G.E. Lessings Drama „Miß Sara Sampson“ (1755) gilt gattungstypologisch als das erste deutsche bürgerliche Trauerspiel. In diesem frühen empfindsamen Trauerspiel ist der zentrale Konflikt, im Gegensatz zur höfisch klassizistischen Tragödie, in die Familie verlagert. Dabei erhält eine familiäre Zweierbindung, die Vater-Tochter-Beziehung, als Ort und Medium des tragischen Konflikts, eine zentrale Bedeutung. Diese Wendung auf die private Sphäre spiegelt die Mentalität des Bürgertums, dem die gefühlsgetragenen häuslichen Lebensbeziehungen als Mittelpunkt der Existenz erschienen. Hierbei kommt es der zentralen Autoritätsfigur des Vaters zu, die Ordnung, und damit die familiäre Gemeinschaft, aufrechtzuerhalten.
Dies impliziert, dass der Vaterfigur eine tragende Rolle zukommt, so dass es berechtigt erscheint, „Miß Sara Sampson“ ein „Vater – Spiel(e)“ zu nennen. Diese Tatsache setzt darüber hinaus den Bezug dieses Dramas auf das patriarchalische - familiale Wertsystem der Zeit voraus.
Die Betrachtung der Vaterfigur ist also grundlegend für die Erschließung des zentralen Konflikts in diesem Trauerspiel. Deshalb soll in der folgenden Analyse die Funktion der Vaterrolle Sir William Sampsons in den Mittelpunkt gestellt werden. Hierbei soll es zunächst um Sir Williams Beziehung zu seiner Tochter Sara sowie um die Entwicklung seines Verständnisses von der Vaterrolle gehen. Dabei soll einerseits verdeutlicht werden, wie Sir William als Vater versucht, die familiäre Ordnung zu restituieren. Andererseits soll analysiert werden, wie er mit dem patriarchalischen Herrschaftsanspruch umgeht. Interessant ist dabei vor allem, dass Sir William im Laufe der Handlung einen Erkenntnisprozess durchläuft. Hierbei wandelt er sich vom strengen, empfindsamen Vater, der primär eigennützige Ziele verfolgt, zum vergebenden, großmütigen Vater, der seine Vaterrolle auf altruistische Gefühle gründet. In einem weiteren Schritt wird dann untersucht werden, welche Verhaltenserwartungen seine Tochter Sara und die Umwelt an Sir William als Vater stellen. Es wird dabei zu zeigen sein, dass der mit dem traditionellen Patriarchalismus gegebene Spielraum der Vaterrolle zwischen Liebe und strafender Machtausübung Verwirrung und Fehleinschätzung auslöst und somit die tragische Handlung im Wesentlichen motiviert.
Inhaltsverzeichnis
- 0. Einleitung
- 1. „Zärtlicher Vater“ und „zärtliche Tochter“ (III, 3): Sir Williams Beziehung zu seiner Tochter Sara und die Entwicklung seines Verständnisses von der Vaterrolle in G.E. Lessings „Miß Sara Sampson“
- 1.1. Der strenge, empfindsame Vater: Sir Williams Vaterrolle zwischen aufrichtiger Zuneigung zu seiner Tochter und Eigennützigkeit
- 1.2. Der vergebende, großmütige Vater: Sir Williams Zurücknahme des Eigennutzes zur Wiederherstellung der emotionalen Beziehung zur Tochter sowie die Läuterung seines Gefühls gegenüber der Tochter
- 2. „Ist das von einem Vater zu verlangen?“ (III, 3): Sir Williams Vaterrolle und die Verhaltenserwartungen an ihn vonseiten seiner Tochter Sara und der Umwelt in G.E. Lessings „Miß Sara Sampson“
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert die Vaterrolle Sir William Sampsons in G.E. Lessings „Miß Sara Sampson“ und untersucht, wie sich sein Verständnis der Vaterrolle im Laufe des Dramas entwickelt.
- Die Entwicklung der Vaterrolle Sir William Sampsons von einem strengen und eigennützigen Vater zu einem vergebenden und großmütigen Vater.
- Die Beziehung zwischen Sir William und seiner Tochter Sara und die Konflikte, die aus unterschiedlichen Verhaltenserwartungen entstehen.
- Die Rolle des patriarchalischen Wertsystems im bürgerlichen Trauerspiel und die Auswirkungen auf die familiäre Ordnung.
- Die Bedeutung der Empfindsamkeit in der Vaterrolle und die Frage, ob diese den patriarchalischen Machtanspruch des Vaters aufhebt oder nur zurückdrängt.
- Der Einfluss des bürgerlichen Trauerspiels auf die Sensibilisierung des Zuschauers.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik des bürgerlichen Trauerspiels ein und stellt die Bedeutung der Vater-Tochter-Beziehung als zentralen Konflikt im Drama „Miß Sara Sampson“ heraus. Sie beleuchtet die Rolle der Vaterfigur in der patriarchalischen Gesellschaft und die damit verbundenen Erwartungen an die ideale Vatergestalt.
Das erste Kapitel untersucht die Entwicklung der Vaterrolle Sir William Sampsons im Laufe des Dramas. Es analysiert seine Beziehung zu seiner Tochter Sara und zeigt auf, wie er vom strengen, eigennützigen Vater zum vergebenden, großmütigen Vater wandelt.
Das zweite Kapitel beleuchtet die Verhaltenserwartungen, die an Sir William als Vater von seiner Tochter Sara und der Umwelt gestellt werden. Es zeigt auf, wie die Spannung zwischen Liebe und strafender Machtausübung Verwirrung und Fehleinschätzung hervorruft, die maßgeblich die tragische Handlung des Dramas motivieren.
Schlüsselwörter
Bürgerliches Trauerspiel, Vaterrolle, patriarchalische Gesellschaft, Empfindsamkeit, „Miß Sara Sampson“, G.E. Lessing, Familiendrama, Zuneigung, Eigennutz, Vergebung, Großmut, Verhaltenserwartungen, Konflikt.
- Citation du texte
- Sirinya Pakditawan (Auteur), 2003, Die Funktion und die Entwicklung der Vaterrolle Sir William Sampsons in G.E. Lessings 'Miß Sara Sampson', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47379