1953 erscheint in einem Lyrikzyklus („Die gestundete Zeit“) von Ingeborg Bachmann das Gedicht „Dunkles zu sagen“. Dieser Zyklus bringt ihr noch im selben Jahr den Preis der Gruppe 47 für Lyrik, für welche ihre Gedichte lange als Aushängeschild gelten. Sie jedoch wendet sich nach nur zwei Gedichtbänden hauptsächlich der Prosa zu. Die vorliegende Arbeit versucht, dem Gedicht auf mehrfachen Wegen nahe zu kommen - mit den Mitteln der formalen Lyrikanalyse, aber auch durch eine Berücksichtigung der Funktion von Lyrik als Ausdrucksform des Ich, dieses Ich: Ingeborg Bachmann.
Versuch über „Dunkles zu sagen“ – Von Ingeborg Bachmann
Mein Leben ist zu Ende, denn er ist auf dem Transport im Fluß ertrunken, er war mein Leben. Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben.
(I.B. aus: Malina[1] )
1953 erscheint in einem Lyrikzyklus („Die gestundete Zeit“) von Ingeborg Bachmann das Gedicht „Dunkles zu sagen“. Dieser Zyklus bringt ihr noch im selben Jahr den Preis der Gruppe 47 für Lyrik, für welche ihre Gedichte lange als Aushängeschild gelten. Sie jedoch wendet sich nach nur zwei Gedichtbänden hauptsächlich der Prosa zu[2].
Wie der Titel – frei gelesen – auch für und wider sich selbst sprechen kann, vermag er auch zu sagen, daß vage ist, worüber das Gedicht spricht oder eben gerade schweigt, wenn das lyrische Ich die „Saite des Schweigens“ ergreift (Z.12). Das Dunkel, ein polysemantisches Semem, hier lesbar als das Unerforschte oder, wie noch zu sehen sein wird, das Unaussprechliche. Das würde bereits an dieser Stelle eine Paradoxie aufmachen, wenn schon im Titel die Aufgabe ausgegeben wird, das Unsagbare zu artikulieren. Eine Paradoxie jedoch, die einer Aufgabe entspricht, welche durchaus in der Tradition der Sprachskepsis steht, wenn man einer solchen Bewegung überhaupt diesen Titel aufdrücken darf, da sie es sich eigentlich auf die Fahnen geschrieben hat, mit vorherrschenden Sprachverständnissen zu brechen – mit der Tradition – und zu fragen, ob ein Sich-verstehen überhaupt möglich ist. (Wobei nicht die Gefahr gebannt ist, daß sie damit wieder selbst zur Tradition verkommt, was Rolf Dieter Brinkmann mit seinem Werk so stark zu zeigen und kritisieren versucht hat[3] ).
Formell ist „Dunkles zu sagen“ nahezu nicht zu fixieren, was dem oben benannten Versuch durchaus entspräche. Es besteht aus 5 Strophen, die alle eine unterschiedliche Länge haben. Zu bemerken ist hierbei, daß die beiden längsten Strophen (2. Strophe – 6 Zeilen, 3. Strophe – 7 Zeilen) das Präteritum verwenden, wohingegen die anderen im Präsens geschrieben sind. Der mittlere Teil gleicht einer Geschichte, verfaßt in der Zeitform des Vergangenen, kann er nur noch berichten, noch erzählen. Er spricht von bereits Geschehenem, protokolliert.
Die anderen drei Strophen, welche ebenfalls eine verschiedene Versanzahl haben (1. Str. – 5, 4. Str. – 2,5. Str. – 4), sind wie erwähnt im Präsens verfaßt. Darüber hinaus zeichnen sie sich im Unterschied zu den anderen beiden durch eine stärkere Ich-Bezogenheit ( Strophe 1,4 und 5 beinhalten dreimal „ich“ oder „du“, Strophe 2 und 3 nur einmal) aus, wohingegen die Strophen 2 und 3 vermehrt mit Pronomen der 2.Person Singular operieren (siebenmal in Strophe 2 und 3, dagegen nur zweimal in Strophe 1,4 und 5). Daraus läßt sich rein sprachlich schlußfolgern, daß die im Mittelteil dargestellte Geschichte von der zweiten vorgestellten Person handelt und das lyrische Ich in den anderen Strophen dazu Stellung nimmt. Ebenso spricht es das „du“ in den Mittelstrophen stärker an. Daß aufgrund des Vergleiches „wie Orpheus spiel ich“(Z.1) sich auch eine Vermutung zur Rolle der beiden Personen machen läßt, soll im späteren Verlauf noch berücksichtigt werden.
Daß es keine formale, tradierte, reglementierende Strukturiertheit gibt, läßt sich sehr gut an den semantischen Einheiten zeigen, die unabhängig von der Strophenlänge variieren. So bestehen eine der längsten(3), als auch die kürzeste Strophe(4) aus zwei Sätzen, wohingegen die anderen drei nur je einen beinhalten (Es ist durchaus erwähnenswert, wenn vielleicht auch nicht zentral bedeutungstragend, daß die beiden semantisch umfangreicheren – und damit vielleicht auch dichteren – Strophen (mit zwei Sätzen) direkt aufeinanderfolgen). Wenn man noch die Kommata als bedeutungsdifferenzierend hinzunimmt, tritt auch die zweite der längeren Strophen heraus, da sie durch 6 Kommata geteilt wird. Wenn man nun der 4. Strophe einen Sonderstatus innerhalb des Gedichtes einräumt (die in gewisser Weise eine inhaltliche Wende herbeiführt oder beinahe provoziert, später mehr), zeigt sich, daß vor allem die schon zuvor gekennzeichneten Mittelstrophen mehrfach gegliedert sind, daß sie verschiedene Teilaussagen enthalten. Das reiht sie nur noch stärker in die Kategorie eines Geschichten-Erzählens ein, Bilder werden summiert, Geschehenes wird zusammengetragen. Diesen narrativ, bildlichen Charakter der beiden Strophen verstärkt der verhältnismäßig starke Gebrauch metaphorischer Sprache in ihnen. Zumindest die 3. Strophe ist zum bersten gefüllt mit Personifikationen („Saite des Schweigens“ Z.12; „Schattenhaar der Nacht“ Z. 16), Allegorien („der Finsternis schwarze Flocken“ Z.17) und anderen Metaphern („Welle von Blut“, „tönendes Herz“). Ebenfalls unterstützt wird diese von Alltagssprache abstrahierende Darstellung durch hochsprachliche Wortformen, die mitunter schon veraltet wirken („tönendes“ Z.14, „Antlitz“ Z. 18), hier jedoch gezielt verwendet werden, da sie mit der klassischen Darstellung der griechischen Mythologie korrespondieren, auf die sich das Gedicht bezieht – im besonderen auf den Orpheus-Mythos, doch dazu später.
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[1] Ingeborg Bachmann: Malina, gefunden in: members.tripod.de/SubRosa/celbach.html
[2] vgl. members.tripod.de/SubRosa/celbach.html: „Zum Covergirl der Gruppe 47 geworden verzichtet sie bald auf lyrische Veröffentlichungen.“
[3] vgl. Sibylle Späth: Rolf Dieter Brinkmann, Metzler, Stuttgart, 1989, S. 2 u. 67
- Quote paper
- Matthias Zimmermann (Author), 2002, Zu: Versuch über 'Dunkles zu sagen' von Ingeborg Bachmann, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47794
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