhetik und erotischen Themen“16. So entstand eine „antiklassische Kunst“17, die sich gegen die im Absolutismus favorisierte Kunst und den barocken Pathos wendete.18 Was sich allerdings aus dem Barock fortsetzt, ist die Vorliebe für antike Mythologie, die Götterwelt und die Motive der Heroen, die „Sehnsucht nach Arkadien“19 drückt sich in den Gemälden der Zeit aus.20 Im Gegensatz zu den Lieblingsmotiven des Barock, dem Gott Apoll, der Mäßigung und Reinheit verkörpert, und dem Heroen Herkules, welcher mit heldenhafter Tugend verbunden wird, werden im Rokoko Bacchus, der Gott des Weins und der Ausschweifung, und Venus, Göttin der Liebe und Schönheit, als Kunstmotive verehrt. Ebenfalls werden die – zumeist halbnackt bis gänzlich nackt dargestellten – Halbgötter und vermenschlichte sowie verniedlichte Gestalten der griechischen und römischen Mythologie zu beliebten Objekten der Rokoko-Künstler.21

Arkadien, das sagenhafte Land, das wie der Garten Eden Vollkommenheit verspricht, bildet die Sehnsuchtsgrundlage für Menschen und Kunst im 18. Jahrhundert. Die Frivolität und sexuelle Ausgelassenheit steht im Gegensatz zu der idealen Welt Arkadiens, das „Reich der Liebe“22, in das sie sich „aus der brutalen sexuellen Wirklichkeit von Verführung und Vergewaltigung“23 hineinwünschen. Dem Sündenpfuhl steht so die „Domäne der Unschuld“24 gegenüber. Diese glückverheißende Utopie wird ursprünglich seit der Antike im hellenistischen Griechenland verortet, wodurch sich auch die Beliebtheit der griechischen Götterwelt in der Kunst erklären lässt, jedoch wird die Utopie ebenso zum Topos, zur Verklärung jedweder idyllischer Träumereien.25 Die Darstellungen umfassen Motive der antiken mythologischen Figuren, aber auch idyllische Lebensszenarios wie „im Freien stattfindende Festlichkeiten, Liebesszenen, lyrisch-stimmungsvolle Idyllen“26. Es findet sich hier eine Verbindung der Motive der Pastorale mit dem galanten Schäferspiel und dem „Ideal des arkadischen Lebens“27.

2.2 Frauenbild und Darstellung des Weiblichen in der Kunst

Die Mentalität im Rokoko war geprägt von einer gewissen Nonchalance und Leichtigkeit, bis hin zu Selbstironie und auch einer Schwere des Gemüts und Sehnsucht nach eben jenem Arkadien, das Künstlern und Kunstrezipienten eine Realitätsflucht ermöglicht.28 Die Galanterie wurde in das alltägliche Leben implementiert und beeinflusste so auch die Geschlechterrollen und das Frauenbild. Das zwischengeschlechtliche Miteinander zeichnete sich aus durch das Gegensatzpaar der Galanterie einerseits und Libertinage, moralische Freizügigkeit, andererseits. Die Galanterie wurde spielerisch übernommen und als Abgrenzung zum vormals höfischen Benehmen mit einem „sinnlich-sexuellen Vergnügen“29 verbunden. Die Libertinage hingegen stand für ein ausschweifendes und zügelloses Verhalten, verflochten mit „gelassener Resignation, die sich in Frivolität niederschlug“30. Im Zentrum der zwischengeschlechtlichen Beziehung standen der Akt der Verführung und die Inszenierung eben dieser, das Frivole schlug sich nieder in der allgemeinen Akzeptanz von Affären und Liebesspielen. Die dadurch zum Ausdruck gebrachte Unbeständigkeit wurde somit zu einem positiven Leitbild dieser Zeit, das sich durch alle Schichten zog, einschließlich des Klerus und der Aristokratie. Die Erotik und das Ausleben dieser standen im Vordergrund, das Ideal der Liebe wurde in den Hintergrund gesetzt. Dieses ausschweifende Bedachtsein auf das erotische Vergnügen, gepaart mit der emotionalen Unverbundenheit, objektifizierte sowohl den Mann als auch die Frau.31

Die Frivolität und Sinnlichkeit spiegelte sich ebenfalls in der Wiederentdeckung des Aktes wider, in seiner Natürlichkeit und Feinheit, der Definition des Naturzustandes nach Jean-Jacques Rousseau folgend. Der Naturzustand des Menschen wurde als das Ideal beschrieben, mit klaren, reinen und unkomplizierten intersexuellen Beziehungen. Die reine natürliche Liebe wurde im arkadischen Reich verortet, in der Gestalt von Satyrn und jungfräulichen Nymphen, die gleichzeitig das neue weibliche Idealbild darstellten.32 Ein weiteres Ideal verkörperte die Göttin der Liebe und der Schönheit, Venus, die zugleich eines der Lieblingsmotive der Malerei darstellte. 33 Sie wird in der Regel nackt dargestellt und fungiert so als „Metapher der Sinnlichkeit“34. In der Malerei des Rokoko wird sie oft als symbolische Darstellung für eine heitere und undramatische Art der Liebe eingesetzt.35 Anders als in der Malerei des Barock wird Venus allerdings im Rokoko als „jugendliche Gespielin (…), zeittypische Kindfrau“ 36 abgebildet.

Das Frauenbild im 18. Jahrhundert war geprägt von Gegensätzen – im wahren Leben sowie in der Kunst.37 Der Wandel zum „postfeudalen, bürgerlichen Frauenbild“38 in dieser Zeit war prägend für die nächsten Jahrhunderte und lässt sich bis in die heutige Zeit nachvollziehen. Die Rolle der Frau wurde im Zuge der aufklärerischen Bewegungen und der Hinwirkung zur Französischen Revolution neu überdacht und instrumentalisiert. So kam es zu der weiten Spannbreite zwischen politisch aktiver Kämpferin für Frauenrechte vor und während der Revolutionszeit und ihrer gleichzeitigen Marginalisierung durch die für die Freiheit und Gleichberechtigung kämpfenden Gesellschaft. Dieser gesellschaftliche Kampf bezog sich allerdings weniger auf die Rechte, Freiheit und Emanzipation der Frauen, sondern ausschließlich die der männlichen Gesellschaft. In der Folge der Französischen Revolution wurden die Rechte und so auch der Frei- und Aktionsraum von europäischen Frauen nicht erweitert, sondern weiter eingeschränkt und auf das Heim und die Familie beschränkt. Der Freiheitskampf im 18. Jahrhundert endete so in einer weiteren restriktiven Lebenssituation der Frauen im 19. Jahrhundert. Die Entwicklungen von dem einen Extrem zum anderen verliefen selbstverständlich nicht rein chronologisch, sondern entwickelten sich in mehreren parallel und diametral verlaufenden gesellschaftlichen, politischen und historischen Strömungen, die sich auch in den Künsten niederschlugen.39

Geistesgeschichtlich wurde die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im 18. Jahrhundert stark diskutiert und auf eine neue, systematische Ebene angehoben.40 Begründet wurde hier eine Systematisierung der Annahme von einer natürlichen Ungleichheit, die sich sowohl in psychischen als auch physischen Merkmalen von Mann und Frau niederschlägt. Diese geschlechterspezifischen Merkmale, die Geschlechtscharakterentwürfe, werden als allgemeingültig a priori angenommen und wurden von Rousseau mitentworfen. Sie weisen dem Mann „Aktivität und Rationalität (…) und Passivität und Emotionalität“41 der Frau zu. Diese Systematisierung nach der Psyche der Menschen durchzieht im 18. Jahrhundert die philosophischen, pädagogischen, psychologischen, historischen, ästhetischen, und literarischen Diskussionen und Diskurse.42

Auf der Grundlage eben jener Geschlechtscharakterentwürfe wurde im weiteren Verlauf die Aufteilung der Aktions- und Lebensräume vorgenommen und legitimiert, die dem Mann das öffentliche Leben zusprach und der Frau das heimische, private. Besonders im späten 18. und im weiteren Verlauf im 19. Jahrhundert wurde dieses bürgerliche Frauenbild verschärft und durch Dichter und Philosophen wie Fichte und Kant festgeschrieben, indem in jenen Schriften den Frauen jedwede individuelle Selbstbestimmtheit und das Bürgertum abgesprochen wurde.43 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts, in der Zeit der Frühaufklärung und der Stilepoche des Spätbarock werden Frauen noch in Bildungskreisen die gleichen Rechte wie den Männern eingeräumt – Frauen partizipierten an den Wissenschaften und Lehren. Allerdings bezog sich dies nur auf die betuchten und höheren Kreise der Gesellschaft, da die Frau in den unteren Schichten weiterhin sozioökonomisch benachteiligt wurde.44 Diese relativ kurze Zeitspanne, in der das Bild der gelehrten Frau idealisiert wurde, wurde abgelöst von dem Ideal der „Empfindsamen, die sich nun der Gefühlswelt und der inneren Befindlichkeit zuwendet“45. Die empfindsame Frau entspricht vollkommen den Idealen des ihr zugesprochenen Geschlechtscharakters, „ist anmutig, zärtlich, gefühlvoll, einfühlsam, mitleidsvoll, wohltätig, gut und vor allem tugendhaft46.

In diesen Geschlechtscharaktereigenschaften und ihrer Idealisierung zeigt sich wieder die Dichotomie des gesellschaftlichen Frauenbildes: Einerseits wird die Frau und werden die weiblichen Eigenschaften idealisiert, andererseits wird die Frau von der Gesellschaft ausgeschlossen und ihr jegliches Bürgerrecht verwehrt.47 Die idealisierte Frau wird im weiteren Verlauf als Mutter stilisiert und ihr Dasein durch die Mutterschaft definiert, das Weibliche und Sexuelle wird in diesem Ideal wieder gänzlich ausgemerzt. Durch den Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben und der Reduzierung auf die Mutterrolle mitsamt der Entsexualisierung wird um 1800 die Frau immer mehr zum kindlichen Ideal, und der gesellschaftlichen Stellung des Kindes nahezu gleich gestellt.48 In der Malerei zeigt sich dieser Wandel in der wachsenden Beliebtheit des Mutter-Motivs: Die Mutter mit Kind ist gleich gestellt der Bildnisse Marias mit dem Jesuskind.49

Auch in der Ikonographie schlägt sich die Gegensätzlichkeit in der Wahrnehmung der Frau nieder. Neben Alltagsgegenständen, die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts verbreiteten, wie Kalenderblätter, Münzen sowie andere Druckobjekte wie Flugblätter, die einen Einblick in das Frauenbild geben, steht auch in der künstlerischen Ikonographie das Weibliche im Zentrum von widerstrebenden Kräften – die Darstellungen reichen von Bildnissen der heroischen Frauen als politische Aktivistinnen bis hin zu diffamatorischen Bildnissen in Karikaturen. Wie oben bereits angesprochen, war der – zumindest teilweise – nackte weibliche Körper ein beliebtes Motiv, sei es bei der Darstellung mythologischer Szenen und Figuren oder auch bei der Darstellung personifizierter Werte, als „Allegorie der Freiheit, Natur, Nation“50, wie es auch bei der Darstellung der Liberté in ikonographischen Zeugnissen der Französischen Revolution der Fall ist.51

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Eugene Delacroix – La Liberté guidant le peuple (1830)52

Gerade in diesem Fall ist die Gegensätzlichkeit zwischen künstlerischer Nutzung des Weiblichen und der Realität von nahezu ironischer Auffälligkeit: Die Liberté als personifizierte Freiheit und Kämpferin in der Emanzipation führt den Kampf nicht für die Frauen, sondern ausschließlich für die männlichen Bürger.53 Die Künstler griffen gemeinhin auf die heroische Frau als Sinnbild und Abstraktion der Werte und Schlagwörter zurück, um sie dem Publikum und dem (meist ungebildeten) Volk nahe zu bringen.54

Die ikonographischen Darstellungen von Frauenfiguren sind generell durch eine positive oder negative Sexualisierung geprägt: So wurden Frauen, besonders diejenigen, die in irgendeiner Weise in der Öffentlichkeit standen, einerseits als „tugendhafte, entsexualisierte Heroine“55 abgebildet, andererseits wurde auch eine „Reduktion auf den Sexus als Movens ihres politischen Handelns“56 vorgenommen, wodurch ihnen die Fähigkeit zum rationalen Handeln mehr oder weniger abgesprochen wurde. 57 Innerhalb dieser geschlechtsspezifischen Dichotomie, einer Zweiteilung, werden keinerlei Standesunterschiede gemacht. Frauen aus allen Bereichen der Gesellschaft werden abgebildet und betrachtet, wobei Frauen, die politisch aktiv waren, in diffamatorischen Abbildungen strenger behandelt werden als solche, die politisch inaktiv waren.58

[...]


1 Vgl. Charles/Carl 2013, S. 19.

2 Vgl. Stadler 2006, S. 115.

3 Vgl. Charles/Carl 2013, S. 19 f.

4 Vgl. Poeschel 2014, S. 110.

5 Vgl. Charles/Carl 2013, S. 2.

6 Vgl. Charles/Carl 2013, S. 30.

7 Vgl. Charles/Carl 2013, S. 157.

8 Charles/Carl 2013, S. 158.

9 Poeschel 2014, S. 110.

10 Stadler 2006, S. 115.

11 Vgl. Charles/Carl 2013, S. 158.

12 Stadler 2006, S. 115.

13 Vgl. Charles/Carl 2013, S. 161.

14 Poeschel 2014, S. 110.

15 Poeschel 2014, S. 110.

16 Stadler 2006, S. 116.

17 Poeschel 2014, S. 110.

18 Vgl. Poeschel 2014, S. 110.

19 Stadler 2006, S. 116.

20 Vgl. Stadler 2006, S. 116.

21 Vgl. Poeschel 2014, S. 116.

22 Marcard 1994, S. 198.

23 Marcard 1994, S. 198.

24 Marcard 1994, S. 198.

25 Vgl. Marcard 1994, S. 198 f.

26 Stadler 2006, S. 116.

27 Stadler 2006, S. 116.

28 Vgl. Poeschel 2014, S. 110; Marcard 1994, S. 201.

29 Poeschel 2014, S. 110.

30 Poeschel 2014, S. 110.

31 Vgl. Poeschel 2014, S. 110.

32 Vgl. Poeschel 2014, S. 111.

33 Vgl. Poeschel 2014, S. 111.

34 Poeschel 2014, S. 116.

35 Vgl. Poeschel 2014, S. 116.

36 Poeschel 2014, S. 116.

37 Vgl. Möbius 1982, S. 29.

38 Görner/Klausmann 1989, S. 5.

39 Vgl. Görner/Klausmann 1989, S. 5.

40 Vgl. Baader 1989, S. 10.

41 Baader 1989, S. 10.

42 Vgl. Baader 1989, S. 10.

43 Vgl. Baader 1989, S. 10.

44 Vgl. Baader 1989, S. 11.

45 Baader 1989, S. 12.

46 Baader 1989, S. 12 (Hervorhebung im Original).

47 Vgl. Baader 1989, S. 12.

48 Vgl. Baader 1989, S. 14.

49 Vgl. Baader 1989, S. 15.

50 Görner/Klausmann 1989, S. 6.

51 Vgl. Görner/Klausmann 1989, S. 6.

52 Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/File:Eugène_Delacroix_La_liberté_guidant_le_peuple.jpg. (Juni 2019).

53 Vgl. Görner/Klausmann 1989, S. 6.

54 Vgl. Karst-Mattausch; Doitchinov 1989, S. 17.

55 Görner/Klausmann 1989, S. 6.

56 Görner/Klausmann 1989, S. 6.

57 Vgl. Görner/Klausmann 1989, S. 6.

58 Vgl. Görner/Klausmann 1989, S. 8.

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Details

Title
Die Liebe in der Kunst des Rokoko. Frauendarstellungen als Zeichen gesellschaftlicher und sexueller Veränderungen
College
University of Stuttgart
Grade
1,2
Author
Year
2018
Pages
45
Catalog Number
V470977
ISBN (eBook)
9783668954595
ISBN (Book)
9783668954601
Language
German
Keywords
liebe, kunst, rokoko, frauendarstellungen, zeichen, veränderungen, Kunstgeschichte Liebesdarstellung, kunstgeschichte, Pittoni, barockkunst, barock, 17. jahrhundert, liebesdarstellung, Liebende, venus, Bacchus Ariadne, Polyxena, Achill, Opferung Polyxena, 18. jahrhundert, malerei
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Larissa Ferro (Author), 2018, Die Liebe in der Kunst des Rokoko. Frauendarstellungen als Zeichen gesellschaftlicher und sexueller Veränderungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/470977

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