Sigmund Freud: Die Zukunft einer Illusion


Seminararbeit, 2004

17 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Vorworte

Religionskritiken, sowohl gegen ihre ideellen als auch praktischen Grundlagen, werden so alt sein wie die schriftlich fixierten Religionen. Sigmund Freud dürfte sowohl die subtile Kritik Ludwig Feuerbachs (1804-1872), die zerset­zende von Karl Marx (1818-1883), aber auch die verzweifelte seines Zeitge­nossen Friedrich Nietzsche (1844-1900) studiert ha­ben, denn er beruft sich auf „bessere Männer“, die „vollständiger, kraftvoller und eindrucksvoller“ als er Kritik an der Religion geübt hätten. Er „habe bloß“ wie er bekennt, „der Kritik“ seiner „großen Vorgänger etwas psychologische Begründung hinzugefügt“. Die besseren Männer zählt er nicht auf, denn „es soll nicht der Anschein geweckt werden“, dass er sich „in ihre Reihe stellen will“.[1]

Psychologische Aspekte wurden auch zuvor schon in der Religionskritik geäu­ßert, aber da Freud nun einmal der Begründer der Psychoanalyse ist, konnte kei­ner zuvor seine Kritik mit psychoanalytischen Begründungen würzen.

Freuds Freund und Kollege Oskar Pfister (1873-1956) bezichtigte ihn 1928 in seinem Auf­satz unter der entgegen gesetzten Überschrift „Die Illusion einer Zu­kunft“[2], er habe an die Stelle der religiösen lediglich eine wissenschaftliche Welt­anschau­ung ge­setzt. „Freud wollte die bannende Macht des Heiligen“, schreibt Reimut Reiche in seiner Einleitung, „ganz durch die bindende Kraft rationaler Verhält­nisse ab­gelöst sehen, aber er verfügte über kein Instrument, um die andauernde Reduk­tion von Vernunft und Zweckrationalität, den Missbrauch von Vernunft im ein­zelnen im Namen von irrationaler Herrschaft im Ganzen zu erkennen.“[3]

Ilse Grubrich-Simitis hingegen vermutete in ihrem biografischen Essay „Freuds Moses-Studien als Tagtraum“[4], dass Freud vor allem deshalb ein so wü­tender Atheist war, weil er stets in Versuchung geriet, sich selber mit Moses als Religi­onsstifter zu identifizieren. Aus seiner eigenen Biografie ließen sich wohl ei­nige Merkwürdigkeiten ableiten, die er selber in die psychischen Macken oder Krankheiten seiner Patienten projizierte. Aber er ist damit weltbekannt ge­wor­den, auch wenn sich heute viele Therapeuten bemühen, seine Irrtümer auf­zude­cken. Allein im Internet erscheinen, wenn man in der Google-Suchma­schine seinen Namen eingibt, 318.000 internationale und 35.000 deutsche Ein­tragun­gen.

Doch nun zur Sache selber!

I

Im ersten Kapitel seines erstmals 1927 veröffentlichten Essays „Die Zukunft ei­ner Illusion“ wollte er die Kultur untersuchen oder das, was er als „menschliches Getriebe“ bezeichnete, das „nur wenige Personen“, wie er übertrieben optimis­tisch meinte, „in all seinen Ausbreitungen überschauen können“. Kultur war ihm etwas, „was einer widerstrebenden Mehrheit von einer Minderzahl auferlegt wurde, die es verstanden hat, sich in den Besitz von Macht- und Zwangsmitteln zu setzen“. Das gab ihm Gelegenheit, mit seinen bekannten Begriffen wie „Triebopfer“, Triebunterdrückung“ oder „Triebverzicht“ zu hantieren, was aber noch weit vom Thema Religion entfernt zu sein scheint. Stattdessen räsonierte er über die „kulturfeindliche Mehrheit von heute“, die es gelte, „zu einer Minder­heit herabzudrücken“. Das klingt zwar fast marxistisch, also erziehungsdiktato­risch, aber er versicherte, dass es ihm „ferneliegt, das große Kulturexperiment zu beurteilen, das gegenwärtig in dem weiten Land zwischen Europa und Asien an­gestellt wird“.[5] Er meinte also das grausame „Kulturexperiment“ der Bolsche­wiki, das nach den revolutionä­ren, jedoch leicht abgewandelten Theorien der Freunde Marx & Engels den europäischen Bürgerkrieg entfachte. Wer sich heute über die Ergebnisse dieses Ex­peri­ments genauer unterrichten will, sollte das von zumeist ehemaligen Marxisten selber zusammengestellte „Schwarzbuch des Kommunis­mus“[6] studieren.

II

Im zweiten Kapitel will uns Freud mit der Erkenntnis beglücken, „dass jede Kultur auf Arbeitszwang und Triebverzicht“ beruhe. Mit Verboten und Entbeh­rungen habe „die Kultur die Ablösung vom animalischen Urzustand begonnen“. Und noch immer würden die Verbote „den Kern der Kulturfeindseligkeit bil­den“, denn unerfüllte „Triebwünsche“ bringe Neurotiker hervor, „die bereits auf diese Versagungen mit Asozialität reagieren“. Unter Triebwünschen zählte er Inzest, Kannibalismus und Mordlust auf. Des Weiteren glaubte er, eine Ent­wicklung der menschlichen Seele, ähnlich den Fortschritten der Wissenschaft und Technik, nachweisen zu können. Äußerer Zwang habe sich in uns verinner­licht und „eine besondere seelische Instanz, das Über-Ich“ hervorgebracht, das „ein höchst wertvoller Kulturbesitz“ geworden sei. Doch die Unterschiede zwi­schen verschiedenen Gesellschaftsklassen bringe es mit sich, dass „die Befriedi­gung einer Anzahl von Teilnehmern die Unterdrückung einer anderen, vielleicht der Mehrzahl, zur Vorraussetzung hat“. Und dies sei bei allen gegenwärtigen Kulturen der Fall. Ergo? „Es braucht nicht gesagt zu werden, dass eine Kultur, welche eine so große Zahl von Teilnehmern unbefriedigt lässt und zur Aufleh­nung treibt, weder Aussicht hat, sich dauernd zu erhalten, noch es verdient.“ Solche Sätze entsprachen ganz dem Geschmack jener kleinbürgerlichen Revo­luzzer, die ab 1968 gegen die mit Hilfe der westlichen Alliierten aufgebaute Nachkriegsdemokratie Sturm liefen. Was ist geblieben von den hochfahrenden Hoffnungen und Illusionen von Gerechtigkeit und gleicher Triebbefriedigung? Lediglich der von Mao Tse-Tung (1883-1976) nachgeahmte „Lange Marsch“ durch die In­stitutionen, flan­kiert von dem Sponti-Spruch „Feuer unterm Arsch verkürzt den langen Marsch!“, verlief bis zur Machtspitze durchaus erfolgreich; das ist in die­sem kulturloser werdenden und verarmenden Land auch nicht mehr zu überse­hen. Doch ansonsten? „Viel Blödes ist uns geblieben und viel Böses“, meinte dazu der Berliner Soziologie-Professor Alexander Schuller in einer gro­ßen Sonntags­zeitung: „Da ist vor allem der Affektsturm: das Obszöne, das Vul­gäre, das Be­sessene als vermeintliches Korrelat der Befreiung. In Erinnerung bleibt der ent­fesselte, der jederzeit zum Sprung bereite hemmungslose Hass.“ Und dann fragte er, welche unerträgliche Kränkung sich da Bahn gebrochen habe. „Mani­fest war es die Empörung über die Nazi-Sünden der Väter, der ubi­quitäre Täter-Verdacht, ein Verdacht, der sich bis in die Gegenwart als Kinder­schän­dungs-Verdacht am Leben hält.“[7] Ausgerechnet jene 68er, die ihren Vätern den „Nicht­widerstand gegen die Tyrannei“ nicht verzeihen wollten und sich nun im „Wi­derstand gegen die Nichttyrannei“[8] hervortaten, übersahen in ihrer ideologi­schen Verblendung, dass sich auf deutschem Boden tatsächliche eine zweite to­talitäre Gewaltherrschaft unter sowjetischer Führung breitgemacht hatte. Doch hier ver­weigerten sie zumeist den Opfern die Solidarität und mach­ten sich lieber mit den Diktatoren und nicht selten sogar mit den Stasi-Bütteln gemein. Das hieße nach Freud, dass sie sich, als sie noch nicht die Machtzent­ren des bürger­lichen Staates be­setzt hielten, mit den Kräften der Unfreiheit, den Unterdrückern und Besat­zern sowohl des deutschen Nachbarstaates als auch der ost- und süd­osteu­ropäi­schen Länder identifizierten, ohne selber davon betroffen zu sein. Zu sol­cher In­famie hatte Freud noch keine Worte gefunden, die hier zi­tierbar wä­ren. Am Ende des Kapitels meinte er, das „vielleicht bedeutsamste Stück des psychi­schen Inventars einer Kultur“ erwähnen zu müssen: „Es sind ihre im weitesten Sinn religiösen Vorstellungen, mit anderen, später zu rechtfer­tigenden Worten, ihrer Illusionen.“[9]

[...]


[1] In: Massenpsychologie und Ich-Analyse. Die Zukunft einer Illusion, 6. Auflage, Frankfurt/M. 2002, S. 138 (fortan nur Seitenangabe)

[2] In: E. Nase und J. Scharfenberg (Herausgeber): Psychoanalyse und Religion. Darmstadt 1977, S. 101-1041

[3] S. 20

[4] Weinheim 1991

[5] S. 109-113

[6] Untertitel: Unterdrückung, Verbrechen und Terror, herausgegeben von Stéphane Courtois u. a., München 1998

[7] In: Chaos oder Karzer. Institutionen sind Schutz und Heimat. Die „68er“ wollten sie zerstören – und das Bürger­tum hinderte sie nicht daran, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 09. Mai 2004, S. 13

[8] Odo Marquard: Verweigerung der Bürgerlichkeitsverweigerung. In: Individuum und Gewaltenteilung. Philosophi­sche Studien, Stuttgart 2004, S. 36

[9] S. 114-118

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Sigmund Freud: Die Zukunft einer Illusion
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Lehrstuhl für Evangelische Theologie II)
Veranstaltung
Seminar
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
17
Katalognummer
V47446
ISBN (eBook)
9783638443951
ISBN (Buch)
9783638782265
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zitierung über Fußnoten
Schlagworte
Sigmund, Freud, Zukunft, Illusion, Seminar
Arbeit zitieren
Siegmar Faust (Autor:in), 2004, Sigmund Freud: Die Zukunft einer Illusion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47446

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