Günter Wallraff


Seminararbeit, 1997

23 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Methode
2.1. Was ist wallraffa?
2.2. Psychische Auswirkungen
2.3. Wie du mir - so ich dir?
2.4. Der Zweck heiligt die Mittel?
2.5. Wallrafferi ist umstritten

3. Wo hat er die Methode angewendet und warum?
3.1. Arbeitsreportagen
3.2. BILD
3.3. Ganz unten
3.4. Bei der Bundeswehr
3.5. Als Waffenhändler
3.6. Außerdem

4. Was hat er aufgedeckt?
4.1. BILD
4.2. Ganz unten

5. Kritik an Wallraff

6. Folgen von Wallraffs Arbeit
6.1. BILD
6.2. Ganz unten

7. Literatur

1. Einleitung

Herr Keuner begegnet Herrn Wirr,

dem Kämpfer gegen die Zeitungen.

„Ich bin ein großer Gegner der

Zeitungen“, sagt Herr Wirr,

„ich will keine Zeitungen“.

Herr Keuner sagte: „Ich bin ein

größerer Gegner der Zeitungen:

Ich will andere Zeitungen“.

Bert Brecht[1]

„Journalismus“ ist nicht nur im engeren Sinn als nüchterne, (angeblich) objektive Berichterstattung zu sehen, sondern existiert auch als literarische Form, als literarische Reportage.

Journalismus wird oft als 4. Macht bezeichnet. Im positiven Sinn wäre die Macht als Kontrollorgan, als „Kontrollmacht gegen alles Böse“ zu verstehen. Diese Macht kann aber - wie jede Macht - auch mißbraucht werden und Demokratisierungsprozesse unterlaufen, ihnen entgegenwirken. Von beiden Arten des Journalismus ist im folgenden die Rede. Die Arbeit befaßt sich deshalb auch zu einem großen Teil mit der BILD-Zeitung und vernachlässigt dadurch möglicherweise andere wichtige Arbeiten Wallraffs. Diese selektive Auswahl ist meiner Meinung nach aber durch die Themenvorgabe gerechtfertigt. Gerade der Themenkomplex „Wallraff und BILD“ eignet sich hervorragend dafür, „Journalismus“ und auch „Demokratie“ zu reflektieren.

Günter Wallraff wurde 1942 geboren, war zuerst Buchhändler und wurde erst dann Journalist und Schriftsteller.[2] Seine Arbeiten, beziehungsweise seine Bücher werden in Kapitel 3 beschrieben.

Und auch ein interessanter Österreich-Bezug fehlt bei diesem „deutschen Thema“ nicht.

Kronenzeitungs - Adabei Michael Jeannee war früher Chefreporter bei BILD AM SONNTAG und rechtfertigte in dieser Funktion die faschistische Diktatur in Argentinien, was von Wallraff ausführlich dargestellt wird: Mit Tatbeständen wie „Verherrlichung von Gewalt“ oder „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ ist das Treiben des Michael Jeannee und seiner Auftraggeber nicht zu fassen.[3]

Ein anderes interessantes Detail in der BILD-Lügen-Story ist die Tatsache, daß die BILD-Zeitung von der Kronenzeitung abgeschrieben hat (oder noch immer abschreibt?), allerdings nicht irgendwelche Meldungen, sondern die erfundenen Geschichten aus der Kolumne „Heiteres Bezirksgericht“: Die bei der Konkurrenz unter der Rubrik „Heiteres Bezirksgericht“ erschienenen überdrehten und als Erfindung kenntlich gemachten Schwänke drehte BILD seinen Lesern als Tatsachen-Stories an, wie z.B. „Mit Perücke und Lippenstift wurde er endlich Putzfrau“, (...) „Lieber sterben als jeden Tag Apfelstrudel essen“,...[4]

2. Die Methode

2.1. Was ist wallraffa?

Günter Wallraff und seine Methode erreichten im Lauf der Zeit so viel Berühmtheit, daß sein Name sogar in den Sprachgebrauch Eingang fand. Allerdings nicht in den deutschen Sprachgebrauch: Er bereicherte die schwedische Sprache um zwei Wörter: „das Substantiv „Wallrafferi“ und das Verb „wallraffa“ für das durch Verkleidung begünstigte Einsammeln sonst unerreichbarer Informationen.“[5]

Als früher Vorläufer der Recherchemethode könnte der österreichische Politiker und Journalist Victor Adler gesehen werden, der sich schon 1888 illegal als Ziegelarbeiter verkleidet bei den „Wienerberger Ziegelwerken“ einschlich, um dortige Mißstände aufzudecken.[6] Adler machte, wie auch später Wallraff, eine „Rollenreportage“. Im Gegensatz zur sonst üblichen Vorgangsweise, als „AußenstehendeR“ zu berichten, stellt Wallraff seine Fragen direkter. Er schleust sich selbst ein und betreibt, wissenschaftlich ausgedrückt, eine verdeckte, teilnehmende Beobachtung. Wallraff ist sozusagen Informant und Informierter in einer Person. Er ist gleichzeitig Journalist und Schauspieler, schlüpft in verschiedenste Rollen - bis zur totalen Selbstverleugnung: „Das bin ich nicht mehr, der mich da aus dem Spiegel anschaut. So eine Visage, auf Karriere getrimmt, wie ich sie bei Jungmanagern immer gehaßt habe“[7], sagt Günter Wallraff über Hans Esser, sein alter ego bei der BILD-Zeitung. In einem Interview sagt Wallraff über seine Methode und über die Zuordnung seiner Arbeit zu einem Genre: Ganz unten ist ein erlebtes, ein erfühltes, ein erlittenes Buch. Es ist gleichzeitig auch ein Sachbuch. Denn die Fakten müssen belegt sein und vor Gericht standhalten. Dafür ist es auch ganz bewußt subjektiv geschrieben. Es ist Non-fiction. Aber die Methode ist eine künstlerische. Das Buch soll an Ort und Stelle etwas verändern. Das ist das Wichtigste.“[8]

2.2. Psychische Auswirkungen

Bei all dem Erleben, Erfühlen und Erleiden entstehen für den Dauerschauspieler, der gleichzeitig auch die Arbeit eines Journalisten erledigen muß, zwangsläufig psychische Belastungen: „Ich fange an, mir selber fremd zu werden.“, bemerkt er während seiner Recherchen als BILD-Reporter. Er kann zum Beispiel Freunden nicht mehr zuhören, weil er alles nach dem Gesichtspunkt der Verwendbarkeit für BILD sortiert. „Steckt ja doch keine Geschichte drin.“[9] oder „Alles um mich herum gerinnt und erstarrt zur verkürzten BILD-Floskel-Geschichte. Ich stelle fest, daß mir bei Geschehnissen gleich Überschriften und Artikelanfänge einfallen“[10], beschriebt er die extremen Auswirkungen seiner Reportage. Er will den BILD-Reporter nur spielen, er muß aufpassen, nicht wie ein BILD-Reporter zu werden. Nach einiger Zeit bei BILD wird er von Freunden darauf aufmerksam gemacht, daß er „wir“ sagt, wenn er von BILD spricht.[11] Wallraff beschreibt diesen Zustand mit einer Metapher, die passender nicht sein könnte: „Es ist, als wollte ich eine Reportage über Drogenmißbrauch machen und hätte mich - nur um zu wissen, wovon ich schreibe - selbst gespritzt. Komme ich von diesem Trip einigermaßen heil wieder runter?“[12] - Später resümierte er: „Ich habe Jahre gebraucht, um die psychischen Wirkungen dieser Krankheit wieder abzubauen.“

2.3. Wie du mir - so ich dir?

Manche Leute wollen Wallraffs Bild-Report mit der Behauptung ad absurdum führen, Wallraff wende doch selbst genau die Methoden an, die er an BILD kritisiert. Gibt es tatsächlich Ähnlichkeiten hinsichtlich der Arbeitsweisen von Wallraff und BILD?

Es gibt sie - und Wallraff streitet sie gar nicht ab. „Als Journalist hat man eben die Aufgabe, dorthin zu kommen, wo man mit normalen Mitteln nicht hinkommt...“, lehrt Springer-Schreiberling Wolf Schneider in einer JournalistInnenschule den angehenden BILD-ReporterInnen. „Als Hans Esser in die BILD-Redaktion?“,[13] fragt Wallraff spitzbübisch nach. „Eben jene Methoden“, schreibt der „Spiegel“, „die Wallraff von Kritikern angelastet werden, gehören - ironischerweise - zum Repertoire der BILD-Redaktion, die sich nun besonders heftig über den Eindringling empört: Wie Springer-Reporter zuweilen als Krankenpfleger, Kellner oder Kondolierende auftreten, um sich ungehindert in die Privatsphäre ihrer Opfer einschleichen können, exakt so verbirgt Wallraff seit mehr als zehn Jahren immer wieder seine wahre Identität - freilich nicht, um persönliche, sondern um gesellschaftliche „Geheimbereiche“ auszuleuchten, wie Heinrich Böll es nennt.“[14] Die publizistischen Grundsätze des Deutschen Presserats (Pressekodex) definieren, welche jourmalistischen Methoden in einer Demokratie angewandt werden sollten und welche nicht: „ (...) Bei der Beschaffung von Nachrichten, Informationsmaterial und Bildern dürfen keine unlauteren Methoden angewandt werden. Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten eines Menschen öffentliche Interessen, so kann es auch in der Presse erörtert werde. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden.“[15] Da fordern also Menschen ihr Recht auf Privatsphäre ein, während sie selbst die Privatsphäre ihrer Opfer mit Füßen treten. Ein weiterer Satz aus dem Pressekodex spricht für Wallraff und zeigt, daß die BILD-Zeitung sowieso nicht viel von diesen Grundsätzen hält: Auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt und Brutalität soll verzichtet werden.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe vom 20. Januar 1981, in dem über Wallraffs Arbeitsmethode entschieden wurde, faßt G.W. als 5 „Faustregeln“ zusammen:

1. Das Einschleichen ist rechts- und sittenwidrig;
2. Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind tabu;
3. Über Betriebsinterna darf man die Öffentlichkeit nur in Ausnahmefällen informieren. In meinem Fall war das gerechtfertigt, weil es beim „Aufmacher“ um “Fehlentwicklungen des Journalismus“ und „einschneidende Folgen der Meinungsmanipulation“ durch BILD ging;
4. Man muß als Journalist zwischen Öffentlichkeitswert und Einschleichverbot „abwägen“;
5. Privatsphären sind tabu. Was einer in seinen eigenen vier Wänden spricht - ob wahr oder unwahr - darf nicht berichtet werden.

Die wesentlichen Unterschiede zwischen Wallraff und BILD bestehen einerseits im Stil und andererseits im Anspruch und im Zweck der Methode.

2.4. Der Zweck heiligt die Mittel?

Während die „hehren Motive“ der BILD-Reporter lange gesucht werden können, ist Wallraffs Hauptziel die Veränderung der bestehenden Zustände, die er als Mißstände begreift, zum Besseren hin: „Ich lebe in diesem Staat. Ich will in dieser Gesellschaft etwas verändern, ich gehöre zu dieser Gesellschaft, ich bin eine Antwort auf diese Gesellschaft. Wären wir eine gerechte demokratische Gesellschaft, bräuchte es mich vielleicht gar nicht zu geben.“[16] Warum er sich dabei gerade dieser phantasievollen, wenn auch umstrittenen Methode bedient, erklärt er folgendermaßen: „Phantasie heißt auch, sich Nicht-Abfinden, sich nicht mit dem Schlechten des Bestehenden arrangieren, sondern das bessere Mögliche ins Auge fassen, schmackhaft machen, vorträumen. Phantasie auf Veränderung hin ausrichten heißt, sich nicht damit begnügen zu beschreiben, wie es ist, sondern in der exakten Beschreibung mit durchblicken zu lassen, wie es anders besser sein könnte und gleichzeitig nach den Ursachen und Verantwortlichkeiten fragen, weshalb es so bedrückend ist, wie es ist.“ G.W. 1974[17] Und wie er sich eine „bessere Gesellschaft“ vorstellt, in der Menschen wie er beziehungsweise diese Methoden überhaupt nicht mehr notwendig sind, beschreibt Wallraff an anderer Stelle: Irgendwie steckt ja in meiner Methode auch ein Stück Utopie drin. In einer durchdemokratisierten Gesellschaft - falls es das überhaupt jemals geben sollte - wäre der „Rollentausch“ institutionalisiert. Bei einem umschichtigen Arbeiten kommt man sich näher und lernt sich besser verstehen; Aggressionen und Machtmißbräuche werden abgebaut. Solange es aber „niedrige“ und fremdbestimmte Arbeiten mit viel Schmutz und wenig Ansehen gibt, ist das kaum möglich.[18] Um dorthin zu kommen, sieht er seine Methode als einen Weg. Jedoch nicht unreflektiert: Die Methode ist und bleibt allerdings heikel. Aber die erforderlichen Abwägungen habe ich auch stets vorgenommen. „Der Zweck heiligt die Mittel“ war nie meine Devise.[19]

2.5. Wallrafferi ist umstritten

Die Arbeitsweise „Aufdecken durch einschleichen“ war zu keinem Zeitpunkt unumstritten. „Im Film ist die Problematik dieses Einschleichens noch unmittelbarer erlebbar als im Buch.“[20] Wallraff hat, wo es ging, seine Erfahrungen mit versteckter Kamera dokumentiert, um die Authentizität zu erhöhen. Gerade hier war er sich der Grenze zwischen öffentlichem Interesse und Privatsphäre sehr bewußt und versuchte immer, klare Trennlinien zu ziehen. Anfangs, in den 70er Jahren, wurde die Methode vor allem als moralisch verwerflicher „Eingriff in die Privatsphäre“ stark angegriffen und kritisiert. Später, als seine Berühmtheit und auch die Anerkennung für seine Methode größer wurden, muß er sich seltener für die „so verwerfliche Methode“[21] verteidigen. Die Aufmerksamkeit richtet sich nun wirklich auf die von ihm aufgedeckten Mißstände und nicht auf die Frage, ob Wallraff in irgendeiner Form strafrechtlich verfolgt werden muß.

3. Wo hat er die Methode angewendet und warum?

Zusammenfassung seiner Veröffentlichungen als „Enthüllungsjournalist“

3.1. Arbeitsreportagen

Ähnlich wie Victor Adler wollte Wallraff die Ausbeutung der Arbeiterklasse am eigenen Leib verspüren, um darüber berichten zu können, und so begann er sich in den 70er Jahren als (deutscher) Arbeiter bei Großkonzernen „einzuschleichen“. Seine Erfahrungen bei diesen und anderen Aktionen wurden veröffentlicht als:

[...]


[1] Wallraff, Günter: Der Aufmacher. Der Mann, der bei Bild Hans Esser war. Köln 1977, S.6

[2] vgl. Wallraff, Günter: Ganz unten. Mit einer Dokumentation der Folgen. Köln 1985, S.3

[3] Der Aufmacher, S.95

[4] ebd., S.117

[5] vgl. Ganz unten, S.399

[6] vgl. Duchkowitsch, Wolfgang: Einführung in die Kommunikations- und Mediengeschichte. Wien, 1988, S.73

[7] Der Aufmacher, S.13

[8] Ganz unten, S.427

[9] Der Aufmacher, S.211

[10] ebd., S.214

[11] vgl. ebd., S.215

[12] ebd., S.220

[13] Wallraff, Günter: Zeugen der Anklage. Die „Bild“-beschreibung wird fortgesetzt. Köln 1979, S.24

[14] Der Aufmacher, S.224

[15] Zeugen der Anklage, S.134

[16] Ganz unten, S.431

[17] Zeugen der Anklage, S.216

[18] Wallraff, Günter: Das BILD-Handbuch bis zum Bildausfall. Hamburg 1981, S.45

[19] ebd., S.45

[20] Ganz unten, S.389

[21] vgl. ebd., S.423

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Günter Wallraff
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft)
Veranstaltung
Komm.wiss. Seminar: Journalismus und Demokratie im internationalen Vergleich
Note
1
Autor
Jahr
1997
Seiten
23
Katalognummer
V47429
ISBN (eBook)
9783638443807
ISBN (Buch)
9783638659390
Dateigröße
499 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Günter, Wallraff, Komm, Seminar, Journalismus, Demokratie, Vergleich
Arbeit zitieren
Karin Lederer (Autor:in), 1997, Günter Wallraff, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47429

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