Das BGH-Urteil NJW 2016, 2504 "Jaguar Vertragswerkstatt". Absolute und relative Marktmacht eines Automobilherstellers zu seinen Vertragswerkstätten


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2018

23 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

A. Einführung

B. Analyse

I. Absolute Marktmacht oder marktbeherrschende Stellung
1. Meinungsstand
a) BGH
b) EU-Recht
2. Stellungnahme

II. Relative Marktmacht oder unternehmensbedingte Abhängigkeiten
1. Meinungsstand
a) BGH
b) EU-Recht
2. Stellungnahme

III. Wirksam ausgesprochene Vertragskündigung
1. Meinungsstand
a) BGH
b) Kündigungsschranke des § 20 GWB
c) Kündigungsschranke des § 242 BGB
2. Stellungnahme

C. Fazit

D. Literaturverzeichnis

A. Einführung

Das am 26.01.2016 ergangene Urteil (Az.: KZR 41/14 „Jaguar-Vertragswerkstatt“) des BGH betrifft den Status einer Automobil-Vertragswerkstatt als notwendige Ressource für Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen.

Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte, Importeurin des englischen Automobilherstellers Jaguar in Deutschland1, der Klägerin im Zuge einer Neuordnung ihres Servicenetzes den Servicevertrag für Pkw der Marke gekündigt und entgegen der überwiegenden Zahl der sonstigen gekündigten Vertragswerkstätten den Abschluss ei­nes neuen Vertrages verweigert.

Die Feststellungsklage der Klägerin auf Zulassung zum Werkstättennetz und der Antrag auf Belieferung mit Originalersatzteilen zu Netzkonditionen wurden vom Landgericht Frankfurt abgewiesen. Der erstinstanzliche Feststellungsantrag wurde im Berufungsverfahren weiterverfolgt, hilfsweise sollte festgestellt werden, dass die ausgesprochene Kündigung unwirksam sei. Das Berufungsgericht hat die Berufung in Bezug auf den Hauptantrag zurückgewiesen und dem Hilfsantrag stattgegeben. Es hat hinsichtlich der Abweisung des Hauptantrags die Revision zugelassen.

Die vom BGH im Rahmen der Revision aufgegriffenen Rechtsprobleme betreffen die absolute und relative Marktmarkt eines Automobilherstellers im Verhältnis zu seinen Vertragswerkstätten, sowie die Recht­mäßigkeit einer aus­gesprochenen Vertragskündigung. Die ersten beiden Probleme be­treffen das Rechtsgebiet des Kartellrechts, das letztere das Rechts­gebiet des Schuldrechts unter Berücksichtigung kartellrechtlicher Aspekte.

Im Weiteren sollen Meinungsstände zu den jeweiligen vom BGH aufgegriffenen Rechtsproblemen vorgestellt und jeweils in einer Stellungnahme bewertet werden. Abschließend werden die wesentlichen Punkte der Arbeit in einem Fazit zusammengefasst.

B. Analyse

I. Absolute Marktmacht oder marktbeherrschende Stellung

Der BGH greift in seinem Urteil zunächst das Rechtproblem der abso­luten Marktmacht oder marktbeherrschender Stellung nach § 18 f. GWB in Bezug auf den vorliegenden Fall auf. Gemäß § 18 Abs. 1 GWB ist ein Unternehmen marktbeherrschend, wenn es auf einem bestimmten Markt ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder wenn es eine überragende Marktstellung hat.

1. Meinungsstand

a) BGH

Der BGH hält bei diesem Urteil grundsätzlich an einer von ihm in der Vergangenheit entwickelten, stufenweisen Marktabgrenzung fest.2 So geht er ei­nerseits von einem Endkundenmarkt für Instand­setzungs- und War­tungsdienstleistungen aus, wie andererseits von einem vorge­lagerten Res­sourcenmarkt, auf dem sich die Werkstät­ten als Nachfrager und die Hersteller als Anbieter gegenüberste­hen.3 Das gehandelte Gut auf diesem vorgelagerten Markt ist der Status einer Vertragswerkstatt. Laut BGH können jedoch die Markt­verhältnisse auf dem nachgela­gerten Endkundenmarkt Auswirkun­gen auf die sachliche Abgren­zung des vorgelagerten Ressourcen­markts haben. Deswegen sind die Ansprüche, Erwar­tungen und Gepflo­genheiten der Fahrzeugei­gentümer als Nachfra­ger auf dem nachgelager­ten Endkunden­markt hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den vorge­lagerten Markt zu prüfen. Ihr Verhalten entscheidet darüber, ob es für Werkstätten überhaupt wirtschaftlich sinnvoll ist, Pkw-Service­leistungen für eine bestimmte Marke ohne den Status einer Ver­tragswerkstatt des jeweiligen Herstellers auszuüben. Abhängig von der Erwartungshaltung der Endkunden könnte der Markt für Pkw-Serviceleistungen letztendlich doch markenspezifisch abzugrenzen und der jeweilige Hersteller marktbeherrschend sein.4 Daher ist die Erwartungshaltung der Jaguar-Endkunden tatrichterlich daraufhin zu prüfen, ob die Pkw-Eigentümer eine Vertragswerkstatt zur Durchführung von Serviceleistungen e­her in Anspruch nehmen als eine freie Werkstatt, auch wenn dafür höhere Preise anfallen als bei freien Werkstätten.5 Da es sich bei Fahrzeugen der Marke Jaguar um hochpreisige Pkw handelt, könnten Eigentümer laut Vermutung des BGH mehr Wert auf Wartung und Reparatur durch eine Ver­tragswerkstatt des Herstellers legen.6

Hier erfolgt der Bezug auf das vom Berufungsgericht herangezogenen BGH-Urteil in Sachen MAN-​Vertragswerkstatt.7 Der BGH hat im damaligen Urteil verneint, dass der Sta­tus einer Vertragswerkstatt einen eigenständigen Markt aus­mache. Seiner Meinung nach sei dieser nur eine von mehreren un­tereinander austauschbaren Ressourcen (wie das Angebot von Er­satzteilen, Di­ag­nosegeräten und Spezialwerkzeugen) und stellt da­mit einen Teil des umfassenderen Marktes dar, auf dem solche Res­sourcen ange­boten werden. Laut dem damaligen Verständnis des BGH könne der Status einer Vertragswerkstatt zwar erforderlich sein, um Ga­rantie- und Ku­lanzleistungen sowie Leistungen im Rah­men von Rückrufaktionen auszuführen. Gestützt auf die tatrichterli­chen Fest­stellungen des Be­rufungsgerichts hat der BGH in seinem damaligen Urteil jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür er­kannt, dass jener Teilbereich ei­nen eigenständigen Markt bildet, welcher vom Markt für die Ressour­cen zur Erbringung sonstiger Werkstattleistungen abzugrenzen ist. Für den Betreiber einer Repa­raturwerkstatt gäbe es - auch wenn er seine Leistungen nur für eine bestimmte Marke erbringen will - eine Reihe möglicher Dienstleis­tungen, die er auch außerhalb des Garantie- oder Kulanz­verhältnis­ses erbringen könne. Laut Auffassung des BGH in Sa­chen MAN war weder tatrichterlich festgestellt noch ersichtlich, dass das Angebot von Instandsetzungs- und Wartungsleistungen für Nutz­fahrzeuge ohne den Status einer Vertragswerkstatt unmög­lich oder wirtschaft­lich sinnlos wäre. Vielmehr hatte das Berufungsge­richt eine solche Annahme durch die Feststellung wi­derlegt, dass der überwiegende Teil der entsprechenden Leistun­gen zum damaligen Zeitpunkt von freien Werkstätten ausgeführt wurde.8

Der BGH macht seine Überlegungen zu Marktabgrenzung auf dem vorgelagerten Ressourcenmarkt also am Verhalten der Abnehmer auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt fest. Bei Nutzfahrzeu­gen, die der Eigentümer gewerbsmäßig nutzt und häufig in größe­ren Flotten betreibt, kann das anders sein als bei privaten Pkw-Nutzern. Je nach­dem ist der vorgelagerte Markt doch markenspezi­fisch ab­zugrenzen. In Folge einer markenspezifischen Abgrenzung kann der Hersteller auf diesem Markt marktbeherrschend sein.9

Der BGH hat bemängelt, dass das Berufungsgericht auf den vorlie­gen­den Pkw-Fall die Bewertung für Nutzfahrzeuge angewendet hat ohne hinreichende Feststellungen getroffen zu haben, ob Nutzfahrzeug- und Pkw-Markt diesbezüg­lich vergleichbar sind.10

Damit diese fehlenden tatrichterlichen Erhebungen nachgeholt wer­den können verweist der BGH den Fall an das Berufungsgericht zu­rück.

b) EU-Recht

Im Gegensatz zum BGH, der die Anwendungsvoraussetzung des Dis­kriminierungs- und Behinde­rungsverbotes des § 18 f. GWB prüft, be­fasst sich die Kommission hinsichtlich absoluter Marktmacht (oder marktbeherrschender Stellung) mit der Bestimmung der Markt­anteils­schwelle im Zusammenhang mit der Gruppenfreistellungs­verord­nung.11

Die Auffassung der EU-Kommission hinsichtlich der Marktabgren­zung unterscheidet sich von der des BGH.12

Nach der generellen Sichtweise der Europäischen Kommission kommt es zur Definition eines sachlichen Marktes darauf an, ob ein bestimm­tes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung aus Sicht des unmit­telbaren Abnehmers austauschbar ist, um eine be­stimmte Nachfrage zu befriedigen. Dies wäre für den vorliegenden Fall der Markt auf dem der Fahrzeughersteller die Zulassung als Vertragswerkstatt anbie­tet.13 Kommt es auf die Anwendbarkeit der Kfz-GVO an, nutzt die Kom­mission allerdings eine andere Form der Markt­abgrenzung, um zu prü­fen, ob für einen Vertragswerkstattvertrag der Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV eröffnet ist und ob eine Ausnahme der Kfz-GVO bzw. Art. 101 Abs. 3 AEUV ein­schlägig ist.

Bei der Marktabgrenzung hinsichtlich der Vertragswerkstätten stellt die Kommission nicht auf die Sicht der Vertragswerkstatt, also der direkten Marktteilnehmer, sondern auf die des Pkw-Endkunden ab.14

Für die Endkunden ist die mar­kenspezifische Un­terscheidung wich­tig, weil nicht jede Werkstatt jede Serviceleistun­gen für eine be­stimmte Marke durchführen kann. Die Kommission betrachtet den Marktanteil des Herstellers auf die­sem markenspezi­fischen Markt von Serviceleis­tungen für Endkunden.

Mit dieser Sicht­weise erhebt die Kommission den Marktanteil des Her­stellers auf dem Endkundenmarkt für die be­stimmte Marke. Die Betrachtungs­weise der Kommission beruht auf der alten Kfz-Gruppenfreistel­lungsverord­nung 1400/2002, die 2010 außer Kraft getreten ist. Die Berechnung der Marktanteile war hier noch aus­drücklich in Art. 8 Abs. 1 c der GVO vor­gegeben.15

Der Wortlaut stellte auf den Anteil ab, den der Lieferant „an dem rele­vanten Markt (hat), auf dem er […] Instandsetzungs- oder War­tungsdienstleistungen ver­kauft”16. Darunter wurde der Endkunden­markt verstanden, wobei dem Lieferanten (hier dem Hersteller) nicht nur der Endkundenanteil seiner Eigenwerkstätten (eigener Niederlassungen) zugerechnet wird, son­dern auch der Anteil seiner Vertragswerkstätten.17 Dies führt regelmäßig zum Wert von über 30 %.18

In der neuen Kfz-GVO findet sich in diesem Zusammenhang hinge­gen nur noch ein Verweis auf die all­gemeine Vertikal-GVO, welche aber ge­nau wie die neue Kfz-GVO keine Spezialvorschriften zur Marktab­grenzung mehr enthält.19 Art. 3 Abs. 1 der Vertikal-GVO gibt lediglich vor zur Ermitt­lung des Marktanteils des An­bieters auf den relevanten Markt abzu­stellen, auf dem dieser seine Vertrags­waren oder -dienstleistungen anbietet.

Da vorliegend das Verhältnis von Hersteller zu Vertragswerkstatt zur Diskussion steht, wäre der relevante Markt derjenige zwischen Her­steller und Werkstatt und gerade nicht der Endkundenmarkt, sondern der diesem vorgelagerte Markt.20 Die Kommission grenzt den Markt trotz dieser Änderung weiterhin in bisheriger Weise markenspezifisch ab.21

2. Stellungnahme

Die stufenweise Definition des BGH in einen Markt zwi­schen Fahr­zeugher­steller und Werkstatt und einen Markt zwischen Werkstatt und Endkunde ist im Grunde nachvollziehbar. Mit diesem Vorgehen widerspricht der BGH bei der Definition des relevanten Marktes jedoch der Ansicht der Europäischen Kommis­sion, die zur Bestimmung des relevanten Marktes im Zusam­men­hang mit der Kfz-GVO rein die Endkun­densicht heranzieht. Allerdings betont der BGH im vorlie­genden Fall durchgängig die Möglichkeit einer mar­kenspe­zifischen Markt­abgrenzung, entscheidet jedoch diesbezüglich nicht sondern ver­weist zur weiteren Tatsachenermittlung an die Vo­rinstanz zurück.

Für die Sichtweise der Kommission spricht, dass Kunden des Pkw-Servicemarkts und insbesondere in einem hochpreisigen Segment wie dem der Marke Jaguar Wert auf die Durchführung von War­tungs- und Instandhaltungsarbeiten in einer Vertragswerkstatt legen.

Dazu hat auch der BGH entsprechende Vermutungen dargelegt, kommt aber nicht zu dem Schluss, dass der relevante Markt dann der­jenige aus Endkundensicht ist. Er trifft lediglich die Aussage, dass Ansprüche, Erwar­tungen und Gepflo­genheiten der Fahrzeugei­gentümer auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt den vorgelagerten Markt zwischen Hersteller und Vertragswerkstatt beeinflussen können.

Gegen die Sichtweise der Kommission spricht, dass sie dem Her­steller bei ihrer Marktanteilsberechnung sowohl das Eigen- wie auch das Fremdge­schäft zurechnet, obwohl er beim Fremdgeschäft nicht das wirt­schaftliche Risiko trägt. Dar­über hinaus würdigt diese Betrachtungsweise nicht ausreichend das Leistungsspektrum der Vertragswerkstatt, da diese nicht nur ein vom Hersteller erworbenes Gut an den Endkunden weiterreicht. Die ange­botene Dienstleistung der Werkstatt beinhaltet die Ver­knüpfung von z.B. Beratung, Reparatur und Wartung und Ersatzfahrzeug­gestellung in der für die Vertragswerkstatt typischen Art und Weise.

Weiterhin spricht gegen die Sichtweise der EU Kommission, dass sich bei ihrer Betrachtungsweise nahezu immer für die Hersteller ein Markt­anteil von > 30 % ergibt. Bei Über­schreitung des Marktan­teils von 30 % gilt die GVO nicht mehr, son­dern Art. 101 Abs. 1 AEUV und somit sind Wettbewerbsbeschränkungen durch die Hersteller grundsätzlich ver­boten. Solche Wettbewerbsbeschränkungen kön­nen beispielsweise in sogenannten Selektionen des Servicenetzes zu sehen sein. Man un­terscheidet nach quantitativen und qualitati­ven Selektionen. Eine qua­litative Selektion bedeutet, dass der Her­steller den potentiellen Händ­lern beispielsweise Mindeststandards und Qualitätskriterien in Bezug auf die (technische) Ausstattung vor­gibt. Bei der quantitativen Selek­tion begrenzt der Hersteller dage­gen die Anzahl der Standorte seines Servicenetzes.

Nach der Rechtsprechung des EuGH, wird ein rein qualitatives System i.d.R. als nicht wettbewerbsbe­schränkend und somit als grundsätzlich zulässig angesehen.22 Im Ergebnis heißt dies: Hersteller dürfen ihr Servicenetz unter qualitativen Aspekten, aber nicht rein hinsichtlich der Anzahl der Standorte frei gestalten. Die Eu­ropäische Kommission zwingt mit ihrer Marktdefinition die Hersteller zur Aufnahme jedes Bewerbers in ihr Servicenetz, sofern er die quali­tativen Standards erfüllt, selbst wenn eine Ausweitung des Netzes nicht zur Strategie des Unternehmens passt. Im Ergebnis führt diese Praxis der Kommission paradoxer Weise zu einem weiteren Ausbau der Marktmacht des bereits marktbeherrschenden Unternehmens und damit potentiell zu einer weiteren Verdrängung der Wettbewerber. Die Sichtweise des BGH mit stufenweiser Marktabgrenzung aus der sich ein solcher Zulassungsanspruch nicht zwangsläufig ergibt erscheint ist daher insgesamt vorzuziehen.

II. Relative Marktmacht oder unternehmensbedingte Abhängigkeiten

Im Weiteren geht der BGH auf eine etwaige unternehmensbedingte Abhängig­keit oder relative Marktmacht des Herstellers gemäß § 20 Abs. 1 S.1, Abs. 3 S. 1, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB ein. Nach § 20 Abs. 1 GWB haben Unternehmen relative Marktmacht wenn kleine oder mittlere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise von ihnen abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen.

1. Meinungsstand

a) BGH

Hinsichtlich der unternehmensbedingten Abhängigkeit (oder relativen Marktmacht) führt der BGH im vorliegenden Urteil an, dass er eine solche bisher angenommen hat, wenn sich ein Händler so weit auf den Vertrieb von Produkten eines bestimmten Herstellers ausgerichtet hat, dass ein Wechsel zum Vertrieb von Produkten eines anderen Herstellers nur möglich ist, wenn er erhebliche Wettbewerbsnachteile in Kauf nimmt.23 Diese Annahme hat der BGH im Grundsatz auch auf das Verhältnis von Fahrzeughersteller zur Vertragswerkstatt ausgeweitet.24 Der BGH stellt im Urteil klar, dass die Ausrichtung des Geschäftsmodells erheblich über eine bloße Spezialisierung hinausgehen muss. Dies sieht er als gegeben, wenn beispielsweise besondere, herstellerspezifische Kenntnisse erworben werden müssen.

Der BGH weist im Weiteren darauf hin, dass hinsichtlich der unternehmensbe­ding­ten Abhängigkeit von der Vorinstanz keine Feststellungen ge­troffen wurden. Er schließt sich aber der Auffassung der Vorinstanz an, wel­che darlegt, dass diese nach dem Vortrag der Klägerin möglich sei.25 Daher ist auch aus Sicht des BGH für die wei­tere revisionsrechtliche Prüfung eine unternehmensbe­dingte Abhängig­keit zu unterstellen. Sofern eine unternehmensbedingte Abhängigkeit vorliegt, stellt der BGH klar, dass § 20 Abs. 1 S.1, Abs. 3 S. 1, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB Anwendung finden. Danach ist es dem marktstarken Unter­nehmen un­tersagt, kleine und mittlere Unternehmen die als Anbie­ter oder Nach­frager von ihm abhängig sind, zu behindern oder ohne sachlichen Grund anders zu behandeln als gleichartige Unterneh­men. Der BGH gibt an, dass die Verweigerung des Zugangs zum neu gestalte­ten Ser­vicenetz, eine solche potentielle Behinderung oder Diskriminierung sein könnte.

Laut BGH sind die gegenseitigen Interessen beider Parteien abzuwä­gen und die Frage zu klären, aus welchem Grund die Beklagte die Klä­gerin nicht in ihr neu gestaltetes Netz von Vertragswerkstätten aufneh­men will. Seitens des Berufungsgerichts fehlen hierzu laut BGH ent­spre­chende Feststellungen. Der BGH stellt ferner heraus, dass die Vorinstanz nicht geprüft hat, ob für eine Ungleichbehandlung der Klä­gerin gegenüber den anderen Werkstätten von der Beklagten sachliche Gründe angeführt wurden. Laut BGH hat das Berufungsge­richt keine Feststellungen dazu getroffen, ob es im Rahmen der Kün­digung oder der mündlichen Verhandlung eine sachliche Begründung für ein notwendiges Ausscheiden der Klägerin aus dem Servicenetz gab. Ebenso prüfte es nicht, ob gegenüber den Werk­stätten, mit denen neue Verträge abgeschlossen wurden, eine sachliche Begründung ge­geben wurde. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Ver­weigerung der Zulassung zum Ser­vicenetz ohne sachliche Begrün­dung und damit diskriminierend im Sinne von § 20 Abs. 1 S.1, Abs. 3 S. 1, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB erfolgte.26

Der Schutz für unternehmensbedingt abhängige Marktteilnehmer hat aber laut BGH nicht zur Folge, dass die Geschäftsbeziehung überhaupt nicht aufgelöst werden kann. Der gesetzlichen Regelung soll nicht die Funk­tion eines einseitigen Sozialschutzes zukommen.27 Der Hersteller als Normadressat von § 20 Abs. 1 S.1, Abs. 3 S. 1, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB ist nach Ansicht des BGH grundsätzlich frei, seine geschäftliche Tätigkeit nach seinem Ermessen so zu gestalten, wie er es für wirt­schaftlich erachtet. Daher kann die Geschäftsbeziehung immer noch aufgelöst werden, dies muss aber mit einer angemessenen Über­gangsfrist erfolgen um den Schutz des ­­­ § 20 Abs. 1 S.1, Abs. 3 S. 1, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB zu gewährleisten. Diese sah der BGH hier mit 2 Jahren als gegeben, denn in dieser Zeit habe das abhängige Unter­nehmen die zumutbare Möglichkeit, seinen Betrieb auf die Marke eines anderen Herstellers umzustellen.28

[...]


1 Im Weiteren werden Importeurin des englischen Automobilherstellers Jaguar in Deutschland, Hersteller und Beklagte als Synonym verwendet.

2 BGH 30.03.2011, NJW 2011, 2730; Walz, EWiR 2016, 481; Bechtold,

BB 2011,1610 (1612).

3 BGH 30.03.2011, NJW 2011, 2730.

4 Walz, EWiR 2016, 481.

5 Ströbl BB 2016, 1167 (1172).

6 Walz, EWiR 2016, 481 f.

7 BGH 30.03.2011, NJW 2011, 2730

8 BGH 30.03.2011, NJW 2011, 2730 (2731).

9 Ströbl, BB 2016, 1167 (1169).

10 Ströbl, BB 2016, 1167 (1169).

11 Bechtold, BB 2011, 1610 (1611 f.).

12 Becker/Simon in: MükoEuWettbR Einl. GVO Nr. 461/2010 Rn. 6; Walz EWiR 2016, 481 (482); Nolte in: Langen/Bunte Kartellrecht nach Art. 101 AEUV Rn. 938 ff.

13 Bechtold, BB 2011, 1610 (1612).

14 ABl. EU C 138/16 v. 28.5.2010, Rn. 15, 57, 70.

15 ABl. EG L 203/40 v. 1.8.2002.

16 ABl. EG L 203/37 v. 1.8.2002, Art. 3 Abs. 1.

17 Bechtold, BB 2011, 1610 (1612).

18 Evaluation Report on Block Exemption Regulation 1400/2002, Staff working document No. 4: The impact of Regulation 1400/2002, COM(2008)388 endg., 22; Wegner/Oberhammer, WUW 2012, 366 (368); Ensthaler, NJW 2016, 2504 (2507); Schultze/Oest, BB 2011, 1361 (1364).

19 Wegner/Oberhammer, WUW 2012, 366 (368).

20 Schultze/Oest, BB 2011, 1361 (1363).

21 ABl. EU C 138/16 v. 28.5.2010 Rn. 15; Leitfaden zu ABl. EG. L 203/30 v. 1.8.2002, S. 84 f.

22 EuGH 25.11.1977, NJW 1978, 480 (481); EuGH 14.06.2012, EuZW 2012, 628 (630).

23 BGH 23.02.1988, WuW/E 2491 (2493); BGH 21.02.1995, WuW/E 2983 (2988).

24 BGH 28.06.2005, WuW/E DE-R 1621 (1623); BGH 30.03.2011, NJW 2011, 2730 (2731).

25 OLG Frankfurt 29.07.2014, 11 U 6/14, Rn. 59.

26 BGH 26.01.2016, NJW 2016, 2504 (2506).

27 BGH 23.02.1988 WuW/E 2491 (2495); BGH 26.01.2016, NJW 2016, 2504 (2506).

28 BGH 26.01.2016, NJW 2016, 2504 (2506).

Fin de l'extrait de 23 pages

Résumé des informations

Titre
Das BGH-Urteil NJW 2016, 2504 "Jaguar Vertragswerkstatt". Absolute und relative Marktmacht eines Automobilherstellers zu seinen Vertragswerkstätten
Université
University of Hagen
Note
2,0
Auteur
Année
2018
Pages
23
N° de catalogue
V476711
ISBN (ebook)
9783668972612
ISBN (Livre)
9783668972629
Langue
allemand
Mots clés
Relative Marktmacht, unternehmensbedingte Abhängigkeiten, wirksam ausgesprochene Vertragskündigung, MAN, Jaguar, BGH Urteil, EU-Recht, Kündigungsschranke des § 20 GWB, Kündigungsschranke des § 242 BGB, absolute Marktmacht, Ersatzteilgeschäft, Automobilwirtschaft, Kartellrecht
Citation du texte
Regina Schwab (Auteur), 2018, Das BGH-Urteil NJW 2016, 2504 "Jaguar Vertragswerkstatt". Absolute und relative Marktmacht eines Automobilherstellers zu seinen Vertragswerkstätten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/476711

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