Ältere Literaturwissenschaftler wie Karl Lachmann, Konrad Burdach oder Carl von Kraus - um nur einige zu nennen - kultivierten die philologische Anschauung, am Hof der Babenberger in Wien spielte sich um 1200 eine so genannte Fehde zwischen dem Hofsänger Reinmar und dem vornehmlich reisenden Dichter Walther von der Vogelweide ab. Diese den unterschiedlichen Sangvorstellungen beider geschuldete Fehde soll letztlich zu Gunsten des dort etablierten Sängers Reinmar entschieden und mit Walthers Weggang aus Wien komplettiert worden sein. Die neuere Forschung dagegen distanziert sich von der Konstatierung einer historischen Realität dieses ‚Wiener-Disputes’ zwischen Walther und Reinmar, ja schilt die Fehde an vielen Stellen sogar als philologisch inszeniert.
Nicht jedoch die Frage nach der faktisch-historischen Existenz dieser Fehde, sondern vielmehr die Frage nach den offensichtlich differierenden Auffassungen von Minne und Minnesang beider Dichter ist Gegenstand dieser Untersuchung. Zu diesem Zwecke wird zunächst historisch dekontextualisierend beiden Minnesängern eine Vorstellung von einem idealtypischen Gattungskonzept Minnesang unterstellt. Daraufhin werden die für die (fingierte) ‚Dichter-Fehde’ relevanten Lieder – nicht zuletzt wegen oft eindeutiger intertextueller Verweisungszusammenhänge – parallelisiert.
Stark idealisierend also und von einem dichtungstheoretischen Diskurs über Minne und Minnesang zwischen Reinmar und Walther ausgehend werden vornehmlich die intertextuell reziprok rekurrierenden Lieder beider unter der Fragestellung: ‚Inwiefern lassen sich Differenzen oder Kongruenzen in den idealtypischen Minnekonzepten ausmachen?’, untersucht.
Inhaltsverzeichnis
- Die Reinmar-Walther-Fehde: Zwei minnetheoretische Konzeptionen
- Ein Wort zum Beginn
- Wissenschaftlicher Disput und Untersuchungsintention
- Die intertextuelle Rekurrenz - Reziproke Verweisung als Funktion der Minne
- Der dichtungstheoretische Diskurs
- Das Maß der dichterischen Auseinandersetzung mit dem Dichtungsgegenstand
- Die Dichtungsthemata im Minnesang
- Das Verhältnis zwischen Dichter und Dichtungsgegenstand
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die vermeintliche „Fehde“ zwischen den Minnesängern Reinmar und Walther von der Vogelweide aus dichtungstheoretischer Perspektive. Sie analysiert die unterschiedlichen Auffassungen von Minne und Minnesang bei beiden Dichtern, die sich in ihren Liedern widerspiegeln. Die Arbeit fokussiert dabei auf die intertextuellen Verweise, die zwischen den Liedern beider Dichter bestehen.
- Differenzierte Konzepte von Minne und Minnesang bei Reinmar und Walther
- Intertextuelle Rekurrenz als Funktion der Minne
- Dichtungstheoretische Auseinandersetzung mit dem Dichtungsgegenstand
- Bedeutung des „Spils“ im Minnesang
- Idealtypische Gattungskonzepte des Minnesangs
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die historische Einordnung und die wissenschaftliche Rezeption der Reinmar-Walther-Fehde. Es stellt die unterschiedlichen Auffassungen der älteren und neueren Forschung dar und definiert den Fokus der Untersuchung auf die dichtungstheoretischen Differenzen zwischen den beiden Dichtern.
Das zweite Kapitel analysiert die intertextuellen Verweise zwischen den Liedern Reinmars und Walthers. Es zeigt, wie die reziproke Verweisung eine wichtige Funktion innerhalb des Minnekonzepts beider Dichter spielt. Dabei werden konkrete Beispiele aus den Liedern beider Dichter betrachtet.
Das dritte Kapitel widmet sich der Analyse des dichtungstheoretischen Diskurses zwischen Reinmar und Walther. Es untersucht, wie beide Dichter mit dem „Maß“ der dichterischen Auseinandersetzung mit dem Dichtungsgegenstand umgehen und welche unterschiedlichen Vorstellungen von „Spil“ und „Minne“ sie vertreten.
Schlüsselwörter
Minnesang, Minne, Reinmar, Walther von der Vogelweide, Fehde, intertextuelle Rekurrenz, dichtungstheoretischer Diskurs, Dichtungsgegenstand, „Spil“, Gattungskonzept, Idealtyp, Liedervergleich.
- Citation du texte
- Michael Steinmetz (Auteur), 2005, Die Reinmar-Walther-Fehde - Zwei minnetheoretische Konzepte in diskursiver Auseinandersetzung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47295